Korrumpiert

Lobbyisten raus!
Daniel Huizinga, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Wir erleben den typisch taktisch geprägten Wahlkampf: Personen vermarkten und „Inhalte überwinden“. Es geht um Einwanderung und um leere Versprechen, mehr Geld für Vermögende . Die Themen Lobbyismus, Korruption und die Demontage der Demokratie werden aber gnadenlos ignoriert. Doch gerade an diesen Themen sollte sich eine Wahlentscheidung festmachen.

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Korrupt. Dieses »böse« Wort wird bei uns gemieden. Korrupt sind Autokraten, Diktatoren in fernen Ländern. In der Politik wird über viel gestritten, aber nicht über das System, das sich entwickelt hat oder den Zustand der Demokratie. Ihre Feinde sind Extremisten von rechts und links, alle anderen dagegen seriöse, aufrechte Demokraten. Auch in Deutschland hat man immer mehr Lebensbereiche ökonomisiert. Meist geht es nur noch ums Geld, um den Profit. Alles wird auf dieses Ziel ausgerichtet, egal, was das vor allem langfristig bedeutet. Es kommt zum Ausverkauf der Demokratie. Die Grenzen, das Korrektiv zu dieser Entwicklung, lösen sich auf, während wir uns über Nebenthemen streiten. Sehen wir endlich mal hin und nennen das Kind beim Namen: Nahezu unsere ganze Gesellschaft wird korrumpiert.[1]

Dazu kommt eine breite Grauzone, die sich zwischen Politik und Unternehmen entwickelt hat. Es gibt privilegierte Zugänge, starke Beeinflussungen, Abhängigkeiten, Druck, Erwartungen und Vorteilsnahmen. An deren Wirkungsende steht, dass Profitinteressen bei politischen Entscheidungen Vorrang vor dem Gemeinwohl haben. Gerade auch die Politik wird korrumpiert.

Und unsere Demokratie schützt davor immer weniger. Im Gegenteil, sie wird genau daran angepasst. Was heißt denn überhaupt »korrupt«? Der Ausdruck geht auf das lateinische Wort corruptus zurück, welches gleich mehrere Bedeutungen aufweist: »verdorben«, »sittenlos«, »bestochen«, »verkehrt«. Der Begriff lässt sich nicht nur in der Wirtschaft oder Politik, sondern

in allen gesellschaftlichen Bereichen anwenden. Bei uns wird er heute meist direkt mit Geld in Zusammenhang gebracht. Korruption meint allerdings eher den allgemeinen Missbrauch einer Vertrauensstellung. Dieser besteht darin, eine Position, die man innehat, zum weiteren Vorteil auszunutzen oder jemand anderen, der eine Position innehat, mit einem Angebot, einer Gegenleistung zu selbigem anzustiften. Dabei spielt es natürlich eine wichtige Rolle, ob es sich um eine öffentliche Stellung handelt und wer der eigentliche Auftraggeber dieser Person ist.[2]

Legale Korruption

Das wahre Ausmaß von Korruption und legaler Korruption ist viel größer, als es den Anschein hat. Legale Korruption? Ja, genau darum geht es auch in meinem neuen Buch. Ich beschreibe die Vorgänge bei Cum-Ex, die Maskendeals, die Sponsorengelder, gut honorierte Nebenjobs für Abgeordnete, Spendenpartys, Absprachen, die niemals schriftlich fixiert wurden. Das meiste davon geschieht jeden Tag, ganz legal und kann nur von denen praktiziert werden, die schon sehr viel Geld haben. Im Zusammenspiel mit denen, die ihre politische Macht und ihre Kontakte nutzen, um die reichen und mächtigen Finanziers der Lobbys noch reicher zu machen. Bestimmte Regeln gelten nicht für gewählte Politiker. Es gibt nicht nur Musk, der massiv mit seinen Milliarden die Politik beeinflusst. Im kleineren Maßstab ist das auch gang und gäbe. Das Nachsehen haben diejenigen, die keine Lobby haben, die wenig oder gar kein Vermögen besitzen. Es ist längst wissenschaftlich nachgewiesen, dass, egal welche Parteien gerade regieren, die Politik sich nach den Bedürfnissen der Vermögendsten ausrichtet.[3]

