„Paradigmenwechel“: Schwedens Demokratie im Schatten der rechten Schwedendemokraten

Ulf Kristersson heute bei der Regierungserklärung im Parlament. Bild: Schwedisches Parlament

Das schwedische Nationalparlament hat heute Ulf Kristersson, den Chef der bürgerlichen Partei „Die Moderaten“ (M), als Regierungschef bestätigt. Die Schwedendemokraten sind formal nicht in der Regierung, können aber erheblichen Druck ausüben.

 

Das Ergebnis war knapp: Er konnte 176  Stimmen erhalten, 173 Abgeordnete stimmten dagegen. „Ich bin sehr demütig angesichts der Aufgaben, die vor uns liegen“, so der 58-Jährige, der auch einen „Paradigmenwechsel“ für Schweden ankündigte.

Kristersson stellte dann am Dienstag eine Regierung vor, wobei 13 Minister von seiner Partei gestellt werden, sechs von den etwas konservativeren „Christdemokraten“ (KD) sowie fünf von den „Liberalen“ (L).

Kristerssons Wahl galt als sehr umstritten, da er sich von den rechten Schwedendemokraten (SD) als Minderheit tolerieren lässt, mit denen er ein „nahe Zusammenarbeit“ ankündigte. Nur mit ihrer Hilfe konnte er sich gegen die Amtsinhaberin Magdalena Andersson durchsetzten, deren Sozialdemokratische Partei die meisten Stimmen erhielt. Die Schweden hatten am 11. September ein neues Nationalparlament (Reichstag) gewählt.

Die Schwedendemokraten haben ihre Wurzeln in der Neonazi-Szene in den Siebzigern und sich vor allem seit der Parteiführung von Jimmie Akesson um ein gemäßigteres Auftreten bemüht. Der heute 43-Jährige schafft seit 2005 den Balanceakt, die Rechten als Volkspartei darzustellen, gleichzeitig hält er den Kontakt zur radikaleren Basis, wie etwa um die Rechtsrockband „Ultima Thule“.

Bei der Stimmabgabe am Montag kam es deswegen zu einem Zwischenfall. Kristersson  habe der Holocaust-Überlebenden Hédi Fried 2018 versprochen, keine Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten zu beginnen, schrie ein Mann, der dann aus dem Parlament geführt wurde.

Noch am Wochenende gab es eine  Aufregung Dank dieser Partei – Anne Frank sei „verkommen“ und die „Geilheit in Person“, so Rebecka Fallenkvist in den Sozialen Medien. Die 28-Jährige gilt als SD-Parteiprominente, so leitet sie die Regionalgruppe des Raums Stockholm und verantwortet die YouTube-Sendung „Riks“ der Schwedendemokraten. Sie wurde ihrer Ämter vorläufig enthoben.

Auch der Koalitionspartner „Die Liberalen“ hat Probleme mit der Kooperation mit den Schwedendemokraten. Vor der Abstimmung im Parlament gab es die Befürchtung, es komme zu Gegenstimmen. Parteichef Johan Pehrson wird sich nun vor einem Parteiausschuss verantworten müssen, auch weil er die Partei nicht über die Abkommen der vier Parteien informiert hatte.  Pehrson hat übrigens das brisante und unddankbare Amt des „Integrationsministers“ inne.

Regierungsprogramm mit rechter Schlagseite

Schon in der vergangenen Woche haben die drei Koalitionspartner mit der unterstützenden Partei ein provisorisches Regierungsprogramm vorgestellt.

Die kommende Migrations- und Integrationspolitik weist dabei die Handschrift der Rechten auf. So werden nun die Strafen für Mitglieder in kriminellen Vereinigungen verdoppelt, für Brennpunkte werden die Kompetenzen der Polizei ausgeweitet, es gibt ein Zeugenschutzprogramm sowie eine Ausweitung der Kameraüberwachung.

In das Land, das einst für seine großzügige Einwanderungspolitik bekannt war, sollen nun weniger Asylsuchende hineinkommen und mehr Asylanwärter ausgewiesen werden.

Thema Nummer eins war die ausufernde Kriminalität von Gangs, die in den Vororten um Drogenreviere kämpften. Da deren Mitglieder vornehmlich aus Migranten bestehen, konnten die Schwedendemokraten über 20 Prozent erreichen.

Zu weiteren Herausforderungen der kommenden Regierung gehört, den NATO-Beitritt gegen den derzeitigen Widerstand der Türkei und Ungarns durchzusetzen. So verlangt die Türkei von Schweden, dass schwedische Staatsbürger ausgeliefert werden, eine Forderung, der auch die neue Führung in Stockholm nicht nachkommen wird.

