Das Ende des deutschen Nachkriegstraumes

Made in Germany
Oliver1983, GFDL 1.3, via Wikimedia Commons

In vielerlei Hinsicht ist die Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2025 ein fundamental anderes Gemeinwesen als das des Jahres, sagen wir mal: 1975. Und ursächlich für den nicht zu übersehenden ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Niedergang ist, unter anderem, die ideologische Verblendung und die schier unglaubliche Geschichtsvergessenheit der deutschen politischen und ökonomischen Elite.

Wenn sich dereinst Historiker über die Geschichte Deutschlands im frühen 21. Jahrhundert unterhalten werden (mal vorausgesetzt, die Menschheit bläst sich nicht irgendwann einmal via Atomkrieg selbst in die Luft), dürfte wohl die Frage im Vordergrund stehen, wie es möglich war, dass eine aus den Ruinen des Zweiten Weltkriegs entstandene Gesellschaft mit einem – unter kapitalistischen Bedingungen natürlich ziemlich unvollkommenen – Wohlfahrtsstaat, einer halbwegs funktionierenden bürgerlichen Demokratie und einer prosperierenden Wirtschaft innerhalb von wenigen Jahrzehnten derart auf eine abschüssige Bahn geraten konnte. Am Ende des Jahres 2025 ist die soziale Ungleichheit in dem 1990 wiedervereinigten Land so hoch wie noch nie, gebärdet sich der Staat immer repressiver und schmiert die Wirtschaft auf dramatische Weise ab. Inzwischen ist auch die politische Stabilität perdu, um die Deutschland jahrzehntelang von vielen seiner Nachbarstaaten beneidet wurde, und das Misstrauen der Regierten gegenüber den Regierenden erreicht Dimensionen, die noch vor kurzem unvorstellbar schienen. Rund die Hälfte der Deutschen hat Angst, sich nachts im öffentlichen Raum zu bewegen (vor allem viele Frauen trauen sich überhaupt nicht mehr, abends bestimmte Stadtteile zu besuchen oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen), und eine beispiellose militärische Aufrüstung nach dem 24. Februar 2022, verbunden mit einem zutiefst verantwortungslosen Kriegsgeschrei von Seiten der (Mainstream-)Politik und der (Mainstream-)Medien, belastet die öffentlichen Kassen und treibt die Gewinne der Rüstungsaktienbesitzer in ungeahnte, schwindelerregende Höhen.

Das soll nicht heißen, dass die Bundesrepublik des Jahres – sagen wir mal: 1975 – ein Paradies auf Erden war. Aber nach der Zerstörungsorgie des Zweiten Weltkrieges gab es in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung eine Art Grundkonsens, der folgendermaßen zusammengefasst werden kann: „Nie wieder Krieg!“, „Nie wieder Faschismus!“, „Nie wieder Massenarbeitslosigkeit“. Alle drei Prämissen konnten Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre als einigermaßen erfüllt angesehen werden: Die Ostpolitik der Regierung von Bundeskanzler Willy Brandt sorgte für eine deutliche Abmilderung der Blockkonfrontation im Kalten Krieg; der Regierungswechsel 1969 demonstrierte, dass es möglich war, auf friedliche, demokratische Weise einen Machtwechsel im Staat herbeizuführen; und die Vollbeschäftigungspolitik à la John Maynard Keynes veränderte (vorübergehend) signifikant das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit.(1) In den frühen 1970er Jahren kam es nicht selten vor, dass die Personalchefs namhafter Unternehmen die Abiturklassen der westdeutschen Gymnasien besuchten – und die designierten Schulabgänger dazu ermunterten, nach ihrem Abschluss gleich bei ihnen anzuheuern und auf die Aufnahme eines Studiums zu verzichten.

Dass dieser Grundkonsens in der Bevölkerung majoritär war, demonstrierten die Bundestagswahlen vom November 1972: Die damalige sozialliberale Koalition errang einen überzeugenden Wahlsieg, trotz einer infamen Kampagne der konservativen CDU/CSU-Opposition, die die Politik der Aussöhnung mit dem ehemaligen Feind im Osten als Landesverrat angeprangert hatte und die Vollbeschäftigungspolitik der Regierung (der damalige Wirtschafts- und Finanzminister Helmut Schmidt: „Lieber fünf Prozent Inflation als fünf Prozent Arbeitslosigkeit“) als direkten Weg in den Staatsbankrott.

Ausgebauter Sozialstaat, eingeschränkte Demokratie

Und das, obwohl sich im Staats- und Verwaltungsapparat des westdeutschen Teilstaates nach 1949 massenhaft Ex- und Noch-Nazis tummelten. Noch in den 1960er Jahren soll der Deutsche Bundestag zu einem Drittel mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern besetzt gewesen sein, von 1966 bis 1969 amtierte ein Bundeskanzler (Kurt Georg Kiesinger, auch er ein Ex-NSDAP-Mitglied), der vor 1945 hochrangiger Beamter im Nazi-Außenministerium gewesen war. Die 1955 etablierte Bundeswehr wurde von ehemaligen Wehrmachtsoffizieren mit Ostfeldzugs-Erfahrungen aufgebaut, und noch in den 1970er Jahren errang ein Ex-Nazi-Richter (Hans Filbinger), damals Ministerpräsident von Baden-Württemberg, einen fulminanten Sieg (56,7 % der Stimmen!) bei den dortigen Landtagswahlen.(2)

Mit der den Deutschen nach Kriegsende durch die Alliierten verordneten Demokratie haperte es allerdings anfangs ein wenig: 1956 wurde die Kommunistische Partei Deutschland (KPD) verboten (immerhin die Schwesterpartei der im anderen deutschen Teilstaat, der DDR, regierenden SED) – eine deutliche Einschränkung des Parteienpluralismus; von 1949 bis 1953 hatte die Partei sogar im deutschen Bundestag gesessen. Satte 20 Jahre lang stellte die CDU den Bundeskanzler, während in den meisten anderen westlichen Demokratien regelmäßig die Regierungen wechselten; eine vergleichbare Dauerherrschaft einer Partei gab es in diesem Zeitraum nur in Japan und Italien (beides bekanntlich die faschistischen Weltkrieg-II-Alliierten der deutschen Nazis – Zufall?). Erst 1969 eroberte die SPD das Amt des Kanzlers, und dieser Wechsel war insbesondere mit Blick auf die Biographien der beiden beteiligten Politiker sowohl signifikant wie hochsymbolisch: Ein antifaschistischer Journalist (Willy Brandt), der vor den Nazis ins Ausland geflohen war, löste einen ehemaligen Nazi-Spitzenbeamten (Kurt Georg Kiesinger) als Regierungschef ab. Auch eine kommunistische Partei (die DKP) wurde wieder zugelassen, aber nur unter bestimmten – man ist versucht zu sagen: typisch deutschen – Bedingungen: In ihrem Parteiprogramm musste sie auf das Postulat der „Diktatur des Proletariats“ verzichten, sonst wäre sie nämlich auch sofort verboten worden, als Nachfolgeorganisation der nach wie vor illegalen KPD.

