Ein himmelweiter Unterschied

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Die Links-Rechts-Unterscheidung ist heute wichtiger denn je. Dass es der herrschenden Kaste gelingt ihre Politik als „links“ zu verkaufen, stellt einen wichtigen Schritt zu ihrer dauerhaften Machtsicherung dar.

Die heutige Zeit kennzeichnet die große Vereindeutigung. Die Zahl der weltweiten Sprachen verringert sich unaufhaltsam zugunsten einiger weniger Monopolisten und könnte bis Ende des Jahrhunderts halbiert worden sein. Die „internationalen Genusswochen“ der handelsüblichen Supermarktketten sind nichts anderes als das regelmäßige Anpreisen der so beschränkten wie westlichen Fertiggerichtgarde. Auch das Pluriversum des Eros ist längst zum eindimensionalen Pornos profanisiert, der, jeglicher Negativität entkernt, bloßen Fastfood für die Gemächter darstellt. Und das Fernsehen mag Dutzende Krimiserien bereithalten – doch Inhalt wie Charaktere sind dermaßen austauschbar, dass es überhaupt keine Rolle mehr spielt, ob man von SOKO München, SOKO Leipzig oder SOKO Buxtehude wegschaltet. Kurzum: Die große Verflachung und Gleichformung hat alle Lebensbereiche erreicht und während man gerade im Westen gerne Diversity zelebriert, schwindet allerorten die wirkliche Vielfalt. Eigenwilliges wie Urtümliches ist zum so schmerzenden wie bekämpfenswerten Anderen geworden.

Die Sphäre des Politischen ist von dieser Entwicklung keineswegs verschont geblieben. Auch hier feiert die Gleichrichtung fröhliche Urständ. Die Parteien seien austauschbar und ihre Inhalte ein einziger Einheitsbrei, hört man immer wieder – und das nicht zu unrecht. Nicht wenige behaupten gar, dass zwischen „links“ und „rechts“ keine Unterschiede mehr bestünden. Hier zu differenzieren sei überflüssig oder irreführend verlautbart es von der NZZ über Sahra Wagenknecht – die „links“ auch bewusst nicht als Namensbestandteil ihrer neunen Partei führen will, da diese Einordnung mit „elitären Debatten“ in Verbindung gebracht werde – bis hin zu etlichen Kommentatoren im Overton-Forum. Gleichwohl beruht diese Haltung auf einem Trugschluss. Aus der allgemeinen Kartellisierung des Parteiengefüges auf eine angebliche Bedeutungslosigkeit der politischen Koordinaten zu schließen, ist falsch. Mehr noch: sie ist gefährlich. Wer dies tut, geht einer gezielten Strategie der herrschenden Kaste auf den Leim. Doch eines nach dem anderen.

Von Wälzern und Grabenbrüchen

Werfen wir zunächst den Blick in Schmidts Wörterbuch der Politik. Dieses gilt als Standardwerk zur Beantwortung sachbezogener Fragen wie auch zum Erleiden von Haltungsschäden, so man den Fehler begeht es mit ähnlichen Kaventsmännern zusammen den lieben langen Tag mit sich herum zu schleppen. Beim Schmidt findet sich die begriffshistorische Information, dass Zuordnungen wie „links“, „mittig“ und „rechts“ in der Sitzordnung der Französischen Nationalversammlung von 1789 wurzeln. Zur Linken nahmen dort die sogenannten Progressiven Platz, welche die Ideale der Revolution zu verbreiten suchten. „Rechts“ saßen dagegen die konservativen und reaktionären Kräfte, deren Anliegen die Bewahrung der althergebrachten Ordnung war. Obendrein galt „rechts“ damals (wie auch in späterer Zeit) als die „bessere Seite – nach christlicher Lehre beispielsweise sitzt zur Rechten Gottes die Gnade, zu seiner Linken das Gericht“. Somit ging es auch früher nicht bloß um einen trivialen – womöglich gar zufälligen – Akt der Sitzwahl, sondern eine bewusste Handlung. Um eine Ostentation, mit der die Haltungen und Normen der jeweiligen Gruppe zum Ausdruck gebracht werden sollten.

Ließen sich – vereinfacht gesprochen – „links“ und „rechts“ 1789 mittels der Gretchenfrage „Nun sag’, wie hast du’s mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?“ trennen, haben Politikwissenschaftler späterer Jahrhunderte einen ganzen Fragenkatalog entwickelt, mit dem sie ihre Interviewpartner löchern und die politischen Riftzonen einer Gesellschaft kartografieren können. Forscher wollen schließlich auch von etwas leben und deswegen gilt ihnen der „klassische Verteilungskonflikt“ (Schmidt) – beziehungsweise die „soziale Frage“ (De Lapuente) – in Gestalt des Dualismus von Kapital vs. Arbeit heute nur noch als eine Dimension von vielen. Laut Schmidt reiche eine Dimension „zur Charakterisierung des politischen Raumes eines Parteiensystems (…) nicht aus“. Ökologische, regionale und ethnische Präferenzen würden – ebenso wie gesellschaftliche Werte – dergestalt nur unzureichend oder überhaupt nicht erfasst. Selbiges gelte für außenpolitische Präferenzen. Und so hatten bereits Ende der 1960er Jahre Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan im Rahmen ihrer „Cleavage theory“ neben der sozio-ökonomischen Konfliktlinie auch die Dualismen Stadt vs. Land, Zentrum vs. Peripherie und Kirche vs. Staat erörtert. Womit das Ganze freilich recht schnell ausfranzt.

Vom politischen Kompass…

Treten wir daher lieber etwas zurück, zumal in heutiger Zeit ohnehin öfter auf das zweidimensionale Modell des Political Compass rekurriert wird, wenn Parteien politisch verordnet werden sollen. Neben der sozioökonomischen Konfliktachse (Abszisse) führt jener Kompass den Werte-Dualismus libertär vs. autoritär (Ordinate) ins Feld. Für Deutschland – wie viele andere westliche Länder – kann dabei eine Akkumulation der Parteien im ersten Quadranten („rechts-autoritär“) festgestellt werden. Angesichts des „Linksruck“-Geplärres in Gazetten und Foren mag das auf den ersten Blick wohl überraschen – bei genauerem Hinsehen freilich nicht.

Denn SPD und Grüne sind ökonomisch längst zu Union und FDP ins rechte Lager abgewandert. Hartz IV, Rente mit 67 und der aus (neo-)liberalen Wohlfahrtsstaaten übernommene Mindesthohn sind nun einmal genauso wenig linke Wirtschaftspolitik wie Privatisierungen und austeritärer Aderlass – sondern bloß Instrumente zur Kapitalakkumulation und beschleunigten Landnahme. Die AfD wiederum erhält zwar viele Stimmen von Armen und Arbeitslosen, kann mit Forderungen wie Bürger(zwangs)arbeit oder Kirchhofschem Einkommenssteuermodell aber wahrlich nicht als progressive Speerspitze der Arbeiterbewegung gelten. Und die woke „Linkspartei“ preist in ihren Programmen gerne hehre sozialpolitische Prinzipien an – um diese jedoch augenblicklich über Bord zu werfen, sobald Pöstchen und Regierungsbeteiligungen winken. Man will eben zum System dazugehören. Parteiprogramm und Regierungswirklichkeit bleiben zwei Paar Stiefel.

„Aber Herr Ruber!“, erschallt es sodann. „Gesellschaftlich! Gesellschaftlich ist das Land doch nach links gerückt, nein abgeglitten!“ Nun – glauben Sie das wirklich? Sind die Ausweitung der etablierten Massenüberwachung und -kontrolle mittels Otto-Katalog und Zensursula, die Legalisierung der Genitalverstümmelung von Jungen oder Zwangsimpfung und sonstige Pandemiemaßnahmen für Sie sonderlich „links“ ? Oder gar – denn das ist ja die zweite Achse des Modells – libertär? Überhaupt: wer kommt denn hierzulande wirklich in den Genuss der Freiheit? Wessen Grundrechte zählen? Die der Verdammten? Sprich der Hartzer, Obdachlosen, Illegalen, Malocher, Ungeimpften, Nutten – und all der anderen zu Randgruppen, Gefährdern und Schmuddelkindern erklärten? Wenn Sie das glauben, halten Sie wohl auch Drogenverbote und Zwangsdienste für den Inbegriff von Freiheit. Eine Freiheitsvorstellung, die gleichwohl von allen etablierten Parteien geteilt wird (bei Pandemiemaßnahmen wich die AfD wahltaktisch etwas ab). Die bourgeoise Freiheit, die sich ansonsten bloß als autoritärer Züchtigungsmechanismus nach innen (Verdammte im Zentrum) wie nach außen (Verdammte der Peripherie) erweist.

… Identitätspolitik…

Und wo steckt in rot-grünen Forderungen nach Sprechverboten (Cancel Culture, Gender-Zwang), Ess- und Trinkgeboten („Tierwohlabgabe“) oder Bargeldverdrängung bitteschön das Libertäre? Man muss ein sehr befremdliches Politikverständnis haben um diese Entwicklungen gut zu heißen und sie als „libertär“ oder „links“ zu verstehen. Nein, den Adepten jener Vorhaben geht es vielmehr um Identitätspolitik. Das Wort „Identität“ entwickelte sich aber aus dem Lateinischen idem („derselbe“) – und diese Pseudolinken wollen gerade keine Gesellschaft der Freien und Gleichen, sondern dem Bedeutungssinne folgend völlige Übereinstimmung und Ununterscheidbarkeit mit ihren Meinungen und Gefühlen. Sie verlangen absoluten Gehorsam gegenüber ihrer Lehre und den momentan angesagten Moden. Doch Identitätspolitik ist nichts anderes als eine weitere Spielart bourgeoiser Tyrannei. Mitmenschen sind ihr keine Subjekte mehr, sondern zu vereindeutigende Objekte. Und demgemäß schrieben die Herausgeber des Political Compass auch schon vor Jahren über die Grünen:

Es scheint sich um eine Partei mit wenigen feststehenden Prinzipien zu handeln und mit einem beträchtlichen autoritären Einschlag, ablesbar an ihren Versuchen ‘ethisch erwünschtes Verhalten’ gesetzlich zu erzwingen. Es gibt eine überraschende Differenz bei den deutschen Grünen zwischen ihrer Rhetorik und ihren überraschend konservativen Positionen in vielen Sachfragen.

Gut, die Kompass-Ersteller hätten besser „bourgeois“ statt „konservativ“ schreiben sollen. Aber mal weiter zur SPD:

Der Geist von Willy Brandt würde sich vermutlich erstaunt die Augen reiben, wenn er sähe, wie sich die SPD ‘in der Mitte’ positioniert, ein in zunehmendem Maße sinnentleerter Begriff angesichts der unablässigen Rechtsdrift der Bezugspunkte. Dieser Tage würde der größte Teil der Partei mehr Affinität zu einem Tony Blair als zu einem Jeremy Corbyn fühlen.

Nun waren auch Brandt und Corbyn gewiss keine Barrikadenkämpfer, doch der Punkt sollte deutlich geworden sein.

… Scheinfortschritt…

„Aber Herr Ruber, Herr Ruber! Was ist denn mit den ganzen Liberalisierungen? Einwanderungsrecht, Drogen, Sterbehilfe, Abtreibung?“ Nun – machen Sie sich auch hier bitte nichts vor. Diese scheinbar linken Projekte dienen lediglich den Interessen von Kapital und System. Sie sind Ausdruck der Neoliberalyse der vergangenen Jahrzehnte, insbesondere der Kommodifizierung und Regulierung des Lebens bis in die hintersten Winkel hinein.

Massenhafte Zwangswanderung – gerade auch dank der imperialen Ordnungskriege – als „Anwerbeabkommen“ getarnter (Neo-)Kolonialismus sowie vereinfachte Staatsbürgerschaften versorgen die Zentren mit billigem, austauschbarem Menschenmaterial, das sich zum Lohndrücken, Herrschaftssichern wie auch zum weiteren Aufspalten und Aufhetzen der Gesellschaft eignet. Hier geht es nicht um Wahlmigration, die das Individuum in den Mittelpunkt rückt und ihm Raum zur Selbstentfaltung gibt. Andere gesellschaftliche „Liberalisierungen“ verstärken bloß die Tendenzen der Vereinzelung, Antagonisierung und Fetischisierung. Drogenfreigaben verschaffen unter kapitalistischen Auspizien den Magnaten einen größeren Markt, dem Staat fluidere Möglichkeiten zur Massenkontrolle und dem Einzelnen lediglich Ablenkung und Lebensflucht. Vereinfachte Sterbehilfe wiederum zielt vornehmlich darauf ab unnütz gewordene Esser jeglichen Alters schneller entsorgen zu können und „gute Kräfte“ für die Produktion freizusetzen. Wenn Mutti Opi nicht mehr den Hintern putzen muss, kann sie länger in Büro oder Fabrik schuften. Und Abtreibung? Nun, die wandelte sich von einem Signum der Frauenbefreiung zu einem der seit Jahrzehnten um sich greifenden Medikalisierung. Zum Verbrauchsgut, zum bloßen Fetisch im Kosmos des technokratischen Medizinapparats. Ein weiteres Mosaiksteinchen im Zur-Ware-Werden von Leib und Leben. Pasolini hatte mit seinen Einwänden nicht so unrecht.

Diesen kurzen Abriss will ich übrigens nicht als Einwand gegen Abtreibung, Drogenfreigaben, Sterbehilfe oder sonstige Liberalisierungen verstanden wissen – sondern bloß als weitere Argumente gegen das herrschende System und seine weltanschaulichen Prinzipien. Denn unter dessen Bedingungen erleiden solche Projekte allesamt Schiffbruch und erfahren lediglich die Umwertung aller Werte. Unter dessen Bedingungen wird jedes Programm und jede Partei kapitalistisch vereindeutigt und herrschaftskonform normiert – oder massiv bekämpft, so sie sich nicht zu den gängigen Lehrsätzen bekennt. Und wie lauten diese? Nun, formulieren wir es mal so: Wer im heutigen Westen ökonomisch nicht neoliberal, außenpolitisch nicht imperial (pro-EU, -NATO und -Aufrüstung) und gesellschaftlich nicht identitär (pro Genderismus, Globalismus, Pandemismus) tickt, der hat es verdammt schwer.

… und politischem Kartell

Vor diesem Hintergrund bestehen die Unterschiede zwischen Grünen und Union oder SPD und FDP – wenig überspitzt – einzig noch darin, ob Windräder 500 oder 1.000 Meter vom nächsten Haus gebaut werden sollten. Ob man Kiew fast alle Waffen liefern soll, die man in hiesigen Depots so findet, oder lieber sämtliche Mordwerkzeuge im Henkelkorb mit Schleifchen vorbeibringt. Und ob die faulen Hartzer morgens um fünf sturmgeweckt zum Arbeitsdienst gekarrt gehörten oder lieber nach einem stärkenden veganen Müsli um halb zehn zum Bewerbungstraining. Es ist diese politische Vereindeutigung, die nicht wenige glauben lässt, es gäbe keine Unterschiede zwischen „links“ und „rechts“ mehr.

Machen wir uns also nichts vor: statt mit der viel beschworenen meinungspluralistischen Parteienlandschaft haben wir es mit einer Zusammenballung zutiefst autoritärer Kräfte zu tun, die als Interessensvertreter der heterogenen Elitengruppen deren Ordnung nach außen zu vertreten und zu verteidigen suchen. Kräfte, die sich untereinander absprechen, Wettbewerb und Konkurrenz ausschalten und den Meinungskorridor auf Schießschartengröße verengt haben. Systemerhaltende Kräfte. Ergo: rechte Kräfte. Das, was uns im Bundestag begegnet, ist schlicht nichts anderes als ein rechtes Parteienkartell. Und wie bei jedem guten Kartell – ob für Öl oder Karfiol – sind dessen Mitglieder natürlich nicht alle gleich und haben mitunter durchaus divergierende Interessen und ihre Reibereien. Aber sie teilen eben eine Reihe übergeordneter Ziele wie die Bewahrung der von ihnen etablierten Gesellschaftsordnung sowie der zugehörigen sozialen und sonstigen Normen.

An diesem Befund ist freilich überhaupt nichts neu. Die Entwicklung hat auch nicht erst in den letzten paar Jahren eingesetzt. Hier sehen wir im Grunde nur die Zuspitzung von Prozessen, die Johannes Agnoli in seiner Schrift über die Transformation der Demokratie bereits Ende der 1960er analysierte. Agnoli war es auch, der – ähnlich Domenico Losurdo – sehr treffend darauf verweis, dass der „liberalen“ repräsentativen Demokratie die Funktion innewohnt die Mehrheitsbevölkerung von den wirklichen Macht- und Entscheidungszentren fern zu halten. Die parlamentarische Demokratie ist – so traurig das festzustellen ist – bloß ein Schauspiel, ein lediglich Ablenkung generierendes Spektakel. Und die liberalen Grundrechte und Freiheiten allzu oft ein holder Schein. Privilegien eben, die jedem jederzeit wieder weggenommen werden können.

Ein gegenrevolutionäre Narrativ

„Aber Herr Ruber – warum wird dann dennoch allerorten der „Linksruck“ beschworen?“ Hier könnte uns Bernard Harcourt weiterhelfen. In seiner Monografie „Gegenrevolution“ postuliert dieser, dass sich seit den frühen 2000er Jahren im Westen, insbesondere in den Vereinigten Staaten, ein neues Regierungsmodell etabliert habe, welches die Anwendung von in der kolonialen Peripherie erprobten Mitteln der Aufstandsbekämpfung im Inland charakterisiert. Signaturen dieses Modells seien der Ausbau der Massenüberwachung zwecks Identifizierung von „Aufständischen“, Mittel zur Delegitimierung und Vernichtung aller dergestalt Identifizierten sowie gleichzeitiger Einsatz von Instrumenten der Ablenkung und Ruhigstellung, um die Gefolgschaft der Mehrheitsbevölkerung sicherzustellen. Der Clou dabei: es gibt im Westen laut Harcourt gegenwärtig weder einen klassischen Aufstand noch irgendeine revolutionäre Bewegung. Die Mittel würden vielmehr ansatzlos gegen völlig Unbescholtene angewandt wie etwa Personen(gruppen), die lediglich ihre Grundrechte in Anspruch nähmen und demonstrieren gingen. Sie würden vom System aber als „aktive Minderheiten“ geframed und wie „Aufständische“ behandelt. Eben eine Gegenrevolution von oben.

Es ließe sich an Harcourts Thesen nun einiges diskutierten, angefangen bei der Frage, ob sein Verdikt „einer neuen Tyrannei“ wirklich zutrifft oder er lediglich die (qualitative) Veränderung eines altbekannten Phänomens abbildet. Aber gerade seine Darstellung der (politischen) Delegitimierung und Vernichtung der „aktiven Minderheiten“ liefert uns für den heutigen Gegenstand wichtige Hinweise. Neben so repressiven wie illegalisierten Handlungen zählen dazu nämlich auch diffamatorische Narrative, die wiederholt und kampagnenförmig verbreitet werden, Techniken des politischen Profilings sowie der Einsatz von Agent Provocateurs und V-Leuten. Sie dienen des gezielten Aufbaus von Feindbildern welche den Regierenden helfen die heterogene Mehrheitsbevölkerung hinter sich zu versammeln und von den tatsächlichen Problemen und deren Verursachern abzulenken. Im vorliegenden Fall ist es das Angstzerrbild eines angeblichen „Linksrucks“, dessen Beschwörung den Zuspruch konservativer Milieus sichert. Eine geniale Taktik, zutiefst im System verwurzelte und von dessen Trägern angestiftete Entwicklungen als Werk des politischen Gegners zu verkaufen.

Ein anderes – und sehr aktuelles – Beispiel wären die gezielt konstruierten „Correctiv-Enthüllungen“ mitsamt anschließenden Schaumärschen „gegen rechts“, mit welchen die schein-progressiven Milieus der Mittel- und Oberschicht eingespannt werden. Als weitere Angebote im gouvernementalen Supermarkt der Angst ließen sich sodann Produkte wie „Islam“, „Klima“, „böser Russe / Chinese“, „Migration“, „Pandemie“, „Crash“ und Co. anführen, mit denen die jeweiligen Zielgruppen adressiert und abgelenkt werden. Untergeht, dass es weder „Aufständische“ noch einen „Linksruck“ gibt, das System an sich schon rechtsautoritär ist und die meisten Ängste und Rupturen auf gezielte gouvernementale Erzeugung zurückgehen. Kurzum: Eine modernisierte – und vielgestaltige – Version der Strategie der Spannung vorliegt, die Herrschaftssicherheit ermöglicht.

Echte Linke verteidigen die Werte der Aufklärung

Halten wir abschließend fest: Nichts an der herrschenden Politik ist in irgendeiner Nuance „links“. Es ist allenfalls „link“. Vielmehr gilt, wie Losurdo schrieb: Die Linke fehlt. Es fehlen freilich auch sämtliche sonstige Stimmen, die sich in irgendeiner Form gegen die Mantras der Herrschenden aussprechen und somit anti-systemisch positionieren. Ob es nun antikapitalistische Altkonservative, anti-interventionistische Liberale oder schlicht Freidenker sind, die sich nicht impfen lassen oder ihr Bargeld behalten wollen. All diese Gruppen sind die wirklichen Anhänger demokratischer Prozesse – im Gegensatz zu den parlamentarischen Vertretern der Herrschenden, von denen sie zu „Feinden der Demokratie“ erklärt und in „aktive Minderheiten“ verwandelt wurden.

Echte Linke dürfen sich nicht von den leitmedialen Chorälen und sonstigen Systemadepten einlullen lassen. Sie müssen heute dringender denn je Stellung beziehen. Denn neben den Claqueuren der Herrschenden gibt es ja noch diejenigen, denen die gouvernementale Agenda beileibe nicht weit genug geht. Die – Stichworte: Digitalgeld, Pandemievertrag, Kriegsverewigung – die regressive Ordnung erst so richtig ausbauen wollen. Echte Linke müssen sich diesen Kräften entgegenstellen. Sie sollten Joseph Wirth aufgreifen und sagen: „Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!“ Sie sollten den Herrschenden nicht das Feld überlassen, denn zwischen deren Politiken und den ihren besteht ein himmelweiter Unterschied. Sie sollten deutlich machen, dass echte Linke die Vertreter der Werte der Aufklärung sowie der großen Revolutionen von 1789 und 1917 sind und gegen die Systemlinge eintreten, welche diese Errungenschaften seit Jahrhunderten abzuschaffen versuchen. Sie sollten deutlich machen, dass sie für den Frieden kämpfen – statt für imperiale Kriege, Kolonialabenteuer und immerwährende Rüstung. Für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit – statt Massenüberwachung, Vereindeutigung und Verarmung. Für freie Meinung, freie Gedanken und freie Verfügbarkeit über den eigenen Körper – statt Zensur, Zwang und Züchtigung. Für eine neue Gesellschaft und – so abgedroschen es klingt – eine bessere Welt.

Der Weg dahin wird steinig. Wohl steiniger als früher. Und ja, die Nacht ist heute sehr dunkel und kalt – aber vergessen wir nicht, dass irgendwann wieder eine Morgenröte kommen wird. Und auf diese gilt es hinzuarbeiten – wenn schon nicht für uns, so für unsere Nächsten. Es gilt sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, zu vernetzen und gemeinsame Aktionen anzustoßen. Mögen sie auch noch so klein und unbedeutend erscheinen. Doch erinnern wir uns: bereits zu sagen was ist, ist eine revolutionäre Tat. Verstummen wir deshalb nicht. Kämpfen wir für die „drei wahren F“ – für Frieden, Freiheit und Fortschrittlichkeit. Friede den Hütten. Fortschritt den populären Massen. Und Freiheit für Julian Assange, Joshua Schulte und alle anderen von der herrschenden Klasse gefangenen und unterdrückten.

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99 Kommentare

  1. Vielen Dank für diese wertvolle Analyse.
    Vermutlich ist es ehrlicher, die Begriffe “Moral”, “Haltung”, “Werte”, “Links”, “Mitte” und “Rechts” in die Mottenkiste zu verfrachten und nur noch über INTERESSEN zu reden. Letztlich verbergen sich hinter allen pompösen Gattungsbegriffen massive Unschärfen.

    Das Problem ist, dass auch eine ehrliche Analyse von und Diskussion über INTERESSEN und INTERESSENKONFLIKTE nicht zu wesentlich erfreulicheren Ergebnissen führt. Vielleicht in der Theorie. In der Praxis befinden wir uns immer wieder im Zustand der Ambivalenz, denn es gibt für jedes Argument immer auch ein Gegenargument. Wir bewegen uns nicht in der plausiblen Theorie, sondern in der konfusen Praxis, die sich durch penetrante Widersprüche und Ambivalenz auszeichnet.

    Wir können als demokratische Gesellschaft nur zu erfreulichen Ergebnissen kommen, wenn wir unermüdlich nach den großen gemeinsamen Interessen forschen und uns darauf einigen, diese über alles zu stellen. Unfreiheit, Ungerechtigkeit, Armut und Krieg gehören ganz sicher nicht zu den großen gemeinsamen Interessen. Jedes System, das nicht Freiheit, Gerechtigkeit, Wohlstand und Frieden fördert, ist eine Absage an die Zivilisation.

    1. Re: Interessen

      Wenn man beginnt, von Interessen zu sprechen und die Interessengruppen zu identifizieren ist man in der Lage, den ideologischen Firlefanz von links und rechts etc beiseite zu lassen und nach Kompromissen zu streben.

      Dabei werden etliche “Sozialschmarotzer”-Krakeler feststellen, das sie unter dem Stichwort ‘Binnennachfrage’ mit den Mindestlöhnern und Bürgergeldlern in dem sprichwörtlichen einem Boot sitzen.
      Ein solcher Handwerksmeister oder sonstwie Selbstständiger muss dann halt durchrechnen, ob er von ‘seinen’ Aktien leben und sein Gewerbe aufgeben kann.

      Kompromisse können dabei um so leichter erreicht werden, je mehr Patrioten a verhandeln, denn dann wird im Zweifel für das Wohl der Gemeinschaft entschieden.
      An der Stelle nochmals:
      Patriotismus ist das identifizieren mit und das einsetzen für die Gesellschaft.
      Nationalismus pervertiert die patriotische Idee durch eine grundsätzliche Überhöhung der eigenen Gesellschaft bzw Nation inklusive der Abwertung anderer Gesellschaften, was infantil ist und eine erfolgreiche Außenpolitik unmöglich macht.

