
Warum die G20 ihre Bedeutung verliert und Europa ohne die USA handlungsunfähig wird.
Die G20 wirkt inzwischen wie ein Ritual aus einer Zeit, die längst vergangen ist. Johannesburg hat das noch einmal brutal deutlich gemacht. Da sitzen Delegationen in großen Sälen, da werden Kameras geschoben, große Worte gesprochen, und am Ende wandert ein 122-Punkte-Abschlussdokument über die Tische, das alles verspricht und nichts verändert.
Was aber wirklich auffällt, ist das, was fehlt: die wesentlichen Akteure. Die USA boykottieren den Gipfel offen. China taucht nicht in der Form auf, wie man es von einer Weltmacht erwarten würde. Russland wird, wie seit Jahren, umgangen, ist aber trotzdem politisch anwesender als viele, die vor Ort waren. Indien lässt sich Zeit und spielt längst in einem eigenen Schachspiel. Was bleibt, ist eine Kulisse. Eine Bühne ohne Darsteller, während das Drama woanders stattfindet.
Man kann sich fragen, wozu dieses Format überhaupt noch taugt. Ursprünglich war die G20 einmal das Notfallinstrument, um die Finanzkrise zu stabilisieren. Damals wirkte es tatsächlich, als könnte die Welt gemeinsam an einem Tisch sitzen und Entscheidungen treffen, die Wirkung entfalten. Heute ist davon nichts mehr übrig. Die westlichen Staaten sind wirtschaftlich und politisch angeschlagen, die Entwicklungs- und Schwellenländer haben ihre eigenen Allianzen gebildet, und die geopolitische Ordnung hat längst einen neuen Takt angenommen. Der G20-Tisch dreht sich – aber die Musik spielt anderswo.
Konsequenzen, die über den Krieg hinausgehen
Das eigentlich Erschreckende ist: Europa scheint das kaum zu bemerken. Während in afrikanischen Hauptstädten, in Peking, Neu-Delhi oder Riad längst andere Ordnungen entstehen, hält sich die EU an die Vorstellung einer „regelbasierten Welt“, als sei sie intakt, stabil und global anerkannt. In Wahrheit ist diese Ordnung nur noch regional gültig – und sie existiert nur dort, wo die USA bereit sind, sie zu stützen. Dass die Vereinigten Staaten diese Stütze nicht mehr bedingungslos liefern, sondern ihre strategische Energie in Richtung China verschieben, ist überall sichtbar. Nur in Europa tut man so, als könne man diese Realität ausblenden.
Es ist dieselbe Logik, die man im Ukraine-Krieg beobachten kann. In den Debatten wird gern so getan, als sei die europäische Unterstützung das Rückgrat der ukrainischen Verteidigung. Aber wer sich ansieht, was der Westen tatsächlich liefert, erkennt sehr schnell: Ohne die USA wäre die moderne Kriegsführung der Ukraine nicht nur eingeschränkt – sie wäre faktisch unmöglich. Es geht nicht nur um Panzer und Raketen. Es geht um die gesamte Architektur der Aufklärung, Zielerfassung, Datenverarbeitung und Kommunikationssicherheit. Die USA liefern die Satellitendaten, die elektronische Signalerfassung, die Infrarot-Überwachung, die globale Luftraumüberwachung, die KI-gestützte Lageanalyse und die Echtzeitkoordination. Europa liefert Geld, Munition, moralische Unterstützung – aber keinen Ersatz für das amerikanische Nervensystem des Krieges.
Wenn Washington morgen entscheidet, sich aus dem Ukraine-Krieg zurückzuziehen, wie es Teile der US-Innenpolitik längst fordern, bricht die operative Grundlage der ukrainischen Armee innerhalb von Tagen zusammen. Nicht weil die Ukraine aufgibt, sondern weil sie blind wäre. Ohne die USA verliert die Ukraine Starlink-Freischaltungen, Palantir-Analyseketten, Zielpriorisierungen, Radar- und Signalerfassung, AWACS-gestützte Warnsysteme und die gesamte strategische Übersicht. Europa hat nichts davon. Nicht im Ansatz. Und es wäre ein Fehler, das schönzureden.
Genau aus diesem Grund ist die Diskussion darüber, was ein US-Ausstieg bedeuten würde, so wichtig. Denn das Szenario hat reale politische Konsequenzen, die weit über den Krieg hinausgehen. Wenn die USA das Engagement reduzieren, liegt die Verantwortung plötzlich bei der EU – politisch, finanziell, strategisch. Und Europa ist dafür nicht vorbereitet. Nicht militärisch, nicht gesellschaftlich, nicht wirtschaftlich. Die EU könnte Milliarden mobilisieren, aber keine globale Infrastruktur aus dem Nichts herbeizaubern. Staaten wie Polen oder die baltischen Länder würden für eine Fortsetzung des Krieges drängen, während Südeuropa und große Teile Westeuropas einen schnellen politischen Ausweg suchen würden. Die Einheit, die man so gern beschwört, würde sofort zerbrechen.