Im Kontrast zu der anfänglichen (vor allem auch personellen) Kontinuität zwischen Nazi-Staat und Nachkriegsrepublik baute jedoch die von 1949 bis 1963 von Kanzler Konrad Adenauer (CDU) geführte Regierung den Sozialstaat aus: vor allem mit der Rentengesetzgebung der 1950er Jahre (deren Grundzüge heute noch in Kraft sind). Hintergrund für diese (auch im internationalen Vergleich) beachtlichen sozialen Zugeständnisse an die weniger privilegierten Schichten der deutschen Gesellschaft war zum einen die christliche Soziallehre, die in den Gründungsjahren der CDU noch starke Resonanz an der Parteibasis fand – und natürlich die Wirtschafts- und Sozialgesetzgebung der ebenfalls 1949 gegründeten DDR, die grundsätzlich mit dem kapitalistischen System brach und eine „klassenlose Gesellschaft“ anstrebte. Um die „kommunistische Bedrohung“ in Schach zu halten, setzte das Regime Adenauers auf eine zweigleisige Strategie: einerseits (wie oben beschrieben) auf das Verbot der KPD, andererseits auf soziale Konzessionen, um die Millionen Arbeiterwähler, die es damals gab, bei der Stange zu halten – Letzteres ein Konzept, das in diesem Zeitraum in einer ganzen Reihe von westlich-kapitalistischen Gesellschaften Realisierung fand: „Ein zentraler Faktor (für die Etablierung des Wohlfahrtsstaates, N.F.) war die Existenz eines konkurrierenden ökonomischen Systems in der Sowjetunion und in Osteuropa. (…) Dies war eine wichtige Bedingung, um die kapitalistische Klasse im Westen dazu zu bringen, den Ansprüchen der Arbeiterbewegung entgegenzukommen.“(3)

Der alternative Nachkriegs-Traum: die DDR

Im Vergleich hierzu brach die Regierung des ebenfalls 1949 gegründeten ostdeutschen Teilstaates entschieden mit den Nazi-Traditionen im Staats- und Verwaltungsapparat, und synchron zu der Installierung einer Partei, die vorwiegend die Aufgabe hatte, ehemalige NSDAP-Mitglieder sozusagen zu „resozialisieren“ und zu „entnazifizieren“ (die „National-Demokratische Partei Deutschlands“, abgekürzt NDPD), wurde der Anti-Faschismus wichtiger Bestandteil der Gründungs-DNA der „Deutschen Demokratischen Republik“. Etliche führende Politiker der DDR waren ehemalige KZ-Häftlinge, und obwohl der Zusammenschluss von Ost-SPD und Ost-KPD zur SED sicherlich auch unter dem Druck der sowjetischen Besatzungsmacht zu Stande kam, gab es doch an der Basis beider Parteien vielerorts den echten Wunsch, die Spaltung der Arbeiterbewegung, die ganz offensichtlich die Machtübernahme der Nazis 1933 begünstigt hatte, zu überwinden. Bei den – auch nach dem Urteil etlicher westlicher Historiker – einigermaßen freien und demokratischen Landtagswahlen 1946 siegte die SED mit Stimmenergebnissen zwischen 45 und 50 %; Ost-CDU, Liberaldemokraten (de facto die Ost-FDP) und Wahlvorschläge diverser gesellschaftlicher Gruppen teilten sich den Rest.(4) Diese proportionale Verteilung der Kräfteverhältnisse zwischen den einzelnen Parteien wurde anschließend sozusagen „eingefroren“; ergänzt durch Vertreter von NDPD und „Demokratischer Bauernpartei“ kandidierte in der Folgezeit stets nur noch eine gemeinsame Liste der „Nationalen Front“, konkurrierende Listen wurden nicht mehr zugelassen. Bis zu den ersten kompetitiven Wahlen im Frühjahr 1990, nach dem Fall der „Berliner Mauer“, wurde der Verteilungsschlüssel auf dieser Einheitsliste nur minimal geändert, alle legalen Parteien bekannten sich zu dem von der SED vorgegebenen sozialistischen Gesellschaftsaufbau und partizipierten an der Regierungsführung.

Zweifellos war die DDR ein autoritärer Staat – aber dennoch sahen, vor allem in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz, etliche linke Intellektuelle in Ost und West (und wohl auch ein beträchtlicher Teil der DDR-Bürgerinnen und -Bürger) in ihr „das bessere Deutschland“.(5) Die Sozialgesetzgebung der ostdeutschen Teilrepublik kontrastierte von Anfang an auf positive Art und Weise mit der der westdeutschen BRD, und dass die Bildungspolitik in mancherlei Hinsicht vorbildlich war, geben heute auch westliche Autoren ohne Umschweife zu.(6) Natürlich gab es in den DDR-Schulen ein sehr beträchtliches Maß an ideologischer Indoktrination – aber der von „Totalitarismus“-Theoretikern jeglicher Couleur böswilligerweise gezogene Vergleich mit der Bildungspolitik der Nazis ist schlicht und einfach abwegig: Oder macht es etwa keinen Unterschied, ob ein Kind Völkerverständigung und Friedensliebe als Werte vermittelt bekommt – auf welche Art Weise auch immer – oder Rassenhass und Großmacht-Wahn? Die erstaunliche Immunität großer Teile der heutigen ostdeutschen Bevölkerung gegenüber dem allgegenwärtigen aktuellen Russland-Bashing erklärt sich wohl zu einem guten Teil aus den Ergebnissen von immerhin 40 Jahren marxistisch-leninistischer Erziehung – und vermutlich auch durch die Präsenz von über 300 000 sowjetischen Soldaten auf dem DDR-Territorium in jener Zeit. Auch wenn die Durchschnitts-DDR-Bürger in aller Regel wenig Kontakt zu ihnen hatten – die schlichte Erfahrung, dass diese Russen im Grunde genommen Menschen wie Du und Ich waren, wurde allem Anschein nach von vielen gemacht und mental positiv verarbeitet.

