»Der Clou am Lobbyismus ist: Er ist legale Korruption«

Geschäftsmann an Fäden
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Sie kommen zurückhaltend auf Parlamentarier zu, sind freundlich und zuvorkommend. Sie bitten zunächst nie um Gefälligkeiten – sondern sind gefällig. Bis sie eines Tages doch was wollen. Die Rede ist von Lobbyisten.

Roberto De Lapuente hat mit Marco Bülow über Lobbyismus, Korruption und eine legale Mafia unterhalten.

 

De Lapuente: Die Scholz-Regierung hat mit so vielen Lobbyisten zusammengearbeitet, wie keine Bundesregierung zuvor. Wird es jetzt unter Friedrich Merz wieder besser?

Bülow: Sagen wir mal, die Ampel-Koalition hat das Feld gut bestellt in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Profitlobbyisten. Der ehemalige BlackRock-Lobbyist Friedrich Merz will aber noch einen draufsetzen, was man schon an seinem Kabinett der Millionäre erkennen kann. Wir haben also endlich einen neuen Namen für die ehemalige GroKo gefunden: Die LoKo, die Lobbykoalition.

De Lapuente: Wer sind denn die Millionäre, von denen Sie sprechen?

Bülow: Von der Union wohl alle, nicht nur der Topmanager Karsten Wildberger und die beiden ehemaligen Profilobbyisten Katharina Reiche und Friedrich Merz. Da ist eine Politik der Reichen für die Superreichen zu erwarten. Es wird von »Fachexperten« geredet, aber wie wäre es denn dann mal mit folgenden Experten neben dem Topmanager: Mit der Pflegekraft als Gesundheitsminister, einem Soloselbständigen oder Handwerker im Wirtschaftsministerium und dem Streetworker an der Spitze des Sozialministeriums?

»Es gibt einen Überbietungswettbewerb der Parteien, wer noch mehr Geld in Rüstung steckt«

De Lapuente: Wo hat denn die Ampelkoalition besonders viel Lobbyismus zugelassen – und wieso tat sie es?

Bülow: Vor allem die Finanzlobby hat schon unter Olaf Scholz als Finanzminister und dann als Bundeskanzler einen privilegierten Zugang bekommen. Mit Jörg Kukies haben die Banken, hat Goldman Sachs, einen direkten Zugang als Staatssekretär in die Regierung erhalten. Kein Wunder, dass es kein entscheidendes Vorgehen, sondern eher die schützende Hand für die CumEx- und CumCum-Verbrechen gab und gibt.

De Lapuente: Jörg Kukies wurde den meisten Menschen erst ein Begriff, als er kurzzeitig Finanzminister der Rest-Ampel wurde. Er beerbte Christian Lindner. Vorher war er drei Jahre lang, bis 2021, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Später wechselte der ehemalige Bankmanager in Bundeskanzleramt des Olaf Scholz – er war auch dort Staatssekretär und enger Berater des Kanzlers. Es gibt nicht wenige im Lande, die gerne von einer Experten-Demokratie schwärmen – Sie haben es ja vorhin selbst kurz skiziiert: Ein Mediziner soll Gesundheitsminister werden, ein Ökonom Wirtschaftsminister und so weiter. Was spricht denn nun dagegen, dass ein Banker die Finanzen des Bundes regelt?

Bülow: Zunächst einmal ist der Staat keine Bank und auch kein Geschäft, zudem sind die Banken nun nicht gerade als große Geschäftslenker aufgefallen. Am Ende mussten viele von ihnen von den Staaten und den Steuerzahlern gerettet werden. Zudem sollt es uns gerade in der Finanzpolitik um das Allgemeinwohl und nicht das Wohl der Finanzlobby gehen. Aber darum geht es ja schon länger nicht mehr und deshalb ist es kein Wunder, dass die Verbrechen von Bankern und Finanzmanagern bei CumEx und CumCum so ausgeartet sind und immer noch nicht hart angegangen werden.

De Lapuente: Für die Lobbyisten der Rüstungsindustrie müssen diese Zeiten ein wahres Eldorado sein. Wie werden denn Lobbyisten gemeinhin entlohnt?

Bülow: Da knallen am laufenden Band die Champagnerkorken. Es gibt ja einen regelrechten Überbietungswettbewerb der Parteien, wer noch mehr Geld in Rüstung steckt. Auch Waffenexporte an Autokratien und Diktaturen haben wieder Hochkonjunktur. Alle ethischen und moralischen Hürden wurden gesprengt.  Und jetzt gibt es einen Geldsegen, der den Weg für viele Deals bereitet – völlig egal, ob diese Waffen, Kriegsgeräte auch wirklich gebraucht oder überhaupt eigesetzt werden können.

»Das ist wie bei einer Mafia mit ganz weißer Weste«

De Lapuente: Arbeiten Lobbyisten denn mit Festgehalt? Kriegen Sie Erfolgsprämien? Und wie bemessen die sich? Sie wären ja fast mal Lobbyist geworden, schreiben Sie in Ihrem Buch. Haben Sie da nicht nachgeguckt, wie man dort seine Schäfchen ins Trockene bringt?

