Selfie mit Umwelt- und Agrarpolitik

Was wir hier auch sehen: Zwei ehemalige Umwelt- und Landwirtschaftsminister sondieren für FDP und Grüne – Volker Wissing und Robert Habeck. Was bedeutet das für Klima, Landschaft und Natur? | Selfie: Volker Wissing

Wenn die Ampel regiert, könnten Verbraucherinteressen in den Vordergrund rücken. Es könnten den Agrochemiekonzernen und der übrigen Agrarlobby die seit Jahrzehnten gepflegten Seilschaften verloren gehen. Es könnte schwieriger werden, gegen die in allen Umfragen erklärten Interessen von Verbraucherinnen und Verbraucher weiterzumachen mit großflächigem Chemieeinsatz auf den Feldern und Tierausbeutung in Massenställen.

Allerdings kann auch die SPD den Fortschritt im Ackergang ausbremsen. Und die FDP hört beim Stichwort Landwirtschaft gemeinhin nur die Endung Wirtschaft. Dann wären die Grünen allein zu Haus, wenn es um unbelastete Lebensmittel und gesunde Tiere geht, und um eine zukunftsfeste Landwirtschaft, also letztlich um Agrarwende, Tierwohl und Klimaschutz.

Achtung Lobbyprofi

Dass die SPD der Agrarlobby genauso gut dienen kann, wie CDU und CSU, das hat in diesem Jahr bereits Deutschlands Dauerminister Till Backhaus bewiesen. Der sozialdemokratische Umwelt- und Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern hat die längste Erfahrung von allen – er ist seit 23 Jahren im Amt. Und diese Erfahrung hat er im Frühjahr genutzt, um dafür zu sorgen, dass bei der Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU in Deutschland fast alles beim Alten blieb – bislang wenigstens. Till Backhaus hatte mit sechs Agrarministerinnen und -ministern von der Union einen Pakt gegen die Grünen geschmiedet. Mit dabei waren außerdem Benjamin Hoff, der linke Landwirtschaftsminister Thüringens, und Volker Wissing, damals noch Landwirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz. Der ist heute als FDP-Generalsekretär einer der Verhandlungsführer in Berlin.

Solche Bilder soll es nie wieder geben, wenn es nach dem erfahrensten Agrarlobbyisten der SPD geht. „Ein Fanal“ hatte Till Backhaus, noch Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern, den Brand des größten Schweinebetriebs im Land genannt. Über 55.000 Tiere sind dabei verendet. | Foto: Tierschutzbund Mecklenburg-Vorpommern

Bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern hat Deutschlands dienstältester Minister nun mit dem besten Ergebnis seinen Wahlkreis Ludwigslust-Parchim gewonnen. Till Backhaus holte 51,5 Prozent der Erststimmen und lag damit auch vor Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die in Schwerin „nur“ auf 46,4 Prozent kam. Nicht verwunderlich, dass die Presse in Mecklenburg-Vorpommern über einen Wechsel des erfolgreichen SPD-Mannes in die Bundespolitik spekuliert. Agrarpolitiker sind rar in der SPD. Da ist es schon denkbar, dass ein Kanzler Scholz sich die Expertise für Agrarlobby nach Berlin holt.

Dann könnte Till Backhaus auch beweisen, ob er es ernst meint mit dem Umbau der Tierhaltung. Nachdem in Mecklenburg-Vorpommern bei einem gewaltigen Stallbrand im größten Ferkelzuchtbetrieb des Landes kurz vor Ostern über 55.000 Tiere umgekommen waren, hatte er als zuständiger Agrarminister von einem „Fanal“ gesprochen, und dann davon, solche riesigen Tierställe in Zukunft generell nicht mehr genehmigen zu wollen. Außerdem solle die Tierhaltung an die landwirtschaftliche Fläche gebunden werden. Wenn man das zu Ende denkt, würde es bedeuten, dass von einem Betrieb nur so viele Tiere gehalten werden können, wie er mit den eigenen Äckern und Weiden ernähren kann. Und das wäre dann tatsächlich die Agrarwende, zumindest in der Tierhaltung. Allein, ob dieser Minister, der Jahrzehnte lang Zeit hatte, etwas zu ändern, nun plötzlich in einer Ampelkoalition in Berlin den Fortschritt verkörpern würde?