Es ist nur eine Nebenmeldung, dass das öffentliche private Vermögen der Deutschen auf 9.300 Milliarden gewachsen ist. Ein Zuwachs von über 1.500 Milliarden nur in 2024! Die Ausgaben im Bundeshaushalt 2024 wurden mit 476,8 Mrd. Euro veranschlagt. In einem Jahr, was für die meisten Menschen mit steigenden Kosten und weniger Geld verbunden ist – und in dem alle über die Wirtschaftskrise sprechen. Die Hälfte der Bevölkerung besitzt nahezu kein Vermögen, während der größte Anteil der über 9.000 Milliarden sich auf die reichsten 10 Prozent konzentriert. Hätten wir eine funktionierende Demokratie, funktionierende Parteien, eine ausgewogene Öffentlichkeit, dann wäre dies das Hauptthema im Wahlkampf und man würde endlich über die Ursachen sprechen. So weisen wir das weit weg und wenn, dann sind es Ausnahmen. So wie wir auch das Thema Postdemokratie nicht wahrhaben wollen. Doch nicht in Deutschland, in Ungarn könnte man vielleicht darüber sprechen, sagte mir noch vor wenigen Tagen eine Journalistin in einem Gespräch über mein Buch. Doch, hier ganz konkret in unserem Land, haben wir eine marktkonforme Demokratie etabliert, die viele Merkmale der Postdemokratie trägt.

Nach der Postdemokratie

Vor mittlerweile über 15 Jahren bescheinigte Colin Crouch uns die »Postdemokratie«, eine aufrechterhaltene, demokratische Fassade mit freien Wahlen. Dahinter eine schleichende Demontage, zerfallende Diskurs- und Resonanzräume, übermächtige Lobbys. Seitdem haben Soziologen und Politikwissenschaftler den westlichen Demokratien immer wieder attestiert, in einer tiefen Krise zu stecken. Aber auch nach so vielen Jahren bleibt es eine Diskussion unter Fachleuten, die Politik zeigt sich unbeeindruckt, ignoriert den Zustand, der uns letztendlich alle betrifft. Als würden Wissenschaftler über eine sich ausbreitende Krankheit diskutieren, die nur die eine besondere Quallenart befällt.[4]

Die Demokratie passte sich also dem Markt an. Genauer gesagt einem Teil davon, den großen, einflussreichen Playern. Kleine Unternehmen und Selbstständige müssen sich weitestgehend ohne Unterstützung und ohne großen Einfluss den harten Gesetzen des Marktes unterwerfen. Je größer der Player, desto mehr bestimmt er die Regeln, desto mehr Vergünstigungen bekommt er, desto eher wird er vom Staat gerettet, sollte er trotz der ganzen Vorteile alles in den Sand setzen, wie die Banken in der Globalen Finanzkrise 2007/2008 – »too big to fail.«

Damit kommen wir zum Kern. Die Demokratie wird so lange hingenommen, wie sie die Profite einiger sichert, wie sie dafür sorgt, dass der Reichtum von Wenigen nicht nur unangetastet bleibt, sondern sich vergrößert, ganz egal, wer dafür bezahlen muss, ausgeraubt oder belastet wird. Es geht dabei nicht mehr um das allgemeine Wachstum und auch nicht den Markt an sich. Das Zweckbündnis, das der Kapitalismus mit der Demokratie geschlossen hat, um den Sozialismus abzuwehren und zum Teil, um Wohlstand zu generieren, hat seine Notwendigkeit verloren. Das, was mal als »sozial« galt an der Marktwirtschaft, wurde schon lange aufgekündigt und ist heute nur noch ein Mythos. Ähnlich ergeht es jetzt dem »demokratischen« Teil unseres Systems. Der Finanzkapitalismus, die Oligopole und größten Marktteilnehmer brauchen keine wirkliche Demokratie mehr, höchstens noch den Namen. Nach außen wird die Fassade aber aufrechterhalten und betont, dass die demokratischen Parteien doch zusammenstehen sollen.[5]

Demontage, Karambolage, Montage

Ich folge bei meinen Beschreibungen der Spur des Geldes, bringe einige Beispiele und eigenen Erfahrungen an, die ich in 19 Jahren Bundestag erlebt habe. In einem Kapitel beschreibe ich, wie ich selbst fast zu einem Lobbyisten wurde, wie man nach und nach in den Einflussbereich der Lobby geraten kann. Gerade die Verbreitung und Vielfältigkeit des Lobbyismus setzt auf die Korrumpierung nicht nur in der Politik. Die Medien, die Wissenschaft: am Ende ist die gesamte Öffentlichkeit davon nicht ausgenommen. Der Profitlobbyismus hat eine massive Wirkung auf die Demokratie. Aus der Demontage entstehen Karambolagen, die wir zwar wahrnehmen, aber sie immer noch vor allem anderen Ursachen zuordnen.

