Ägyptens Arabischer Frühling ist in der bleiernen Zeit von el-Sisis Militärregime versandet

Neue Hauptstadt mit dem höchsten Turm Afrikas
Die neue Hauptstadt mit dem höchsten Turm Afrikas in der Wüste. Bild: Frank Stier

Im Frühjahr 2011 stand Kairos zentraler Tahrir-Platz wochenlang im Fokus des Weltinteresses. www.bbc.com/news/world-middle-east-16716089 Die Euphorie von zigtausenden für „Brot, Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde” demonstrierenden Ägyptern und Ägypterinnen wurde zum Symbol des Arabischen Frühlings. Tatsächlich brachte ihr Aufstand den rund drei Jahrzehnte autokratisch herrschenden Staatspräsidenten Hosni Mubarak zu Fall. Aus den sich anschließenden ersten freien Präsidentschaftswahlen des Landes ging „Muslimbruder” Mohammed Mursi siegreich hervor. Er wurde indes nach nur einem Jahr Amtszeit durch Abdel Fattah el-Sisis Coup d´Etat von der Macht geputscht. Seitdem ist die Ägyptische Revolution in seinem Militärregime mit diktatorischen Zügen versandet.

Elf Jahre regiert Feldmarschall el-Sisi Ägypten nun mit harter Hand, er duldet keinen demokratischen Widerspruch und lässt missliebige Oppositionelle und kritische Journalisten als Verschwörer verhaften. Nach Jahren wirtschaftlicher Krise in der Folge von Pandemie und Gaza-Krieg gelten inzwischen zwei Drittel der knapp 115 Millionen Ägypter als arm oder von Armut bedroht.

In der ägyptischen Hauptstadt Kairo mit ihren rund 23 Millionen Einwohnern ist soziale Not an jeder Straßenecke augenfällig; arbeitende Kinder gehören ebenso zum Stadtbild wie auf dem Trottoir sitzende vollverschleierte Frauen, die einzelne Päckchen Taschentücher feilbieten oder um Almosen bettelnde Invalide. Während in der Stadt Wohnungsnot herrscht, stehen viele Apartments in heruntergekommenen Wohnblocks offensichtlich leer.

Unter el-Sisis Regiment dominiert die Armee nicht nur Staatsverwaltung und Repressionsapparat, sondern auch die Wirtschaft. „Während die Türkei Drohnen herstellt, verkauft unsere Armee Kekse und Garnelen“, kritisiert der Milliardär Naguib Sawiris. Er beklagte bereits vor Jahren gegenüber der Nachrichtenagentur AFP  den „unfairen Wettbewerb in der ägyptischen Wirtschaft“, wo Unternehmen des militärisch-industriellen Komplexes anders als ihre privatwirtschaftlichen Konkurrenten weder Steuern noch Zölle bezahlen.

Als Unternehmensholding des Militärs fungiert seit Ende der 1970er Jahre die National Service Projects Organization (NSPO). Sie betreibt Produktions- und Handelsfirmen und entwickelt Infrastrukturprojekte, baut Brücken, Tunnels und ganze Städte. Schätzungen der Washington Post zufolge kontrollierte das ägyptische Militär bereits 2014 bis zu 60% der nationalen Volkswirtschaft.

Zwar hat der Internationale Währungsfonds (IWF) Ägypten zuletzt eine Stabilisierung seiner makroökonomischen Situation bescheinigt, dennoch ist das Land weiterhin angewiesen auf Milliardenkredite von IWF, Weltbank, Europäischer Union und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dies hindert Abdel Fattah el-Sisi nicht, sich in der Tradition seiner Vorgänger Nasser, Sadat und Mubarak in infrastrukturellen Großprojekten und Stadtgründungen zu verewigen.