G20 ist nicht mehr das Zentrum globaler Entscheidungskraft
Und genau hier schließt sich der Kreis zum G20-Desaster. Der Gipfel ist nicht isoliert zu betrachten, sondern ein Spiegelbild eines größeren Zerfalls. Die globale Ordnung sortiert sich neu. China macht sein eigenes System. Indien macht sein eigenes System. Russland ist längst fest im globalen Süden verankert. Die USA spielen ihre eigene Partie. Und Europa sitzt an einem Tisch, an dem es zwar noch Platzkarten gibt, aber keine Macht mehr. Die G20 ist ein Format der alten Welt – und die alte Welt ist nicht mehr da.
Die EU ist in diesem Spiel kein Zentrum mehr, sondern eine Region, die versucht, ein geopolitisches Vakuum mit schönen Worten zu füllen. Man spricht über „strategische Autonomie“, gleichzeitig hängt man bei Energie, Sicherheit und Technologie an externen Kräften. Man fordert eine „regelbasierte Ordnung“, während man selbst nicht mehr die Macht hat, Regeln durchzusetzen. Man unterstützt die Ukraine „so lange wie nötig“, ohne zu sagen, was passiert, wenn „nötig“ sich einmal nicht mehr finanzieren oder militärisch absichern lässt.
Die Wahrheit ist unbequem und deshalb politisch tabu: Die europäische Sicherheit hängt nicht an Paris, Berlin oder Brüssel, sondern an Washington. Und die USA entscheiden gerade neu, welche Rolle sie künftig in Europa überhaupt noch spielen wollen. Wenn Donald Trump – oder jeder andere US-Präsident mit ähnlichen Prioritäten – den Entschluss fasst, sich aus dem Ukraine-Krieg herauszuziehen, dann bricht das gesamte strategische Selbstbild Europas zusammen. Und zwar sofort. Ohne Übergangsphase, ohne Schonfrist, ohne diplomatische Rückversicherung.
Es wäre daher klüger, diesen Moment nicht erst dann zu diskutieren, wenn er eintritt. Johannesburg zeigt, wie schnell politische Formate entgleiten können, wenn die Wirklichkeit sie überholt. Die G20 ist nicht mehr das Zentrum globaler Entscheidungskraft. Der Ukraine-Krieg zeigt, dass Europa nicht die Fähigkeit besitzt, ohne die USA Krieg zu führen oder zu beenden. Und die geopolitische Realität zeigt, dass China, Indien, Russland und der globale Süden längst ihre eigenen Wege gehen, ohne Rücksicht auf die westlichen Narrative.
Wer glaubt, Europa könne in dieser Gemengelage einfach weitermachen wie bisher, der verwechselt Hoffnung mit Politik. Die Welt bricht nicht auseinander – sie ordnet sich neu. Aber sie tut es ohne uns. Und das ist vielleicht die wichtigste Botschaft aus Johannesburg.
Quellen
WEF – „What is the G20 and why does it matter?“
https://www.weforum.org/stories/2025/11/g20-summit-what-you-need-to-know/
Offizielle südafrikanische G20-Präsidentschaft (Summit 2025)
https://g20.org/g20-media/g20-leaders-summit-south-africa-2025-2/
Offizielle G20-Überblicksseite (Struktur, Funktion, Geschichte)
https://g20.org/about-g20/
Kiel Institut – Ukraine Support Tracker (alle Hilfsdaten)
https://www.kielinstitut.de/topics/war-against-ukraine/ukraine-support-tracker/
Wirtschaftsdienst – Vergleich USA/EU Unterstützung (2025)
https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2025/heft/6/beitrag/unterstuetzung-fuer-die-ukraine-im-internationalen-vergleich-neue-entwicklungen.html
Le Monde – Europa wird Hauptlieferant militärischer Hilfe
https://www.lemonde.fr/en/international/article/2025/09/04/europe-is-now-ukraine-s-main-source-of-military-support_6745030_4.html
Bruegel – Analyse: „Defending Europe without the US“
https://www.bruegel.org/analysis/defending-europe-without-us-first-estimates-what-needed
AP News – USA schränken Satellitenbilder für Ukraine ein
https://apnews.com/article/942d5fa7c9bdd42e6361e5fa7ddb3ae3
CSIS – Analyse moderner Kriegsführung in Ukraine
https://www.csis.org/analysis/lessons-ukraine-conflict-modern-warfare-age-autonomy-information-and-resilience





Laut Reuters legen die Europäer einen eigenen 28 Punkteplan vor.