      Überschneidungen zwischen Interessengruppen gestalten die Interaktionen natürlich ambivalent, womit man einfach klar kommen muss, weshalb es grundlegender Prämissen außerhalb einer angenommen ‘Richtlinienkompetenz’ eines Kanzelden bedarf. Eine verbindliche Verfassung wäre schön.

      Grüße von der Ameise

      1. Genau. Zu wissen, was „links“ und „rechts“ ist, hilft uns nicht weiter. Was uns wirklich weiterhilft, ist die Suche nach Schnittmengen bei den Interessen. Auch Vertreter unterschiedlicher Interessen müssten feststellen, dass sie im selben Boot sitzen, wenn sie genauer hinschauen würden. In einem Klima der ideologischen Konfrontation schaut niemand mehr genauer hin. Stattdessen starrt man auf die Differenz, verschanzt sich im Graben und verliert die gemeinsamen (patriotischen) Interessen aus den Augen.

        1. @ Prosecco

          Zu wissen, was „links“ und „rechts“ ist, hilft uns nicht weiter.

          Nun, da möchte ich jetzt einwenden, dass die beiden zu kennen durchaus wichtig ist. Es gibt nämlich spezifisch linke und spezifisch rechte Interessen und die sind ja nicht deckungsgleich. Wenn eine Seite das gegenwärtige System partout erhalten will, die andere es aber zu verändern sucht – wie wollen die denn zusammenkommen? You can’t have your cake and eat it. Oder verstehe ich Sie falsch?

          In einem Klima der ideologischen Konfrontation schaut niemand mehr genauer hin.

          Deswegen hat sich Chantal Mouffe ja bereits vor Jahren dafür ausgesprochen ein politisches System des Agonismus zu etablieren (Wettstreit unterschiedlicher Ideen bei wechselseitiger Anerkennung der Wettstreitenden als einander gleichwertige). Anstelle des heutigen, das antagonistischen Prinzipien folgt und in welchem man die bösen „Populisten“, „Nazis“ oder „Querfrontler“ nicht teilhaben lässt, sondern zensuriert und verdammt.

          Aber da gibt‘s eben das Problem: das rechte (= das System erhalten wollende) Parteienkartell blockt jeden Schritt in diese Richtung ab. Und jeder systemgefährdende Impuls – ob er von Altlinken, konservativen „Herz-Jesu-Pazifisten“, Libertären oder wem auch immer kommt – wird niedergemacht. Hier ein aktuelles Beispiel, geschildert bei Norbert Häring.

          1. @Altlandrebell:
            Man kann ein vorhandenes System ablehnen. Dann stellen sich zwei delikate Fragen:
            1) Wie schafft man es ab?
            2) Durch welches System ersetzt man es?
            Ich stehe auf der Seite der Evolution. Systeme können und sollen sich entwickeln. Die treibende Kraft ist die Suche nach Konsens/Übereinstimmung, also das Forschen nach Interessen, welche die große Mehrheit der Gesellschaft teilt. Das muss die Energie sein, die das System verändert. Die Stärke der Demokratie ist, dass sie genau diese (mühsame) Suche ermöglicht oder ermöglichen sollte. Ist eine Demokratie dysfunktional, wie wir es heute erleben, ist das nicht der Fehler des Systems, sondern seiner mächtigen Repräsentanten. Diese müssen ersetzt werden. Dafür gibt es Wahlen.
            Leider sind die Mächtigen in jedem System das Problem. Wer Macht hat, missbraucht sie für seine persönlichen Interessen. Das ist eine menschliche Schwäche, und die lässt sich in keinem System eliminieren. Auch nicht in einem „linken“.
            Es ist schon viel gewonnen, wenn in einem System die gemeinsamen Interessen gefunden und respektiert werden.
            Klingt trivial, ist aber eine Herkulesaufgabe.

            1. @ Prosecco

              Die Stärke der Demokratie ist, dass sie genau diese (mühsame) Suche ermöglicht oder ermöglichen sollte. Ist eine Demokratie dysfunktional, wie wir es heute erleben, ist das nicht der Fehler des Systems, sondern seiner mächtigen Repräsentanten.

              Zunächst müssten wir beide uns aber einig werden, was wir überhaupt unter „Demokratie“ verstehen. Das Konzept der Volksherrschaft als solches? Rätedemokratie? Direkte Demokratie? Repräsentative Demokratie? Aleatorische Demokratie (Losverfahren)? Oder oder oder?

              Wie ich in meinem Artikel zu zeigen versuchte, sind nicht nur die mächtigen Repräsentanten zu betrachten. Die Struktur des Systems wirkt auch auf die demokratische Willensbildung sowie demokratischen Prozesse als solche. Diese werden systemisch normiert und die Dysfunktionalität für die breite Bevölkerung wird so zu einer Funktionalität für die Herrschenden. Ich schließe mich da Autoren wie dem im Text erwähnten Agnoli an, die argumentierten, dass eine repräsentative Demokratie unter den Bedingungen des Systems auf Spektakel und Fernhalten der Bevölkerung von den Entscheidungszentren hinausläuft. Die Ursachen sind so systemisch wie intentional (durch die Mächtigen) bedingt.

              Wer Macht hat, missbraucht sie für seine persönlichen Interessen.

              Macht ist kein genuines Übel. Das Problem ist eher wer wie und unter welchen Umständen sowie wann und wo an die Macht kommt. Wir sehen beispielsweise, dass Macht häufig vererbt wird. Und dass eher die Menschen an die Macht kommen, die bestimmte negative Charaktereigenschaften aufweisen, die ein Korrumpiertwerden zusätzlich begünstigen. Personen, die nicht gut lügen können, nicht tricksen wollen, moralisch richtig handeln wollen – die haben es in diesem System schwer. Schlicht und ergreifend, weil sie alle Illegalismen und Illegalitäten ablehnen. Damit verringern sie aber ihre Möglichkeiten sich gegen Wertbewerber durchzusetzen, die sozusagen das ganze Set der Instrumente zur Verfügung haben. So kann jemand bspw. Bestechung ablehnen – ein anderer nimmt das Geld dagegen gerne an, verkauft sich und gelangt schnell in einer Partei und im System nach oben. Dies gilt insbesondere in erschütterten Ländern und zu Zeiten des Aufruhrs, wenn Geschäftemacher, Krisengewinnler und andere düstere Charaktere ohnehin begünstigt werden…

              Klingt trivial, ist aber eine Herkulesaufgabe.

              Da gehe ich mit.

              1. @Altlandrebell:
                Ich meine die Grundidee der Demokratie, verbunden mit Meritokratie, im Gegensatz zur Dynastie/Monarchie. Also Macht durch kollektive Anerkennung vs. Macht durch Erbschaft. Die Demokratie und die Aufklärung sind zwei Seiten derselben Medaille.

                „Personen, die nicht gut lügen können, nicht tricksen wollen, moralisch richtig handeln wollen – die haben es in diesem System schwer.“

                Das stimmt. Aber haben es solche Personen nicht in jedem System schwer? Ich halte es für eine Illusion zu glauben, dass es ein System gibt, das nur „gute“ und „edle“ Leader hervorbringt. Im Kampf um Macht und Privilegien gewinnen meistens die Halunken. Es braucht eine gehörige Portion Egoismus und Rücksichtslosigkeit für solche Siege. Daran kann kein System viel ändern. Das ist eine anthropologische Disposition.

                1. Meritokratie? Damit kann ich nichts anfangen. Wer definiert denn die “Verdienste” der “Erlesenen”? Und warum sollen überhaupt die “Erlesenen” führen – läuft ja im Grunde auf die “Experten” hinaus? Haben wir doch heute bereits genug Elemente von (Regierung Monti in Italien, Pandemie-Expertokratie…). Dann schon lieber aleatorische Elemente einführen.

                  Ich halte es für eine Illusion zu glauben, dass es ein System gibt, das nur „gute“ und „edle“ Leader hervorbringt.

                  Ich hoffe, ich habe nicht irgendwo etwas Gegenteiliges behauptet. Vielleicht hätte ich das Pferd aber anders aufzäumen sollen: das herrschende System bevorzugt Halunken in besonderer Weise. In anderen Systemen mag es sie ja auch geben, aber es gibt mehr Schranken gegen ihre Willkür, Boshaftigkeit etc.

                  Eine konsequent durchgeführte Räte-Demarchie als erster Schritt – das wäre doch schon einmal etwas. Aber natürlich braucht es noch viel mehr institutionelle und andere Veränderungen, damit sie sich entfalten kann. Das System und die gesellschaftlichen Vorbedingungen müssen eben auch geändert werden. Was nützt eine Meritokratie oder Demarchie wenn bspw. Oligarchen, Lobbyisten, Einflüsterer und andere fröhlich schalten und walten können? Für mich kommt es darum sehr wohl auf die systemischen Umstände an.

                  Sie mögen es anders sehen – keine Ursache.

                  Guten Nachmittag + Gruß
                  Altlandrebell

                  1. Die systemischen Umstände sind prägend, aber auch jederzeit gestaltbar. Das ist die gute Nachricht. Insofern folge ich Ihnen.
                    Die schlechte Nachricht ist die Conditio humana. Womit identifizieren sich Menschen? Sie identifizieren sich nicht mit “Losern”. Sie identifizieren sich mit Erfolgreichen, Starken, Mächtigen, Reichen. Menschen orientieren sich gerne nach “oben”, darum haben sie auch die Götter erfunden. Um es ganz brutal zu formulieren: Sie folgen lieber einem korrupten König als einem integren Bettler. Es ist die menschliche Natur, die der Gestaltung des Systems dann eben doch Grenzen setzt.

            2. Guten Tag Prosecco
              Zu fehlerhaften Systemen:
              “Die Stärke der Demokratie ist, dass sie genau diese (mühsame) Suche ermöglicht oder ermöglichen sollte. Ist eine Demokratie dysfunktional, wie wir es heute erleben, ist das nicht der Fehler des Systems, sondern seiner mächtigen Repräsentanten.”

              Irgendwo im §-Salat findet man sinngemäß: ‘Das Parlament kontrolliert die Arbeit der Regierung’
              Ein Parlament, in dem die Partei/Koalition mit ihrer Mehrheit die Regierung stellt, kontrolliert sich also selbst.
              Wie gut das funktioniert lässt sich an der Zahl der Gesetze, die vor dem obersten Gericht landen, ablesen. Und das, obwohl so viele Juristen im BT sitzen.

              “Diese müssen ersetzt werden. Dafür gibt es Wahlen.”
              Lassen Sie das noch so stehen? 😉
              Ist natürlich nur auf die hiesige Situation, nicht auf die Idee der Demokratie bezogen.

              Somit möchte ich Ihnen und Altlandrebell entgegenhalten – Nennt es doch wie ihr wollt, aber bitte denkt verbindliche da sanktionsbehaftete Rechenschaftspflichten für die Regierung und das Parlament mit, wozu unbedingt die Möglichkeit gehört, eine Neuwahl im Wahlkreis zu veranlassen um ‘seinen Idioten’ sofort abberufen zu können, auch wenn der Minister*Innen*Außen ist.
              (Sry das es in solch System keine Listenplätze mehr gibt, liebe FDP und Grüne. :-D)
              Ob sich Mitgliedschaft in einer Partei und passives Wahlrecht mit dem Beamtenstatus vereinbaren lässt oder ein Interessenkonflikt besteht bedarf auch der Klärung.

              Dies sind weitere systemischen Punkte, die vollkommen unabhängig von der ‘Idee Demokratie’ bestehen.
              Eine wichtige Frage der Organisation, die meist ausgeblendet wird, ist die nach Altersresielienz. Heutige ‘Berufspolitiker’ waren zu Anfang undenkbar.
              _____

              Es macht schon Spaß, in die Krabbelkiste zu greifen und sich dann sein ideales System zu basteln.
              Als nächstes Level kommt, vom Hier&Jetzt dahin zu gelangen, das nächste Level stellt die Bedingung: ohne Diktatur. 😀

              Schönen Abend

              Edit meint, sag dazu, daß das letzte Level daher kommt, weil der gegenwärtige Zustand für nicht reformierbar gehalten wird.

              1. Da bin ich mit Ihnen einverstanden. Die Kontrolle über die politischen Eliten ist systemisch zu schwach.

                Es gibt auch Demokratien, wo das Volk bei weitreichenden Geschäften das letzte Wort hat (Abstimmungen zu Sachvorlagen). Das gibt ein gesundes Gegengewicht zur parlamentarischen Macht. Siehe Schweiz.

        2. “In einem Klima der ideologischen Konfrontation schaut niemand mehr genauer hin. Stattdessen starrt man auf die Differenz, verschanzt sich im Graben und verliert die gemeinsamen (patriotischen) Interessen aus den Augen.”

          Das ist so wichtig

          Edit meint: sry, ist so wichtig, darauf hinzuweisen.

  2. Dieses Vermischen von europäischen Linken und Linken aus dem Rest der Welt ist doch das letztendliche Problem. Die europäischen Linken, sind wie alle Europäer vor allem auf Raub und Krieg als Haupteinnahmequelle angewiesen.
    Nur ein paar Beispiele, der Autor erwähnt die Revolution 1789 als linke Revolution. Was ist während dieser Zeit mit den französischen Kolonien passiert? Wurden diese aufgelöst oder ging es dort weiter?
    Oder die Kriege gegen Serbien unter Rot-Grün, was war damit? Wir können auch den Verrat der Linken an den eigenen Leuten in Griechenland während der Wirtschaftskrise 2008 sehen, wo sie ihre Versprechen eben nicht eingelöst haben. Und auch am Ende der Weimarer Republik sind große Teile des Rotkämpferbundes zur SA gewechselt.
    Natürlich wird jetzt immer wieder kommen “Das waren keine echten Linken” aber was sind denn dann echte Linke? Gibt oder gab es die überhaupt in Europa? Wozu darüber reden, wenn sie sowieso nur eine fromme Idee sind.
    Ich denke, dass viele Linke Ideen eine gute Sache sind, aber man braucht halt die richtigen Leute sie umzusetzen und die gibt es in Europa nur in verschwindend geringer Menge. Europa wurde seit der Zeit des römischen Reiches auf rechten Ideen aufgebaut und das ist seine DNA. Es gibt nicht Richtiges im Falschen und deswegen wird es auch hier niemals eine linke Regierung geben, die nicht in Wahrheit rechte Vorstellungen (weiße Überlegenheit, Kolonialismus, Krieg und Raub) verkörpert

    1. “Nur ein paar Beispiele, der Autor erwähnt die Revolution 1789 als linke Revolution. Was ist während dieser Zeit mit den französischen Kolonien passiert? Wurden diese aufgelöst oder ging es dort weiter?”

      Mit den Frauenrechten, dem Tierschutz und dem ÖPNV-Angebot sah es damals bspw. auch nicht gut aus. Sogar der Marxismus war nur schwach entwickelt. 😉

      1. Haiiti und die Philipinen haben sich immerhin auf Basis der französischen Revolution für unabhänig erklärt. Heute traut man diesen Ländern nicht zu das sie mal zu den fortschrittlichsten der Welt gehörten. Aber das war noch bevor sich die 13 Kolonien an der Ostküste Nordamerikas von Großbritannien lossagten und damit die Basis für die neue Hegemonialmacht gelegt wurde. Andere französische Gebiete wie Luisana und Philadelphia wurden einfach an die USA verkauft so handhabte man das damals. In Mexiko wurde ein französich-österreichischer Kaiser eingesetzt der sich prompt einer US-Finanzierten Revolution gegenübersah (er wurde abgesetzt). Andere Gebiete wie Martinique und Kourou blieben bei Frankreich. Überhaupt trugen die Europäischen Kolonialmächte ihre Differenzen eine Weile auf dem Boden der USA und Südamerikas aus inklusive der Einbindung der “Indianer” und anderer einheimischer Ethnien als Hilfstruppen. (Als Dank dafür tragen die USA ihre Konflikte in die ganze Welt) Dank Monroe-Doktrin wurde Haiiti und die Philipinen aber auch Kuba und das unter Simon Bolivar aufständische Südamerika wieder dem neuen Hegemon zugeschlagen, europäische Kolonialmächte wurden bis auf wenige Ausnahmen in Amerika (Nord- Mittel- Südamerika) nicht mehr geduldet. Zu den Ausnahmen gehören die Überseegebiete Frankreichs und Großbritannien, der Niederlande kleine Inseln und Steuerparadiese, aber auch größere Länder wie Kanada das ja zum British Commonwealth gehört und formell den britischen Monarchen Charles III als Staatsoberhaupt hat.

    2. @ PfefferundSalz

      Nur ein paar Beispiele, der Autor erwähnt die Revolution 1789 als linke Revolution. Was ist während dieser Zeit mit den französischen Kolonien passiert? Wurden diese aufgelöst oder ging es dort weiter?

      Hierzu sachdienliche Hinweise von Domenico Losurdo:

      Am Ende des 18. Jahrhunderts waren die „schwarzen Jakobiner“ von Santo Domingo mit Unterstützung der Jakobiner, die in Paris regierten, die Vorkämpfer einer der größten Freiheitsschlachten der Weltgeschichte. Sie stürzten die Sklaverei und die Kolonialherrschaft und verteidigten diese Erfolge, indem sie das von Napoleon geschickte mächtige Heer schlugen. Aus diese Revolution ging Haiti hervor, das erste Land auf dem amerikanischen Kontinent, das die Sklaverei abgeschafft hatte und sogar in der Nachbarschaft der nordamerikanischen Republik gedieh, die mit allen Mitteln ausgestattet war, das von Ex-Sklaven regiert Land zu erdrosseln.

      Mehr dazu in seinem Buch oder bei diesem Autor.

      Die französische Revolution war beileibe nicht nur ein bourgeoiser Latschverein. Sie hat gerade global viele Nachahmer inspiriert und immense Konsequenzen gezeitigt. Insbesondere durch Erschütterung der Kolonialregimes (die zweite Erschütterung war dann die Revolution von 1917 und Lenins Aufruf an die Unterdrückten ihre Ketten zu sprengen).

      Natürlich wird jetzt immer wieder kommen „Das waren keine echten Linken“ aber was sind denn dann echte Linke? Gibt oder gab es die überhaupt in Europa?

      Nun, wie ich zu zeigen versucht habe, sind „echte Linke“ für mich solche, die sich zu den (positiven) Werten bekennen, die aus Aufklärung, Französischer und Oktoberrevolution hervorgegangen sind (es gab natürlich bei allen drei auch Schattenseiten).

      Ich denke, dass viele Linke Ideen eine gute Sache sind, aber man braucht halt die richtigen Leute sie umzusetzen und die gibt es in Europa nur in verschwindend geringer Menge.

      Da stimme ich Ihnen absolut zu. Aber ich bleibe dabei: trotz allem sollte man nicht aufhören für eine bessere Gesellschaft zu streiten. Wenn nicht wir, wer dann? Und was sollen wir auch sonst tun? Ebenfalls dem Konsumismus und Konformismus frönen? Maske auf und Fresse halten? Fanon hatte schon recht, als er den Linken und der Arbeiterklasse in Europa zurief, sich endlich an die Seite der Unterdrückten in der Peripherie zu stellen…

  3. Ein beeindruckender und guter Text, der indes so inhaltsreich und vielschichtig ist, dass man ihn mehrmals lesen und erst mal “sacken” lassen sollte.

    1. Beim ersten Durchlesen ist mir die Abtreibung und die Cannabis-Legalisierung aufgefallen. Da hätte man links schärfen können:

      Wenn Frauen nicht fürchten müssten, mit Kind in Armut zu leben, wäre das ein starkes Indiz für linke Politik. Das Gegenteil ist Realität.

      Den Cannabis-Selbstanbauern sind drei Pflanzen erlaubt. Das ist in etwa so, als dürfte ein Hobbygärtner nur 10 Kilo Kartoffeln anbauen dürfen, damit er für die restlichen Kalorien auf jeden Fall was zum Umsatz des Edekas beiträgt.

  4. Kleine Anmerkung zur sprachlichen Klarheit. Der Begriff des Autoritarismus, wie auch davon abgeleitet autoritär, sind antikommunistische Kampfbegriffe und im Kontext dieses Beitrages an sich falsch. Klarer und richtiger wäre der Begriff diktatorisch.

    1. @ Heiko

      Wichtiger Hinweis.

      Gleichwohl gibt es zu „Autoritarismus“ verschiedene Definitionen. Sie beziehen sich wohl auf Losurdos Autoritarismus-Verständnis, der den Begriff in dem von Ihnen genannten Werk u.a. am Beispiel von Arendts und Foucaults Autoritarismus-Konzepten kritisch diskutiert. Zurecht kritisch diskutiert.

      Hier habe ich den Begriff nur von dem Modell des „Politischen Kompass“ übernommen – dessen Macher unterscheiden nun einmal zwei gesellschaftliche Pole, die sie als „autoritär“ und „libertär“ benennen. Ich hätte das noch kritisch ausklamüstern und andere Begriffe einführen können, wäre aber auf Kosten der Länge gegangen.

  5. Der unvergleichliche Cygnus Rubber hat hier mal wieder ein schön geschriebenes Stück abgeliefert, dessen Qualität deutlich über dem Durchschnitt der Artikel bei Overton liegt.
    Aber zunächst einmal geht es mir ähnlich wie Wolfgang Wirth: erst mal sacken lassen.
    Zwei, drei Dinge aber schon, gerade auf die Schnelle:

    1. Ich finde es geht im Verlauf dieses umfangreichen Textes ein wenig der Fokus auf das Thema verloren, was genau rechts und was genau links ist, es verwischt sich dann doch am Ende wieder.
    Links würde sich vor allem an den Werten der frz. Revolution orientieren und wäre immer progressiv und immer gegen die Herrschenden und natürlich gegen alles Bourgeoise und Kapitalistische. Das ist das – so entnehme ich es dem Text – was links sein soll. Ich hoffe ich habe es einigermaßen gut gefasst.
    In der Konsequenz bedeutet das dann aber auch, dass es nie eine wirklich linke Regierung oder einen Staat mit linker Agenda geben kann. Oder etwa doch?

    2. Wenn links immer gut und rechts immer schlecht ist, wie hier in diesem Text, oder aber von anderer Seite genau umgekehrt beschrieben, da ist dann links immer übel und rechts bzw. konservativ gut, dann ergibt das für mich auch wenig Sinn und führt natürlich erst recht dazu, dass nach allen Mittel der Kunst Ettikettenschwindel betrieben wird, bis hin zu solchen Dingen, dass die Nazis eigentlich links waren und dass die Woken links wären.

    3. Die wirklich wichtige Frage bei dem Rechts/Links-Thema ist für mich weniger _ob_ es noch einen Unterschied zwischen rechts und links gibt, so wie es Cygnus Rubber fragt, sondern _worin_ sich dieser Unterschied denn wirklich finden lässt und wie klar man ihn definieren kann.

    1. In der Konsequenz bedeutet das dann aber auch, dass es nie eine wirklich linke Regierung oder einen Staat mit linker Agenda geben kann. Oder etwa doch?

      Jedenfalls nicht im Kapitalismus.

    2. Zu 2.
      Es geht in dem Text doch in erster Linie darum was auf alle Fälle nicht links ist.
      Was links ist muss doch eh für die jeweilige gesellschaftliche Situation verhandelt werden.
      Darum:
      “Ob es nun antikapitalistische Altkonservative, anti-interventionistische Liberale oder schlicht Freidenker sind, die sich nicht impfen lassen oder ihr Bargeld behalten wollen. All diese Gruppen sind die wirklichen Anhänger demokratischer Prozesse – im Gegensatz zu den parlamentarischen Vertretern der Herrschenden, von denen sie zu „Feinden der Demokratie“ erklärt und in „aktive Minderheiten“ verwandelt wurden.”

    3. @ Two Moon

      Danke für Ihr Lob wie auch Ihre kritischen Anmerkungen.

      In der Konsequenz bedeutet das dann aber auch, dass es nie eine wirklich linke Regierung oder einen Staat mit linker Agenda geben kann. Oder etwa doch?

      Kommt drauf an, von welchem theoretischen Standpunkt aus Sie das betrachten und welcher (linken) Strömung Sie angehören. Anarchisten werden wohl darauf verweisen, dass eine linke Gesellschaft erst dann verwirklicht werden kann, wenn Markt und Staat abgestorben sind. Einige Kommunisten – Praktiker wie Theoretiker – werden das vehement bestreiten. Das beste Beispiel ist der in den Kommentaren und im Text bereits erwähnte Domenico Losurdo.

      Warum sollte es denn – grundsätzlich gedacht – nicht möglich sein die skizzierten Werte – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – sowie Frieden zu verwirklichen? Warum sollte eine linke Regierung – oder wer sonst als Steuermann (gubernator) dann die Leitung innehätte – nicht möglich sein? Waren München 1919 oder Barcelona in den 1930ern keine linken Regierungen für Sie?

      Als größter Brocken im Weg erscheinen mir persönlich nicht „die Leute“, „die Regierung“ oder mangelndes Interesse an den genannten Werten. Sondern das System – und die Hegemonialmacht, die es stützt. Die Französische Revolution hätte auch schon 1789 / 1790 abgewürgt werden können, wenn Österreicher und Co. interveniert hätten. Das Zögern des Auslands gab der Revolution Luft zum Atmen und Gedeihen – wie umgekehrt die spätere Intervention des Auslands zum Aufschwung der Repression in Frankreich beitrug. Ich glaube das größte Problem ist nicht, dass es keine linke Regierung nach einem geglückten Aufstand gäbe, sondern das internationale Umfeld, das alles tun wird, sie am Gedeihen und am Verwirklichen ihrer Projekte zu behindern. Der Umgang des Westens mit UdSSR und China zeigt das ja seit Jahrzehnten…

      Wenn links immer gut und rechts immer schlecht ist, wie hier in diesem Text, oder aber von anderer Seite genau umgekehrt beschrieben, da ist dann links immer übel und rechts bzw. konservativ gut, dann ergibt das für mich auch wenig Sinn

      Nun, ich habe „links“ und „rechts“ jetzt nicht in einem generellen Sinne als „gut“ und „schlecht“ vorgestellt. „Links“ ist gemäß der ersten Definition die systemverändernde Kraft, die sich auf die Werte von 1789 und Aufklärung stützt, „rechts“ die systembewahrende. Damit ist noch keine Bewertung an sich gegeben, daraus lässt sich nicht ableiten, dass jedes System generell böse ist. Und es gibt schließlich auch sehr viele Menschen, die das aktuelle gutheißen.

