Der KI-Genozid

Attacke auf Stadt
Quelle: Dieses Bild wurde mittels Grok entwickelt.

KI verändert die Kriegsführung grundlegend: Tödliche Entscheidungen werden automatisiert, zivile Opfer bewusst in Kauf genommen und moralische wie rechtliche Grenzen verwischen – mit weitreichenden Folgen für Politik, Technologie und Demokratie.

Ein Buchauszug.

2024 verdeutlichte eine Recherche des israelisch-palästinensischen +972 Magazine, dass das israelische Militär ein KI-Programm namens »Lavender« anwendet, um Hamas-Ziele zu finden und zu töten. Geschrieben wurde der ausführliche Text vom Journalisten und Berlinale-Preisträger Yuval Abraham. Laut diesem hat die KI der israelischen Armee mindestens 37 000 Menschen als »Terroristen« abgestempelt und zum Abschuss freigegeben. Zivile Opfer werden dabei Whistleblowern aus Geheimdienstkreisen zufolge bewusst verursacht. So seien bei Hamas-Kämpfern mit niedrigem Rang 15 bis 20 zivile Opfer tolerabel. Bei hochrangigen Kommandanten werden gar über 100 zivile Todesopfer in Kauf genommen. Ebenso schockierend ist der Umstand, dass Wohnblocks mit Familien gezielt bombardiert werden, weil dem Militär zufolge die Erfassung der Ziele einfacher sei, wenn diese sich unter ihren Familien aufhalten würden. Hier kommt eine weitere KI, die mit »Lavender« zusammenfließt und den zynischen Namen »Where is Daddy?« trägt, zum Einsatz. »Lavender« handelt praktisch vollkommen autonom.

Menschliche Intervention findet, wenn überhaupt, nur für wenige Sekunden statt, um Zeit zu sparen, etwa, wenn die KI eine weibliche Zielperson erfasst hat. Der Grund: Die meisten Terroristen seien Männer. Auch andere Kriterien spielen bei der Zielauswahl eine Rolle, etwa Kontaktschuld mit möglichen Hamas-Mitgliedern (im überaus engen Gazastreifen!) oder der alltägliche Smartphone-Gebrauch. Auch wer sein Handy zu oft austauscht, kann zum Ziel werden. Weitere, durchaus schockierende Erkenntnisse erinnern an andere Konflikte, etwa an den »War on Terror« der Amerikaner in Afghanistan und anderswo. Die »Military-age male«-Doktrin der Amerikaner wurde in diesem Buch bereits ausführlich erläutert. Durch sie wurden auch minderjährige Afghanen oder Jemeniten zum Abschuss ohne moralische Gewissensbisse in die Luft gejagt. Auch »Lavender« macht nicht vor minderjährigen Palästinensern halt. Hinzu kommt, dass die Zielgenerierung kein Ende kennt. »Lavender« wertet permanent zahlreiche Überwachungsdaten aus und liefert neue Ziele, die im Anschluss von Kampfjets oder bewaffnete Drohnen bombardiert werden.