Den konnte ich aus zeitlichen Gründen noch nicht mit dem US-Plan vergleichen, ist aber vermutlich eine linke Nummer
Hat sich bereits erledig
„Die Wahrheit ist unbequem und deshalb politisch tabu: Die europäische Sicherheit hängt nicht an Paris, Berlin oder Brüssel, sondern an Washington.“
In Zukunft wird jedes Land es sich dreimal überlegen abzurüsten.
Das zeichnete sich schon vor ein paar Jahren ab:
https://video.twimg.com/amplify_video/1896218732407500800/vid/avc1/880×576/rTNehdC__b9lwQvM.mp4
du solltest dir schon mal einen guten Schlafsack besorgen, deine geistige Obdachlosigkeit wird bald zur physischen – bei dieser miesen Performance @Arvato
@Trog
Sie haben es immer noch nicht gemerkt, Deutschland und die EU haben fertig.
Sie merken es vermutlich erst wenn es kein Brot mehr gibt oder Sie es sich nicht mehr leisten können.
https://m.youtube.com/watch?v=o5j9BkO6Yho&pp=ygUhRGVyIHdlc3RlbiB2ZXJsaWVydCBkaWUga29udHJvbGxl
….und dann wird es immer noch „Putin“ sein, der daran schuld ist, weil er die Getreideexporte der Ukraine verhindert, mit denen Kiew zuvor „70 Milliarden Menschen ernährt“ hatte…
/strazi mode off
Irgendwie kommt mir Europa vor wie Rom im 5. Jahrhundert. Kurz davor, als Rom, das ehemalige Machtzentrum, von Goten erobert wurde. Die römische Elite glaubte bis zum bitteren Ende, dass sie ihr überdehntes Weltreich aufrecht erhalten könne. Oder wie Napoleon kurz vor Waterloo. Um nicht einen anderen Vergleich zu strapazieren.
@Gunther
Ein gelungener Vergleich.
—
Mir fällt noch ein anderer Vergleich ein:
Irgendwie ähnelt Europa heute auch den griechischen Stadtstaaten in der hellenistischen Zeit (3. Jahrhundert v. Chr.)
Da gab es noch Theben, Korinth und Sparta und sie meinten damals auch noch, dass sie mit ihrem Achäischen Bund was Großes wären in der Welt – und dabei spielte die Musik längst woanders, nämlich in den Diadochenreichen bzw. in Städten wie in Alexandria, Pella, Seleukeia und zunehmend dann auch schon in Rom.
Das einstmals mächtige Athen war hingegen bereits zum makedonischen Vasallen oder gar zu einer Art makedonischem Protektorat herabgesunken und später dann zu einem römischen Vasallen und ähnelte in dieser Hinsicht Deutschland, das ja im Hinblick auf das Verhältnis zu den USA in Europa auch eine Sonderrolle einnimmt.
Über den Niedergang Europas empfinde ich eine gewisse Schadenfreude!
Vor ca. 800 Jahren zogen Kreuzritter nach Palästina um das Land mit Feuer, Kreuz und Schwert zu unterwerfen.
Vor 500 Jahren zogen Verstoßene aus Europa, Arme und Kriminelle aus um Amerika zu erobern. Sie massakrierten die indigene Bevölkerung mit unglaublicher Gewalt. Diese Gewalt war die Geburtsstunde der USA und ist ihr bis heute, zusammen mit ihren Exeptionalismus, eigen. Sie sind Cowboys und verstehen nur die Sprache des Revolvers. Ebenso müssen sie behandelt werden, sonst begreifen sie es nicht.
Europa aber ist alt, faul und dekadent geworden. Niemand glaubt mehr seinen Worten, denen fast nie Taten folgen. Die herrschenden Eliten spüren den Niedergang und werden aggressiv wie ein angeschossener Tiger, der aber ein Papiertiger ist. Auch große Teile der europäischen Bevölkerung, insbesondere der deutschen, sind in einer Propagandablase gefangen, glauben sie seien die Größten, obwohl sie doch gar nicht zu melden haben, auf der Weltbühne. Eine solche Bevölkerung lernt nur durch Leiden, Läuterung durch Leiden. Dieses Leiden fügen sie sich selbst zu. Ausländische Mächte werden dazu gar nicht gebraucht.
Die Frage ist, wie lange muß dieses Leiden dauern, wie tief muß es werden, damit endlich Läuterung/Besserung eintritt?