Nichts weniger als eine permanente Revolte ist notwendig. Diesen Begriff entlehne ich Albert Camus und mit einem Zitat von dem Literaturnobelpreisträger beschließe ich das Buch und auch diesen Text:

»Die wahre Großzügigkeit der Zukunft besteht darin, in der Gegenwart alles zu geben. Die Revolte beweist dadurch, dass sie die Bewegung des Lebens selbst ist und dass man sie nicht leugnen kann, ohne auf das Leben zu verzichten«.

»Korrumpiert. Wie ich fast Lobbyist wurde und jetzt die Demokratie retten will« von Marco Bülow erscheint morgen im Handel. Ist aber schon heute bei den Buchkomplizen vorbestellbar.

 

Fußnoten

[1] Marco Bülow: Korrumpiert. Neu-Isenburg, 2025, S. 20.

[2] Ebd., S. 20-21.

[3] Lea Elsässer: Wessen Stimme zählt. Frankfurt a. M. 2018

[4] Ebd. S.88

[5] Ebd. S. 88-89

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24 Kommentare

  1. Die Olympia Koalition hat sich durch ihre Korruption delegitimiert warum sollte die Wähler*Innen nur eine der im Bundestag vertretenen Parteien noch mal wählen?

    Jede Wahl seit der Wiedervereinigung bestätigt den Niedergang der deutschen Demokratie überlegt mal welche Chancen in den letzten 30 Jahren vertan wurden.

    Die Einfachsten Probleme werden nicht mehr bewältig!

  2. Ganz einfach weil es diesen Politikern nicht um die Probleme im eigenen Land geht und auch nicht um Demokratie es geht nur darum ja weiter am Ruder zu bleiben und die Menschen weiter zu verdummen Hetze überandere Parteien zu verbreiten.Und unsere Steuergelder zu verplempern und sich anschließend wieder selbst zu bedienen in vorm von Diäten die ihnen gar nicht zustehen.Im Gegenteil für den Blödsinn auch in der Migration müssten die noch Geld mitbringen.

  3. Das Bashing der AFD zeig deutlich auf, dass in der Politik und auch in den Medien sehr
    viele den Verlust ihrer Pfünde befürchten. Ich kann nicht in die Zukunft blicken, was mit
    derAFD als Führungspartei mit Deutschland geschieht. Ich kann nur das sehen, was die AFD
    in der Vergangenheit getan hat: Sie hat als einzige Partei die Corona Maßnahmen abgelehnt.
    Sie ist als einzige größere Partei gegen den Ukraine Krieg. Sie ist als einzige Partei für eine
    Vernünftige Regulierung des Migranten Zustromes. Sie ist als einzige Partei dafür, die Befugnisse
    der EU zu beschneiden. Sie ist als einzige Partei dafür, die Bundeswehr wieder auf die Verteidigung
    zu verlegen. Die hier von den Foristen immer wieder als abwertend angegebenen 5% Wehretat
    sollen nur für die Verteidigung investiert werden und nicht für Kriegsspiele in aller Welt. Dazu hat
    sie in den vergangenen Jahren durch eine große Anzahl von Kleinen Anfragen im Bundestag, viele
    Dinge die die Regierung verschlampt und unter den Teppich gekehrt hat, aufgedeckt.
    Wenn sich nach der Wahl nicht grundsätzlich in der deutschen Politik etwas ändert und da besteht
    nur mit der AFD die Chance, dann werden wir in 4 Jahren nicht mehr wählen müssen, oder können.

    1. „Ich kann nicht in die Zukunft blicken, was mit
      derAFD als Führungspartei mit Deutschland geschieht. Ich kann nur das sehen, was die AFD
      in der Vergangenheit getan hat: Sie hat als einzige Partei die Corona Maßnahmen abgelehnt.“

      Nachdem sie sie am Anfang als einzige Partei massiv gefordert hat!
      Die AfD ist ein verlogener neoliberaler Haufen mit etlichen ziemlich rechtsradikalen Mitgliedern, die sich dort Karrierechancen erhoffen.