Die Kunden Peter Thiels

Kritiker heben in diesem Kontext seit Langem hervor, dass zivile Opfer nicht nur in Kauf, sondern sehr bewusst vom israelischen Militär herbeigeführt werden. Ein prominentes Beispiel hierfür ist der Drohnenangriff auf den Hilfskonvoi der NGO World Central Kitchen, der sieben Mitarbeitern, darunter mehrere Staatsbürger westlicher Staaten, das Leben kostete. Die Opfer des Angriffs wechselten ganze drei Mal ihren Wagen, der obendrein noch mit dem Logo der NGO markiert war, und wurden dennoch von der israelischen Drohne gejagt und getötet. José Andrés, Chef der NGO, sprach von einem systematischen Angriff. »Das war keine Situation, in der man sagen kann: ›Ups, wir haben die Bombe am falschen Ort abgeworfen‹«, so Andrés. Tatsächlich ist der Massenmord mittels KI eine direkte Folge des Todes per Knopfdruck, der im Zuge der Antiterrorkriege der letzten zwei Jahrzehnte etabliert wurde. Jegliches Verständnis von Ethik, Moral und Rechtsstaatlichkeit fällt bei dieser Art der Kriegsführung weg. Hinzu kommt, dass alle Fragen, die in den letzten Jahren unbeantwortet blieben, nun noch einmal ausgerollt werden müssen. Bereits bei Drohnenangriffen, die von ganzen Teams mitsamt hierarchischer Struktur koordiniert und durchgeführt wurden, war unklar, wer letzten Endes Rede und Antwort stehen muss. Doch wen belangt man im Falle einer KI? Und wie verortet man die Schuldigen innerhalb der großen Tech-Riesen wie Google und Microsoft, die ihre Daten mit israelischen und amerikanischen Geheimdiensten und Militärs teilen und demnach Komplizen sind?

De facto sind viele, die diese dystopische Wirklichkeit erschaffen haben, schon längst unantastbar. Das beste Beispiel hierfür ist der rechtslibertäre Milliardär und Palantir-Mitgründer Peter Thiel, dessen Firma zum zentralen Lieferanten von Infrastruktur für Überwachung, Polizeiarbeit und Kriegstechnologie geworden ist. Thiel selbst könnte aus einem dystopischen Science-Fiction-Roman stammen. Seine Ideologie ist eng mit seinem Konzern verwoben. Er vertritt rassistische und migrationsfeindliche Ansichten, unterstützt Donald Trump und Konsorten und will vor allem eines: so viel Macht und Kontrolle wie nur möglich. Wie weit vorangeschritten er damit ist, wird anhand der Globalisierung Palantirs und der Involvierung in zahlreiche Repressalien deutlich. In den USA wird Palantir-Software von ICE (Immigrations and Customs Enforcement), der amerikanischen Grenzkontrollbehörde, eingesetzt und spielt eine zentrale Rolle bei Massenabschiebungen, die sich seit Beginn der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump vervielfacht haben. Auch die amerikanische Polizei (und selbst die deutsche!) benutzt Palantir und stand deshalb schon mehrmals in der Kritik, da die damit verbundene KI rassistische Stereotypen reproduzierte und anhand dieser gegen mutmaßliche Kriminelle vorging. Im Militär- und Geheimdienstbereich sowie im »Antiterrorkampf« gehören das Pentagon, die CIA, zahlreiche NATO-Staaten sowie das israelische Militär zu den treuesten Kunden Peter Thiels, dessen Aktienkurs tagtäglich in die Höhe schießt.

Weltanschauung in KI

Es liegt auf der Hand, dass der Einfluss, den Peter Thiel, Elon Musk und andere Tech-Milliardäre mit menschenverachtenden und autoritären Ansichten genießen, zu den größten Bedrohungen unseres Zeitalters gehört. Die von ihnen geschaffenen und kontrollierten Technologien und Algorithmen sind bei praktisch allen demokratischen Wahlvorgängen deutlich schwerwiegender als die einfache politische Partizipation eines einzelnen Wählers. Sie sind zu den dominanten Playern der liberalen Demokratie, deren eigentliche Abschaffung ihr Ziel ist, geworden. »Ich denke nicht, dass Freiheit und Demokratie kompatibel sind«, sagte Thiel bereits im Jahr 2009. Wie sehr Elon Musk auf den deutschen Wahlkampf mit seiner Unterstützung für die AfD einwirken wollte, bleibt weiterhin unvergessen. Zu den großen Bewunderern Thiels und Musks gehört auch der Kopf des Springer-Konzerns, Mathias Döpfner. Immerhin war es das Springer-Flaggschiff WELT, das Musk während des diesjährigen Wahlkampfs trotz seiner zahlreichen neofaschistischen Aussagen eine Plattform anbot, um für die AfD Wahlpropaganda zu machen. Als Folge darauf reichte Eva Marie Kogel, die Meinungschefin der WELT, ihre Kündigung ein. Den Döpfners und Poschardts war all das allerdings völlig egal. Sie ergötzten sich regelmäßig an Musk und verkauften ihn als etwas eigenartiges Genie, der jedoch im Grunde genommen mit vielen Dingen, die er sagt und tut, recht habe. Was für abstruse Ausmaße all das annehmen kann, bewies ausgerechnet Musks KI-Agent auf X, »Grok«. Nachdem dieser im August 2025 das Vorgehen Israels als Genozid bezeichnete, wurde er kurzzeitig von der eigenen Plattform gesperrt. Nachdem Grok zurückkehrte, war er offenbar umprogrammiert und wieder hörig.