      Die moralische Aufladung – wenn Sie es so verstehen – erfolgte erst im zweiten Schritt. Ich persönlich lehne dieses System ab und da ich mich im vorgestellten Sinne als „Linker“ definiere, habe ich am Ende dafür geworben sich dessen Vertretern und ihren Programmen entgegenzustellen. Das ist aber nur meine persönliche Auffassung.

      Ansonsten habe ich deutlich zu machen versucht, dass die Programme die von heutigen „Linken“ vorgestellt werden im Grunde Druidentee oder Schlangenöl sind, da sie mit aufklärerischen Werten – in meinen Augen – nicht viel am Hut haben. Sie sind systemisch verformt und verlaufen innerhalb der von den Herrschenden gesetzten Bahnen.

      Abschließend, weil das vielleicht verwirrte: Der Passus mit rechts als „bessere Seite“ war nur als Zitat aus dem Artikel Schmidts übernommen. Es mag durchaus aber auch heute viele Rechte geben, die diese Aussage teilen.

      sondern _worin_ sich dieser Unterschied denn wirklich finden lässt und wie klar man ihn definieren kann.

      Naja, wie @ Tobias Laemmert bereits vermerkte habe ich den hervorzuheben versucht, indem ich auflistete, was alles nicht „links“, sondern anti-aufklärerisch und regressiv ist. Austerität, Agenda 2010, Imperialkriege, Bargeldverdrängung, Massenüberwachung etc. pp. All das ist für mich nicht „links“, sondern wird von Rechten bzw. nach rechts gerückten Parteien vorangetrieben.

      1. Altlandrebell, auch ich möchte mich bedanken für Ihre ausführliche Antwort.
        Ich hätte da einiges zu entgegnen bzw, klarzustellen. Aber vielleicht sollte ich erst einmal meine eigenen Gedanken zum Rechts/Links-Thema kundtun, das macht dann schon vieles deutlicher:

        Zunächst einmal muss ich bekennen, dass ich mich selber in dieses Rechts/Links-Schema nicht mehr einordnen kann. Es gelingt einfach nicht. Würde man aber Menschen fragen, die mich lange und gut kennen, so würden die wohl alle meinen: “Der ist auf jeden Fall links.” Warum? Meine Lebensweise, mein Umgang mit anderen Menschen. mein Lebensumfeld, Freunde, die Dinge, die mich politisch interessiert haben, und eine Menge Äußerungen, die ich so getan habe. All das würden die Meisten wohl als eher links einschätzen oder sogar als ziemlich links. Doch das ist dann eine recht oberflächliche Beurteilung, da meine Gedanken zu vielen Themen – und das wissen die Leute, die mich da beurteilen würden oft nicht – doch auch ziemlich differenziert sind. Da kann man oft nicht (was aber viele Leute tun) so einfach von A auf B schließen und schon gar nicht auf C.

        Also: Ich bin sicher nicht Woke-Links. Ich bin aber auch nicht Alt-Links oder vom Glauben an den Kommunismus geprägt wie einige der alten Recken hier: Krim oder Aquadraht oder Crumar (und einige Andere). Ich schätze zwar deren Beträge und die gute Logik, die sie zu vielen Themen äußern. Bei einigen Teilen gehe ich dann aber gar nicht mehr mit. Ist mir dann manchmal _zu_ rational, _zu_ abstrakt, _zu_ kühl sogar und an Kommunismus glaube ich auch nicht wirklich, fürchte mich aber auch nicht davor, wie das viele Konservative und Rechte tun.
        Querfront bin ich aber auch nicht, Nicht libertär, nicht Linksliberal, nicht konservativ und sicher nicht rechts – soweit ich diese Begriffe überhaupt noch sauber anwenden kann. Ich habe liberale, konservative und linke Elemente und dann noch Anderes. Und ja, der Kapitalismus muss beeendet werden. Doch deswegen bin ich nicht unbedingt links. Letzlich passt es in keine Schublade.

        Schaue ich mir die anderen Menschen an, so scheint es mir bei Vielen durchaus ähnlich zu sein. Viele aber meinen sie müssten sich auf eine Seite schlagen und stimmen dann Dingen von rechts oder links zu, ohne sie so recht selber durchdacht zu haben. Sie stimmen einfach zu, weil sie eben schon auf der einen Seite stehen. Und wer A sagt…

        Und wenn ich mir ausschaue wozu die Menschen die Begriffe links und rechts verwenden, wird die Sache erst richtig zweifelhaft. Für viele Menschen sind diese Begriffe ein sehr wichtiger Teil ihrer Identität, gerade auch für viele Linke, wie man er hier im Forum immer sehr gut beobachten kann. Dass man sich als ‘links’ identifizieren kann, ist Vielen sehr wichtig. Da hängt auch sehr Wichtiges dran, emotional gesehen.
        Und in rechten Kreisen wird es, etwas anders gelagert, aber doch in etwa spigelverkehrt sein.

        Die Begriffe ‘rechts’ und ‘links’ dienen also sehr stark zur eigenen Identifikation – aber damit auch zur Identifikation des politischen Gegners (im besten Fall) oder sogar zur Identifikation des Bösen schlechthin (im schlechtesten Fall). Mit rechts-links hat man schnell klare Verhältnisse von Freund und Feind. Und dann kann man sich (endlich!) so richtig schön emotional engagieren.
        Für die Linken sind die Rechten das Böse und umgekehrt. Und dann fangen beide Seiten an alles was schlecht ist, von der Nazizeit bis hin zum Wokismus und alles was dazwischen liegt mit vollem Eifer umzukettieren, damit es dann auf der anderen, auf der gegnerischen Seite identifiziert werden kann. So ist es nun in rechten Kreisen populär den Nazis eine originär linke Ideologie anzudichten. Während die Woken alles als rechts ansehen, was sie nicht ausdrücklich als gut deklariert haben. Der Gipfel war kürzlich eine Aussage von Hans-Georg Maaßen, die er bei der Gründung der Werteunion gemacht hat. Er meinte in der Tat, dass er in der AFD mittlerweile auch sehr starke linke Elemente erkennen würde.
        War natürlich nur Taktik um sich selber als die einzig wahre konservative Partei darzustellen. Aber hier wurde damit natürlich die Absurdität der Rechts/Links-Verwirrung auf die Spitze getrieben. Und es geht immer weiter und wird immer wilder und absurder, diese Schlacht um die Ettiketten.

        Nun ist es aber auch so, dass in den letzten Jahrzehnten der Begriff ‘links’ gesamtgesellschaftlich langsam immer mehr positiv besetzt wurde und ‘rechts’ immer mehr in die Schmuddelecke abgedrängt worden ist, sowie das Pornokino in der Vorstadt.
        Der Begriff ‘links’ hat somit deutlich die Oberhoheit gewonnen, auch wenn Vieles, was damit bezeichnet wird, wie Sie es zurecht beschreiben, nicht wirklich links, sondern höchstens fake-links ist. Aber egal, die Vorstellung von ‘links’ gilt gesamtgesellschaftlich mittlerweile als besser, humaner, gerechter, schöner usw. als die Vorstellung von ‘rechts’. Was dann auch dazu führt, dass sich nicht einmal die Rechten noch rechts nennen möchten. Nein, die nennen sich lieber ‘konservativ’.

        Wozu also dieses ganze unleidliche Verwirrspiel, frage ich mich da? Nur damit einige Leute eine (scheinbar) gefestigte politische Identität finden und Freund und Feind möglichst einfach unterscheiden können? (Ich habe das jetzt extra überzeichnet) Oder wozu soll das Ganze noch gut sein? Mir fällt nix ein.
        Da wäre es vielleicht sogar noch sinnvoller und auf jeden Fall differenzierter, wenn man politische Haltungen einfach mit den 12 Sternzeichen bezeichnen würde. Der revolutionäre Wassermann, der dogmatische Skorpion, der staatsversessene Steinbock, der liberale Schütze usw.
        So lächerlich das klingt, am Ende würde man damit vielleicht sogar noch genauer beschreiben können welche politische Haltung ein Mensch denn wirklich hat. Auf jeden Fall macht es hoffentlich klar welches Gefühl von Sinnlosigkeit über das rechts/links-Thema sich in meinen Gedanken mittlerweile angestaut hat.

        Und auch wenn das jetzt ein richtig langer Post wird und Sie sicher noch eine Menge zu lesen und zu schreiben haben, kommen jetzt noch meine Anmerkungen zu Ihrer Antwort. Einfach weil ich gerade mal Zeit habe einfach alles zu einem Thema zu schreiben, was mir gerade dazu in den Sinn kommt 😀

        Warum sollte es denn – grundsätzlich gedacht – nicht möglich sein die skizzierten Werte – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – sowie Frieden zu verwirklichen? Warum sollte eine linke Regierung – oder wer sonst als Steuermann (gubernator) dann die Leitung innehätte – nicht möglich sein? Waren München 1919 oder Barcelona in den 1930ern keine linken Regierungen für Sie?

        Nun erst einmal haben Sie links ja auch dadurch definiert, dass es immer gegen die Herrschenden geht und das links immer progressiv sein muss. Wenn die Linken dann aber herrschen sind sie ja selber die Herrschenden und ändern sich (im real existiernden Gedöns) dann auch von progressiv zu konservativ, in der Regel.

        Grundsätzlich sehe ich keine unüberwindbaren Probleme bei der Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – sowie Frieden. Oder besser gesagt, ich sehe keine Probleme darin mehr von all dem zu bekommen. Denn diese Werte im Absoluten zu bekommen halte ich für unmöglich und auch nicht für sinnvoll. Das wäre wie ein Tag ohne Nacht, das eine besteht nur durch das andere. Die Freiheit nur dadurch, dass es auch Unfreiheit gibt usw.
        Das Problem bei den Werten der frz. Revolution war aber eben, dass man sie als absolute Werte aufgefasst hat. Und das ist bis heute in vielen Köpfen drin. Was die Menschen damals aber brauchten, war nicht absolute Freiheit, sondern _mehr_ Freiheit und _mehr_ Brüderlichkeit und _mehr_ Gleichheit. Aber eben _nicht_ absolute Gleichheit, wie es im Kommunismus angestrebt wird.

        München 1919 oder Barcelona in den 1930ern, doch die würde ich durchaus als linke Regierungen bezeichnen. Die waren sogar so links, dass sie sich deshalb auch nicht lange halten konnten. Hätten sie sich aber länger gehalten, wären sie irgendwann wohl nicht mehr links gewesen 😀

        Das Zögern des Auslands gab der Revolution Luft zum Atmen und Gedeihen – wie umgekehrt die spätere Intervention des Auslands zum Aufschwung der Repression in Frankreich beitrug. Ich glaube das größte Problem ist nicht, dass es keine linke Regierung nach einem geglückten Aufstand gäbe, sondern das internationale Umfeld, das alles tun wird, sie am Gedeihen und am Verwirklichen ihrer Projekte zu behindern. Der Umgang des Westens mit UdSSR und China zeigt das ja seit Jahrzehnten…

        Ich kann das nicht ganz von der Hand weisen, halte es aber eigentlich erst einmal für eine etwas zu idealisierte Darstellung. Sicher das Ausland hat versucht zu intervenieren. Aber das größere Problem für eine _echte_ linke Regierung (im freiheitlichen, nicht autoritären Sinne) sind wohl die Revolutionen selber. Sie sprengen in der Regel zu viel von der alten Ordnung weg, sie schütten quasi das Kind mit dem Bade aus, wodurch sich nach einiger Zeit dann Kräfte im Machtvakuum breit machen können, deren Machtrieb auf negative Weise schrankenlos schalten und walten und unterdrücken und morden kann. Das war in Frankreich und auch in Russland so. Deswegen bin ich auch kein Fan von Revolutionen. Die explosive Energie ist einfach zu hoch, das entstehende Chaos zu groß als dass dabei mehr gewonnen als verloren werden könnte.

        Nun, ich habe „links“ und „rechts“ jetzt nicht in einem generellen Sinne als „gut“ und „schlecht“ vorgestellt. „Links“ ist gemäß der ersten Definition die systemverändernde Kraft, die sich auf die Werte von 1789 und Aufklärung stützt, „rechts“ die systembewahrende. Damit ist noch keine Bewertung an sich gegeben, daraus lässt sich nicht ableiten, dass jedes System generell böse ist. Und es gibt schließlich auch sehr viele Menschen, die das aktuelle gutheißen.

        Ja, rein ‘rechtlich’ gesehen können Sie das so darstellen. Doch jeder, der ihren Artikel gelesen hat, wird mir zustimmen, dass ‘links’ hier von vorne bis hinten als weit besser dargestellt ist, nicht nur in den Ausagen Ihrer Meinung, sondern auch schon bei der Definition. DENN: Heute beziehen sich doch eigentlich alle auf die Werte von 1789, außer ein paar ganz rechten Spinnern. Dementsprechend ist es eine ganz krasse Wertung, wenn Sie 1789 in Ihrer Definition ganz eindeutig auf die linke Seite schieben.

        Ansonsten habe ich deutlich zu machen versucht, dass die Programme die von heutigen „Linken“ vorgestellt werden im Grunde Druidentee oder Schlangenöl sind, da sie mit aufklärerischen Werten – in meinen Augen – nicht viel am Hut haben. Sie sind systemisch verformt und verlaufen innerhalb der von den Herrschenden gesetzten Bahnen.

        Ja, dem kann ich natürlich uneingeschränkt zustimmen.

        Naja, wie @ Tobias Laemmert bereits vermerkte habe ich den hervorzuheben versucht, indem ich auflistete, was alles nicht „links“, sondern anti-aufklärerisch und regressiv ist. Austerität, Agenda 2010, Imperialkriege, Bargeldverdrängung, Massenüberwachung etc. pp. All das ist für mich nicht „links“, sondern wird von Rechten bzw. nach rechts gerückten Parteien vorangetrieben.

        Ok, ok, aber da fehlt dann eben wirklich noch, was ich den ganzen Artikel über vermisst habe.
        Ich kann natürlich versuchen den Unterschied zwischen einer Katze und einem Hund deutlich zu machen indem ich beschreibe was eine Katze alles nicht ist. Aber selbst wenn ich eine Stunde darüber erzähle, weiß mein Zuhörer wahrscheinlich immer noch nicht genau was den jetzt eine Katze ist und vom Hund hat er auch nur ein sehr grobe Ahnung (Ja ist wieder überzeichnet, ich wollte damit nur klar machen wo hier aus meiner Sicht das Problem liegt).

        Und jetzt wünsche ich eine gute Nacht. Oder Ihnen vielleicht auch schon einen guten Morgen, falls sie unglücklicherweise mal wieder nicht schlafen konnten.

        1. @Two Moon

          Da haben Sie in meinen Augen einen der interessantesten wohl auch besten OT-Kommentare der letzten Zeit geschrieben.

          Ich finde mich in vielem wieder, was Sie geschrieben haben.
          Und Sie sprechen im Hinblick auf den Artikel unseres guten Autors in etwa auch Dinge an, die mich ebenfalls beschäftigen – allerdings ohne, dass ich sie bisher präzisiert oder gar formuliert hatte.

          Obwohl ich die Rechts-Links-Definition des Autors selber auch anwende, bin ich mir vollkommen im Klaren, dass Sie mit Ihren kritischen Anmerkungen auch recht haben.

          Hinzu kommt natürlich, dass ich als Konservativer den Utopieaspekt mehr problematisieren würde. Sie kommen ja auch etwas darauf zu sprechen. Das ist ein ganz extrem wichtiger Punkt, der für Linke wiederum so selbstverständlich ist, dass sie da einen “gelben Fleck” haben und überhaupt nicht begreifen, wie andere das überhaupt bezweifeln können.

          Letztlich ist das im Artikel gewählte Thema aber eben auch gewaltig groß, während der im Eingangssatz ausgedrückte Sachverhalt (“Dass es der herrschenden Kaste gelingt ihre Politik als „links“ zu verkaufen, stellt einen wichtigen Schritt zu ihrer dauerhaften Machtsicherung dar.”) im Artikel dann gar nicht die zentrale Rolle spielt, die ich zunächst vermutet hatte.
          Nun ja, man schweift manchmal ab, kommt auf anderes – das ist kein wirkliches Problem.

          Ich werde den Artikel nachher noch einmal durcharbeiten, denn er hat eben doch viel Substanz. Besonders nützlich empfinde ich übrigens die Hinweise auf die Gedanken von Agnoli und Harcourt.

          Gruß

          1. @ Wolfgang Wirth:

            Oh danke für die Blumen! So doll hätte ich es von Ihnen nicht erwartet.

            Hinzu kommt natürlich, dass ich als Konservativer den Utopieaspekt mehr problematisieren würde. Sie kommen ja auch etwas darauf zu sprechen. Das ist ein ganz extrem wichtiger Punkt, der für Linke wiederum so selbstverständlich ist, dass sie da einen „gelben Fleck“ haben und überhaupt nicht begreifen, wie andere das überhaupt bezweifeln können.

            Ich sehe das in Teilen ähnlich wie Sie, stehe jedoch den Utopien im Ganzen nicht nur kritisch gegenüber. Denn am Ende kann vielleicht wirklich nur etwas, was uns jetzt noch wie eine Utopie erscheinen würde, ein Weg heraus weisen aus der aktuell extrem verfahrenen weltpolitischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und umweltzerstörerischen Situation.
            Aber es gibt in der Tat einige linke Utopien, die ich für geistige Sackgassen halte.

            Ich werde den Artikel nachher noch einmal durcharbeiten, denn er hat eben doch viel Substanz.

            In der Tat, der Artikel hat am Ende doch sehr viel Substanz.

            1. Im ersten Absatz war mir etwas verrutscht. Sollte so aussehen:

              Da haben Sie in meinen Augen einen der interessantesten wohl auch besten OT-Kommentare der letzten Zeit geschrieben.

              Oh danke für die Blumen! So doll hätte ich es von Ihnen nicht erwartet.

        2. @Two Moon
          Genau um dieses Lebensgefühl ging es auch mir im Eingangskommentar. Wer differenziert denkt und alle Argumente sorgfältig abwägt, wird sich im Zustand der Ambivalenz wiederfinden und sich nicht klar im Freund-Feind-Schema positionieren können. Konsequente Parteinahme funktioniert vielleicht im Fußball, aber nicht in der Politik.
          Ausserdem müssen Regierungen in Demokratien immer den Wählerwillen abbilden. Wenn dieser nicht eindeutig ist, kommt es zu Koalitionen, die zu Kompromissen gezwungen sind. Wie gesagt: Das realistische Ziel der Politik kann nicht die Umsetzung eines Partei-Wahlprogramms oder einer Utopie sein, sondern die Suche nach großen gemeinsamen Interessen in einer Welt von gegensätzlichen und widersprüchlichen Interessen. Politik ist die Kunst des Möglichen, nicht des Wünschbaren.

        3. @TwoMoon

          Und ja, der Kapitalismus muss beeendet werden. Doch deswegen bin ich nicht unbedingt links.

          Also wenn Sie den Kapitalismus nicht durch irgendwas ganz abgedrehtes ersetzen wollen, sondern durch eine Art gemeinschaftliche Ökonomie – üblicherweise als Kommunismus bezeichnet – dann würde ich schon sagen, dass Sie Links sind.

          Wenn die Linken dann aber herrschen sind sie ja selber die Herrschenden und ändern sich (im real existierenden Gedöns) dann auch von progressiv zu konservativ, in der Regel.

          Kommt auf die Politik an, die die Herrschenden dann machen. Wenn es Partei-Linke der Demokratie sind, exekutieren sie die Notwendigkeiten des bürgerlichen Staates. Deswegen muss man halt definieren, was progressiv inhaltlich ist. Wokeismus ist z.B. nicht progressiv, weil es ein radikaler Konkurrenzstandpunkt ist, der für die eigene Identität die besten Startbedingungen rausschlagen will. Woke sind Konkurrenzgeier – nicht fortschrittlich. Fortschrittlich wäre eine Haltung, die die Konkurrenz überwinden will. Links – Rechts ist eine Zuordnung. Man kann sie durchaus inhaltlich fassen. An ihrer Idee, die beiden Kategorien seien nur dazu da Freund und Feind zu unterscheiden ist was dran. Das erklärt auch die Entwicklung der Kategorien hin zu reinen Kampfbegriffen, deren Inhalt nur noch darin besteht den Gegner gut oder schlecht aussehen zu lassen.

          Aber eben _nicht_ absolute Gleichheit, wie es im Kommunismus angestrebt wird.

          Eigentlich wird absolute Gleichheit im Kommunismus nicht angestrebt. Eher “jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen” Das ist ja keine materielle Gleichheit. Politisch gilt jeder gleich. Man muss also sagen, worauf sich die Gleichheit beziehen soll.

          Dementsprechend ist es eine ganz krasse Wertung, wenn Sie 1789 in Ihrer Definition ganz eindeutig auf die linke Seite schieben.

          Das sehe ich auch so. Mit der französischen Revolution hat sich der bürgerliche Staat durchgesetzt, der den Siegeszug der kapitalistischen Ökonomie zementierte. “Der bürgerliche Staat ist die politische Gewalt der kapitalistischen Gesellschaft.” §1 https://de.gegenstandpunkt.com/kapitel/buergerliche-staat/freiheit-gleichheit-privateigentum-abstrakt-freier-wille

        4. Guten Abend @ Two Moon,

          will Ihnen auch noch auf ein paar Punkte antworten.

          Zunächst einmal muss ich bekennen, dass ich mich selber in dieses Rechts/Links-Schema nicht mehr einordnen kann. Es gelingt einfach nicht.

          Nicht tragisch. Denn natürlich ist jeder Mensch mehr als es ein schubladisierender Begriff es ausdrücken kann. Wobei ich @ Krim (und Ihnen selbst!) zustimmen würde, dass Sie schon sehr viele linke Eigenschaften aufweisen und dies in Ihren Texten auch zum Ausdruck bringen. Aber was und wer Sie sind, entscheiden immer noch Sie selbst und nicht irgendwelche Leute auf der Gass, in einem Spartenforum oder sonstige potentielle oder tatsächliche Schubladisierer. Für mich sind Sie Two Moon.

          Und ich sagen Ihnen – auch meine politische Zuordnung ist eine Herausforderung. Ein Mensch ist eben mehr als die Summe von Attributen und sonstigen Satzbausteinen. Schauen Sie: ich bin im persönlichen Lebensstil sozialkonservativ. Ich habe noch nie in meinen Leben freiwillig Alkohol getrunken (von Alkohol als Medikamentenzusatz abgesehen) und auch keine sonstigen Drogen konsumiert. Ich dusche kalt, betreibe Eigengewichttraining, stehe morgens früh auf, gehe gerne spazieren, fahre kein Auto (Konservative fahren nicht – sie lassen fahren, ich in meinem Fall den Busfahrer oder Lokführer). Ich interessiere mich für Geschichte, lege Wert auf Werte wie Pünktlichkeit und Ehrlichkeit, bin neuem immer erst einmal kritisch-begleitend gegenüber und wechsle somit ein bewährtes Pferd nicht sofort aus, nur weil ein neues angepriesen wird. Mit Moden und Trends kann ich wenig anfangen. Usw. usf. Alles ziemlich konservativ. Und nu? Ich oktroyiere niemandem meine Lebenseinstellung – das ist ein Unterschied zu einer ganzen Menge Leuten, insbesondere der systemischen Rechten. Deshalb bin ich gesellschaftlich erzlibertär, wie man an meinen Beiträgen zu Cannabis ja auch sicher merkt. Und ich habe eine dezidierte Abneigung gegen Kapitalismus, Kolonialismus und Imperialismus sowie der „Sozialpolitik“ in diesem Land, kann dabei freilich sowohl mit Flassbeck als auch Marxens Kritik der ursprünglichen Akkumulation viel anfangen. In dieser Dimension bin ich erzlinks, anarcho-kommunistisch und keynesianisch-flassbeckisch.

          Somit bin ich zusammengefasst ein sozialkonservativer, libertärer Linker. Also vermutlich für die Mehrheit irgendetwas zwischen verschwörungserzählendem Querfrontler, nicht ganz dicht und eierlegender Wollmilchsau. Ein freundlich gewogener Mitforist schlug vor ich solle mich als „Freidenker“ bezeichnen. Überlegenswert. Aber ich sage einfach: ich bin bloß Altlandrebell, mit all meinen jeweiligen Einstellungen.

          Vielleicht sollte man einfach mehr Adjektive nehmen, um sich zu beschreiben. Damit wäre schon etwas gewonnen.

          Im Artikel ging es mir jetzt vornehmlich um eine Gegenrede gegen das Narrativ es gäbe heuer einen „Linksruck“. Hier wollte ich zum einen aufzeigen, dass es unterschiedliche links-rechts-Definitionen gibt und zum anderen die gegenwärtige Entwicklung vieles ist, aber nicht „links“. Sowie, dass das zunächst von RdL erörterte Geschwätz des Linksrucks der Machtsicherung dient. Als ganz einfache Scheidelinie der beiden politischen Lager habe ich die klassische Definition von 1789 genommen, im Sinne von Ockhams Rasiermesser. Ich wollte es einfach halten. Natürlich ist das nicht für jeden anwendbar (mich eingeschlossen). Für eine genauere Analyse sollte man immer mehr Dimensionen heranziehen.

          Nun ist es aber auch so, dass in den letzten Jahrzehnten der Begriff ‚links‘ gesamtgesellschaftlich langsam immer mehr positiv besetzt wurde

          Da möchte ich einhaken und bitten nach Milieu, Sender und Definition zu differenzieren. Vielleicht ist im Aachener Raum der Begriff vielen positiv besetzt. Es gibt andere Landesteile und Milieus in dem „links“ weiterhin ein Kampfbegriff ist, der auf große Antipathie stößt. Es ist doch ein ganz bestimmter „Links-Begriff“, der positiv geframed wird – und dass ist der neoliberal-woke.

