Mearsheimer: »Die Zukunft der Ukraine sieht extrem düster aus«

Symbolbild: Panzer auf Landkarte
Quelle: Pixabay

Nach John Mearsheimer erschweren der Nationalismus auf beiden Seiten und das fehlende Vertrauen mögliche Friedensverhandlungen, so dass der Krieg weitergehen und die Ukraine noch mehr zerstört wird; abschließend zeigt er, dass diese Katastrophe Folge der unverantwortlichen US-Politik der Nato-Erweiterung ist und leicht hätte vermieden werden können   

Zweiter Teil. Der erste Teil erschien bereits am Samstag an dieser Stelle.

Der von mir geschätzte US-Politikwissenschaftler John Mearsheimer hat eine neue umfangreiche und sehr lesenswerte Analyse des Ukraine-Kriegs mit dem Titel „The darkness ahead: Where the Ukraine war is headed“ (zu deutsch: „Die Dunkelheit, die vor uns liegt: Wohin sich der Ukraine-Krieg entwickeln wird“) vorgelegt, die auf der US-Website Substack am 23. Juni 2023 veröffentlicht worden ist (1).

Ich habe diesen umfangreichen Text mit Unterstützung von Deepl ins Deutsche übertragen und präsentiere ihn meinen Leserinnen und Lesern in zwei Teilen.

Teil 2 der Übersetzung des Artikels von John Mearsheimer vom 23. Juni 2023

Bestehen Aussichten auf ein Friedensabkommen?

Auf der ganzen Welt mehren sich Stimmen, die alle Seiten des Ukraine-Krieges auffordern, Diplomatie zu betreiben und ein dauerhaftes Friedensabkommen auszuhandeln.

Dazu wird es jedoch wahrscheinlich nicht kommen. Es gibt zu viele gewaltige Hindernisse, den Krieg in absehbarer Zeit zu beenden, geschweige denn ein Abkommen zu schaffen, das zu einem dauerhaften Frieden führt. Das bestmögliche Ergebnis ist ein eingefrorener Konflikt, in dem beide Seiten weiterhin nach Möglichkeiten suchen, die andere Seite zu schwächen, und in dem die Gefahr neuer Kämpfe allgegenwärtig ist.

Auf der allgemeinsten Ebene ist Frieden nicht möglich, weil jede Seite die andere als tödliche Bedrohung betrachtet, die auf dem Schlachtfeld besiegt werden muss. Unter diesen Umständen gibt es kaum Spielraum für Kompromisse mit der anderen Seite.

Es gibt auch zwei spezifische Streitpunkte zwischen den Kriegsparteien, die unlösbar erscheinen. Das eine betrifft das Territorium, das andere die ukrainische Neutralität.45

Fast alle Ukrainer sind fest entschlossen, ihr gesamtes verlorenes Territorium zurückzuerobern – einschließlich der Krim.46 Wer kann es ihnen verdenken? Aber Russland hat die Krim, Donezk, Cherson, Luhansk und Saporoschje offiziell annektiert und ist fest entschlossen, diese Gebiete zu behalten. Tatsächlich gibt es Grund zu der Annahme, dass Moskau noch mehr ukrainisches Territorium annektieren wird, wenn es das kann.

Der andere gordische Knoten betrifft das Verhältnis der Ukraine zum Westen. Aus verständlichen Gründen will die Ukraine nach Kriegsende eine Sicherheitsgarantie, die nur der Westen bieten kann. Das bedeutet entweder de facto oder de jure eine Mitgliedschaft in der Nato, da kein anderes Land die Ukraine schützen kann.

Praktisch alle russischen Führer fordern jedoch eine neutrale Ukraine, was bedeutet, dass es keine militärischen Verbindungen zum Westen und damit keinen Sicherheitsschirm für Kiew gibt. Es gibt keine Möglichkeit, diese Quadratur des Kreises zu beenden.

Es gibt zwei weitere Hindernisse für den Frieden: den Nationalismus, der sich inzwischen in einen Hypernationalismus verwandelt hat, und das völlige Fehlen von Vertrauen auf russischer Seite.

Nationalismus auf ukrainischer und russischer Seite

Der Nationalismus ist seit weit über einem Jahrhundert eine mächtige Kraft in der Ukraine, und der Antagonismus gegenüber Russland ist seit langem eines seiner Kernelemente.

Der Ausbruch des gegenwärtigen Konflikts am 22. Februar 2014 schürte diese Feindseligkeit, was das ukrainische Parlament dazu veranlasste, am folgenden Tag ein Gesetz zu verabschieden, das den Gebrauch von Russisch und anderen Minderheitensprachen einschränkte, ein Schritt, der dazu beitrug, den Bürgerkrieg im Donbass auszulösen.47

Die Annexion der Krim durch Russland kurz darauf verschlimmerte die schlechte Situation. Entgegen der landläufigen Meinung im Westen verstand Putin, dass die Ukraine eine von Russland getrennte Nation sei und dass es bei dem Konflikt zwischen den im Donbass lebenden ethnischen Russen und den russischsprachigen Menschen einerseits und der ukrainischen Regierung andererseits um “die nationale Frage” gehe.48

Die russische Invasion in der Ukraine, die die beiden Länder in einem langwierigen und blutigen Krieg direkt gegeneinander ausspielt, hat diesen Nationalismus auf beiden Seiten in Hypernationalismus verwandelt. Verachtung und Hass auf “den Anderen” durchdringen die russische und ukrainische Gesellschaft, was starke Anreize schafft, diese Bedrohung zu beseitigen – notfalls mit Gewalt.

Beispiele gibt es zuhauf. Eine bekannte Kiewer Wochenzeitung behauptet, berühmte russische Autoren wie Michail Lermontow, Fjodor Dostojewski, Leo Tolstoi und Boris Pasternak seien “Mörder, Plünderer, Ignoranten”.49 Die russische Kultur, sagt ein prominenter ukrainischer Schriftsteller, stehe für “Barbarei, Mord und Zerstörung … Das ist das Schicksal der Kultur des Feindes.”50

Wie zu erwarten war, betreibt die ukrainische Regierung eine “Entrussifizierung” oder “Dekolonisierung”. Diese umfasst die Säuberung von Büchern russischer Autoren in Bibliotheken, die Umbenennung von Straßen, die Namen mit Verbindungen zu Russland haben, das Abreißen von Statuen von Persönlichkeiten wie Katharina der Großen, das Verbot russischer Musik, die nach 1991 produziert wurde, den Abbruch der Verbindungen zwischen der ukrainisch-orthodoxen Kirche und der russisch-orthodoxen Kirche und die Minimierung des Gebrauchs der russischen Sprache. Vielleicht lässt sich die Haltung der Ukraine gegenüber Russland am besten mit Selenskyjs knappem Kommentar zusammenfassen: “Wir werden nicht vergeben. Wir werden nicht vergessen.”51

Von der russischen Seite berichtet Anatol Lieven, dass “man jeden Tag im russischen Fernsehen hasserfüllte ethnische Beleidigungen gegen Ukrainer sehen kann”.52 Es überrascht nicht, dass die Russen daran arbeiten, die ukrainische Kultur in den von Moskau annektierten Gebieten zu russifizieren und auszulöschen.

Zu diesen Maßnahmen gehören die Ausstellung russischer Pässe, die Änderung der Lehrpläne in den Schulen, die Ersetzung der ukrainischen Griwna durch den russischen Rubel, die gezielte Bekämpfung von Bibliotheken und Museen sowie die Umbenennung von Städten.53 Bachmut zum Beispiel ist jetzt Artemowsk und die ukrainische Sprache wird in den Schulen der Region Donezk nicht mehr unterrichtet.54 Offenbar werden auch die Russen weder vergeben noch vergessen.

Der Aufstieg des Hypernationalismus ist in Kriegszeiten vorhersehbar, nicht nur, weil Regierungen stark auf den Nationalismus setzen, um ihre Bevölkerung zu motivieren, ihr Land bis zum Äußersten zu verteidigen, sondern auch, weil der Tod und die Zerstörung, die mit Kriegen einhergehen – insbesondere langwierige Kriege – jede Seite dazu bringen, die andere zu entmenschlichen und zu hassen. Im Fall der Ukraine gießt der erbitterte Konflikt um die nationale Identität Öl ins Feuer.

Hypernationalismus erschwert natürlich die Zusammenarbeit zwischen beiden Seiten und gibt Russland einen Grund, Gebiete zu erobern, die von ethnischen Russen und Russischsprachigen bewohnt sind. Vermutlich würden viele von ihnen es vorziehen, unter russischer Kontrolle zu leben, angesichts der Feindseligkeit der ukrainischen Regierung gegenüber allem, was Russisch ist.

Im Zuge der Annexion dieser Gebiete werden die Russen wahrscheinlich eine große Anzahl ethnischer Ukrainer vertreiben, vor allem aus Angst, dass sie gegen die russische Herrschaft rebellieren werden, wenn sie bleiben. Diese Entwicklungen werden den Hass zwischen Russen und Ukrainern weiter schüren und Kompromisse über Territorien praktisch unmöglich machen.

Fehlendes Vertrauen auf Seiten Russlands

Es gibt noch einen letzten Grund, warum ein dauerhaftes Friedensabkommen nicht machbar ist. Die russische Führung traut weder der Ukraine noch dem Westen zu, in gutem Glauben zu verhandeln, was nicht bedeuten soll, dass die ukrainischen und westlichen Staats- und Regierungschefs ihren russischen Amtskollegen vertrauen. Der Mangel an Vertrauen ist auf allen Seiten offensichtlich, aber er ist auf Seiten Moskaus aufgrund einer Reihe von Enthüllungen in jüngster Zeit besonders akut.

Die Ursache des Problems liegt in den Verhandlungen über das Minsk-II-Abkommen von 2015, das einen Rahmen für die Beendigung des Konflikts im Donbass bildete. Der französische Präsident François Hollande und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel spielten die zentrale Rolle bei der Gestaltung dieses Rahmens, wobei sie sich sowohl mit Putin als auch mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko ausführlich berieten.

Diese vier Personen waren auch die Hauptakteure in den anschließenden Verhandlungen. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass Putin sich dafür einsetzte, dass Minsk funktioniert. Aber Hollande, Merkel und Poroschenko – wie auch Selenskyj – haben alle deutlich gemacht, dass sie nicht an der Umsetzung von Minsk interessiert waren, sondern es als Chance sahen, der Ukraine Zeit zu verschaffen, ihr Militär aufzubauen, damit es mit dem Aufstand im Donbass fertig wird.

Wie Merkel der Wochenzeitschrift Die Zeit sagte, sei es “ein Versuch gewesen, der Ukraine Zeit zu geben … um stärker zu werden.”55 In ähnlicher Weise sagte Poroschenko: “Unser Ziel war es, erstens die Bedrohung zu stoppen oder zumindest den Krieg zu verzögern – acht Jahre zu sichern, um das Wirtschaftswachstum wiederherzustellen und mächtige Streitkräfte zu schaffen.”56

Kurz nach Merkels Zeit-Interview im Dezember 2022 sagte Putin auf einer Pressekonferenz: “Ich dachte, die anderen Teilnehmer dieses Abkommens seien zumindest ehrlich, aber nein, es stellt sich heraus, dass sie uns auch belogen haben und die Ukraine nur mit Waffen vollpumpen und auf einen militärischen Konflikt vorbereiten wollten.”

Er fuhr fort, dass er durch die Täuschung des Westens eine Gelegenheit verpasst habe, das Ukraine-Problem unter für Russland günstigeren Umständen zu lösen: “Anscheinend haben wir uns zu spät orientiert, um ehrlich zu sein. Vielleicht hätten wir das alles [die Militäroperation] früher beginnen sollen, aber wir haben gehofft, dass wir es im Rahmen der Minsker Vereinbarungen lösen können.”

Dann machte er deutlich, dass die Doppelzüngigkeit des Westens künftige Verhandlungen erschweren würde: “Das Vertrauen ist bereits fast bei Null, aber wie können wir nach solchen Erklärungen überhaupt verhandeln? Über was? Können wir mit irgendjemandem irgendwelche Vereinbarungen treffen und wo sind die Garantien?”57

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es kaum eine Chance gibt, den Ukraine-Krieg mit einer sinnvollen Friedenslösung zu beenden. Stattdessen wird sich der Krieg wahrscheinlich noch mindestens ein weiteres Jahr hinziehen und sich schließlich in einen eingefrorenen Konflikt verwandeln, der sich jederzeit wieder zu einem heißen Krieg entwickeln  könnte.

Konsequenzen

Das Fehlen eines tragfähigen Friedensabkommens wird eine Vielzahl von schrecklichen Folgen haben.

So dürften die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen auf absehbare Zeit zutiefst feindselig und gefährlich bleiben. Jede Seite wird weiterhin die andere dämonisieren und alle Anstrengungen machen, ihrem Rivalen Schmerzen und Ärger zu bereiten. Dazu wird es sicherlich kommen, wenn die Kämpfe weitergehen. Doch selbst wenn der Krieg zu einem eingefrorenen Konflikt wird, dürfte sich das Ausmaß der Feindseligkeit zwischen den beiden Seiten kaum ändern.

Moskau wird versuchen, bestehende Risse zwischen den europäischen Ländern auszunutzen und gleichzeitig daran zu arbeiten, die transatlantischen Beziehungen sowie wichtige europäische Institutionen wie die EU und die Nato zu schwächen.

Angesichts des Schadens, den der Krieg der europäischen Wirtschaft zugefügt hat und weiterhin zufügt, angesichts der wachsenden Ernüchterung in Europa und der Aussicht auf einen nicht enden wollenden Krieg in der Ukraine und angesichts der Differenzen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten über den Handel mit China könnte die russische Führung einen fruchtbaren Boden finden, um im Westen Unruhe zu stiften.58 Diese Einmischung wird natürlich die Russophobie in Europa und den Vereinigten Staaten verstärken und die derzeitige schlechte Situation verschlimmern.