Schweden will der Energiekrise mit dem Weiterlaufen der bestehenden Atomkraftwerke sowie dem Bau von weiteren begegnen.

Die Inflation sowie die hohe  Arbeitslosigkeit unter jungen Schwedinnen und Schweden soll mit Veränderungen des Arbeitsrechts und Steuererleichterungen begegnet werden.

Wenn auch die harte Ausländerpolitik unter der Federführung der Schwedendemokraten steht, so wurden die Maßnahmen von den Moderaten und den Christdemokraten bereits im Vorfeld angekündigt, vieles wurde auch aus Dänemark übernommen, wo die Sozialdemokraten regieren.

Der Einfluss der Schwedendemokraten

Die Schwedendemokraten sind jedoch auch aus einem anderen Grund problematisch. Es könne erstmal schlechter werden, bevor es besser werde, warnte Kristersson. Die Frage ist jedoch, ob die Wählerschaft der Schwedendemokraten, die um 1,4 Prozent größer ist als die der Moderaten, diese Geduld aufbringt.

Denn Jimmie Akesson hat einige Sozialversprechen von sich gegeben. Mehr Rente, mehr Ausgaben für die Sozial- und Krankenversicherungen, niedrigere Energiepreise. Den Klimawandel sehen die Rechten eher als ideologisches Konstrukt ihrer Gegner an. Die Rolle als empörter Anwalt der schwedischen Bevölkerung kann Akesson nun weiter spielen. Mit besserer Ausgangslage – er hat formal keine politische Verantwortung, kann jedoch Druck ausüben, bis hin zum Erzwingen von Neuwahlen.

Die scheidenden Premierministerin Magdalena Andersson warnte im Vorfeld, dass „Kristersson regieren, Akesson jedoch steuern“ werde.

Kristersson selbst hat sich im Wahlkampf nicht wirklich profilieren können, zu sehr wurde die Wahl zu einer Entscheidungsfrage, ob die Rechten mitwirken dürfen oder nicht. Dabei hatte der studierte Volkswirt auch einmal eine radikale Phase: In den Neunziger Jahren agierte er vehement gegen das schwedische Wohlfahrtsmodell, das er mit dem Apartheidsstaat in Südafrika verglich. Die wirtschaftsliberalen Moderaten rückten jedoch später von einer solch harten Kritik an der sozialdemokratischen Politik ab.

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11 Kommentare

  1. Wie auch immer im Detail, die Macht der Rechten in Europa nimmt zu. Das ist bisher eher wellenförmig als linear verlaufen, aber die Tendenz ist schon lange nicht mehr zu übersehen, die neoliberale Umwälzung der Gesellschaft, kombiniert mit einer korrumpierten und / oder identitär gestrauchelten Linken, die dadurch vom radikalen Zentrum – man muss es so widersprüchlich ausdrücken – des bürgerlichen Spektrums kaum mehr zu unterscheiden ist, erlaubt nichts anderes. Der westliche Krieg gegen Russland hat nun eine neue Phase eingeläutet, nun wird es rasanter gehen.

  2. Dass die Blauäugigkeit der bislang regierenden Sozialdemokraten gegenüber der sehr realen Clan- und Bandenkriminalität den Erfolg der SD erst ermöglichte, darauf hat schon der linke Publizist Harald Neuber in Telepolis hingewiesen.
    Das dänische Modell, in Problemstadtteilen durch Umsiedlungen so etwas wie eine soziale und ethnische Mischung hinzubekommen, ist durchaus ein möglicher Lösungsansatz.

  3. Ich kann dieses:“Igitt, die Bevölkerung hat Partei XY zu einem großen Teil gewählt, wie schlimm, dass die jetzt formal die Politik beeinflussen darf“ nicht mehr hören. Es zeigt nur das mangelnde Demokratieverständnis eines Autors, wenn er sich moralisch über Entscheidungen der Bürger erhebt.

    Wir haben das zuerst mit der FPÖ in Österreich erlebt, dann mit Syriza in Griechenland, mit Cinque Stelle in Italien, dort jetzt nochmal mit den Brüdern Melonis, jetzt auch in Schweden mit der SD. Jedes mal wurde von Journalisten der Untergang ausgerufen, wenn eine der Parteien Einfluss in der Regierung bekam, doch der Untergang blieb aus.

    Vielmehr sieht es so aus, dass die von Journalisten geliebten etablierten Parteien die Demokratie immer mehr aushölen und die Wirtschaft zerstören.