Bülow: Das ist ganz unterschiedlich und kommt darauf an, wo man die Grenze zieht. Ich nenne Politiker, die gleichzeitig schon Lobbyisten sind Lobbytarier. Sie stehen in einem permanenten Interessenskonflikt, der aber meist zugunsten der Lobbys ausfällt, zumindest da wo es sich lohnt. Erst mal sind es nur Gefälligkeiten und Netzwerke, welche politische Karriere fördern, dann können Spenden, hochbezahlte Vorträge, Aufsichtsratsposten dazukommen. Nach einem vollständigen Wechsel zu einer Lobby richtet sich das Gehalt nach dem Einfluss und den Kontakten die man hat und natürlich, welche Lobby dich einkauft.

De Lapuente: Wie kam man denn auf Sie zu, als Sie fast Lobbyist wurden?

Bülow: Ich hatte den Wahlkreis gewonnen, war Mitglied einer Regierungsfraktion und war gleich zuständig für einige Energiethemen. Es ging also um viel Geld und viele Lobbyisten, die da ein verstärktes Interesse hatten. Die Kontaktaufnahme ist sehr unterschiedlich, aber die Profis bauen erst mal ein Vertrauensverhältnis zu dir auf – ich nenne das Wohlfühllobbyismus. Nach und nach tun sie dir dann Gefallen, unterstützen dich, die Gegenleistungen musst du erst später erbringen. Nichts wird da wirklich hart eingefordert, sondern du hast das Gefühl, du bist denen was schuldig.

De Lapuente: Sowas kennt man von der organisierten Kriminalität. »Eines Tages, möglicherweise auch nie, werde ich dich bitten, mir eine kleine Gefälligkeit zu erweisen.« Das sagt Vito Corleone ganz am Anfang der Trilogie zu einem Bittsteller. Sie ahnen, worauf ich hinauswill, Herr Bülow. Ist Lobbyismus eine Mafia?

Bülow: Es geht tatsächlich in die Richtung, aber der eigentliche Clou ist der: Alles daran ist ganz legal. Deshalb spreche ich von legaler Korruption. Wir haben kaum Regeln und wenn, dann werden sie nicht wirklich kontrolliert und Schuldige nicht sanktioniert. Selbst die Angeordneten, die ihre Machtposition ausgenutzt haben, überteuerte Maskendeals eingefädelt und private Millionenprovisionen einkassiert haben, sind freigesprochen worden. Eine Mafia mit ganz weißer Weste zusagen …

De Lapuente: Sie hätten ein reicher Mann sein können …

Bülow: [lacht] Nun ja, sagen wir mal, wenn man mitspielt, befördert es zumindest die eigene Karriere. Das kann sich ja auch in der Politik schon auf das Geld auswirken. Schon als Sprecher einer Arbeitsgruppe oder dann als stellvertretender Fraktionsvorsitzender oder Ausschussvorsitzender bekommt du einiges an Geld dazu. Mit den möglichen Nebenverdiensten steigst du natürlich noch eine Gehaltsklasse weiter nach oben. Aber mal ganz ehrlich, auch ohne diese ganzen Boni verdienst du als Abgeordneter doch richtig gut. Ich war also reich genug. Dass die meisten aber gerne immer mehr haben wollen, kommt den Lobbyisten sehr entgegen.

»Politiker und Lobbyisten ignorieren meine Bücher lieber«

De Lapuente: Ist eine Republik ohne Lobbyisten eigentlich denkbar?

Bülow: Nein, vor allem nicht in unserem Profitsystem in dem wir leben. Grundsätzlich sind Interessensvertretungen ja auch hilfreich und notwendig. Die Vertretung sollte aber nach Regeln ablaufen und alle müssten den gleichen fairen Zugang zur Politik haben. Es darf keine Verbändelungen und Korrumpierung geben. Hier haben aber diejenigen den größten Einfluss, die eh schon reich und mächtig sind. Das sind hauptsächliche Profitlobbyisten aus Branchen, wo am meisten Profit gemacht wird. Geld schießt nicht nur Tore, sondern kauft Politik. Viel nötiger hätten es diejenigen, die kein oder wenig Geld und Macht haben – aber genau die bleiben auf der Strecke. Die Ungleichheit vergrößert sich.

De Lapuente: Das klingt jetzt erstmal abstrakt – wie ließe sich das in der Praxis denn lösen?

Bülow: Dazu müsste man jetzt mein Buch lesen oder den Podcast hören – da wird es dann detaillierter. [lacht] Aber in Kurzform zumindest zwei Punkte. Erstens: Es muss klare Regeln und Grenzen des Lobbyismus geben. Zugang und Gespräche müssen nicht nur transparent sein, sondern müssen auch reglementiert werden. Auch die Höhe des Geldes, das in den Lobbyismus gesteckt wird, muss begrenzt werden und darf nicht noch von der Steuer absetzbar sein. Zweitens: Es muss einen verbindlichen Kodex für die Abgeordnete geben, der unabhängig kontrolliert wird. Dazu gehört z. B. die Nebenverdienste klar einzuschränken, keine Lobby- und Unternehmensspenden, keinen Übergang oder Wechsel zu den Lobbys, deutliche Angebote im Wahlkreis für die »normale« Bevölkerung. Ich hatte solch einen Kodex mit einem damaligen Kollegen schon mal auf den Weg gebracht.

