Richterin Clemons in Philadelphia: Mumia Abu-Jamal soll im Gefängnis sterben

Mumia Abu-Jamal, Konterfei
Quelle: Pixabay

Vor einigen Tagen, am 24. April, ist Mumia Abu-Jamal 69 Jahre alt geworden. Es war das 41. Mal, dass er seinen Geburtstag im Gefängnis begehen musste, die ersten 28 Mal davon in der Todeszelle.

Es war dies ein besonders deprimierender Geburtstag – denn wenige Wochen zuvor, am 31. März dieses Jahres, hat eine Richterin seine wohl letzte Hoffnung auf Gerechtigkeit in einem gerichtlichen Verfahren zerschlagen. Lucretia Clemons vom Philadelphia Court of Common Pleas lehnte Abu-Jamals Antrag in allen Punkten ab.

Das Urteil der Richterin kam für Eingeweihte nicht überraschend, war aber dennoch niederschmetternd in seiner eisigen Ablehnung aller umfassend belegten Rechtsverletzungen in Abu-Jamals Fall.

Zwei Grundsatzurteile

Niederschmetternd auch die Erkenntnis, dass Frau Clemons als Afroamerikanerin mit der Geschichte eines Lynchmords in der eigenen Familie den offensichtlichen blanken Rassismus in Abu-Jamals Fall auf eine Art und Weise vom Tisch wischt, die an kaltschnäuzigem Formalismus kaum zu überbieten ist.

Die zwei Berufungsklagen Abu-Jamals hätten rein juristisch zwingend zu seinen Gunsten ausgehen müssen, stützen sie sich doch auf zwei Grundsatzurteile des Supreme-Courts, die zu den ehernen Säulen US-amerikanischen Rechts gehören:

  1. Zum einen das Brady-Urteil, das 1963 vom Obersten Gerichtshof der USA erlassen wurde. Es verlangt von allen Staatsanwälten ohne Wenn und Aber, die Verteidigung der Angeklagten von allen ihr vorliegenden Beweisen zu möglicher Schuld oder Unschuld zeitnah in Kenntnis zu setzen.Im Dezember 2018 hatte der Stab des damals neuen Staatsanwalts Larry Krasner im weitläufigen Gebäudekomplex der Staatsanwaltschaft von Philadelphia Hunderte von „verlorenen“ Aktenkisten gefunden, von denen sechs mit „Abu-Jamal“ beschriftet waren. Eine der Kisten enthielt Notizen der damaligen Staatsanwaltschaft, die sehr eindeutig darauf hinwiesen, dass beide Hauptbelastungszeugen im Verfahren von 1981 entweder bestochen oder begünstigt worden waren. Beweismaterial, dass die Verteidigung weder im Verfahren 1982 zu sehen bekam, noch in irgendeinem der zahlreichen Berufungsverfahren der folgenden Jahrzehnte. Beweismaterial, das also jeder Verteidigung Abu-Jamals 36 Jahre lang vorenthalten worden war.
    Linn Washington, vor langen Jahren Mumias Radiokollege und nun Professor für Journalismus an der Temple University in Philadelphia mit juristischer Zusatzausbildung kommentiert dazu präzise und sarkastisch: „Die beinahe 40-jährige Zeitspanne, in der die Staatsanwälte Philadelphias diese Aktenkisten der Verteidigung Abu-Jamals vorenthalten haben, liegt weit jenseits selbst der dehnbarsten Auslegung der Brady-Anforderungen an den Begriff ‚zeitnah‘.“ Und er folgert: „Die jüngste Entscheidung beugt sowohl Recht als auch Logik.“
  1. Zum anderen das Batson-Urteil des Obersten Gerichtshof der USA von 1986 verbietet es Staatsanwälten, Geschworene allein aufgrund ihrer Rasse auszuschließen und sieht bei dem begründeten Verdacht, ein Urteil sei mithilfe oder aufgrund rassistischer Voraussetzungen zustande gekommen, ein neues Verfahren oder sogar die Freilassung des Beschuldigten vor.Abu-Jamal wurde im Juni 1982 von einer überwiegend weißen Jury verurteilt (10 von 12 Geschworenen), obwohl Philadelphia zum Zeitpunkt seines Prozesses einen Bevölkerungs-Anteil von über 40 Prozent Afroamerikaner*innen hatte. Ein Dokument in einer der sechs zurückgehaltenen Kisten enthüllte, dass der Staatsanwalt in Abu-Jamals Prozess 1982 mit Akribie die Rasse der potenziellen Geschworenen verfolgte. Damit war amtlich, was lange Zeit ein offenes Geheimnis gewesen und gar durch ein Schulungsvideo für angehende Staatsanwälte zu belegen gewesen war, das 1996 veröffentlich wurde und in dem Staatsanwalt McMahon darlegt, „warum Sie Schwarze nicht in Ihrer Jury haben wollen.“
    Jahrzehntelang hatte die Staatsanwaltschaft von Philadelphia geleugnet, dass eine solche Auswahl während Abu-Jamals Prozess stattgefunden hatte.

