Im Parteiwahlkampf der regierenden LDP überbieten sich die Kandidaten mit spektakulären Wahlsprüchen. Doch die Möglichkeiten für einschneidende Reformen sind für die Politik begrenzt.
Selten hat man die regierende Liberaldemokratische Partei (LDP), die seit 1955 Japans politische Geschicke fast im Alleingang bestimmt, in einem Parteiwahlkampf so herausgefordert und angegriffen gesehen wie diesmal. Neben den Dauerkrisen der letzten Jahrzehnte wie sinkende Geburtenraten und wirtschaftliche Stagnation, für die die Partei verantwortlich gemacht wird, kam letztes Jahr ein Spendenskandal hinzu, der die Popularitätswerte der LDP abstürzen ließ. Ein Krisenbewusstsein durchzieht denn auch den Wahlkampf, bei dem am 27. September der Vorsitzende der LDP neu bestimmt werden soll. Dieser wird gleichzeitig neuer japanischer Premierminister, da der bisherige Fumio Kishida seinen Rücktritt eingereicht hat.
Heiße Luft
Nicht weniger als neun Kandidaten haben sich für den Urnengang eintragen lassen. Im Wahlkampf, der am vergangenen Donnerstag begonnen hat, dominieren zeitgemäße Themen wie politische Reformen und die Wirtschaft. Die Kandidaten spüren, dass die LDP am Abgrund steht und versuchen, durch spektakuläre Slogans auf sich aufmerksam zu machen und eine neue Zeitenwende heraufzubeschwören.
Der 49jährige Takayuki Kobayashi etwa meinte; „Die LDP wird neu geboren werden. Japan soll sich zur globalen Führungsmacht entwickeln.“ Ähnlich klingt es bei Sanae Takaichi – eine von nur zwei Frauen im Kandidatenfeld –, die Japan nochmals an die Weltspitze führen will. Und der Wahlspruch von Katsunobu Kato, dem ehemaligen Kabinettschef, lautet: „Durch Zusammenarbeit zu einem neuen Japan.“
Doch diese Statements sind mehr heiße Luft als wahre Absichten. In Japan ist die Politik zu schwach, um selbstständig einschneidende Reformen anzustoßen. Vielmehr agiert sie in einem Netzwerk zusammen mit Wirtschaftskreisen, der Bürokratie und den USA, Japans offizieller Schutzmacht. Letztere legen den Japanern jedes Jahr eine Wunschliste mit Reformvorschlägen vor, die der Inselstaat abarbeiten soll. Das beste Beispiel ist wohl Junichiro Koizumis (Premier von 2001 bis 2006) Postprivatisierung, die ebenfalls Teil der US-Liste war, und zum Ziel hatte, das Geld auf den japanischen Postsparkonten für den US-Markt freizuschalten. Japans Premierminister, die sich gegen die Interessen der USA stellen, werden auf Umwegen meist schnell aus dem Amt gedrängt.
Auch die Beamtenschaft mischt in diesem Machtspiel mit. Bei der Ausarbeitung von Gesetzen ist sie viel stärker beteiligt als etwa ihr Gegenstück in den USA. Doch die japanischen Ministerien verfolgen oft Eigeninteressen und bekämpfen sich gegenseitig, was zukunftsweisende Reformen verzögert oder gar ganz verhindert, wie etwa den Atomausstieg. In dieser Konstellation, die für die Schwerfällikeit des Systems mitverantwortlich ist, ist es schwer, wichtige Veränderungen anzustoßen.
Nur kosmetische Veränderungen
Der einzige LDP-Kandidat, dem der Politikjournalist Koichi Kakutani zutraut, dass er genügend Verstand und Willen hätte, entscheidende Reformen durchzuführen, ist der ehemalige Generalsekretär Shigeru Ishiba. Im Wahlkampf hat dieser bei einem Sieg unter anderem angekündigt, er wolle Japan unabhängiger von den USA machen. Bei den Japanern ist er wegen seiner unkonventionellen Haltung beliebt, doch in der Partei selbst wird er von vielen seiner Kollegen gemieden. Größere Chancen auf einen Sieg werden dem erst 43-jährigen Neoliberalen Shinjiro Koizumi (Sohn vom oben erwähnten Junichiro) eingeräumt, obwohl er wegen seiner Unerfahrenheit etwas an Boden verloren hat. Auch die in den letzten Tagen aufholende Konservative Takaichi liegt gut im Rennen.
Selbst ein Machtwechsel an der Spitze, bei dem eine oder mehrere Oppositionsparteien das Zepter übernehmen, sei keine Garantie für einen Politikwechsel, meint Kakutani. Dies zeigt sich deutlich bei der größten Oppositionspartei, der Konstitutionell-Demokratischen Partei (KDP), die sich ebenfalls im Wahlkampf befindet. Am kommenden Montag soll ein neuer Vorsitzender gewählt werden. Doch die Ziele der vier KDP-Kandidaten gehen nicht über kosmetische Veränderungen hinaus: ein bisschen mehr Umverteilung, etwas mehr grüne Wirtschaft und mehr Diversität in der Gesellschaft. Dies allein wird Japan nicht entscheidend voranbringen.
