Die Niederlande wählten: Geert Wilders großer Verlierer

Wahlbüro im Rathaus in Delft. Bild: Vera de Kok/CC BY-SA-4.0

Fünf Parteien kämpften um Platz 1. Regierungsbldung wird schwierig. Wie geht es weiter?

Im Sommer stürzte Geert Wilders, Parteichef und formal einziges Mitglied der Partei für die Freiheit (PVV), die niederländische Regierung . Seiner Meinung nach hatte die rechts-konservative Koalition zu wenig gegen Migration getan. Seine geschassten Koalitionspartner reagierten, man sei auf gutem Weg zu strengeren Gesetzen gewesen.

Jetzt haben die Wählerinnen und Wähler bei den vorgezogenen Neuwahlen entschieden: Nach einem kurzen, aber harten Sommerwahlkampf steht Wilders als großer Verlierer da. Laut den Exit-Polls kommt die PVV nur noch auf 25 der 150 Sitze in der Zweiten Kammer in Den Haag. Das wären gerade noch 17 Prozent. Damit wäre die Partei nicht länger die größte Fraktion im Parlament.

Kopf-an-Kopf-Rennen

Überraschender Gewinner ist die bürgerlich-linke D66. Bei den letzten Wahlen 2023 wurde sie für ihre Zusammenarbeit in der letzten Regierung unter Mark Rutte und seiner konservativ-liberalen VVD abgestraft und kam nur noch auf neun Sitze beziehungsweise 6 Prozent. Laut den Hochrechnungen hat sie ihr Ergebnis jetzt auf 27 Sitze oder 18 Prozent verdreifacht.

Damit würde sie erstmals in der Geschichte die größte Fraktion stellen. Sie wäre dann auch der erste Ansprechpartner für die Regierungsbildung.

Die beiden nächstgrößten Parteien sorgten auch für Überraschungen, doch in entgegengesetzten Richtungen: Dem Zusammenschluss von Grünlinks und Partei für die Arbeit (GL-PvdA) unter Führung des Europapolitikers Frans Timmermans war in den Umfragen ein stabiles Ergebnis oder sogar Zugewinn vorhergesagt worden. Jetzt scheinen es aber nur noch 20 statt 25 Sitze zu werden, beziehungsweise 13 Prozent. Noch am Wahlabend zog der 64-jährige Timmermans Konsequenzen und gab den Parteivorsitz auf.

Anders als vorhergesagt wird der VVD ihre Regierungsbeteiligung offenbar nicht zum Verhängnis: Auch wenn die Rutte-Nachfolgerin Dilan Yeşilgöz im Wahlkampf patzte und zunehmend unter Druck geriet, verteidigt die Partei ihre 23 bis 24 Parlamentssitze (16 Prozent).

Doch damit ist das Kopf-an-Kopf-Rennen noch nicht abgeschlossen. 2023 war die christlich-konservative CDA durch ihr früheres Mitglied Pieter Omtzigt und dessen Aufdeckung eines Rassismusskandals schwer beschädigt worden. Nach nur noch fünf Sitzen scheint sie jetzt auf knapp viermal so viele zu kommen, nämlich 19 beziehungsweise 13 Prozent.

Whistleblower Omtzigt hatte 2023 mit der neu gegründeten Rechtsstaatspartei Neuer Gesellschaftsvertrag (NSC) aus dem Nichts 20 Sitze (13 Prozent) ergattert. Inzwischen hat sich der Mann wegen Burn-out aus der Politik zurückgezogen. Dem NSC bleibt wahrscheinlich keiner der Sitze erhalten. Sie dürfte jetzt so schnell wieder aus dem Parlament verschwinden, wie sie vor zwei Jahren eingezogen ist.

Regierungsbildung

Auch wenn die bürgerlich-linke D66 der große Gewinner und die rechtspopulistische PVV der große Verlierer ist, ist das Wahlergebnis insgesamt immer noch als eher rechts einzuordnen. Wilders‘ Lieblingsthema Migration ist zwar immer noch sehr wichtig, scheint aber nicht mehr die alles beherrschende Bedeutung zu haben. In etwa gleichbedeutend damit waren für die Wählerinnen und Wählern nun die Themen Wohnen und Gesundheit.

Welche Regierungskoalition – im neuen Parlament in Den Haag dürften wegen der fehlenden Wahlhürde wieder 15 Parteien vertreten sein – sich damit bilden lässt, ist allerdings noch ein Rätsel: Von links gedacht kämen D66 und GL-PvdA zusammen nur auf 47 Sitze, während 76 für eine Mehrheit nötig sind. Selbst mit den 19 Sitzen der christlich-konservativen CDA fehlten immer noch zehn. Dass die fehlenden Sitze von der VVD kommen, ist wegen deren Spannungsverhältnis mit den Grünlinken schwer vorzustellen.

Denkt man dasselbe von rechts, kämen D66, VVD und CDA auf 69 Sitze. Zum Regieren wären auch das zu wenige. Dass die relativ neue, von manchen als rechtsradikal gesehene JA21, mit neun Sitzen die größte der Kleinparteien, unter bürgerlich-linker Führung ins Boot geholt wird, erscheint unwahrscheinlich. Und mit Geert Wilders will eigentlich keine der anderen großen Parteien zusammenarbeiten.

So viel ist aber klar: Es wird – abgesehen von einer Minderheitsregierung – wieder eine Koalition aus mindestens vier Parteien geben müssen. Das dürfte komplizierte Sondierungen bedeuten und verspricht nicht unbedingt eine stabile Regierung. Wenn D66 die größte Fraktion bleibt und die Führungsrolle übernimmt, wird man ihren erst 38-jährigen Parteichef Rob Jetten wohl zum neuen Ministerpräsidenten des kleinen Nachbarlands Deutschlands im Westen küren.

Nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen am Donnerstagmorgen stehen D66 und PVV mit jeweils 16,7 Prozent und 26 Sitzen im Parlament gleichauf. Die Bürgerlich-Linke führt mit nur noch etwas mehr als 2000 Stimmen vor der Wilders-Partei. Da letztere trotzdem als großer Verlierer dasteht und niemand wirklich mit der PVV reagieren will, ändert das nichts am Ergebnis der Analyse.

 

Stephan Schleim

Stephan Schleim ist studierter Philosoph und promovierter Kognitionswissenschaftler. Seit 2009 ist er an der Universität Groningen in den Niederlanden tätig, zurzeit als Assoziierter Professor für Theorie und Geschichte der Psychologie. Sein Schwerpunkt liegt in der Erforschung von Wissenschaftsproduktion und –kommunikation. Schleim ist Autor mehrerer Bücher zu Neurowissenschaften, Psychologie und Philosophie.
Bild: Elsbeth Hoekstra
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15 Kommentare

  1. mmh, den Satz verstehe ich als mit der niederländischen Politik nicht vertrauter Leser nicht:

    „…formal einziges Mitglied der Partei für die Freiheit (PVV)…“

    1. Kein Problem. Es ist eine Partei mit nur einem Mitglied: Geert Wilders. Die anderen sind nur eine Art Gäste.

      Sie erinnern sich vielleicht an die Diskussion, dass das BSW die Mitgliedschaft beschränkte, um eine Übernahme der Partei zu verhindern. Wilders hat in diesem Sinne die maximale Vorsicht gewählt.

    2. Die Niederlande sind ja noch eine Monarchie mit Demokratischer Muppets Show*, da gibt’s eben auch die Möglichkeit einer Ein-Mann-Partei, allgemein als Diktatur bekannt.

      *Siehe auch die Nexperia China Chips

  2. Nichts Neues in der kapitalistischen „Demokratie“. Es wird solange koaliert, bis es passt. Es ist in den Niederlanden so wie überall in der EU. Auch wenn mit Wilders koaliert würde – auf die BRD bezogen, mit der AfD – ändern würde sich gar nichts. Das lässt das Kapital nicht zu. Dem Volk wird suggeriert, es hätte eine Wahl, und dann…….. immer und immer wieder dieselbe Scheiße.

      1. Die selbstgewählte Knechtschaft, das Individuum entscheidet sich freiwillig für die Knechtschaft und unterwirft sich einer Autorität, um ein bestimmtes Ereignis zu erzielen.

        Um Höriger Untertan zu sein, den das Fell für die Trommel, Liefern sie selber.

    1. Solche Ergebnisse werden halt mit denen der letzten Wahlen verglichen. Das ist in Deutschland auch nicht anders. Darum bedeuten 25 Prozent für z.B. die AfD auch etwas anderes als für die SPD oder CDU/CSU.

      Ich glaube, dass die Leute nach fast 20 Jahren Geert Wilders und seine PVV mit als Hauptthema „Anti-Islam“ inzwischen auch zunehmend langweilig finden. Die im Text angedeutete neue rechte Partei JA21 könnte man im Auge behalten.

  3. Könnte man die Niederlande nicht einfach vom Geheimdienstchef regieren lassen? Ach, das macht man sowieso schon? Hendrikus „Dick“ Schoof regiert seit dem Sommer 2024 das Land … und war vorher der Chef von AIVD und NCTV. So eine Art „holländischer Putin“ …

    1. Man kam auf ihn, nachdem andere Kandidaten ausgeschieden waren. Und ich glaube, man war froh, überhaupt jemanden zu finden, der sich das unter diesen Bedingungen (z.B. permanent von Wilders provoziert zu werden, obwohl man eigentlich zusammen regierte) überhaupt antat. Er wird wahrscheinlich erleichtert sein, wenn er das Amt endlich an den Nächsten übergeben kann. Er wirkt auf mich auch zunehmend gestresst und verbraucht.

  4. Ist diese europäische Politik nicht lustig?
    Alle Jahre veranstalten die Demokratien ihren politischen Spektakel, aber all die jahrelangen politischen Änderungen, haben nichts bewirkt! Klasse Vorstellung für die dummen die dieses System aufrecht erhalten.
    Der ‚Geist‘ sollte denken und nicht nach vorgegebenen Wege agieren.
    Das ist leider aus der Mode gekommen, das Denken, da die meisten Menschen nur ihrer persönlichen zugeführten Propaganda sich unterwerfen.
    Und weil in Europa in jeder Munde das ‚Ausländer Problem‘ vorherrscht, haben alle vergessen, was wir mit diesen Staaten veranstaltet hatten. Das waren unsere „demokratischen Systeme“, die seit dem Ende von WWII bis heute brutal durch gezogen haben.
    Die Politik sagt, ‚was können wir im liberalen Modus,gegen unsere Philantrophen tun“?
    Genau diese illegale westlichen Philantrophen, werden nicht nach ihren Verfassungen und oder GG angegangen.
    Schwamm darüber, wir die ‚Wessis‘ haben seit zig Dekaden an diesen Lügen geglaubt, so gehts halt ab in den verdienten Untergrund.
    Meine Erkenntnis aus „10“ Jahren demokratischer Politik, ist, ein fetter Lacher, da diese nicht existiert.

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