Boko Haram als Schachfigur in der Hegemonialstrategie der Westmächte?

Kämpfer gegen Boko Haram
VOA, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Gruppierung Boko Haram könnte für die westlichen Mächte in der Sahelzone nützlich sein.

Ein Buchauszug.

Laut der französischen Wochenzeitung Paris Match hat Präsident Issoufou, der im Juni 2016 nach Paris und Bonn reiste, um die beiden europäischen Großmächte Frankreich und Deutschland um Unterstützung im Kampf gegen Boko Haram zu bitten, nicht viel erreicht. Zudem verdeutlichte die von Präsident Hollande nach seinem Treffen mit dem nigrischen Amtskollegen abgegebene Erklärung, dass Niger von Pariser Seite eher als Partner im Kampf gegen die illegale Einwanderung denn als Partner im Kampf gegen Boko Haram geschätzt wird. Denn während Boko Haram heute die größte Gefahr für die Sicherheit und Entwicklung in Niger darstellt, ist die illegale Einwanderung eine Thematik von vergleichbarer Wichtigkeit für ganz Europa. Das Geld und die Waffen, die Präsident Issoufou nicht für den Kampf gegen Boko Haram erhalten hat, hätte er sicherlich ohne Schwierigkeit erhalten, wenn sich die Offensive, die er und sein tschadischer Amtskollege planen, gegen die Migrationswege richten würde.

Schwierigkeiten der Anrainerstaaten

Man wird den misstrauischsten Beobachtern der geostrategischen Bühne Afrikas darin Recht geben müssen, dass sich die Bedrohung, die Boko Haram für die Anrainerstaaten des Tschadseebeckens darstellt, aus Sicht der hegemonialen Strategie der westlichen Großmächte als eine Chance präsentiert. Denn Boko Haram hat es in nur wenigen Jahren dahin gebracht, Nigeria als politische, wirtschaftliche und militärische Macht zu schwächen. Die Gruppe hindert das Land daran, von seinen Öleinnahmen zu profitieren, von denen ein Teil durch fiktive Waffenkäufe von seiner Führung veruntreut und beiseite geschafft wird. Ebenso wird Nigeria durch Boko Haram daran gehindert, die Reserven an schwarzem Gold im Tschadseebecken zu nutzen, deren Erschließung es dem Land ermöglicht hätte, seine Bedeutung innerhalb der Gruppe der ölproduzierenden Länder zu erhöhen.

Es wird immer schwieriger, die Tatsache zu übersehen, dass das Tschadseebecken erst zu einem der heißesten Konfliktherde Afrikas wurde, als das schwarze Gold aus den Quellen von Doba im Tschad und Agadem in Niger zu sprudeln begann und in Nigeria die Entscheidung gefällt wurde, dass die Zeit gekommen sei, die Reserven im Bundesstaat Bornou zu erschließen. In jedem Fall hat die rasche Ausbreitung von Boko Haram Nigerias Ölprojekt im Tschadseebecken gestoppt und Nigers Vorhaben, sein Rohöl über die Tschad-Kamerun-Pipeline zu exportieren, verzögert.

Eine Gemeinsamkeit all dieser Projekte besteht darin, dass sie in Zusammenarbeit mit chinesischen Unternehmen durchgeführt werden; eine weitere bildet der Umstand, dass sie jeweils darauf abzielen, den Autonomiespielraum der Trägerländer zu vergrößern. Das Ergebnis der Expansion von Boko Haram war, dass sich die Anrainerstaaten des Tschadseebeckens, die all ihre Hoffnungen auf ihre Ölprojekte gesetzt hatten, mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sahen. Dies ging so weit, dass sie große Schwierigkeiten hatten, die Monatsgehälter ihrer Beamten zu zahlen und die von Boko Haram verursachten sicherheitspolitischen und humanitären Herausforderungen zu bewältigen.

Teilung des Sudan

Wie viele internationale Beobachter betonen, stehen die von den Anrainerstaaten des Tschadseebeckens initiierten Ölprojekte mit chinesischen Unternehmen im Zentrum dieses bewaffneten Aufstands, der die gesamte Region erschüttert. Der groß angelegte Eintritt chinesischer Unternehmen in den Markt der Ölproduktion in Afrika weckt das Misstrauen vieler westlicher Länder und der Golfstaaten. Seit einigen Jahren ist der Zugang zu und die Kontrolle über die afrikanischen Ölreserven zu einem der großen Streitgegenstände in dem bald heimlich, bald offen geführten Wirtschaftskrieg zwischen den westlichen Mächten und der Volksrepublik China geworden. Dieser Krieg begann Mitte der 2000er Jahre im Sudan, in welcher Zeit die chinesische CNPC zum Hauptförderer und -käufer von Öl wurde – zuungunsten westlicher Unternehmen, insbesondere des amerikanischen Unternehmens Chevron, das 1978 die Ölfelder im Süden des Landes entdeckt hatte.