Der Westen wird seinerseits die Sanktionen gegen Moskau aufrechterhalten und den wirtschaftlichen Verkehr zwischen beiden Seiten auf ein Minimum beschränken, um der russischen Wirtschaft zu schaden. Darüber hinaus wird er sicherlich mit der Ukraine zusammenarbeiten, um Aufstände in den Gebieten zu fördern, die Russland der Ukraine abgenommen hat.

Gleichzeitig werden die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten weiterhin eine hartnäckige Eindämmungspolitik gegenüber Russland verfolgen, von der viele glauben, dass diese aufgrund des Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens und die Stationierung bedeutender Nato-Truppen in Osteuropa noch verstärkt wird.59

Natürlich wird sich der Westen weiterhin dafür einsetzen, Georgien und die Ukraine in die Nato aufzunehmen, auch wenn dies in naher Zukunft unwahrscheinlich ist. Schließlich werden die US-amerikanischen und europäischen Eliten ihre Bemühungen um einen Regimewechsel in Moskau und die Anklage Putins für Russlands Vorgehen in der Ukraine sicher beibehalten.

Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen werden nicht nur vergiftet, sondern auch gefährlich bleiben, da die allgegenwärtige Möglichkeit einer nuklearen Eskalation oder eines Großmachtkriegs zwischen Russland und den Vereinigten Staaten bestehen wird.60

Die Zerstörung der Ukraine

Die Ukraine befand sich schon vor Beginn des Krieges im vergangenen Jahr in schweren wirtschaftlichen und demografischen Schwierigkeiten.61 Die Verwüstungen, die der Ukraine seit der russischen Invasion zugefügt wurden, sind entsetzlich.

Die Weltbank untersucht die Ereignisse im ersten Kriegsjahr und erklärt, dass die Invasion “einen unvorstellbaren Tribut von den Menschen in der Ukraine und der Wirtschaft des Landes gefordert hat, wobei deren Aktivität im Jahr 2022 um erstaunliche 29,2 Prozent zurückgegangen ist”.

Es überrascht nicht, dass Kiew massive Finanzspritzen ausländischer Hilfe braucht, um die Regierung am Laufen zu halten, ganz zu schweigen von der Kriegsführung. Darüber hinaus schätzt die Weltbank, dass die Schäden 135 Milliarden US-Dollar übersteigen und dass etwa 411 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau der Ukraine benötigt werden. Die Armutsquote, so heißt es, “stieg von 5,5 Prozent im Jahr 2021 auf 24,1 Prozent im Jahr 2022, was 7,1 Millionen weitere Menschen in die Armut trieb und 15 Jahre des Fortschritts zunichte machte”.

62 Städte wurden zerstört, etwa 8 Millionen Ukrainer sind aus dem Land geflohen und etwa 7 Millionen sind Binnenvertriebene. Die Vereinten Nationen haben 8.490 zivile Todesopfer bestätigt, wobei sie glauben, dass die tatsächliche Zahl “erheblich höher” ist.63 Und sicherlich hat die Ukraine weit über 100.000 Opfer auf dem Schlachtfeld erlitten.

Die Zukunft der Ukraine sieht extrem düster aus. Es gibt keine Anzeichen für ein baldiges Ende des Krieges, was weitere Zerstörungen von Infrastruktur und Wohnraum, mehr Zerstörung von Städten, mehr zivile und militärische Todesfälle und mehr Schaden für die Wirtschaft bedeutet.

Und nicht nur, dass die Ukraine wahrscheinlich noch mehr Territorium an Russland verlieren wird, sondern laut der Europäischen Kommission “hat der Krieg die Ukraine auf einen Weg des unumkehrbaren demografischen Niedergangs gebracht”.64

Erschwerend kommt hinzu, dass die Russen alle Anstrengungen machen werden, um die Rumpfukraine wirtschaftlich schwach und politisch instabil zu halten. Der anhaltende Konflikt dürfte auch die seit langem akute Korruption anheizen und extremistische Gruppen in der Ukraine weiter stärken. Es ist schwer vorstellbar, dass Kiew jemals die Kriterien erfüllt, die für einen EU- oder Nato-Beitritt erforderlich sind.

US-Politik gegenüber China

Der Ukraine-Krieg behindert die Bemühungen der USA, China einzudämmen, was für die amerikanische Sicherheit von größter Bedeutung ist, da China ein wirtschaftlich ebenbürtiger Konkurrent ist, Russland jedoch nicht.65

In der Tat besagt die Logik des Kräftegleichgewichts, dass die Vereinigten Staaten mit Russland gegen China verbündet sein müssten und ihre volle Kraft nach Ostasien verlagern sollten.

Stattdessen hat der Krieg in der Ukraine Peking und Moskau eng zusammengedrängt und China gleichzeitig einen starken Anreiz gegeben, dafür zu sorgen, dass Russland in der Ukraine nicht besiegt wird und die Vereinigten Staaten in Europa gebunden bleiben, was ihre Bemühungen, sich auf Ostasien zu konzentrieren, behindert.

Fazit

Es sollte inzwischen klar sein, dass der Ukraine-Krieg eine enorme Katastrophe ist, die wahrscheinlich nicht schnell enden wird, und wenn dies trotzdem der Fall sein sollte, wird das Ergebnis kein dauerhafter Frieden sein.

Nun ein paar Worte darüber, wie der Westen in diese schreckliche Situation geraten ist.

Die gängige Meinung über die Ursprünge des Krieges ist, dass Putin am 24. Februar 2022 einen unprovozierten Angriff startete, der durch seinen großen Plan motiviert war, ein größeres Russland zu schaffen. Die Ukraine, so heißt es, war das erste Land, das er erobern und annektieren will, aber wird nicht das letzte sein.

Wie ich bereits mehrfach gesagt habe, gibt es keine Beweise, die diese Argumentation stützen, und es gibt sogar starke Hinweise, die dieser Sichtweise direkt widersprechen.66

Es steht außer Frage, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist, aber die letztendliche Ursache des Krieges war die Entscheidung des Westens – und hier sprechen wir hauptsächlich von den Vereinigten Staaten –, die Ukraine zu einem westlichen Bollwerk an der Grenze zu Russland zu machen.

Das Schlüsselelement dieser Strategie war der Plan, die Ukraine in die Nato aufzunehmen, ein Schritt, den nicht nur Putin, sondern das gesamte russische außenpolitische Establishment als existentielle Bedrohung ansah, die beseitigt werden musste.

Es wird oft vergessen, dass zahlreiche amerikanische und europäische Politiker und Strategen von Anfang an gegen die Nato-Erweiterung waren, weil sie verstanden, dass die Russen sie als Bedrohung ansehen würden und dass die Politik schließlich zu einer Katastrophe führen würde.

Auf der Liste der Gegner der Nato-Erweiterung stehen Namen wie George Kennan, ebenso Präsident Clintons Verteidigungsminister William Perry wie auch sein Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff, General John Shalikashvili, weiterhin Paul Nitze, Robert Gates, Robert McNamara, Richard Pipes und Jack Matlock, um nur einige zu nennen.67

Auf dem Nato-Gipfel in Bukarest Im April 2008 stellten sich sowohl der französische Präsident Nicolas Sarkozy als auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen den Plan von Präsident George W. Bush, die Ukraine in das Bündnis aufzunehmen. Merkel sagte später, ihre Ablehnung beruhe auf ihrer Überzeugung, dass Putin dies als “Kriegserklärung” interpretieren würde.68

Natürlich hatten die Gegner der Nato-Erweiterung Recht, aber sie verloren den Kampf und die Nato dehnte sich schrittweise nach Osten aus, was die Russen schließlich dazu veranlasste, einen Präventivkrieg zu beginnen.

Hätten die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten nicht im April 2008 damit begonnen, die Ukraine in die Nato aufzunehmen oder wären sie bereit gewesen, Moskaus Sicherheitsbedenken nach dem Ausbruch der Ukraine-Krise im Februar 2014 Rechnung zu tragen, gäbe es heute wahrscheinlich keinen Krieg in der Ukraine und die Grenzen der Ukraine sähen so aus wie bei der Unabhängigkeit 1991.

Der Westen hat einen kolossalen Fehler gemacht, für den er und viele andere noch lange einen hohen Preis werden zahlen müssen.

Ende der Übersetzung des Artikels von John Mearsheimer vom 23. Juni 2023

Eine aktuelle Ergänzung

Hingewiesen sei noch auf ein Video-Interview mit John Mearsheimer mit dem Titel „Die dunkle Zukunft der Ukraine“, das ins Deutsche übersetzt worden ist und vor 2 Wochen auf Actvism Munich veröffentlicht wurde. Interviewer ist der weltbekannte Journalist Glenn Greenwald (2).

Dieses Gespräch über den Ukraine-Krieg zwischen den zwei herausragenden US- Persönlichkeiten der Geschichtswissenschaft und des US-Journalismus ist eine vertiefende kritische Analyse der Positionen von John Mearsheimer, die er in seinem Artikel vom 23. Juni 2023 dargestellt hat.

Dieses Video-Interview ist höchst sehens- und hörenswert und für alle Zeitgenossen zu empfehlen, die wissen wollen, was in der Ukraine und der Welt derzeit wirklich vor sich geht.

Ein Kommentar

Das Wort „darkness“ (deutsch: Dunkelheit) in der Überschrift seines Artikels vom 23. Juni 2023 benutzt John Mearsheimer in einem doppelten Wortsinn: Einmal, dass man die Zukunft nie sicher vorhersagen kann, und zum anderen im Sinne einer düsteren Prognose.

Der Autor kommt zu der Einschätzung, dass der Ukraine-Krieg eine schreckliche Katastrophe ist und die Ukraine einer dunklen Zukunft entgegen geht, wenn der Krieg weitergeführt wird.

Trotzdem sagt er und begründet das auch ausführlich, sei ein praktikables Friedensabkommen fast unmöglich zu erreichen, sondern bestenfalls komme es zu einem eingefrorenen Konflikt, d. h. einem Waffenstillstand, der jederzeit wieder in einen heißen Krieg umschlagen könne.

Aber auch ein Waffenstillstand, in dem nicht mehr geschossen wird, wäre aus meiner Sicht schon ein Fortschritt im Vergleich zu der jetzigen Situation und darf nicht kleingeredet werden.

Weiterhin begründet er, warum letztendlich Russland wahrscheinlich den Krieg gewinnen wird.

Den Argumenten von Mearsheimer, dass ein vernünftiges Friedensabkommen zwischen den Kontrahenten (Russland, Ukraine und die USA bzw. der Westen) in absehbarer Zeit von ihm für unwahrscheinlich gehalten wird, liegt folgende Einschätzung zugrunde: Alle Kriegsparteien sehen sich in diesem Krieg einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt und werden deshalb versuchen, den Krieg unbedingt zu gewinnen. Dass das für Russland und auch die Ukraine zutrifft, ist für mich aufgrund der Ausführungen von Mearsheimer gut nachzuvollziehen.

Für die USA, die auf westlicher Seite die entscheidenden Weichen im Ukraine-Krieg stellen und aus sicherer Entfernung eines dazwischen liegenden Ozeans diesen Krieg hauptsächlich befeuern, trifft die Einschätzung von Mearsheimer aus meiner Sicht aber nicht in gleicher Weise zu, solange die USA eine direkte Beteiligung an diesem Krieg, der ja auch als ein Stellvertreter-Krieg eingeschätzt wird, vermeiden können, was wohl die offizielle Linie der US-Politik ist.

Der Grund dafür ist banal: Unabhängig vom Ausgang des Krieges in der Ukraine werden die USA auch nach dessen Beendigung aufgrund ihrer wirtschaftlichen und militärischen Stärke noch lange Zeit eine der führenden Großmächte bleiben.

Dagegen geht es für Russland in diesem Krieg um seine wirtschaftliche und staatliche Existenz, so dass die Russische Föderation sich eine Niederlage nicht leisten kann. Das bedeutet andererseits, dass seine zentralen Sicherheitsinteressen in einem Friedensabkommen, wenn es zustande kommen soll, berücksichtigt werden müssen, d. h. die USA und der Westen müssten sich z. B.  vertraglich verpflichten, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen, was sie aber bisher immer strikt abgelehnt haben.

Um ein derartiges Friedensabkommen mit Russland abschließen zu können, müssten die USA allerdings ihre weltweiten Hegemonialbestrebungen aufgeben und ihren Unilateralismus, der seit 1945 die US-Außenpolitik beherrscht, überwinden (3). Unter Unilateralismus versteht man „Einseitigkeit“ im Handeln eines Staates im eigenen Interesse ohne Rücksicht auf die Interessen anderer.

Deshalb habe ich mit Hoffnung zur Kenntnis genommen, dass in einer kürzlich erfolgten ganzseitigen Anzeige von US-Sicherheitsexperten in der New York Times der Unilateralismus, der die US-Außenpolitik prägt, im Zusammenhang mit der Nato-Erweiterung kritisch in Frage gestellt wird. Dort heißt es, „die USA sollten eine Kraft des Friedens sein“ (4).

Denn dieser Unilateralismus von Seiten der USA müsste zugunsten der Anerkennung eines Multilateralismus bzw. einer Multipolarität in den internationalen Beziehungen überwunden werden, wenn die Welt eine Zukunft haben soll.

In einer multipolaren Welt, wie sie in den letzten beiden Jahrzehnten de facto entstanden ist, könnten dann die Großmächte, die zugleich Atommächte sind, auf der Basis der Charta der Vereinten Nationen, der Prinzipien der Friedlichen Koexistenz und der Anerkennung einer Gemeinsamen Sicherheit zusammenleben und zusammenarbeiten und die großen Probleme der Menschheit gemeinsam angehen.

