Merkwürdiger NSU-Komplex: Wenn ein Rechtsextremist dem Verfassungsschutz seine Firma zum Kauf anbietet

aus dem Paulchen Panther-NSU-Propagandavideo

 

Der Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags befasst sich mit der Propaganda-DVD des NSU und erfährt zufällig, dass ein nationalistischer Versandhändler mit dem Geheimdienst ins Geschäft kommen wollte.

Der NSU-Ausschuss in München ist bei der Befassung mit dem Paulchen Panther-Propagandavideo nebenbei auf eine skurrile Spur gestoßen: Der rechtsextreme Versandhändler, der die fragliche DVD im November 2011 ebenfalls bekommen hat, bot seine Firma dem Verfassungsschutz zum Kauf an.

Die Sache hat sich erst nach dem Auffliegen des NSU-Trios am 4. November 2011 ereignet: Eine DVD mit einem Video von 15 Minuten Länge, in dem die zehn dem NSU zugeschriebenen Morde sowie zwei Sprengstoffanschläge präsentiert werden. Nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos wurde die Scheibe an mehrere Adressen verschickt. Manche bezeichnen sie als „Bekenner-DVD“, darunter das BKA, das damit aber auch seine amtliche Version von den angeblich zwei (Allein-)Tätern zementiert. Man könnte das Beweisstück auch „Propaganda-DVD“ nennen. Sie trägt den Titel „Frühling – Nationalsozialistischer Untergrund – DVD 1“. Als sie verschickt wurde, war es Herbst. Das sogenannte NSU-Trio hatte aber in der Zwickauer Frühlingstraße eine Wohnung.

Am 4. November 2011, einem Freitag, wurden Böhnhardt und Mundlos tot in einem Wohnmobil im Eisenacher Stadtteil Stregda gefunden. Die genauen Umstände sind bis heute nicht klar und müssen uns noch beschäftigen. Am selben Tag explodierte ihre Wohnung in Zwickau. Beate Zschäpe, die Dritte im Bunde, begab sich auf eine rastlose Reise durch halb Deutschland und stellte sich am 8. November, dem Dienstag danach, der Polizei in ihrer Heimatstadt Jena. Seither ist sie in Haft.

Ab Montag, den 7. November 2011, gingen bei 15 bekannt gewordenen Anschriften Exemplare der NSU-DVD ein, darunter die PDS-Geschäftsstelle in Halle/Saale und der PDS-Kreisverband Riesa-Großenhain. [Anm.: Die Partei des Demokratischen Sozialismus war die Nachfolgerin der SED und die Vorläuferin der Linkspartei] Außerdem ging je eine Scheibe an das DKP-Büro in Nürnberg, an das Türkische Generalkonsulat in München, den Türkisch-islamischen Kulturverein in Hamburg, die Firma TeleVision Zwickau GmbH in Reinsdorf bei Zwickau, die Berliner Redaktion der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung oder an den Axel-Springer-Verlag in Halle. Die meisten Kuverts, in denen die DVD steckte, trugen einen Poststempel vom 6. November, dem Sonntag dazwischen, abgefertigt im Briefzentrum Leipzig-Schkeuditz.

Zwei Empfänger fallen aus der Reihe: Bei der Zeitung „Nürnberger Nachrichten“ in Nürnberg, muss die DVD von jemandem in den Hausbriefkasten eingeworfen worden sei. Das Briefkuvert war nicht frankiert. Die Fracht  wurde am 9. November, dem Mittwoch danach, aus dem Briefkasten genommen. Zschäpe kann nicht die Überbringerin gewesen sein, sie war auf ihrer viertägigen Irrfahrt durch Deutschland nicht in Nürnberg. Außerdem befand sie sich seit dem frühen Morgen des 8. November in den Händen der Polizei. Der oder die tatsächlichen Überbringer sind bis heute unbekannt. Ebenso, woher sie die DVD hatten.

Patria-Versand von Franz Ludwig Gl.

