
1945 sollte alles anders werden. Doch die Etablierung einer bloß formalen Demokratie öffnete die Tore, die in den Autoritarismus führen.
Fast niemand kann sich mehr persönlich erinnern, in welchem Zustand sich Deutschland befand. In fast religiös zu nennender Inbrunst waren die Menschen einem Heilsbringer hinterhergelaufen, der sie direkt in die Katastrophe steuerte. Nach bedingungsloser Kapitulation der glorreichen Wehrmacht, irrten sie nun in den zertrümmerten Städten umher. Soldaten, die ihre Familien suchten, Kinder, die keine Eltern mehr hatten, „Ausgebombte“, die in Baracken schliefen. Andere wohnten in Kellern unter den zusammen gestürzten Häusern und versuchten, auf den Schwarzmärkten gegen Zigarettenwährung etwas zum Essen zu ergattern.
Vor allem in jenem extrem kalten Winter 1946/47 erfroren Hunderttausende oder starben an verschiedenen Krankheiten. Brennmaterial war Mangelware, und man ging auf „Kohlenklau“, wenn Güterzüge oder Lastwagen mit Briketts durchfuhren. Gehungert wurde überall. Frauen „hamsterten“ auf dem Land, indem sie bei Bauern Wertsachen, die sie noch hatten, gegen Butter oder ein Stück Schinken eintauschten.
Das Schicksal Deutschlands war völlig offen. Eine Regierung im eigentlichen Sinn gab es nicht. Deutschland wurde von den Siegermächten verwaltet. Es gab Pläne, Deutschland in eine Art Bauernrepublik umzuwandeln (den Morgenthauplan). Was wirklich werden würde, wusste niemand.
Wohlstand durch Konfrontation
Und dann kam der Neuanfang. Die Deutschen hatten ungeheures Glück. Jedenfalls im Westen. Im März 1946 stellte der britische Premierminister Winston Churchill fest, dass zwischen Ost und West ein „eiserner Vorhang“ niedergegangen sei. Die Welt fiel in verfeindete Blöcke auseinander, wodurch Deutschland plötzlich wieder wichtig wurde: zerrissen zwischen West und Ost, jeweils gegen jene Hemisphäre, die man als neuen Feind in einer neuen Konstellation zu identifizieren glaubte.
Nun stand alles erneut im Zeichen der Feindabwehr. Im Westen brauchte man nur jenes russische Gespenst zu reaktivieren, das schon unter den Nazis als „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“ halluziniert worden war. Das Schreckwort „Kommunismus“ oder schlicht der Warnruf „Moskau!“ genügten, um die erwarteten Reaktionen auszulösen. Im Osten musste ein neuer Feind etabliert werden, der „kapitalistische Imperialismus“.
Im Westen brachte das alte und zugleich neue Feindbild und die Aufrüstung im Zeichen dieser Konfrontation ihre Vorteile mit sich. Mit US-Hilfe versehen entsprechend dem sogenannten Marshallplan, nicht unklug gesteuert durch eine Währungsreform und den Weg in die Marktwirtschaft, nahm die westdeutsche Wirtschaft einen erstaunlichen Aufschwung, nicht ganz zu Unrecht als „Wirtschaftswunder“ bezeichnet. Der Zusammenbruch wenige Jahre zuvor wurde rasch vergessen. Bald war von Neuanschaffungen wie Kühlschränken und Fernsehgeräten die Rede und nur ungern von Politik und der grauenhaften Vergangenheit.
Das Volk fand sich beglückt. Man sattelte seine Vespa oder stieg in den gerade erstandenen, aber bereits unter Hitler eingeführten „Volkswagen“ und machte sich auf an die Oberitalienischen Seen. Sehr bezeichnend für die weitere Entwicklung der Bundesrepublik hieß der VW-Käfer bis 1945 „KdF-Wagen“. Nun war „Kraft durch Freude“ unter veränderten Vorzeichen erneut Teil jenes Konzepts, welches „das Volk“ zusammenhalten sollte und neben dem kleinen Eigenheim „im Grünen“ die materielle Achse der „sozialen Marktwirtschaft“. Ähnlich wie damals, bevor dann der Krieg begann.
Personelle Kontinuität
Auf staatsrechtlichem Gebiet entstand im Westen das Deutsche Grundgesetz. Keineswegs von den Westalliierten diktiert, wenn auch von ihnen geprüft und zugelassen, wurde es von Deutschen Juristen ausgearbeitet und von einem Parlamentarischen Rat verabschiedet. Viele Mitglieder dieses Gremiums hatten sich im Widerstand gegen die Nazis befunden.