          Aber egal, die Vorstellung von ‚links‘ gilt gesamtgesellschaftlich mittlerweile als besser, humaner, gerechter, schöner usw. als die Vorstellung von ‚rechts‘. Was dann auch dazu führt, dass sich nicht einmal die Rechten noch rechts nennen möchten. Nein, die nennen sich lieber ‚konservativ‘.

          Wobei „rechts“ und „konservativ“ eben nicht deckungsgleich sind. Gerade Konservative, die wie @Wolfgang Wirth erörterte die alte, klassische Definition heranziehen, sehen in „rechts“ das System. In dem sie sich genauso wenig wohlfühlen wie Freigeister und Linke. Sie lehnen womöglich andere Aspekte ab, haben andere gesellschaftliche Ziele. Aber sie verstehen „rechts“ als das herrschende System. Vergessen wir nicht, dass es z.B. kapitalismus-kritische, christlich-pazifistische Konservative gibt. Die mögen Abtreibung und Homosexuellenehe ablehnen, aber eben auch Kriegseinsätze, Zins, Austerität, neoliberale „Reformen“ etc. Sie sind für mich weder „links“ noch „rechts“, sondern im Sinne Schmidts eben mittig, zwischen den Polen angesiedelt und sui-generis-Gruppen bildend.

          der staatsversessene Steinbock

          Ich bin Steinbock, Aszendent Zwilling. Ich bin vieles, aber gewiss nicht staatsversessen. 😉

          Und auch wenn das jetzt ein richtig langer Post wird und Sie sicher noch eine Menge zu lesen und zu schreiben haben

          Bitte – da müssen Sie sich wirklich nicht bei mir entschuldigen, weil sie einen Kommentar bestimmter Länge verfassen. Zum einen freue ich mich immer auf den Austausch (sonst wäre ich nicht hier), zum anderen wissen wir alle, dass nicht immer en detail jeder Punkt behandelt werden kann. Gestern war ich gar nicht im Forum und die nächsten Tage vielleicht auch nicht – es ist eben ein Forum und keine Pflichtveranstaltung mit Anwesenheitspflicht. 🙂

          Nun erst einmal haben Sie links ja auch dadurch definiert, dass es immer gegen die Herrschenden geht und das links immer progressiv sein muss.

          Ich habe „links“ definiert, dass es gegen das etablierte System geht. Vielleicht hätte ich noch ein „gegenwärtig hier“ vor das „etablierte“ stellen sollen. Eine Befreiungsbewegung, die die Macht in einem kolonialisierten Gebiet erlangt und dieses in die Freiheit zu führen sucht, wäre dann auch „herrschend“. Sie ist womöglich aber dabei ein neues System zu errichten – und das kann sehr wohl positiv sein. Ich lese „Macht“ nicht als genuin schädlich und verbinde „Herrschaft“ nicht zwangsläufig mit Gewalt. Wie heißt es bei Augustin Souchy?

          Anarchismus ist Gesetz und Ordnung ohne Gewalt. Mit Gewalt kann man eine Ordnung niederschlagen, beseitigen. Mit Gewalt kann man auch eine neue Ordnung aufrichten, aber mit Gewalt kann man keine freie Gesellschaft schaffen. Wenn man dazu Gewalt benutzt, ist sie ja nicht mehr frei. Gewalt ist Zwang, und Zwang ist der Antipode der Freiheit. Natürlich haben die Mächtigen in den letzten hundert Jahren durch Propaganda und durch Verdummungskampagnen alles getan, den eigentlichen Sinn der anarchistischen Idee, nämlich Freiheit, im öffentlichen Bewußtsein in sein Gegenteil, in Chaos und Gewalt, umzukehren.

          Sie sehen, es gibt unterschiedliche System-, Herrschafts- und Ordnungsbegriffe.

          Das „progressiv“ stammt übrigens aus der Definition vom Schmidt. Ich habe ein bestimmtes Fortschrittsverständnis, das aber mit dem Progressiven nicht gleichgesetzt werden muss. Fortschritt bei mir – das inkludiert potentiell auch die Wiederherstellung früherer Zustände, die abgeschafft, von mir aber für gut befunden wurden.

          Wenn die Linken dann aber herrschen sind sie ja selber die Herrschenden und ändern sich (im real existiernden Gedöns) dann auch von progressiv zu konservativ, in der Regel.

          Ja, die Frage ist eben, ob das die Regel ist. Oder da ein Automatismus bei liegt. Wir müssen auf die Umstände schauen und die Personen, die sie begünstigen. Viele Revolutionen finden erst im Moment des Kataklysmos statt, wenn eine vorherige Ordnung erodiert ist (durch Krieg / Katastrophe / Crash…). Dies sind zum einen Momente, die auch viele negative Persönlichkeiten anziehen. Sie erwähnten ja den Machttrieb. Jene haben zudem eine höhere Wahrscheinlichkeit in herausragende Positionen zu kommen – da sie das gesamte „Instrumentenset“ einsetzen. Was meine ich damit? Nun, jemand der bspw. unbestechlich oder friedfertig ist, wird keine Schecks annehmen oder Konkurrenten erdolchen. Damit verringert er seine Möglichkeiten aufzusteigen, da andere Personen nicht vor solchen Mitteln zurückschrecken. Tja und dann gibt es die internationalen Umstände, die eine Befreiungs- oder Revolutionsbewegung zu Handlungen zwingen, die sie eigentlich nicht möchte. Und das ist eine Schlüsselvariable.

          Sie haben vom „real existierenden Gedöns“ gesprochen. Man darf hier nicht vergessen, dass Länder wie China oder die UdSSR pausenlos unter dem Druck der imperialen Hegemonialmacht USA und der übrigen westlichen Imperialisten und Kolonialisten standen. Die Sowjets hatten erst die weiße Konterrevolution (inklusive westalliierter Truppen) am Hals, dann westliche Destabilisierungsversuche, anschließend den deutschen Vernichtungskrieg, der darauf abzielte die Sowjetbevölkerung wahlweise auszurotten oder zu versklaven und dann nach vier Kriegsjahren und horrenden Schäden die USA und deren Kampagnen. Das entschuldigt nix, werden Sie einwenden und ich stimme zu, zumal ich gewiss kein Verteidiger von Stalin, Lenin und Co. bin. Nur müssen diese Einflussfaktoren beherzigt werden. Die Sowjetunion hatte keinen Moment der Ruhe, sie stand permanent im Feuer. Und auch das heutige China steht weiterhin unter Druck – momentan sind ein gutes halbes Dutzend US-Flugzeugträger im Pazifik. In einem von außen bedrohtem Land entsteht – auch hier muss ich wieder mein Konfliktforschungsstudium raushängen lassen – jedoch in der Regel kein Bullerbü. Es kommt aufgrund des Drucks zwangsläufig zu Zwang, Etatismus und „Gedöns“.

          Die waren sogar so links, dass sie sich deshalb auch nicht lange halten konnten.

          Tja, auch hier ist die Frage, ob es daran lag, dass sie sich nicht halten konnten, weil sie „so links“ waren. Für wen war das denn schlimm? Sind denen die Leute etwa von der Stange gegangen? Wenn ja – warum? Oder sind die Revolutionäre alle nach rechts gewandert? Auch hier ist vielmehr das nationale wie internationale Umfeld zu beachten, um das Scheitern dieser Versuche zu erklären. In München setzte man beispielsweise auf das damalige Ungarn und hoffte, dass dortige Revolutionäre erfolgreich wären – tja.

          Ich kann das nicht ganz von der Hand weisen, halte es aber eigentlich erst einmal für eine etwas zu idealisierte Darstellung.

          Nope, da kommen wir wohl nicht zusammen. Wie oben nochmals angeführt, halte ich das Ausland für eine extrem wichtige Variable. Wenn nicht gar die zentrale. Das sah übrigens schon der alte Engels so – eine erfolgreiche Aufstandsbewegung braucht eine Anlehnungsmacht, die sie unterstützt. Er schrieb:

          Der Tiroler Aufstand war nur so lange zu fürchten, wie er 1809 durch den Kampf regulärer österreichischer Truppen gestützt wurde. Obwohl die spanischen Guerillas den gewaltigen Vorteil eines sehr ausgedehnten Landes hatten, konnten sie hauptsächlich dank der englisch-portugiesischen Armee ihren Widerstand so lange fortsetzen, denn gegen diese mußten die Franzosen stets ihre Hauptanstrengungen richten. (MEW 12, 115)

          Umgekehrt kann eine von Aufständischen bedrohte Regierung sich retten, wenn ein anderer Staat ihr beispringt. Das war z.B. 1848/49 der Fall als die Russen die Habsburger gegen die Ungarn retteten. Wien war so dankbar, dass es Petersburg nicht im Krimkrieg half. Das war dann eine wichtige Wurzel des russisch-österreichischen Dualismus ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ich schweife ab.

          Der Befund auf jeden Fall wird auch von modernen Forschungsbeiträgen abgesichert: Beispielsweise ermittelten Connable & Libicki, dass Aufstände, die die von ausländischer Förderung profitierten, statistisch gesehen im Verhältnis von 2:1 glückten. Wurde die Unterstützung jedoch zurückgezogen, dann ging das massiv zu Ungunsten der Aufständischen – nur 20 % ihrer Erhebungen glückten (vgl. Connable, Ben; Libicki, Martin C. (2010): How Insurgencies End, Arlington, VA: RAND Publications).

          So – und wie viele “echt-linke” fest im Sattel sitzende Staaten, insbesondere Großmächte, haben wir denn so auf der Welt, die als Anlehnungsmächte in Frage kommen / kamen?

          Aber das größere Problem für eine _echte_ linke Regierung (im freiheitlichen, nicht autoritären Sinne) sind wohl die Revolutionen selber. Sie sprengen in der Regel zu viel von der alten Ordnung weg, sie schütten quasi das Kind mit dem Bade aus, wodurch sich nach einiger Zeit dann Kräfte im Machtvakuum breit machen können, deren Machtrieb auf negative Weise schrankenlos schalten und walten und unterdrücken und morden kann.

          Das kann sein, übersieht aber noch etwas anderes – nämlich, dass Revolutionen nicht im luftleeren Raum stattfinden. Die meisten Revolutionen ereignen sich wie gesagt erst im Moment des Kataklysmos oder im Moment der Transition. Die Oktoberevolution hat nicht die alte Ordnung gesprengt – das war schon zuvor erfolgt. Der Zar hatte im Krieg massiv weiter an Autorität eingebüßt, hinzu kamen die anhaltende sozio-ökonomische Krise und der schlechte Kriegsverlauf mit dem Scheitern der Brussilow-Offensive 1916, in deren Folge über eine Million Soldaten desertierten etc. Die alte Ordnung war somit unterhöhlt, die Befehlsketten zersprengt, der staatliche Zwang in Auflösung und die Lunte gelegt. Und der erste Knall war dann die Februarrevolution. Die deutsche Revolution ein Jahr später wiederum fand statt, als die alte Ordnung (Kaiserreich) ebenfalls bereits massiv erodiert und klar war, dass es eine Republik geben würde (die Frage war: was für eine?). Hinzu kam der dümmliche Flottenbefehl von Ende Oktober 1918, der auch die Befehlsketten zerriss und die Marine desertieren ließ. Die Machtvakuums und das Chaos waren also in beiden Fällen bereits gegeben, bevor die blauen Jungs mit roten Fahnen durch die Straßen zogen – und vielmehr ermöglichten sie überhaupt erst die Revolutionen!

          Das Problem ist nicht die Revolution, nicht einmal schlechte Revolutionscharaktere – sondern, ich bleibe dabei, das internationale Umfeld. Sie mögen es anders sehen – no hard feelings there.

          dass ‚links‘ hier von vorne bis hinten als weit besser dargestellt ist, nicht nur in den Ausagen Ihrer Meinung, sondern auch schon bei der Definition.

          Also, dass ich „links“ überzeugender finde und positiver darstelle – d’accord. Aber meine Definition? Meine Definition ist von meiner Meinung geprägt, die vom Schmidt von dessen. Und der sagt doch einfach nur ganz nüchtern „rechts = etablierte Ordnung bewahren, links = etablierte Ordnung im Sinne bestimmter Werte überwinden“ (in FRZ 1789 Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit). Da ist keine moralische Wertung drin – oder meinten Sie eine andere Definition?

          Heute beziehen sich doch eigentlich alle auf die Werte von 1789.

          Ja, was heißt das? Beziehen, aber in welcher Form? Und wirklich auf alles? Es reden auch alle vom „Umweltschutz“ aber auch hier: was heißt das? Wir können auch alle über Palatschinken reden, aber meinen wir damit dasselbe und bereiteten wir ihn alle gleich zu? Sie auch mit Hack und Gürkchen? Sich auf etwas beziehen, heißt nicht, dass man die gleichen Vorstellungen von etwas hat / teilt.

          Ok, ok, aber da fehlt dann eben wirklich noch, was ich den ganzen Artikel über vermisst habe.

          Ich habe das einerseits bewusst abstrakter gehalten, weil die konkreten Wege und Inhalte eben natürlich noch schwieriger zu gehen sind und man dann der jeweiligen Strömungen differenzieren müsste. Und andererseits ging es mir erst einmal um die Gegenrede.

          Ja – im Grunde hätte ich mehr Platz gebraucht, dann hätte ich einen 16-Seiter schreiben und bei Manova einreichen sollen, auch um den Kapital vs. Arbeit-Aspekt, der ja auch nur am Rande vorkommt, aber sehr entscheidend ist, zu behandeln. Es ließ sich nicht auf alles eingehen.

          Selbiges gilt für diesen Kommentar. Ich hoffe Sie können trotzdem etwas draus mitnehmen. Bei einigen Punkten kommen wir wohl nicht zusammen – ist m.M.n. aber nicht schlimm, Reibung belebt das Geschäft. 🙂

          Ihnen einen guten Start in die neue Woche
          Altlandrebell

          1. @ Altlandrebell

            Ich versuche nun auch noch abschließend ein paar Sachen zu sagen, weil wir dann damit – so glaube ich – fast schon die meisten Dinge geklärt hätten, die geklärt werden könnten. Geklärt im Sinne von ‘klar gemacht’, nicht unbedingt zur gleichen Einschätzung gekommen.
            Soweit sind wir vielleicht auch gar nicht auseinander, zumindest nicht in wirklich problematischen Fragen, die uns beide dann zu politischen Gegenern machen würden.
            Manches muss man sich vielleicht auch erst näher erklären, denn es ist wohl so, dass wir beide auch durch ganz unterschiedliche Lektüre und Bildung unsere Ideen entwickelt haben. Da muss man erst auch mal die Geisteswelt des Anderen begreifen lernen.

            Wo wir aber wirklich nicht zusammenkommen ist die Sinnhaftigkeit der weiteren Verwendung des Begriffspaares rechts/links. Auch wenn Sie und W. Wirth ein paar gute und durchdachte Gedanken dazu geäußert haben – und auch wenn ich einsehe, dass es wichtig wäre den Widerstand gegen eine etablierte und unterdrückende Ordnung durch einen möglichst allgemein verständlichen Begriff kenntlich machen zu können, kann ich nicht erkennen, dass dazu rechts/links sinnvoll oder nötig wäre. Ich kann auch nicht einsehen, dass man diesen Widerstand nicht mit einem anderen Begriff bezeichnen könnte, der eindeutiger wäre.
            Denn wenn wir es hier im Overtone-Forum, bei aller Mühe und der sicher nicht geringen geistigen Kapazität der Foristen, nicht schaffen das Begriffspaar rechts/links klar genug zu definieren, wie soll dann der Rest der Bevölkerung damit gut und sinnvoll umgehen können?

            Daher habe ich schon vor längere Zeit intuitiv aufgehört dieses Begriffspaar als Beschreibung für mich oder als Beschreibung für andere, aus meiner Sicht, zu verwenden. Das bedeutet ich verwende es nicht, wenn ich die Meinung anderer einschätze, wenn ich mit ihnen spreche. Ich verwende es aber schon, wenn ich darüber rede oder schreibe wie Andere Andere sehen, denn da muss ich ja für deren Sicht auch deren Begriffe verwenden.
            Für meine eigene Sicht auf mich und andere geht das aber nicht mehr. Dagegen habe ich einen regelrecht körperlich spürbaren Widerwillen entwickelt.

            Ich denke man braucht wirklich genauere Beschreibungen. Was ein Kommunist ist oder ein Wokist, ist schon relativ klar umrissen – und so oder ähnlich könnte man auch weiter machen.
            Ein guter Ansatz ist auch das zweidimensionale System, wozu Sie hier auch mal den Fragebogen gepostet hatten (man müsste ihn halt auf deutsche Verhältnisse anpassen). Wahrscheinlich bräuchte man aber noch eine 3. Dimension um es wirklich gut zu fassen.

            Nun noch ein paar kurze Antworten direkt auf Ihre Teststellen, denn da ergeben sich doch mache Gemeinsamkeiten:

            Ich habe noch nie in meinen Leben freiwillig Alkohol getrunken (von Alkohol als Medikamentenzusatz abgesehen) und auch keine sonstigen Drogen konsumiert. Ich dusche kalt, betreibe Eigengewichttraining, stehe morgens früh auf, gehe gerne spazieren, fahre kein Auto (Konservative fahren nicht – sie lassen fahren…

            Ich dagegen rauche und trinke für mein Leben gerne Alkohol, allerdings beides so selten und so mäßig, dass es mich nicht beeinträchtigt, denn ich mag es nicht meinen Körper zu schädigen oder zu missbrauchen – und ich bin eigentlich für keinerlei Süchte anfällig.
            Ich bin aber auch ein Bewegungsmensch und fahre einige Tausend Kilometer Fahrrad im Jahr zu jeder Gelegenheit und Auto nur dann, wenn die Kürze der vorhandenen Zeit oder Transport-Nöte keine andere Wahl lassen.
            Bin ich also hier schon mal nicht so konservativ.

            Ich interessiere mich für Geschichte, lege Wert auf Werte wie Pünktlichkeit und Ehrlichkeit…

            Geschichte ist auch mein Ding, ganz besonders. Ich bin auch selber sehr pünktlich, bei anderen allerdings auch sehr großzügig, was das betrifft, da ich deren Nöte diesbezüglich oft ganz gut verstehen kann. Ähnlich ist das bei der Ehrlichkeit, auch da bin ich manchmal großzügig bei Anderen, entscheidend ist jedoch ob jemand mit vollem Vorsatz und Gewinnabsicht (worin sich der Gewinn auch immer niederschlagen mag) Anderen gegenüber unehrlich ist bzw, bösartig lügt und verarschen will. Dann werde ich richtig böse.

            …bin neuem immer erst einmal kritisch-begleitend gegenüber und wechsle somit ein bewährtes Pferd nicht sofort aus, nur weil ein neues angepriesen wird. Mit Moden und Trends kann ich wenig anfangen. Usw. usf.

            Das trifft genau mein eigenes Verhalten.

            Ich oktroyiere niemandem meine Lebenseinstellung – das ist ein Unterschied zu einer ganzen Menge Leuten, insbesondere der systemischen Rechten. Deshalb bin ich gesellschaftlich erzlibertär, wie man an meinen Beiträgen zu Cannabis ja auch sicher merkt. Und ich habe eine dezidierte Abneigung gegen Kapitalismus, Kolonialismus und Imperialismus sowie der „Sozialpolitik“ in diesem Land,

            Auch das kann ich 100%tig unterschreiben.

            Vielleicht sollte man einfach mehr Adjektive nehmen, um sich zu beschreiben. Damit wäre schon etwas gewonnen.
            Für eine genauere Analyse sollte man immer mehr Dimensionen heranziehen.

            Ja genau, sehr richtig, so habe ich es oben ja auch schon vorgeschlagen.

            Da möchte ich einhaken und bitten nach Milieu, Sender und Definition zu differenzieren. Vielleicht ist im Aachener Raum der Begriff vielen positiv besetzt. Es gibt andere Landesteile und Milieus in dem „links“ weiterhin ein Kampfbegriff ist, der auf große Antipathie stößt. Es ist doch ein ganz bestimmter „Links-Begriff“, der positiv geframed wird – und dass ist der neoliberal-woke.

            Ja, richtig, der neoliberal-woke, für den ja auch in den Medien krätig getrommelt wird. Und das Kidnapping des Begriffs ‘links’ war eben so erfolgreich, dass es durch die Medien und damit auch für immer mehr Leute positiv besetzt ist, jetzt auch ganz unabhängig vom Aachener Raum (ok, früher gabs hier viele Linke, aber seit der Steinkohlenbergbau der Vergangenheit angehört und die Kumpel längst verschwunden sind…).

            Wobei „rechts“ und „konservativ“ eben nicht deckungsgleich sind. Gerade Konservative, die wie @Wolfgang Wirth erörterte die alte, klassische Definition heranziehen, sehen in „rechts“ das System. In dem sie sich genauso wenig wohlfühlen wie Freigeister und Linke.

            Auch richtig, aber viele Rechte flüchten sich halt in das Wort ‘konservativ’, weils rechts schon länger einen üblen Leumund hat.

            Ich bin Steinbock, Aszendent Zwilling. Ich bin vieles, aber gewiss nicht staatsversessen.

            Ein Astrologe würde Ihnen darauf jetzt antworten: Sie sind nicht Steinbock, sondern Sie haben die Sonne im Steinbock stehen. Da das Sternzeichen, in dem die Sonne steht, nur eine von sehr zahlreichen Komponenten des Geburtshoroskopes ist, sagt das noch gar nicht viel darüber aus wie steinbockhaft Sie wirklich sind.
            Der Archetyp des Steinbocks steht auf jeden Fall auf den Staat, staatliche Normen und Gesetze sind für ihn sehr wichtig, weswegen der ihm nachfolgende Wassermann auch dagegen revoltiert und nachgerade Revolutionen anzettelt. Ein echter Steinbock wäre also eher rechts, der Wassermann klassisch links.

            Ich habe „links“ definiert, dass es gegen das etablierte System geht. Vielleicht hätte ich noch ein „gegenwärtig hier“ vor das „etablierte“ stellen sollen. Eine Befreiungsbewegung, die die Macht in einem kolonialisierten Gebiet erlangt und dieses in die Freiheit zu führen sucht, wäre dann auch „herrschend“. Sie ist womöglich aber dabei ein neues System zu errichten – und das kann sehr wohl positiv sein. Ich lese „Macht“ nicht als genuin schädlich und verbinde „Herrschaft“ nicht zwangsläufig mit Gewalt.

            Nun gut, hier gebe ich einmal nach. Ich lese „Macht“ und „Herrschaft“ auch nicht als genuin schädlich. Ich glaube sogar, dass ein Fehlverständnis von „Macht“ (auch verursacht durch die frz. Revolution) einer der Hauptgründe für viele politische und gesellschaftliche Probleme der heutigen Zeit ist. Aber das ist ein sehr weites Feld und müsste man an andere Stelle mal erörtern.

            Das „progressiv“ stammt übrigens aus der Definition vom Schmidt. Ich habe ein bestimmtes Fortschrittsverständnis, das aber mit dem Progressiven nicht gleichgesetzt werden muss. Fortschritt bei mir – das inkludiert potentiell auch die Wiederherstellung früherer Zustände, die abgeschafft, von mir aber für gut befunden wurden.

            Die Wiederherstellung früherer Zustände, ja auch ich sehe so etwas oft als Fortschritt, gerade in heutiger Zeit.

            Die Sache mit den Revolutionen handle ich jetzt mal, der Kürze halber, En bloc ab.
            Ja, ich stimme zu, dass Revolutionen in der Regel erst dann beginnen, wo der Kataklysmos schon da ist. Mein besonderer Punkt ist aber, dass die gewaltige Eruption von Emotionen, der bis dahin unterdrückten und frustrierten Menschen, das eigentliche Problem ist. Und dafür ist es eigentlich irrelevant wir sehr das System vorher schon zerrüttet war. Der Ausbruch der bis dahin aufgestauten Gefühle mündet fast schon von selbst in Gewalt, die auch letzte Reste einer wie auch immer noch tragenden Ordnung hinwegfegt und damit Machtmissbrauch und entsprechenden Profiteuren Tür und Tor öffnet, gerade jenen Menschen, die, wie Sie auch beschreiben, besonders skrupelos sind. Deswegen halte ich es schon lange für wichtig revolutionäre Bewegungen nicht völlig explodieren zu lassen, wie schwer das auch immer sein mag.

            Ich stimme auch zu, wenn Sie sagen, dass der Einfluss äußerer Mächte großen Einfluss auf das gute Gelingen einer Revolution hat, bzw dessen was in dem Land danach kommt. Aber wenn das Enstehen eines Linken Systems im positiven Sinne in einem Land erst eine Büllerbü-Situation braucht um wirklichen Erfolg zu haben, wie kann dann ein solches System in einer Welt ständiger Konflikte und Machtkämpfe trotzdem genügend Resilienz entwickeln? Ich würde da wirklich eher denken, dass am Grundkonzept etwas nicht stimmt. Was ist so ein System wert, wenn es nicht in der Lage ist sich in der Welt zu behaupten?

            Die UDSSR und China standen natürlich unter äußerem Druck nach ihren Revolutionen und auch lange Zeit danach, aber ich glaube nicht, dass ohne diesen Druck diese Staaten grundsätzlich viel humaner agiert hätten. Ich würde meinen es reichte schon der innere Druck, die innere Opposition um zu Machtmissbrauch und Überkontrolle zu führen.

            Also, dass ich „links“ überzeugender finde und positiver darstelle – d’accord. Aber meine Definition? Meine Definition ist von meiner Meinung geprägt, die vom Schmidt von dessen. Und der sagt doch einfach nur ganz nüchtern „rechts = etablierte Ordnung bewahren, links = etablierte Ordnung im Sinne bestimmter Werte überwinden“ (in FRZ 1789 Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit). Da ist keine moralische Wertung drin – oder meinten Sie eine andere Definition?

