Nationalistenmarsch in Warschau – Uneinigkeit gegenüber dem Ukraine-Krieg

„Unabhängigkeitsmarsch“ der Nationalisten in Warschau am Freitag. Bild: Jens Mattern

Wieder nahmen 100.000 Teilnehmer an dem u.a. vom neofaschistischen „Nationalradikalen Lager“ (ONR) organisierten Marsch im Zentrum von Warschau teil, um die Unabhängigkeitserklärung von Marschall Jozef Pilsudski am 11. November 1918 zu feiern.

„Nein, wir wollen nicht die EU verlassen“, so die Rentnerin mit Vornamen Justyna, die sich mit ihrer Freundin ein wenig von dem Demonstrationszug am Absperrungszaun ausruht. Zuvor war ein Wagen der „Allpolnischen Jugend“ (MW) vorbei gefahren, aus dem Lautsprecher schmetterte ein Aktivist Brüssel ein „Nein“ entgegen. Die in den 1930er Jahren nach Vorbild des spanischem Faschismus gegründete Organisation hatte zuvor an einem Stand die EU-Flagge als Fußabwischer ausgelegt.

Und sie ist Mitveranstalterin des polnischen „Unabhängigkeitsmarsch“, der am Freitag wieder 100.000 Teilnehmer (Angaben der Veranstalter) das Zentrum von Warschau mit Böllerschüssen, Bengalenfeuer und Songs wie „Rotes Gesindel” dominieren ließ.

Bild: Jens Mattern

Gefeiert wurde in Polen unter dem Motto „Starke Nation – Großes Polen“ die Unabhängigkeitserklärung von Marschall Jozef Pilsudski am 11. November 1918.

Polen konnte nach 123 Jahren Fremdherrschaft nach dem Ersten Weltkrieg wieder politisch existieren. Doch das ausgerechnet nationalistische Gruppen seit 2016 das Zentrum besetzen dürfen, ist der nationalkonservativen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) zu verdanken. Sie ist aufgrund ihrer instabilen Mehrheit im Sejm auf Unterstützung durch Rechtsaußen angewiesen, im Sejm vertreten durch das Bündnis „Konföderation“ und die Kleinpartei „Kukiz15“. Diese sind verbandelt mit dem Veranstalter Robert Bakiewicz, der aus dem „Nationalradikalen Lager“ (ONR) stammt, eine weitere faschistische Gruppierung, die ebenfalls in den frühen 1930er Jahren gegründet wurde.

Der liberale Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski hatte im Vorfeld erneut vergeblich versucht, die Veranstaltung aus  dem Zentrum zu verbannen.

Doch die von Personen aus dem nationalistischen Milieu seit 2010 organisierte Veranstaltung ist „zyklisch“ und konnte so nach polnischem Recht seinen Platz behaupten, zumal auch der Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro und seine Getreuen mitliefen.

Anhänger des „Nationalradikalen Lagers“ (ONR). Bild: Jens Mattern

Es ist darum die zentrale Veranstaltung, und die Organisatoren wurden im Vorfeld nicht müde zu betonen, dass es eine Veranstaltung für alle patriotische Polen sei. Auch die beiden Damen mit den kleinen rotweißen Fahnen am Revers sehen sich so.

In ihrer Nähre hat ein älterer Herr mit Schirmmütze und Flagge zuvor eine Diskussion mit einem jungen Mann anfangen wollen, der ein modifiziertes Hakenkreuz trug, doch dieser eilte davon. Als der Rentner erfährt, dass sein Gegenüber aus Deutschland kommt, nimmt das Gespräch an Fahrt auf. „Ja, Austritt aus der EU!“, da Deutschland die EU-Zahlungen an Polen blockiere. Er hält, wie bei alten Menschen in Polen üblich, den jüngeren Gesprächspartner am Arm. „Meine Mutter und Tanten waren in deutschen Lagern, mein Onkel in Sibirien. Das ist unsere Geschichte!“ Keine Entschädigungen habe es in beiden Fällen gegeben, darum sei das Verhältnis zu Deutschland und Russen so schwierig.