Diesen Neuanfang habe ich selbst – im vorletzten Kriegsjahr geboren – nicht bewusst miterlebt. Als Schüler war ich noch unpolitisch, auch wenn ich allmählich meine liberalen Neigungen entdeckte. Erst später erfasste mich eine Art politische Wut, als ich realisierte, in welchem Ausmaß ehemalige Nazis den Beginn der westdeutschen Republik mitgestaltet hatten. Der Chef des Bundeskanzleramtes unter Konrad Adenauer, Hans Globke, war das prominenteste Beispiel einer personell hochgradigen Kontinuität zwischen dem „Dritten Reich“ und der westdeutschen Republik. Der Jurist Globke war unter den Nazis als Kommentator der Nürnberger Rassengesetze aufgetreten.
Richter, Staatsanwälte, hohe Beamte waren überhaupt mehrheitlich überzeugte Nazis gewesen. Die sogenannte Entnazifizierung bestand darin, dass auch aktiven Tätern der Nazizeit, im Sinne eines Waschmittels, wie es hieß, „Persilscheine“ ausgestellt wurden („Persil wäscht weißer als weiß“), womit sie als brauchbar für den westdeutschen Neubeginn angesehen werden konnten.
Überall Nazis
Meine erste wirkliche Politisierung erfuhr ich, als mir klar wurde, dass auch in meiner unmittelbaren Umgebung so gut wie jeder zweite der Älteren zu Hitlers Gefolgschaft gehört hatte. Vor allem meine Professoren, die mich in Politikwissenschaft oder in Verfassungsrecht unterwiesen: die meisten davon waren Nazis gewesen oder wenigstens zustimmende Mitläufer. Jetzt allerdings hatten sie sich „gewendet“, indem sie so taten, als sei ihnen Demokratie stets ein Herzensanliegen gewesen.
Das Paradebeispiel eine solchen Wendehalses war der prominente Professor für öffentliches Recht, Theodor Maunz – jedem älteren Juristen aus dem Grundgesetzkommentar Maunz/Dürig bekannt. Nach dem Krieg schien er urplötzlich ein Art Sozialliberaler geworden zu sein. Doch als ehemaliger SA-Mann und NS-Parteimitglied gab er seinen wahren Überzeugungen Ausdruck, indem er anonym für die rechtsextreme „National-Zeitung“ schrieb. Diese war die Plattform der ewig Gestrigen, der gescheiterten Militärs („Verlorene Siege“ nannten sich die Memoiren des NS-Generals Erich von Manstein) und überzeugten Faschisten. Eine solche Schizophrenie, so kam es bei uns Jungen an, gehörte offenbar zur Maskerade vieler Honoratioren der neuen Republik.
Kein Wunder, dass ich sehr rasch meine harmlos liberale Haltung zu einer betonten Autoritätskritik zuspitzte. Gereifte Männer in Anzug und Krawatte, Frauen mit seriös ondolierter Frisur gaukelten Autorität vor und hatten nur kurz zuvor die NS-Zerstörungsmaschinerie bedient. Die damalige Sentenz „Trau keinem über Dreißig“ wurde mein Wahlspruch. Und tatsächlich – wem war da noch zu trauen?
Demokratie?
Dann kam 1968. Für mich ein Aha-Erlebnis. Ich entdeckte den Kapitalismus. Demokratie hatte ich mir so vorgestellt, dass dort jeder Staatsbürger, basierend auf einem Höchstmaß an Gleichheit, seine Stimme einbringen kann. Selbstverständlich ging für mich daher, wie es im Deutschen Grundgesetz in Artikel 20 heißt, alle Staatsgewalt „vom Volke aus“. Das war der gravierende Unterschied zu Hitlers Arierparadies. Der Begriff „Volk“ war dort eine rassistische Illusion, so wie heute wieder bei den Rechtspopulisten.
Während in Berlin und Frankfurt am Main die Studenten rebellierten und ich mich intensiv mit Marx und Engels beschäftigte, wurde mir klar, dass eine solche Demokratie eigentlich gar nicht existierte. Peter von Oertzen, von 1970 bis 1974 niedersächsischer Kultusminister und Politikwissenschaftler, nannte sie schon damals „konstitutionelle Oligarchie“. Wie ist es möglich, von Demokratie zu sprechen, wenn das große Geld und damit der wirkmächtige Einfluss (tatsächlich also ein Großteil der realen Macht) von einer ganz kleinen Minderheit ausgeht? Vor allem störte mich, dass diese Privilegien durch die gemeinsame Arbeitsanstrengung der Vielen hervorgebracht werden. Ich empfand das große Privateigentum an Produktionsmitteln als illegitime Okkupation fremder Arbeitsleistungen. Das widersprach meinen freiheitlichen Überzeugungen.