Das wichtigste gemeinsame Problem ist die Gefahr eines Atomkriegs, die heute so groß ist wie zu keiner Zeit seit der Kuba-Krise 1962 (5). Dazu zählen aber auch die Bedrohungen durch den Klimawandel und den Hunger in der Welt.

Ein wesentlicher Schritt in Richtung der Anerkennung einer derartigen neuen multipolaren Weltordnung wäre die Beendigung des laufenden Ukraine-Krieges durch das Zustandekommen eines sinnvollen Friedenvertrages, der diesen Überlegungen Rechnung trägt.

Aber es scheint, dass die Welt einen neuen „Gorbatschow“ braucht, diesmal auf Seiten der USA, damit ein solches Programm Wirklichkeit werden kann.

Und ich hoffe darauf, dass das passiert, bevor der Krieg in der Ukraine sich ausweitet und zu einem 3. Weltkrieg und eventuell zu einem Atomkrieg eskaliert.

 

Fußnoten:
  1. Mearsheimer JJ. The Darkness Ahead: Where The War in Ukraine is Headed. John`s Substack 23.06.2023
    https://mearsheimer.substack.com/p/the-darkness-ahead-where-the-ukraine
  2. Mearsheimer- führender Gelehrter für internationale Beziehungen- Über die dunkle Zukunft der Ukraine. Actvism Munich
    Video produziert von Glenn Greenwald und System update und am 30.06.2023 veröffentlicht auf Rumble https://www.youtube.com/watch?v=gx7tF2-Pn00&t=4s
  3. Kolenda KD. Jeffrey D. Sachs: „Der Krieg in der Ukraine war provoziert“ Overton 01.06.2023
    https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/jeffrey-d-sachs-der-krieg-in-der-ukraine-war-provoziert/
  4. Kolenda KD. „Die USA sollten eine Kraft für den Frieden sein“ Telepolis 24.05.2023
    https://www.telepolis.de/features/Die-USA-sollten-eine-Kraft-fuer-den-Frieden-in-der-Welt-sein-9064735.html
  5. Kolenda KD. Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen wieder real- dritter Teil. Overton 27.10.2022
    https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/gefahr-des-einsatzes-von-atomwaffen-wieder-real-dritter-teil/

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58 Kommentare

  1. Es dürfte klar sein, Verhandlungen wie bisher wird Russland nicht führen. Wer einmal lügt… Was heißt einmal, welche Abkommen, Absprachen, Verträge hat der Westen nicht eingehalten und welche Verträge usw hat Russland gebrochen?
    Darum können nur Verhandlungen eintreten, die überprüf- und durchsetzbare Abkommen zum Ziel haben, das heißt, Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Neutralität die Ukraine, kurz, Kapitulation.

    1. Ich halte es für nicht unmöglich, dass die ukrainischen Kriegswilligen, durch den von ihnen so sehr gewünschten Krieg irgendwann so geschwächt und ausgedünnt sind, dass die Vernunft, die schon bei der Wahl von Poroschenko wie auch der Wahl von Selenski dafür sorgte, dass die Kandidaten, die baldigen Frieden versprachen, gewannen, wieder Raum erhält.

      Ich hoffe, dass Mearsheimer und andere nur auf die Schwarzmaler-Seite wechseln, weil sie NixonBiden Gelegenheit geben wollen, ohne Gesichtsverlust nach ChinaMoskau zu gehen.

  2. “…das völlige Fehlen von Vertrauen auf russischer Seite. …
    Nationalismus auf ukrainischer und russischer Seite…”
    Solche mehrfach wiederholten Sentenzen ließen mich schon befürchten, hier nur einseitige Propaganda zu bekommen. Aber ganz so schlimm war es nicht. Mearsheimer hat sich zum Glück Realismussicht bewahrt.
    Wo allerdings auch er scheitert (wie jeder andere Politologe auch), ist der Blick in die Glaskugel der nächsten 2 Jahre. Da dürften weit mehr Optionen enthalten sein, als sich selbst die kühnste Politologenphantasie ausmalen könnte.

  3. Mearsheimers Analyse und Progonose kann man teilen oder nicht. Sie bestechen jedoch durch eine kühle Plausibilität.
    Beklemmend in diesem Konflikt ist die von Tag zu Tag kleiner werdende Wahrscheinlichkeit einer Kompromisslösung.
    Schon Klaus von Dohnanyi hat die Intensität des Konfliktes mit dem Nahostkonflikt verglichen. Die Region wird beherrscht von Kriegshorror, Terrorismushorror und Propagandahorror. Der ganze Horror kumuliert sich und produziert Hass ohne Ende.
    Im Hintergrund kämpfen die USA um ihren Status als führende Weltmacht. Auch dieser Kampf wird immer verzweifelter geführt.
    Wer über Frieden und Deeskalation spricht, wird von der ukrainischen Regierung und ihren Helfern gleich wegen Hochverrats angeklagt.
    Mearsheimer hat recht: “Der Westen hat einen kolossalen Fehler gemacht, für den er und viele andere noch lange einen hohen Preis werden zahlen müssen.”
    Klar ist nur: Je länger der Krieg dauert, desto höher wird der Preis sein.

  4. Zitat: Es überrascht nicht, dass die Russen daran arbeiten, die ukrainische Kultur in den von Moskau annektierten Gebieten zu russifizieren und auszulöschen. Zu diesen Maßnahmen gehören die Ausstellung russischer Pässe, die Änderung der Lehrpläne in den Schulen, die Ersetzung der ukrainischen Griwna durch den russischen Rubel, die gezielte Bekämpfung von Bibliotheken und Museen sowie die Umbenennung von Städten.53 Bachmut zum Beispiel ist jetzt Artemowsk und die ukrainische Sprache wird in den Schulen der Region Donezk nicht mehr unterrichtet.54 Offenbar werden auch die Russen weder vergeben noch vergessen.

    Die Ausstellung von russischen Pässen, die Änderung von Lehrplänen und der Wechsel der Währung hat nichts, rein gar nichts mit einer Russifizierung der Kultur zu tun, sondern sind sachliche Notwendigkeiten. Die Gebiete sind nach Abstimmung der Bevölkerung Russland beigetreten. Bezüglich der Sprache: Die Bewohner in den fraglichen Gebieten sind mehrheitlich Russen. Warum sollten die Ukrainisch lernen?

    Grundsätzlich muss man bei Russland im Hinterkopf behalten, dass Russland ein Vielvölker-Staat ist. Laut Wikipedia werden in Russland über hundert verschiedener Sprachen gesprochen. Dazu gehört neben Deutsch, Ungarisch, Griechisch auch Ukrainisch. Niemand wird gezwungen, eine neue Muttersprache zu lernen. Korrekt wäre daher zu sagen: Im Donbass wird die Zwangs-Ukrainisierung, das ukrainische Verbot von Minderheiten-Sprachen, aufgehoben. Die Ukraine hat übrigens nicht nur Russisch verboten, sondern auch Ungarisch und Griechisch.

    Bezüglich Bachmut: Artemowsk war der bis 2016(!) gültige russische Name. Erst 2016 wurde der Stadtname im Zuge der Zwangs-Ukrainisierung auf Bachmut geändert.

    Und ob Russen vergeben und vergessen? Die Russen haben im Zweiten Weltkrieg rund 20 Millionen Menschen verloren. Mein Großvater war Kriegsgefangener und hat in Russland als Bergarbeiter gearbeitet. Obwohl Russland so furchtbar gelitten hat, sind meine Großeltern als Rentner jedes Jahr auf die Krim gefahren und sind dort offensichtlich gut aufgenommen worden. Vergeben und Vergessen, die Hintergründe und Geschichte von Ereignissen zu kennen, ist Teil der russischen DNA.

    Dieses Vergeben und Vergessen ist übrigens wesentlicher Teil der russischen Kriegsstrategie. Es wird ausdrücklich kein Krieg gegen die Zivilbevölkerung geführt. Die UNO geht offiziell immer noch von 10.000 toten Zivilisten aus, bei vermutlich irgendwas um eine halbe Million toter Soldaten (beide Seiten zusammen). Bei amerikanischen Kriegen war das Verhältnis immer umgedreht, denn amerikanische Kriege sind totale Kriege die den Zusammenbruch des Zivillebens zum Ziel haben.

    1. @ Tuka Ram

      Sie haben da eine wichtige Sache angesprochen: “Vergeben und Vergessen”

      Ich würde noch ergänzen, dass die Bevölkerung der Sowjetuion und Russlands eher daran gewöhnt ist, dass von oben Befehle kommen, die mit dem Wohl und Willen der Menschen nicht viel zu tun hatten bzw. haben. Kurz gesagt: Gewöhnung an autoritäre, teils auch despotische Politik.

      Unausgesprochen wird diese eigene Politikerfahrung vermutlich auch auf andere Völker bzw. Kriegsgegner übertragen. Die Russen neigen wohl dazu anzunehmen, dass auch bei ihren Gegnern alles nur auf Befehl geschieht und nehmen den Menschen als Individuen daher nicht so viel übel.
      Selbst die extreme Kriegsführung des NS-Regimes (Vernichtungskrieg) hat ja in geradezu verblüffender Weise zu keiner so sehr langen Abneigung gegenüber Deutschland geführt.

      Vielleicht ist dieses “Vergeben und Vergessen” mit seiner Fähigkeit, zwischen Befehlsgebern und Befehlsempfängern zu unterscheiden, sogar ein ganz kleiner Hoffnungsschimmer in dieser furchtbaren Gegenwart.
      Und es ist ja auch so, dass keineswegs eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung so hinter dem Unterstützungskurs von Scholz und der NATO stehen, wie uns die “Tagesschau” zu vermitteln versucht.

      1. Keine Ahnung ob die Russen so denken. Wann in den letzten tausend Jahren waren denn die Franzosen (nur als Beispiel) in der Lage frei zu entscheiden. Oder die Polen, Holländer, Tschechen, Deutschen…

        Kleine Story über die russische Denkweise: Mitte der 90iger hatte ich mit einem Russen zu tun. Ich hab ihm erzählt das es ja in Russland diese Mafia gibt, der man Schutzgeld bezahlen muss. Darauf hat er mir geantwortet: In Deutschland gibt es Versicherungen und Polizei. Beiden Gruppen muss man Geld bezahlen. In Form von Versicherungsbeiträgen und Steuern. Die Polizei kümmert sich darum das nichts geklaut wird. Falls doch, wird der Schaden von der Versicherung bezahlt. In Russland bezahlt man Geld an die Mafia. Und die kümmern sich darum das Waren sicher ihren Zielort erreichen. Und falls nicht, ersetzt die Mafia den Schaden.

        Aus der Sicht dieses Russen machen Russen und Deutsche genau das gleiche, sie bezahlen eine dritte Partei zur Absicherung des Warentransports. Aber die Deutschen besitzen die Unverschämtheit, ihre Methode als Gut und die russische Methode als Böse zu bezeichnen. In einer wirklich guten Gesellschaft bräuchte es weder Versicherungen noch Polizei.

        1. “Und die kümmern sich darum das Waren sicher ihren Zielort erreichen. Und falls nicht, ersetzt die Mafia den Schaden.” Klar. Die Mafia hat den Zweck der sicheren Warenbeförderung. Da fragt man sich doch vor wem die Mafia die Händler eigentlich schützt? Gibt es die Mafia und “echte Kriminelle”, denn die Mafia nimmt ja nur ersatzweise Staatsaufgaben wahr. Das ist doch offensichtlich eine Legitimierung russischer Verhältnisse. Zahlen die Russen dann keine Steuern? Denn sie müssen ja die Mafia bezahlen. Oder zahlen sie doppelt?

          1. Es war Mitte der 90iger. Also ein bankrotter Staat, Polizisten die kein Gehalt bekamen und eine extreme Kriminalität. Immerhin auch keine Steuern. Die Mafia hat damals effektiv Recht und Ordnung durchgesetzt, einschließlich bewaffnetem Begleitschutz.

            Und nein, es geht nicht um Legitimierung russischer Verhältnisse, sondern darum, dass Mafia und Staat exakt das Gleiche ist.

            Übrigens auch in Deutschland. Als letztes Mittel holt sich der Staat sein Geld mit Waffengewalt. Mit dem Unterschied das jeder weiß das die Mafia böse ist, während es genügend Nasen gibt, die glauben der Staat würde im Interesse der Bürger handeln.

    2. Zumindest in der Zeit von 14-22 hat man in Donezk und Lugansk auch immer noch die ukrainische Sprache unterrichtet. Der Russenhass der Ukraine spiegelte sich nicht auf der anderen Seite. Wie es derzeit aussieht, keine Ahnung, aber der Kreml ist ja auch nicht angetreten um das ukrainische Volk auszulöschen sondern die Nazis loszuwerden in Kiew. Zumindest laut eigener Propaganda. Von Hass auf Ukrainer als solche hatte ich bisher nichts mitbekommen. Eine vollständige Eroberung der Ukraine war bisher eigentlich immer eine Unterstellung von der Regierung in Kiew und der NATO.

  5. Es ist übrigens interessant sich mal den russischen Gründungsmythos anzugucken. Das russische Reich ist im Kiever Rus entstanden, als sich regionale Fürstenhäuser so sehr zerstritten hatten, dass sie einen neutralen Führer aus dem heutigen Finnland wählten um die Fürstentümer zu einigen.

    Versöhnung ist elementarer Teil der russischen Geschichte, so wie der rothaarige Barbarossa für uns Deutsche. Versöhnung war der Ausgangspunkt Russlands.