Die Gründe für den Zusammenbruch des DDR-Sozialismus 1989/90 wären eine eigene, umfangreiche Analyse wert, hier nur so viel: Das starre, hierarchische Planungssystem war nur sehr begrenzt in der Lage, die Konsumbedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen, das verkrustete politische System unterdrückte eine offene Diskussion über wirtschaftspolitische Alternativen (etwa die Einführung von Marktmechanismen), das allgegenwärtige (fast überall empfangbare) BRD-Fernsehen gaukelte den DDR-Bürgern ein westliches Paradies vor, das niemals auch nur im Ansatz der Realität entsprach. „Alles, was sie (die SED-Führer) uns über den Sozialismus sagten, war gelogen“, bilanzierte einmal ein kluger Ossi Jahre nach der „Wende“, „und alles, was sie uns über den Kapitalismus erzählten, war die reine Wahrheit“. Dass es im angeblich „goldenen“ Westen schlicht traurige gesellschaftliche Realität war und ist, dass Armutsrentner und -rentnerinnen in Mülleimern nach Pfandflaschen suchen müssen, begriffen viele Ostdeutsche erst, als es zu spät war – als der Versuch, eine Alternative zum kapitalistischen Westen aufzubauen, im Mülleimer der Geschichte verschwunden war, gezielt entsorgt durch die politische und die ökonomische Elite des westdeutschen Rivalen.

Das Ende des Vollbeschäftigungskapitalismus

Und das, obwohl es, beispielsweise, in der DDR so gut wie keine Arbeitslosigkeit gab. Die wiederum begann in Westdeutschland ab der ersten „Ölkrise“ von 1973/74 ihr hässliches Haupt zu erheben, konnte aber bis 1980/81 durch staatliche Interventionen halbwegs unter Kontrolle gehalten werden. Nach dem zweiten „Ölschock“ im Zuge der politischen Verwerfungen im Iran und im gesamten Nahen Osten brachen dann jedoch sämtliche Dämme: Die Zahl der Arbeitslosen in der Bundesrepublik überstieg im Winter 1982/83 zum ersten Mal die Zwei-Millionen-Grenze – und sank bis zur „Wende“ 1989/90 nie wieder darunter.(7) Was auch immer man von Bundeskanzler Helmut Schmidt halten mag: Immerhin weigerte er sich damals, die rabiat neo-liberal inspirierten „Reform“-Vorschläge seines FDP-Koalitionspartners in die Tat umzusetzen (sie wären auf einen umfassenden sozialen Kahlschlag hinausgelaufen) und ließ im Sommer 1982 die sozialliberale Koalition über diese Frage platzen. Und auch wenn der neue Koalitionspartner der FDP, die CDU von Schmidts Nachfolger Helmut Kohl, ebenso wenig gewillt war, die Axt an die Fundamente des westdeutschen Wohlfahrtsstaates zu legen (nicht zuletzt auf Druck der so genannten CDU-Sozialausschüsse), sah doch die neue Regierung dem Anstieg der Arbeitslosenzahlen mehr oder weniger untätig zu und verschärfte die Lage auch noch durch eine Privatisierungspolitik, die tendenziell auf einen allgemeinen Rückzug des Staates aus der Wirtschaft abzielte. Im Winter 1984/85 überstieg die Zahl der Erwerbslosen die Zweieinhalb-Millionen-Grenze. Eine ganze Generation Jugendlicher war unter diesen Umständen dazu verdammt, sich in einen erbarmungslosen Konkurrenzkampf um die vergleichsweise wenigen offenen Stellen zu stürzen – und sich oftmals damit zu begnügen, sich von einem Gelegenheitsjob zum nächsten zu hangeln. „Die Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden“ nannte das damals der Schriftsteller Georg Heinzen in einem Buch – und landete damit einen Bestseller.(8)

Dass – entgegen den Prognosen von Marx, Engels und Lenin – es durchaus möglich ist, auch unter kapitalistischen Bedingungen derartige ökonomischen Krisen weitgehend zu vermeiden, demonstrierte nach dem II. Weltkrieg die in der westlichen Welt fast flächendeckende Anwendung der wirtschaftspolitischen Lehren des britischen Ökonomen John Maynard Keynes (1883-1946): Im Gegensatz zu der kompromisslosen Sparpolitik, die nach der großen Depression von 1929/30 in den meisten kapitalistischen Metropolen praktiziert worden war, steuerte der Staat nun mittels Steuer- und Ausgabenpolitik die gesamtgesellschaftliche Nachfrage und sorgte dadurch für eine dauerhafte Beibehaltung der Vollbeschäftigung. „Wir sind nun alle Keynesianer“ titelte 1965 das amerikanische Time Magazine und hob damit auf den beispiellosen Erfolg dieser Politik in jener Zeit ab: Fast überall im hochentwickelten kapitalistischen Westen (Nordamerika, Westeuropa, Japan, Australien) boomte die Wirtschaft, stieg stetig der allgemeine Wohlstand, kannte man kaum noch Arbeitslosigkeit.(9)

Der Time-Journalist, dem dieser Titel eingefallen war, hätte allerdings nicht nur Keynes’ Schriften, sondern auch die von Michal Kalecki studieren sollen. Der polnische Ökonom Kalecki (1899-1970) war – zeitgleich und unabhängig von Keynes – zu ganz ähnlichen Schlüssen gekommen, die staatliche Steuerung einer kapitalistischen Wirtschaft betreffend. Als erklärter Marxist ging er jedoch davon aus, dass politische Entscheidungen in einer kapitalistischen Gesellschaft nie „neutral“ und „unabhängig“ gefällt werden, sondern stets Klasseninteressen und gesellschaftliche Kräfteverhältnisse widerspiegeln. Grundsätzlich, so Kalecki, sei es zwar möglich, mittels staatlicher Maßnahmen Krisen in einer kapitalistischen Ökonomie weitgehend zu vermeiden – und eine Zeitlang sei dies auch eine Art „Win-Win“-Situation für die sich ansonsten antagonistisch gegenüberstehenden sozialen Klassen: Wirtschaftswachstum und eine hohe Konsumnachfrage sorgen für sprudelnde Gewinne für die Unternehmer, eine stabile Job-Situation für einen steigenden Wohlstand bei Arbeitern und Angestellten. Auf längere Sicht hin, so Kalecki, verändere dies jedoch das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit, zu Ungunsten der Kapitalisten: Ein leergefegter Arbeitsmarkt führe zu exorbitanten Lohnsteigerungen (und damit auch zu einem hartnäckigen Inflationsdruck) – und zu einem allgemeinen Rückgang der Arbeitsdisziplin. Mit anderen Worten: Der Plebs wird in zunehmendem Maße nicht nur wohlhabend, sondern auch noch faul und aufsässig – und so etwas geht in den Augen der Unternehmer natürlich unter gar keinen Umständen. Kalecki: „Unter den Bedingungen einer lange andauernden Vollbeschäftigung verliert das disziplinierende Element der Entlassung eines Arbeitnehmers seine Wirksamkeit. Die Machtposition des Bosses wird unterminiert und das Selbstbewusstsein und das Klassenbewusstsein der Arbeiterklasse werden gestärkt. Streiks für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen bringen Instabilität. (…) Der Klasseninstinkt der Unternehmer suggeriert ihnen, dass eine andauernde Vollbeschäftigung für sie unvorteilhaft ist.“(10)