            Jetzt klingt die Definition schon überzeugender als Sie in ihrem Text herüber kam. Ist so ok für mich. Trotzdem ist Ihr Artikel eben sehr linkslastig, in jeder Hinsicht. Der gefühlte Gesamteindruck und darauf kommt es ja an.
            Das Begriffspaar rechts/links sieht ja erst einmal gleichberechtigt aus und ähnlich wertfrei müsste dann auch die Definition gefasst sein, damit sich alle Menschen auf gerechte Weise darunter versammeln können. Nach Ihrem Text können sie das aber nicht, jedenfalls ist das meine Empfindung.

            Ja – im Grunde hätte ich mehr Platz gebraucht, dann hätte ich einen 16-Seiter schreiben und bei Manova einreichen sollen, auch um den Kapital vs. Arbeit-Aspekt, der ja auch nur am Rande vorkommt, aber sehr entscheidend ist, zu behandeln. Es ließ sich nicht auf alles eingehen.

            Ja, das sehe ich ein. Allerdings müsste es normalerweise möglich sein den Unterschied zwischen rechts und links klar und eindeutig auf einer Seite zu erklären – wenn, ja wenn dieses Begriffspaar denn wirklich dazu taugt allgemeinverständlich für einen großen Teil der Bevölkerung zur politischen Orientierung dienen zu können.

            Falls Sie das jetzt noch gelesen haben, bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich schon auf Ihren nächsten Artikel.

  6. Und Abtreibung? Nun, die wandelte sich von einem Signum der Frauenbefreiung zu einem der seit Jahrzehnten um sich greifenden Medikalisierung.

    Was ist damit gemeint?

    Eine geniale Taktik, zutiefst im System verwurzelte und von dessen Trägern angestiftete Entwicklungen als Werk des politischen Gegners zu verkaufen.

    Also sozusagen ein false flag Operation.

    Nur ein paar Beispiele, der Autor erwähnt die Revolution 1789 als linke Revolution.

    Die französische Revolution war eine bürgerliche Revolution, also eine, die das Bürgertum an die Macht brachte.

    Ich denke, dass viele Linke Ideen eine gute Sache sind, aber man braucht halt die richtigen Leute sie umzusetzen

    Erstmal braucht es Leute, die diese Ideen richtig finden. Das “Personalproblem” betrifft die Basis – nicht die Politikermannschaft, die es dann umsetzt.

    1. @ Krim

      Was ist damit gemeint?

      Nichts Gutes. 😉

      Es gibt verschiedene Definitionen für den Prozess der „Medikalisierung“ aber im Allgemeinen – man möge mich korrigieren – geht es um einen Prozess, bei dem bisher nicht (umfassend) medizinisch behandelte Körperphänomene bearbeitet und / oder Menschen invasiv „beraten“, „versorgt“ und letztlich für das System fit gemacht und somit „optimiert“ werden. Im Falle (weiblicher) Sexualität kann auch der Aspekt Regulierung ins Spiel kommen – und gerade beim Falle der Abtreibung steht ja u.a. der Beratungsaspekt stark im Vordergrund und es wird – im Bekanntenkreis selbst erlebt – geschaut und abgewägt, ob man sich so ein Kind „leisten“ kann (nicht nur finanziell – auch im Hinblick auf Karriere oder Lifestyle). In allen Fällen geht das Phänomen mit einer Ausweitung der Macht von Pharmazie und Ärzten einher. Und da hat der verlinkte Pasolini m.E. ein paar treffende Einwürfe zur Form und Ausgestaltung der Abtreibung unter kapitalistischen Bedingungen.

      Ein anderes (unschönes) Beispiel für Medikalisierung und weibliche Sexualität ist übrigens der Anstieg von Kaiser- und Dammschnitten. In der BRD werden inzwischen gut 30 % der Kinder per Kaiserschnitt zur Welt gebracht. In meinem Geburtsjahr waren es 15,3 %. Ist wie bei so manchen orthopädischen Eingriffen – macht eben Cash. Der persönliche “Nutzen” ist dagegen durchaus hinterfragenswürdig, von der “Gewalt unter der Geburt” ganz zu schweigen…

      Die französische Revolution war eine bürgerliche Revolution, also eine, die das Bürgertum an die Macht brachte.

      Das ist nun mir zu pauschal. Ja, eine gewisse Sektion des Dritten Standes kam nach oben und ja, in Teilen war es nur ein rechter Elitenaustausch. Das hat ja auch mal der frühere Mitforist Majestyk hier erörtert.

      Aber man darf zugleich die globalen und sonstigen Folgen der Revolution nicht ausblenden. Und ebenso wenig, dass ihr Abgleiten ins Autoritäre auch dem internationalen Umfeld geschuldet war, das (nicht so selten in der Geschichte) der Regression und Verrohung Vorschub leistete.

      1. Wenn ich deine Ausführung für mich übersetzen darf, dann war die Abtreibung Frauenbefreiung, weil sie dadurch die Möglichkeit erhielt über ihre Funktionalität zur Hervorbringung des gesellschaftlichen Nachwuchses selbst zu entscheiden. Während die Medikalisierung genau das entgegengesetzte Ziel verfolgt, nämlich dass das Gebären und Aufziehen des Nachwuchses, nicht ihre gesellschaftliche Funktionalität beeinträchtigt.

        Das ist nun mir zu pauschal.

        Ein Satz ist kein Buch. Ich wollte drauf hinweisen, dass Revolution nicht gleich Revolution ist. Und die französische war eben eine bürgerliche Revolution, die dem in der Entwicklung begriffenen Kapitalismus eine für diese Ökonomie funktionale Gewalt bzw. funktionalere staatliche Gewalt beschert hat.

        Aber man darf zugleich die globalen und sonstigen Folgen der Revolution nicht ausblenden.

        Gerade wenn man die Folgen nicht ausblendet komme ich insgesamt zu keinem positiven Ergebnis. Die franz. Revolution hat uns eine Welt von bürgerlichen Staaten mit kapitalistischen Ökonomien rund um den Globus beschert, die ökonomisch gegeneinander konkurrieren und gegeneinander Krieg führen mit der Potenz der totalen Vernichtung der Erde. Man könnte mit einigem Recht sagen, dass die französische Revolution diese Epoche eingeleitet hat. – Also nichts Gutes.

        Zu den Beiträgen weiter oben:

        Anarchisten werden wohl darauf verweisen, dass eine linke Gesellschaft erst dann verwirklicht werden kann, wenn Markt und Staat abgestorben sind. Einige Kommunisten – Praktiker wie Theoretiker – werden das vehement bestreiten.

        1. Erstmal stirbt der Staat nicht ab, wie ein alter Baum. Da muss man schon ein wenig nachhelfen. Die Verhältnisse werden ja durch staatliche Gewalt aufrecht erhalten und solange es den bürgerlichen Staat gibt, wird es auch einen Markt geben. 2. Kommt es auch entscheidend drauf an welchen Zweck die staatliche Gewalt verfolgt. Wenn die Gewalt eine Gesellschaft mit zwei entgegengesetzten Klassen “betreut”, bei der die eine die andere ausbeutet, ist die Gewalt allgegenwärtig und durchwirkt alle gesellschaftlichen Beziehungen. Dann ist sie Herrschaft und zwar des Kapitals über die Lohnarbeiterklasse. Wenn dieser Antagonismus abgeschafft ist, hat auch die Staatsgewalt, also bevor sie in einer fernen Zukunft überflüssig wird, einen ganz anderen Charakter. Gesellschaftliche Gegensätze erzeugen einen Gewaltbedarf. Die Auflösung von Gegensätzen macht Gewalt überflüssig. Der Ausgleich von Gegensätzen lässt Gewalt erst gar nicht entstehen.

        Warum sollte es denn – grundsätzlich gedacht – nicht möglich sein die skizzierten Werte – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – sowie Frieden zu verwirklichen?

        Vielleicht weil Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit bürgerliche Ideale sind. Freiheit ist die Freiheit des Eigentums. Die Freiheit der Person ist der rechtliche Reflex, die Rückspiegelung, des Eigentums in den Rechtsstatus der Person. Gleichheit ist die Gleichheit vor Recht und Gesetz, Brüderlichkeit ist der Antagonismus zur Barbarei der Konkurrenz. Ein positives Ideal kann die Brüderlichkeit doch nur sein, wo das Gegenteil davon ökonomisches Prinzip ist. Wie kommt man sonst darauf mit seinen Mitmenschen unbrüderlich umzugehen. Man ist in einer Konkurrenzökonomie gezwungen den eigenen Nutzen auf K o s t e n seiner Mitmenschen zu verfolgen. Also wirklich grundsätzlich gedacht mag es vielleicht möglich sein Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit zu verwirklichen – aber, ich würde das gar nicht wollen, weil es bürgerliche Werte sind, die nur auf der Grundlage einer kapitalistische Ökonomie etwas positives an sich haben. Für sich betrachtet sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit der größte Scheiß, weil sie die Barbarei des Kapitalismus affirmieren. Frieden übrigens genauso. Was ist denn der Frieden? Es ist der normale Gang des kapitalistischen Geschäfts zwischen den Kriegen. Zum Frieden gehört der Krieg. Beides sind Brüder. Frieden ist nur in Relation zum Krieg positiv. (Es gab mal ein Buch von Frerk Huisken das hieß: Anstiftung zum Unfrieden. Indem er die Fehler der Friedenbewegung kritisiert hat.) Der Zweck der Nationen ist überhaupt nur der Krieg, also die Gewaltkonkurrenz von Staaten. Nur zu dem Zweck organisieren sie eine Ökonomie, die möglichst viel Reichtum produziert, um sich Gewaltmittel anzuschaffen, die gegen andere Staaten gerichtet sind. Frieden? – Ebenfalls der größte Scheiß. Er ist nur die Zeit, die es braucht, damit sich die Nation für den nächsten Krieg rüsten kann.

        1. @ Krim

          Wenn ich deine Ausführung für mich übersetzen darf, dann war die Abtreibung Frauenbefreiung, weil sie dadurch die Möglichkeit erhielt über ihre Funktionalität zur Hervorbringung des gesellschaftlichen Nachwuchses selbst zu entscheiden.

          Ne, wie Sie es schildern ist es die jetzige Norm im kapitalistischen System. Bei progressiver Abtreibung sollte es doch um die Befreiung von systemischen, institutionellen (Kirche, Elternhaus…), persönlichen (Partnerschaft) und sonstigen Zwängen gehen. Und nicht um die Wahl zwischen unterschiedlichen Funktionen und Ausbeutungs- / Versklavungsalternativen. Ich folgte bloß Losurdo, der Ausbeutungs- und Unterdrückungserlebnisse eben nicht nur systemisch (Kapitalismus => Kapital vs. Lohnarbeit), sondern auch international (Imperialismus / Kolonialismus => Zentrum vs. Peripherie) und innerfamiliär beschrieb. Frauen Abtreibung vorzuenthalten ist auch eine Form der Ausbeutung und Unterdrückung; die kapitalistische Abtreibungslegalisierung ist aber Druidentee und geht mit dem genannten Prozess der Medikalisierung einher.

          Gerade wenn man die Folgen nicht ausblendet komme ich insgesamt zu keinem positiven Ergebnis.

          Das heißt die Versklavten der Peripherie hätten eben versklavt bleiben sollen oder wie?! Hat nicht bereits lange vor 1789 der Kolonialismus einen breiten Graben zwischen den Völkern gezogen und die Entwicklungen in Gang gesetzt, die Sie schildern? Und auf wen sollten sich die Unterdrückten berufen? An wem orientieren? Wie sollten sie sich wehren? Oder eben bloß in Duldungsstarre die Konquistadoren und Kapitalisten machen lassen?

          Die franz. Revolution hat uns eine Welt von bürgerlichen Staaten mit kapitalistischen Ökonomien rund um den Globus beschert, die ökonomisch gegeneinander konkurrieren und gegeneinander Krieg führen mit der Potenz der totalen Vernichtung der Erde. Man könnte mit einigem Recht sagen, dass die französische Revolution diese Epoche eingeleitet hat.

          Diese Entwicklung wurzelt m.E. eben nicht in der Französischen Revolution. Obendrein: Der Siebenjährige Krieg endete ein Vierteljahrhundert vor ihr, der Österreichische Erbfolgekrieg vier Jahrzehnte. Der Spanische Erbfolgekrieg ein knappes Dreivierteljahrhundert. Bereits damals gab es massive Konkurrenz (Merkantilismus) und extreme Opfer, insbesondere durch die Kolonialausbeutung. Die Opfer im Zentrum waren bei diesen Konflikten hoch, sowohl zivil als auch militärisch, aber die in der Peripherie? Wer kennt die schon? Hat keinen interessiert.

          Negative Folgen und Aspekte der FR blendete ich gewiss nicht aus; ich verdamme diese Revolution allerdings nicht in toto. Sie sprengte die als quasi-göttlich formierte absolutistische Ordnung in einem Schlüsselstaat des Zentrums, was Proletarier in anderen Kernländern nachhaltig inspirieren sollte. Und durch die Nachahmung bzw. das Aufgreifen ihrer Werte in der Peripherie machte sie den ersten wichtigen Schlag gegen das ausbeuterische Sklavensystem des Kolonialismus (der zweite folgte 1917 mit Lenins Aufruf zum Fesselnsprengen). Wenn man 1789 und 1917 als in Gänze „bürgerlich“ oder (bei Arendt und Co.) „totalitär“ und „schädlich“ verdammt – was bleibt dann über? An wem orientiert man sich? An der Amerikanischen „Revolution“ – die ein Aufstand sklavenhaltender Siedler gegen ihr Mutterland war? Oder den englischen Revolutionen des 17. + 18. Jahrhunderts? Die haben weitaus mehr zum Aufschwung von Kolonialismus, bürgerlichen Werten, Kapitalismus und imperialer Konkurrenz beigesteuert als 1789 ff.

          Bei Locke und Co. findet sich das Prinzip, dass alle Menschen „frei, gleich und unabhängig“ seien – aber das war in der Tat nur bürgerlich gemeint, in den Bahnen des herausbildenden Kapitalismus und nur für weiße, privilegierte Männer im Zentrum. 1789 und 1804 waren laute Rufe der Unterdrückten – Männer wie Frauen – und ihre aktiven Versuche dieses und ähnliche Prinzipen für wirklich alle Menschen und jenseits der Bahnen eines imperialistisch-kapitalistischen Weltsystems zu etablieren.

          1. Erstmal stirbt der Staat nicht ab, wie ein alter Baum. Da muss man schon ein wenig nachhelfen.

          Habe ich das negiert? Ich habe nur in sehr knapper Form dem Mitforisten darzulegen versucht, dass es unterschiedliche Annahmen gibt, je nachdem welche Strömung (und Subströmung) man zugrunde legt. Mehr nicht. Natürlich könnte und müsste man noch genaues darstellen wie das „Absterben“ abliefe und was darunter überhaupt zu verstehen ist.

          2. Kommt es auch entscheidend drauf an welchen Zweck die staatliche Gewalt verfolgt.

          Zustimmung, sehe ich nicht anders.

          Aber da Sie hier gerade unterschiedliche Gewalt- und Machtformen bzw. Zwecke differenzieren: Es kommt eben immer entscheidend darauf an, welche Definition und welches Verständnis man zugrunde legt. Auch bei Werten wie Freiheit und Gleichheit. Es gibt bspw. die kapitalistische Freiheit (s.o.) und es gibt anarchistische, kommunistische, anarcho-kommunistische und andere Freiheitsverständnisse. Auf einem alten T-Shirt von mir stand „Freedom – Equality – Peace – Anarcho-Communism“ – alles bürgerliche Werte oder wat?

          Vielleicht weil Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit bürgerliche Ideale sind. Freiheit ist die Freiheit des Eigentums. Die Freiheit der Person ist der rechtliche Reflex, die Rückspiegelung, des Eigentums in den Rechtsstatus der Person. Gleichheit ist die Gleichheit vor Recht und Gesetz, Brüderlichkeit ist der Antagonismus zur Barbarei der Konkurrenz.

          Und aus obigen Gründen gehe ich bei dieser Lesart nicht mit. Das ist eine Interpretation dieser Werte. Die bürgerliche. Doch wie nicht nur das T-Shirt bezeugt, kann man sie auch anders lesen, vertreten oder sich diese Werte aneignen.

          Für sich betrachtet sind Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit der größte Scheiß, weil sie die Barbarei des Kapitalismus affirmieren.

          Das mag Ihre Lesart sein. Die ist Ihnen unbenommen.

          Doch wie gestaltet sich denn dann Ihre Gesellschaft, wenn diese Werte bloße Affirmationen der herrschenden Regression sind? Unfrei, ungleich, unbrüderlich? Ist doch vollkommen klar, dass in einer kommunistischen Gesellschaft alle Menschen frei sind, ihren Nächsten als Bruder wahrnehmen und nicht als Konkurrenten (gut Brüder können manchmal auch ziemlich nervig und konkurrierend sein^^) usw. usf. Vielleicht setzen Sie das als Trivialitäten voraus. Sry, ich verstehe da Ihren Punkt nicht ganz. Oder wie gestaltet sich das menschliche Leben und die Gesellschaft bei Ihnen?

          Ich halte es in diesem Punkt mit Augustin Souchy (böser Kleinbürger, da Anarchopazifist):

          Die Anarchisten waren stets bemüht, auf die polis, die öffentlichen Angelegenheiten, in der Richtung von Fortschritt, Freiheit und Frieden einzuwirken. Sie gaben Anstoß zu Bürgerinitiativen, lange ehe das Wort in Umlauf kam. Der 1. Mai, Weltfeiertag der Arbeit, ist der Initiative der Chicagoer Anarchisten (1886) zu verdanken. Dafür mußten fünf Anarchisten ihr Leben lassen (vier von ihnen waren gebürtige Deutsche). In Mexiko waren es die Anarchisten, die als erste die Parole Land und Freiheit lancierten und damit zu Urhebern der ersten Agrarreform Lateinamerikas (1917) wurden. In aller Welt standen die Anarchisten, zu denen sich später die radikalen Pazifisten gesellten, an der Spitze der antimilitaristischen und Antikriegsbewegung, die besonders von den deutschen Marxisten vernachlässigt oder gar sabotiert wurde. Der Widerstand gegen den spanischen Militärputsch im Jahre 1936 ging vor allem von den Anarcho-Syndikalisten aus.

          Nicht alle Anarchisten waren bourgeoise Kleinbürger wie Ihre Kritiker meinten.

          Frieden übrigens genauso. Was ist denn der Frieden? Es ist der normale Gang des kapitalistischen Geschäfts zwischen den Kriegen.

          Das ist mir – sorry – zu verengt und wohl auch eine eurozentrisch-westlinke Lesart. Es ist zudem ziemlich heftig gegenüber Menschen, die Kriegserfahrungen gemacht haben oder gegenwärtig erleben. Was kann ein gewöhnlicher Mensch denn anderes wollen als Frieden?

          Klar, es gibt schändliche „Frieden“ wie die Burgfrieden, das „Lieb Volk, willst ruhig sein“, das Atemholen zwischen den Schlachtgängen. Die sind für mich aber etwas völlig anderes als mein Verständnis von Frieden.

          Sie definieren Krieg und Frieden als zwei Seiten einer Medaille. Ich definiere Frieden dagegen als einen Zustand, in dem Kriege endgültig aufgehoben und somit überwunden sind. Frieden ist einer kommunistischen Ordnung intrinsisch verbunden. Kein normaler Mensch hat doch ein Interesse an die Front zu gehen. Auch Herr Kiesewetter schickt lieber andere nach Russland, persönlich würde er niemals losziehen. In einem von Kapitalismus, Kolonialismus und Imperialismus geprägten System kann es dagegen keinen Frieden geben, da gibt es nur Waffenstillstände auf Zeit.

          Der Zweck der Nationen ist überhaupt nur der Krieg, also die Gewaltkonkurrenz von Staaten.

          Das ist mir auch zu verkürzt. Hier kommt es auf die Verhältnisse und den Ort an. Was soll eine unterdrückte Gemeinschaft der Peripherie bspw. tun oder eine Gesellschaft, die direkt von einer imperialistischen Macht bedroht wird, die sie kolonisieren versucht? Soll sie sagen: „Wir als Befreiungsbewegung kommen an die Macht und schaffen erst mal den Staat und die Nation ab“ – und dann? Wie wehren sie sich in einem internationalen Umfeld, das von Nationalstaaten und der so nationalstaatlichen wie imperial-kapitalistischen Hegemonialmacht USA dominiert und definiert wird?

          Erinnert mich alles irgendwie an Horkheimer. Der bemängelte 1942 – Leningrad war dem Genozid der Nazis ausgesetzt, die obendrein gerade Stalingrad mit einem Feuersturm sturmreif bombten – dass in der UdSSR weder die Abschaffung des Staates, noch die der Nation und auch nicht die Etablierung einer Rätedemokratie verwirklicht seien. Die Sowjetunion hat dem deutschen Militärapparat – und zuvor den weißen Interventionen der 1920er – doch nur widerstehen können dank der in Phasen des Zwanges erreichten und vom Staat angeleiteten Industrialisierung + nationalstaatlicher Ideologie. Meine Güte, dass ich einmal Stalin und Lenin verteidigen muss…

          Und es erinnert man Hardt & Negri, die schrieben, dass „sobald die Nation die Gestalt eines souveränen Staates annimmt, ihre progressiven Funktionen vollständig verschwinden“. Da fragte bereits Losurdo kritisch, ob jetzt die versklavten und terrorisierten Sahrauis und Palästinenser nur so lange in ihrem Befreiungskampf zu unterstützen sind wie sie kein Staat und keine Nation werden?

          Und das schreibe ich, der ich gewiss kein Freund von Patriotismus, Zwang, Nation etc. bin. Ich teile ja Ihre Ansicht @ Krim – Staat, Nation und Co. müssen weg. Aber wir sollten uns bewusst machen, dass das – wie sie selbst in ihrem Post schrieben – ein Prozess ist. Und dass es auf das Umfeld ankommt. Ansonsten ist das nur westliche Vereinsmeierei. Der Kampf gegen das System beginnt vor unserer Haustüre. Schwer genug.

          Nun bei einigen Punkten zu diesem Thema kommen wir wohl nicht zusammen @ Krim. Da haben wir wohl sehr unterschiedliche Sichtweisen und Einstellungen. Bei einem anderen Themen teilen wir vielleicht wieder mehr Punkte.

  7. @Ruber
    Anregend, ihr politologisches Feuilleton. Das einerseits an was früher sarkastisch “politische Gesäßgeographie” (Eichberg) genannt wurde und andererseits speziell für D “präventive Konterrevolution” (Albrecht). – Eine Nachfrage freilich hätt ich schon:
    warum ist heuer grad in D dieser sag ich mal scheinlinke Gestus so ausgeprägt? Ausdruck von allgemeinem Hyperkonformismus mit Pseudoprogressivität, getragen von besonderen massenhaft wohlfahrtsstaatlich geschaffenen großstädtischen Sozialschichten oder von was aktuell auch immer?
    Besten Gruß, T.

    1. @ T.S.

      warum ist heuer grad in D dieser sag ich mal scheinlinke Gestus so ausgeprägt?

      Ist die Entwicklung wirklich so neu? Cantoni et al. argumentierten ja in einem Paper vor ein paar Jahren, dass ein „langfristiges kulturelles Fortbestehen der rechten Ideologie den jüngsten Aufstieg des Rechtspopulismus erklären kann“. Ich würde sagen: das trifft auch auf andere politische Milieus zu.

      Sie sagen „Scheinlinke“, ich sage „Kaviarlinke“, andere sprechen von „Bobos“ und „Woken“. In den 80ern waren es „Salonlinke“ und bei Lenin „Kautskyaner“. Und die waren ja bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert gut in Deutschland aufgestellt. Ich blätterte neulich durch die Tagebücher von Käthe Kollwitz und da stolperte ich über den Passus, wie sie zu Beginn des Ersten Weltkriegs brav die Reichsflagge raushängte (für ihren Sohn im Feld war freilich ihre Argumentation).

      Also dieses – wie Sie formulierten – hyperkonformistische und scheinprogressive Milieu scheint mir doch ziemlich alt. Ich würde darum durchaus auch das Argument der „kulturellen Tradition“ ins Feld führen; auch wenn es beileibe nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Und natürlich besteht auch das System als solches schlicht fort, das gewisse Zustände konserviert, obgleich es natürlich Unterschiede zu vor 120, 30, 40 Jahren gab…

    2. Eine nicht sehr tief gehende, aber vermutlich zutreffende Antwort: Es sind die Grüninnen.
      Nirgendwo sonst haben die so eine Bedeutung. Außer vlt. in Österreich. Was aber auch nur darauf verweist, daß es sich um ein typisch deutsches Phänomen handelt.

      Okay, dann doch noch eine Stufe tiefergehend: Pietismus, Messianismus, der Wunsch nach einem reinen Gewissen, nach einer besseren Welt, deren Erlangung sie selbst nichts kostet.
      Insofern sind die deutschen Grüninnen die Speerspitze der Gegenaufklärung.

    1. witzig.
      aber hier hört man auch ein problem raus, “sozialistisch” ist diese Regierung mit Sicherheit nicht. Es wird zwar der Eindruck erweckt, aber es ist offensichtlich das ein Grossteil der Staatsausgaben vor allem in die Taschen der bourgeoisie und Rüstungsindustrie fließen. Das macht man zwar nicht mehr mit nationalistischer Propaganda, aber erstaunlicherweise mit deutlich weniger sozialistischen Anteilen, als die agitoren der noch dunkleren Phase deutscher Geschichte. Daher ist das DDR bashing eher fehl am platze.

  8. erst mal sacken lassen…

    Und ergänzen: It’s economy stupid!
    Ruber vermeidet die Wirtschafts- und Sozialpolitik – mit der einzigen Ausnahme des Mindestlohns, den er pauschal ablehnt. Was aber will er tun mit dem Billiglohnsektor, aus dem sich die Gewerkschaften – auch selbstverschuldet! – seit langem zurückgezogen haben? Oder gehört Ruber zu jenen irrenden Linken, die Wirtschafts- und Sozialpolitik prinzipiell ablehnen, weil sie von der Revolution “ablenken”? – Ich finde, da hätte er genauer schreiben sollen.