Gerade mal ein Jahr nach seinem Amtsantritt wurde der sogenannte Neue Suezkanal fertiggestellt. Bei ihm handelt es sich um eine 8,5 Mrd $. teure und 35 Kilometer lange Erweiterung, die es Schiffen ermöglicht, den Kanal gleichzeitig in beide Richtungen zu durchqueren.

Im Februar 2016 lancierte Abdel Fattah el-Sisi seine „Vision Egypt 2030”, erklärtermaßen eine nationale Entwicklungsagenda zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele. So zielt das Projekt Hayah Karima (deutsch würdiges Leben) darauf ab, den sechzig Millionen in Dörfern der Provinz lebenden Ägyptern Wohnraum, medizinische Versorgung und Bildungsangebote zur Verfügung stellen.

Neue Hauptstadt in der Wüste

Ein Beispiel urbanistischer Megalomanie ist die noch namenlose New Administrative Capital (NAC). In der auf einer Fläche von 725 Quadratkilometern errichteten neuen ägyptischen Hauptstadt rund 45 Kilometer östlich von Kairo sollen einmal über sechs Millionen Menschen leben. Gegenwärtig leben laut Projektentwickler Administrative Capital for Urban Development (ACUD) rund 10.000 Familien in der Wüstenstadt und 48.000 Beamte pendeln überwiegend mit dem Zug aus Kairo zur Arbeit in den Regierungsinstitutionen und Ministerien.

Parlament in der Hauptsadt NAC
Das Parlament in der neuen Hauptsadt NAC. Bild: Frank Stier

Der erste Bauabschnitt mit Präsidentenpalast, Parlament, Ministerrat und Ministerien sowie einem Finanzviertel ist für eine Investitionssumme von rund 500 Milliarden Ägyptischen Pfund (10,6 Mrd $) fertiggestellt. Auch eine Moschee und eine Kathedrale sind bereits errichtet und als Stadtkrone ragt Afrikas höchster Wolkenkratzer Iconic Tower 394 Meter in den Himmel.

In völligem Gegensatz zum historischen Kairo versprüht die neue Kapitale in der Wüstensonne aber die urbane Atmosphäre einer Geisterstadt. Geschäfte gibt es noch nicht und nur wenig Menschen verlieren sich in ihren breiten schattenlosen Straßen. Am Rande der Stadt warten bereits die ersten uniformen Trabantenstädte auf ihre Bewohner.

Die Gesamtkosten der als Smart City konzipierten NAC werden auf rund 59 Mrd $ geschätzt. Künstliche Intelligenz soll in der von tausenden installierten Kameras überwachten Stadt den Verbrauch von Strom, Gas und Wasser reduzieren und die Entsorgungswirtschaft optimieren, heißt es.

Die Entlastung des übervölkerten Kairos ist das offizielle Ziel der Entwicklung von NAC. Als weitere Intention hinter dem Projekt dürfte aber die Absicht stehen, die Staatsführung durch ihre Verlagerung aus Kairo vor Protesten wie denen des Arabischen Frühlings von 2011 am Tahrir-Platz zu bewahren.

Stadtzentrum von Kairo
Flucht aus Downtown Kairo. Bild: Frank Stier

Kritiker bezweifeln, dass der Bau der neuen Verwaltungskapitale helfen wird, Kairos urbane Herausforderungen zu bewältigen. „Das Problem des überfüllten Kairos liegt nicht nur im unkontrollierbaren Bevölkerungswachstum, sondern auch in der mangelnden Möglichkeit der Menschen, dort, wo sie herkommen, ein angemessenes Leben zu führen“, sagt etwa der Urbanist Nicholas Simcik Arese.