Mittlerweile ziehen Transparente vorbei, welche sich gegen die LGTB-Gruppen wenden sowie die Abtreibung, auch sind Keltenkreuze und „Schwarze Sonnen“ zu sehen, welche allgemein mit dem Faschismus verbunden werden.

Bild: Jens Mattern

Die Polizei ist präsent, jedoch im Hintergrund. Auch gegen das Bewerfen von Wartenden auf dem tiefer gelegten Bahnsteig der Regionalbahn mit Böllern geht sie nicht vor, nimmt jedoch einige Personen mit dem Banner „Nationalismus ist kein Patriotismus“ fest. Ansonsten halten sich Gegner des Marsches zurück – die Überzahl und die Gewaltbereitschaft mancher Teilnehmer ist zu groß.

Der Ukrainekrieg kam auf den ersten Blick nur am Rande vor – zwar zeigt ein Bild auf der Facebookseite eine Karikatur eines Rotarmisten mit dem Buchstaben „Z“ auf der Mütze, der für die russische Invasion in der Ukraine steht;  an der Poniatowskibrücke wurde eine als „Putin“ gekennzeichnete Puppe gehängt. Doch ukrainische Fahnen sind nicht zu sehen. Vielmehr wird ein Banner gezeigt, dass vor der „Ukrainisierung Polens“ warnt. „Polen den Polen“ wird auch skandiert. Es gibt durchgestrichene Konterfeis Wladimir Putins und Stepan Banderas, letzterer war Chef der ukrainischen Partisanenorganisation UPA, welche ein Massaker an der polnischen Bevölkerung in der Westukraine in den Jahren 1943 und 1944 anrichtete.

Das Vorbild der meisten Marschierer, Roman Dmowski, der auch die beiden faschistischen Organisationen ONR und MW in den frühen Dreißigern ins Leben rief, wirkte als  Gegenspieler von Jozef Pilsudski und sah in Russland, später der Sowjetunion einen weniger gefährlichen Gegner als Deutschland.

Darum gibt es auch unter den Nationalisten in Polen viele, welche eher den Schulterschluss mit Russland bevorzugen, wenn sie es auch nicht zu offen sagen, denn dafür gibt es in Polen wenig Verständnis. Die „Konföderation“ sprach sich jedoch bereits im September dafür aus, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben und von dort wieder Energie zu beziehen.

Dass nun auf der Facebook-Seite des Marsches ein Bild zu sehen ist, wie ein polnischer Soldat gegen einen russischen Rotarmisten mit dem besagten „Z“ mit dem Säbel ausholt, war für die Konföderationspartei „Nationale Bewegung“ zu viel des proukrainischen Bekenntnisses.

Vor dem Start des Marsches kam es darum zu einem Gerangel zwischen deren Anhängern und der „Leibgarde“ von Robert Bakiewicz, der im Vorfeld vor möglichen „russischen Provokationen gewarnt“ hat. Um die künftige Organisation des Marsches ist nun ein heftiger Streit entbrannt. Wie es so bei den nationalistischen Gruppen so ist – wenn der Feind von Außen nicht genügend Druck macht, beginnt der innere Zerfall.

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16 Kommentare

  1. Wenn Polen ein so tolles Land ist, mit so klugen Köpfen braucht es doch keine Almosen und Panzer aus Deutschland.

    Nationalismus wird in Europa immer mehr zur Normalität. Dieser Nationalismus bildet die Grundlage für kommende Feindschaften.

    1. Da fragt man sich warum der Zar nicht erstmal vor der eigenen Haustür gekehrt (entnazifiziert) hat.

      Ach ja, man will nicht als Nestbeschmutzer auffallen.