Die zweite Besonderheit: Das DVD-Video mit den Morden ging an „linke“ Organisationen, an türkisch-islamische Einrichtungen oder an Medien. Eine allerdings an den stramm rechten Online-Versandhandel „Patria“ in Kirchberg bei Landshut. Die Firma vertrieb rechtsextreme Musik-CDs oder zum Beispiel T-Shirts, auf die das Wort „consdaple“ gedruckt war, in dem, wer wollte, die Buchstabenkombination „nsdap“ erkennen konnte. Geführt wurde der Patria-Versand von Franz Ludwig Gl., der unter anderem in der NPD und  bei der CSU-Abspaltung Die Republikaner aktiv war und führende Funktionen inne hatte.

Gl. stand damals, das könnte von Bedeutung sein, in Verhandlungen über den Verkauf seines Unternehmens. Interessent war Roland Sokol aus Baden-Württemberg, der sich einerseits zwar in der Neonazi-Szene bewegte, zugleich aber V-Mann des Verfassungsschutzes war.

Gl. meldete die DVD am 25. November 2011 bei der Kriminalpolizei, sie soll am 23. November bei ihm eingegangen sein. Zu diesem Zeitpunkt saß Zschäpe seit über zwei Wochen in U-Haft. Gl. wandte sich direkt an einen Beamten, den er aufgrund mehrerer Verfahren gut kannte und der beim Staatsschutz arbeitete. Der nennt bei seiner Zeugenbefragung im U-Ausschuss Gl. einen „umgänglichen Menschen“ und „guten Geschäftsmann“. Die Polizei holte die DVD bei ihm ab.

Wann und wo sie abgeschickt wurde, ließ sich nicht mehr feststellen, weil Gl.s Tochter den Umschlag zum Altpapier gegeben haben soll. Auch andere Adressaten hatten ihren Umschlag entsorgt, ehe sie den brisanten Inhalt der Sendung realisierten.

Beim Exemplar von Kirchberg sicherte die Kriminaltechnik auf der Folie, in der die DVD steckte, drei Fingerabdrücke von Böhnhardt, keine anderen.

Hypothetisch betrachtet könnte Gl. selber Verteiler der DVD gewesen sein. Allerdings stellt sich die Frage, zu welchem Zweck? Um sie dann den Behörden zu geben? Das erscheint etwas umständlich. Doch auch wenn man davon ausgeht, dass die DVD dem Patria-Versand gegolten hat, stellt sich die Frage: wieso? Nach einer dritten Hypothese, die in Medienkreisen kursierte, sollte die DVD an den Neonazi Roland Sokol geschickt werden und landete versehentlich an der Kirchberger Adresse des Patria-Versandes. War dem Absender etwa bekannt, dass der Besitzer in Kontakt zu Sokol stand und sich mit dem Gedanken trug, ihm seine Firma zu verkaufen? Wenn ja, woher? Ging er etwa davon aus, dass Sokol bereits der Nachfolger und neue Patria-Besitzer war? Doch auch damit wäre die Frage aufgeworfen, wieso diese DVD in rechtsextreme Kreise lanciert wird, wo sie doch aus rechtsextremen Kreisen kommen soll?

„Dann kauft halt Ihr den Laden!“

Der inzwischen pensionierte Kriminalbeamte Gerhard K., der damals an den Ermittlungen beteiligt war, berichtet im Untersuchungsausschuss, Gl. habe ihm unterbreitet, dass er den Patria-Versand zum Jahresende 2011 veräußern möchte. Und dann habe der Versandhändler mit dem rechtsextremen Kundenstamm überraschenderweise den Vorschlag gemacht, der Verfassungsschutz könne die Firma samt Namensrechten für 20 000 Euro kaufen. Der Name Sokol sei dabei aber nicht gefallen.

