
Noam Chomsky analysiert, wie das US-amerikanische Raketenabwehrprogramm zur Militarisierung des Weltraums beiträgt – und welche Gefahren eine globale Vorherrschaftsstrategie birgt.
Ein Buchauszug aus »Hegemonie oder Untergang: Amerikas Kampf um die Weltherrschaft«.
Das Raketenabwehrprogramm mit dem Kürzel BMD gilt vielen Experten als »Trojanisches Pferd für das eigentliche Ziel: die zukünftige Bewaffnung des Weltraums«, bei der Waffen mit hoher Zerstörungskraft im Weltraum platziert oder von dort aus dirigiert werden. Schon BMD selbst ist eine Offensivwaffe, was engen Verbündeten wie potentiellen Gegnern der USA bestens vertraut ist. Kanadische Militärstrategen teilten ihrer Regierung mit, daß das Ziel von BMD »eher darin zu sehen ist, die Handlungsfreiheit von USA und NATO zu garantieren als die Vereinigten Staaten vor einer befürchteten Bedrohung seitens Nordkoreas oder des Irans zu bewahren«. Chinas oberster Waffenkontrollbeauftragter sagte nichts Neues, als er bemerkte: »Wenn die Vereinigten Staaten erst einmal glauben, daß sie nicht nur über einen starken Speer, sondern auch über einen starken Schild verfügen, könnte sie das zu dem Schluss verführen, daß kein Staat ihnen etwas anhaben kann, sie aber jedem beliebigen Staat Schaden zuzufügen vermögen.« China weiß sehr wohl, daß es im Fadenkreuz der jetzt in Washington regierenden Radikalnationalisten steht und womöglich der wichtigste Adressat der von der imperialen Strategie ausgehenden Botschaft ist, die besagt, daß eine Infragestellung der amerikanischen Hegemonie nicht geduldet wird. China weiß ferner, daß die USA sich das Recht auf den atomaren Erstschlag vorbehalten. Und China weiß genauso gut wie US-Militärspezialisten, daß die »EP-3-Aufklärungsflugzeuge, die nahe der chinesischen Grenze operieren« – eines von ihnen wurde Anfang 2001 abgeschossen, was eine kleine Krise auslöste – »nicht nur zur passiven Überwachung dienen, sondern auch Informationen sammeln, die zur Weiterentwicklung von Atomkriegsplänen nützlich sein können«.
Gegen jede Infragestellung gefeit

Chinas Interpretation des amerikanischen Raketenabwehrprogramms wird von US-Strategieexperten gestützt: BMD sei, so eine Studie der Rand Corporation, »nicht einfach nur ein Schild gegen, sondern ein Ermöglichungsfaktor für Angriffsaktionen« und zwar seitens der USA. Das wird von anderer Seite bekräftigt. Andrew Bacevich schreibt in der konservativen Zeitschrift National Interest: »Indem sie das eigene Land – wenngleich auf begrenzte Weise – vor Gegenschlägen schützt, wird die Raketenabwehr die Fähigkeit und den Willen der USA stärken, anderenorts für ›klare Verhältnisse‹ zu sorgen.« Zustimmend zitiert er die Folgerung von Lawrence Kaplan im liberalen New Republic: »Die Raketenabwehr dient nicht wirklich dazu, Amerika zu schützen. Sie ist ein Werkzeug für die globale Vorherrschaft.« Sie ist, so Kaplan weiter, »nicht für die Defensive gedacht, sondern für die Offensive. Und genau deshalb brauchen wir sie.« Sie verschafft den USA »die absolute Freiheit, in internationalen Beziehungen Gewalt anzuwenden oder anzudrohen« und »zementiert die US-amerikanische Hegemonie und macht die Amerikaner zu den ›Herren der Welt‹«.
Den Hintergrund für solche triumphalen Erklärungen bildet die zeitgenössische Version des Wallonischen Idealismus, die als Doktrin »gegen jede Infragestellung gefeit ist«: Amerika ist die »geschichtliche Avantgarde« und muss daher seine globale Vorherrschaft und militärische Überlegenheit zum Wohle aller auf Dauer sichern. Daraus folgt, daß »die absolute Freiheit, Gewalt anzuwenden oder anzudrohen«, die den USA durch die Entwicklung des Raketenabwehrsystems zufällt, ein kostbares Geschenk ist, das wir der Menschheit zugutekommen lassen. Dieser makellosen Logik kann niemand sich verschließen.