    Ansonsten bin ich in vielem bei ihm: “Echte Linke verteidigen die Werte der Aufklärung”. Sehr richtig!
    Doch Aufklärung alleine ist allerbester Liberalismus.
    Ohne die wirtschaftliche und soziale Basis in die Aufklärung einzubeziehen, bleibt Aufklärung ein Kampfplatz der herrschenden Klasse – genau das, was Ruben kritisiert, aber dann doch, ungewollt und unbewusst, selber betreibt?!

    1. @ Estragon

      Ruber vermeidet die Wirtschafts- und Sozialpolitik – mit der einzigen Ausnahme des Mindestlohns, den er pauschal ablehnt.

      Na, so pauschal abgelehnt habe ich den nicht. Ich hatte nur keinen Platz für eine ordnungsgemäße Kritik des Mindesthohns, weil das den Rahmen des Artikels vollends gesprengt hätte. Deswegen setzte ich den Link zu einem Beitrag von Oliver Nachtwey; einen Autor, den man 2013 noch lesen konnte, ohne bei jedem Satz Krieselkrätze zu bekommen.

      Der Mindesthohn ist ein Element des (neo-)liberalen Wohlfahrtsstaats wie er in GB und den USA existiert. Er wurde dort bereits vor Äonen eingeführt. Das überrascht nicht, denn er stellt bestenfalls eine äußerst limitierte Wohlfahrtsleistung dar, wie sie für jene Länder typisch ist. Von der Auswirkung changiert er zwischen „Tropfen auf den heißen Stein“ und „ruhigstellendes Zuckerli“. In konservativen Wohlfahrtsstaaten wie Deutschland existierte er aus Gründen – Sie haben bereits welche genannt – lange nicht. Auch nicht in Skandinavien mit seinem sozialdemokratischen Wohlfahrtstyp. Aufgrund der Neoliberalyse und übrigen gesellschaftlichen Umwälzung seit den 1980ern drängt er freilich auch dort immer mehr aufs Tableau, genau wie in Deutschland und Österreich. Nur ist das keine positive Entwicklung, ganz und gar nicht. (Für eine kleine Einführung und Unterscheidung der sogenannten Wohlfahrtsstaatstypen siehe ausnahmsweise mal hier).

      Was aber will er tun mit dem Billiglohnsektor, aus dem sich die Gewerkschaften – auch selbstverschuldet! – seit langem zurückgezogen haben?

      Abschaffen wäre mal ein guter Anfang. Rückkehr zu aktiver Lohnpolitik ein anderer. Die predigt ja auch Flassbeck und der ist nun wirklich kein anarchistischer Revoluzzer.

      Gewerkschaften würde ich aber ohnehin nicht vertrauen; die waren immer ganz vorne beim Arbeiterverraten und -verheizen mit dabei.

      Ich finde, da hätte er genauer schreiben sollen.

      Ja, aber dann wäre der Kaventsmann von Artikel noch länger geworden und ich war bereits unglücklich, dass es wieder ein Sechsseiter geworden ist. Man kann nicht immer alles ad infinitem erklären, ich musste leider Kürzungen vornehmen. Aber vielleicht schreibe ich mal etwas zum falschen Segen Mindesthohn und anderen Aspekten der Sozialpolitik. 🙂

      Doch Aufklärung alleine ist allerbester Liberalismus.

      Ich habe doch an mehreren Stellen betont, dass es nicht nur um Freiheit alleine geht. Die Losung der Französischen Revolution lautete ja nicht „Liberté, Liberté, wer will nen Tee?“, sondern „Liberté, Egalité, Fraternité“. In Gleichheit und Brüderlichkeit steckt doch der Verweis auf die „wirtschaftliche und soziale Basis“ schon drinnen, finden Sie nicht?

      Ansonsten habe ich mich natürlich gerade daran abgearbeitet, was man heutzutage alles als „freiheitlich“ und „links“ verkauft. Das ist für mich nämlich bloß Druidentee.

      1. Ich wiederhole meine Frage:

        Was aber will Ruber tun mit dem Billiglohnsektor?

        Die Gewerkschaften abschaffen, wie Du sagst, hilft nicht weiter.
        Und Du sagst auch nicht, wodurch die Gewerkschaften im Billiglohnsektor ersetzt werden sollen.
        Flassbeck, den Du anführst, spricht sich nicht gegen den Mindestlohn aus.

        1. Servus werter @ Estragon,

          ich habe doch nicht geschrieben, dass ich Gewerkschaften abschaffen möchte – wobei das m.E. durchaus auch mal eine Idee wäre. Die klassischen, system-affirmativen zumindest. Es gibt ja noch andere wie die FAU, wobei man selbst bei denen aufpassen muss, nicht auf Druidentee zu stoßen. Das mit dem “Abschaffen” bezog sich auf den Billiglohnsektor.

          Die klassischen Gewerkschaften könnten bspw. durch frei organisierte Arbeitskomitees ersetzt werden. Ich bin kein Freund der trotzkistischen WSWS, aber Sie finden auf deren Seite immer wieder Anleitungen und Aufrufe zu diesem Thema.

          Ja, Flassbeck ist für den Mindesthohn, aber er beschreibt gerade in “Vom Ende der Massenarbeitslosigkeit”, dass es für’s erste u.a. eine Rückkehr zur aktiven Lohnpolitik bräuchte. Der Staat hat den Niedriglohnsektor geschaffen – Schröder hat sich dafür gefeiert – also ist es m.E. auch die Pflicht der Regierung diesen wieder auszutrocknen. Erste Schritte wären ordnungspolitische Korrekturen, angefangen mit unmittelbaren Eingriffen in den Arbeitsmarkt (Erhöhung ALG II, Rückabwicklung der Hartz-Gesetze, Verbot von Leiharbeit etc.). Höfgen hat irgendwo in einem Video auch mal diskutiert die Steuern für Geringverdiener zu streichen. Gibt viele Ideen.

          1. Naja, in puncto Mindestlohn und Gewerkschaften finde ich ihren Standpunkt etwas einseitig bzw. flach. Wie Sie selbst ausführen, hat der Mindestlohn sich zunächst im liberalen (Wohlfahts)Staatstypus etabliert und wurde hier gegen jahrzehntelangen konservativen Widerstand eingeführt.
            Würden Sie einem Mindestlohnbezieher sagen, er sei jetzt in den Genuß eines rechten Projektes gekommen?
            Konkret gesehen ist er ein Fortschritt.

            Und zu unserem Gewerkschaftssytem kann man so oder so stehen. Aber gerade der Wegfall der Tarifbindung in weiten Bereichen vor allem im Osten, hat deren Einfluß massiv beschränkt. Und genau das ist wohl auch ein wesentlicher Grund für die weiterhin niedrigeren Löhne dort.

            1. @ Spartacus

              Konkret gesehen ist er ein Fortschritt.

              Nein, der Mindesthohn ist eine Signatur des Rückschritts. Warum? Lesen wir’s beim Nachtwey nach:

              Der Mindestlohn ist ein Merkmal liberaler Marktwirtschaften. Er bildet dort die Voraussetzung für das Funktionieren eines flexibilisierten Arbeitsmarkts. Flexibilität braucht ein Rückgrat, sonst fallen Mensch und Markt in sich zusammen. Sinken etwa die Löhne unter das Existenzminimum, reproduziert sich die Arbeitskraft nicht mehr. Selbst Walter Eucken, einer der Väter des Ordoliberalismus, schloss für solche Fälle einen gesetzlichen Mindestlohn nicht aus. (…) Die soziale Marktwirtschaft wird dem angelsächsischen Modell jetzt noch ein Stück ähnlicher.

              (Neo-)Liberale Wohlfahrtsstaaten sind diejenigen Wohlfahrtsstaaten mit dem geringsten sozialen Netz. Deswegen hat sich der Mindestlohn dort so gut etabliert und heimisch gefühlt. In den ursprünglichen konservativen wie sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten ist er aus gutem Grund unbekannt gewesen.

              Und was genau soll daran bitteschön ein Fortschritt sein, dass Deutschland und eine Menge anderer EU-Länder dem angelsächsischen Modell und seiner hire-and-fire-Ausbeuter-Mentalität noch ähnlicher geworden sind als ohnehin schon?

              Aber noch schnell weiter im Text:

              Die Einführung eines Mindestlohns ist zudem ein Lehrstück für eine gesellschaftliche Notwendigkeit, die daraus entsteht, dass der ehemals sozial-regulierte Kapitalismus dereguliert wurde. Deutschland galt lange Zeit als Hochlohnland mit relativ geringer Lohnspreizung. Das hat sich nun gründlich geändert.

              Zwar blieben in der letzten Dekade die Tarifentgelte in den Kernbranchen relativ stabil und Facharbeiter sowie qualifizierte Angestellte konnten ihre Lohnniveaus halten. Aber der Kreis dieser sozial abgesicherten Arbeitnehmer wird ständig kleiner. Nur noch etwa zwei Drittel aller Beschäftigten arbeiten in einem sogenannten Normalarbeitsverhältnis, einer unbefristeten Anstellung mit Kündigungsschutz.

              Ja, warum wird der Kreis denn beständig kleiner? Ist diese Entwicklung etwa wie Manna vom Himmel gefallen? Nein, die wurde gezielt staatlicherseits betrieben. Man muss das immer wieder betonen: Die wurde gezielt staatlicherseits betrieben, man hätte nämlich auch anders handeln können. Genau wie bei den Pandemiemaßnahmen oder den Ukraine-Sanktionen. Man hätte es auch lassen können.

              Und bei allen drei Entwicklungen waren Gewerkschaften übrigens aktiv mitbeteiligt. Und werden es auch zukünftig wieder sein.

              Aber gerade der Wegfall der Tarifbindung in weiten Bereichen vor allem im Osten, hat deren Einfluß massiv beschränkt. .

              Ich streite die Entwicklung ja überhaupt nicht ab. Die ist bitter. Aber Union busting und Bakschisch mit Obergewerkschaftern können durchaus Hand in Hand gehen.

              Würden Sie einem Mindestlohnbezieher sagen, er sei jetzt in den Genuß eines rechten Projektes gekommen?

              Ich würde ihm von meiner Warte als Hartzer aus sagen, dass er ist in den Genuss von Druidentee gekommen ist. Denn nachdem man den – wie Butterwegge zurecht anmerkte – nicht sonderlich generösen deutschen Sozialstaat weiter zurückgestutzt hat (Agenda 2010), dafür den „besten Niedriglohnsektor Europas“ etablierte, insbesondere indem man Leiharbeit (ursprünglich mal nur gedacht für Produktionsspitzen im Boom) massiv ausweitete, obendrein die Renten zusammenstrich und sonstige „Reformen“ gemäß dem Modell neo-liberaler „Wohlfahrt“ oktroyierte, hat man ein paar Zuckerli und Feigenblätter ausgestreut, mit dem Mindesthohn als saurer Kirsche obendrauf. Und gesagt: Schau, wir haben Dir das ganze Brot geklaut, aber Du kannst immerhin mal an der Kirsche nuckeln (die Torte geht natürlich an die Babos).

              Ich schlüge dem Mindestlohnbezieher ergo vor, zusammen aktiv zu werden und gegen diese Zustände – ebenso wie gegen die noch für die Zukunft geplanten „Reformen“ à la Bürgerarbeit etc. – anzukämpfen.

              In diesem Sinne – gut’s Nächtle und einen guten Start ins Wochenende
              Altlandrebell

              1. Was Sie schreiben, ist ja alles gut und schön (bzw. schlecht und unschön) und weitgehend richtig. Nur wurden diese ganzen Dinge durchgezogen, bevor es einen Mindestlohn gab und nicht, weil es ihn gibt. Durch Hartz und mangelnde Tarifbindung wurde das Lohnniveau nach unten offen. Mit dem Mindestlohn wurde dem eine Grenze gesetzt. Insofern sehe ich ihn als Fortschritt.

                Ach ja, zum eigentlichen Thema (links/rechts): Vielen Dank für den Artikel. War überfällig. Die Diffamierung von links, indem man z.B. die Olivgrünninen so bezeichnet, ist unerträglich und gehört ins Orwellsche Reich des Neusprechs.

                1. “Nur wurden diese ganzen Dinge durchgezogen, bevor es einen Mindestlohn gab und nicht, weil es ihn gibt.”

                  – Altlandrebell hat auch nicht behauptet, der Mindestlohn sei der Grund der Deregulation auf dem Arbeitsmarkt. Es ist umgekehrt und so steht es auch in den Zitaten. Erst daraus, das von der Politik ein Niedriglohnsektor geschaffen wurde und die Löhne sich im freien Fall befinden, entsteht erst die Notwendigkeit einen Mindestlohn als Untergrenze einzuführen. Der Mindestlohn behebt ein Problem, das von der Politik vorher erzeugt wurde. Ist es ein Fortschritt, wenn ich jemandem ins Bein schieße und ihm dann gnädigerweise eine Krücke in die Hand drücke, damit er ins Krankenhaus humpeln kann? In meinen Augen nicht – besser wäre es gewesen ihm nicht ins Bein zu schießen.

                  Wenn man immer jede Sauerei hinnimmt, ist natürlich von der Position der eingetretenen Schädigung alles ein Fortschritt.

                    1. So schön, dass schon ein Apfel zur Verführung reichte?
                      Die Botschafter des Paradieses zeichnet vor allem eins aus: keinerlei Lebenserfahrung und den Verstand voller Hirngespinste.
                      Doofheit par excellence also. Die Kulminierung dessen, wo sich Unfähigkeit, Dummheit und Weltfremdheit die Hand geben.

  9. @ Altlandrebell
    Ein äußerst gelungener, fundierter Beitrag.
    Ich danke für Ihre Zeit, Ihre Mühen, Ihre gelungene, zum Teil ironische, Stilistik, Ihr Engagement und die Bereitschaft Ihr Wissen zu teilen.

  10. @ T.S.

    warum ist heuer grad in D dieser sag ich mal scheinlinke Gestus so ausgeprägt?

    Ist die Entwicklung wirklich so neu? Cantoni et al. argumentierten ja in einem Paper vor ein paar Jahren, dass ein „langfristiges kulturelles Fortbestehen der rechten Ideologie den jüngsten Aufstieg des Rechtspopulismus erklären kann“. Ich würde sagen: das trifft auch auf andere politische Milieus zu.

    Sie sagen „Scheinlinke“, ich sage „Kaviarlinke“, andere sprechen von „Bobos“ und „Woken“. In den 80ern waren es „Salonlinke“ und bei Lenin „Kautskyaner“. Und die waren ja bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert gut in Deutschland aufgestellt. Ich blätterte neulich durch die Tagebücher von Käthe Kollwitz und da stolperte ich über den Passus, wie sie zu Beginn des Ersten Weltkriegs brav die Reichsflagge raushängte (für ihren Sohn im Feld war freilich ihre Argumentation).

    Also dieses – wie Sie formulierten – hyperkonformistische und scheinprogressive Milieu scheint mir doch ziemlich alt. Ich würde darum durchaus auch das Argument der „kulturellen Tradition“ ins Feld führen; auch wenn es beileibe nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Und natürlich besteht auch das System als solches schlicht fort, das gewisse Zustände konserviert, obgleich es natürlich Unterschiede zu vor 120, 30, 40 Jahren gab…

  11. Wenn der pseudonyme Autor schreibt, „der klassische Verteilungskonflikt beziehungsweise die soziale Frage in Gestalt des Dualismus von Kapital vs. Arbeit“ sei „heute nur noch eine Dimension von vielen“, stimmt das natürlich. Angesichts der grassierenden Rechts-Links-Schwäche möchte ich jedoch ergänzen: Wer sich nicht ausdrücklich, prominent und glaubhaft für eine Umverteilung von Oben nach Unten einsetzt, kann nicht links sein.

    Warren Buffet sprach in diesem Zusammenhang vom „Krieg zwischen Arm und Reich“ und fügte hinzu: „und meine Klasse, die der Reichen, wird diesen Krieg gewinnen.“ – Dieser Finanzkapitalist hat ein Klassenbewusstsein, welches man im Gegenzug den „Armen“, also über 90% der Menschheit, nur wünschen kann.

    Arm ist eben nicht nur, wer sich zum Monatsende zwischen Essen und Heizen entscheiden muss. Wenn die Schulen flächendeckend schimmeln und verfallen, Schwimmbäder und Bolzplätze dichtmachen, Buslinien nicht mehr bedient werden oder die Bahn nur noch als Witzvorlage taugt, wenn öffentliche Infrastruktur also verfällt oder privaten Investoren zugeschustert wird, dann ist das Umverteilung zu unseren Lasten, also definitiv nicht „links“.

    Der Artikel geht natürlich viel umfassender auf das Thema ein, meine Anmerkung bezieht sich lediglich auf eine Abkürzung nach dem Ausschlussverfahren. Zur Orientierung und Standortbestimmung ist es allemal hilfreich, den ganzen Beitrag nicht nur zu lesen, sondern gründlich zu buchstabieren.

    Eine zweite Anmerkung fängt sich Cygnus Ruber durch die Erwähnung der SOKO Buxtehude ein: Ich kann nur warnen! Nach persönlicher Inaugenscheinnahme hat diese Lokalität im Alten Land lediglich einen Vorzug: die Umgehungsstraße 😆

    1. @ Jenseits von Böse

      Mein Passus mit „heute nur noch eine Dimension von vielen“ bezog sich auf den Stand in der Politikwissenschaft. Die will, wie geschrieben, eben auch von etwas leben und findet deshalb ständig neue „cleavages“ und „Bruchlinien“ – wahrscheinlich, um den Elefanten im Raum zu vergessen und ja nicht über ihn zu reden. Sie haben den aber dankenswerterweise in Ihrem Kommentar wieder ans Licht gezerrt.

      1. @ Altlandrebell

        Den „Stand der Politikwissenschaft“ halte ich für eine Ausrede, ich unterstelle Ihnen Absicht: Die Auseinandersetzungen um einen Sonnenplatz im politischen Spektrum werden nun mal in vielen Dimensionen geführt, eine Orientierung entlang der klassischen vier Quadranten ist nur begrenzt hilfreich – vom einfachen Rechts-Links-Schema ganz zu schweigen. Die Verwirrung des Publikums wird ja von interessierter Seite absichtlich betrieben – dagegen zeichnen Sie die Konturen des Wimmelbildes mit kräftigen Strichen scharf und stellen obendrein ein paar Leuchtzeichen für die Navigation auf. Unter dieses gelungene Kunstwerk habe ich lediglich ein grobes Schwarzweissbild genagelt – ich bin erleichtert, dass Sie mir das nicht krumm nehmen. Und das mit dem Elefanten: das haben Sie schön gesagt.

        1. @ Jenseits von Böse

          Es war wohl doch auch Prägung und Alltagsempirie im Spiel gewesen, denn ich studierte Politische Wissenschaft und dort fielen mir als Arbeiterkind zwei Dinge auf.

          Zum einen: die meisten anderen sind (Hochschul)Lehrer-, Anwalts-, Diplomaten- und sonstiger Studierter Kinder, zumeist aus dem – wie ein Mitforist treffend vermerkte – scheinprogressiven oder klassisch-bürgerlichen Milieu stammend. Da besteht schlicht kein Kontakt zur sozialen Frage, weil für diese Leute Hartzer und Malocher im Leben so weit weg sind wie die Slums von Rio und Mumbai. Und letztere sind ihnen noch näher, denn dort hat man ja mal ein „FSJ“ gemacht und „voll viel“ über „fremde Kulturen“ gelernt. Früher nannte man so was glaube ich “Happening”, wobei wohl “Selbstbeweihräucherung mit Neokolonialismus” auch ganz passend wäre.

          Und zum anderen steckt überall eben der Ökonomisierungszwang – man muss ständig etwas sagenhaft „Neues“ und „Vermarktungswürdiges“ finden. Dementsprechend auch ständig neue Cleavages Konflikte und was weiß der Geier alles noch…

          PS: Warum sollte ich Ihnen – oder anderen Mitforisten – etwas krummnehmen? Ich freue mich über Rückmeldungen zu meinen Artikeln und Kommentaren. Affirmative wie kritische wie affirmative-kritische. 🙂 Nur beleidigende mag ich nicht, aber Sie haben ja nicht beleidigt.

          1. @ Altlandrebell

            Meine “affirmative Replik” ist mir leider in den Hauptthread verrutscht – da lungert sie nun ohne Adressat und Kontext rum. Ich gelobe Besserung 😎

  12. Ich habe „diese Leute“ nie verstanden: Hartzer und Malocher sind überall, man muss schon sehr große Bögen laufen, um nicht über ihr Leben (oder über die Schlafpappe eines Obdachlosen) zu stolpern. Ganz zu schweigen von der mentalen Akrobatik, die es braucht, um sich für was Besseres zu halten. Dasselbe Volk, das den Blues nur von Kuschelrock-LPs kennt (die Anspielung auf die „Ärzte“ ist nicht nur böswillig, sondern Absicht), dieselben „Antifaschisten“, die angesichts des Völkermords im Gaza das Warschauer Ghetto geflissentlich ausblenden, die Dummbratzen, die nicht mal kapieren, was sie mit ihren Panzern im Donbas anrichten, während sie sich auf die Schultern ihrer faschistischen Großväter schwingen …

    … es sind immer dieselben grauen Gestalten. Vielleicht bin ich zu naiv, aber ich denke, jedermensch mit Hirn und Herz müsste sich doch solidarisch zeigen – nicht mit der Kapitalfraktion, im Gegenteil. Und ja: leider haben Sie mit Ihrer Schilderung des wohlmeinenden Drittwelttourismus recht, meine Mitkommilitonen studierten ebenfalls bevorzugt das Elend in möglichst fernen Ländern. Dafür habe ich jedoch vollstes Verständnis: Das hiesige Elend rückt uns unangenehm auf die Pelle, in der Ferne ist es eher pittoresk. – Hm, warum fällt mir jetzt ausgerechnet Peter Jacobi ein: „I could cry vor lauta BLUUS“?

    Schlafen Sie gut, und gönnen Sie uns bald ein neues Œuvre!

  13. Wer in der politischen Einordnung “links” und “rechts” benutzt, macht es sich zu einfach. Diese Begriffe sollten besser dem Straßenverkehr vorbehalten bleiben.
    Damit ist überhaupt nicht gesagt, dass es keine Unterschiede mehr zwischen den einzelnen Richtungen gibt, auch wenn etwa die etablierten Parteien in Deutschland zu sowas wie Blockparteien geworden sind samt dem dazu passenden Medienbetrieb.
    Die Begriffsübernahme der herrschenden Narrative ist ein großes Problem, bei dem man schnell in die Falle geraten kann, die kritisierten Inhalte einfach nur zu verstärken, weil man sie selber zu sehr verinnerlicht hat. Das zu verhindern erfordert aber ein gewisses Maß an Selbstreflexion und Verzicht auf affektive Äußerungen.

  14. Der Artikel läuft darauf heraus, dass dann nur “rechts” übrig bleibt – wie in den USA, wo die Linke nur als Randgruppe existiert und auch ‘liberal’ allgemein verachtet ist.

    Oder wie es Johannes Agnoli sagt: Die vorhandenen Parteien bilden “die plurale Fassung einer Einheitspartei”, sind also tatsächlich ein und dasselbe, weshalb es beim Wechsel der Regierungspartei zu keinen wesentlichen Änderungen kommt
    (außer beim Übergang zu den terroristischen Mitteln des Faschismus).

  15. Eins ist anzumerken, es ist den hiesigen Eliten gelungen Verwirrung zu stiften.

    Wir sollten uns an unsere eignenen existenziellen Bedürfnisse (nicht künstliche geweckte Konsumbedürfnisse die als kzrzfristige Ersatzbefriedigung dienen) erinnern, dann dürften wir auch unsere verlorengegangene Orientierung wieder finden.

  16. Die Begriffe LINKS und RECHTS sind zu im wahrsten Sinne des Wortes sinnlosen Kampfbegriffen geworden. In der Regel werden sie missbraucht, um andere Meinungen zu delegitimieren. Die Tatsache, dass es bei uns kein massenhaftes Proletariat mehr gibt, beraubt LINKS des natürlichen Nährbodens und irgendwelche Rowdies versuchen unter dieser Flagge ihrem sinnlosen Tun einen revolutionären Anstrich zu geben. In den USA wird Biden und seine Gang LINKS verortet. Ebenso werden die Begriffe RECHTS und NAZI inflationär eingesetzt, um Andersdenkende zu stigmatisieren. Eine eigene, von den Mainstream-Medien ungetrübte Meinung hilft, den Überblick zu behalten und trägt vermutlich dazu bei, früher oder später als NAZI erkannt zu werden.

  17. “Die Links-Rechts-Unterscheidung ist heute wichtiger denn je.”

    Natürlich! Weil nur so die Herrschaft der Bedrücker und Ausbeuter weiterhin sichergestellt werden kann.

    Würden “Linke” und “Rechte” aufwachen aus ihrem Trauerspiel und durchschauen, dass sie Marionetten im Spalte-und-Herrsche-Theater sind, wäre es aus mit den Bedrückern. Aber gerade die “an vorderster Front stehenden” “linken” und “rechten” Lautsprecher und Agitatoren sind ja die Einflussagenten dieser Herrschenden. Und natürlich sondern sie solche Sätze wie einer beispielhaft oben steht ab. Und dann kommt ein Haufen Gewäsch und Geblubbere nach. Jeder der das liest wird im Nebel der Slogans und Pseudoanalyse herumirren.

    Und generell zu diesem kranken, politisch völlig eindimenionalen, beschränkten, verdummenden “links-rechts”-Schema:

    Es ist ja nachgerade ein Witz dass man uns glauben macht, dass in der Mitte zwischen zwei Übeln etwas Gutes läge.

    Die Mitte zwischen Linksextremismus (der Demokratie und (Rechts-)Staat abschaffe will und Rechtsextremismus (der Demokratie und Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat abschaffen will) ist doch nichts Gutes, nichts Anstrebenwertes.

    Liegt denn in der Mitte zwischen Skylla und Charybdis, in der Mitte zwischen Pest und Cholera, in der Mitte zwischen Zeter und Mordio etwa irgendwo etwas Gutes? Oder nicht vielmehr ein Ort, den man möglichst schnell verlassen will?

    “Links” ist Verarschung, “Rechts” ist Verarschung, und “Mitte” ist Totalverarschung. Und alles dient einfach nur zu Einem:

    Spalte! und! Herrsche!