Die Gründerideen der westdeutschen Demokratie
So fragte ich mich, was eigentlich die Grundideen derer gewesen waren, die unmittelbar nach dem Zusammenbruch im Mai 1945 die Basis für die westdeutsche Demokratie gelegt hatten. Meine Überraschung war nicht gering, als ich entdeckte, dass viele derer, die damals die Gründerideen lieferten, ganz ähnlich dachten. Alle wollten eine freiheitliche und parlamentarische Demokratie, aber viele nahmen dabei kritisch den Kapitalismus ins Visier.
Insbesondere war – wenn auch sehr vorübergehend – noch das Folgende bekannt: Ohne die aktive Unterstützung des großen und es kleinen Kapitals hätte der Zweite Weltkrieg nicht stattfinden können. Selbst an der „Endlösung“ war prächtig verdient worden. Unternehmungen wie etwa Krupp profitierten von jenen „Sklavenarbeitern“, die man als Kriegsgefangene oder als verschleppte Zivilisten aus den besetzten Gebieten herantransportierte. Selbst Bauern hielten sich solche „Untermenschen“. In den Nürnberger Nachfolgeprozessen standen daher auch Kapitalisten vor Gericht wie etwa Friedrich Flick, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach oder Manager des IG-Farbenkonzern. Konzerne traten als Privatinvestoren von KZz auf, und die Verarbeitung der Haare von Ermordeten zu Matratzenfüllungen oder deren Fett zu Seife war ebenfalls ein „Geschäft“ gewesen, das Aktionäre durch den Anstieg der Dividenden feierten.
Weithin bekannt war damals noch: Kapitalismus und Faschismus sind Geschwister. Jedenfalls trägt der Kapitalismus die Tendenz in sich, in öffentliche Skrupellosigkeit und den Autoritarismus umzuschlagen – eine Wahrheit, die wir gegenwärtig erneut hautnah miterleben.
Von solchen und ähnlichen Tatbeständen gingen damals viele der ersten programmatischen Beschlüsse der Parteien oder Gewerkschaften aus. Ganz besonders natürlich der SPD, die damals ihre antikapitalistische Tradition noch nicht abgelegt hatte und nach dem Krieg zu den neben den Neugründungen CDU und CSU mit Abstand wichtigsten Parteien gehörte. Im damals immer noch gültigen Heidelberger Programm der SPD stand beispielsweise folgender Satz: „Das Ziel der Arbeiterklasse kann nur erreicht werden durch die Verwandlung des kapitalistischen Privateigentums an den Produktionsmitteln in gesellschaftliches Eigentum.“ Erst mit dem Godesberger Programm von 1959 schwächte die SPD diesen Standpunkt entscheidend ab und gab ihn später vollkommen auf. Der oben genannte Sozialdemokrat Peter von Oertzen war einer der Hauptkritiker dieses fundamentalen programmatischen Schwenks und legte 1959 einen Alternativentwurf vor.
Seitdem ist die Sozialdemokratie eine jener Parteien, die heute – jedenfalls gemessen an ihrer Regierungspraxis – im Entscheidenden das Gegenteil dessen vertreten, was während ihrer Anfangsjahrzehnte zu ihren Kernüberzeugungen gehörte. Ein weiteres Beispiel sind vor allem die Grünen, die allerdings erst 1980 gegründet wurden, und freilich auf ihre Weise gewiss auch die CDU/CSU.
Kapitalismus und Demokratie sind Gegensätze
Auf einen merkwürdigen Programmsatz stieß ich, als ich das Ahlener Wirtschaftsprogramm der CDU für Nordrhein-Westfalen vom 3. Februar 1947 las. „Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen.“
Es war kein Problem, solche oder ähnliche Aussagen aus den Anfangsjahren in den Reden von Sozialdemokraten, vor allem des Vorsitzenden der West-SPD und späteren Oppositionsführers Kurt Schumacher zu finden. Schwer gesundheitlich angeschlagen, hatte er von den 12 Jahren der Diktatur fast zehn Jahre in verschiedenen KZs und Gefängnissen verbracht. Schumacher fand überhaupt, dass sich Demokratie und Kapitalismus gegenseitig ausschließen. Oder Aussagen in den Grundsätzen des Deutschen Gewerkschaftsbundes von 1949. Zum Beispiel diese: „Die Erfahrungen der Jahre 1918 bis 1933 haben gelehrt, dass die formale politische Demokratie nicht ausreicht, eine echte demokratische Gesellschaftsordnung zu verwirklichen. Die Demokratisierung des politischen Lebens muss daher durch die Demokratisierung der Wirtschaft ergänzt werden.“
Hier tauchte der Begriff der „formalen“ politischen Demokratie auf. Lange gehörte er zu den kritischen Bezeichnungen für den bürgerlichen Parlamentarismus und war in sozialdemokratischen und marxistischen Kreisen ein wichtiger analytischer Maßstab. Im politischen Bereich könne noch so oft abgestimmt werden, – wenn im wirtschaftlichen und im Bereich der Finanzierungsfragen der Besitzadel den Ton angibt, handele es sich praktisch nur um eine halbe Demokratie oder eine bloße Form ohne Inhalt. Viele Sozialdemokraten vor 1959 waren der Ansicht, dass es noch nicht einmal eine halbe Demokratie sei, sondern gar keine.