Dabei versuchte die Vorvorgängerpartei der KDP, die Demokratische Partei (DPJ), beim Machtwechsel 2009, Japan von Grund auf neu aufzustellen. Durch politische Führerschaft sollte die Macht der Beamtenschaft gebrochen werden. Außerdem wollte sich der damalige Premierminster Yukio Hatoyama stärker nach Asien ausrichten und der USA als gleichwertiger Partner begegnen. Doch bereits nach neun Monaten, als Hatoyama zurücktrat, wurden die „Experimente“ abgebrochen. Der neue Premier Naoto Kan rückte die Zusammenarbeit mit den USA und vor allem dem mächtigen Finanzministerium wieder ins Zentrum der Politik. Danach haben die DPJ und ihre Folgeparteien nie mehr Programme vorgelegt, die die Ziele von 2009 wiederaufgenommen hätten.
Kaizen durch Karōshi 🥰
Japan ist genauso wie Deutschland gänzlich ohne Rohstoffbasis und neue Märkte gibt’s auch keine mehr. Zuviel Hikikomori in der eigenen Kapitalismusblase!
Guter Beitrag. 私は理解している
Als ich noch meinen einzigen längeren Angestelltenjob in Suzuka 84 wahrnahm, hatte ich schon dieses Phänomen wahrgenommen.
Obwohl diese Menschen völlig anders drauf sind. als meine Wenigkeit, konnte ich aber trotzdem viel mitnehmen.
Das die aber eine ukrainisch stämmige angeheiratete Schöheitskönigin gewählt haben, zeigt, das auch dort, traditionelle Werte sich wohl auch in Auflösung befinden.
Schöne Sprache übrigens.
Japan und die EU haben das gleiche Problem. Und das ist die Rolle als Vasall der USA. Erst wenn beide verstanden haben, dass sie sich in jeder Hinsicht von den USA emanzipieren müssen, um wieder im Konzert der großen Player mitspielen zu können, dann werden sie Erfolg haben….Oder sie zerfallen…
Der Zug, äh Shinkansen, ist abgefahren.
Da sind die anderen Asiaten schneller auch ohne Shinkansen.
Japan hatte nach dem Krieg eine strikte Begrenzung des Rüstungsbudget auf 1%. Diese hat man jetzt aufgegeben.
Bekanntlich gehts mit der Wirtschaft aufwärts wenn man das Geld dareinsteckt, oder so ähnlich…
Haben sie bestimmt von unserer Ampel gelernt.
Nein, auf Druck der Amis, weil auch die seit Hiroshima diesbezüglich das Sagen haben.
Da sieht man mal, es gibt auch brave Völker, die nicht gleich AfD oder BSW wählen. Seit dem Krieg regiert die LDP, also etwa schwarz-gelb bei uns. Da gab es keine Querdenker. Migration ist kein Thema, sie lassen niemand herein. Wodurch sie nun aber überaltern.
Ist aber meiner Meinung nach nicht die Hauptsache. Bei uns scheitert es doch überall am Geld. Kitas sind geschlossen und nicht kostenfrei. Die Brücken brechen zusammen, die Bahn pfeift auf dem letzten Loch. Das alles, weil es vor über 100 Jahren eine Inflation gab, die bis heute die Leitplanken der Politik bestimmt. Schuldenbremse und dann noch Hochzins. Man sieht, was dabei heraus kommt.
Anders Japan. Das Land war schon Anfang der 90-er mit 100 Prozent eines BIP verschuldet. Ganz schrecklich damals. Seither geht man wie folgt vor: die Bank of Japan hält die Zinsen niedrig, einerseits. Dann gibt der Staat Anleihen heraus, die die Bank of Japan dann kauft. Der Staat hat damit immer Geld, um seine Vorhaben zu finanzieren. Ohne dass das Verfahren sichtbare Nachteile hat.
Japanische Eleganz indes hat bei uns keine Chance. Inflationsangst ist bei uns Staatsräson und man darf gegen deren Diktat nicht aufmucken.
Vom schönen Schein allein,
kauft sich nichts ein.
Irgendwo müssen da die Schulden sein.
Wo haben sie sich nur versteckt,
dass niemand diese je entdeckt?
Im Keller der Bank of Japan lagern sicher nicht die Schuldverschreibungen des Staates.
Vielmehr wird sie diese Papiere an Dritte verkaufen.
… und diese Dritten sind zufrieden,
wenn sie ihre Zinsen kriegen.
Daraus ergibt sich ein Dauerschuldverhältnis, das die Japaner abarbeiten müssen.
Wie lange das gutgeht, weiß keiner. Sobald Blackrock&Co nasse Füße bekommen, platz das System
weil der Wechel nicht gedeckt ist.