Eine wirtschaftswissenschaftliche „Zeitenwende“

Und so kam es in den 1970er Jahren zu einer Art „Zeitenwende“ in den Wirtschaftswissenschaften: Von einer „natürlichen Rate der Arbeitslosigkeit“ (etwa 4 bis 5 %) wurde ab jetzt gefaselt und davon, dass eine gewisse Erwerbslosigkeit in einer Marktwirtschaft ja geradezu segensreiche Auswirkungen habe – sie halte den Lohndruck im Zaum und damit auch die Hauptursache für die Inflation, die in jenen Jahren die Ökonomien der meisten westlichen Industriegesellschaften plagte. Überhaupt wurde allerorten nun der Rückzug des Staates aus der Wirtschaft gefordert, der „freie Markt“ richte es schließlich viel besser als jegliche Intervention einer Regierung.(11) Die FDP in Deutschland, seit jeher eine entschiedene Verfechterin einer möglichst unregulierten Ökonomie, radikalisierte sich wirtschaftspolitisch und wechselte schließlich (1982) den Koalitionspartner; zusammen mit CDU und CSU regierte sie bis 1998.

Flankiert wurde diese Generalattacke auf den Vollbeschäftigungskapitalismus in zunehmendem Maße von der infamen These, Arbeitslose seien ja im Grunde genommen an ihrem Schicksal selbst schuld – in Gesetzesform gegossen wurde sie ausgerechnet von der angeblich eher „linken“ Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Vizekanzler Joschka Fischer (Grüne), die 1998 die CDU/CSU/FDP-Koalition ablöste. Die bisherige Arbeitslosenhilfe wurde abgeschafft und durch eine neue Grundsicherung lediglich in Höhe der bisherigen Sozialhilfe ersetzt, hinzu kamen „Zumutbarkeitsregeln“, die jeden Erwerbslosen dazu zwangen, de facto jede ihm angebotene Arbeit anzunehmen (so genannte „Hartz 4“-Reform). Es war der Anfang vom Ende des deutschen Wohlfahrtsstaates – und der Sozialdemokratie als Volkspartei. Die dadurch begünstigte (und politisch gewollte!) Entstehung des größten Niedriglohnsektors in Europa(12) ließ in den 2000er Jahren die deutsche Exportwirtschaft boomen und senkte dadurch die Arbeitslosigkeit, jedoch nur um den Preis einer zunehmenden Verarmung immer breiterer Schichten der Bevölkerung.

Das Arbeitslosen-Bashing der neoliberalen Ökonomen und der von ihnen mit Argumenten versorgten Mainstream-Parteien erreicht aktuell, unter der Regierung Merz/Klingbeil, eine neue Stufe der Intensität: Die geplante Reform der Grundsicherung für Erwerbslose wird, nach allem, was bisher bekannt ist, noch wesentlich repressiver ausfallen als Schröders ursprüngliche „Hartz 4-Reform“. Unter den Rahmenbedingungen einer abschmierenden Ökonomie werden die Ergebnisse einer derartigen Politik dann wohl noch desaströser sein als in den letzten 20 Jahren: eine sich rasant ausweitende soziale Kluft und eine dramatische Verarmung – auch von großen Teilen der bisherigen unteren Mittelklasse. All diejenigen, die in Zukunft ihren Job verlieren, finden sich nach einer kurzen Schonfrist im sozialen Bodensatz wieder. Und eine Erholung der Wirtschaft, die, zumindest der Theorie nach, neue Arbeitsplätze schaffen könnte, ist nicht in Sicht, ganz im Gegenteil: Exorbitante Energiepreise in Deutschland (aufgrund der so genannten „Energiewende“ und dem politisch gewollten Verzicht auf billige russische Energie) rauben den deutschen Exportfirmen die Wettbewerbsfähigkeit, und der heimische Markt ist aufgrund der (ebenfalls gewollten) Absenkung der Binnennachfrage nicht in der Lage, dies auszugleichen. Die Zahl der Firmen-Insolvenzen explodiert derweil, und immer mehr Unternehmen kündigen für das Jahr 2026 Massenentlassungen an. Die versprochenen Investitionen in die staatliche Infrastruktur, finanziert durch eine gigantische Neuverschuldung, lassen unterdessen auf sich warten; die freiwerdenden Mittel werden stattdessen zu einem beträchtlichen Teil dafür genutzt, Haushaltslöcher zu stopfen(13) und die Ukraine-Hilfen aufzustocken.

Der repressive Staat

Aber es war nicht nur der Nachkriegs-Traum vom allgemeinen Wohlstand, der sich in den letzten Jahrzehnten in nichts auflöste. Zwar war, wie oben beschrieben, die Bundesrepublik Deutschland nie die großartige liberale Demokratie, als die sie sich selber verstand – aber der Mief der ultrakonservativen Adenauer-Jahre verflüchtigte sich doch deutlich im Zuge der Jugendrevolte ab 1967/68 und der damit einhergehenden Kulturrevolution. Für eine bestimmte (relativ kurze, aber intensive) Zeitspanne stand der Zeitgeist eindeutig „links“: Die aufbegehrenden Studenten entdeckten die marxistischen Klassiker neu, „proletarische“ Parteien gründeten sich zuhauf und der Schlachtruf „Mehr Demokratie wagen!“ war in aller Munde. Doch die kurze Liberalisierungsphase fand schon 1972 ihr jähes Ende.

Der so genannte „Radikalenerlass“, verabschiedet von einer Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt, verengte den Spielraum dessen, was gesagt und getan werden durfte, signifikant: Jeder Bewerber für den Öffentlichen Dienst musste künftig „die Gewähr dafür bieten, sich für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzusetzen“, sprich: durfte nicht Mitglied oder Aktivist einer „extremistischen“ Partei sein. Die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder waren dazu aufgerufen, „Erkenntnisse“ hierfür zu sammeln, zu denen sich der Kandidat für den Staatsjob zu äußern hatte; gelang es ihm nicht, Zweifel an seiner „Verfassungstreue“ auszuräumen, wurde er nicht eingestellt.

De facto war dies ein Berufsverbot für angebliche „Extremisten“, und als solches wurde es auch ein Schlagwort, unter dem sich eine breite gesellschaftliche Protestbewegung gegen diese Gesinnungsschnüffelei sammelte. Das mühsam konstruierte Bild eines neuen, liberalen Deutschlands im Ausland bekam erste Risse. Dass Bundeskanzler Brandt seine Zustimmung zu diesem Regelwerk Jahre später als „Fehler“ bezeichnete, machte die gezielte Zerstörung der Zukunftsaussichten für Hunderte von Betroffenen nicht rückgängig. Theoretisch richtete sich der „Radikalenerlass“ gegen „Extremisten“ von links und rechts, faktisch waren allerdings ausschließlich Mitglieder und Sympathisanten von linken Gruppierungen, allen voran der DKP, betroffen.