    1. Die skandinavisch-schwedischen Waräger (‘Rudergemeinschaften’ = ‘Rus’), die eigene Niederlassungen in Nowgorod und Kiew auf ihrem Weg nach Byzanz gründeten, waren in Kiew auch die Begründer der Herrscherdynastie der Rurikiden (Nachkommen Ruriks = dt Roderich). Mit dem Mongolensturm ging diese eine Keimzelle Russlands für längere Zeit verloren, was den Schwerpunkt des entstehenden russischen Staates auf das Fürstentum Moskau verlagerte. Sowohl der Süden (Kiew) als auch der Norden (Nowgorod) und Westen wurden so zu Grenzland (‘u kraina’) desselben, das erst später in den Staat einbezogen werden konnte, wobei der Westen für lange Zeit an westliche Nachbarn verloren ging, der Osten aber für wagemutige Pioniere (Händler, Entdecker und Eroberer) offen blieb., was nicht immer im Interesse der Zentrale lag, entzogen sich die Pioniere so doch oft zentraler Kontrolle.
      Später konnte der russ Staat auch nach Süden und Norden expandieren, was oft militärisch geschah.

  6. Letzter Kommentar: “eingefrorenen Konflikt, d. h. einem Waffenstillstand”

    Den gab es schon. Nannte sich Minsk I + II. Jedes mal wurde die Russen betrogen. Dem Westen ist nicht zu trauen und die Russen lernen aus der Geschichte. Der Krieg wird mit einer Kapitulation und militärischen Neutralität der Ukraine zu Ende gehen. Möglicherweise gibt es keine Kapitulation, weil niemand mehr da ist, der die Kapitulation erklären kann. Aber ganz sicher wird es eine Neutralität geben, die von den Russen durchgesetzt wird. Wer etwas anderes glaubt, gibt sich Illusionen hin.

    1. Das bestätigt die Ansicht derjenigen, zu denen auch ich gehöre, die sagen, dass die Ursachen für Russlands ‘Ausrasten’, so möchte ich es nennen, in den letten 30 Jahre zu suchen sind. Russland wurde nach allen Regeln der Kunst in die Ecke getrieben; die Invasion war die letzte, wenn auch eine schlechte Möglichkeit.
      Die USA haben kein moralisches Recht, sich über die russische Handlungsweise zu erheben, angesichts ihrer eigenen Invasionen der letzten 50 Jahre. Das betrifft auch die EU, die für die EU, solange sie exisxtiert, immer ein treuer Wegbegleiter war.

      1. Es wurde auch die letzten über zwanzig Jahre von “poking the bear” gesprochen. Also dem traktieren des schlafenden russischen Bären. Es wurde sich durchaus auch gewundert, warum nicht schon nach 2014 Russland mehr in der Ukraine eingegriffen hat. Die Minsk Abkommen waren ja offensichtlich schon vor Jahren gescheitert.

        Jetzt schlägt er um sich, aber was sollte der Kreml jetzt auch sonst machen? Diplomatie hat offenbar nicht funktioniert um die bestehenden Interessenkonflikte aufzulösen.

  7. Die USA wird die neue Nummer Zwei!

    Das ist im „Wettbewerb der Nationen“ ein ehrenwerter Platz, der sich mit den amerikanischen Selbstbewußtsein vereinbaren läßt! China wird der neue Mittelpunkt der Weltwirtschaft, wie es schon vor den Jahrhundert der Demütigung Chinas durch die Europäer der Fall war. Die USA hat noch eine starke Wirtschaft, die sich weniger deindustrialisiert hat, als die europäische Wirtschaft. Amerika hat als Partner auf Augenhöhe mit China sicher eine gute Zukunft, hoffen wir es.

    Eindeutiger Verlierer der Neuordnung der Welt ist Europa. Europäische Industrien werden zunehmend in die US und nach China verlagert. Die Zahl der Unternehmenspleiten, vor allen in Deutschland, wächst. Deutschland wird einer der Verlierer in Europa, während das einst von Deutschland gedemütigte Griechenland bessere Chancen – auch dank China – hat.

    Die Schweiz hat durch ihre Beteiligung an den westlichen Wirtschaftssanktionen ihr Geschäftsmodell – das Geld der Reichen der Welt zu verstecken – selbst ruiniert. Tröstlich für die Schweiz ist, ihr Abstieg geht langsamer vonstatten als der deutsche Abstieg….

    Der Atomkrieg fällt – dank amerikanischen Pragmatismus und chinesischer Geduld – höchstwahrscheinlich aus. Der Ukrainekrieg wird wahrscheinlich „eingefroren“, die Ukraine ist schon jetzt ein „failed State“. Russland wird an der Seite Chinas – unter konservativer, putinistischer Führung – eine bessere Zukunft als die BRD haben….

  8. Die Mearsheimer-Artikel sind meiner Meinung nach voller Fehler. Ich kann nur hoffen, daß sie mit der Übersetzung zusammenhängen – bin aber skeptisch…

    Generell wird viel Bekanntes wiederholt, die wenigen Schlüsse daraus für mich – meist – nicht nachvollziehbar…

    Schon die Behauptung im Vorgänger-Artikel – die Russen (Wagner…) hätten lange braucht, um Bachmut einzunehmen, ist fehl-interpretiert:

    Bachmut diente den Russen dazu, daß die Ukrainer ihre Munition verschießen und ihre Soldaten in den “meat-grinder” zu schicken…

    Wie wir heute wissen: mit Erfolg! Munition und Personal sind Dauerthemen geworden…

    Im Übrigen hatte Zalushny dies durchschaut, und wollte Bachmut freigeben , da strategisch nicht bedeutend genug.
    Bekanntlich wurde Zalushny daraufhin vorübergehend kalt gestellt – wohl auch, weil er einen Gewissen Repekt für Gerassimov hatte…

    Heute nun die Mearsheimer-Fortsetzung:

    da liest man den Kriegsbeginn mit dem Verbot der russischen Sprache.

    Meiner Kenntnis nach lief das anders: mit Forderungen nach Autonomie besetzten russische Demonstranten (klar, weil Mehrheit im Donbass…) das Geheimdienst-Büro von Slowjansk, woraufhin Selenskijy das Militär schicken ließ. Seitdem wird der Donbass beschossen…

    Nun das: “Die Annexion der Krim… ”

    Welche Annektion? Die Krim ist de-jure russisch!

    Der Irrtum kommt aus folgender Geschichte zustande:

    Die Krim brauchte in den 50er Jahren ein teures Infrastruktur-Projekt – eben den berühmten 400km langen Bewässerungskanal, der zufällig am ebenso bekannten wie gesprengten Karckovka-Staudamm abbiegt…

    Wegen den Kosten soll Chrustchov im Suff die Krim den Ukrainern geschenkt haben. Scheinbar nur Juristen wissen, daß Chrustchov diese Entscheidung nicht allein treffen konnte. Folglich ist die Schenkung mehr Propaganda, als wirksames Gesetz…

    Sind nur einige Beispiele, die jeder prüfen darf…

    1. Hinzu kommt: Die Krim hat sich vor der Ukraine von der Sowjetunion unabhängig gemacht und die Ukraine hat wenige Monate später erklärt, dass die Krim zur Ukraine gehört. Defakto hat damit die Ukraine im Jahr 1991 die Krim annektiert.

    2. Bravo,
      gut gelernt und abgeschrieben. Fast alle gängigen Narrative und Mutmaßungen der westl Medien aufgezählt.
      Allerdings auch Bestätigung einiger Fakten.
      Habe auch mal grün gewählt, alledings seit Fischer nicht mehr.

    3. Sehe ich ähnlich. Und die Urkofaschisten in Hypernationalisten umzutaufen, dient doch arg der Propaganda. Wie wäre es, wenn wir Björn Höcke und seinen Trupp als Hypernationalisten benennen würden? Einmal richtig den Weichspülerwaschdurchgang anschalten, und schon sind es die netten Kumpel von nebenan.

      Das es in Russland genau so sein soll, glaube ich nicht. Da gibt es bestimmt auch viele, aber gerade vor kurzem hatte ich ein Beispiel, wo es anders lief. Da hat ein russischer Degenfechter die unsportliche ukrainische Fechterin als die bessere Fechterin gelobt und nur ihr unsportliches Verhalten gerügt. Nicht ansatzweise dass, was ukrainische Politiker über die russische Fechterin geäußert haben.

  9. bzgl. “Bachmut”

    der Ort heißt originär so, weil an ihm der Fluß “Bachmuta” fließt… Nur eben nicht nur dort… 😉

    “Artemovsk oder “Artimovsky” haben die Russen daraus gemacht.

    … als Gedenken an einen russischen Revolutionär der 20&30er Jahre, der den Spitznamen “Artjom” bekam, was in etwa die Niedlichkeitsform des Wortes “Genosse” bzw. “Freund” bedeutet.

    “Genösslein” sozusagen…

    Kann man alles selbst finden… 😉

    1. Deine Artjom-‘Übersetzung’ glaube ich nicht. ‘Genosse’ heißt auf Russisch ‘tovarishch’ (engl Literation, dt ‘towarischtsch’), ‘Freund’ ‘drug’. Lt Wikipedia wurde er in Donezk mit dem Parteinamen ‘Artjom’ (das eingeklammerte ‘Genosse’ bedeutet nur die förmliche Anrede) versehen. ‘Artjom’ (Արտյոմ) scheint ein relativ bekannter armenischer Vorname zu sein, denn Mikojan (Konstruktionsbüro MiG) hatte diesen Vornamen, ebenso wie dann der Sohn des früh verunglückten Revolutionärs (Fjodor* Sergejew), der für den ukrainischen Bergbau zuständig war, womit sein tödlicher Unfall in Zusammenhang steht.
      Der Fluss/das Flüsschen (~ka = Diminutivform) heißt übrigens Bakhmutka (dt Bachmutka).
      * Fjodor ist übrigens mit Theodor identisch. Dieser griech Vorname wurde vor der Schriftreform (noch vor der Revolution!) mit dem Buchstaben Fitta (entspricht griech Theta) geschrieben, der wegen seiner im Russischen gleichlautenden Aussprache damals generell durch das aus griech Phi entstandene kyrillische F ersetzt wurde. Bei ‘teatr’ ist das übrigens nicht der Fall, weil es aus dem Französ übernommen wurde. Bei engl Begriffen hatte man diesen Buchstaben dann nicht mehr, um engl th zu bezeichnen, was dann zu unterschiedlichen und mitunter wenig passenden Buchstabenersetzungen (teils in Analogie zu schlechter dt Englischaussprache) in engl Namen führte.

  10. Ein echter Friedensschluss ist auch mMn in ansehbarer Zeit nicht erreichbar.
    MMn ist der Hauptgrund dafür aber, dass Merkel, Holland, div. US- und NATO-Funktionäre u.A. inzwischen offen und klar kommuniziert haben, dass Minsk1 und 2 vom Westen ausschließlich abgeschlossen wurden, um der Ukraine Zeit zur Aufrüstung zu verschaffen und nicht, um überhaupt jemals umgesetzt zu werden.

    Damit hat sich der “Wertewesten” als Verhandlungspartner absolut ins Abseits manövriert.
    Und da es sich um einen NATO/USA-Stellvertreterkrieg handelt, gibt es schlicht keine glaubwürdigen (Wertewesten) oder entscheidungsbefugten (Ukraine) Verhandlungspartner.

    Mit wem soll Russland also einen Frieden aushandeln? Mit dem Westen oder der Ukraine, die beide Verträge nicht einhalten bzw. abschließen, um sie zu brechen bzw im Fall der Ukraine nicht mal am Tisch sitzt?

  11. @ dieGrüneFee (Pardon, Antwort verrutscht)
    “Wegen den Kosten soll Chrustchov im Suff die Krim den Ukrainern geschenkt haben. Scheinbar nur Juristen wissen, daß Chrustchov diese Entscheidung nicht allein treffen konnte. Folglich ist die Schenkung mehr Propaganda, als wirksames Gesetz…”

    Nein, die Übergabe der Krim von der RSFSR an die ukrainische SSR im Jahre 1954 durchlief innerhalb von 3 1/2 Monaten wirklich sämtliche denkbaren Instanzen. Nur die Bevölkerung ist halt nicht befragt worden.

    Vorgeschlagen wurde die Übergabe am 9. Januar 1954 auf einer Sitzung des Präsidiums des ZK der KPdSU. Der anwesende Parteichef der Krim Pawel Titow protestierte umsonst.
    Dann erklärte der Ministerrat der RSFSR die Übergabe als “zweckmäßig” und wandte sich an den Obersten Sowjet der RSFSR. Der beschloss die Krim zu übergeben und wandte sich an den Obersten Sowjet der UdSSR. In dem Moment wandte sich auch der Oberste Sowjet der Ukrainischen SSR an den Obersten Sowjet der UdSSR.

    Zunächst tagte nun am 19. Februar das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR und empfahl die Übergabe.
    Am 26. April endlich tagte der gesamte Oberste Sowjet der UdSSR, verabschiedete ein Gesetz zur Übergabe und änderte zudem die zwei Artikel (22 und 23) der Verfassung der UdSSR, in denen die Krim als Teil der RSFSR bzw. nicht als Teil der ukrainischen SSR eingetragen war.

    Auch die Vermutung, die Übergabe sei einzig auf den Wunsch von Chruschtschow zurückzuführen (besoffen oder nicht), entspricht nicht den Tatsachen. Im Winter/Frühjahr 1954, also unmittelbar nach dem Ende der Dominanz Stalins, wurde die SU von einer kollektiven Führung regiert. (Das spürt man beispielweise auch noch im Jahre 1956 in den Protokollen der Sitzungen zum Aufstand in Ungarn.)

  12. @dieGrüneFee 14. August 2023 um 13:21 Uhr
    Vielleicht solltest Du mit den Vorwürfen von Fehlern bei Dir selbst anfangen. Übrigens sind Urteile über Eigen- und Städtenamen ohne Sprachkenntnis immer etwas heikel, vor allem, wo hier einige Russisch und auch Ukrainisch beherrschen. Deine Ausführungen über Schreibweisen (die überwiegend Umschriften sind) sind streckenweise peinlich.