      Letzteres ist übrigens nicht so ungewöhnlich, da Rechte (also echte Rechte) so ziemlich jede neue Partei anfangs zu unterwandern versuchen, um an Posten zu kommen. Das war in den 80ern bspw. auch bei den Grünen (West) der Fall. Der West-Berliner Verband wurde sogar wieder aufgelöst, weil zuviele Rechte die Offenheit nutzten, um die Partie quasi feindlich zu übernehmen.

      Aus dem Grund ist man auch beim BSW derzeit noch so streng bei der Aufnahme neuer Mitglieder.

      1. Von links werden Parteien genauso unterwandert. Siehe die Versenkung der Piratenpartei. Kommt wohl darauf an welche Gruppe schneller ist sich breitzumachen?

      2. Wer (und was) war denn in den 80ern aus der Perspektive der Grünen „rechts“? Auf einer Wahlkampfveranstaltung der gerade neu gegründeten GAL mit drei der damals in Hamburg führenden Grünen, ging es primär um die „Notwendigkeit der Zerschlagung der bürgerlichen Familie“, die mitgebrachten Flyer stammten noch von einer der K-Gruppen, für die die Herrschaften zuvor unterwegs gewesen waren. Aus deren Perspektive war >99% der Bevölkerung „rechts“. Gab auch vereinzelt wirklich Grüne in der Hamburger Führung (z.B. Thea Bock), aber das war eine Minderheit. Kann aber anfangs lokal sehr unterschiedlich gewesen sein.

    2. Gegen wen müssen wir uns denn verteidigen, gegen Polen, Tschechien, Österreich und so weiter? Oder doch gegen die Iraner? 5%, das war mal der maximalwert während des Kalten Krieges ich glaube in den 60er Jahren.

    3. Die AfD als Partei zu verkaufen, die, an der Regierung, die relevanten Probleme lösen und das Land wieder auf den richtigen Weg bringen würden, ist nach meiner Ansicht ein Zeichen von Dummheit oder von Unlauterkeit.
      Warum? Unter den neoliberalen Parteien ist sie die radikalste. Nachzulesen in ihrem Wahlprogramm. Da ist vom Abbau von Regulierung die Rede. Wohlgemerkt von solchen, die dem Kapital Grenzen setzen sollen. Da ist von Steuersenkung die Rede. Was weit überwiegend diejenigen begünstigt, die viel verdienen und/oder grosse Vermögen haben. Wovon sie nicht reden ist, dass die öffentlichen Ausgaben sinken sollen – bis auf die Ausgaben für Militär und Rüstung. Das wird nicht ohne Sozialkahlschlag zu machen sein. Ihr grosses Vorbild Trump macht Ihnen zudem vor, wie man es macht: sich aus dem Staatssäckel zu bedienen. Mit einer Unverfrorenheit, die ihresgleichen sucht.

  4. Blockflöten-Regierung???
    Das wäre eine berechtigte Frage.
    Zitat:
    „Verkommt der parlamentarische Pluralismus gar zu einer Volkskammer 2.0 à la DDR, wo alle „Parteien der demokratischen Mitte“ als Blockparteien eine einheitliche Meinung vertreten und Beschlüsse in ihrem Sinne zu fassen‘

  5. „Legale Korruption“

    Warum muß ich jetzt an Ursula von der Laien denken? Die war schon vor ihrem Wegloben nach Brüssel zur Persona non grata geworden, weil sie als „Verteidigungsministerin“ zig Millionen an „Beratungsfirmen“ vergeben hatte, in der Regel ohne Ausschreibung. Und als EU-Kommissionspräsidentin warf sie zig Milliarden für den Pfizer-Deal zum Fenster hinaus. Per Geheimabsprache mit dem Pfizer-Chef persönlich für „Impf“-Dosen, die schon damals absehbar niemand mehr brauchen würde. 35 Milliarden Euro Steuergelder für 1,8 Milliarden Dosen, was noch mal 4 Dosen für jeden EU-Bürger vom Säugling bis zum Greis wären…
    Die SMS/Whatsapp-Nachrichten löschte sie anschließend und verweigert seitdem jede Stellungnahme gegenüber dem EU-Parlament, obwohl sie dazu verpflichtet ist. Aber auch ein (belgisches) Gericht hat die Ermittlungen eingestellt.