So weit, so klar. So klar die rechtmäßigen Erwartungen an ihr Urteil.

Rassismus verjährt nicht – eigentlich

Hatte sie nicht auch sogar im Mai 2021 Eric Riddick nach 29 Jahren im Gefängnis entlassen mit dem Verweis auf „Brady“ und der korrekten Begründung, dass das Fehlverhalten der Staatsanwaltschaft von Philadelphia, die auch in Riddicks Fall Beweise für seine Unschuld zurückgehalten hatte, eine klare Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte darstellte.

Nicht so jedoch in Mumias Fall.

Vielmehr wies Richterin Clemons Abu-Jamals Klage nach Batson zurück und bezeichnete den Vorwurf, er sei durch das Zurückhalten der Notizen des Staatsanwalts zur Auswahl der Geschworenen geschädigt worden, als „unbegründet“, darüber hinaus sei der Einwand zu spät erhoben worden und daher nunmehr verjährt.

Zur Erinnerung: das Batson-Urteil des Supreme Court ist eindeutig in seiner Feststellung, dass Rassismus nicht verjährt.

Abu-Jamals Klage nach Brady beschied sie damit, dieser habe „kein Recht“ auf die Notizen des Staatsanwalts. Auch hier ist festzuhalten, dass Richterin Clemons in ihrer Begründung zwar juristische Spitzfindigkeiten wie verstrichene Einspruchs-Zeiten bemüht, in der Sache jedoch schlicht Unrecht hat.

Dazu der Richter im Ruhestand Wendell Griffen, der 13 Jahre lang Berufungsrichter und bis Ende 2022 weitere 11 Jahre lang Verfahrensrichter in Arkansas war: “Richterin Clemons urteilt also, dass sie selbst für den Fall, dass Abu-Jamal recht habe mit seiner Klage, die Staatsanwaltschaft hätte sein verfassungsmäßiges Recht auf einen fairen Prozess verletzt, indem sie es  – ganze 36 Jahre lang – versäumt habe, seiner Verteidigung entlastende Beweise vorzulegen, wie vom Urteil Brady gegen Maryland gefordert – dass sie selbst in diesem Fall überzeugt davon ist, dass ein so klarer Bruch des Rechts keine Rolle spielt.“

Vernichtendes Urteil

Der Gipfel des Zynismus und eine Beleidigung jeder Logik ist jedoch ihre zusammenfassende Behauptung, es stehe nicht zu vermuten, dass die Geschworenen anders als mit „schuldig“ und dem Todesurteil entschieden hätten, wenn sie Kenntnis von dem begründeten Verdacht gehabt hätten, dass beide Hauptbelastungszeugen auf Betreiben der Anklage hin gelogen hatten, um sich selbst aus einer prekären Situation zu retten.

Richter Wendell Griffens vernichtendes Urteil über seine Kollegin: „Ich habe Hunderte von Berufungen aus Geschworenenprozessen geprüft, darunter auch Berufungen von Personen, die des Mordes beschuldigt und verurteilt worden waren. (Richterin Clemons) Urteil vom 31. März ist der jüngste Beweis dafür, dass Richter in Pennsylvania nicht bereit sind, Rassismus anzuprangern und seine Auswirkungen auf die Justiz zu verurteilen.

Richterin Clemons hat 39 Seiten darauf verwendet, um den schrecklichen Satz zu bekräftigen, den eine Gerichtsstenographin vor Abu Jamals Prozess 1982 vom Richter zu einem anderen Richter sagen hörte: „Ich werde ihnen helfen, den N….. zu grillen“ (gemeint ist Abu Jamal).