Jakob Kaiser
Interessant fand ich einen CDU-Mann. Und zwar Jakob Kaiser. Der ehemalige Buchbinder und Mitbegründer der CDU in Berlin war geprägt durch sein Engagement in der christlichen Gewerkschaftsbewegung und in der Zentrumspartei sowie durch die Verfolgung während der Nazizeit. Von der Gestapo monatelang inhaftiert, entzog er sich weiteren Verhaftungen dadurch, dass er sich in einem Keller versteckt hielt.
Kaiser war der Meinung, dass der Neuanfang fundamental sein müsse. Seine Vision war ein christlich verstandener Sozialismus. Mit dem Ende des Krieges sei das bürgerliche Zeitalter vorbei und ein solidarisches, soziales Zeitalter würde beginnen. Dieses beruhe auf Gemeineigentum. „Es kommt auf die Erkenntnis an, dass es mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu Ende geht. Und dass eine neue soziale Ordnung an ihre Stelle treten muss.“ Ein Gemeinwesen ohne Kapitalismus nannte er „wahre Demokratie“.
Wichtig aus heutiger Sicht: Obgleich Sozialist, lehnte Kaiser jenen „Sozialismus“, der sich in Mitteldeutschland herausbildete, entschieden ab. Er hing jener Formel an, die auch die ältere Sozialdemokratie zum Kernbestand ihrer Programmatik zählte: Sozialismus ist Demokratie und Demokratie ist Sozialismus. In diesem Sinn konnte Kurt Schumacher geradezu als neomarxistischer Antikommunist angesprochen werden. Es war eine Propagandaleistung rechter Kreise, der Bevölkerung die Idee einer gemeinwirtschaftlichen Ordnung zu verunglimpfen und ihr die Fortführung, ja die Zuspitzung der alten Vermögensungleichheit als naturgegeben zu suggerieren, sofern man überhaupt etwas davon erfuhr. Laut dem sogenannten Krelle-Gutachten von 1973 besaßen die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung etwa 50 Prozent des gesamten Vermögens, während die unteren 50 Prozent nur etwa 4 Prozent des Vermögens hielten. Die Bundesrepublik Deutschland war unterdessen – wie Schumacher schon Jahre zuvor kritisiert hatte – längst zu einem „Besitzverteidigungsstaat“ geworden.
Halbe Demokratie – halber Sozialismus
Und die DDR? Während man im Hinblick auf die Bundesrepublik Deutschland von einer halben Demokratie sprechen konnte, entwickelte sich dort ein halber Sozialismus. Ernsthafte Anstrengungen, durch Gemeineigentum und sozialen Ausgleich die Dominanz des Geldadels zu brechen, wurden paradox mit der Diktatur einer kommunistischen Elite verbunden, die aus einer Reihe alter Männer im „Politbüro“ bestand. Diese behaupteten, sie seien die Sachwalter objektiver Wahrheiten, die man in den Lehrbüchern der marxistisch-leninistischen Weltanschauung nachlesen konnte.
Die Verhärtungen dieser senilen Elite, ihr Versuch, das, was sie als Sozialismus missverstand, mehr oder weniger mit Gewalt durchzuprügeln, sind freilich kaum ohne die permanenten Feindseligkeiten des Westens zu erklären. Im Westen galten schließlich auch demokratische Sozialisten als nützliche Idioten Moskaus, im Osten wurden praktisch alle Reformwilligen als „Klassenfeinde“ verfolgt.
Man könnte annehmen, dass nach der Wiedervereinigung – wie es von DDR-Oppositionellen angedacht worden war – eine Weiterentwicklung der gesamtdeutschen Demokratie ins Auge gefasst wurde. Als aber der Anschluss der „neuen Bundesländer“ schlicht als Okkupation des Ostens durch den Westen vollzogen wurde und das Volkseigentum der DDR-Bürger schamlos an private Kleptokraten verscherbelt wurde, kam es zu einer Demütigung der ehemaligen DDR-Bevölkerung, die mental die Basis für die heutigen AfD-Erfolge legte. Übrigens im Hinblick auf die „Privatisierung“ des Volkseigentums ein vergleichbarer Vorgang wie in Russland, der dort schneller und deutlicher zur Herrschaft der Oligarchen führte, die von Putin weniger gebändigt als in seinem Sinn gesteuert wurden.