Ihm zufolge gibt es in Kairo „einen großen Bestand an Wohnraum, der durchaus nutzbar ist. Würde die Regierung nur einen kleinen Teil dieser Investitionen dafür ausgeben, um die bestehenden Städte der Menschen funktionsfähig zu machen, könnte sich das Problem der Überfüllung meiner Meinung nach sehr schnell lösen.“

Wiederaufbau von Gaza

Aufgrund seiner Erfahrungen bei der Realisierung infrastruktureller Großprojekte sieht sich das el-Sisi-Regime dafür prädestiniert, nach einem Ende des Gaza-Kriegs in führender Funktion zum Wiederaufbau des Gaza-Streifens beizutragen. In den vergangenen Monaten hat Ägypten seine diplomatischen Bemühungen um einen Waffenstillstand verstärkt.

Am 4. März 2024 legte Abdel Fattah el-Sisi bei einem Treffen der Arabischen Liga in Kairo seinen Plan zum Wiederaufbau Gazas nach Kriegsende vor. Sein einhundert Seiten langer Plan wurde von der Arabischen Liga gebilligt und fand zudem die Unterstützung der Regierungen von Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

Im Gegensatz zu Donald Trumps Vision von Gaza als einem „Riviera des Nahen Ostens“, die eine Vertreibung der Palästinenser bedeuten würde, zielt der Plan des ägyptischen Präsidenten auf die Schaffung eines eigenständigen paläs­tinensischen Staates im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung ab. Zuletzt erläuterte el-Sisi seine Vorstellungen am 17. Mai 2025 beim 34. Gipfel der Arabischen Liga in Bagdad, auf dem zudem die Probleme in Syrien, Sudan, Libyen und Somalia zur Sprache kamen.

„Die Beendigung der Besatzung und die Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates entlang der Grenzen vom 4. Juni 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt ist die einzige und entscheidende Notwendigkeit, um die Region aus dem verheerenden Kreislauf der Gewalt zu befreien, der sie unaufhaltsam verwüstet und die Stabilität aller ihrer Völker ohne Ausnahme gefährdet“, sagte Präsident el-Sisi dabei.

Entsprechend den Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) veranschlagt sein Wiederaufbauplan für den Gaza-Streifen und das besetzte Westjordanland Kosten in Höhe von gut 53 Mrd $. Sie sollen durch diverse Geber wie den UN, Einzelstaaten und internationalen Finanzinstitute auf­gebracht werden. Dafür will Kairo schnellstmöglich eine Geberkonferenz.

Beim Bagdader Gipfel der Arabischen Liga griff el-Sisi Israel scharf an. Es habe „alles in Schutt und Asche gelegt und weder Kinder noch Alte in ihrem rücksichtslosen Vormarsch verschont”, setze  „Hunger und den Entzug der grundlegenden Gesundheitsversorgung als Waffe ein” und verfolge eine „gezielte Strategie der Zerstörung”, sagte er. Dies sei ein „Akt eklatanter Missachtung aller internationalen Gesetze und Normen”.

Der ägyptische Wiederaufbauplan für Gaza sieht drei Phasen vor; zunächst sollen in sechs Monaten Trümmer entlang der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung im Gazastreifen beseitigt, temporäre Unterkünfte errichtet und teil­weise beschädigte Wohnhäuser instand­gesetzt werden. Danach gehe es um den Auf­bau von Versorgungsnetzen und weite­rer Wohneinheiten und schließlich sollen in der auf zweieinhalb Jahre angesetzten letzten Phase des Wiederaufbaus weitere Wohnungen, eine Industriezone, ein Fischerei- und Handelshafen sowie ein internationaler Flughafen errichtet werden.

Ein Komitee aus Technokraten solle die humanitäre Hilfe koordinieren und den Weg für eine Übernahme der Verwaltung Gazas durch die Palästinensische Autonomiebehörde ebnen. Eine inter­national manda­tierte Friedenstruppe habe die Wahrung der Sicherheit zu garantieren und der Wiederaufbau sei durch einen „einen politischen Prozess zur dauerhaften Kon­fliktregelung zu flankieren“, sieht Ägyptens Wiederaufbauplan für Palästina vor.

