„Die EU verhält sich, als wäre das Einschüchtern der eigenen Bevölkerung ein Ersatz für eine Strategie“

Dnipro nach einem russischen Angriff am 15.1.2023. Bild: adm.dp.gov.ua/CC BY-4.0

Tulsi Gabbard, die Direktorin des amerikanischen Geheimdienstes, hat kürzlich dem in der EU kursierenden Narrativ widersprochen, dass Russland, wenn die Ukraine eine Niederlage erleidet, weiter in die EU bzw. die Nato vorrücken würde. Putin wolle, so wird das Narrativ begründet, die Sowjetunion wiederherstellen. Also muss in erster Linie die Ukraine mlitärisch unterstützt werden, um Russland weiter zu beschäftigen und wenn möglich zu schwächen, während man, derart geschützt durch die Ukrainer, die an der Front und im Hinterland sterben, schnellstmöglich aufrüsten muss (Angst vor russischem Angriff kann zu selbsterfüllender Prophezeiung werden).

Gabbard, die bis 2022 demokratische Abgeordnete im Repräsentantenhaus war, wegen kriegstreiberischer Politik aus der Partei austrat und zu Trump wechselte, erklärte, nach den US-Geheimdiensten sei Russland weder in der Lage, die Ukraine zu erobern, noch Europa zu überfallen oder gar zu besetzen. Dazu habe Russland nicht die militärischen Kapazitäten, was eigentlich jedem klar sein sollte, der Kreml würde daher einen größeren Konflikt mit der EU vermeiden wollen. Europäische Politiker und Medien würden Desinformation über angebliche russische Ziele verbreiten, die den Konflikt eskalieren und Trumps Friedensbemühungen untergraben wollen.

Gabbard hat sich bislang als treue Trump-Anhängerin gezeigt, bekannt ist nicht, dass sie größere Schwierigkeiten mit den Geheimdiensten hat. Natürlich könnte man vermuten, dass sie Trumps Versuch, ein Friedensabkommen im russisch-ukrainischen Krieg zu bewirken, schützen will, ebenso Trumps Interessen, mit dem Rohstoff reichen Russland wirtschaftliche Beziehungen aufzunehmen. Aber unvoreingenommenen Beobachtern ist klar, dass Russlands Militär noch lange nach einem Friedensabkommen in den besetzten/annektierten Regionen beschäftigt sein wird und nicht die Möglichkeiten besitzt, EU- oder Nato-Länder anzugreifen oder gar zu besetzen. So verrückt und besessen dürfte Putin nicht sein, der vermutlich vor allem daran interessiert ist, die geopolitische Sicherheit Russlands vor Angriffen zu gewährleisten, wie das die USA auch mit der Trumpdoktrin für das „Hinterland“ und dem „Golden Dome“ verfolgen.

„Statt Realismus – moralische Panik“

Der frühere polnische Ministerpräsident Leszek Miller (2001-2004), ein Sozialdemokrat, der Polen in die EU brachte und als Teil des „Neuen Europas“ unter US-Führung am Irak-Krieg teilnehmen ließ, hat in einem längeren Facebook-Posting die Aussage von Gabbard aufgegriffen und bestätigt. Die „vorherrschende westliche Erzählung“ basiere darauf, dass Putin weitermachen werde; „Diese Erzählung ist politisch bequem, weil sie die Debatte beendet, die Wähler diszipliniert und jede Entscheidung rechtfertigt. Nur ist sie als strategische Analyse einfach lächerlich. Putin kann man vieles nennen: Verbrecher, Diktator, Schurke, aber sicherlich kein Selbstmörder. Ein Staat, der mühsam Krieg gegen die Ukraine führt und dabei enorme Verluste erleidet, bereitet sich nicht auf eine frontale Konfrontation mit der NATO vor – einem Bündnis, das militärisch und wirtschaftlich um ein Vielfaches stärker ist.“

Eine ähnliche Einschätzung werde vom finnischen Regierungschef Alexander Stubb vertreten: „Finnland, das gerade der NATO beigetreten ist, baut seine Strategie nicht auf der These einer unvermeidlichen russischen Invasion des Westens auf, sondern auf Abschreckung, Widerstandsfähigkeit und kühler Berechnung. Ohne Hysterie. Ohne apokalyptische Visionen eines Marsches auf Helsinki oder Warschau.“ Auf Ungarn, auch auf Tschechien und die Slowakei, verweist er nicht.