Dieser Krieg führte 2011 zur Teilung des Landes in zwei souveräne Einheiten (Sudan und Südsudan), nachdem die Zentralregierung in Khartum jahrzehntelang einen besonders blutigen Sezessionskrieg gegen die südlichen Rebellen unter John Garang und später gegen die von der US-Regierung unterstützten Rebellen in Darfur geführt hatte. Doch während es den USA gelang, die Einheit des Sudan zu zerschlagen, scheiterten sie doch bei dem Versuch, die Kontrolle über die lokalen Ölfelder von der chinesischen CNPC zurückzuerlangen.

Chinesische Offensive im afrikanischen Ölsektor

Dadurch, dass die CNPC-Manager als »Sieger« aus diesem ersten chinesisch-amerikanischen Ölkrieg hervorgingen, fühlten sie sich in ihrem Vorhaben bestärkt, ihre Aktivitäten auf weitere afrikanische Länder auszuweiten. Sie verstanden sehr gut, wie sie von der Rezession der westlichen Volkswirtschaften profitieren konnten, indem sie den afrikanischen Staaten eine historische Gelegenheit boten, neue Partner im Energiebereich zu gewinnen. Innerhalb weniger Jahre wurde die CNPC zum wichtigsten Akteur in der Ölproduktion in den Anrainerstaaten des Tschadseebeckens, insbesondere im Tschad, wo sie 2007 alle lokalen Anteile des kanadischen Unternehmens Encana aufkaufte und Genehmigungen für die Ausbeutung von Vorkommen an der libyschen Grenze und im Tschadseebecken erhielt. Gleiches gilt für Niger, wo die CNPC 2008 ein Projekt zur Ausbeutung der Vorkommen in der Nähe des Tschadseebeckens anstieß, und für den Sudan, wo sie im selben Jahr ein entsprechendes Projekt zur Ausbeutung der Lagerstätten von Agadem in der Nähe des Tschadseebeckens initiierte.

Ebenso haben die chinesischen Ölgesellschaften bedeutende Verträge abgeschlossen – mit Nigeria über die Ölexploration im Nigerdelta und im Tschadsee und den Bau von Raffinerien; mit Kamerun über den Bau von Pipelines und den Transit des in Niger und im Tschad geförderten Öls; und mit der Zentralafrikanischen Republik über die Ölexploration im Norden des Landes. Zudem sind sie in Algerien, Mali und Mauretanien präsent, wo sie sich für die Ausbeutung des schwarzen Goldes im gewaltigen Taoudenit-Becken in Stellung bringen.

Die chinesische Offensive im afrikanischen Ölsektor, die Teil der globalen Strategie Pekings ist, ausländische Märkte für seine Produkte zu erschließen und die Versorgung seiner Industrie mit strategischen Rohstoffen zu sichern, ereignete sich vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise. Sie stellt eine umso ernstere Bedrohung für die westlichen Großmächte dar, als sie sowohl in den Kreisen der afrikanischen Mächte wie auch in der öffentlichen Meinung, die es zunehmend leid ist, unter ihrem Diktat zu leiden, auf ein recht positives Echo stößt.

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7 Kommentare

  1. Super Text!

    Afrika ist komplett aus dem Nachrichten-Fokus, weil Leute wie Michael Lüders und Karin Leukefeld fehlen. Unsere Hauptnachrichten werden nur aktiv, wenn Bundeswehreinsätze als Ausbildungsmissionen schöngeredet oder beim Rausschmiss dann verharmlost werden müssen, weil böse Putschregierungen sich dem bösen Russland zuwenden.

    Dass China in Afrika aktiv ist, wurde bisher nur bei Landaufkäufen größer thematisiert.

    Wenn China es schafft, die von Islamisten terrorisierten afrikanischen Regionen ähnlich in die modernen Jetzt-Zeit zu führen wie in Uigurien, wird zwar die Westpresse wieder schäumen, dass “wertvolle” (islamistische) Kultur zerstört wird, aber den Ländern eröffnen sich neue Horizonte, weil sie mit einem (bisher) nicht kolonialistisch auftreten großen Partner zusammenarbeiten können.