Diese Charakterisierung ihrer Entscheidung ist hart. Dennoch ist sie wahr. Richterin Clemons erwartet, dass Mumia Abu Jamal im Gefängnis sterben wird, weil es ihr egal ist, ob Joe McGill (als Staatsanwalt) Schwarze als Geschworene ausgeschlossen hat oder nicht. Sie geht davon aus, dass Abu-Jamal im Gefängnis sterben wird, weil es ihr egal ist, dass der Staatsanwalt entlastende Informationen unterschlagen hat.“

Und Linn Washington: „Richterin Lucretia Clemons setzt mit ihrer ablehnenden Entscheidung das Muster der vorsätzlichen Beteiligung von Richtern an den institutionellen Feindseligkeiten gegen Abu-Jamal fort. Artikel 2.3 des »Pennsylvania Code of Judicial Conduct« erklärt, dass ,ein Richter die Pflichten des richterlichen Amtes (…) ohne Voreingenommenheit oder Vorurteile ausüben soll‘. Für viele stellt diese Entscheidung von Clemons die richterliche Sorgfaltspflicht für Gerechtigkeit auf den Kopf. Wo Clemons in Eric Riddicks Fall noch ein Fehlurteil sah, weigerte sie sich bei Mumia Abu-Jamal zu tun, was richtig, rechtmäßig und notwendig gewesen wäre.“

Bleibt uns nur, weiter gegen die Mumia-Ausnahme zu kämpfen.

Danke für die Unterstützung, Harry Belafonte.

 

Fakten und Hintergründe:

Das Buch vom Westend Verlag: Texte aus dem Todestrakt
Die Webseite: Drop the Case Against Mumia Abu-Jamal
Der Film: A Case for Reasonable Doubt
Und: Der Amnesty Report

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7 Kommentare

  1. Wo Demokraten regieren – kommt Demokratie unter die Räder.

    Aber das haben wir auch in Europa – eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

    Österreich “ Exxpress.at“ man kommt aus dem staunen nicht heraus – totale Wende – die Kommentarfunktion
    so etwas habe ich noch nie erlebt : zwei Kommentare von bislang noch nie dort gelesenen Usern – das war’s !!
    Exxpress.at schreibt sogar die Kommentare selbst !!!
    Österreichische Polizei warnt sogar Autofahrer vor Selbstjustiz = Straftaten verfolgen sie nicht – aber wenn man
    sich gegen Nötigung u.a. wehrt – holt die Polizei den Knüppel raus.
    Wächst in Österreich wieder ein A.H. heran ???

  2. Ist das Rassismus? Ja, in Reinform.

    Darüber hinaus eine Machtdemonstration der Rassisten: niemand aus dem gesamten politischen Spektrum traut sich, für Mumia einzutreten. Dann ist das Konsens.

  3. Zu den USA gibt es nichts weiter zu sagen, wie es zu Satanisten auch nichts weiter zu sagen gibt.
    Zu Schland, dem Vasallenstaat der USA, und dessen Bevölkerung, den Kriechern,, gibt es ebenfalls nichts mehr zu sagen.

    Sämtliche Medien sollten sich selbst abschalten, da sie nichts mehr zu sagen haben. „Kriechen live“ wäre wohl ein Scheißprogramm, selbst für die anspruchslosesten Gebührenzahler hierzulande.

    Und mir fällt auch nicht mehr ein, als zu sagen: Pfui Teufel.

    Wenn Hohl- und Holzköpfe, skrupellose Soziopathen und erbarmungslose Psychopathen die Welt beherrschen, weil das jeweilige Dummvolk nicht willens ist, sich zur Wehr zu setzen, stattdessen nach Darmzugangsmöglichkeiten sucht – nein, da kann man schlicht nichts mehr dazu sagen.

    1. Yo – so ist das wohl.

      Nur „Kriechen live“ wäre ganz sicher ein prima Format für einen der vielen privaten Puddingpulver-Sender…

  4. Richterin Lucretia Clemons
    The name is the game: „Lucretia“ wurde von Sextus (sic!) vergewaltigt und brachte sich danach um.
    Wer seinem Kind diesen Vornamen gönnt, trägt per sé zur lebenslangen Traumatisierung bei. Nun weiß man auch gleich, vor was sie sich unter Anderem fürchtet: böse schwarze Männer.

    (Mein Gefühl sagt mir, dass da im Hintergrund irgendetwas nicht stimmen kann…)

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