Flüchtlinge und Konsequenzen

Thanksgiving-Parade in New York, 1979.
Jon Harder, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Lange kamen die USA mit der Folgen ihrer Außenpolitik kaum in Berührung: Nun aber kommen unzählige Flüchtlinge aus Venezuela ins Land – und sorgen für Ausnahmezustand. Und vielleicht auch dafür, dass Biden Trumps Mauer vollenden wird.

New York ist in diesen Tagen nicht besonders kalt, aber sonnig. Die Heizungen bullern, die Touristen sind geballt zurück und die Stadtverwaltung überschlägt sich in Beteuerungen, dass die traditionelle Parade zu Thanksgiving, die heute stattfindet, sicherer sei denn je. Und natürlich ist sie auch größer als jemals zuvor.

In den Tagen vor Thanksgiving geben viele Institutionen Mahlzeiten an Bedürftige aus; Truthahn, Brotkrumenfüllung, Süßkartoffeln, grüne Bohnen, Cranberrysauce und Kartoffelbrei. So auch unsere Kirche am Times Square. Normalerweise ist das ein lustiger Nachmittag; wir stehen alle an einer langen Theke, drapieren im Takt die Zutaten auf die Teller wie richtige Angestellte im Restaurant und plaudern dazu ein bisschen mit den Gästen.

Hochbetrieb an der Essensausgabe

Viele davon sind arm und schwarz, die Mehrzahl Männer. Für manche ist es ein entspannter Feiertag, wo sie zusammen mit ihren Freunden auftauchen. Anderen sieht man an, dass ihnen die Armut peinlich ist oder dass ihnen die Welt der Essensausgaben fremd ist, weil sie gerade erst ihren Job verloren haben.

Manche sitzen nur still da und fragen irgendwann höflich, ob sie noch einen zweiten Kaffee haben dürfen. Niemand ist unfreundlich. Mehr als 100, 150 Leute stellen sich in die Schlange und wer fragt, bekommt noch eine Mahlzeit mit. Wenn alle weg sind, sitzen wir noch eine halbe Stunde da und essen auch ein bisschen Truthahn.

Das war letztes Jahr. Dieses Jahr: Hochbetrieb. Elf Stunden haben Freiwillige unter der Aufsicht der Köchin dutzende Truthähne gebraten. Die Zutaten liebevoll auf dem Teller zu arrangieren: Keine Zeit. In Doppelschichten füllen wir Styroporcontainer, die zügig weggehen. Vor der Tür: Flüchtlinge aus Venezuela, soweit das Auge reicht, den ganzen Block hinunter bis zur Ninth Avenue und noch weiter.

Die meisten sind Frauen, viele haben Kinder dabei, viele davon im Kinderwagen, Säuglinge darunter. Für die Kindergartenkinder ist es ein Abenteuer, auf den New Yorker Straßen herumzuturnen, für die Mütter nicht so sehr. Alle sehen nach Mittelklasse aus, weiß die meisten, ordentlich angezogen, aber müde. Sehr müde. Fast niemand spricht englisch. Alle sehen erleichtert aus, wenn sie endlich drankommen und die Styroporcontainer mit Truthahn und Beilagen mitnehmen.

Folgen der US-Sanktionen gegen Venezuela

Drinnen wuchten wir die heißen Stahlwannen herum; zwischendurch gehen uns die Süßkartoffeln aus, dann die Füllung. Aber den Flüchtlingen aus Venezuela ist es wahrscheinlich ziemlich egal, ob es eine traditionelle Mahlzeit ist, und sie interessieren sich auch nicht sonderlich für die schöngeföhnte Thanksgiving-Geschichte mit den Pilgern und den Indianern vom Stamm der Wampanoag.

Mehr als eine Stunde später als in den Jahren zuvor, haben wir fast 600 Mahlzeiten ausgeben und sind völlig schlapp. Essen ist keines mehr übrig und wir alle sollten längst irgendwo anders sein, deshalb verlaufen wir uns rasch ohne weitere Worte.