Noch viel dramatischer waren die Auswirkungen der „Anti-Terror-Gesetze“, die zur Verstärkung des staatlichen Kampfes gegen die Stadtguerilla der „Roten Armee Fraktion“ eingesetzt wurden, auf das allgemeine politische Klima. Ursprünglich entstanden als der äußerste linke Flügel der Protestbewegung gegen den Einsatz der US Army in Vietnam, erklärte die RAF der Bundesregierung ab 1970 förmlich den Krieg und nahm Militäreinrichtungen der USA und in zunehmendem Maße auch Repräsentanten der politischen und ökonomischen Elite der BRD ins Visier. Ohne diese Aktionen (die sich schon nach wenigen Jahren in Banküberfällen zwecks Geldbeschaffung und in immer brutaleren politischen Morden erschöpften) relativieren oder gar verharmlosen zu wollen: In einer ganzen Reihe von anderen Staaten waren in jener Zeit linksorientierte Stadtguerilla-Gruppierungen entstanden, die den bewaffneten Kampf gegen ihre jeweilige Regierung propagierten (etwa die Roten Brigaden in Italien, der „Front de Libération de Québec“ in Kanada, der „Weather Underground“ in den USA) – aber nirgendwo reagierte der Staat auf diese militante Herausforderung so gnadenlos repressiv wie im damaligen Westdeutschland. Elementare rechtsstaatliche Prinzipien (wie etwa das Recht, jederzeit Zugang zu einem Rechtsbeistand zu haben) wurden für inhaftierte Aktivisten der RAF aufgehoben, die Gerichtsverhandlung gegen die RAF-Führer Andreas Baader und Ulrike Meinhof ähnelte auf beunruhigende Art und Weise einem öffentlichen Schauprozess, an den Universitäten begann eine erbarmungslose Hatz auf „Sympathisanten“, und die Umstände des Todes von Baader und zwei Mithäftlingen im Hochsicherheitsgefängnis in Stuttgart-Stammheim im Herbst 1977 sind bis heute nicht restlos aufgeklärt.(14) Der Privatkrieg der RAF gegen den Staat (Heinrich Böll: „der Krieg der sechs gegen die 60 Millionen“) und dessen Antwort darauf veränderten das Land – und wahrlich nicht zum Guten.

Repression im Deutschland des 21. Jahrhunderts

Auch wenn die RAF ihren bewaffneten Kampf erst 1999 endgültig einstellte – in den 1990er Jahren öffnete sich das Meinungsspektrum in dem (nun wiedervereinigten) Deutschland wiederum ein Stück weit. Zum ersten Mal seit 1953 saß wieder eine (post-)kommunistische Partei im Deutschen Bundestag (die PDS), und lange Zeit war sie die einzige wirkliche Opposition in diesem Gremium. Gewichtige Verstärkung erhielt sie in den 2000er Jahren – durch dissidente Sozialdemokraten, die durch die Schröder’schen „Hartz-Gesetze“ das Erbe von Willy Brandt verraten sahen. In der Legislaturperiode 2013-2017 fungierte die deshalb in „Die Linke“ umbenannte PDS sogar als offizielle Opposition (als stärkste Nicht-Regierungspartei); in jeder Plenardebatte antwortete ihr jeweiliger Fraktionschef (bzw. Fraktionschefin) als erster Redner der Bundeskanzlerin Angela Merkel und profilierte sich damit als (man verzeihe die etwas polemische Etikettierung) „Her Majesty’s Loyal Opposition“.

Der Einzug der AfD in den Bundestag verschärfte die Polarisierung der politischen Auseinandersetzung dann über Nacht: Vor allem Sozialdemokraten, Grüne und Linke sahen nun „Nazis“ im deutschen Parlament, mit allerlei Tricks wurden die Rechte der neuen stärksten Oppositionspartei beschnitten (bis heute durfte sie beispielsweise noch nie einen Bundestags-Vizepräsidenten stellen). Der beispiellose Corona-Ausnahmezustand 2020-2022 schließlich weitete die öffentliche Ächtung politisch unkorrekter Positionen weit über die AfD hinaus auf noch breitere Schichten der Bevölkerung aus: Nunmehr war nicht nur jeder ein „Nazi“, der Zweifel am Segen einer Masseneinwanderung in das Territorium der Bundesrepublik äußerte, sondern auch jeder, der die (zeitlich unbefristete!) Aufhebung elementarer Grundrechte (Bewegungsfreiheit, Berufsfreiheit, Demonstrationsfreiheit) nicht so toll fand – oder nur einfach Angst vor den medizinischen Nebenwirkungen eines nur provisorisch getesteten Impfstoffes hatte. Nach der Scholz’schen „Zeitenwende“ 2022 gesellten sich dann auch noch die „Lumpenpazifisten“ zu den Aussätzigen – und wurden gar noch durch Kriminalisierung bedroht: Jede öffentliche Rechtfertigung der Invasion der russischen Armee in die Ukraine im Februar 2022 ist in Deutschland laut herrschender juristischer Meinung ein Straftatbestand (und die Repressionsschraube droht sich immer weiter zuzuziehen: Mit der Begründung, mit der vor ein paar Monaten dem Kandidaten der AfD die Bewerbung für den Oberbürgermeisterposten in Ludwigshafen untersagt wurde, kann in Zukunft jede Kandidatur einer „extremistischen“ – sprich: missliebigen – Partei in Deutschland de facto verboten werden).(15)

Kein „Volk der guten Nachbarn“ mehr

Begonnen hatte die Abkehr der bundesdeutschen Politik von der in den Anfangsjahrzehnten bewusst praktizierten militärischen Zurückhaltung bei internationalen Konflikten nicht erst mit Olaf Scholz und Boris Pistorius, sondern schon in den 1990er Jahren: mit dem Einsatz der Bundeswehr (die laut Grundgesetz ursprünglich eigentlich nur zur Landesverteidigung eingesetzt werden durfte) in multilateralen, von den Vereinten Nationen abgesegneten „Friedensaktionen“ in Krisengebieten. Alle Dämme brachen dann 1999 mit dem Kosovo-Krieg: Zum ersten Mal nach 1945 bombardierte die deutsche Luftwaffe eine Stadt im benachbarten Ausland (Belgrad). Und als sich die Bundeswehr gar an dem – von der UNO nicht genehmigten – Kampf gegen die Taliban in Afghanistan beteiligte, verstieg sich der damalige SPD-„Verteidigungs“-Minister Peter Struck zu einer Aussage, die glatt als der dümmste Spruch des gesamten Jahrzehnts durchgehen könnte: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“ 59 Bundeswehrangehörige kamen im Krieg gegen die Taliban ums Leben, es war die bisherige Höchstzahl von toten deutschen Soldaten seit dem Beginn der Bundeswehr-Auslandseinsätze 1992.(16)