    Und

    Meiner Kenntnis nach lief das anders: mit Forderungen nach Autonomie besetzten russische Demonstranten (klar, weil Mehrheit im Donbass…) das Geheimdienst-Büro von Slowjansk, woraufhin Selenskijy das Militär schicken ließ. Seitdem wird der Donbass beschossen…

    sorry, das tut weh. Nicht Selensky hat Militär geschickt, der war 2014 Fernsehschauspieler. Das war Turtschinow, der die ungeklärte Ermordung eines Lokalpolitikers in Gorlowka zum Anlass für eine “Antiterroroperation”, also der Auslösung des Bürgerkriegs nahm.
    Zuvor waren in den meisten Donbassorten die Rathäuser von Antimaidankräften besetzt worden, darunter waren organisierte Gruppen, die zum Teil, wie die unter Girkin/Strelkow, aus Russland gekommen waren. Sie hatten allerdings die Unterstützung grosser Teile der Bevölkerung des Donbass.

    Die Umbenennung von Bachmut in Artjomosvk nach dem Charkower Revolutionär Artjom in den zwanziger Jahren wurde nicht von “den Russen”, sondern von der sowjetischen Regierung der Region beschlossen. Und Artjom heisst nicht Genosse, sondern Fjodor Andrejewitsch Sergejew wurde mit seinem Kampfnamen “Genosse Artjom” (товарищ Артём) genannt. Artjom ist ein Name, wie ich vermute, vom griechischen Artemios slawisiert.

  13. …na ja, der Wikipedia-Artikel über die Krim, der hier (übrigens unerwähnt…) zitiert wird, ist wohl eher die Eklektik von Frau Sasse, die Ihre Arbeit dazu Harvard/Oxford verdankt und der London School of Economics entstammt. Dazu wird sie von der EU finanziert.

    Wären die Quellen des Wikipedia-Artikels nicht ein Schaulaufen Amerikanischer ThinkTanks – oder sagen wir mal – “Forschungs-Institute” – würde ich Ihnen zustimmen…

    Ich will es mal anders ausdrücken:

    wer heute behauptet, die Krim sei Ukraine – muß dann auch die Frage beantworten, warum die Krim nun plötzlich für die Russen strategisch wichtig ist – in den 50er Jahren auf der Höhe des Kalten Krieges hingegen nicht ?

    Logik erkennt man daran, daß auch der Umkehrschluß aufgeht…

    1. “…warum die Krim nun plötzlich für die Russen strategisch wichtig ist – in den 50er Jahren auf der Höhe des Kalten Krieges hingegen nicht?”

      Wenn du darauf nicht selbst eine plausible Antwort findest, dann gute Nacht grüne Fee.

      Es ist für mich fast nicht möglich mit einigen Foristen hier jemals einer Meinung zu sein, heute könnte es klappen.

    2. Verehrte Grüne Fee,
      Keine Ahnung wer Frau Sasse ist. Ich habe aus der russischen Wiki “zitiert”. Dort gibt’s die Frau nicht.
      Die im Zusammenhang mit der Übergabe der Krim stehenden Beschlüsse bzw. Gesetze liegen auf der russ. Wikipedia als Wikisource-Dokumente vor und können bei Bedarf eingesehen werden.

      Beispiel: https://tinyurl.com/2s4z83ep

      MfG

  14. Leben und Wirken:

    Fjodor Sergejew stammte aus der Familie eines Bauunternehmers und wurde im russischen Gouvernement Kursk geboren. Die Kindheit und Jugend verbrachte er in Ekaterinoslaw. Von 1892 bis 1901 besuchte er dort die technische Realschule. 1901 wechselte er dann auf die Technische Universität in Moskau.

    Dort wurde er bereits nach wenigen Monaten Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR). Er nahm im Jahr 1902 an den Studentenprotesten teil und wurde dafür zwangsexmatrikuliert, verhaftet und für sechs Monate im Gefängnis von Woronesch inhaftiert. Nach seiner Freilassung lebte er im Donezbecken , wo er einen sozialdemokratischen Zirkel an einer dortigen Kohlegrube gründete. Er verstärkte seine illegale Arbeit u.a. mit der Verbreitung der Schriften Lenins. Im Jahr 1902 verließ Sergejew Russland und ging nach Paris, um dort an der russischen Hochschule der Sozialwissenschaften zu studieren, an der er auch eine Vortragsreihe von Lenin besuchte. Ein Jahr später kehrte er in sein Heimatland zurück und begann wieder mit der illegalen Arbeit in Ekaterinoslaw und in der Donezbeckenregion. Von den Bergleuten dort erhielt er seinen Parteinamen (Genosse) Artjom.

    Und mich nerven Leute, die der Wikipedia nicht anmerken, wenn google-translate Fehler ins Englische bringt. Sie beziehen sich dann nauf englische Quellen ohne das Original gelesen zu haben… 😉

  15. Naja, in 1950ern war das alles Sowjetunion, Da war der Wechsel ungefähr so bedeutungsvoll wie der Wechsel von Amt Neuhaus nach Niedersachsen. Gehört dann zu einem anderen Gliedstaat, hat aber sonst kaum praktische Auswirkungen für das Leben dort gehabt. War wohl mehr so ein Gefühlsding, weil die Krim von Stalin hauptsächlich mit Russen neubesiedelt worden war nach der Umgsiedelung der Krimtataren. Bis dann die UdSSR aufgelöst wurde und sich dann die Krimbewohner in einem anderen Nationalstaat befanden als Russland. Ende der Achtziger hatte man sich ja um eine Wiedergründung der sozialistischen Sowjetrepublik der Krim (gab es 1919 kurz schon einmal) bemüht, aber das ging im Ende der UdSSR unter und die Krim blieb bei der Ukraine. Dann gab es mehrere Anläufe sich von Kiew unabhängig zu machen, die dann von Kiew unter anderem mit der Erstürmung und Besetzung des Parlamentes der Krim beantwortet wurde. Also so richtig wollten die heutigen Bewohner offenbar nie zur Ukraine gehören.

    Natürlich praktisch für Moskau, weil den größten Kriegshafen in einem anderen Land zu haben ist doof gewesen und die Kontrolle über das Schwarze Meer will man natürlich auch behalten. Schön wenn die örtliche Bevölkerung zugeneigt ist.

    Und áh nein, Umkehrschlüsse sind in der Logik nicht zwingend.

    1. “Und áh nein, Umkehrschlüsse sind in der Logik nicht zwingend.”

      Wenn jemand soviel Stuss erzählt, ist zu vermuten, dass er (oder sie) auch keine Ahnung von Logik hat

      1. Alle Katzen sind Säugetiere.
        Umkehrschluss:
        Alle Säugetiere sind Katzen.
        Stimmt sicher nicht, also sind Umkehrschlüsse nicht zwingend!

        1. Was ist das für ein Quatsch. Es geht nicht um Umkehrschlüsse, sondern um Logik (die auch in der Umkehrung funktioniert): Aus a folgt b ergibt sich auch: aus nicht b folgt nicht a: Also kein Säugetier -> keine Katze oder kein Mensch -> keine Frau (aber auch kein Mann)!

  16. Gegen Russland wird die Ukraine gar keine Zukunft haben!Das Land wird zerfallen und zur Beute einesteils ihrer westlichen Nachbarn und andererseits von einheimischen Warlords werden.Die Teile der Bevölkerung,die noch abwandern können,werden das auch tun.Der Rest wird sich um Brot und Macht streiten…Waffen hat der Westen ja genug geliefert…die Teile der Ukraine mit mehrheitlich russischsprachiger Bevölkerung werden sich Russland zuwenden(Gebiete Odessa,Charkow,Sumy…)der Rest einschließlich Kiew wird wieder zu dem,was es nach dem Mongolensturm war ,dem“Wilden Feld“…Westeuropa wird sich vom Rest der Welt abkoppeln und unter dem Diktat der EU und der NATO ,gebeutelt von diversen selbstverursachten Krisen,dahinvegetieren.Wer kann,der sieht zu,dass er eine neue Heimat jenseits von Scharia und afrikanischen Jungmännerhorden findet…z.B.in Russland.
    Die wünschenswerte Alternative wäre eine multipolare,gleichberechtigte Welt,in der die einzelnen Nationalstaaten zum gegenseitigen Nutzen zusammenarbeiten.Das würde aber bedeuten,dass der Staat Ukrraine aufhört,sich als Antirussland zu vermarkten…ob die ukrainischen Oligarchen und ihre Kumpane in den USA (zb.den Kagan-Clan u.a.) aber die Weitsicht dazu haben?

  17. Der Autor zitiert :
    “Fast alle Ukrainer sind fest entschlossen, ihr gesamtes verlorenes Territorium zurückzuerobern – einschließlich der Krim.46 Wer kann es ihnen verdenken? ”
    Es steht mir nicht zu den Ukrainern den besagten Entschluss zu “verdenken”; aber es muss erlaubt sein zu erwähnen, dass man diesen Entschluss nicht nachvollziehen kann.
    Nehmen wir das Beispiel BRD vs. Bayern. Die Bayern haben ein starkes Bedürfnis nach nationaler Unabhängigkeit, und wenn die Bayern sich irgendwann dazu entschließen sollten, den Schritt in die nationale Unabhängigkeit zu wagen, dann käme mir als BRD’ler nie in den Sinn, irgendwie gegen diesen Entschluss zu opponieren ! Im Gegenteil : Ich liebe die bayrische Sprache, die bayrische Ess- und insbesondere die bayrische Trinkkultur, und ich habe einen Heiden-Respekt vor der Intelligenz, dem Fleiß und dem Ehrgeiz der Bayern ! Ich würde ihnen Glück und Erfolg beim Weg in die nationale Unabhängigkeit wünschen und mich freuen, wenn sie auf diesem Weg ihre einzigartige Kultur bewahren könnten .
    Wo ist das Problem ?

    1. Guter Punkt.
      Aber da liegt eine ganz andere Motivation zugrunde. Der ukrainische Nationalist, mag weder russische Sprache noch russische Kultur. Er hasst Alles russische bis ins Mark. Denn tief im innerem spürt er, dass er selbst eigentlich ein Russe ist was das ukrainische in ihm, in den Schatten stellt. Drum muss er Alles russische in sich selbst ausmerzen und in seiner Umgebung abwaschen. Damit beschäftigt er sich sein Leben lang, das ist sozusagen der Lebenssinn eines wahren Ukrainers und seine einzige Existenzgrundlage. Dafür lebt er – Alles russische verschwinden zu lassen.

      An sich könnte der “wahre Ukrainer” auf die ostukrainischen Ländereien gut verzichten. Seine Vorfahren liegen dort nicht begraben. Er hat dort nie etwas gebaut. In den meisten Fällen war er dort noch nicht einmal gewesen.
      Es geht ihm nicht um Land, es geht ihm um das Recht die Russen die dort leben und schon immer gelebt haben auszumerzen oder zu mindestens zu vertreiben.

      1. Ich frag mich wann es zu einer Trennung kam, da die Ukrainische Sprache sich erst spät entwickelt hat. Es viele Überschneidungen gibt. Das ich eher von einem Dialekt ausgehen würde. Da frage ich mich schon wie sich das ganze so klar trennen läßt, wie das nach Außen hin scheint.

        “Es geht ihm nicht um Land, es geht ihm um das Recht die Russen die dort leben und schon immer gelebt haben auszumerzen oder zu mindestens zu vertreiben.”
        Dann wäre sowieso die Frage wie souverän die Ukraine eigentlich ist oder nicht die Abspaltung der betroffenen Gebiete besser wäre. Haben die Russen im Dornbas ukrainische Pässe oder russische oder wie wird klar gestellt was ein “richtiger” Ukrainer ist?

        1. Wie kommen Sie darauf, dass sich die Sprache, die wir heute die ukrainische nennen, erst spät entwickelt hat? Warum sollte sie sich nicht in einem ähnlichen Tempo wie die russische verändert haben?
          Aber ja, das Ukrainische ist erst Mitte des 19. Jahrhunderts, eben zu Lebzeiten des Nationaldichters Schewtschenko, zur Schriftsprache geworden. Da wurde eine eigene Variante des kyrillischen Alphabets fürs Ukrainische vorgeschlagen (zunächst von Pantelejmon Kulisch).

          Als Weggabelung, an der die getrennte Entwicklung des Russichen, Ukrainischen und Weißrussischen aus einer mutmaßlichen gemeinsamen Ursprache begann, gilt allgemein verständlicherweise der Mongoleneinfall um 1240, der zur Einnahme Kiews und der Zerstörung des gemeinsamen Staates führte. Weißrussland und die “Ukraine” (der westliche und zentrale Teil der heutigen Ukraine) wurden ab diesem Zeitpunkt schrittweise in den litauischen und polnischen Staat integriert. Entsprechend veränderte sich die Sprache, der polnische Wortschatz wurde teilweise integriert.

          Man kann aber auch nicht davon ausgehen, dass der damalige (13. Jh.) gemeinsame Wortschatz der drei aus der mutmaßlichen osteuropäischen Ursprache entsprungenen Sprachen einfach erhalten geblieben ist. Der hat sich natürlich auch verändert (versuchen Sie mal das Althochdeutsch zu lesen, das hierzulande zu jener Zeit gesprochen wurde) und zwar in drei verschiedene Richtungen.

          Auch die gemeinsame orthodoxe Kirche war kaum ein Ort der Sprachbewahrung, denn die damalige Kirchensprache der Orthodoxen war das Altkirchenslawische (so wie bei uns das Lateinische).
          Der Teil des Wortschatzes, den heute das Russische und Ukrainische teilen, ist deshalb vermutlich in die ukrainische Sprache eingeflossen, seitdem Russen und (ein Teil der) Ukrainer wieder in einem gemeinsamen Staat lebten, also seit ca. 1700.

          Kurz: Das Ukrainische ist schon eine eigenständige Sprache. Die 450 Jahre, in denen die Ostslawen in verschiedenen Staaten lebten, haben ihre unauslöschlichen Spuren hinterlassen.

          P.S.
          Die Alltagskultur ist merkwürdigerweise wesentlich ähnlicher als die Sprache.

