
Am 27. Oktober 2023 starb Li Keqiang im Alter von 68. Er war zwischen 2013 und 2023 der Premierminister von China, Nummer Zwei im Land, direkt unter dem Staatspräsidenten Xi Jinping.
Eigentlich wurde Li vom ehemaligen Staatspräsidenten Hu Jintao als dessen Nachfolger ausgewählt. Beide gehörten zur Fraktion des Kommunistischen Jugendverbandes, der Kaderschmiede für Nachwuchstalente. Xi Jinping, der der Fraktion der Prinzlinge, also Kinder ehemaliger Revolutionäre an der Seite von Mao Zedong, vorstand, sollte Premierminister werden. Doch Jiang Zemin, der Vorgänger von Hu, und Zeng Qinghong, der ehemalige Vizestaatspräsident unter Jiang, stellten sich dagegen und sorgten letztlich für den Rollentausch. Beide sahen in Xi den harmlosen Prinzling, der die Pfründe der alten Führungskader nicht antasten würde. Das tat Xi tatsächlich nicht, aber er erwies sich alles andere als harmlos.
600 Millionen Chinesen nur 1000 Yuan im Monat
Bereits nach einem Jahr im Amt fing Xi an, Li Keqiang an den Rand zu drängen. Es gehörte zur alten Tradition der Volksrepublik, dass die Wirtschaft der Zuständigkeit des Premiers zufällt. Doch Xi gründete eine Gruppe für wirtschaftliche Entwicklung und ernannte sich selber zu dessen Leiter. Im Laufe der Amtszeit rief er eine Reihe von Gruppen ins Leben, die er persönlich leitete und konzentrierte so die Macht immer mehr auf sich selber.
Li war genau der Gegenentwurf zu Xi: sehr gebildet (Jurist und promovierter Volkswirt, Xi hat nicht mal ein Abitur vorzuweisen), pragmatisch (Xi ideologisch), bodenständig und volksnah (Xi bevorzugt den Personenkult). Li war mehr Gelehrter als Politiker. Im Machtkampf gegen Xi hatte er keine Chance. Doch er nutzte die ihm verbliebenen Möglichkeiten, um seine Unzufriedenheit zu demonstrieren. So sagte er auf der Pressekonferenz des Volkskongresses 2020, dass noch 600 Millionen Chinesen nur 1000 Yuan (rund 140 Euro) im Monat verdienten. Auf demselben Volkskongress hat Xi verkündet, dass es der chinesischen Führung gelungen sei, das ganze Land von der Armut von befreien. Wie erzürnt Xi nach Lis Äußerung war, kann man sich lebhaft vorstellen. Gerüchten zufolge sollte Li intern heftig kritisiert worden sein.
Als die Wirtschaft unter der Pandemie litt und die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellte, schlug Li vor, die von Xi verbotene Straßenhändler-Wirtschaft wieder zu beleben. Die Straßenhändler, die Passanten von Snacks über Spielzeug bis zu Büchern allerlei anboten, passten nach Xi nicht ins Bild eines modernen sozialistischen Landes. Ein solch offenen Affront konnte Xi nicht dulden. Sofort wurde Li zurückgepfiffen.
Im Frühjahr 2022 reiste Li Keqiang in die Provinz Yunnan. Demonstrativ zeigte er sich ohne Maske. Bilder und Videos gingen im chinesischen Internet viral und wurden sofort zensiert.
Herzinfarkt beim Schwimmen
Seine zehnjährige Amtszeit als Nummer Zwei in China war gekennzeichnet von allmählicher Entmachtung und schwachem Widerstand. Das Schlimmste, die Verfassungsänderung 2018, die den Weg für Xi’s ewige Herrschaft ebnete, konnte er nicht verhindern. Sein letzter Akt des zivilen Ungehorsams war ein Satz in seiner Abschiedsrede vor den Mitarbeitern des Staatsrats: “Der Mensch handelt, der Himmel schaut zu.” Eine Anspielung darauf, dass Xi für seine Taten irgendwann bestraft wird.