Eine Synthese von Demokratie und Sozialismus, dem letztlich identischen Geschwisterpaar, kam daher weder in der DDR noch in der alten Bundesrepublik und auch nicht im wiedervereinigten Deutschland zustande. Die zweite Gelegenheit einer konsequenten Demokratisierung war verschenkt worden. Die im Westen ausgearbeiteten alternativen Konzeptionen, etwa einer „Wirtschaftsdemokratie“ (Fritz Naphtali) oder der Nutzung des Genossenschaftsgedankens als Strukturmoment einer demokratischen Gesellschaft hatten keine Chance.
Die neoliberale Wende
Dann kam der Epochenumbruch. 1991 kollabierte die Sowjetunion. Da passte es, dass sich im Westen eine neue Interpretation der Welt durchgesetzt hatte. Ursprünglich aus Österreich stammend, verbreitete sich unter den Kapitaleliten eine bislang gerade unter Ökonomen vorwiegend abgelehnte Theorie, wie Wirtschaft und Gesellschaft stringenter im Sinne der Interessen des Geldadels auszurichten seien.
Dieser als Neoklassik oder als Neoliberalismus bezeichnete ökonomische Ansatz war im Grunde nichts anderes als Marktradikalismus, der politisch keineswegs liberal, sondern eher rechtsorientiert war. Seine Steigerung erfährt er heute durch libertäre Vorstellungen, die etwa in Argentinien durch Javier Milei oder in den USA durch Tech-Milliardäre wie Elon Musk repräsentiert werden.
Zum Feind erklärt wurde vor allem der Staat. Dessen immerhin begrenztes Engagement für die Lohnabhängigen, die aus der Sicht des Reichtums bestehende Gefahr, dass er dabei auf die Riesenvermögen des Geldadels zurückgreifen könnte, wurde als „Weg in die Knechtschaft“ (von Hayek) denunziert. Wenn Trump und Musk zur Zeit öffentliche Institutionen zertrümmern, so entspricht dies diesem Ansatz. Nur „private“ Initiative soll geduldet werden. Was den Demokratiegedanken angeht, so wabert im Hintergrund eine seltsame Vorstellung: nämlich, dass Markt und Demokratie eigentlich identisch seien. Durch seine Kaufentscheidung habe jeder Bürger permanent die Möglichkeit darüber abzustimmen, was angesagt ist. Der radikalste Kapitalismus sei daher identisch mit der perfektesten Demokratie.
Gegenwärtig erleben wir den nächsten Schritt des neoliberalen Umbruchs. Der Kapitalismus gebiert den totalen Autoritarismus. Nach den Zwischenphasen der formalen Demokratie und der Zerstörung auch der Reste an sozialer Verbundenheit und gemeinwirtschaftlicher Solidarität ist es für den Geldadel kein Problem mehr, die Idee der Demokratie überhaupt fallen zu lassen. Genauer: Sie durch den Austausch der Bewusstseinsinhalte der Bevölkerung überflüssig zu machen.
Bewusstseinsindustrie
Ich gebe zu, dass mir diese mögliche Dystopie bereits 1968 vor Augen stand. Damals wurde allenthalben gegen Axel Springers Bild-Zeitung demonstriert. Rudi Dutschke wurde angeschossen, weil die rebellierenden Studenten zuvor durch die Berliner Ausgabe dieses Blattes verteufelt worden waren. Hans Magnus Enzensberger hatte den Begriff „Bewusstseinsindustrie“ geprägt. Massenbewusstsein kann gewissermaßen industriell erzeugt und mit fast jedem beliebigen Inhalt gefüllt werden. Heute lassen sich breite Massen gewiss dadurch ruhigstellen, indem man sie, versehen mit 3D-Brillen, mit allerlei Märchenwelten und mit Pornos versorgt. Auf den „sozialen“ Plattformen können sie sich wirkungslos austoben. Technisch-industriell sind die Möglichkeiten mentaler Beherrschung unterdessen grenzenlos.
Alt geworden frage ich mich, ob ich Pessimist oder Optimist sein soll. Ganz offensichtlich ist die neuzeitliche Idee von wahrer Demokratie nicht tot zu kriegen. Die zahllosen Demonstrierenden gegen rechts des letzten Jahres schienen zwar kaum eine Ahnung davon zu haben, woher die eigentliche Bedrohung unserer halben Demokratie kommt, aber sie richteten sich zumindest gegen die Agenten des neuen Autoritarismus.