          1. “Wie kommen Sie darauf, dass sich die Sprache, die wir heute die ukrainische nennen, erst spät entwickelt hat? […] Aber ja, das Ukrainische ist erst Mitte des 19. Jahrhunderts, eben zu Lebzeiten des Nationaldichters Schewtschenko, zur Schriftsprache geworden. Da wurde eine eigene Variante des kyrillischen Alphabets fürs Ukrainische vorgeschlagen (zunächst von Pantelejmon Kulisch).”

            Da ich mich bis auf den ukraine Konflikt nie mit dem Land befasst habe. Habe ich mich gefragt wie das sein kann, das bei einer so ‘junge’ Sprache, so eine Diffenzierung gemacht wird. Vor allem da dies erst seit noch nicht so langer Zeit geschieht.

            “Der hat sich natürlich auch verändert (versuchen Sie mal das Althochdeutsch zu lesen, das hierzulande zu jener Zeit gesprochen wurde) und zwar in drei verschiedene Richtungen.”

            Wie ist das zu verstehen. Wie soll ic eine Sprache in ‘drei’ Richtungen lesen?

            1. Mein Verweis auf das Althochdeutsche war wohl zu verkürzt und damit mißverständlich. Ich wollte einfach beispielhaft darauf aufmerksam machen, dass auch andere Sprachen sich im Mittelalter erheblich veränderten und dass deshalb die eigentlich naheliegende Annahme, man könne wenigstens den gemeinsamen Wortschatz der mutmaßlichen ostslawischen Ursprache in den heutigen drei ostslawischen Sprachen (Russich, Weißrussisch, Ukrainisch) in unveränderter Form wiederfinden, falsch ist.

              (Beispiel: Eine Losung der ukrainischen Nationalisten lautet “Ukraine über alles” – “Ukraina ponad uße”. Habe ich anfangs nicht verstanden, obwohl ich mit Russisch als zweiter Muttersprache aufgewachsen bin.

              “alles” bzw. “alle” ist ein unbestimmtes Zahlwort, das so grundlegend ist, dass es ganz sicher schon in der mutmaßlichen russisch-ukrainischen Vorläufersprache vorkam.
              Im Ukrainischen heißt es “uße”, im Russischen “vße” (ß= stimmloses S)

              Die gemeinsame Herkunft ist erkennbar, beim ersten Hören kommt man aber nicht drauf, vor allem weil die ukrainische Variante zweisilbig ist.
              Die Abweichungen sind stärker als bei Dialekten.)

      2. Ich bin alt und naiv, und ein Anti-Patriot obendrein; deshalb verstehe ich den ganzen Konflikt nicht wirklich. Außerdem vergleiche ich die ukrainische Tragödie natürlich mit ähnlichen Vorgängen im Nachkriegs-Deutschland, welche allesamt unspektakulär und gewaltlos gelöst werden konnten :

        – das Saarland hätte französisch, oder sogar ein souveräner Staat werden können. Merkwürdiger Weise wollten die Saarländer aber BRD’ler werden; das Ganze hin und her hat hierzulande letztlich niemanden groß gejuckt, auch die Franzosen nicht.

        – Ähnlich verlief es mit der DDR: Anschluß an die BRD ohne viel Gedöns ! 1,3 Millionen DDR’ler wären lieber autonom geblieben, haben sich aber letztlich “dem Schicksal gebeugt”, ohne gegen die Vereinigung mit der BRD militanten Widerstand zu leisten.

        -Österreich hatte nach dem WK2 von Deutschland die Nase gestrichen voll, und macht seitdem sein eigenes Ding; da gab es auch keinen Stress.

        Warum die Wiedervereinigung von Donbass und Krim mit Russland dermaßen eskaliert ist ? Ich kann es nicht wissen ! Vermutlich hätten UK und RF die ganze Sache friedlich über die Bühne gebracht, wenn sich die USA und BRD nicht eingemischt hätten !

  18. „ Der ukrainische Nationalismus war in Rußland ganz anders als etwa der tschechische, polnische oder finnische, nichts als eine einfache Schrulle, eine Fatzkerei von ein paar Dutzend kleinbürgerlichen Intelligenzlern, ohne die geringsten Wurzeln in den wirtschaftlichen, politischen oder geistigen Verhältnissen des Landes, ohne jegliche historische Tradition, da die Ukraine niemals eine Nation oder einen Staat gebildet hatte, ohne irgendeine nationale Kultur, außer den reaktionärromantischen Gedichten Schewtschenkos. Es ist förmlich, als wenn eines schönen Morgens die von der Wasserkante auf den Fritz Reuter hin eine neue plattdeutsche Nation und Staat gründen wollten. Und diese lächerliche Posse von ein paar Universitätsprofessoren und Studenten bauschten Lenin und Genossen durch ihre doktrinäre Agitation mit dem „Selbstbestimmungsrecht bis einschließlich usw.“ künstlich zu einem politischen Faktor auf. Sie verliehen der anfänglichen Posse eine Wichtigkeit, bis die Posse zum blutigsten Ernst wurde: nämlich nicht zu einer ernsten nationalen Bewegung, für die es nach wie vor gar keine Wurzeln gibt, sondern zum Aushängeschild und zur Sammelfahne der Konterrevolution! Aus diesem Windei krochen in Brest die deutschen Bajonette.“

    Zitat, Rosa Luxemburg, Die russische Revolution
    Aus der gleichen Schrift stammt der berühmte Satz mit der Freiheit der Andersdenkenden. Das ist alles, was deutsche linke Dummköpfe von Rosa Luxemburg kennen!

    1. Es ist natürlich so, dass der ukrainische (Ultra-)Nationalismus seine Wurzeln in jhdtelanger Unterdrückung der W-Ukraine (Wolhynien & Galizien) in anderen Staaten hatte. Dadurch konnte sich dort kein gesamtrussisches Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln, in der Zentral- und ohnehin überwiegend russ besiedelten O- und S-Ukraine aber schon. Mit der sowjet Gründung der Ukraine und der Übernahme der W-Ukraine in diese Republik hatte deren nationalistischer Geist dann Gelegenheit, auch in die Zentral-Ukraine einzusickern. Das konnte die Sowjetregierung ursprünglich nicht berücksichtigen, weil die W-Ukraine ja noch Ausland war, hätte aber spätestens nach dem Anschluss bzw nach 1945 berücksichtigt werden müssen, denn zu diesem Zeitpunkt hatte man bereits schlechte Erfahrungen gemacht, die sich noch bis Anfang der 1950er hinzogen. Folglich war der pragmatische Anschluss der Krim damals genauso blauäugig wie Gorbatschows Vertrauen auf die Rationalität westlicher Politik. Reagans Abschiedsbemerkung zu Gorbis letzten Vorschlägen, soviel wie ‘er würde ja denen gern folgen, aber er kann nicht’, hätte ihn stutzig werden lassen müssen. Ein POTUS der nicht machen kann, was er gern machen würde, kann nun mal nicht die oberste Entscheidungsmacht im Staat haben! Das kann man ja ggw an Biden sehen: man kann auch einen Unfähigen oder gar Dementen auf diesen Posten setzen, das würde nichts ändern. Erinnert mich an eine SF-Erzählung, in der ein Reporter einen anderen bei einer internationalen Konferenz fragt, wer denn der freundliche ältere Herr dort sei. Worauf der antwortet, der Präsident der USA…

    2. Was Luxemburg da 1918 im Gefängnis schrieb – in einem Manuskript übrigens, von dessen Veröffentlichung sie absah – sind doch letztlich sehr umstrittene Aussagen. Um nicht zu sagen Halbwahrheiten.

      Fangen wir vielleicht von hinten an. Luxemburg behauptet, “Lenin und Genossen” hätten “durch ihre doktrinäre Agitation” eine “nationalistischen Posse” “zu einer ernsten nationalen Bewegung” hochgepäppelt. Es ist schwer zu verstehen, was damit im Einzelnen gemeint sein soll. Als die – nicht gewählte – Ukrainische Zentrale Rada, die tatsächlich in hohem Maße eine Versammlung von “kleinbürgerlichen Intelligenzlern, Universitätsprofessoren und Studenten” war, erstmals nach der Februarrevolution Mitte März 1917 in Kiew zusammentrat, da hatten die Bolschewiki nicht nur noch lange nicht die Macht ergriffen, sondern “Lenin und Genossen” hielten sich noch im Exil auf. Wir können ebenso ausschließen, dass die in der Rada Versammelten durch die Lektüre der Schriften eines erst später berühmt werdenden russischen Sozialdemokraten angeregt wurden.

      Luxemburg hat damit recht, dass die Rada damals vergleichsweise wenig Unterstützung von der Bevölkerung (80% Bauern) der Gebiete genoss, die sie ab Januar 1918 als Territorium einer eigenständigen Ukraine – der “Ukrainischen Volksrepublik” – beanspruchte. Das wurde augescheinlich im Bürgerkrieg, als der ukrainische Nationalist Petljura auf die massive Hilfe polnischer Truppen zurückgreifen musste, um 1920 Kiew kurzzeitig erobern zu können. Und auch zuvor, im Jahre 1918, war die kurzlebige “Ukrainische Volksrepublik” nur durch die deutsch-kaiserlichen Bajonette zustande gekommen.
      Aber das heißt eben nicht, dass diese mehrheitlich kleinbürgerliche Nationalbewegung oder eben im Entstehen begriffene Nationalbewegung nichts als eine “Posse” war.

      Ich hatte vor kurzem in einem anderen Kommentar bereits darauf hingewiesen, dass die (ursprüngliche) Nationalitätenpolitik der Bolschewiki letztlich von einem Gedanken von Engels inspiriert war. Hier nochmal das Zitat:
      “Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren. Die Macht, deren es zur Unterdrückung der andern bedarf, wendet sich schließlich immer gegen es selbst. Solange russische Soldaten in Polen stehen, kann das russische Volk sich weder politisch noch sozial befreien. Bei dem jetzigen Stand der russischen Entwicklung aber ist es unzweifelhaft, daß an dem Tage, wo Rußland Polen verliert, in Rußland selbst die Bewegung mächtig genug wird, die bestehende Ordnung der Dinge zu stürzen. Unabhängigkeit Polens und Revolution in Rußland bedingen sich gegenseitig.”

      Ich weiß nicht, ob Rosa Luxemburg diese kleine Engelssche Schrift unbekannt war. Jedenfalls war sie bekanntlich auch strikt dagegen, dass Polen die Unabhängigkeit von Russland (dem zaristischen Russland) anstrebt.
      Insofern dürfte es für sie eigentlich egal gewesen sein, ob der “ukrainische Nationalismus” nun auf eine eigenständige “historische Tradition”, “nationale Kultur”, “Wurzeln in den wirtschaftlichen, politischen oder geistigen Verhältnissen des Landes” verweisen konnte oder nicht.

      P.S.
      Die Finnen, welche Luxemburg erwähnt, hatten übrigens bis 1918 keinen eigenen Staat.

      1. Das Niveau, auf dem sie hier diskutieren, dürfte für Mitglieder der Linkspartei und der nach Rosa benannten Stiftung unerreichbar sein, denn es setzt Geschichtskenntnisse voraus. Diese besitzt die heutige Linke nicht mehr. Da die Linke sich immer auf das berühmte Zitat von der Freiheit der Andersdenkenden aus dergleichen Schrift beruft, wollte ich einfach mal darauf hinweisen, was Rosa sonst noch so gesagt hat.
        Unabhängig davon, halte ich den ukrainischen Nationalismus für ausgesprochen reaktionär und das seit seinen Entstehen. Die ukrainischen Massaker in Wolhynien an den Polen sind hierzulande unbekannt. Stattdessen wird der Anführer dieser antipolnischen Massaker Bandera verehrt. Aber der Wertewesten hat bekanntlich auch Pinochet verehrt.
        Ansonsten finde ich auch, Engels sollte mehr gelesen werden, nicht nur weil er für Karl „sein Kapital“ (an der Börse) verdient hat…smile…
        PS: Polen denkt ja auch aufgrund der ukrainischen Massaker an 60.000 Polen über die „Heimholung“ der Westukraine ins neue polnische Reich nach…..worüber hierzulande auch nicht berichtet wird…

  19. Mit meinem thematischen Kommentar vom 13.
    https://overton-magazin.de/hintergrund/politik/die-dunkelheit-die-vor-uns-liegt-wohin-sich-der-ukraine-krieg-entwickeln-wird/#comment-55139
    habe ich einen ziemlich kapitalen Fehler begangen.
    Nicht weil falsch wäre, was da steht – obgleich das Posting selbstredend in das Genre “Unzureichende Bemerkungen” fällt – sondern weil ich da mein Pferdchen “von hinten aufgezäumt” habe.

    Ich hätte zuerst zeigen müssen, wie Mearsheimer zu seinen, gemessen am Hauptstrom amerikanischer “Intelligentia”, scheinbar abweichenden Urteilen kommt.
    Doch das greift in das Wespennest einer akademischen Debatte, die vorhersehbar noch weiter vom Thema wegführt, als die üblichen Wägungen meiner geistigen Gesundheit und bürgerlichen (Un-)Tugend.

    Mearsheimer kommt zu seinen Urteilen, indem er ein sehr spezieller Frontmann der politologischen Schule des “Klassischen Realismus” ist, welche in der Binnenkonkurrenz um die US-Außenpolitik ideologisch stets die Vorhand gegenüber den “Idealisten” (wie Obama und seine Parteigänger) hatte. Kissinger und Brzeziński werden zu dieser Schule gezählt und via Brzeziński haben die “Theorien” Halford Mackinders einen maßgeblichen Einfluß auf die Militärpolitik der USA gegenüber Europa, einschließlich Russland, gehabt.