Natürlich ist bekannt, daß das Raketenabwehrprogramm, seine technische Machbarkeit vorausgesetzt, auf Satellitenkommunikation beruht, wobei der Abschuss von Satelliten sehr viel einfacher ist als der von Raketen. Anti-Satelliten-Waffen, die von Verträgen, um deren Auflösung die Bush-Regierung bemüht ist, verboten wurden, sind selbst Staaten mit geringerer Militärmacht ohne große Schwierigkeiten zugänglich. Dieses Paradox des BMD-Programms ist bereits ausführlich diskutiert worden. Aber vielleicht gibt es dafür in einer imaginären Welt eine Lösung. BMD-Befürworter setzen ihre Hoffnungen auf eine so »vollständige Vorherrschaft« bei der Kontrolle des Weltraums (und der Welt im Allgemeinen), daß ein möglicher Gegner selbst mit Anti-Satelliten-Waffen nichts ausrichten könnte. Das erfordert allerdings im Weltraum stationierte Offensivkapazitäten, zu denen auch sogenannte »Todessterne« gehören, d. h. Waffen mit großer, möglicherweise nuklearer Zerstörungskraft, deren Abschuss computergesteuert ist. Derartig komplexe Systeme vergrößern das Risiko umfassender Katastrophen schon deshalb, weil es dabei immer zu »normalen«, aber natürlich unvorhersehbaren »Zwischenfällen« kommen kann.
Kommunikation von Gehirn zu Gehirn
Wenige Wochen, nachdem die Nationale Sicherheitsstrategie verkündet worden war, gab es bereits Pläne, in denen BMD und andere Programme als »Schlüssel zur militärischen Effektivität unserer Nation« bezeichnet wurden. Die USA müssten den Weltraum nicht nur »kontrollieren«, sondern »besitzen«, und zwar auf Dauer, damit der »sofortige weltweite Einsatz« garantiert ist und »Angriffe aus dem Weltraum« in Kampfstrategien einbezogen werden können. »Die sofortige globale Erstschlagskapazität, sei sie nuklear oder nicht-nuklear, ermöglicht den USA, von relativ gesicherten Positionen aus lohnende, schwer zu verteidigende Ziele in kürzester Zeit zu treffen« und »verschafft den Befehlshabern eine hohe Flexibilität bei der Bestimmung, Änderung, Verlegung, Vortäuschung, Sprengung, Vernichtung und Neutralisierung von Zielen innerhalb von Stunden/Minuten statt von Wochen/Tagen auch dann, wenn die Streitkräfte der USA und ihrer Verbündeten nur über begrenzte Offensivkapazitäten verfügen.«
Diese Pläne waren bereits in einem als geheim eingestuften Dokument des Pentagon vom Mai 2002 skizziert worden, von dem Teile an die Öffentlichkeit durchsickerten. Gefordert wurde eine Strategie »offensiver Abschreckung«, bei der mit einer Geschwindigkeit von Mach 10 fliegende hypersonische Raketen, die von Stützpunkten im Weltraum abgeschossen würden, sofortige »Angriffe ohne Vorwarnung« ausführen könnten. Der Militärexperte William Arkin kommentiert: »Kein Ziel auf der Erde oder im Weltraum wäre vor einem amerikanischen Angriff sicher. Die Vereinigten Staaten könnte ohne Vorwarnung überall und jederzeit dort zuschlagen, wo sie eine Bedrohung wahrnehmen, und wären selbst durch Raketenabwehrsysteme« sowie innere Sicherheitsmaßnahmen geschützt. Hypersonische Drohnen würden Ziele ausspähen und sprengen. Das neue Waffensystem würde es den USA erlauben, ausgewählte Feinde sofort von US-Stützpunkten aus zu bombardieren, wobei technologisch fortgeschrittene Kommunikations- und Überwachungssysteme mit der Fähigkeit »die Bewegung eines jeden Fahrzeugs in einer ausländischen Stadt aufzuspüren, aufzuzeichnen und zu analysieren«, entscheidende Hilfsfunktionen übernehmen. Damit wäre die Welt auf Gnade oder Ungnade der Möglichkeit US-amerikanischer Angriffe ohne Vorwarnung oder glaubwürdigen Vorwand ausgeliefert – es reicht schon aus, daß eine Bedrohung wahrgenommen wird.
Noch kühnere Ideen werden von der Forschungseinrichtung des Pentagon namens DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) gehandelt. Dort denkt man über Technologien zur direkten Vernetzung von Gehirn und Maschine nach, die irgendwann einmal, so hofft man, zu einer unmittelbaren Kommunikation von Gehirn zu Gehirn führen könnte, was dann vielleicht, wie Forscher meinen, »die Kriegsführung der Zukunft« wäre.
Weltraumstreitkräfte sind nicht mit den Kriegsflotten früherer Epochen zu vergleichen
Mit der Militarisierung des Weltraums sind weitreichende Ziele verbunden. Die noch während Clintons Amtszeit erschienene Broschüre des Space Command mit dem Titel Vision for 2020 verkündete das hauptsächliche Ziel gleich auf der Titelseite: »Beherrschung der Weltraumdimension militärischer Operationen zum Schutz US-amerikanischer Interessen und Investitionen«. Das dürfte dann also die nächste Phase der historischen Aufgabe von Militärstreitkräften sein. Armeen wurden benötigt, »um die kontinentale Westexpansion der Vereinigten Staaten voranzutreiben« – was natürlich auch nur ein Akt der Selbstverteidigung war. Zudem haben, wie das Space Command mitteilt, Nationen Flotten gebaut, »um ihre Handelsinteressen zu schützen und zu befördern«. Der weitere logische Schritt ist mithin die Entwicklung von Weltraumstreitkräften, um die »nationalen [militärischen und wirtschaftlichen] Interessen und Investitionen der USA« zu schützen, und zwar durch Raketenabwehrsysteme wie auch »weltraumgestützte Angriffswaffen«, die »die Anwendung präziser Schlagkraft aus dem, in den und im Weltraum« ermöglichen.