Es ist anzunehmen, dass insbesondere die Briten und Franzosen nun ziemlich stark darauf drängen werden, (innerhalb der NATO) ein neues Sonderbündnis zu schmieden …
Die haben doch alle zuviel BaerBock-Döner gefressen !
ist das noch Hybris oder bereits ausgewachsene Halluzination mit Eigenleben ?
die ehemaligen Kolonial-Herrch_innen sitzen in ihrer ehemaligen weißen Hochburg und wollen immernoch der Welt diktieren, wie sie zu funktionieren hat, und nichteinmal die USA als einstiger Führer dieser Farce ist noch anwesend.
ps: klasse Artikel, danke !
– verrutscht
Also, ich verstehe erstens nicht, wieso der Autor meint, gar nicht erst auf das eingehen zu müssen, was auf dem Gipfel tatsächlich stattgefunden hat und vereinbart wurde, und zweitens, woher er die Ansicht hat, dass die G20 ihre Bedeutung verlieren.
Zum ersten Punkt: ich habe von dem Gipfel zu wenig mitbekommen, um was Substanzielles dazu sagen zu können, aber das, was ich mitbekommen habe, passt nicht zu der Bewertung „Desaster“. Jedenfalls ist ein Gipfel nicht schon deshalb ein Desaster, weil Donald Trump aufgrund von für kaum jemanden nachvollziehbaren Rassismus-Vorwürfen gegen die südafrikanische Regierung fernbleibt. Putin war nicht dabei, aber eine kompetente russische Delegation, das gleiche gilt für Xi und Cina. Ansonsten scheinen ja alle dagewesen zu sein.
Zum zweiten: Gerade, wenn alle ihr eigenes Ding machen, müssten doch solche Foren einen eigenen Nutzen haben, weil man sich da mal trifft, um quasi blockübergreifend Dinge miteinander abzustimmen. Und genau das scheint mir dort auch zu passieren. Man kann das sicher auch mit weniger Brimborium machen, aber das gro߀ Brimborium entspricht halt auch der dem Ganzen beigemessenen Relevanz.
Und was die Europäer angeht: ihre globale Relevanz ist geschrumpft, aber sie liegt nicht bei null. Wenn sie das auf solchen Foren spüren, dann sind diese auch eine gute Gelegenheit für die EUliten, sich an ihre neue bescheidenere Rolle auf der Weltbühne zu gewöhnen und ein dementsprechendes Verhalten einzuüben. Auch daran kann ich nichts erkennen, was es erlauben würde, enttäuscht zu sein, im Gegenteil.
Die G20-Gipfel wurden aus der Taufe gehoben, um die G7/G8 als Forum des Austauschs zwischen den stärksten Industrienationen der Welt abzulösen, was im Wesentlichen mit dem Erstarken der großen nichtwestlichen Industrieländer zusammenhängt, die heute in BRICS+ versammelt sind. Wenn man so will, also ein Treffen zwischen den Führungsnationen von NATO und EU auf der einen, und BRICS+ auf der anderen Seite, bei dem man sich obendrein um wenigstens so was wie den Anschein von Augenhöhe bemüht.
Hier eine russische Stimme:
„The forthcoming summit of the Group of Twenty (G20) in Johannesburg is of significant importance, as this year marks the end of a cycle of presidencies and the forum effectively sums up almost two decades of work. As noted in an exclusive comment for TV BRICS by the Sherpa of the Russian Federation in the Group of Twenty, Svetlana Lukash, it is especially significant for Russia and its BRICS partners that over the past four years the G20 presidency has consecutively been held by BRICS members – Indonesia, India, Brazil, and South Africa.
Lukash emphasised that this year the summit places special attention on the sustainable development agenda, with a focus on the interests of the African continent. Russia, according to her, shares all the priorities outlined by the South African presidency and is ready to fully contribute to the success of the summit.“
https://tvbrics.com/en/news/russia-s-g20-sherpa-it-is-important-to-reshape-g20-s-work-to-reflect-interests-of-developing-economi/
Es ging den Veranstaltern diesmal also besonders um Afrika und die Entwicklungsländer. Wenn man so einen Event dann, ohne auf Inhalte einzugehen, als Desaster abqualifiziert und sich ansonsten darin gefällt, larmoyante EU-Selbstbespiegelung zu betreiben, finde ich das milde ausgedrückt dürftig.
Ein Desaster für die Rolle und Zukunftschancen Europas in einer sich neu ordnenden Welt. Das wirklich desaströse ist die Tatsache, daß die Europäer zunehmend einen Preis für ihre weitere Teilnahme werden zahlen müssen, der unsere Leistungsfähigkeit weit übersteigt. Und die Welt wird das als die Quittung für deren Ausbeutung in der Vergangenheit ansehen.