    So geht das in einer „Demokratie“!

      1. Richtig. Und dabei war das noch nicht mal ihr Zuständigkeitsbereich.
        Schon damals sollte ein staatlich kontrolliertes Zensursystem im Internet eingeführt werden, das jeglicher öffentlicher Kontrolle entzogen gewesen wäre.

        Außerdem schaffte sie das Erziehungsgeld ab, von dem vor allem ärmere Haushalte profitierten, udn ersetzte es gegen ein einkommensabhängiges „Elterngeld“, das deswegen als „Akademikerinnenwurfprämie“ verspottet wurde, und erwartungsgemäß die Geburtenrate weder insgesamt noch bei der gewünschten Klientel erhöhte. Und schließlich „erhöhte“ sie erstmals seit Einführung die Regelsätze von HartzIV – um satte 5 Euro, indem sie Alkohol, der nie im Regelsatz eingepreist worden war, „streichen“ und ein paar Flaschen Mineralwasser draufrechnen ließ.
        Und sie schuf ein bürokratisches Monster für einen „Bildungsgutschein“ für ALG2/Sozialgeld-Kinder. Wörtlich die Ministerin im Bundestag dazu: „Weniger Bürokratie war noch nie!“

        https://youtu.be/to_3ZykGIEk

        Und dann wurde sie zur „Flinten-Uschi“….

          1. Eben geschickt eingefädelt. Ungewählt schwingt sie sich zur Alleinherrscherin der EU auf sn allen Gesetzen vorbei. Und niemand hält sie auf oder zieht von der ähm Leyen zur Verantwortung. Da fragt man sich wer das so unverfroren sogar ohne Demokratietünche machen lässt?

  6. Alles irgendwie richtig, was der Marco beschreibt. Aber diejenigen, die zu hunderttausenden auf die Straße gehen, um „unsere Demokratie“ zu verteidigen, betrachten die Verhältnisse offenbar ganz anders. Sie reden nicht von einer „Postdemokratie“, auch wenn in diesem links-liberalen Milieu vielfach auch im Namen von „Solidarität“ und „Klimagerechtigkeit“ die globalen Eliten ebenfalls am Pranger stehen. Freilich sind diese Leute dieselben, die in den Corona-Zeiten mit an vorderster Stelle die „Solidarität“ einforderten und die Kritiker einfach „rechts“ verordneten und bis heute bekämpfen.

    Im übrigen : Man vergesse nicht die „kleine“ Korruption derjenigen, die entweder mit gut und sehr gut bezahlten Jobs tragende Teile des Systems sind. Aber auch nicht die Heerscharen derjenigen, die deutlich weniger gut entlohnt die ganze Propaganda mittragen in den vielfältigsten Stiftungen und NGOs und Medien und Unis, die das „demokratische Leben“ wesentlich und lautstark bestimmen. Oft im Hintergrund bezahlt von den wirklich Mächtigen. Was einmal „das linke Lager“ war, das findet sich heute auf beiden Seiten, mengenmässig aber sehr unterschiedlich verteilt.

    1. Die dort zu hunderttausenden auf die Straße gehen bemerken leider nicht, dass sie genau das befördern und unterstützen, was sie vorgeben abzulehnen. Es ist nicht ganz leicht zu verstehen und schwer zu ertragen, aber so verdreht funktioniert der Mensch im Zustand des Massenwahns. Er will eigentlich das Gute, schafft jedoch durch seine Angst und sein Bedürfnis moralisch zu urteilen, das Schlechte. Wir befinden uns seit der Corona-Zeit in diesem gefährlichen gesellschaftlichen Zustand. Hermann Broch, Hannah Arendt und Karl Popper haben ihn ausführlich beschrieben.