  2. Was für eine Verschwörungstheorie, dass Boko Haram eine Schachfigur der westlichen Großmächte und ihrer Konzerne sei im Kampf gegen die chinesische Konkurrenz. Ich habe mal in Wikipedia zu Boko Haram nachgeschaut und folgenden Satz gefunden. “Boko Haram hat keine Verbindung zur Aufstandsbewegung Movement for the Emancipation of the Niger Delta, die im Nigerdelta seit 2006 gegen die Ölindustrie kämpft.” Aha, aber anscheinend doch dasselbe Ziel! Selbst wenn der Kampf um Ressourcen für solche islamischen Revolutionen nicht das primäre Ziel sein sollte, läuft es doch darauf hinaus, weil die Revolutionen ja finanziert werden müssen. Umgekehrt geht es bei dem Kampf gegen den Terror doch genau um diese Ressourcen. Die Nationalisierung von Energieressourcen ist ja der Grund für den “Kampf gegen den Terror”. Als Gründe der Erfolglosigkeit des Kampfes gegen Boko Haram wird angeführt: “Die Brutalität des Militärs treibe junge arbeitslose Männer zu Boko Haram. Dazu trage Staatsversagen mit der allgegenwärtigen Korruption bei, ferner die moralische Verkommenheit der politischen Elite….” Nigeria ist das totale Shithole Country unter der Regie der Ölkonzerne. Die machen ihren Reibach trotz Bürgerkrieg. Genauso wie in Libyen und Irak.

    1. Meine “Verschwörungstheorie” geht so: Die Westmächte (allen voran die Angelsachsen und Israelis) stecken mit den reichen Golfstaaten unter einer Decke. Als reiche Staaten mit viel privatem Kapital haben sie gemeinsame Interessen. Die Zusammenarbeit ihrer Geheimdienste ist kein Geheimnis (gerade aktuell wird das von den Massenmedien offen zugegeben). Das erklärt auch ihr Desinteresse am israelischen Gaza-Krieg. Bei Ägypten ist es das Gegenteil von Reichtum, nämlich die sehr große Verschuldung beim Westen, die zur Zusammenarbeit mit dem Westen zwingt. Und dass US-Geheimdienste Islamisten finanzieren, das wissen wir seit dem russischen Afghanistan-Krieg.

      Seitdem hat sich die Bedeutung von Geopolitik noch erheblich verstärkt, wo an vorderster Front die Geheimdienste stehen. Es ist auch kein Geheimnis, dass sowohl in Libyen als auch im Sudan Geld aus den reichen Golfstaaten die dortigen Kämpfe am Laufen halten. Boko Haram ist sicher keine simple “Schachfigur der westlichen Großmächte”, aber da wo Boko Haram gegen afrikanische Interessen (wie Verstaatlichungen) oder gegen chinesischen Einfluss wirkt, da arbeitet Boko Haram für westliche Interessen. Dann ist es nur logisch, dass westliche Geheimdienste die Islamisten fördern.

  3. Starker Tobak. Boko Haram also als Instrument der westlichen Ölkonzerne, um die Chinesen nicht ins Geschäft kommen zu lassen. Diese Länder wollen nicht mehr mit den Amerikanern kooperieren, denn im Sudan war ja zu sehen, was passiert, wenn Chevron Öl entdeckt. Das Land wird dann in einem blutigen Krieg in zwei Teile gehauen. Das machen die Chinesen nicht. Sie verzichten demonstrativ auf den Einsatz von Militär, um den Eindruck der Freiwilligkeit nicht zu stören. Folglich haben sie auch nicht die Möglichkeit, dort Kriege zu beginnen.
    Den rauchenden Colt kann der Autor noch nicht liefern, aber die Motivlage ist eindeutig. Eine Terroroganisation wie Boko Haram kann sich ohne einen Freund und Sponsor nicht halten. War schon beim Islamischen Staat zu beobachten.
    Ich erlaube mir, hier noch einen Schritt weiter zu denken. Warum fliehen denn die Menschen aus dieser Gegend? Dafür dürfte Boko Haram einer der Hauptgründe sein. Dann fliehen sie nach Europa und lösen dort einen Rechtsruck aus. Wobei durchweg alle Rechtsparteien versuchen, eine Energiewende hin zu Erneuerbaren zu verhindern. Sehr im Sinne der US-Ölindustrie.
    Nun bahnt sich aber eine Lösung an. Mali hat Franzosen und Bundeswehr hinausgeworfen und dafür die Russen engagiert. Mit dem Ergebnis, dass diese Boko Haram komplett vertrieben oder eliminiert haben. Seit November hat der malische Staat wieder das komplette Gewaltmonopol auf dem gesamten Staatsgebiet, wie das konkret-Magazin berichtete. Worüber man in Mali sehr angetan ist und sich erfreut bei den Russen bedankt. Selbstverständlich kommt da in den Nachbarstaaten der Wunsch auf, die Russen mögen im eigenen Land dasselbe tun. Das könnte der Hintergrund der Putsche in diesen Ländern sein.
    Das Thema ist äußerst spannend und wir würden von diesem Autor gern mehr erfahren. Was zum Beispiel hat es mit dem Bürgerkrieg im Sudan auf sich? Der Mainstream druckst so herum, dass man auch da eine üble Geschichte vermuten muss.

  4. Es besteht ja die Hoffnung das gewisse private russische Sicherheitsunternehmen dort für ein wenig Ruhe sorgen werden. Darüber hinaus werden diese Kontakte zwischen den Staaten auf Minister bzw. Militärebene ausgehandelt.

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