Sieben Millionen Menschen haben Venezuela verlassen; meistenteils den Sanktionen der USA geschuldet, die Druck auf die sozialistische Regierung ausüben und sie stürzen wollen. In Venezuela ist das Gesundheitssystem zusammengebrochen, die Säuglingssterblichkeit hat sich verdoppelt, viele sind völlig verarmt.

Auch aus anderen Ländern fliehen Millionen von Menschen, aber von denen hat sich Amerika sehr erfolgreich abgeschottet, all diese vielen Kriegsjahrzehnte lang. Aus dem Irak, Afghanistan, Syrien schafften es allenfalls ein paar zehntausend, alle sorgfältig geprüft und solange wie es irgend ging, ferngehalten. Als Geste nehmen die USA in diesem Jahr zwar Ukrainer auf, aber nur ein paar tausend.

New Yorker Ausnahmezustand

Die Flüchtlinge aus Venezuela aber kommen über Land und wurden lange von Mexiko durchgewinkt. Sie landen im Süden, aber die Gouverneure, allen voran Ron DeSantis in Florida haben sie nach New York geschickt, in den Norden, um den Immigrations-Befürwortern zu zeigen, was eine Harke ist. Darüber regten sich viele auf, aber wahrscheinlich wären die so oder so gekommen. Wenn sie am Busbahnhof der Port Authority anlanden, bleiben sie, denn da Amerika keine diplomatischen Beziehungen mit Venezuela hat, kann es auch niemanden dorthin abschieben.

Es ist tatsächlich das erste Mal, seit ich in New York lebe, dass die Stadt den globalen Flüchtlingsströmen in einer sichtbaren, spürbaren Art ausgesetzt ist. Wo wohnen die Venezolaner?

Die Stadt ist verpflichtet, Flüchtlinge unterzubringen. Alle Obdachlosenheime sind überfüllt. Der Wohnungsmarkt spielt noch verrückter als sonst. Bürgermeister Eric Adams hat den Ausnahmezustand erklärt, ganze Hotels angemietet, lässt Zeltstädte bauen, und überlegt, Kreuzfahrtschiffe zu belegen. Das alles hat ein empfindliches Loch in das Stadtbudget gerissen; es gibt einen Stellen-Stop.

Bidens Mauer?

Noch ist in New York die Hilfsbereitschaft groß. Heute habe ich gesehen, dass Polizisten einer Gruppe von Flüchtlingen die Eisentore zur U-Bahn aufgehalten haben, damit sie nicht bezahlen müssen. Das ist schon ziemlich einmalig. Aber alle gehen stillschweigend davon aus, dass das vorübergehend ist. New York verhandelt bereits mit anderen Staaten, Venezolaner aufzunehmen. Jedenfalls, die afro-amerikanischen Stammgäste, die in der Kirche am Times Square ihren Thanksgiving-Truthahn verzehren, sind nicht so begeistert über die Konkurrenz aus Lateinamerika.

Joe Biden hat, derweil, die Notbremse gezogen. Er hat die Regelungen aus der Trump-Zeit wieder in Kraft gesetzt, Flüchtlinge abzuweisen oder einzusperren, aus Sicherheits- und Gesundheitsgründen. Nun sitzen wieder Hunderttausende hinter der mexikanischen Grenze fest.

An den Sanktionen aber will Biden festhalten, und die Republikaner auch. Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis er die Mauer an der mexikanischen Grenze fertigstellen lässt, und kaum jemand wird protestieren. Amerika macht gerne Weltpolitik, kommt damit aber nicht gerne in Berührung.

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3 Kommentare

  1. Man könnte mit dem Finger auf die USA zeigen, aber das wäre Heuchelei. Jedenfalls hat man noch nichts davon gehört, dass sie die Flüchtlinge genauso bekämpft und verrecken läßte wie der Demokratie-Weltmeister EU.

  2. Biden kann ja mal bei Frau Merkel anrufen und fragen wie die den Flüchtlingsstrom (halbwegs) gestoppt hat.

    Mexiko ist arm und braucht das Geld…..

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