Zwar verteidigt die Bundeswehr das Vaterland derzeit (noch?) nicht im Donbass, aber die militärische Hilfe für die Ukraine, die im Frühjahr 2022 ganz harmlos mit der Entsendung von Schutzhelmen für die dortige Armee begann, ist inzwischen bei der Diskussion über eine eventuelle Lieferung von hochmodernen, weit reichenden Taurus-Marschflugkörpern an Kiew angelangt. Welche absurden (und hochgefährlichen) Ausmaße die gigantische Hochrüstung inzwischen in Deutschland angenommen hat, ist ja mittlerweile schon oft dokumentiert worden und braucht deshalb hier nicht mehr aufgelistet werden. Unter dem neuen Bundeskanzler Friedrich Merz sabotiert die deutsche „Diplomatie“ die Bemühungen des US-Präsidenten Donald Trump, ein Ende des Ukraine-Krieges zu erreichen, wo sie nur kann; die Bevölkerung in Deutschland wird derweil auf „Kriegstüchtigkeit“ getrimmt; auf allen Mainstream-Medien-Kanälen tobt sich mittlerweile eine nur noch völlig irrational zu nennende Russophobie aus. Und Merz ist dabei noch nicht einmal der aggressivste aller warmongers: Um diesen Titel kämpfen seit fast vier Jahren Roderich Kiesewetter (CDU), Toni Hofreiter (Grüne), Boris Pistorius (SPD) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Ganz vorn im Rennen liegt derzeit der CDU-Mann: Unverhohlen ruft er zum Angriff auf Moskau mit deutschen Raketen auf. Was soll das sein? Rache für Stalingrad?

So gut wie nichts ist heute, im Jahr 2025, übriggeblieben von dem einstigen Nachkriegs-Traum der meisten Deutschen: in einem Land zu leben, das gekennzeichnet ist von allgemeinem Wohlstand, von friedlichen Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten und von einer freiheitlichen inneren Verfassung. Und die einzige Hoffnung ist inzwischen nur die, dass vielleicht doch noch das Allerschlimmste, der worst case, vermieden werden kann: ein Nuklearkrieg auf diesem über Jahrhunderte hinweg mit Blut getränkten Kontinent. Denn wir befinden uns, man mache sich da nichts vor, inzwischen in einer Art Vorkriegssituation – und die führenden Repräsentanten dieser unserer Republik werden nicht müde, uns das pausenlos in die Ohren zu hämmern. Doch da, wo immer von Krieg die Rede ist, bricht er letztendlich irgendwann einmal auch aus – das lehrt uns die historische Erfahrung, insbesondere die des Abgleitens in den Ersten Weltkrieg 1914. „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein“, postulierte einst Bundeskanzler Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung. Wie wahrscheinlich ist es, ein solches Statement jemals aus dem Mund eines Friedrich Merz oder eines Lars Klingbeil zu hören?

 

Fußnoten

1) Die auf den Lehren des britischen Ökonomen John Maynard Keynes resultierende Politik, mittels staatlicher Steuerung wirtschaftliche Krisen abzufedern, wurde in der BRD bereits vor dem Wechsel im Amt des Bundeskanzlers 1969 praktiziert: durch den sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Karl Schiller in der Regierung der „Großen Koalition“ aus CDU/CSU und SPD (1966-69): „Karl Schillers ‚verspäteter‘ Keynesianismus“, www.linksnet.de

2) Maximilian Brose, „Wie Altnazis und Mitläufer den neuen Staat aufbauten“, Deutschlandfunk Kultur, 2. November 2022

3) Asbjörn Wahl, „Class Struggle and the Welfare State“, Jacobin, 6. Februar 2021

4) „Landtagswahlen in der SBZ 1946“, https://de.wikipedia.org

5) Ein spätes, dafür aber um so exemplarischeres Statement dieser Art ist der Vortrag von Matthias Krauß auf der Konferenz „Die DDR in der gesamtdeutschen Geschichte“ der Rosa Luxemburg Stiftung in Berlin am 26. Oktober 2021: Internationale Forschungsstelle DDR

6) Etwa Wiebke Ziegler und Andrea Oster, „Alltag in der DDR“, Planet Wissen

7) „Registrierte Arbeitslose und Arbeitslosenquote nach Gebietsstand“, Statistisches Bundesamt

8) Georg Heinzen/Uwe Koch, „Von der Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden“, Rowohlt Verlag, 1985

9) Henrik Müller, „Müssen wir wieder Keynesianer werden?“, Manager Magazin, 30. Oktober 2008

10) Michal Kalecki, „Political Aspects of Full Employment“, Political Quarterly 14/4, 1943, S. 322 ff.

11) Didem Tüzemen, „A New Estimate of the Natural Rate of Unemployment“, Economic Bulletin, 29. November 2017. Der absolute Guru aller Anhänger des völlig freien Marktes ist natürlich Milton Friedman, etwa mit seinem Buch „Capitalism and Freedom“, Chicago University Press, 1962

12) „6,3 Millionen Menschen arbeiten für Niedriglohn“, Tagesspiegel, 6. Dezember 2025

13) „Bundeshaushalt 2026: Wie Schwarz-Rot mit dem Sondervermögen Haushaltslöcher stopft“, Institut der deutschen Wirtschaft, 13. September 2025

14) In seinem Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“ (Hoffmann und Campe, Erstauflage 1985, später etliche Neuauflagen) vertritt der Journalist und Publizist Stefan Aust entschieden die (offizielle) Theorie, Baader und seine RAF-Mithäftlinge hätten in Stammheim Selbstmord begangen – interessanterweise sprechen allerdings viele Indizien, die er dafür anführt, eher für ein Fremdverschulden. Die These, Baader & Co. seien (von wem auch immer) ermordet worden, schließt beispielsweise Pieter Bakker Schut absolut nicht aus („Stammheim – Die notwendige Korrektur der herrschenden Meinung“, Neuer Malik Verlag, 1986), desgleichen Helge Lehmann, „Die Todesnacht in Stammheim“, Pahl-Rugenstein Verlag, 2011

15) Ulrich Stein, „Billigung der Ukraine-Invasion? Warum das ‚Z‘-Symbol jetzt strafbar ist“, LTO, 16. März 2022

16) „Todesfälle der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen“, https://de.wikipedia.org

Norbert Faulhaber

Norbert Faulhaber fing nach einem Studium der Politikwissenschaften, Rechtswissenschaften und Soziologie 1991 bei der Konstanzer Tageszeitung „Südkurier“ an: als freier Mitarbeiter für TV- und Filmkritik, Konzertberichte und CD-Besprechungen. Ab 1998 arbeitete er auch als Vertretung des TV-Redakteurs, von 2004 bis 2006 als Verantwortlicher für die tägliche TV-Programmseite. Von 2006 bis März 2023 arbeitete er als Redakteur am NewsDesk See-West in Konstanz.
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24 Kommentare

    1. Allerdings ließ sich mit den alten Nazis auch ein „Sozialstaat“ aufbauen. Nach dem verlorenen Krieg sahen sie sich in einer Volks- und Schicksalsgemeinschaft, da sorgten sie sich um ihre Volksgenossen – was den EU-„Nazis“ von heute fremd ist. Die haben andere Sorgen.