    Was ist “Klassischer Realismus”.
    Kurz und schmutzig hingesagt ist es die Ideologie des Amerikanischen Faschismus. Es ist im Kern dasselbe Schema, wie die nationalsozialistische Rassenideologie, nur daß der “Realismus” die Subjekte austauscht: Nicht “Rassen”, auch nicht “Völker”, sondern “Staaten” sollen das Subjekt eines archaischen, “darwinistischen” “Kampfes um’s Überleben” sein.
    Auch der Umstand, daß Mearsheimer, im Unterschied zu einigen Kollegen, eine “naturalistische” Deutung der conditio humana als überflüssigen Firlefanz aus seiner Ideologie gestrichen hat, und durch das “Theorem” ersetzte, wenn es “um Macht” gehe, gelte “offenkundig”, wie jeder “wisse”, die Maxime “es kann nur einen geben”, ändert nichts an dem Befund.

    Letzteres muß natürlich kolossal strittig werden, weil Mearsheimer, im Unterschied zu den Kollegen, halt nicht als Fanatiker unterwegs ist, schon gar nicht liefert er “glühende” Bekenntnisse zum “american exceptionalism” ab, wie Obama das in Sonntagsreden getan hat.
    Seine faschistische Ideologie ist pragmatisch. Ihm geht es nicht um “Maximierung” des Nutzens, Vorteils usw. der Amerikanischen Nation, sondern um Optimierung der angenommenen Rolle der USA als “Hegemonialmacht”, und dies ganz maßgeblich mittels Schadensminimierung beim Einsatz der dafür tauglichen Mittel.

    Wenn Mearsheimer also retrospektiv wie aktual zu Berücksichtigung russischer Regionalmachtinteressen aufruft, einschließlich einer Art Anerkennung der nationalen Drangsale der RF, die durch die “Politik des Westens” berufen oder verstärkt worden seien, so ist dies das Gegenteil von Anerkennung derselben! “Berücksichtigung” ist nicht gleich “Anerkennung”, es geht um eine aus Sicht Mearsheimers angemessne Faktorisierung von Widerständen gegen die amerikanische Hegemonialpolitik, welche Mearsheimer “realistisch” als Selbsterhaltungsstreben deutet (gleich jenen “Widerständen”), ohne dafür ein einziges Stück realer Begutachtung der Sachlage zu bedürfen. Es ist für ihn ein “a priori” der Nachkriegslage seit dem letzten Jahrhundert.

    Aber im Vordergrund von Mearsheimers populären Schriften steht ein anderes, rhetorisches Schema, in das er seine faschistischen Urteile verpackt, und das ist – abermals grob schematisch – calvinistisch.
    Das wird in der vorliegenden Schrift eigentlich schlagend deutlich, weil der Kern seines ganzen wortreichen Geschwätzes lautet einfach:

    ‘Was die Russen tun, oder getan haben, mag Sünde sein, aber was WIR getan haben, war und ist schlimmer als eine Sünde – es war ein Fehler!’

    1. Wenn jemand Beziehungen zwischen Staaten unter dem Gesichtspunkt der nationalen Interessen betrachtet und ganz nüchtern davon ausgeht, dass insbesondere große Staaten im Wettbewerb zueinander stehen, hat das nichts, aber auch gar nichts mit Faschismus oder Calvinismus zu tun. Es ist eine Herangehensweise, die den Idealismus in den zwischenstaatlichen Beziehungen als bedeutungslos ausklammert. Man kann das als verkürzte Sichtweise kritisieren. Es ist nämlich auch möglich, dass der Idealismus das Leitmotiv in der Aussenpolitik ist. Zum Beispiel die Vorstellung, dass die USA eine moralisch und kulturell überlegene Nation sind und daher den Auftrag haben, den American Way of Life zu globalisieren. Dieser Idealismus ist missionarisch und expansiv. Er will sich ausbreiten und die Welt erobern. Hier kommt der Faschismus ins Spiel. War nicht Hitlers Aussenpolitik genau so gestrickt? Am deutschen Wesen sollte die Welt genesen. Es ist eine faschistische Politik, andere Nationen moralisch und kulturell abzuwerten und ihnen die eigenen Ideale aufzwingen zu wollen. Mearsheimer sieht es hingegen als natürliches Interesse eines Staates an, sich gegen Konkurrenten zu behaupten, um seine Existenz langfristig zu sichern. Das kann auch durch friedliche Kooperation geschehen. Das Missionarische fehlt in Mearsheimers Betrachtung, darum ist hier der Vorwurf des Faschismus völlig deplatziert.
      Mearsheimer ist ein Realist, der vermutlich den Idealismus unterschätzt. Aber er ist ganz sicher kein Faschist. Solche Verleumdungen verfolgen nur das Ziel, den Autor selbst und damit sein Essay zu diskreditieren. Eine Masche, die besonders bei Personen beliebt ist, die intellektuell wenig zu bieten haben.
      Weil du TomGard bist und Widerspruch notorisch als Majestätsbeleidigung betrachtest, erwarte ich die übliche Reaktion. Gib alles!

      1. “Mearsheimer sieht es hingegen als natürliches Interesse eines Staates an, sich gegen Konkurrenten zu behaupten, um seine Existenz langfristig zu sichern. Das kann auch durch friedliche Kooperation geschehen.”

        Fälschung, Erfindung oder Ignoranz, wie man selbst den Wikipedia – Einträgen zu Mearsheimer und “Realism” entnehmen kann, es gibt überdies einige Texte von Mearsheimer im Netz, in denen er vergleichsweise kurz (aber das sind immer noch ein paar Seiten) seine Konzepte erklärt und von denen der Kollegen abgrenzt.

        “Aber (Mearsheimer) ist ganz sicher kein Faschist.”

        Das habe ich auch nicht behauptet, Lügenbold!
        Da steht nicht “Mearsheimer ist ein Faschist”, sondern

        Was ist „Klassischer Realismus“.
        Kurz und schmutzig hingesagt ist es die Ideologie(!) des(!!) Amerikanischen Faschismus. Es ist im Kern dasselbe Schema, wie die nationalsozialistische Rassenideologie, nur daß der „Realismus“ die Subjekte austauscht …

        Später verweise ich noch ohne weitere Erklärung auf “american exceptionalism”, der eine Referenz des “realism” PLUS des “idealism” ist – aber jeweils auf andere Weise.

        “Solche Verleumdungen verfolgen nur das Ziel, den Autor selbst und damit sein Essay zu diskreditieren.”

        Verleumdung. Ich habe in dürren Worten dargestellt, auf welchem Weg ich M. zu den Urteilen kommen sehe, die er im Artikel vertritt. Da steht was von “Pragmatismus”, “Schadensminimierung” und “kein Fanatiker” – von “Diskreditierung” keine Spur.

        Egal, diese Debatte wollte und werde ich nicht führen. Es wäre aber im zitierten Faden angebracht gewesen, mit meinen o.a. Urteilen zu beginnen, um Mißverständnisse zu vermeiden. Die Fortsetzung wäre gewesen, etwas zu Fiktion und Realität der Angriffe auf russische Regionalmachtinteressen und deren Wahrnehmung in Moskau zu sagen. Denn die Ideologie (und das schließt die Fiktivität ein) des Amerikanischen Faschismus (“Realismus”) hat eine Realität in der US-Geopolitik, die in Jugoslawien, Georgien und der Ukraine besonders wirksam geworden ist, aber auch in der Aufmischung von MENA, und die RF hat sie darauf auf beiden Ebenen, der ideologischen, wie militärpolitischen und ökonomischen, reaktiv aufgenommen. Das Resultat war Putins Ausrufung eines “Kulturkampfes” mit “dem Westen”, schon 2012/3 wenn ich recht erinnere.
        Ein solcher Abschnitt hätte den windigen Teil meines zitierten Postings zum Charakter föderaler Militärherrschaften ersetzen können, der zweifellos überabstrakt ist.

        Aber ich wäre halt auf ein Minimum an Kooperation wenigstens einiger Leser angewiesen, sinnerfassend lesen zu wollen, und andererseits nicht von Forenpostings zu verlangen, sie sollten leisten, was eine Bibliothek, welche die Kritiker nicht lesen würden, auch nicht leisten könnte. Ich habe keine Lust beim Urschleim des Jugoslawienkrieges neu zu beginnen …
        Guidos Wortmeldung war kein Auftakt zu einer neuen Bemühung meinerseits.

    2. Vielleicht hilft ja ein Gedankenexperiment weiter.

      Wenn die Ukrofaschos jetzt Mearsheimer-Fans würden und, ihn praktisch ernst nehmend, die Offensive für gescheitert erklärten, sich global 30 km hinter der derzeitigen Front eingrüben und eine Einfrierung der Kampfhandlungen verkündeten (wozu sie sich in ein paar Wochen mehr oder minder ohnehin gezwungen sehen dürften), und die Rf damit vor die Wahl stellten, entweder unter einer Großmobilisierung nachzustoßen und die Ukraine bis zu irgend einer ominösen Grenze der Westukraine zu erobern, oder die Militarisierung des in Vilnius deklarierten NATO-Territoriums (Rest-) Ukraine hinnehmen – wer hätte dann aus Sicht des “Klassischen Realismus” den Krieg “gewonnen”? Würden die Ukrainer dann nicht den “schrecklichen Fehler”, den Mearsheimer der US-Politik ankreidet, heilen? Und wie sähe das aus der Perspektive des Kreml aus?

      1. Der schreckliche Fehler, der Mearsheimer den USA vorwirft, besteht darin, dass die USA, statt sich mit Russland gegen den Hauptkonkurrenten China zu verbünden, in der Ukraine einen Krieg für die NATO-Expansion führen. Was zur Folge hat, dass sich China mit Russland gegen die USA verbündet.
        Es geht hier nicht um das Schicksal der Ukraine, sondern um eine gravierende geopolitische Fehlstrategie der USA. Dass nebenbei auch die Ukraine zerstört werden wird, beweist nur, wie dämlich die Expansionsstrategie der NATO ist. Aber letztlich geht es wie immer um Aufträge für den militärisch-industriellen Komplex. Etwas anderes als Waffenproduktion und -export haben die USA ja nicht mehr zu bieten. Der American Way of Life hat seinen Sex Appeal schon lange verloren.

  20. Mearsheimer hat in seiner Analyse einige Fehler und fehlerhafte Schlussfolgerungen.
    “Das bestmögliche Ergebnis ist ein eingefrorener Konflikt” – das wird definitiv NICHT passieren, weil der Donbass und Russland damit lange genug schlechte Erfahrungen gemacht haben. Russland hat dazu alle Trümpfe in der Hand, die Sanktionen konnten die russische Wirtschaft nicht eindämmen, Russland ist nicht isoliert – im Gegenteil baut Russland die Beziehungen zum Rest der Welt aus.

    “Fast alle Ukrainer sind fest entschlossen, ihr gesamtes verlorenes Territorium zurückzuerobern – einschließlich der Krim.” Es gibt Millionen Ukrainer, die das nicht wollen, so gut wie alle Einwohner der Krim, Donezk und Luhansk und die große Mehrheit von Saporoschje und Cherson. zusammengferechnet könnte das jeder fünfte sein. Russland kann immer sagen, wenn im Völkerrecht das rechtens ist, was das Volk entscheidet, dann gehören die Gebiete zu Russland, weil die Bevölkerung das so entschieden hat.

    Bei der Bewertung des Nationalismus liegt Mearsheimer zur Hälfte falsch. Der ukrainische Nationalismus, der für mich eher ein ukrainischenr Faschismus ist, ist ein riesiges Problem. Das Verhalten der nationalistischen Ukrainer macht den deutschen Faschisten problemlos Konkurenz – kein Wunder, wenn die ukraininschen Faschisten des WK2 die heutigen Helden der Ukraine sind. Das zeigen auch die ukrainischen Medien, Russenhass ist dort ständig zu finden und das bis in die höchsten Ebenen.

    Was den russischen Nationalismus betrifft, liegt Mearsheimer komplett falsch. Für die Russen sind die Ukrainer auch Russen – vom Westen und den ukrainischen Nationalisten gehirngewaschene Russen – aber eben Russen! Das zeigt die offizielle Linie, Putin sagt ganz klar, dass das ukrainische Volk NICHT der Feind ist. Und in der Masse der Gesellschaft gibt es auch keine Verachtung und Hass auf die Ukrainer. Auf die ukrainische Regierung ja, aber eben nicht auf die Bevölkerung.

    Während die ukrainische Regierung eine “Entrussifizierung” und “Dekolonisierung” betreibt, gibt es keine “Entukrainisierung” oder Auslöschung der ukrainischen Kultur. Was er als Beispiele dafür bringt, lässt sich anders und einfacher erklären. Z.B. die russischen Pässe, vorher hat Russland das gemacht, weil sich Ukraine geweigert hat das zu tun. Und inzwischen sind das russischen Regionen, da sollten russische Pässe normal sein, genauso der Rubel. Zu den Lehrplänen in den Schulen, die Bibliotheken und Museen oder die Umbenennung von Städten – da wird einfach die “Entrussifizierung” und der Russenhass zurückgedreht. Und wenn die ukrainische Sprache in den Schulen der Region Donezk nicht mehr unterrichtet wird, dann weil kein Bedarf besteht, bei Bedarf wird auch die ukrainische Sprache unterrichtet.

    Selbstverständlich werden die Russen vergeben, aber nicht vergessen – jeder Deutsche sollte das wissen. Trotz der faschistischen Verbrechen im WK2 in der Sowjetunion gibt es keinen Hass auf die Deutschen. Wer es nicht glaubt, kann einfach hinfahren, was mit dem elektronischen Visum, das es seit 1.8. gibt, noch mal vereinfacht wurde.

    Auffällig in Russland ist, das, auch gerade von offizieller Seite, zwischen der Regierung und der Bevölkerung unterschieden wird. Die ukrainische Regierung ist der Feind, aber nicht das ukrainische Volk. Die deutsche Regierung wird kritisiert, aber nicht die Deutschen!