Was all dieser Frust, die Demütigung, die Enttäuschung mit seiner Gesundheit gemacht hat, wissen nur seine engsten Vertrauten. Da der Gesundheitszustand der obersten Kader wie ein Staatsgeheimnis gehütet wird, weiß man auch nichts von den Vorerkrankungen des ehemaligen Premiers. Die letzten Fotos von Li stammen aus einer Reise nach Dunhuang im August 2023. Da machte er einen vitalen und gelösten Eindruck.
Nach offizieller Lesart flog Li am 25. Oktober zur Erholung nach Shanghai und erlitt am Tag danach einen Herzinfarkt. Ein weiteres inoffizielles, nicht zensiertes Detail lautet, dass der Herzinfarkt beim Schwimmen passierte.
Das wirft viele Fragen auf: Jemand in seiner Position wird regelmäßig untersucht und hat stets einen Bodyguard und einen Arzt bei sich. Hätte er Herzprobleme gehabt, hätte er doch vor dem Schwimmen gewarnt werden müssen. Hätte er keine gehabt, wäre eine solche Szene kaum vorstellbar. Wovon sollte er sich in Shanghai erholen? In der Metropole wimmelt es von erstklassigen Krankenhäusern. Warum wurde er in ein mittelmäßiges eingeliefert? Der im Exil in den USA lebende Dissident Wang Juntao, der mit Li Keqiang während der Studienzeit an der Peking-Universität befreundet war, spricht im Interview mit der Deutschen Welle von einem Mord. Viele im Inland teilen diese Vermutung.
Von der Trauer zum Protest?
Der plötzliche Tod des relativ jungen Ex-Premiers macht die Chinesen fassungslos und traurig. Ein User schreibt: “Selten wird um einen Politiker getrauert, der so wenig geleistet hat, weil er so wenig Spielraum hatte.” Die Netzpolizei war fleißig beim Löschen. Übrig geblieben sind nur Allgemeinplätze wie “Frieden sei mit ihm” oder “Beileid für die Hinterbliebenen”. Den Universitäten wurden Trauerversammlungen verboten. Nur in seiner Heimatstadt Hefei und seiner Wirkungsstadt Zhengzhou der Provinz Henan war es erlaubt, Kränze niederzulegen.
Auch die Sprüche an den Kränzen wurden streng kontrolliert. Ein altes Lied “Warum warst nicht Du?” (eine Anspielung darauf, warum der Tod den Falschen erwischt hat) wurde über Nacht ein Riesenhit und war schnell nicht mehr abrufbar. Die Leiche von Li Keqiang wurde heimlich nach Peking gebracht. Am 2. November, dem Tag des Abschiedsnehmens hatten nur geladene Gäste Zutritt zum Krematorium. Eine Kolonne von Riesenbussen wurde vor dem Tor platziert, um die Sicht zu verdecken.
Zu groß ist die Angst der chinesischen Führung, dass aus den Trauerveranstaltungen eine Protestbewegung entstehen könnte. Zwei Beispiele aus der jüngsten Geschichte: Im Januar 1976 verstarb der vom Volk geliebte Premier Zhou Enlai. Am 5. April (Totengedenktag) strömten trauernde Chinesen zum Platz des Himmlischen Friedens und verliehen ihrer Wut auf die Viererbande um die Frau von Mao Zedong Ausdruck. Diese Bewegung gab der innerparteilichen Opposition Kraft und führte zur Zerschlagung der Viererbande Anfang Oktober desselben Jahres. Im April 1989 erlitt der gerade entmachtete Generalsekretär und Reformpolitiker Hu Yaobang einen Herzinfarkt. Aus der Trauer wuchs eine Studentenbewegung gegen Korruption und für mehr Demokratie.
Und Hu Jintao?