      1. Adenauer war ein Deutsch-Nationaler und „Neu-Transatlantiker“, klar paktierte er lieber mit den alten Nazis als mit Menschen, die unter dem Naziregime inhaftiert waren, „wir“ wissen es nicht ob der „Sozialstaat“ mit Sozialisten/Kommunisten nicht auch geklappt hätte. Die Aufarbeitung wäre in jedem Fall besser gewesen als die unter
        den CDU/CSU, FDP, SPD.
        Adenauer wollte keine Opposition, „seine“ Vorstellung der Neuausrichtung von (BRD) Deutschland sollte nicht gefährdet werden.
        Und leider haben die „Soffjets“
        es ihm leicht gemacht, das Verbot der KPD wäre nicht notwendig gewesen, siehe Spanien, Italien… .!

  1. Der Niedergang Deutschlands fing mit der SPD Regierung an. Brandt musst statt „mehr Demokratie wagen“ den Radikalenerlass durchsetzen, und nahm die Guillaume Intrige zum Anlass, zurückzutreten. Die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt war eine Katastrophe, gekennzeichnet durch Demokratieabbau, Idiotenabitur zur Kaschierung der Arbeitslosigkeit, Schuldenpolitik, sinnlose Konjunkturprogramme, die nur China nützten, und das Kapern eines entführten Flugzeugs in Mogadischu, bei der er das Leben der Geiseln aufs Spiel setzte, was aber mit dem Glück des dümmsten Bauern gut ging. Dann begann die Globalisierung, die nichts mit Handel zu tun hat. Die Abschaffung von Zöllen. dient den Konzerne zur Verlagerung die Produktion in Niedriglohnländer und Import der Produkte. Das ist HANDEL MIT SICH SELBST. Macht natürlich Sinn, weil die Waren im Inland relativ günstig mit großem Profit verkauft werden konnten. Ruiniert auf Dauer die einheimische Wirtschaft, erzeugt Massenarbeitslosigkeit. Deutschland war daher auf Export angewiesen und musste die Einkommen senken, wozu „Lohndisziplin“ und Einwanderung aus Niedriglohnländern zur Errichtung eines Niedriglohnsektors und Einsparung von Ausbildungskosten dienten.
    Das Ganze wurde festgeschrieben als die 4 Grundfreiheiten der EU, nämlich Freier Personenverkehr,
    Freier Dienstleistungsverkehr, Freier Warenverkehr und Freier Kapitalverkehr.
    Den anderen Eu Geberländern geht es auch nicht gut. Die Nehmerländer kaschieren ihre Arbeitslosigkeit durch Auswanderung, wobei die Auswanderer dann Geld nachhause schicken.
    Unter diesen Bedingungen ging in der BRD jedes Arbeitsethos verloren! Außerdem dachte man in den Parteien anfangs, man müsse gut regieren, um wieder gewählt zu werden und zu bleiben. Später erkannte man erstens, dass viele Wähler immer dieselbe Partei wählen, egal wie schlecht sie regiert, und zweitens, dass man auch kommen kann, um zu gehen, es lohnt sich auf jeden Fall.

  2. Mich beschäftigt mehr als alles andere die Frage, woher der neue hemmungslose Militarismus stammt, der seit einiger Zeit alles vergiftet. Ausnahmsweise kann ich daran einmal nicht Frau Merkel und ihren Kreaturen die Schuld geben, oder unterliege ich einem fundamentalen Irrtum? War er latent immer vorhanden und hat sich nur jetzt angesichts begünstigender Umstände (Ukraine) wieder ans Tageslicht gewagt?

    1. Merkel war auch ein Rädchen im geostrategischen Militärisierungsprozess: Laut eigener Aussage hat sie mit den Minsker Vereinbarungen der Ukraine Zeit zur weiteren Aufrüstung verschafft – um gegen Russland in Stellung zu gehen.

      1. Gut möglich, aber die „Kriegstüchtigkeit“ Deutschlands war offensichtlich nicht eines ihrer Ziele, falls sie solche überhaupt je hatte.

  3. „Dass – entgegen den Prognosen von Marx, Engels und Lenin – es durchaus möglich ist, auch unter kapitalistischen Bedingungen derartige ökonomischen Krisen weitgehend zu vermeiden,…“
    Welch grandiose Illusion. Der ‚Neuanfang“ war nur möglich, weil vorher die Krise mit ihrem Krieg Platz für Investitionen schuf, also eine Bestätigung von Marx, Engels und Co. Die hier aufgestellten Thesen ähneln dem Kumpel im freien Fall: Bis hierher ging’s gut!
    Für mich als Ossi war die Aufschwungphase der BRD nichts anderes als die Vorbereitung eines neuen Anlaufs gen Ost, auch Brandt und Co unternahmen in ihrer Zeit zum großen Teil bewusst ihre Rolle bei der Remilitarisierung des deutschen Aggressionspotenzials.
    Nostalgie ist hier unangebracht.

  4. Anmerkung zur Bundeswehr: Wenn die Möchtegern-Wehrmacht die Grenzen Russlands/ Weißrusslands überschreitet, hört Deutschland auf zu existieren. Das sollte den rot/grün/braun/ gelb/schwarz/regenbogenfarbenen Idioten in deutschen Parteizentralen, Medien, Parlamenten permanent ins Hirn gehämmert werden. Und die traurigen Figuren der deutschen Generalität, die von der Siegesparade auf dem roten Platz in Moskau träumen, die gehören in die geschlossene Psychiatrie.
    Und ja, die BRD heute schließt an das faschistische Deutschland vor dem 8.5.1945 an. Es sind ja auch die gleichen Kreise der Oberschicht, die heute das Sagen haben, die den 2.WK fast Schadlos überstanden haben. Der gleiche Geist, die gleichen Ziele…und der gleiche Rassismus…

  5. Ein Problem ist für mich, das die Kriegsgeneration nicht mehr da ist!
    Die wussten nun schon, was Krieg bedeutet, die derzeitige Politikergeneration offenbar nicht!

  6. „Natürlich gab es in den DDR-Schulen ein sehr beträchtliches Maß an ideologischer Indoktrination “

    Alles was damals gelehrt wurde ist heute eingetreten.