      1. Wieder mal keine Argumente. Die paar tausend radikalen Nationalisten werden so gerade noch geduldet, solange sie nicht gegen Gesetze verstossen. Mehrere ihrer Clubs und Publikationen wurden bereits als extremistisch durch Gerichtsbeschluss aufgelöst. Die richtig radikalen russischen Nazis wie „Wikingjugend“ sind in die Ukraine emigriert, klar, weil das da so liberal-demokratisch zugeht, oder wie?

        1. Und damit sie nicht gegen Gesetze verstoßen wenn die Nazis mal wieder Homosexuelle verprügeln hat man schnell ein neues Gesetz verabschiedet damit sie ganz legal wüten können!

          1. Diese Lüge hast Du Dir aus dem Arsch gezogen. Homosexuelle werden in Kiew verprügelt, von Anhängern des Rechten Sektors. In Russland wird homophobe Gewalt, die es nur sporadisch gibt, als Hoolianismus strikt verfolgt. Und russische Rechtsradikale hüten sich, durch Gewalt allzusehr aufzufallen. Vor allem, wo der Schutzschild Navalny, der ja auch gedroht hatte, Arbeitsmigranten abzuknallen, weggefallen ist.

            Das Gesetz über Propaganda .. ist gewiss kritikwürdig, es erlaubt aber keinerlei Gewalt, sondern droht „Propagandisten“ Geldbussen an, etwa soviel, wie einem hier für ein Z in der Heckscheibe drohen.

        2. Egal welche Argumente von den Russlandfreunden vorgeschoben werden, ich habe noch keins gesehen, dass einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland rechtfertigen würden.

          Ein Angriffskrieg der obendrein noch völlig dilettantisch geplant und ausgeführt wird, von einem der Auszog um Russland wieder Ehre zu machen.

          1. Sie verdrehen Tatsachen, der Angreifer in diesem Bürgerkrieg ist die ukrainische Armee gegen alles russische unterstützt von NATO und USEU, die russische Armee hat interveniert zum Schutz der russischen Bevölkerung und Kultur unter tödlicher Bedrohung in der faschistischen Ukraine seit 2014. Merken Sie sich das, versuchen Sie nicht uns intelligente Leser des Zeitgeschehens für dumm zu verkaufen!

  2. Nun ja. Es gibt schon einen Unterschied zwischen über 100,000 Nationalisten in einem 30Millionen-Land und 6000 in einem 150Millionen-Land. Dabei ist die polnische Mehrheitspartei etwa so nationalistisch wie die Mehrzahl der Teilnehmer des „Russischen Marschs“, die in Russland den gerade noch legalen rechten Rand markieren.

    Die Warschauer Marschierer kommen aus dem Umfeld dessen, was vor der Septemberkatastrophe von 1939 die Endecja-Partei war, eine ganz knapp, wenn überhaupt, nicht offen faschistische Gruppierung. Während des Widerstandskampfes hat sie als AK-WiN mehr Juden und Sozialisten/Kommunisten umgebracht als Deutsche (übrigens auch Ukrainer in Volyn). Die PiS steht in der „Tradition“ der Sanacja von Pilsudski und Beck, die den Deutschen ihren Überfall 1939 ermöglichte.

    Die tollwütige Russophobie nicht nur der polnischen extremen Rechten, ja nicht einmal nur der PiS, sondern auch der Mehrzahl des „liberalen“ und „linken“ Lagers, schafft den Nährboden für den polnischen Rechtsextremismus.

    Ganz am Rande: Mit ihrer Erinnerung an den Genozid in Volyn durch die OUN-UPA haben sie durchaus Recht.

    1. In Polen herrscht nicht nur eine“ tollwütige Russophobie“ die ist bei uns auch weitverbreitet und wird von den Mainstream Medien munter geschürt.
      Vieleicht sollten sich unsere Regierungsparteien und auch die CDU/CSU überlegen, wie die Forderungen der Polnischen Seite erfüllt werden können. Der zur Zeit von der polnischen Regierung und PIS geschürte Deutschen Hass wird zukünftig nicht verschwinden.