    Lasse den Pöbel sich gegenseitig die Köpfe einschlagen und braue dann dein übles Süppchen unbehelligt und in aller Ruhe weiter. Ja, man kann sogar die Deppen noch für sich einspannen, indem man seine WEF-Agenda den “Linken” als Fortschritt, Zukunft, Gerechtigkeit verkauft und die dafür noch die Drecksarbeit machen lässt, seine Profite durch “Klimagerechtigkeits”-Geschrei verklären lässt, die Zerstörung von Herkunfts- und Zielländer durch Migrationsförderung zum “linken” Bessermenschenprojekt verklären lässt, den kleinen Bürger für alles Schlechte verantwortlich machen lässt, vom Kolonialismus, Kriegen, Vertreibung, Elend, Not auf der Welt bis hin zum angebliche Klimawandel, und dabei Politiker, Superrmilliardäre und Konzerne von jeder Verantwortung für irgend etwas freispricht,…

    Dumm, dümmer, “links”? frage ich mich da angesichts der offensichtlich-schreienden Verhinderungsrolle der angeblich wohlmeinenden, fortschrittlichen, antikapitalistischen “Linken”. Nichts festigt mehr den narrativen Überbau des Kapitalismus als das “Links” dessen Aufgabe (neben viel Geschwätz) einzig und alleine darin zu bestehen scheint, gegen Mitbürger die angeblich “rechts” seien (zu großem Teil übrigens genau das “Proletariat”), anzugehen.

    Da ist Hopfen und Malz verloren. Seit 100 Jahren Lüge, Verarschung, Indoktrination. Und keinerlei Ansatz zum Selberdenken. Sapere aude! “Links” (wie auch “rechts”) totale Fehlanzeige!

    1. @ Albrecht Storz
      Danke. Sie haben einen sehr fundierten Beitrag verfasst, der auch meine wesentlichen Empfindungen zum Thema in Worte fasst.

    2. @Albrecht Storz:
      Da gehe ich nicht mit. Parlamente repräsentieren den Willen der Wähler. In Demokratien geht es nicht um “Spalte!und!herrsche!”, sondern um die Organisation des Wählerwillens. Die Herausforderung besteht darin, unterschiedliche und gegensätzliche Bürgerinteressen in handlungsfähige Regierungen zu transformieren und Parlamente gegen Einflussnahme durch Lobbyisten und Medien zu immunisieren. Es gibt bis heute keinen besseren Weg, den Willen des Wählers zur organisieren.
      Der verantwortungslose Umgang mit Macht und Korruption delegitimieren die politischen Eliten, nicht aber die Demokratien.

    3. @ Albrecht Storz

      Ich kann auch bei ein paar Punkten nicht mitgehen. Insbesondere was das Verdikt angeht, „links“ und „rechts“ seien begrifflich bloß Totalverarsche.

      Der Mitforist @ Wolfgang Wirth hat hierzu unten einige sehr wichtige Sätze geschrieben. Unter anderem:

      Würde man die Rechts-Links-Dichotomie aufgeben, so würde das natürlich primär der Machtseite nutzen, da für ihre Herausforderer dann noch nicht einmal mehr ein Wort da wäre.

      Ich habe ja in meinem Artikel aufzuzeigen versucht, dass Phänomene wie die von Ihnen angeführte Zerstörung von Herkunftsländern durch Migrationsförderung, Kolonialisierung, Imperialkriege, Freisprechen der elitären Kaste (Magnaten, Politiker etc.) usw. usf. von mir überhaupt nicht geteilt, aber eben auch nicht als „links“ bewertet werden. Die sind nur Ausdruck des herrschenden Systems und seiner Vertreter.

      Auch verwies ich darauf, dass die Verwandlung von Mitbürgern in pöse „Rechte“ eine Strategie der Mächtigen zur Herrschaftssicherung und Bevölkerungskontrolle ist.

      Abseits davon sehe ich gar nicht mal so viele Unterschiede zwischen uns, außer dass Sie die Begriffe „links“ und „rechts“ eben ablehnen. Sagen Sie von mir aus „Herrscher“ und „Beherrschte“ oder was immer Ihnen beliebt.

  18. eine vereinfachte Definition von Rechts könnte helfen:

    Das rechte Spektrum beginnt dort, wo die Skrupel aufhören, irgendwelche Leute für irgendwas zu VERACHTEN.

    Ja, das macht viele “Linke” zu Rechten (doh!), ihr glühender Faschistenhass ist aus braunem Holz geschnitzt – kann man alle in den gleichen Sack packen…

    Das neue teile-und-herrsche-spiel funktioniert mit der Masche, linksrechts obsolet erscheinen zu lassen mit einer der größten politischen Betrügereien der letzten Jahrzehnte, der sog. “Mitte”.

    Wenn man keine klare Vorstellung von Links und Rechts hat, kann man auch nicht wissen, dass es gar keine Mitte geben kann. (Deshalb: mehr von solch guten Artikeln)
    Man hat damit diejenigen geadelt, die nach Arbeit und Kinderstress keine Lust haben, Politisches auch nur zu denken. “Mitte” meint die apolitischen und erlaubt ihnen einen Standpunkt, von dem alle nichtmittigen als extreme Ränder erscheinen und deshalb geächtet werden sollen (Nudging?).

    Herr Ruber/Altlandrebell? , das “System” ist kein natürliches oder technisches, so wie Sie den Begriff verwenden (marx’sche Hegeleien scheinen dort durchzudringen), sondern es ist die Hierarchie: die reale Über- oder Unterstellung von Menschen nach einer aus Rangeleien entstandenen “Ordnung”, die weder in linken noch rechten Sichtweisen jemals zu Ende gedacht wurde. (s.a. Prometheus und die Opferpflicht)
    Die Hierarchie ist das exakte Gegenteil von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Natürlich völlig alternativlos, darum die Aggressionen, wenn man was sagt..

    Der Begriff “Freiheit” spielt heute eine ähnliche Rolle, wie die Worthülse “Mitte”. Gemeint ist der (nichtkapitalistische) Preis, um beim Ringelpiez-mit-Anfassen dabei sein zu dürfen. Also eigentlich der “freiwillige” Verzicht auf Freiheit mittels hierarchischer Unterordnung. Nicht als Rang oder Dienstgrad gemeint, sondern auch als Anpassung an die Meinungsströmungen der Arbeitskollegen und Nachbarn. Aus dem scheinbar vernünftigen Grund, nicht ausgesondert werden zu wollen.

    Freiheit missverstanden als Reduzierung von Angst. Freiheit der größeren Herde. Nachvollziehbar, aber dumm.

  19. “Linksruck”?
    Einfach physikalisch erklärt: wenn der Busfahrer mit dem vollbesetzten Bus den Lenker scharf nach RECHTS herumreißt, fliegen alle Insassen – nach links? Nein, nur scheinbar, in Wirklichkeit wollen sie wegen der Trägheit nur geradeaus fahren. Dann krabbeln alle wieder auf ihre alten Plätze und fahren mit dem Bus geradeaus weiter – in die neue Richtung, gemeinsam nach RECHTS abgebogen.
    Sie krabbeln umso williger auf ihre alten Plätze, wenn die Medien “oh, so ein starker Linksruck” krakeelen.
    Sehr gut definierend finde ich die Formulierung “Untergeht, dass es weder „Aufständische“ noch einen „Linksruck“ gibt, das System an sich schon rechtsautoritär ist und die meisten Ängste und Rupturen auf gezielte gouvernementale Erzeugung zurückgehen. ” Danke an den Autor!
    Für notwendig halte ich die Feststellung, daß es darauf ankommt, dem unfähigen oder böswilligen Buslenker das Steuer wegzunehmen. Und damit muss zwingend über die Wirtschaftsordnung gesprochen werden – die eigentliche Steuerung der Gesellschaft. Wer die Produktionsmittel besitzt, übt die Macht aus. Hat nicht erst Marx herausgefunden, Ausbeutung ist schon viel, viel älter. Ging schon immer um “die da oben, die da unten”, heutzutage nur mit mehr Nebelwerfern und anderen Verdummungsmaschinen.

  20. Ein paar Anmerkungen …

    1. Die Unterscheidung in „links / rechts“ gemäß der vom Autor genannten klassischen Definition ist wichtig und nicht aufzugeben.

    Zwar sind im politischen Feld durchaus auch andere Gegensatzpaare (Dichotomien) möglich und wurden auch früher häufiger gebraucht – so etwa „Anhänger / Gegner“ oder schärfer formuliert „Freund / Feind“. Auch die Variante „Gläubiger / Ungläubiger (Ketzer)“ war lange beliebt. Insgesamt ist die Rechts-Links-Dichotomie jedoch die geeignetste, um die ganz prosaisch-plumpe Welt der Politik mit ihrem unablässigen Kampf um die materiellen Güter, den bevorzugten Zugang zu den „Fleischtöpfen“ und die nackte Macht gut genug erkennen zu können. Denn in der Tat geht es in der Politik zwar nicht nur, aber vorrangig um diese ganz banalen Dinge: Geld, materielle Ressourcen, Entscheidungsgewalt (Macht).

    Würde man die Rechts-Links-Dichotomie aufgeben, so würde das natürlich primär der Machtseite nutzen, da für ihre Herausforderer dann noch nicht einmal mehr ein Wort da wäre. Der feuchte Traum aller unbeliebten Herrscher! Dann würde auf die Herausforderer der Macht eben eine andere Dichotomie angewendet – vermutlich die Freund-Feind-Dichotomie oder gar die Gut-Böse-Dichotomie, vielleicht auch die Gläubiger-Ungläubiger-Dichotomie. In der Coronazeit haben wir hiervon einen üblen Vorgeschmack erlebt. Es ist offensichtlich, dass man sich in einer schwierigeren Position befindet, wenn man als Kritiker der Macht nicht mehr als „links“ bezeichnet wird, sondern pauschal als ungläubige, böse, feindlich … !

    2. Ja, die offiziellen und in den Regierungen vertretenen Parteien, die angesichts ihrer nur noch unbedeutenden inhaltlichen Unterschiede eine Art von politischem Kartell bilden (jeder kann mit jedem und macht ggf. auch alles mit), sind nach der klassischen Definition rechts. Sie vertreten schließlich die Machtseite und ihre Politik nutzt auch primär den Reichen und Mächtigen bzw. dem globalistischen neoliberalen System.
    Und diese Parteien tun das in einer Weise, die zu Entwicklungen geführt hat und noch führt, die von Agnoli und Harcourt beschrieben worden sind.

    Dass die führenden Parteien dies nicht nur aus eigenem Antrieb, sondern auch in wesentlichen Teilen gemäß den Wünschen und Aufforderungen wesentlich mächtigerer transatlantischer Gruppierungen tun, kommt hinzu, soll hier aber nicht vertieft werden.

    3. Die regierenden Parteien haben es unternommen, die Rechts-Links-Dichotomie zu ihrem eigenen Nutzen umzuformen.

    Nicht mehr sie selbst als Vertreter der Macht sind jetzt „rechts“, sondern eine vergleichsweise machtlose Opposition, die zwar konservativ und altmodisch, aber keineswegs NS-affin ist.

    Nicht die traditionelle Linke mit der sozialen Frage ist „links“, sondern das Regierungslager.

    Ein ungeheurer Etikettenschwindel orwell´schen Ausmaßes!
    Dies wurde möglich, indem beim Begriff „links“ – wie im Artikel dargelegt – die klassische Konzentration auf die soziale Frage durch mehrere weitere Kategorien erweitert und massiv aufgeweicht wurde. Es sind das Kategorien, die in der sog. „Wokeness“ und auch im Ideenkästlein der Globalisten eine Rolle spielen (z.B. „Werte“, Genderideologie, Migrationsförderung). Dieser Prozess der Integration „woker“ und globalistischer Aspekte und „Werte“ ins neulinke Ideenpaket läuft seit etwa 30 Jahren. Im Ergebnis bedeutet „links“ daher heute aus Sicht der Mächtigen und jener Leute, die sich als neue Linke betrachten, etwas ganz anderes als um 1980 herum.

    Aber auch der Begriff „rechts“ wurde manipuliert, indem er von der Bindung an die tatsächlichen Vertreter der Macht und des Geldes abgelöst wurde und einseitig mit der NS-Vergangenheit in Verbindung gebracht wurde. Letzteres wurde übrigens schon in den 1990er Jahren von ehemaligen DDR-Linken aktiv vorangetrieben, da die SED schon 1990 und danach die PDS damals im „Kampf gegen Rechts“ ihre einzige Chance sahen, politisch den Kopf über dem Wasser zu behalten. Aber das nur am Rande.

    Da die Machtseite viele Aspekte der neulinken „Wokeness“ aufgreift, schafft sie es, sich selbst als tendenziell „links“ darzustellen und der traditionellen Linken den Begriff zu stehlen. Angesichts der medialen Lufthoheit der Machtseite gelang es ihr auch, das neue Begriffsverständnis im Bewusstsein der Mehrheit zu implementieren.

    Der enorme Vorteil dieser Vorgehensweise besteht natürlich darin, dass die Machtseite sich als „links“ feiern lassen kann und dass der Begriff „rechts“ nun sozusagen frei ist. Da der Begriff „rechts“ durch jahrzehntelanges Framing mit der braunen Vergangenheit toxisch geworden ist, möchten die Mächtigen sich diesen Schuh natürlich nicht anziehen (lassen), sondern nutzen den toxisch gemachten Begriff zur Diffamierung der Opposition. Jeder politisch Andersdenkende, der nicht eindeutig traditionell-linksextrem ist und sich gegen die neoliberal-globalistische Agenda positioniert, wird gezielt als „rechts“ diffamiert und damit aus dem erlaubten Politikbetrieb herauskatapultiert.
    Dass überdies in den Medien die großen Unterschiede zwischen „konservativ“, „rechts“, „rechtsextrem“ nivelliert worden sind, kann auf diese Weise wirklich das gesamte unangepasste Spektrum bearbeitet und neutralisiert werden.
    Die aktuellen Kundgebungen “Gegen rechts” sind hier einzuordnen.

    Man könnte es auch so ausdrücken, dass die Machtseite das über 100 Jahre lang bestehende Problem, dass eine radikale Linke sie herausfordert, durch eine Art Umarmungsstrategie gelöst hat. Der nach 1990 schwer angeschlagenen Linken wurde von den Mächtigen des Geldes in einem nie formal geschlossenen Vertrag gestattet, sich in (aus Sicht der wirklich Mächtigen) gesellschaftlich weniger wichtigen Bereichen (z.B. Kultur, Bildung, Kunst, Medien) „auszutoben“, wenn sie gleichzeitig aufhört, die soziale Frage zu stellen und mit Revolution zu drohen. Viele Linke – nicht alle – erlagen diesem vergifteten Angebot der Korrumpierung und der Narrenfreiheit in lokalen Projekten und Initiativen. Wir begegnen ihnen tagtäglich im TV.

    4. Der entscheidende Vorteil
    der Umdeutung der Rechts-Links-Dichotomie besteht natürlich darin, dass die Machtseite unangreifbar wird.

    Von den als „rechts“ bezeichneten Kräften sind für die Mächtigen keine wirksamen Angriffe zu befürchten, da hier mittlerweile die Freund-Feind bzw. Gut-Böse-Dichotomie wirkt und es der Machtseite erlaubt, mit ganz harten Bandagen vorzugehen, die Opposition zu kriminalisieren und so zu zerschlagen.

    Von den als „altlinks“ zu bezeichnenden Kräften sind für die Mächtigen auch keine wirksamen Angriffe zu befürchten, weil diese Gruppen zu schwach und zu marginalisiert sind und zudem praktisch über keine effektiven Druckmittel verfügen. In gewisser Weise ist Weselsky (Lokführergewerkschaft) sogar der letzte effektiv wirkende Vertreter des klassisch linken Lagers. Ob er es weiß … ?

    Im Endeffekt ergibt sich also eine ungemein erfolgreiche Stabilisierung der heutigen Machteliten, weil einerseits die (früher einmal bedrohliche) Linke umfunktioniert und entschärft wurde und andererseits die bürgerlichen Nationalkonservativen als angebliche „Nazis“ isoliert werden.
    Die im Artikel und von Harcourt genannten weiteren Methoden kommen noch hinzu (Strategie der Spaltung, Strategie der Spannung, Kontrolle/Überwachung usw.)

    5. Es gelingt der Machtseite auch deshalb, sich heute als „links“ zu präsentieren, weil sie zu erheblichen Teilen tatsächlich äußerliche Aspekte früherer linker Regierungen, z.B. im ehem. Ostblock, aufgegriffen hat und virtuos einsetzt: Volkserziehung, Propaganda und Bewusstseinssteuerung durch eine Art von „Bewusstseinsindustrie“, Massenaufmärsche/Kundgebungen, Wirtschaftslenkung, Präsentation hehrer Ideale für “gemeinsame” Anstrengungen.

    1. Guten Abend @ Wolfgang Wirth,

      danke für Rückmeldungen. Heute mal etwas kürzer von meiner Seite; wir sind uns denke ich mal wieder in einigen Punkten einig. Zunächst:

      Würde man die Rechts-Links-Dichotomie aufgeben, so würde das natürlich primär der Machtseite nutzen, da für ihre Herausforderer dann noch nicht einmal mehr ein Wort da wäre.

      Ganz wichtiger Satz. Habe ich mir kopiert. Ansonsten haben Sie viele Punkte in ihren Kommentaren gebracht, die ich ansprechen wollte – aber hintenraus verlor ich den Platz sie unterzubringen, dementsprechend wurde der Harcourt-Part, wie Ihnen ja auch auffiel, recht schmal. Ich hoffe trotzdem den zentralen Punkt (Herrschaftsstrat

      Dass die führenden Parteien dies nicht nur aus eigenem Antrieb, sondern auch in wesentlichen Teilen gemäß den Wünschen und Aufforderungen wesentlich mächtigerer transatlantischer Gruppierungen tun, kommt hinzu, soll hier aber nicht vertieft werden.

      Nicht nur transatlantischer, sondern auch transnationaler. Ich verwies ja bereits einmal darauf, dass es m.E. unterschiedliche Kapitalfraktionen gibt, die aber gar nicht mehr nur genuin nationalstaatlich strukturiert sein müssen. Die so anti-fossile wie anti-russische umfasst neben den hiesigen Grünen und Teilen von Union („Pizza-Connection“), FDP und SPD, auch Gruppen in anderen westlichen Ländern und natürlich der Hegemonialmacht USA mit denen sie in Austausch etc. stehen.

      Dieser Prozess der Integration „woker“ und globalistischer Aspekte und „Werte“ ins neulinke Ideenpaket läuft seit etwa 30 Jahren.

      Das wäre seit 1994. Gehe ich nicht mit, zumal Sie selbst 1980 ins Spiel bringen. Ich sage: Es läuft eher seit ca. fünfundvierzig Jahren, wohl gar noch länger; ein wichtiger Bruch war die Zeit unmittelbar vor und um die Erste Wende (die „geistig-moralische“), die auch innerhalb der „Linken“ massive Umorientierungen begünstigte, insbesondere Segmente der 68er- und Umweltbewegung, die für das Woke offen waren, hochspülte. Wobei man natürlich auch die messingene Zeit Brandts nicht vergolden darf.

      Der nach 1990 schwer angeschlagenen Linken wurde von den Mächtigen des Geldes in einem nie formal geschlossenen Vertrag gestattet, sich in (aus Sicht der wirklich Mächtigen) gesellschaftlich weniger wichtigen Bereichen (z.B. Kultur, Bildung, Kunst, Medien) „auszutoben“, wenn sie gleichzeitig aufhört, die soziale Frage zu stellen und mit Revolution zu drohen.

      Ich glaube, dass dieser spezifische Teil des Prozesses bereits um 1972 / 1974 einsetzte, mit der von der SPD-verloren-gewonnenen Wahl 1972 und der baldigen Zurücktretung Brandts. Die erste sozialliberale Koalition hatte ja noch durchaus zumindest formal die soziale Frage adressierende – wenn auch keineswegs revolutionäre – Ziele. Mit Bildung des Kabinetts Brand II im Dezember 1972 und der Ernennung von Friderichs als Wirtschaftsminister (schwere Niederlage der SPD) war der Punkt „soziale Frage“ gleichwohl endgültig vom Tisch. Unter Schmidt / Baum wurde dann auch die innenpolitische Härte (die es natürlich auch unter Brandt gab, Notstandsgesetze fortgesetzt, Radikalenerlass etc.) weiter hochgefahren (Isolationshaft, Ermordungen in Stammheim, Rasterfahndungen…). Wundert mich nicht, dass der ach so liberale Baum heute für Waffenlieferungen und Impfpflichten kämpft. Der ist einfach seinen Weg im System weitergegangen: liberal waren schon die 70er nicht. Aber man schob schon die damaligen Revolutionäre (Jusos, SDS) in die von Ihnen genannten Bereiche ab, wo sie sich austoben, aber dem System keinen Schaden zufügen konnten.

      ist es von zweifelhaftem Wert oder zumindest unsicher, ob es sich lohnt, in der aktuellen politischen Auseinandersetzung diese Begriffe zu verwenden?

      Ich finde, man wird um eine Rückeignung der Begriffe nicht herumkommen. Was soll man auch sonst machen? Entweder man erfindet bessere oder man muss die Kärrnerarbeit leisten den populären Massen immer wieder und wieder aufs Neue zu erklären, was man unter „links“ versteht und für welche Werte man streitet. Mitforist Krim hat schon recht, dass die noch verstanden werden. Aber man darf auch nicht vergessen, dass es ja bereits genügend linke oder links-verwendete Begriffe wie „Lügenpresse“ (Radek sprach von der bourgeoisen Lügenpresse und recht hatte er!) oder „Volk“ gibt, die als nicht satisfaktionsfähig gebrandmarkt und aus dem Diskursraum verbannt worden sind. Doch was geschieht, wenn man dem immer weiter nachgibt? Es nützt nur der Machtseite, da einem die Worte ausgehen, um zu sagen, was ist. Und damit verhindert man dann ja die revolutionäre Tat, denn wenn man immer mehr Zustände nicht adäquat benennen kann – tja.

      Das mit der allgemeinverständlichen Terminologie empfinde ich als sehr wichtig, aber vergessen Sie nicht, dass auch einige der von Ihnen genannten Begriffe verbrannt oder teilweise verboten waren. In Afghanistan war erst nach Jahren und nur „umgangssprachlich“ Krieg. Im Donbass gar nicht, der kam erst 2022 mit dem „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Putins“… Und „Einheimische“ klingt schon fast wie „national“ und hat den Geschmack von „Etabliertenvorrechten“…

      Ihnen einen angenehmen Tagesausklang und einen guten Start in die neue Woche
      Altlandrebell

      1. Hallo Altlandrebell,

        danke für Ihre interessante Antwort. Freut mich ja, dass der Satz zu Nr. 1 Ihnen so gut gefällt.

        Ich stimme Ihnen ganz weitgehend zu. Eine Ausnahme bildet lediglich das Hoffen auf eine “revolutionäre Tat”. Sie wissen, dass und auch warum ich da nicht mitgehen mag. Insofern ist die Lage für systemkritische Konservative unbequemer als für Linke, da letzteren zumindest die Hoffnung bleibt.

        Zu der von Ihnen vordatierten Änderung der westdeutschen(!) Linken auf etwa Mitte der 1970er Jahre:

        Es ist ja eine Zeit, die ich schon bewusst miterlebt habe – übrigens sogar eher auf linker Seite. Auf die Schnelle hätte ich keine Mühe, den Wandel der Linken auch bis etwa 1980 und der Gründung der Grünen zurückzudatieren. Natürlich haben Sie recht, dass die regierende SPD unter Schmidt und wohl auch schon Brandt II nicht mehr jenen linken Veränderungswillen zeigte, der noch 1969 erkennbar gewesen war. Andererseits gab es aber in Form der zahlreichen dogmatischen und undogmatischen linksextremen Grüppchen (K-Gruppen) sowie einer noch selbstbewussten Gewerkschaftsszene eigentlich die ganzen 1970er Jahre über einen eher traditionell ausgerichteten linken Druck. Dass er nicht die Kraft hatte, viel zu verändern, ist eine andere Sache und hat verschiedene Ursachen.

        All das änderte sich erst Ende der 1970er Jahre mit dem Aufstieg grün-alternativer Bewegungen, die sich dann etwas später zu den Grünen vereinigten. Zwar wurden diese Gruppen von linksextremen
        K-Gruppen-Leuten rasch unterwandert und dominiert, doch erfolgte tatsächlich eine ideologische und inhaltliche Veränderung. Neue Gedanken und Ziele kamen hinzu: Frauenrechte, Umweltschutz, Friedenssicherung, alternative Wohnprojekte usw.
        Eine Integration jener Themen, die man heute im engeren Sinne als “woke” bezeichnet, erfolgte wirklich erst in den 1990er Jahren.
        Die soziale Frage stand aber – da bin stimme ich Ihnen zu – auch schon um 1980 herum eindeutig nicht mehr im Zentrum linker Politik. Die K-Grüppchen zerfielen, die regierende SPD wurde unter Schmidt konservativer und es ging der sich transformierenden links-grünen Bewegung um den Aufbau und die Sicherung von gesellschaftlichen Gegenstrukturen ohne den Anspruch, auch noch eine im größeren Sinne das Ganze umfassende Veränderung anzustreben. “Revolution” spielte auch als Begriff keine große Rolle mehr, davon träumten nur noch die älteren Semester.

        Dass die soziale Frage nicht mehr jene Rolle wie noch in den 1960er Jahren spielte, lag einerseits daran, dass in den 1970ern tatsächlich(!) erhebliche soziale Verbesserungen zustande gekommen waren und dass zweitens die Arbeiterschaft (die es damals noch mehr gab als heute) nicht bereit war, sich auf linke Konzepte einzulassen. Das war ja schon die große Enttäuschung der 68er gewesen, dass die realen Arbeiter lieber die BILD lasen als dass sie sich im marxistischen Sinne indoktrinieren lassen wollten. Für viele ältere Leute sind die 1970er Jahre wirklich das “Goldene Zeitalter”, und das Erreichte reichte ihnen eben vollkommen aus. Mehr wollten sie nicht. Die Enttäuschung der 68er hierüber spielte für alles Folgende eine sehr bedeutsame Rolle. Das ist letztlich auch der Keim für die offene oder klammheimliche Volksverachtung, die bei vielen heute zu Amt und Würden gekommenen Marschierern durch die Institutionen zu bemerken ist. Dass sie selbst aus der Mittelschicht oder gar der oberen Mittelschicht stammen, kommt natürlich noch hinzu!