Pessimistisch stimmt mich die Unverfrorenheit, mit der Kettensägen schwingende Schreihälse (von Milei und Musk ist die Rede) herumspringen, um den Endsieg des Geldadels zu verkünden. Mittelalterlicher Adel zeigte mehr Würde. Wohin führt uns dieser Lärm einer niveaulosen Technokratenkaste? Ich weiß es nicht.
Tja, die Welt ist wie sie ist.
Die Welt ist wie sie ist, da zu Taten Täter gehören:
Zu den am meisten gehassten Arbeitgebern gehörte der kapitalistische Raubritter Jay Gould, Herr über ein 24 000 Kilometer langes Eisenbahnnetz. Gegenüber der Unterschicht hatte Gould nur Verachtung übrig und erklärte: »Ich kann die eine Hälfte der Arbeiterklasse einstellen, um die andere Hälfte der Arbeiterklasse zu erschiessen.«
(Daniele Ganser, Imperium USA: Die skrupellose Weltmacht, S. 93)
…dank der Mitmacher und Ja-Sager.
Und genau deswegen müssen wir die Revolution machen, weil die herrschende Klasse dabei ist uns zu töten!
Es wollen eben alle zur herrschenden Klasse gehören.
https://www.startpage.com/do/search?cmd=process_search&query=krabbenkorb&language=deutsch&lui=&pl=&ff=&t=air
Wenn ich heute nochmal ‒ egal wo ‒ das Wort „Zeitenwende“ lesen muss, erbreche ich mich hier quer über die Tastatur. (Gilt auch für „Koalition der Willigen“).
Bitte nicht über die DDR schreiben, von der wissen Sie nichts. Im Osten mußte nicht, wie Sie behaupten, ein neuer Feind installiert werden, der alte war noch da. Und dessen Grausamkeiten hatten die „alten Männer“, die nun die Politik bestimmten, am eigenen Leibe erlebt. Und das war leider das Problem. Die daraus resultierende Angst hat bis zum Schluß nahezu panisch auch jede „freie “ Auseinandersetzung mit dem Westen verhindert und die tödliche Selbsteinmauerung bewirkt.
Es gab handfeste Gründe für die „tödliche Selbsteinmauerung“. Während die SU und der „Ostblock“ die Kriegsfolgen im eigenen Land zu bewältigen hatten, pumpten die USA Geld in die BRD, um dort das kapitalistische Schaufenster BRD aufzubauen:
„Bereits seit Kriegsende verzeichnete die von den Sowjets besetzte Zone einen großen Bevölkerungsabgang in die den Westmächten unterstellten Gebiete.
Besonders bedrohlich war für die DDR-Regierung die Tatsache, daß sich unter den Aussiedlern junge, gut ausgebildete und für den wirtschaftlichen Aufschwung dringend gebrauchte Facharbeiter befanden.
Zudem nutzten viele Ostberliner die Möglichkeit, im Ostteil der Stadt vergleichsweise günstig zu wohnen und im Westteil der Stadt „harte Devisen“ zu verdienen. Diese konnte man in der DDR um ein Vielfaches in DDR-Geld eintauschen. “
https://www.ddr-geschichte.de/Politik/Mauerbau/mauerbau.html
Ja, während die Russen die zweiten Gleise abmontierten… allerdings darf man auch nicht unterschlagen, dass es mit einem anderen Wirtschaftssystem wahrscheinlich sehr viel schneller aufwärts gegangen wäre. Die DDR hatte eine Planwirtschaft… und die funktioniert halt nicht, was sich schon darin ausdrückt:
Warum konnte man das? Na weil man mit „Westgeld“ begehrte Güter kaufen konnte, mit „Ostgeld“ jedoch kaum. Und das wurde auch nicht besser, weil die DDR die Produkte, bei denen sie einigermaßen konkurrieren konnte, selbst in den Westen exportierte, weil sie die Devisen dringend für Rohstoffe und technische Innovationen (die sie selbst noch nicht herstellen konnte) brauchte.
Richtig, der Ostblock hatte sich auf einen System-Wettstreit eingelassen ohne über die materiellen Grundlagen zu verfügen um auch gewinnen zu können. Mit sehr viel mehr Kapital am Startpunkt nach dem 2. Weltkrieg war der Westen von Anfang an überlegen.
Laut Platon folgt der Demokratie die Tyrannis. Aristoteles ist da etwas gnädiger mit uns und packt noch die Monarchie dazwischen. Bei Machiavelli sieht es ähnlich aus, beschert uns aber zunächst noch Anarchie. Wie auch immer: Bei allen dreht es sich im Kreis bis alle Staatsformen durch sind. Es gibt noch ein paar mehr. Dann geht’s wider von vorne los. Ein Happy End scheint irgendwie nicht vorgesehen.