Miller geißelt die EU und die EU-Regierungen, die das Narrativ von Russland verbreiten, das praktisch schon vor der Tür steht, um die Einheit der EU gegen Russland (und Trump) zu wahren, den Krieg in der Ukraine fortzusetzen und eine angstgetriebene Aufrüstung durchzusetzen. Miller geht mit Gabbard und Stubb davon aus, dass Russland sich nicht auf einen Angriff auf Europa vorbereitet und schreibt: „Vor diesem Hintergrund wirkt die EU-Führung immer grotesker. Statt Realismus – moralische Panik. Statt Analyse der Fähigkeiten – Eskalation der Rhetorik. Statt Politik – Mitteilungen, die so geschrieben sind, als würde Europa morgen Opfer eines Blitzkriegs werden. Die Europäische Union verhält sich, als wäre das Einschüchtern der eigenen Bevölkerung ein Ersatz für eine Strategie. Das Ergebnis? Lächerlichkeit. Denn je lauter die These von einem unvermeidlichen Angriff auf Polen und den Westen wiederholt wird, desto deutlicher wird ihre intellektuelle Leere.“

Gabbards Stellungnahme sei nicht pro-russisch, sie wende sich gegen Illusionen, meint Miller. Sicherheitspolitik würde nicht darin bestehen, „Angst zu schüren, sondern die Fakten nüchtern zu bewerten. Und die Fakten sind, dass Russland gefährlich ist – aber nicht allmächtig. Und dass der Westen, der selbst nicht an seine eigenen Narrative glaubt, nicht mehr wie ein Stratege klingt, sondern wie ein schlechter Propagandist.“

Tatsächlich wäre es höchste Zeit für die europäischen Regierungen, anstatt in hysterische Angst vor Putin und Trump zu verfallen bzw. diese zu instrumentalisieren, mit Ruhe strategische Entscheidungen zu treffen, ohne diese mit falscher, nämlich doppelter Moral aufzuladen, die noch dazu im Inneren die Repression fördert, da alles, was dem Narrativ widerspricht, worauf Miller zurecht hinweist, als prorussisch abgeurteilt und nicht als bedenkenswerter Einwand diskutiert wird.

Florian Rötzer

Florian Rötzer, geboren 1953, hat nach dem Studium der Philosophie als freier Autor und Publizist mit dem Schwerpunkt Medientheorie und -ästhetik in München und als Organisator zahlreicher internationaler Symposien gearbeitet. Von 1996 bis 2020 war er Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis. Von ihm erschienen sind u.a. „Denken, das an der Zeit ist“ (Suhrkamp 1988), „Die Telepolis“ (1995), „Vom Wildwerden der Städte“ (Birkhäuser 2006), „Smart Cities im Cyberwar“ (Westend 2015), „Sein und Wohnen“ (Westend 2020) oder „Lesen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ (Bielefeld 2023)
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10 Kommentare

  1. Wenn Putin tatsächlich die Sowjetunion wieder herstellen wollte, na und, was schert uns das?
    Warum müssen wir uns in einen Grenzkonflikt zwischen Russland und der Ukraine einmischen, der dadurch entstand, dass der Rechte Sektor Janukowitsch sofort vertrieb, nachdem dieser mit der Opposition unter Mithilfe von Steinmeier ein Friedensabkommen geschlossen und Neuwahlen vereinbart hatte.
    Warum müssen wir in jedes Konfliktgebiet in Afrika Friedenstruppen in Länder schicken, von denen wir nicht mal wissen, wo sie liegen.
    Warum gibt es das Wort EINMISCHUNGSPOLITIK nicht.
    und warum fordert überhaupt keiner NEUTRALITÄT.
    Kein Mensch glaubt, dass die Russen bei uns einmarschieren wollen. Sie sind ja erst gegangen.
    Diese ganze Kriegslüsternheit hat einfach damit zu tun, dass die Lebensverhältnisse in der BRD frustrierend sind und aggressiv machen, und dass man die Aggression an etwa auslassen muss, zum Beispiel an Russland, selbst wenn man dabei auf die Schnauze bekommt. Dahinter steckt auch Selbsthass.
    Ich hoffe, dass das Ganze für Deutschland möglichst übel ausgeht, weil die Scheißpolitik der BRD UNMORALISCH ist.

  2. Tulsi Gabbard sagte klar Das Europa und Nato und “ Deep State“ auf einen Krieg mit Russland hinsteuern, eigener Interessen wegen und eine USA da mit einbinden wollen !

    Das ist etwas völlig anderes als das was hier zu lesen ist ..
    Man kann von der Dame halten was mal will, aber Sie ist die erste mit diesen Job die Krieg “ vor Ort“ schon miterlebt hat, und das nötigt mir wirklchen Respekt ab , und das spricht für Ihre Aufrichtigkeit ..
    Übersetzt steht das für “ Nato und & Co lügen wenn Sie von Frieden reden !!!

    https://t.me/KD_DIeb/2

  3. L. Miller schreibt von „enormen Verlusten“ Russlands. Seine Aussage widerspricht eindeutig der Darstellung in diesem Medien-OT. ​​Die vorherrschende Meinung besagt, dass die russischen Verluste gering seien, die Sanktionen gegen Russland wirkungslos und die russische Wirtschaft boome.