Das Problem ist allerdings, dass die Weltanschauungen von Menschen wie Thiel und Musk auch in deren (KI-)Technologien einfließen. Der »War on Terror«, der in Gaza mittels KI zum Genozid ausgeartet ist, wird aus diesem Grund ebenso scheitern wie die Antiterrorkriege der letzten Jahre. Der sogenannte »Islamische Staat«, eine der schlimmsten Terrormilizen unserer Zeit, war eine direkte Folge der illegalen US-Invasion des Irak. Der vermeintlich gerechte Krieg in Afghanistan züchtete eine neue, radikalere Generation von Taliban-Kämpfern heran, die gegenwärtig regieren, unterdrücken und mit ihren Repressalien gegen Mädchen und Frauen einen neuen Krieg gegen die eigene Bevölkerung begonnen haben. Viele Politiker im Westen wollen es sich nicht eingestehen, doch auch die nächste Generation von Hamas-Kämpfern wird in absehbarer Zeit in Erscheinung treten. Als Überlebende des Genozids werden sie womöglich noch extremer und gewalttätiger sein als alle Generationen vor ihnen. »Diese Kinder werden zu Terroristen«, hört man oft vonseiten  rechtsextremer israelischer Fanatiker, die das Aushungern und Bombardieren palästinensischer Kinder rechtfertigen wollen. Dabei ist es ebenjene israelische Politik, deren Zeuge wir tagtäglich werden, die die Genozidüberlebenden aus Gaza in Teilen tatsächlich zu Militanz und Extremismus führen wird. In der Menschheitsgeschichte wäre dies gewiss keine neue Erscheinung, die nur auf muslimische Bevölkerungen zutrifft. Neu ist allerdings der Umstand, dass automatisierte Maschinen eigenständig töten und der Mensch das zugelassen hat. Der Auswirkungen dessen werden wir uns wohl erst bewusstwerden, wenn es viel zu spät ist.

Emran Feroz

Emran Feroz arbeitet als freier Journalist mit Fokus auf Nahost und Zentralasien, unter anderem für Die Zeit, taz, Al Jazeera und die New York Times. Er berichtet regelmäßig aus und über Afghanistan und den US-amerikanischen Drohnenkrieg und ist der Gründer von „Drone Memorial“ (www.dronememorial.com), einer virtuellen Gedenkstätte für zivile Drohnenopfer.
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6 Kommentare


  1. KI verändert die Kriegsführung grundlegend: Tödliche Entscheidungen werden automatisiert, zivile Opfer bewusst in Kauf genommen und moralische wie rechtliche Grenze verwischen…

    Jegliches Verständnis von Ethik, Moral und Rechtsstaatlichkeit fällt bei dieser Art der Kriegsführung weg.

    Ab sofort gibt es nicht nur den gerechten Krieg, nein, jetzt gibt es auch noch dank KI den sauberen Krieg.
    Es wird immer alberner.

    1. Und da man bereits in Deutschland an einer eigenen KI arbeitet, wurde auch bereits dafür ein Name gefunden:
      „Meister Proper“

      Nur die Claim-Tests waren bisher nicht so berauschend.