Gl. erzählt die Geschichte im Ausschuss so: Er habe in einem Gespräch beim Staatsschutz in Landshut erwähnt, dass er seinen Versand verkaufen wolle. Das hätten die Beamten nicht so gut gefunden. Daraufhin habe er gesagt: „Dann kauft halt Ihr den Laden!“

Als die Sache mit der NSU-DVD war, sagt Gl., sei er mit Sokol bereits handelseinig gewesen. Sokol sei ihm vom Verlag Nation Europa in Coburg als Kaufinteressent vermittelt worden. Bei dem Verlag hatte auch einer der Anführer des Thüringer Heimatschutzes, Tino Brandt, der gleichzeitig V-Mann des thüringischen Verfassungsschutzes war, gearbeitet. Damit waren bereits mindestens zwei Figuren des Verfassungsschutzes in der Nähe des Patria-Versandes plaziert.

Gl. verneint, selber Kontakt zum Verfassungsschutz gehabt zu haben, spricht aber davon, dass es gegenüber Mitarbeiterinnen Anwerbeversuche des Dienstes gegeben habe. Er habe sofort die Polizei informiert, woraufhin der Verfassungsschutz sich wieder zurückgezogen habe.

Die Beziehung zwischen dem geschäftsfreudigen Rechtsnationalisten und der Polizei muss eine besondere gewesen sein. Wie eng sein Kontakt zum Staatsschutz war, wird er im Ausschuss aber nicht gefragt. Jedenfalls schrieb Kriminalhauptkommissar Gerhard K. dem Wunsch von Gl. entsprechend an den Verfassungsschutz und teilte ihm mit, dass Gl. den Patria-Versand an das Amt verkaufen wolle.

Die Abgeordneten sind überrascht: Einen solchen Brief haben sie in den Akten, die ihnen für ihre Arbeit geliefert wurden, nicht gesehen. Der pensionierte Kriminalbeamte hat ihn dabei und zeigt ihn dem Ausschussvorsitzenden. Der liest und bestätigt den Inhalt, der Brief sei nicht unwichtig. Dem Ausschuss wird eine Kopie davon zur Verfügung gestellt.

Zurück ins Jahr 2011. Nach der Kontaktaufnahme mit dem Verfassungsschutz über den polizeilichen Staatsschutz soll der rechtsextreme Versandhändler, der mit seinem Geschäftsgebaren immer wieder die Grenze des Strafbaren berührte und sich zahlreiche Verfahren einfing, zum Beispiel wegen Verwendens verfassungsfeindlicher Kennzeichen, keine Anzeigen mehr bekommen haben.

Im Januar 2012 ging der Patria-Versand tatsächlich in den Besitz von Roland Sokol über, Kaufpreis 50.000 Euro.

Für Gerhard K., den ehemaligen Kripomann, hatte Gl.s tatsächlich ernsthafte Verkaufsabsichten, trotzdem stellt sich heute die Frage, ob Sokol nur ein Strohmann war. Der neue Besitzer soll über das Internet zwar Verkäufe getätigt haben, zunächst aber noch wochenlang am Ort des Warenlagers in Ostbayern gearbeitet haben, um die Abläufe des Vertriebs kennen zu lernen, so Gl.

Doch dann wurde der Verkauf rückgängig gemacht. Der Zeuge K. meint, unter Sokol sei das Geschäft nicht so gut gelaufen. Gl., der Patria-Betreiber, erklärt, Sokol habe das Geld für den Kauf nicht aufbringen können. Jedenfalls war der Patria-Versand 2013 wieder zurück bei Gl., der Kaufvertrag wurde aufgelöst.

Die Kundendatei mit über 20.000 Namen verblieb aber bei Sokol. Und damit war sie, wovon man ausgehen kann, zugleich in die Hände des LfV Baden-Württemberg gelangt. Der Verfassungsschutz bekam sie also über den Umweg seines V-Mannes.