        Haben Sie eine gute Woche!

        Gruß
        Wolfgang

  21. Und noch einige Nachträge bzw. Anmerkungen:

    zu Nr. 5)
    Zu den vordergründig “links” erscheinenden Aspekten unseres heutigen Systems gehört auch das geschickte und/oder skrupellose Agieren mit Utopien. Ich erinnere hier nur an Begriffe wie “Transformation”, “great reset” oder auch ins Anmaßende und Hybrishafte gehende Gedanken wie sie etwa Yuval Noah Harari in “Homo deus” äußert. Auch damit kann man Menschen ködern: Die Zukunft wird besser.

    6. Was tun?
    Da die klassische Rechts-Links-Dichotomie verändert und manipuliert wurde, sind die Zweifel, z.B,. von Two Moon, ob man überhaupt an ihr festhalten sollte, nachvollziehbar.
    Wie oben in Nr. 1 dargestellt, ist aber davon abzuraten.

    Andererseits ist damit noch nicht viel gewonnen. Weil die Machtseite die Begriffe “rechts” und “links” erobert, umdefiniert und im Massenbewusstsein neu implementiert hat, ist es von zweifelhaftem Wert oder zumindest unsicher, ob es sich lohnt, in der aktuellen politischen Auseinandersetzung diese Begriffe zu verwenden? Ich bin mir da selber nocht nicht im Klaren, was besser ist.

    Man verwendet dann nämlich eine Begrifflichkeit, die von den Massen nicht (mehr) verstanden wird und nur noch dem eigenen Lager verständlich ist. Okay, man kann das tun, doch besteht damit auch die Gefahr der Selbstisolierung wie z.B. bei der “Marxistischen Gruppe” in den 1980er Jahren.

    Wirksamer scheint daher eine allgemeinverständliche Terminologie ohne Fachausdrücke, die das Offensichtliche(!) beschreibt, z.B. “für/gegen die Reichen”, “für/gegen die Interessen der Einheimischen”, “für/gegen Krieg” usw.

    7. Anknüpfend an @ Two Moons Kommentar …
    .. ist auch zu vermerken, dass die klassische Rechts-Links-Dichotomie noch keineswegs etwas über ethisch-moralische Qualität aussagt und außerdem auch nichts über die Realisierbarkeit. Ein Wunsch, ein Traum, eine Vision, eine Utopie bleibt … eine bloße Idee. Aber wir wissen ja mit Marx, dass nicht Ideen bzw. das Bewusstsein die Welt bewegen, sondern das Sein … Das dürfte nun eine Passage gewesen sein, die die meisten echten Linken schwer schlucken ließ …

    Andererseits sind die historischen Belege dafür, dass die Realisierungsversuche von linken Utopien fürchterlich aus dem Ruder gelaufen sind, viel zu zahlreich, zu unfrei und zu blutig, als dass man das ignorieren dürfte.

    1. Das einfachste Mittel die alte Bedeutung wieder herzustellen, wäre wohl das Erstarken linker Politik, die weil nicht mehr marginalisiert, nicht mehr in die rechte Ecke geschoben werden, kann. Dann müsste sich die Regierung bzw. das gesamte rechte Parteienkartell wieder davon abgrenzen, indem sie sich mindestens als “Mitte” der Gesellschaft inszeniert. Dass die Linken die Guten sind, ist eine neuere Entwicklung, die es lange nicht gab. Das Kapern des “links”- Begriffs konnte nur gelingen, weil es eine Linke quasi nicht mehr gibt.

      “Wirksamer scheint daher eine allgemeinverständliche Terminologie ohne Fachausdrücke,”- Ja, ja – “Links/rechts” ist ein Fachausdruck?- “woke” dagegen nicht. Nee. Ich glaube schon, dass die alten Begriffe noch verstanden werden, wenn man ihre Bedeutungen nicht nur unterstellt, sondern erklärt. Das Erklären ist sowieso der Kern jeder politischen Überzeugungsarbeit. Ein unterstelltes Freund/Feindschema zu benutzen, um Menschen für sich einzunehmen, ist sowieso wenig nachhaltig. “Du bist doch auch für das Gute, also für Links und gegen rechts”, hält nicht lange an und wird schnell durchschaut.

      1. @ Krim

        Wir haben zwar verschiedene Ziele, aber ich stimme Ihrer Argumentation im Prinzip zu.

        Allerdings sehe ich für ein Wiedererstarken der traditionellen Linken nicht viele Möglichkeiten. Der entscheidende Punkt scheint mir zu sein, dass sie – im Gegensatz zur Zeit um 1900 oder 1920 – sehr viel weniger politische Druckmittel wie z.B. Streiks besitzt.

        Die Stärke der traditionellen Linken (mit dem Schwerpunkt auf der sozialen Frage) resultierte ja damals daraus, dass erstens noch kein real excistierender Sozialismus gescheitert war, sodass die Utopie anziehender war und dass zweitens der Bedarf des Systems an menschlicher Arbeitskraft noch viel höher war als heute.

        Sie schreiben:
        “Das Kapern des „links“- Begriffs konnte nur gelingen, weil es eine Linke quasi nicht mehr gibt.”
        Ja, das ist ein wichtiger Punkt, auf den unten auch @ Gunther hingewiesen hat. Eine Folge der Implosion des real existierenden Sozialismus von 1989/90.

        1. @Wolfgang Wirth:

          Das entscheidende Druckmittel werden die Unzulänglichkeiten des Kapitalismus in der heutigen Form sein, welcher immer weniger aus der “sozialistischen” Periode der Marktwirtschaft zehren können wird und – auf seine eigenen “Leistungen” zurück geworfen – den eigenen Offenbarungseid nicht verhindern kann. Außer man öffnet sich der Realität und versteht die Forderung von Marx, dass die gesellschaftlichen Produktivkräfte durch entsprechende Produktionsverhältnisse zu realisieren sind.
          Im Grunde habe ich dazu hier seit über einem Jahr schon alles geschrieben, was wichtig, was wirklich wichtig ist.
          Ob sich ein Gesellschaftssystem revolutioniert oder reformiert, ist mir dabei ziemlich egal. Entscheidend ist, dass es den Menschen dient, welche vorrangig bedürftig sind.
          Und wenn der Kapitalismus zu keiner Reform fähig ist, wird es in absehbarer Zeit zur Revolution kommen.
          Nicht unbedingt auf Initiative von Standard-Linken, sehr wohl aber durch den Druck eines “Bundes der Gerechten”.
          Weitling ist nicht tot. Er muss nur richtig verstanden werden jenseits vieler Taschenspielertricks sich als links Bezeichnender, welche mit realer Arbeit direkt an der Front oft wenig Kontakt aufzuweisen haben.

          1. @ Luck

            Die Geschichte ist offen.
            Wer weiß, was noch geschieht.

            Von Weitling habe ich durch sie eben das erste Mal überhaupt gehört. Danke

    2. @Wolfgang Wirth

      Wäre denn die Forderung, den Unsinn mit den “Leihbeamten” aus der Wirtschaft in den Ministerien abzustellen, weil so Interessengruppen einen überproportionalen Einfluss erlangen wodurch die Aufgabe des Staates, für Interessenausgleich einzutreten, nicht mehr gewährleistet ist, wenn sie von der AfD gestellt würde eine rechte und wenn sie von Die Linke gestellt eine linke?
      Natürlich nicht. Es wäre eine Forderung von Demokraten für die Demokratie.

      Ist es ‘links’, gegen einen Antrag, sich für Frieden einzusetzen, zu stimmen, weil der von ‘rechts’ kommt?
      Natürlich nicht. Das ist ein Verrat an den eigenen Idealen und kindisch obendrein.

      Rüdiger Rauls beschreibt das in seinem Blog besser. Hab erst Heute davon Kenntnis erlangt sonst hätte es den Link schon eher gegeben:
      https://ruedigerraulsblog.wordpress.com/2024/02/21/verloren-zwischen-rechts-und-links/

      Grüße von der Ameise

      1. Zustimmung.

        Der Artikel von Herrn Rauls ist gut.
        Allerdings würde ich den Beginn der Desorientierung (der Linken) weitaus früher ansetzen und weder mit der Klimaagenda noch mit Corona beginnen lassen.
        Für mich begann das schon 1998 …. Übernahme neoliberaler Wirtschaftspolitik, Lafontaines Rücktritt, Bundeswehreinsatz in Ex-Jugoslawien.

        1. 1998 startete Schröder mit einem Lafontaine-Programm in den Wahlkampf und damit dem Versprechen, die “neoliberale” Politik Kohls zu beenden.
          Und Lafontaine hatte ja einen Staatssekretär mit einer dezidiert anderen Sichtweise zur Unterstützung und Umsetzung aufgeboten.
          Das überstieg sicher die intellektuellen Fähigkeiten des Machtmenschen Schröder, instrumentalisierte dieser aber für seinen Wahlsieg.
          Die Agenda-Reformen kamen erst dann aufs Parkett, nachdem die Börsen-Euphorie nicht mehr genügend Investments anregte und die fallenden Kurse auch das Kreditpotential konsumunterstützender Portfolios schmälerten.
          Im Jahr 2000 wurde der DAX laut meiner Erinnerung nur noch durch die Big Five vor größeren Rückschlägen bewahrt.
          Nach den Präsidentschaftswahlen in den USA mit dem Auszählungsgezettere war dann das Ende der Party für alle angesagt und die roaring ninetes wirklich am Ende.
          Der DAX konsolidierte dann von 8000 Punkten zum Doppeltief bei 2.300 Punkten im August 2002 und März 2003 lehrbuchmäßig durch die Rückkehr zur alten Ausbruchslinie und damit dem Überschreiten eines alten Alltime-Highs.

  22. Eine interaktive Welt, wo ‘jeder mit jedem’ verbunden ist, lässt das links rechts Denken überall aussen vor.
    Jede nation auf dieser Welt ist sich mehr oder minder bewusst, wo diese eventuell morgen stehen werden. Diese Nationen handeln entsprechend und auch ihre Mitglieder in diesen Staaten partizipieren mehr oder minder.
    Da hat das nationale links rechts Schema kaum noch Möglichkeiten sich zu etablieren, denn der Wettbewerb findet final zwischen Staaten statt und nicht mehr über Partei nationalistische Ideologien statt. Die Welt ist aufeinmal zu einem gesamten Markt gewachsen und diese Länder die über die grösste Masse an Konsumenten verfügt, werden morgige Wortführer sein.
    Der Kampf ums Überleben geht ums Überleben und nicht mehr nach Ideologien.

  23. Vorweg: Erneut ein herausragender Artikel des Overton-Magazins. Ihn zu lesen ist, als ob man ins Freie tritt und frische Luft atmet. So mein (natürlich) subjektiver Eindruck.

    Ein paar Anmerkungen/Ergänzungen/Gedanken möchte ich hier kommentierend anfügen.

    Die derzeitige Regierung und ihr weiterer Stab (Ampelregierung + CDSU) tönen pausenlos, angeblich „gegen zunehmenden Rechtsextremismus“ vorzugehen, gegen „Delegitimierung des Staates“, gegen „Hetze und Hass“, gegen „Fake News“ und was dergleichen mehr sei. Die derzeitige Regierung, ihr weiterer Stab und die von ihnen gesteuerten Propagandamedien (zwangsfinanzierter „öffentlich-rechter/rechtsextremer Rundfunk“) betreiben genau das selbst:
    Einschränkung der Grundrechte, Ausweitung der Überwachung, Hetze gegen Kritiker, Diffamierung und Verleumdung von Andersmeinenden, Verfolgung von aufrechten Demokraten durch die politisch gesteuerte Justiz ( s. Fall Dettmar), Lieferung von Waffen an die Ukraine, die in Statistiken als einer der korruptesten Staaten gelistet ist und die von Nazi-Verbänden dominiert wird, Lieferung von Waffen an die rechtsextreme Netanjahu-Regierung, Entsendung der Fregatte Hessen (ein Bundesland, das deren Meinung nach wohl als Seemacht berühmt ist) ins Rote Meer – was hat die da zu suchen? Das ist doch absurd! – und permanente Kriegstreiberei.
    Statt die Pharmaindustrie entschädigungslos zu enteignen und zu verstaatlichen, wie das einer linken Politik entspräche, erhalten diese m. E. n. kriminellen Vereinigungen Milliardenbeträge zugeschustert. Und nun die Rüstungsindustrie. Auf Kosten des „Sozialstaates“ (der sowieso bereits ein Hohn ist) und aller Steuerzahler. Ein gigantischer Raubzug ist das. Nichts sonst.

    Eine „politische Mitte“ gibt es nicht, kann es nicht geben. Wo, bitte, befindet sich denn eine „Mitte“ zwischen rechts und links? (Bitte um genaue Ortsangabe.) Dieses „Mitte“-Geschwätz ist ein Propagandablödsinn, bekannt aus der TV-Werbung von Sendern, die der Bevölkerung Geld wegnehmen, damit ihr „Spitzenpersonal“ sich ihre Hintern in Dienstwagen massieren lassen kann. Und ohne eine Minute gearbeitet zu haben, Pensionen/Renten/Abfindungen in einer Höhe erhält, die jeglicher „sozialen“ Gerechtigkeit Hohn spottet.

    Transparenz und Aufklärung sind für eine Demokratie fundamental. Haben wit hier aber nicht. Was wir her haben sind Mumpitz, Verschleierung und Hohlheitenverbreitung – RKI, PEI haben ihre Arbeit verweigert, Wissenschaft verhöhnt („an oder mit“) und fahren damit fort. Demokratie gibt es in Deutschland nicht mehr. Schlimmer noch: Die derzeitige Regierung will der wesentlich privat finanzierten, von einem in seinem Heimatland strafrechtlich Verfolgten geleiteten „Organisation“ namens „WHO“ Hoheitsrechte übertragen: Das ist verfassungsfeindlich und grundgesetzwidrig. Das Handeln der Regierung ist demokratiefeindlich, verstößt gegen das Grundgesetz und gegen nahezu alle Menschenrechte.

    Ich könnte noch weiter schimpfen, doch lasse ich das.

    Naja, vielleicht noch etwas zu „Correctiv“ – wenn sich ein Sammelsurium von Studienabbrechern und akademischen Schwaflern, die von nichts eine Ahnung haben, so einen Namen gibt: Worauf verweist das denn? „Correctiv“ – klingt wie Besserungsanstalt und HJ. Gesponsort von Milliardären, die sich Philanthropen nennen, während sie danach trachten, aus jedem Menschen noch den letzten Lebenssaft auszuwringen, um eine weitere Milliarde anzuhäufen. Wie erbärmlich.

    Der Autor schreibt:
    „Sie sollten den Herrschenden nicht das Feld überlassen, denn zwischen deren Politiken und den ihren besteht ein himmelweiter Unterschied. Sie sollten deutlich machen, dass echte Linke die Vertreter der Werte der Aufklärung sowie der großen Revolutionen von 1789 und 1917 sind und gegen die Systemlinge eintreten, welche diese Errungenschaften seit Jahrhunderten abzuschaffen versuchen.“

    Den Revolutionären der Grande Nation haben wir unser metrisches System zu verdanken. Auch wenn „die Revolution ihre Kinder gefressen“ hat, dieses System hat – noch (der hiesigen Regierung traue ich Gegenmaßnahmen zu) Bestand.
    Den russischen Revolutionären haben wir einen geistig-evolutionären Schub zu verdanken (Konstruktivismus, Bauhaus), der zumindest noch bis 1936 nachwirkte (Mujeres Libres). Danach hatte sich das was, alles von Nazis zerbombt. Auch von den Nazis, die zur Implementation der „Bundesrepublik“ herangezogen wurden (s. Bernt Engelmann). Am Rande: Franco regierte bis 1975. Allende wurde 1973 abgemurkst.

    Nebenbei: Geschichtsintereesierte sollten sich in Berlin mal die Hufeisensiedlung in Britz und das Nikolaiviertel in Mitte ansehen und darüber sinnisieren, dann hätte sich auch das blödsinnige „Ossi-Wessi“-Palaver erledigt.

    Vielen Dank an den Autor für diesen wirklich rundum gelungenen Artikel, der hoffentlich viele Foristinnen und Foristen zum Weiterdenken anregt.

  24. Die Positionierung “links” ist seit 1989 schon in einem ständigen Diskussionsprozess. Denn vieles, was vor 1989 “links” war, war ein für alle Mal “verbrannt”, nicht mal der Diskussion wert. Übrig blieb das “Anti-Deutsche” und damit hatten dann diese Chaoten das Linkssein vereinnahmt. Linkssein auf den Grundbegriff dessen, was man darunter zu verstehen hat, zurückzuführen, ist dringend geboten bei der Diskussion allenthalben, was alles “links” ist, wie z.B. die US-Demokraten “links” sind. Ich habe mich immer gefragt, was eigentlich an all den “Linken” “links” ist. Ich kam immer wieder nur auf eines: Dass sie “link” im Sinne von “verschlagen”, “antidemokratisch”, “hinterhältig” seien. Und dass sie totalitär seien. Was sich ja jetzt deutlich zeigt.
    Es bedarf einer neuen Diskussion über Aufklärung und klarer Positionen in einer globalen Welt. Dies würde dann auch den immer mehr eingegrenzten Debattenraum wieder erweitern. Was ebenfalls dringend geboten erscheint.

    1. @ Gunther

      Ein wichtiger Punkt:

      “Denn vieles, was vor 1989 „links“ war, war ein für alle Mal „verbrannt“, nicht mal der Diskussion wert. Übrig blieb das „Anti-Deutsche“, … ”

      Ja, auch das erleichterte den kommenden Bedeutungswandel. Man musste neue Inhalte finden, da der auf Marx und Lenin bezogene Sozialismus nicht mehr vorzeigbar war.

      Obwohl es manche vielleicht nicht so gerne hören oder aber für nebensächlich erklären, bin ich nach wie vor der Meinung, dass man bei dieser primär ins Antideutsche und “Gegen Rechts” gehenden Umorientierung der Linken den Einfluss ehemaliger SED-Kader nicht unterschätzen sollte.

      So begann die SED ja bereits am 3. Januar 1990 – also noch zu DDR-Zeiten – mit jener großen (staatlichen) Kundgebung “Gegen Rechts” in Berlin eben diese Klaviatur zu bespielen und für die (bald gesamtdeutsche) Linke ganz allgemein als neue Zentralparole auszugeben.
      Das war die einzige Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu bekommen.
      https://www.cicero.de/innenpolitik/demos-gegen-rechts-ein-land-zwischen-hysterie-und-depression
      und
      https://www.ddr89.de/chronik/0190/030190.html
      Die nach der Wende reichlich verwirrten und frustrierten Westlinken passten sich dem an und erweiterten diese Agenda dann bald noch durch die Integration der bekannten Masche, sich für alle möglichen oder künstlich gebastelten(!) Minderheiten als Patron aufzuspielen. Schließlich waren ihnen ja die Arbeiterklasse und das eigene (!) Volk überhaupt abtrünnig geworden.
      Da war es dann für sie nützlich, sich dem Wunsch der neoliberalen Globalisten nach Migration anzupassen, da es mit der Dankbarkeit des eigenen Volkes ja eben nicht geklappt hatte. Sich ein neues Volk basteln und eine neue (vielleicht sogar dankbare) Klientel schaffen. Ein Kernelement der Linken seit 30 Jahren.

      Um es noch einmal zu wiederholen:
      Man wird den heutigen Zustand der Linken und die bewusste Bedeutungsverschiebung des Wortes “links” nur dann ausreichend verstehen können, wenn man die Folgen von 1989 / 90 mit im Blick hat.

      1. @W. Wirth

        “So begann die SED ja bereits am 3. Januar 1990 – also noch zu DDR-Zeiten – mit jener großen (staatlichen) Kundgebung „Gegen Rechts“ in Berlin eben diese Klaviatur zu bespielen und für die (bald gesamtdeutsche) Linke ganz allgemein als neue Zentralparole auszugeben.
        Das war die einzige Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu bekommen.”

        Nein!!

        In der DDR gab es seit Mitte der 1980er offen nazistisch/faschistisch auftretende Skinheadgruppen, die Punkrockkonzerte und kirchliche Veranstaltungen überfielen, die Gäste verprügelten und die Einrichtung zerlegten.
        Nur wurde die Berichterstattung darüber unterdrückt, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
        Im Jahr ’89 ist dieses Problem geradezu explodiert, und das nicht erst ab Herbst.

        Es ging also mitnichten ‘um Aufmerksamkeit’!

        Grüße von der Ameise

      2. @Wolfgang Wirth

        “So begann die SED ja bereits am 3. Januar 1990 – also noch zu DDR-Zeiten – mit jener großen (staatlichen) Kundgebung „Gegen Rechts“ in Berlin eben diese Klaviatur zu bespielen und für die (bald gesamtdeutsche) Linke ganz allgemein als neue Zentralparole auszugeben.
        Das war die einzige Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu bekommen.”

        Es ging mitnichten ‘um Aufmerksamkeit’!

        Die Zusammenhänge können Sie hier nachlesen:
        https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cberfall_auf_die_Zionskirche#Punks_und_Skinheads_in_der_DDR_bis_1987

        Grüße von der Ameise

        1. Hallo Ameise III,

          Sie meinen, dass es nicht bloß um Aufmerksamkeit ging, sondern um die Abwehr eines realen Problems.
          Ja, ich weiß um die damaligen Aktivitäten gewisser unangenehmer Typen. Und es gab derer ja auch noch mehr!
          Trotzdem meine ich, dass das Wirken dieser Leute bezogen auf das ganze Land zwar schlecht und belastend war, aber insgesamt doch keine so riesig große Bedeutung hatte.
          Das waren lokale oder schlimmstenfalls regionale Vorfälle, die nur kleine Teile des ganzen Landes betrafen.
          Sie reichten aber aus, damit die DDR-Linke und auch Teile der West-Linken das Problem aufgreifen und auch aufbauschen konnten.

          Ich denke, dass wir beide recht haben: Es war ein tatsächliche Problem (wenn auch nur lokal/regional) und es war außerdem aber auch ein gefundenes Fressen für eine Linke, die damals zeitweise in Schockstarre am Boden hockte.

          1. Danke für Ihre Antwort.

            Es waren, bedingt durch die Hooligan, alle Bezirksstädte betroffen, mit Ausstrahlung in das Umland.
            ’89 ist das Problem lange vor Herbst geradezu explodiert, was auch von Außen gefördert wurde. Dies sage ich Ihnen als Augenzeuge.
            Die Entwicklung, die sich damals abzeichnete, führte schließlich zu Rostock-Lichtenhagen, weshalb ich an der Stelle nicht von aufbauschen sprechen möchte.

            Bei Schockstarre weiß ich nicht – als theoriewütige Westlinke und demokratieträumende Ostlinke aufeinander trafen haben die sich gegenseitig paralysiert. Manchmal war es lustig, meist nur grotesk, das war dann nichts mehr für mich.

            Grüße von der Ameise

  25. mich erstaunt die falsche libertäre Einordnung. normalerweise ist damit die in den USA typische Einordnung gemeint. Freiheit des Handels und Kapital bei gleichzeitigem Abbau des Staates. es hat nichts mit liberal im deutschen Sinne zu tun. (wobei die fpd teilweise auch libertäre Positionen vertritt).
    und das “wenig Staat” bedeutet vor allem niedrige steuern und kaum Sozialstaat. ist also keine linke Einordnung.

    Aber auch das Fehlen von Marx bei der Einordnung finde ich seltsam. wir erleben gerade einen intensiven Kampf des Kapital, um die Hegemonie über staatliche Ausgaben und die Kontrolle deren Verwendung. Klassischerweise sind die Arbeitnehmer die Gegenseite, des Kapitals. die Einordnung links und rechts, sind diese beiden Pole der Politik. Ist sie im Interesse des Kapitals, ist es rechts. Ist sie zum Wohle des Arbeiters, ist es links. so einfach ist das.

    dank des rechten Marketings wurden alle möglichen “weiche” ideale, die für das Leben der arbeitenden Bevölkerung völlig unerheblich sind, zu linken verklärt. Das PR erfolgreich ist, sieht man an den debatten.

  26. Ein nicht nur wirklich guter, sondern ein hervorragender Beitrag von Altlandrebell bzw. Cygnus Ruber. Und auch seine weitreichenden Kommentierungen verdienen außerordentlichen Respekt.
    Dabei hat dieser Mensch nicht nur großen Verstand mit einem gewaltigen Ausdrucksvermögen, sondern auch noch das Herz am rechten Fleck.
    Enen Sechser im Lotto gibt es da schon häufiger.
    Und nicht zuletzt ist seine große Offenheit zu loben, an der viele andere scheitern und deshalb Erkenntnisse jenseits des Rubikons für diese unerreichbar sind.
    Aber solange man sich ergänzt, ist das nur bedingt schlimm.

    Jedenfalls meinen großen Dank und außerordentlichen Respekt voller Bewunderung für diese Leistung, die anderen bereits erbrachten und sicher noch folgenden.

  27. Danke allen Kommentatoren und Lesern für Ihre Rückmeldungen!

    Ich schaffte es leider nicht auf alle einzugehen, habe aber inzwischen fast alle gelesen und danke für die anregenden Diskussion.

    Und um eine Verwirrung zu klären: Ja, ich schreibe hier im Forum als @Altlandrebell.

    Besten Dank + Grüße
    Cygnus Ruber / Altlandrebell

  28. Das Problem ist keineswegs, dass die Regierenden behaupten sie seien links.

    Das Problem ist, dass die Masse des Urnenpöbels es glaubt!
    Und dass man jene trotzdem nicht als Urnenpöbels bezeichnen darf! Ich nehme an, nicht mal bei Overton? Auch dort wird zensiert? Na also: was zu beweisen war. ALLE spielen dasselbe Spiel, die ganz Schlauen tun nur so als seien sie anders. Die Einen lügen, die Anderen heucheln und die Masse ist zu dumm um es zu merken…

    DESHALB ist es, wie es ist !

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