      „Vernichtet so ökologisch und sauber, dass man sich drin spiegeln kann“ kam am besten bei Wählern der Grünen sehr gut
      „Trau dich, scheiße zu sein! “ bei den Wählern der CDU/CSU und AfD

      Hier müssen aber die Teams nochmal ran …………….
      (es bleibt also spannend)

  2. Wenn man heute die Verantwortlichkeit eine KI übergiebt, dann tuen die Verursacher so, als gehe diese Probleme alle deren Befürworter nichts an.
    Dann lebt man in einer feudalen Welt der Selbstjustiz. Wir sind nicht schuldig, aber ihr bezahlt.
    Genau betrachtet, arbeitet die heutige Politik an der bestehende Systemproblemstatik .
    Diese Problem, ist tatsächlich eine Problem, da, zB, diverse negative Organisationen, durch die westlichen geförderten Projekte der illegalitäten Organisationen vor Ort in der Ukraine ausbilden.
    Eine postmoderne Erscheinung, wird zum Alptraum.
    Da die alte Generation schon elimiert wurde, wird die nächste Generation in die nächste Runde der Infiltration geschickt.
    Eine fast perfekte Simulation, ob diese Realität wird , bleibt der nächsten Generationen überlassen.
    Diese entscheidet über ihren Weg….

  3. Ich sehe es schon kommen, die nächsten Kriege werden wohl die Infrastruktur der KI als strategisches Ziel definieren, Sprich: Wer schafft es, den Ausschalter der gegnerischen KI zu erobern und diese abzuschalten.

    Auch Palantir hat einen (oder mehrere) Ausschalter. Die Frage nach der Verantwortung läßt sich also eindampfen: Wer entscheidet über dessen Benutzung? Palantir läuft ja nicht auf normalen Computern oder gar Raspberry, dafür werden Großrechner in Rechenzentren benötigt.
    Man sollte sich nicht vom angeblichen „Automatismus“ einlullen lassen. Es sind noch immer Menschen, die entscheiden! Welche? Wer?

  4. Verantwortlich ist immer der, der den Einsatz der KI Befiehlt und bezahlt. In Israel
    ist das der Massenmörder Netanjahu. Der Begriff Waffe ist relativ. Zur Waffe kann
    eigentlich alles werden. In den richtigen Händen kann eine Pistole Leben retten.
    In den falschen Händen kann ein Stück Papier einem Menschen die Kehle durchschneiden.
    Ob der Peter Thiel jetzt wirklich unschuldig ist…..? Hätte er den Israelis seine „KI“ geben
    dürfen? Palantir kann die Richtigen entlarven oder die Falschen beschuldigen. Ob der Thiel
    hiermit mehr Schaden anrichtet als Facebook, glaube ich nicht.

  5. Stuxnet olé !

    In den USA wird gerade das Ökosystem ausgerollt. Die komplette Ai-Branche ist unter 2 jähriger Immunität und darf sich entwickeln, wie es den Oligarchen beliebt, ohne dass irgend ein Gericht das stoppen könnte. Die Ai sammelt permanent von allen Daten, kommt es zum Konfliktfall, so ist das Targeting nur noch Makulatur und die Algorithmen entscheiden autonom, wer wann wo Bombardiert wird. Ändert sich die Dynamik des Schlachtfeldes, werden aus diesen Daten angepasste Kampfmaschinen quasi on-the-fly automatisiert in den heimischen Roboterfabriken produziert. Und da diese Thiel-Systeme inzw. tief in die (über)staatlichen Entscheidungsstrukturen integriert sind, werden evtl. notwendige Begründungen für Kriege gleich miterstellt:

    https://open.substack.com/pub/conflictsforum/p/the-key-nuclear-allegation-that-started

    Ihr kennt den Film ‚The Cube‘ – das ist eine gute Analogie für das, was gerade weltweit errichtet wird. – in der .UA kommt die europäische Ai-Fabrik hin, Larry Fink und Donalds Abgesante haben das bereits beschlossen, während der Fritze noch über den Diebstahl des russischen Vermögens fabulierte.

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