Da sieht man eben Deine urdeutsche Sozialisation, die dann den Schäuble möglich gemacht hat.
Die BoJ kauft die Anleihen und die liegen dann da. Das erhöht formal gesehen die Geldmenge, aber weil die da immer nur liegt, wird sie nicht inflationswirksam. Und die liefen da für alle Zeiten.
Cool bleiben rentiert sich. Hingegen Schäuble führt in den Abgrund.
Dazu ein paar interessante Zahlen:
Statistisches Bundesamt
Die meisten G20-Staaten wiesen neben dem Finanzierungsdefizit für das vergangene Haushaltsjahr auch einen hohen Bruttoschuldenstand auf. Dazu zählten insbesondere Japan, dessen Schuldenlast im Jahr 2023 über 250 % des Bruttoinlandsproduktes betrug.
2023 Japan Deutschland USA
Einwohner (in 1000) 124.517 84.482 334.915
Bruttoinlandsprodukt (Mrd. US$) 4.213 4.226 27.358
BIP je Einwohner nominal (in US$) 33.806 52.727 81.632
… internat. US$ = Kaufkraftindikator 52.215 65.584 81.632
Bruttoschuldenstand (% des BIP) 252,4 64,3 122,1
… (in Mrd. US$) 10.634 2.717 33.404
. .. je Einwohner (in US$) 85.326 33.903 99.673
(Mrd. – US$)
Warenexporte 718 1.697 2.019
Warenimporte 752 1.469 3.168
Außenhandelsbilanz -34 228 -1.149
Größter Handelspartner China USA China/Kanada
Man erkennt deutlich, dass Japan aufgrund seiner Verschuldung keine großen Sprünge machen kann und das politische Handeln dadurch recht eingeschränkt ist. Im Verhältnis zu China gibt es eine gewisse Abhängigkeit, weil China der größte Handelpartner ist und die zunehmende US-Sanktionspolitik sich hier deutlich bemerkbar machen würde. Noch deutlicher erkennt man allerdings, dass die Verschuldung der USA so erheblich ist, dass auch hier erhebliche Probleme zum tragen kommen, wenn die Dollardominanz durch eine BRICS Alternative Schaden nehmen würde. Zugleich schaden sich die USA selbst, wenn sie einen ihrer größten Handelspartner zu einem Konfliktfall machen sollten. In diesem Falle müssten sie einen Ausgleich schaffen und dazu bietet sich die EU mit ihren Sicherheits und Energieproblemen geradezu an. Das bestehende Russlandproblem muss also noch recht lange am köcheln gehalten werden. Zugleich muss die EU als möglicher Konkurrent auf den Weltmärkten geschwächt und in eine größere Abhängigkeit von den USA gebracht werden. Speziell Deutschland mit seinen Handelsüberschüssen ist dabei im Fokus.
“was zukunftsweisende Reformen verzögert oder gar ganz verhindert, wie etwa den Atomausstieg”
Seltsame Vorstellung von zukunftsweisend.
In allen anderen Belangen des Alltags ist Japan Deutschland sowas von voraus, dass man da eigentlich gar nichts mehr vergleichen kann. Hier ist alles kaputt oder marode, in Japan perfekt in Ordnung. Sauber, pünktlich, um 100000 Kilometer besseres Nahverkehrssystem, so gut wie kein Nepp. Wenn ich von Japan nach Deutschland zurückkomme ist das immer so etwas wie ein Kulturschock, zum Schämen, vor allem, wenn an mit Japanern in Dland unterwegs ist.
Die beschriebene japanische Staatsstruktur kommt mir bekannt vor und auch der angebliche demokratische Status ebenso.
Ja im Land des Sonnenaufgang sieht es recht dunkel aus. Der angepriesene Wandel in Japan, könnte tatsächlich eher von statten gehen, wegen der dortigen Demograpie, benötigt aber letztendlich immer noch den Mensch. Viele Arbeiter in Japan kommen aus der asiatischen Nachbarschaft und werden diese einfach Kürzungen hinnehmen oder gehen einfach zurück zur Heimat?
In Bezug auf die Dominanz der Wirtschaftsräume außerhalb Amerikas und Putinistans stachen insbesondere zwei Nationen heraus: Westjapan und Westdeutschland, wobei der Einfluss Ostdeutschland mehr und zurückgedrängt wurde, bis schließlich russischen Oligarchen und erst recht ihren nordamerikanischen Vorbildern der Kragen platzte und diese sich dazu entschlossen, auch im mittel- bis osteuropäischen Kernland opulente Dauerkriege zu etablieren, an denen sich die jeweils beteiligten Rüstungsindustrien inklusive ihrer politischen Vertretungen dumm und dämlich verdienen. Noch mehr Steuermilliarden durch Cum+Cum-Geschäfte oder so weiter zu veruntreuen, ging wegen der hohen Gerichtskosten nicht mehr und daher wurde der Schwerpunkt der Geschäftsaktivitäten wieder mehr in Richtung 3. Weltkrieg verlagert.