    L. Miller behauptet, Russland sei nicht bereit für eine Frontalkonfrontation mit der NATO. Schließt diese angebliche Unvorbereitetheit eine Frontalkonfrontation aus? Führt die „Militäroperation“ gegen polnische Faschisten zu einer Frontalkonfrontation mit der NATO?

    1. Lost in Translation,
      da liest aber einer ständig „Institute for the Study of War“ oder wie kommt der Roman auf so kryptische Information?

      1. Der Roman erscheint mir nach seinen vielen Posts hier als banderanaher, ggf. bezahlter, Ukrainer, der sowohl Bildungslücken aufweist oder übertüncht, als auch manch anderem Foristen mit seiner Humanität und seinem Intellekt nicht das Wasser reichen kann, also am bessten ist es, ihn zu ignorieren.

        1. Ich schätze Roman,
          das Er sich ehrlich für die Sache der Ukraine einsetzt und es würde mich freuen, wenn hier mehr vermutliche Ukrainer schreiben.

  4. Wäre Russland so fähig und stark wie es tut, würde es sich nicht soviel gefallen lassen und müßte auch nicht ständig mit seinen Atomwaffen drohen.
    Das russische Problem ist der allgegenwärtige Schlendrian und traditionelle Phlegmatismus.
    Was sie aber nicht hindert, wenn sie sich beleidigt fühlen, extreme Massnahmen zu ergreifen.
    So gesehen sind in der heutigen Situation und Gemengelage alle Spekulationen Kaffeesatzleserei.

  5. Man sieht immer wieder die gleichen Bilder, wenn es um diesen Krieg geht: Beschädigte oder eingestürzte Wohnhochhäuser.

    Dieser Krieg ist aber nicht der 2. Weltkrieg oder irgendein Bombenkrieg der USA oder Israels, wo das Verhältnis der Opfer zwischen Zivilisten und Soldaten oft 1:1 ist. Wenn es in diesem Krieg ca. 2. Millionen tote und verwundete Soldaten gibt, aber „nur“ 50.000 zivile Opfer (wovon jedes Opfer eins zu viel ist), vermitteln solche Bilder nicht falsche Ideen von der Wirklichkeit dieses Krieges?

    https://www.statista.com/statistics/1293492/ukraine-war-casualties/

  6. Es springt jedem interessierten Politikverfolger ins Auge, dass viele gebildete Leute, die früher in Verantwortung für ihren Diebstherren waren und vermutlich finanziell und mit gutem Rechtsschutz abgesichert sind, nun die Seite wechseln und die Wahrheit posten. Das ehrt sie, wird aber kaum etwas bewirken. Es gibt nur eine einzige Hoffnung, das Gute möge stark genug sein, um zu gewinnen. Gutes kann ich in der Herrscherstruktur der EU nicht mehr erkennen, und die Stärke hängt mit dem Guten zusammen und wurde im Wertewesten komplett abgeschafftt. Der Feudalismus ging zu Ende, die Hitler-Ära ging zu Ende, der falsche Sozialismus ging zu Ende, und das, was wir jetzt haben (es passt keine bekannte Definition richtig) wird auch zu Ende gehen.

  7. Dass die Ukraine neutral werden muss, steht für Russland fest und ist unverhandelbar, einen Staat mit einer 1500 Kilometer langen Grenze zu Russland, kann Russland nicht erlauben sich einem Russland-feindlichen Bündnis anzuschließen. Oder glaubt jemand, dass die USA erlauben würden, das Mexico einem Militär-Bündnis mit China zustimmen würde?

    Was aber Nato-Staaten wie Polen, Estland, Lettland oder Litauen betrifft, diese Staaten gefährden Russland nicht, und weil sie auch sonst nichts zu bieten haben, hat Russland auch kein Motiv sie anzugreifen.

    Eher kann ich mir vorstellen, dass diese Staaten, die einen geerbten Groll gegen Russland hegen, Russland so lange provozieren bis Russland etwas unüberlegtes tut um dann die Nato zu Hilfe zu rufen.

    Denn eins ist klar, so lange diese Staaten glauben sich darauf verlassen zu können, dass die USA ihnen im Falle eine militärischen Konflikts zu Hilfe eilen würden, glauben sie auch sich so aufführen zu dürfen, als würden sie über die militärische Macht der USA verfügen.

    Ohne ein militärisches Feind-Bündnis gegen Russland spielen diese Staaten keine Rolle, deshalb würden sie eine Friedenspolitik der USA mit Russland unter allen Umständen zu verhindern versuchen.

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