Allerdings sind diese Weltraumstreitkräfte nicht mit den Kriegsflotten früherer Epochen zu vergleichen, weil die USA hier die Hegemonie besitzen. Der britischen Kriegsflotte stand die deutsche gegenüber – die Folgen müssen wir hier nicht erörtern. Aber die USA bleiben immun, es sei denn gegen die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen durch Schurkenstaaten und gegen jenen Terrorismus, den die herrschende Doktrin einzig als solchen akzeptiert: den Terrorismus der anderen gegen uns und unsere Verbündeten.
Die Notwendigkeit umfassender militärischer Vorherrschaft wird, wie das Space Command erklärt, infolge der »Globalisierung der Weltwirtschaft« noch zunehmen, weil die »Kluft zwischen Besitzenden und Habenichtsen wächst«, was seitens der letzteren zu Unruhen und Gewaltausbrüchen führt, die sich vielfach gegen die Vereinigten Staaten richten – ein weiterer Grund für die Verlagerung von Offensivkapazitäten in den Weltraum. Die USA müssen nämlich Aufruhr und Unruhen »durch präzise Angriffsschläge aus dem Weltraum als Gegenmittel für die weltweite Proliferation von Massenvernichtungswaffen« durch widerspenstige Elemente kontrollieren können. Allerdings dürfte die Proliferation gerade eine Folge der Weltraumprogramme sein, so wie die »wachsende Kluft« zwischen Arm und Reich eine voraussehbare Folge der herrschenden Form von »Globalisierung« ist.



Ich sehe das nicht so negativ , zerstört es am Ende die US Ökonomie, muss es ..
Nicht eine Zahl im Fragen Bedarf müsste man dann noch begründen Staatlichen Institutionen gegenüber, weil man das gar nicht mehr könnte.
„Der Weltraum ist gelinde gesagt “ Schweine-Groß“ … Zitat aus ScIFi Film … o)
Eine USA müsste dann zumindest Kaufkraft bereistellen könnten wenn Sie das Schuldenfinanziert realisieren möchte, aber genau das ist eines der Kernprobleme Kapitalister Gesellschaften aktuell .. o))
Der Weltraum um den es geht ist der um die Erde herum. Um Mars, Venus oder Pluto oder Aldebaran geht es noch nicht. Und der Weltraum um die Erde ist dann doch recht klein.
Das Buch ist fast 25 Jahre alt. Etliche Träume dieser Wahnsinnigen sind wohl mittlerweile an der Realität zerschellt. Bei BMD und den Nachfolgeprojekten ist wohl bisher nicht sonderlich viel rausgekommen.
Ah, wieder Werbung für das olle Buch von Chomsky dem Verräter, der den Ungeimpften das Essen verweigern wollte.
Im Pentagon haben so Leute wie „Eric Schmidt“ dem Google Gründer (könnt ja die KI befragen) das sagen.
Spätestens nach seinen Ausführungen zu 9/11, hatte m.E. Chomsky ausgedient.
Was meint ihr warum Russland ausgerechnet nun mit den Waffentests hausieren geht?
Es sollte klar gemacht werden, dass es keine Abwehr gegen einen möglichen Gegenschlag geben kann. Auch kein noch so ausgetüfteltes Raketenabwehrsystem! Ein möglicher Enthauptungsschlag gegen Russland soll immer mit der totalen Vernichtung des Angreifers enden!
Also folglich damit die amerikanischen Psychopathen auf keine dummen Ideen kommen!
Alleine schon der Poseidon. Da nützt keine noch so so leistungsfähige Raketenabwehr.
Die Amis rotieren in ihrem Narzissmus immer höher.
Sehr gefährlich.
Das eine ist das Wollen. Das andere das Können. Dazwischen fließt viel Steuergeld in immer die selben Taschen! Und wenn es nach etlichen Jahren bemerkt wird, ist der zuständige Präser längst weg. Und dessen Gehilfen sind bei den Gewinnern angestellt, mit angemessenen Gehältern…Die einen nennen es Korruption. Die anderen den gewöhnlichen Kapitalismus! Und dann wird recht bald eine andere Sau durch die Medienlandschaft getrieben…
HEGEMONIE ODER UNTERGANG
Amerikas Streben nach Weltherrschaft
Nomen Verlag
Softcover
320 Seiten
1. Auflage
21,0 cm x 13,5 cm
Erscheinungsdatum: 18.11.2016
Artikelnummer 978-3-939816-42-3
Noam Chomskys Hauptwerk
SOFTCOVER
19,90 €*
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