Roland Sokol war unter anderem aktiv bei den rechtsradikalen Gruppierungen Blood and Honour, Hammerskins und der Kameradschaft Karlsruhe. Über seine Person war der Verfassungsschutz Mitgründer der islamfeindlichen Gruppierung Hooligans gegen Salafisten, deren kindliche Abkürzung „HoGeSa“ auffällig an die Abkürzung „Pegida“ erinnert. Nach seinem Tod im September 2015 wurde Sokol als langjähriger Spitzel des LfV Ba-Wü enttarnt.

Das 15 Minuten lange NSU-Taten-Video ist bis heute nicht restlos entschlüsselt

Auf dem Video findet sich der Satz, der NSU sei ein „Netzwerk von Kameraden“. Die DVD trägt den Titel „Frühling – Nationalsozialistischer Untergrund – DVD 1“. Der bekannte rosarote Panther präsentiert, professionell gemacht, die nominellen NSU-Taten. Zunächst die Sprengfalle in der Kölner Probsteigasse, danach werden kurz die neun Ceska-Morde an Männern migrantischer Herkunft aufgelistet. Mit den ersten drei Morden befasst sich das Video ausführlicher, ehe es zur Nagelbombe in der Kölner Keupstraße springt. Dieser Anschlag wird mit insgesamt zwei Minuten Länge am ausführlichsten dargestellt. Die übrigen sieben Morde tauchen gar nicht mehr auf.  Zwischendrin gibt es einen Bezug zur RAF, so als ob aus der Wolle eines RAF-Pullovers der NSU gestrickt würde. Die RAF erklärte 1998 ihre Auflösung, im selben Jahr begann mit dem Untertauchen des Trios die Geschichte des NSU.

Das letzte Bild auf der DVD widmet sich dem Polizistenmord von Heilbronn, eine Foto-Collage mit der Überschrift: „Nationalsozialistischer Untergrund“ und der Unterschrift: „Paul 2000 – Paulchen’s neue Streiche – DVD 2“.

DVD 1 und DVD 2: Ist das ein Hinweis auf eine neue Tatserie, die mit dem Mord in Heilbronn begonnen hätte? Begangen von einer anderen NSU-Gruppierung?

Im Brandschutt in Zwickau wurden mehrere weitere NSU-DVDs gefunden. Außerdem entdeckten die Ermittler im Wohnmobil, in dem die toten Böhnhardt und Mundlos lagen, in einem nagelneuen Rucksack, der keine Schmutz- oder Brandspuren aufwies, noch sechs DVDs, die zunächst angeblich übersehen worden waren. Dazwischen lagen ganze vier Wochen. Das erinnert auffällig an den Anschlag vom Breitscheidplatz, als drei Wochen nach der Spurensicherung im LKW bei einer Nachschau noch ein Papierfetzen mit der Aufschrift „Hardenbergstr“ entdeckt wurde, der ausgerechnet vor der Tachoanzeige lag. Wie sehr sich doch Zufälle wiederholen können.

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2 Kommentare

  1. Ich weiß nicht,wer welche Verbrechen begangen hat.Allerdings bin ich mir sicher,dass die geheimdienstlich-medial verbreitete Geschichte über „NSU“ absolut nichts mit derWahrheit zu tun hat.Die ganze Geschichte ist derart voller Wiedersprüche und Ungereimtheiten,dass sie wie mit der heissen Nadel gestrickt erscheint.Ich gehe davon aus,dass die „Dienste“ die Gelegenheit genutzt haben,den beiden Uwe‘s die Verbrechen aus dem Geheimdienstmilieu anzuhängen.
    Das einzig sichere ist,dass sie ein rechtsextremes Gedankengut hatten und engstens mit den „Diensten“ verbandelt waren.
    Im übrigen wurde das Wohnmobil,in dem die beiden Toten aufgefunden wurden,mehrere Tage lang von der Kriminaltechnik des Landeskriminalamtes untersucht.Wenn da schon ein Rucksack mit den besagten DVD vorhanden gewesen wäre,hätten sie ihn gefunden!Er wurde erst später dort platziert…

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