De Lapuente: Hat Sie eigentlich irgendein Lobbyist auf Ihr Buch angesprochen? Oder hält man es hier auch lieber wie die Mafia und tut sei, als sei nichts gewesen?

Bülow: Die Politik und erst Recht die Lobbyisten ignorieren meine Aussagen und meine Bücher lieber. Klar unter vier Augen wurde ich darauf angesprochen. Es gibt aber auch Lobbyisten, die gern klarere Regeln und mehr Transparenz hätten. Auch bei den Unternehmen gibt es ja eine große Schieflage bei der Beeinflussung. Ein kleiner Mittelständler in meinem Wahlkreis sagte mir, dass ich sein einziger Zugang bin und er mit den Gesetzen leben muss, die seine mächtigeren Konkurrenten in Berlin verändert hätten.

 

Marco Bülow zog 2002 als direkt gewählter Dortmunder Abgeordneter für die SPD in den Deutschen Bundestag ein. Dort war Bülow unter anderem Umwelt- und Energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. 2016 trat er aus der SPD aus und war noch drei Jahre fraktionsloser Abgeordneter. Seit 2020 ist er Mitglied bei Die Partei und arbeitet als Journalist, Publizist und Podcaster.

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11 Kommentare

  1. Was wäre die Alternative? Wie kommen sonst die (berechtigten) Wünsche des Volkes, der Wirtschaft usw. an die Ohren der Politiker? Welche Wege gibt es da und funktionieren sie?

    1. es lohnt sich bis zum Schluss zu lesen
      Bülow: Die Politik und erst Recht die Lobbyisten ignorieren meine Aussagen und meine Bücher lieber. Klar unter vier Augen wurde ich darauf angesprochen. Es gibt aber auch Lobbyisten, die gern klarere Regeln und mehr Transparenz hätten. Auch bei den Unternehmen gibt es ja eine große Schieflage bei der Beeinflussung. Ein kleiner Mittelständler in meinem Wahlkreis sagte mir, dass ich sein einziger Zugang bin und er mit den Gesetzen leben muss, die seine mächtigeren Konkurrenten in Berlin verändert hätten.

      1. Eben. Die großen Konzerne, die Kapitalverwalter und andere sehr große Firmen können es sich leisten professionelle Einflüsterer in Berlin und Brüssel zu bezahlen. Kleinere Mitbewerber haben weder die Zeit noch das Geld dafür. Deswegen werden Gesetze und Verordnungen auch immer bürokratischer. Die Großen können sich einen Verwaltungswasserkopf für den Papierkrieg leisten. Die Kleineren nicht. So behindert man die Konkurrenz mit Bürokratie.

        Tja also eine Art System mit Audienzen bei Politikern und Ausschüssen, bei der jeder mal Vorsprechen darf aber mit öffentlichen Besucherliaten? Und keine angeblich privaten Restaurantbesuche oder ähnliches außerhalb der Audienzzeiten.

        1. Faszinierend, im selben Atemzug Konkurrenz fordern und beklagen. Das Wesen von Konkurrenz ist nun einmal die Produktion von Gewinnern und Verlierern.

  2. Freies Flottieren
    Das offensichtlichste Beispiel von Politik/Parteien Lobbyismus sind die Öffentlich
    -Rechtlichen-Sendeanstalten oder die Krankenkassen für Pflichtversicherte mit Beispielen wie der ePA oder die GEZ

    Alle zusammen sind sie nur GmbH’s die den Staat und die Bürger für ihre ewigen Gewinne Missbrauchen.

  3. Lobbyismus war gestern. Heute sitzen die Interessenvertreter und Eigentümer von Konzernen direkt in den Ministerien und können sogar den Kanzler stellen, bestes Beispiel der ehemaligen Blackrock-Laufbursche Friedrich Merz. Oder den Wirtschaftsminister Werner Müller, der in der Schröder/Fischer-Regierung mal eine Pause zwischen seinen Aufgaben in Energiekonzernen eingelegt hatte sowie die aktuell eingesetzte Wirtschaftsministerin Reiche.
    Empfehlenswerte Literatur dazu:
    Fritz R. Glunk: Schattenmächte
    Kim Otto, Sascha Adamek: Der gekaufte Staat
    Norbert Häring: Endspiel des Kapitalismus

  4. Ich kenne kein Geschäft ohne Korruption, sagte mir einst mein Schwager, leider verstorben und viele Jahre im internationalen Geschäft tätig.
    Korruption ist das bestimmende Gen der Warenwirtschaft.

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