    Wenn die etablierten Parteien den Karren in den Dreck fahren, sollte man anderen Parteien eine Chance geben. Schlechter als die aktuellen Parteien wird das nicht sein. Mir ist es egal, ob die Bürger als neue Kräfte die AfD, Sarah Wagenknecht, nationalkonservative Parteien oder Marxisten wählen. Die Parteien, die gewählt werden, sollen auch regieren!

    1. „Es zeigt nur das mangelnde Demokratieverständnis eines Autors, wenn er sich moralisch über Entscheidungen der Bürger erhebt.“

      Wer hat die „etablierten“ Parteien denn etabliert ? Der Weihnachtsmann ?

        1. Wenn einem das Ergebnis von Wahlen gefällt, herrscht Demokratie, sonst nicht. Dann wählt man wieder welche die besser bescheißen.
          Komisches Demokratieverständnis.

            1. Nein, die Stimme ist nicht weg. Ich bin Schweizer und gehe „ständig“ an die Urne.

              Ich kann dir versichern, dass man vor dem Urnengang und nach dem Urnengang über die zur Diskussion stehenden Themen, Personen oder Parteien reden kann, darf und soll. Die Stimme fehlt höchstens temporär, wenn man sich nach dem „Abstimmen“ zu lange in der Dorfkneipe aufgehalten hat.

              Wer nicht an die Urne ging, kann mit der verschwendeten „Stimme“ im übrigen gar nichts mehr anstellen.

              Ich fand dein Sprüchlein schon beim Schlangenölverkäufer, der nun in Kanada wohnt (ausgerechnet Kanada!), reichlich schwach in der Substanz.

    2. Das, was Du sagst, trifft zu, kennzeichnet aber gleichzeitig das Problem das ich mit den sog. „rechten“ Parteien habe: Wenn die regieren, regieren sie fast genauso wie ihre langjährigen Vorgänger von den Etablierten. Man gibt sich dann schnell der Überzeugung hin, dass es ihnen auch nur um die Fleischtöpfe der Macht geht, so wie allen anderen. Die Schwedendemokraten sind besonders farblos: Während ich mich mit der postulierten Russlandpolitik der AfD anfreunden könnte (sie liegt ganz in der Nähe des kleinen, denkenden Teils der Linken!!), ist die langjährige Russlandpolitik der Schwedendemokraten kaum anders als die unserer Schwarzrotgrünen mit etwas Gelb darin. Die Schwedendemokraten sind wirklich eine reine Partei zum Thema Ausländer – wozu das bedauernswerte Schweden aber auch allen Grund hat.

  4. Wirklich ein Paradigmenwechsel? Wird Schweden seinen Beitritt in die Nato zu den Akten legen oder die noch existierenden Reste des schwedischen Sozialstaats abschaffen? Kaum zu glauben. Es wird ganz ähnlich sein wie in Deutschland: Die Einheitspartei aller „Kraten“ wird, je nachdem wer die Macht hat, ihre Politik bestenfalls in Nuancen ändern. Da die Grünen nicht dabei sind, wird die Änderung nicht so katastrophal und dramatisch ausfallen wie in Deutschland.
    Interessant: während sich selbst als Linke betrachtende Parteien ein Land nach dem anderen gegen die Wand fahren, fällt deren Wählern & Sympathisanten immer noch nichts Besseres ein als gegen die „Rechten“ zu wettern.

  5. Die Ablehnung des NATO/EU-Krieges gegen Rußland dürfte stärker sein, als die Mainstream-Medien zugeben. Die wollen uns immer weis machen, daß mehr als 50% der Bevölkerung hinter der Kriegspolitik der Ampel-Regierung stehen.

    Jedoch: wenn man mal die Kommentarspalten – sogar in der Qualitätspresse – durchsieht, dann überwiegt nach meinem Eindruck immer wieder deutlich die Ablehnung der Kriegstreiberei. Sehr deutlich – und die Befürworter gehen meist in der Diskussion unter.

    Ein Beispiel ist der Vortrag von Gabriele Krone-Schmalz in der Volkshochschule Reutlingen vom 14. Oktober, der gestern auf youtube veröffentlicht wurde: er wurde innerhalb von 24 Stunden mehr als 100.000 mal aufgerufen. Weit über 1000 Kommentare, in denen ich beim Überfliegen keinen einzigen gefunden habe, der sich hinter die Kriegspolitik der Bundesregierung stellt.

    Ich weiß nicht, ob man den Link hier einstellen darf. Der Vortrag ist leicht auf youtube zu finden. „vhsrt – Volkshochschule Reutlingen“, „Rußland und die Ukraine“. Es gibt da mehrere Vorträge von Gabriele Krone-Schmalz. Man muß den nehmen, der gestern (18. Okt.) eingestellt wurde.

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