    2. Die auf der Straße sind machen Wahlkampf für die Linken. Ein Verwandter von mir war in einer Buchlesung/Wahlkampfveranstaltung mit Gregor Gysi. Ich bekam ohne Vorwarnung das Selfie unter die Nase gehalten verbunden mit „Parteiauftrag“ mich bei der „Linken Szene“ zwecks Demonstration gegen die Rechten zu melden und doch bitte die „Silberlocken-Fraktion“ zu wählen. Also plumper Wahlkampf verbunden mit der geschürten Angst vor den Rechten was vor allem bei jüngeren und den „Omas gegen Rechts“ zieht – aber nicht mehr bei mir.

      Am selben Wochenende fand der Auflösungsparteitag der „Jungen Alternative“ ein paar Kilometer Luftlinie von hier statt – 1500 Menschen „Gysis linke Szene“, die natürlich aus den Nachbarstädten kam und ohne mich, hat dagegen protestiert – und ein Schlachtfeld in der Stadt hinterlassen. Es wird noch immer darüber diskutiert, Häuser-Fassaden wurden mit Graffities eingedeckt, das Tagungsgebäude wurde mit Kot beschmiert und selbst das Denkmal für die Faschismus-Opfer bekam seinen Anteil ab.

  7. Auch wenn es sicherlich um Werbung für das eigene Buch geht, ein treffender Artikel. Und ein schöner Schlußsatz.
    An diesen Verhältnissen wird sich allerdings so lange nichts ändern, wie ein Großteil der Menschen an eine grundsätzliche Integrität der Polit- und Mediendarsteller oder sogenannte Philanthropen glaubt und diesen vertraut, auch wenn sie noch so erkennbar dem eigenen Vorteil verpflichtet sind. Man könnte jetzt auch ein wenig defätistisch sagen : solange sie sich weiter verarschen lassen. Es ist schon klar, daß kein Mensch all die Hintergründe durchschauen kann oder die Zeit und die Kraft hat, stundenlang zu recherchieren.
    Aber mir stellt sich trotzdem immer wieder die Frage : wieviel braucht’s denn noch, bis ihr mal anfangt, aufzuwachen (und damit möchte ich mich keineswegs über andere stellen oder selbst als ‚Aufgewachten‘ darstellen) ? Fragen zu stellen ? (Ernsthaft) Zu kommunizieren ?

  8. Hier eine zusätzliche, weiter gefasste Perspektive zum Aspekt „Korruption BRD“ die in allen Schulen unterrichtet werden sollte, zusätzlich zu Herrn Bülows Forschungsarbeit.

    Eine Studie von Ivo Engels von 2019. Natürlich ist dies nur ein zurückhaltender Ansatz. Man müsste auf dieser Grundlage das gesamte Wirtschaftsgebaren im westlichen Kapitalismus innerhalb der akademischen Forschung normativ neu deuten und darstellen.

    Eine komplette Revision seit 1945/1949. Aber irgendwo muss man beginnen. Und auch diese Rezension ist nun schon 5 Jahre alt. Forschungsgelder wird man nun eher eintreiben durch „Aufklärung“ über so totalitäre Orte wie Russland oder China oder Nordkorea oder den Iran oder Kuba. (Wen hab ich vergessen?).
    Nicht die märchenhafte BRD.

    Siehe dazu z.B. das erschütternd bornierte Cheerleading der deutschen Medien gegenüber Minister Habeck, der einen Pfad der Zerstörung durch Unfähigkeit und eben Korruption hinterlassen hat in seinem neu geschaffenen Superministerium.

    Nur ein Stichwort – „Nordstream 2“ – und der eigentlich hochillegale Einsatz des internen Nachrichtendienstes gegen seine Ministeriumsmitarbeiter, die das kranke Agieren gegen Russland schlicht nicht mittragen wollten. Also erfand Habeck die Lüge, es handele sich dabei um russiche Agenten, um sie mundtot zu machen.

    Dank medialer Komplizenschaft (deren unfähige Berichterstattung in dieser Affäre ein eigenes Buch verdienen würde) klappte Habecks Charade ganz ausgezeichnet.

    Der Rest is Geschichte und tief vergraben unter den Tonnen von Regierungsakten und Geröll auf dem Meeresgrund.

    Dazu noch indirekt der Hinweis zur Arbeit des Ökonomen Michael Hudson.