Frank Stier

Frank Stier lebt seit 2006 in Sofia. Er hat 1994 in Berlin sein Studium der Geschichte und Soziologie abgeschlossen und war dort als Historiker und Stadtführer tätig. Seit 2002 veröffentlicht Stier als freier Korrespondent für Südosteuropa überwiegend in Print- und Onlinemedien wie „Tagesspiegel“, „Cicero“ und „Telepolis“.
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11 Kommentare

  1. „Zwar hat der Internationale Währungsfonds (IWF) Ägypten zuletzt eine Stabilisierung seiner makroökonomischen Situation bescheinigt, dennoch ist das Land weiterhin angewiesen auf Milliardenkredite von IWF, Weltbank, Europäischer Union und den Vereinigten Arabischen Emiraten.“

    Ein zarter Hinweis, dass Ägypten (wie die Mehrzahl der Länder des globalen Südens) in der Schuldenfalle gefangen ist und so die Gläubiger des Westens die Politik maßgeblich mitbestimmen. Und solange sich das ägyptische Militärregime gegenüber den westlichen Kapitalgebern wohlfeil verhält bekommt es auch keine Probleme – anders als Assads Syrien, das auf Souveränität bestand und deshalb weg musste.

  2. Die Ägyptische Armee kontrolliert über
    eine Unternehmens-Holding weite Teile
    der Wirtschaft; 60 % werden genannt.
    Da könnte man von einer Verstaatlichten
    Industrie sprechen. Besser sie unterneh -men was, als sie schießen. – Oder ?

  3. Der arabische Frühling war zuerst ein sozialer Aufstand an der Peripherie des Kapitalismus. Trotz der Forderungen nach Brot wird diese soziale Dimension oft vernachlässigt. Aus diesem Geunde verweise ich hier auf den Marburger Prof. R. Ouaissa:

    Ouaissa, Rachid/Gertel, Jörg (2017): Die arabische Mittelschicht: Prekarität und Mobilisierung. In: Gertel, Jörg/Hexel, Ralf (Hrsg.): Zwischen Ungewissheit und Zuversicht. Jugend im Nahen Osten und in Nordafrika. Bonn: Dietz, S. 195-214.

  4. Die überforderte staatliche Infrastruktur wird durch Korruption zum Mühlstein um den Hals des Landes. In Ägypten geht das seit Jahrtausenden so.

  5. „Im Februar 2016 lancierte Abdel Fattah el-Sisi seine „Vision Egypt 2030”, erklärtermaßen eine nationale Entwicklungsagenda zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele. “
    Ah! Ein WEF-konformer, also guter, Diktator. Keine weiteren Fragen.

  6. Was die da so aus dem Wüstensand stampfen- hab mal nach Fotos geguckt, nicht nur KI-generierten Bildern in den Broschüren- kann eine gewisse Ähnlichkeit mit den den Speerschen Entwürfen zu Wünschen des Gröfaz nicht verhehlen.
    Wie machen die das energietechnisch? Grünende Bäume, Blumenrabatten, gar ein Fluß- das alles zu bewässern und die Stadt zu kühlen, das muss ja Unsummen verschlingen.

        1. aber nicht wirklich man benötigt die Arbeitsleistung für Waffenkäufe. Die Muslimbrüderschaft befürwortete nicht jede, das Al Sisi Regime auch nicht jedr. Aber solange die Waffen kaufen staärkt es doch die amerikanische Industrie.
          Der Rest ist politische Ablenkung.

  7. New Administrative Capital – Albert Speer hätte seine helle Freude daran gehabt. „Germania“ lässt grüßen.
    Diese faschistische Herrschaftsarchitektur sieht doch überall gleich schrecklich und entmenschlicht aus.

    Besser siehts da in Brasilien mit „Brasilia“ aus. Das ist architektonisch wirklich interessant und reizvoll. Es wirkt experimentell, phantasievoll und in seiner ganzen Art einmalig. Oscar Niemeyer hat da ganze Arbeit geleistet.

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