    Wenn Mearsheimer von “russifizieren” spricht, würde ich gerne wissen, was er samit meint. Russland hat so viele Nationen, Kulturen und Religionen, da ist es schwer zu beschreiben, was das Russische ist.

    Wenn Mearsheimer weiter unten schreibt “Erschwerend kommt hinzu, dass die Russen alle Anstrengungen machen werden, um die Rumpfukraine wirtschaftlich schwach und politisch instabil zu halten.”, dann ist das nur der Ausdruck der westlichen Denkweise. Russland ist anders, es hat Interesse daran, dass die Rumpfukraine wirtschaftlich stark und politisch stabil wird. Denn nur damit kann Korruption, Kriminalität und Armut bekämpft und die Basis für eine zuverlässige Neutralität geschaffen werden. In einer wirtschaftlich schwachen und politisch instabilen Rumpfukraine muss nur jemand mit ein paar Dollars wedeln, um einen neuen Konflikt mit Russland zu provozieren.

    Zur US-Politik gegenüber China – warum muss China eingedämmt werden? Nur weil China die USA wirtschaftlich überholt? Nun die Basis für die Wirtschaftskraft eines Staates ist die Bevölkerungszahl. So war es unvermeidlich, dass China die USA überholt und in ein paar Jahren wird auch Indien die USA überholt haben. Europa hätte die USA auch überholen können, erst recht mit Russland zusammen. Deshalb gibt es ja die massiven Anstregungen der USA, Russland von Europa zu trennen.

    Wir haben noch keine multipolaren Welt, wir entwickeln uns erst dahin. Bisher gibt es noch keinen, zur USA gleichwertigen, Staat. China ist nur wirtschaftlich gleichwertig, Russland ist nur militärisch gleichwertig. BRICS sind zur G7 wirtschaftlich und militärisch gleichwertig, aber politisch/diplomatisch und vor allem kulturell besteht Nachholbedarf. Aber das ist eine Frage der Zeit und der Ukraine-Krieg ist dafür der ganz große Beschleuniger.

  21. Zur “Ent-Russifizierung”, bzw. “Russifizierung”. Die ist Teil des Streits um die souveräne Herrschaft über Territorium, Grenzen und die darin eingesperrte und für die nationalen Zwecke beanspruchte Bevölkerung.

    Es wird oft in Artikeln von der “russischstämmigen Bevölkerung” in den ost-ukrainischen Provinzen gesprochen, gemeint ist damit auch und vor allem die pro-russische Haltung, die sich mindestens seit den Streiks im Kohlebergbau in diesen östlichen Gebieten abzeichnete und gegen die westfreundliche Politik Kiews und seine wirtschaftliche Anpassung an westliche Effizienzkriterien richtete. Die “historischen Entwicklungen” zur “Herkunft” spielen da sicherlich auch irgendwie mit rein; als was diese Leute sich selbst verstehen, etc.

    Genau genommen zeigt der Streit der nationalen Führungen aber sehr deutlich, wie wenig es auf die “empfundene Zugehörigkeit”, “Stämmigkeit”, “historische Wurzeln” und Sprache ankommt, wenn ein Staat den Anspruch erhebt solche Bewohner ausschließlich zu seinen nationalen Volksfiguren zu machen.

    Es widerlegt praktisch die sehr populäre Vorstellung, dass irgendwelche “Eigenschaften” oder erlernte Kulturleistungen von Landesbewohnern zu “ihrem” Nationalstaat führen und ihn begründen. Es ist genau umgekehrt. Staaten erschaffen sich mit Recht und Gesetz ihre passenden Staatsbürger und legen nach ihren Interessen fest, wer zur Volksgemeinschaft dazu gehören soll und wer nicht. Früher wurde in Deutschland festgelegt, dass es nach möglichst “reinrassigem” Stammbaum bis ins Mittelalter gehen soll, heute gibt es Einbürgerungstests oder andere Integrations-Gebote um eine Anerkennung der Staatsbürgerschaft zu bekommen.

    Vom ukrainischen Grenzverlauf her gesehen waren die Bewohner im Donbass und anderen Gebieten faktisch “Ukrainer”, durch ihre Ablehnung der “korrupten” Kiewer Politik und ihre Zuwendung zu Russland wurden sie allerdings als abtrünnige Russenfreunde betrachtet, die dringend ukrainisiert werden müssen, um eine vollständige nationale Identität im Volk überhaupt erst herzustellen.

    Die Verpflichtung auf die ukrainische Sprache sollte eine der verbindlichen Maßnahmen sein um den Anspruch auf souveräne Herrschaft in der Ukraine durchzusetzen, – so wie jeder Staat für eine gemeinsame, amtliche Sprache auf seinem Territorium sorgt. Dass die Durchsetzung der ukrainischen Sprache sich gegen die “ethnischen” Gewohnheiten in den östlichen Landesteilen richtet, als “Auslöschung des Russischen” verstanden werden würde und einen bereits “drohenden Bürgerkrieg” noch befeuern könnte, hatte offenbar die EU auf ihrem Schirm, als sie der Ukraine vorgab, ihr Sprachgesetz vorübergehend auszusetzen.

    Russland hat inzwischen die östlichen Gebiete besetzt, Referenden durchgeführt, Pässe verteilt und damit seinen Anspruch dort soweit realisiert, dass es die Leute zu seinen Staatsbürgern gemacht hat und wieder entsprechend “russifiziert”, das Rad der “Ukrainisierung” also über Sprache, russische Schulbücher und Bücher in Bibliotheken, die vorher verbannt wurden, wieder zurückdreht. – Was bereits von ukrainischer und westlicher Seite als “Auslöschung alles Ukrainischen” bis hin zum “Genozid” skandalisiert wurde, um daraus ein Völkerrechtsverbrechen zu konstruieren.
    An russischen Schulen wird eben russisches Gedanken- und Kulturgut vermittelt, wie an deutschen das deutsche, an amerikanischen Schulen das amerkanische. Dass diese Vermittlung in einem nationalen Bildungswesen immer mit der Huldigung an das eigene Staatswesen und Überlegenheitsideologien gegenüber anderen verbunden wird, mal mehr mal weniger, das wissen die Experten natürlich genau; nur bei Russland gilt ihnen jedes neu gedruckte russische Schulbuch im Donbass als Verbrechen an der erwünschten ukrainischen Werteerziehung.

    Die Erklärungen von Mearsheimer stechen mit ihrem Anspruch ein “realistisches Bild” über den Ukraine-Krieg zu vermitteln insoweit aus dem breiten Propaganda-Geblöke heraus, als dass sie versuchen eine sachliche Einschätzung über den erreichten Stand der kriegsbeteiligten Interessen zu liefern und deren Erfolgsaussichten “voraussagen” (möchten).

    Im Artikel, wie auch im empfohlenen Video-Interview mit Greenwald, sind m.E. einige fragwürdige Analysen enthalten. So hebt Mearsheimer die US-Politik unter Obama, bzw. die deutsche Politik von Merkel als verantwortungsvolle Zurückhaltung bei der Nato-Eingemeindung der Ukraine, positiv hervor, als hätte es so ein Ausdehnungsprogramm in deren Regierungszeit nicht gegeben und erst ihre verantwortungslosen Nachfolger hätten dieses Programm mit der Ukraine in Richtung einer höchst risikoreichen Katastrophe vorangetrieben. Eine Kontinuität in der Nato-Ausdehnung war allerdings seit der einseitigen Aufgabe der Systemfeindschaft durch Gorbatschow zu erkennen, weil die Nato-Seite das natürlich als ihren Sieg im Totrüstungs-Wettbewerb verbucht hat, aber nicht als einen, mit dem sie bereits zufrieden gestellt wäre. Den Abrüstungsverhandlungen folgten ziemlich bald die Übernahme der Balten, Polen, etc.

    Den Krieg führt Mearsheimer dann auch auf einen “Hyper-Nationalismus” auf Seiten der Ukraine und Russlands zurück, als ob er meinen würde ein “normaler” Nationalismus (wie der der USA?) wäre eigentlich “friedlich” und zu kriegerischen Übergängen irgendwie nicht in der Lage. Demnach müsste es sich bei allen Kriegen immer um einen Ausbruch von schlechtem “Hyper-Nationalismus” gehandelt haben, da der bloße Nationalismus nach seiner Auffassung offenbar unverdächtig ist zu kriegerischen Entscheidungen der nationalen Gewalten zu führen.

    Am Ende des Artikels bleibt sowas wie die “Sinnlosigkeit” festgehalten, weil, wie Mearsheimer vorrechnet, keine Seite mit ihren (maximalen) Gewinnansprüchen durchkommen wird und alle Seiten hohe Kosten. Zerstörungen und Opfer aufzubringen haben.

    Autor Kolenda ergänzt die Analyse der ‘unlösbar festgefahrenen Kriegssituation’ mit seinem Schlusswort durch einen hoffnungsvollen Ausblick auf mehr Multipolarität durch eine einsichtige USA die “eine Kraft des Friedens sein sollte” und die Gefahr eines Atomkriegs als “wichtigstes gemeinsames Problem” neben “den Bedrohungen durch Klimawandel und Hunger in der Welt” sehen m ü s s t e n.

    Von der anderen, nach den bisherigen Verlautbarungen gar nicht so abwegigen und “realistischen” Option, dass die USA und ihre Nato-Partner Russland so lange durch die Ukraine schwächen, bis diese “verbraucht” ist und die Nato selber den Krieg übernimmt, was ja schrittweise schon passiert, mit Panzern, Kampfflugzeugen, und in ständigen weiteren Vorbereitungen der Nato-Front ist, davon redet Mearsheimer in seinen Prognosen nicht. Warum auch immer.

    Die Hoffnung, die Nationen mögen von ihren Interessen absehen und sich “den gemeinsamen Problemen der Welt” widmen, stiftet dann doch wieder viel “Sinn”, wenigstens in den Glauben an die Politik.

  22. Hallo Mikrowelle, so weit ich gelernt habe, und zwar von dem Schweizer Jacques Baud, der das in einem Interview mit Ekkehard Sieker, das vom Westend-Verlag ausgestrahlt (sorry, heißt wohl eher veröffentlicht) wurde, gesagt hat, war der Donbass zwar unter der russischen Zarenregierung zu einem Schwerindustriegebiet geworden, aber erst nach dem Holodomor, dem etwa 8 Millionen Menschen in der gesamten Ukraine zum Opfer gefallen seien, dort russische Menschen angesiedelt worden. Das Interview ist interessant, schauen Sie mal hier https://www.youtube.com/watch?v=fSteh66ftKo

    1. Danke, hab’s mir angeschaut … war in der Tat interessant, auch wenn ich bei solchen ehemaligen Nato-Dienstleistern eher mit Skepsis rangehe.
      Baud liefert jedenfalls nochmal eine gute Chronologie der Ereignisse, die mir nicht mehr so exakt auf Jahr und Tag in Erinnerung waren wie ihm – ich habe wohl auch die Donezk-Region (-> Bergarbeiter-Streiks) mit dem “Donbass” durcheinander gebracht und Baud verortete die damaligen “russischen Autonomisten” weiter südlich, also im S ü d-Osten der Ukraine. Zum Vorgehen der Ukraine bei der ethnischen Ausgrenzung per Sprachgesetz, sowie der teils para-militärisch betriebenen “Ent-Russifizierung”, inklusive “Asow”- und anderen Verbänden, werden im Interview noch einige weitere Details genannt.

      Interessant auch die Einschätzung von Baud, dass der endgültige Angriff Russlands durch eine ukrainische Offensive auf abtrünnige Gebiete provoziert wurde, mit Unterstützung der USA offenbar, die deshalb auf den Tag genau so sicher waren, dass die Russen angreifen würden.

      Zu den “historischen An- um Umsiedlungen” nochmal. Natürlich sind besonders den Staaten solche, meist durch Kriege in andere Staaten verstreuten Volksgruppen wichtig, wenn sie sich aus ihren Interessen heraus, als zuständige Macht, oft als “Schutzmacht” auf sie berufen. Da werden gerne sehr fantasievolle historische Geschichten präsentiert, über “Zugehörigkeiten”, die ein “früher” oder “schon immer!” zum Argument machen wollen, für die Berechtigung sich in anderer Staaten innere Angelegenheiten einzumischen. In Deutschland z.B. waren es lange Zeit die “Vertriebenen-Verbände” oder DDR-Bürger, mit denen D. seine nationalen Interessen als Rechtsanspruch untermauert hat. Solche “Zusammengehörigkeitsgefühle” hat, etwas platt gesagt, auch Russland mit seinen Volksteilen in der souveränen Ukraine wiederentdeckt, je mehr es Richtung Nato ging.

      Die Russen haben in der Ost-Ukraine nichts anderes gemacht als sich zur “Schutzmacht” für die dortigen “Russisch-Stämmigen” zu erklären, gegen die ukrainische Bekämpfung der “Autonomisten”, sich dabei laut Baud sogar an Minsk- und UNO-Vereinbarungen gehalten, und daneben einige historische Begründungen aufgestellt, zur Legitimation ihres Angriffs.
      Solche Begründungen fallen immer etwas schräg aus, weil man den konstruierten Gechichten meist schnell ihren Zweck entnehmen kann.

      D.h., egal von wem, wo und wann “Russen” früher mal “angesiedelt” wurden, laut Baud hätte Russland mit Minsk ja “autonome Russen” auf dem fremden, ukrainischen Staatsgebiet akzeptiert, aber eben nicht auf gegen Russland gerichtetes ukrainisches Nato-Gebiet, in dem die “Russen” gesetzlich zu einer minderwertigen Ethnie herabgestuft, drangsaliert und bekämpft werden. Da kommt, aus russischer Sicht, also beides zusammen, die Bedrohung durch die Nato-Ausdehnung und die Ausgrenzung und Bekämpfung der “Russisch-Stämmigen”. Historische Sichtweisen sind dem eher untergeordnet.

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