    Hier nun der eigentliche Gegenstand des posts:
    „Alles nur gekauft?. Korruption in der Bundesrepublik seit 1949“

    Fachrezension (vom sonst fürchterlich zionistischen und fürchterlich russophoben HSOZKULT-Portal – aber man nimmt was man kriegt):
    https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29653?title=j-i-engels-alles-nur-gekauft

    Unter anderem schreibt der angetane Rezensent, Thorsten Holzhauser, wie folgt (- es geht dabei um eine Umdeutung der Begriffe. Praktisch wie heute „Reform“ das Gegenteil dessen meint, was es als Wort intendiert)

    p.s.
    (mehr links zum Rezensenten:
    https://www.hsozkult.de/person/beitraeger-66878 )

    „(…) Engels‘ Befund, dass Korruption in der frühen Bundesrepublik eine vergleichsweise geringe Rolle gespielt habe, bedeutet daher auch nicht, dass es sie nicht gegeben hätte. Stattdessen arbeitet das Buch sehr gut heraus, wie die politischen und medialen Eliten der Ära Adenauer darin übereinstimmten, dass eine allzu starke Thematisierung oder gar Skandalisierung von Korruptionsfällen die junge Demokratie gefährden und antidemokratische Ressentiments reaktivieren würde. Stattdessen gelang der jungen Bundesrepublik ein diskursiver Coup: Korruption wurde als wesentliches Kennzeichen totalitärer Regime interpretiert und die parlamentarische Demokratie nicht mehr, wie noch zu Weimarer Zeiten, als Hort der Korruption be-, sondern als Gegenmittel zu ihr verschrieben. Die zurückhaltende, von Engels etwas beschönigend als „sachlich“ bezeichnete Art, in der Korruptionsfälle in der frühen Bundesrepublik medial verhandelt (oder nicht verhandelt) wurden, hatte daher viel mit dem Ringen der Westdeutschen zu tun, sich vom NS-Regime zu distanzieren und zugleich eine neue Demokratie aufzubauen. Um diese zu stützen, kreierten Medien und Politik eine Vorstellung von einer vermeintlich korruptionsfreien Bundesrepublik. Diese wurde auch durch die Großaffären um die gekaufte Hauptstadt-Entscheidung, die Einflussnahme von Auto- und Rüstungsindustrie oder das gescheiterte Misstrauensvotum gegen Willy Brandt nicht erschüttert. Die Verbindungen eines Abgeordneten der Christlich Demokratischen Union zu einem Wirtschaftsunternehmen, die im Jahr 2020 den „Eindruck der politischen Käuflichkeit“2 erwecken, hätten in der frühen Bundesrepublik wohl kaum zu medialer Aufregung geführt. Erst die Flick-Affäre der 1980er-Jahre, so Engels, habe ein größeres Umdenken zur Folge gehabt und den Mythos von der unkorrumpierbaren Bundesrepublik nachhaltig erschüttert. Dies wiederum ereignete sich vor dem Hintergrund eines Wandels des Politischen, in dem neoliberale Staatskritik, populistische Parteienkritik und globale Antikorruptionspolitik zusammenkamen.
    (…)
    Zu den aufschlussreichsten und brisantesten Passagen des Buchs gehört der längere Exkurs zur Herausbildung einer neoliberal inspirierten Antikorruptionspolitik in den 1990er-Jahren, einem „Jahrzehnt der Korruptionsobsession“ (S. 170). Wissenschaften, Unternehmen, Regierungen und internationale Organisationen wie Weltbank, Internationaler Währungsfonds und Transparency International setzten das Thema Korruption auf die internationale Agenda und sagten dem „Krebsgeschwür“ (Weltbank-Chef Wolfensohn) den Kampf an. Sie wurden so zu Akteuren einer sich global entwickelnden „Antikorruptionsindustrie“ (Steven Sampson). Hatte sich die westliche Korruptionskritik traditionell aus einem kapitalismuskritischen Geist gespeist, so galt in den 1990er-Jahren das Gegenteil: Korruption wurde zum Beweis für negative Einflüsse des Staates, zum politischen Instrument, um politische und ökonomische Reformen durchzusetzen, und zur „Erklärung für das Versagen der Marktwirtschaft in den Ländern des Übergangs“ (S. 199): Nicht der Markt war schuld, sondern die Korruption staatlicher Eliten.
    (…)“

  9. „Der Profitlobbyismus“

    Danke für diese Begriffsprägung – denn es ist wichtig, diese asoziale Form des Lobbyismus von der anderen, legitimen Form unterscheiden zu können.

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