Kluger Artikel, den ich mit großem Interesse gelesen habe.
Ich stimme der Schlussfolgerung des Autor vollumfänglich zu, dass sich die Gesellschaft in Richtung einer „totalen Autokratie“ bewegt.
Mit dem Untergang der nun historischen Machtbalance zwischen Kapital und Arbeit zugunsten des Kapitals ist auch das Fundament der „liberalen Demokratie“ als stabile, den Klassenwiderspruch moderierende Herrschaftsform verschwunden.
Die Oligarchie hält es schlicht nicht mehr für nötig Kompromisse mit der Bevölkerung zu schließen. Die Überführung des Systems in die totale Herrschaft des Kapitals ist daher in vollem Gange.
Es zeichnet sich ab, dass, unter Beibehaltung der äußeren Form und gestützt auf die bestehenden Institutionen, die Schaffung einer totalitären Demokratie angestrebt wird, in der weiter regelmäßig bedeutungslose Wahlen abgehalten werden, Freiheits- und Mitspracherechte der Individuen aber politisch und technologisch vollständig neutralisiert seien werden.
Ebenfalls vorstellbar ist aber auch ein Kipppunkt, an dem die Wahrung des Scheins mittels Wahlen und Demokratiefolklore den Machthabern nicht mehr notwendig oder opportun erscheint. Biokatastrophe, Kriegsrecht, Klimanotstand, Alieninvasion – es wird sich was Passendes finden!
Das wäre dann der permanente Ausnahmezustand zur Rettung der Demokratie.
Wahrscheinlich ist für uns Beides vorgesehen. Ein totalitärer Alltag, der bei Bedarf jederzeit in den Ausnahmezustand geschaltet werden kann.
Da der größte Teil der bewusstseinskontrollierten Bevölkerung diese extrem gefährlichen Trajektorien nicht erkennt, halte ich es leider für wahrscheinlich, dass die herrschende Klasse mit ihren Zielen erfolgreich sein wird. Organisierter Widerstand ist nicht in Sicht.
Auch in diesem Artikel fehlt der Blick auf die antike Demokratie, wo mit sehr praktischen Mitteln der Oligarchie entgegen getreten wurde.
Die grundlegende Einsicht, dass Personenwahlen immer zuerst der Oligarchie nützen, wurde z.B. durch per Los bestimmte Räte beantwortet.
Die Verhältnisse in denen wir leben entsprechen in der Hinsicht noch nicht einmal der römischen Republik, wo immerhin jedes Jahr gewählt wurde und darüber hinaus neben dem Senat auch noch mehrere Räte mit Gesetzgewalt existierten.
Das einzige was den herrschenden westlichen Totalitarismus wegbringen wird ist kulturelle Evolution über die dann bestehenden Verhältnisse anders geregelt werden. Es wird sicher in Zukunft ein paar Gelegenheiten geben.
Mir wäre jetzt zuerst das Scherbengericht eingefallen. Räte sind aus verschiedenen Gründen nicht ganz unproblematisch und sind mir aus der attischen Demokratie auch nicht erinnerlich, hast du dazu eine Quelle?
Das ist die Aufteilung des Gebietes in 30 Bezirke, wo dann immer einmal Stadt, Küste und Land zusammen einen von 10 Räten mit je 50 Mitgliedern bilden. Die sind dann zusammen die Boulé, sozusagen das Parlament.
Das Scherbengericht diente dazu, zu sehr einflussreiche Oligarchen die tyrannische Absichten hatten, auf Zeit zu verbannen. Klar, dass darüber in der heutigen Propaganda wilde Schauergeschichten erzählt werden.
Ah, danke:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bule
der Begriff war mir nicht geläufig.
In den antiken Demokratien besass die grosse Mehrheit (Sklaven und Wanderarbeiter) kein Mitbestimmungsrecht. Machtmissbrauch war so allgegenwärtig wie in einer Oligarchie (siehe zb die Geschichte von Athen und dem Pantheon).
Ich will dir eigentlich nicht widersprechen, besonders die parlamentarische Demokratie stellt ein Mahnmal dar wie man in der Geschichte bereits gemachte Fehler wiederholt. Aber wir sollten die antiken Demokratien auch nicht verklären, sondern als Anschauungsbeispiel betrachten von dessen Fehlern man lernen könnte.
Das ist aber ein Frage der Bürgerrechte, nicht der Regierungsform. Im römischen Reich gab so um AD 200 das selbe Bürgerrecht für alle.