Auch Tage nach dem Tod von Li Keqiang liegen Trauer und Verzweiflung wie Mehltau über der Hauptstadt Peking. Freunde treffen sich zum Abendessen, umarmen und trösten einander. Es wird von Besuchen bei seiner Frau, einer bescheidenen Hochschulprofessorin für Anglistik, berichtet. Sie soll um eine Obduktion gebeten, die Forderung aber wieder zurückgezogen haben. Außerdem soll sie erzählt haben, dass ihr Mann bereits Utensilien besorgt hatte, um Kaligraphie zu üben und malen zu lernen.
Ein anonymer Autor hat geschrieben: “Mit dem Tod von Li Keqiang ist die Zeit unserer Generation vorbei. Wir sollten von der Bühne treten und den Saal verlassen.”
Mit seinem Ableben ist auch die Fraktion des Kommunistischen Jugendverbandes vollständig erlöscht. Sein politischer Ziehvater, der ehemalige Staatspräsident Hu Jintao, wurde im März auf dem Volkskongress fast gewaltsam abgeführt. Seitdem hat es immer wieder Gerüchte von seinem Tod gegeben. Niemand hat damit gerechnet, dass sein Schützling noch vor ihm aus dem Leben scheiden würde.
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Also auf Deutsch, man weiß nichts Wirkliches und ein Auslandschinese betreibt antichinesische Propaganda. Also alles wie gehabt. Zum Glück gibt es im Westen nur Blumen und Glückseligkeit.
Xi soll angeblich nicht mal ein Abitur vorzuweisen haben.
Aber dennoch hat er einen akademischen Abschluss und ist promoviert.
Und vielleicht liegt die Ursache des fehlenden Abiturs darin begründet, dass er als Jugendlicher als Landarbeiter Dienst zu leisten hatte und in der Kulturrevolution damit umerzogen wurde?
Und wäre die Bilanz über die Menge der noch im Niedriglohnsektor Beschäftigten besser, wenn Xi die ökonomische Freiheit nicht eingeschränkt hätte?
Ist Li überhaupt fähig gewesen, die Folgen seiner Ansichten zu erfassen?
Aber der nicht koschere Autor hat seiner Redlichkeit bereits das Grab geschaufelt, weshalb sich solcher Hohlkammer-Klimbim außer dem Aufzuzeigendem nicht weiter lohnt.
Hört sich wie die Geschichte von Lauterbach an… “Xi soll angeblich nicht mal ein Abitur vorzuweisen haben. Aber dennoch hat er einen akademischen Abschluss und ist promoviert. ”
Hört sich wie die Geschichte von Lauterbach an… da hat dich das sicher auch schon nicht gestört.
Und? Impfung gut vertragen?
Inwiefern hat Xi was mit Lauterbach was zu tun?
Li wurde in dem Beitrag als Hochgebildeter vorgestellt, während Xi nicht mal Abitur hätte.
Xi hat aber sehr wohl studiert und promoviert. Der Beitrag erweckt aber einen anderen Schein.
Und weil Xi hatte aufgrund seiner Herkunft und den realen politischen Verhältnissen damals eben keine besonders leichte Jugend und konnte somit in dieser Zeitspanne auch kein Abitur erwerben.
Li und und sei Mentor Hu haben die Marktöffnung vorangetrieben und wollten mehr. Dass sie dafür auf den Volkskongressen und damit der eigentlichen Machtinstanz in China immer weniger Zustimmung fanden, ist eben Fakt. Und auch sie haben linke Reformer abgesägt, waren keineswegs so volksnah und menschenfreundlich, wie der Artikel zu suggerieren versucht.
Und darauf aufmerksam zu machen und dies in einen solchen Kontext einzuordnen, ist eigentlich die Grundbasis jeder fähigen Textanalyse.
Ich habe noch eine gedankliche Frage gestellt, welche man durchaus auch einordnen kann, dann aber wieder eine wesentliche Aussage des Artikels in Frage stellt.
Ich will ja nicht unpräzise sein: Gentherapie gut vertragen?
Li stand Xi im Weg.
Klar so weit?