    Eventuell hätte ein wenig davon dem Autor auch gut getan..o)))

    Und was gar keine Erwähnung fand, die Entwicklung der Finanzindustrie, obwohl Sie doch die primäre Ursache war für die ganze Entwicklung, Untergang DDR und Bürgerkrieg in den ehemaligen Staaten der Sowjetunion ..
    Als man Mitte/Ende 70er die Bilanzierungspflicht für Kapitalanlagen einschränkte in einer USA, wurde diese ganze Entwicklung losgetreten, Spekulanten an die Macht o(
    Kapital blähte sich förmlich auf eine Größe auf, die nicht mehr gedeckt werden konnte von den Fähigkeiten und Möglichkeiten realer Produktionen.
    US Politik in Zeiten der Teilung Deutschlands war entscheidend für den Wohlstand einer BRD und den Problemen einer DDR.

    CoCom Liste zb …

    “ Bekannte Beispiele für Embargoverstöße durch BRD-Firmen lieferten etwa
    Siemens
    Hoesch
    Horn & Görwitz
    Diebold Deutschland
    Leybold-Heräus
    Mannesmann
    Rohde & Schwarz. “

    Und die ganze Wohlstands-Entwicklung alleine als Erfolge von Parteiarbeit uns verkaufen zu wollen (BRD) schon ein wenig mehr als Naiv..
    Der Autor billigt Ihnen echte Macht zu, die aber niemals real war . Die wirkliche Macht hatten andere.
    Und ob das eine gute Idee war , ehemaligen KZ Häftlinge reale Macht in Ihre Hände zu geben, (DDR) und das auch noch zeitlich unbegrenzt, solch Art Traumas (W2k) sind kaum heilbar, und so war es nur eine Frage der Zeit bis nachvollgende Generationen zunehmend dem alten Feindbild der Antifaschisten entsprachen. Auch mich erklärte man zum „Feind“ der Gesellschaft in einer DDR als ich 16 Jahre alt wurde in der U Haft…
    Diese alten Staatsanwälte, ich sehe heute noch den Hass in Ihren Augen als Sie Ihre Anklageschrift zelebrierten vor Gericht, während ein alter Kommunist Uns 2 aufrecht verteidigte, den man Uns als „Pflichtverteidiger“ zur Seite stellte. Aber am Ende mussten Wir ins Gefängniss für eine bestimmte Zeit, mit allen Konsequenzen.
    Und ich dachte vorher immer mit meinen 16 Jahren ,das Kommunisten und SEDler für das gleiche stehen, naiv wie Ich war..
    Es liegt in den Genen der Deutschen , Ihre Angst vor echter Demokratie, gelebten Pluralismus. Immer schon wurde deren Ausgansbasis auf den Altar irgendwelcher “ Parlamentarischer Gebilde“ politischen Kompromissen zuliebe geopfert, die der Meinstream dann den Menschen als Wohltat echter Demokratie verkauft/e.
    In der Summe aber , waren das alles noch Folgen eines fürchterlichen Krieges, ich könnte nicht einmal den Staatsanwälten von damals einen Vorwurf machen. Wer kann es ihnen verübeln, nachdem was Sie an Unmenschlichkeit ertragen mussten, das Sie Ihr restliches leben einem einzigen Ziel opferten, eine Wiederholung zu verhindern.
    Einem Herr Merz aber zb , kann Ich Vorwürfe dieser Art aber machen, Er war nie betroffen von den Folgen eine W2K in irgendeiner Form , und daher stört Ihn das alles wohl weniger was Menschen erleben mussten im Kontext von Folgen eines fürchterlichen Krieges.
    Wohlstand, Armut, Krieg, Frieden, all das wird von denen entschieden , die über das dazu notwendige Kapital verfügen. Und zu dieser Gruppe gehören Politiker traditionel weniger ..
    Und aus dieser, man könnte fast schon schreiben “ reaktionären Ausgansbasis“ wurde eine EU erschaffen, um wie der Meinstream schreibt “ den Frieden in Europa zu sichern“ .. o(((

    1. Danke für Ihre Geschichte!
      Ich habe für das Verhalten der Behörden und Politiker damals wie heute die Erklärung eines überstarken Konformismus vor allem der Eliten, d.h. man will den geltenden Vorgaben unbedingt nachkommen, um dazuzugehören und damit der Privilegien des Dazugehörens teilhaftig zu werden.
      Dieser Konformismus ist und war in D immer schon sehr ausgeprägt und nur während glücklicher Momente einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung (60-er bis Anfang 70-er Jahre) wenig bis nicht spürbar.

      1. Mich haben schon immer die Fehler von Menschen eigentlich weniger Interessiert, dafür um so mehr die Motive dieser o))
        Natürlich stimme Ich Dir zu in Sachen “ überstarken Konformismus“ , aber meinen Beobachtungen nach geht das tiefer, zb Beamtenrecht usw ..
        Anfang 70er waren auch DDR cool, da waren zb noch echte Produkte (Importe) noch aus dem kapitalistischen Ausland in DDR Läden zu finden, gerade um diese Zeit Apfelsinen aus Spanien, und die waren lecker o))))
        Das waren noch Folgen Ulbricht Politik, Erich führte aber diese Art Politik nicht fort .

  7. Seit 1975 war die Bedingungslose Kapitulation erst dreißig Jahren vergangenen, zwei deutsche Staaten standen sich in zwei Systemen bis an die Zähne bewaffnet gegenüber,
    eine Abrüstung und die Wiedervereinigung war ein ferner Traum.

    Und 2025 scheiß auf den Frieden und Wohlstand, die Eliten könnten auch so in ihre Atombunker’s (Nuclear Vault) gehen, und dort für den Rest ihres Lebens bleiben für eine Unterhaltung mit der neusten KI wird gesorgt.

    1. Ein Atombunker ist meine Vorstellung der Hölle (vielleicht ist das ja auch die biblische Hölle – die Qualen dort stelle ich mir entsetzlich vor). Draußen atomar verseuchtes Chaos und innen eingesperrt, keine Freiheit, keine frische Luft, keine Natur, immer nur die gleichen Pappnasen zu sehen und das bis zum Tod. Nein, danke. Diese Leute sind derart phantasielos, dass sie gar nicht verstehen, in welches furchtbare Gefängnis sie sich begeben würden. Die halten das selbst jetzt für luxuriös, aber es würde die absolute Hölle werden. Ehrlich, da ziehe ich es vor, in Sekundenbruchteilen im Atompilz zu verglühen.

    2. „und dort für den Rest ihres Lebens bleiben “

      Frage mal ehmalige Gefängniss Insassen wie diese über solch Art „Bunker-Leben“ denken o)))))

      Ein leben ohne jeglichen Sinn, welchen Wert hat ein Leben dann noch ?

    1. Wer Menschen Ihre lernfähigkeit abspricht, ist wohl einem Nazi-Dasein näher als Er sich je eingestehen könnte o))))
      EIner DDR ging es weniger um „Nazis“ dafür mehr um “ Kriegsverbrecher“ …
      Und wer zwischen beiden keine Unterschiede ausmachen kann, für den wäre das Drücken einer Schulbank angebracht..

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