Achtung Sondierungsprofis

Aber so weit, dass die SPD schon mitreden dürfte, sind wir noch gar nicht. Und vielleicht kommen wir in Sachen Umwelt- und Agrarpolitik auch gar nicht so weit. Bei den Sondierungsgesprächen zwischen FDP und Grünen sitzen mit Volker Wissing und Robert Habeck immerhin zwei am Tisch, die schon mal eine Regierungsbeteiligung beider Parteien ausgehandelt haben, und die schon mal Landesminister für Umwelt- und Landwirtschaft waren. Da könnte die Runde am Ende, wenn sie sich über alle Gräben inhaltlich einig wird, auch auf die Idee kommen, diese beiden Ressorts auch im Bund zusammenzulegen. Dann wäre das gegenseitige Beharken schon mal ausgeschlossen, mit dem Umwelt- und Landwirtschaftsministerium in der Vergangenheit sämtliche Reformen verhindert haben. Und wenn die Grünen ihren Wunsch nach einem Klimaschutzministerium dann auch noch durchsetzen sollten, könnte das ebenfalls dazu kommen. Wobei Olaf Scholz ja „Klimakanzler“ werden will und der Klimaschutz also ins Kanzleramt gehören müsste. Aber Klimakanzlerin wollte auch Angela Merkel schon mal sein. Dass sie es nicht war, hat ihr Deutschlands oberstes Gericht attestiert.

Was Klimaschutz und vor allem Landwirtschaft angeht, liegen die Vorschläge für umfassende Reformen und sofortiges Handeln auf dem Tisch. Die bisherige Bundesregierung hat in ihrer letzten Legislaturperiode jede Menge Kommissionen und Beratungsgremien an Zukunftsvorschlägen arbeiten lassen. Nichts von all den Vorschlägen ist umgesetzt worden, aber alles liegt auf dem Tisch. Oder es könnte dort liegen, wenn man es aus den Schubladen holt. Was die Tierhaltung in Massenställen angeht, weltweit einer der größten Emittenten von Treibhausgasen, gehen die Vorschläge sogar noch weiter zurück. Bereits 2015 attestierte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz der Bundesregierung, dass die Tierhaltung in Deutschland nicht zukunftsfähig ist. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hatte schon 2009 eine Ökologisierung der Landwirtschaftspolitik vorgeschlagen, auch um die Emission von Treibhausgasen zu verringern. In der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode kamen dann das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung und die Zukunftskommission Landwirtschaft dazu. Beide Gremien waren von der Bundesregierung berufen worden und legten umfassende Umbauvorschläge vor.

Kurz vor der Wahl noch einmal Druck gemacht: Fridays for Future Demo mit Greta Thunberg in Berlin. Die meisten Erstwähler stimmten dann für FDP und Grüne. | Foto: FFF Berlin / Dominik Butzmann

Kurz vor der Bundestagswahl hatte der Vorsitzende des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, der ehemalige CDU-Landwirtschaftsminister Jochen Borchert, noch einmal bekräftigt: „An der Tierwohldebatte kommt keine politische Partei mehr vorbei.“ Und wenn daran niemand vorbeikommt, dann übrigens auch nicht an der Debatte über die Finanzierung von Tierwohl, die am Ende auf eine zusätzliche Verbrauchssteuer hinausläuft. Wir werden erleben, ob auch die unter die strikte Ablehnung von Steuererhöhungen durch die FDP fällt.

Die Zukunftskommission Landwirtschaft hatte schon bei ihrer letzten Sitzung beschlossen, sich nach der Wahl noch einmal zu Wort zu melden. Dann, wenn die Themen Klimaschutz und Landwirtschaft in die Koalitionsverhandlungen eingebracht werden müssen. Es dürfte also dann doch mal wieder um ein paar Inhalte gehen. Der inhaltsleere Wahlkampf ist vorüber und mit Selfiebildchen allein lässt sich das nicht gestalten, was jetzt kommen muss.

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