      Vorschlag: Vieleicht kann man die polnischen Nationalisten besänftigen in dem die BRD die Lausitz abtritt.
      oder: Je nachdem wie das Schlachten in der Ukraine ausgeht. Könnten wir ja dafür stimmen, dass Polen die nach 1918 erhaltenen und auch eroberten Gebiete wiederbekommt.
      Bei einer Eskalation ist zu beachten, dass
      die polnische Armee stärker gerüstet ist als die Bundewehr und hat mit den Britten und US Amerikanern Trümpfe in der Hand. Was die Freundschaft von den Beiden NATO-Strategen zur BRD anbelangt? Siehe Sprengung der Pipelines. Das sagt alles.

  3. Die eigentliche Problematik der ukrainisch-polnischen Beziehungen erfasst der Autor nicht. Wirklich gute Beziehungen auf gesellschaftlicher Ebene gibt es nicht. Und das hat zwei Gründe:
    1. Insbesondere nach der Amtsübernahme Selenskyjs hat die Heroisierung ukrainischer Faschistenführer eine neue Qualität bekommen. Zahlreiche Strassen wurden nach Stepan Bandera oder dem als NS-Kollaborateur an Massenmord-Aktionen an Juden und Polen beteiligten Roman Schuchewytsch benannt. Als in der galizischen Grossstadt Ternobil sogar das Fussball-Stadion Schuchewytsch gewidmet wurde, sorgte das in Polen für erhebliches Aufsehen und führte bei den polnischen Partnerstädten Ternobils, Zamosc, Nysa und Tarnow, zur Aufkündigung der Partnerschaft. (Iserlohn dagegen stört sich nicht an der Faschisten-Verehrung und ging mit der REchtsextrimisten-Hochburg Ternobil erst im Juni eine „Freundschafts“-Beziehung ein). Offensichtlich ist es so, dass Selenskyj gegenüber den ukrainischen Rechtsradikalen seine Zuverlässigkeit beweisen muss. Während es für Poroschenko noch möglich war, am Warschauer Wolhyn-Denkmal, das an die ca. 80.000 von ukrainischen Nationalisten 1943 massakrierten polnischen Dorfbewohner Wolhyniens erinnert, nieder zu knien, erscheinen solche Gesten bei Selenskyj völlig undenkbar. Das Wolhynien-Massaker aber ist wie Ausschwitz, der Warschauer Aufstand oder Katyn nicht erst seit dem viel diskutierten „Wolhynien“-Film von 2016 ein Teil des historischen Gedächtnisses der polnischen Nation.
    2. Ähnlich wie in Deutschland werden ukrainische Flüchtlinge in Polen gegenüber anderen Ausländergruppen privilegiert. Durch die Zuteilung einer persönlichen Identifikations-Nr. (Pesel) wurden sie polnischen Staatsbürgern weitgehend gleichgestellt. Dass es dabei vor allem um die schnelle Rekrutierung ukrainischer Arbeitskräfte ging, hat gerade die Beschäftigten in den unterbezahlten Bereichen der typischen Frauenberufe (Handel, Gastgewerbe, Gesundheitsbereich) nicht unbedingt erfreut. Dass zum anderen viele ukrainische Flüchtlinge – verständlicherweise – eine rege Pendlerbewegung ins Heimatland begonnenb haben und dies bei Fortbestand polnischer Sozialleistungen, verstärkt den Argwohn.

  4. So weit es Polnisch-ukrainische Beziehungen angeht, würde es mich nicht wundern, wenn sich die Redewendung „Pack verträgt sich, Pack schlägt sich“ bald wieder einmal bewahrheitet. Jeder Staat hat neunmal zuallererst Interessen, und keine Schlechtwetter Freunde, sarkastischer Realismus von mir.

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