Ein sehr großer Teil der Jugendlichen will Influencer werden – ich (83) werde hoffentlich das soziale Resultat dieser Entwicklung nicht mehr erleben.
@ Edelbert : Influenza ? 81% Steht die nächste Seuche vor der Tür ?
Ich denke das sich die Menschheit bzw. eine Gesellschaft oder das Individuum nicht so ohne weiteres totalitär homogenisieren lässt.
Es gab noch nie und es gibt auch heute keine Gesellschaft mit einer komplett homogenisierten EInheitsmeinung.
Das lässt die Biologie nicht zu den es werden in jeder Gesellschaft jeden Tag neue Menschen geboren die von Links bis Rechts (um bei der klassischen Definition zu bleiben) jeden Tag auf’s neue ihre Meinung im möglichen menschlichen Spektrum vertreten.
Schon früh in unserem Leben versucht man deshalb unsere natürlichen Eigenschaften die uns eine individuelle Entiwcklung ermöglichen zu bändigen.
Zum guten Glück ist es zumindest bis jetzt unmöglich alle Menschen zu jeder Zeit zu einer EInheitsmeinung zu erziehen. Insofern besteht durchaus Hoffung das dem aktuelle System die Rechtfertigung aberkannt werden wird. Das dafür nötige Potential existiert immer und das lässt sich in den zahlreichen kritischen Fragen die in soziale Netzwerke/Leserbriefe verbannt wurden, erkennen.
Diese versucht man mit immer mehr Hinterlist, Schauprozessen und juristischer Gewalt zu unterdrücken.
*gicker*
Die üblichen Versatzstücke und Phrasen aus linker westdeutscher Sicht. Ausufernd, viel zu lang und mit zahlreichen diskussionsbedürftigen Interpretationen angereichert. Ich beschränke mich auf die Sachen, die mir am meisten aufgestoßen sind:
Ich kann die Empörung gut verstehen, lief es doch nach der Wende wieder genauso. Es ist zwar wenig tröstlich, aber eben eine Tatsache, dass geschultes Personal in einem Regime halt entsprechend stromlinienförmig ist. Wenn man an einem Aufbau interessiert ist, kommt man um diese Leute i.d.R. nicht herum und kann nur die davon aussortieren, die sich in größerem Umfang als Ideologen und Täter hervorgetan haben… gefällt mir nicht, ist aber so. Immerhin konnten die meisten damals noch was, während das woke Regime keine Probleme damit hat, auch Nixblicker an verantwortliche Stellen zu setzen, nur weil sie auf Linie sind und unter irgendeine inoffizielle Quotenregelung fallen.
Ja, Wunschträume, bei denen niemand weiß, wie sie umzusetzen wären.
Aber gut, diskutieren wir das, dazu sind wir ja hier. Wie würde eine „wahre Demokratie“ ohne „Kapitalismus“ denn aussehen? Was müsste z.B. verschwinden, damit wir keinen Kapitalismus mehr hätten?
Stromlinienförmigkeit ist das Eine, daß diese Schergen gezielt erneut in verantwortliche Position gehievt werden etwas Anderes:
Das Urteil sprach der Präsident des Obersten Gerichts der DDR, Heinrich Toeplitz, Mitglied der CDU und selbst rassisch Verfolgter. Neu war die Exakte Beweiskette dafür, dass der Völkermord zuerst durch Gesetz begangen, ehe er physisch vollzogen wurde. Wegen «in Mittäterschaft begangenen, fortgesetzten Verbrechens gegen die Menschlichkeit in teilweiser Tateinheit mit Mord» wurde Globke in Abwesenheit zu lebenslangem Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt.
Bästleins Fazit zum DDR-Prozess: «Diese Zusammenhänge wurden in Deutschland erstmals im Globke-Urteil umfassend dokumentiert. Das Oberste Gericht nahm dabei durchweg richtige historische Einordnungen vor, und diese übertrafen das damals herrschende Niveau bei weitem. … Die juristischen Ableitungen und Einordnungen der von Globke entworfenen NS-Normativakte waren fehlerfrei; die deutsche Geschichtswissenschaft erreichte dieses Niveau erst mehr als 40 Jahre später.»
Ohne die Vorarbeit des Juristen Globke wäre der Holocaust nicht möglich gewesen. Er schuf die juristischen Voraussetzungen für den Massenmord. «Globke gehört zu den Haupttätern in diesem Bereich.» Seine Verurteilung zu lebenslanger Haft war nach nationalem und internationalem Völkerrecht korrekt.
Schlimmer konnte es nicht kommen, zwischen dem CDU-Staat und dem Antifaschismus. Im ND hieß es in einem Kommentar: Adenauers rechte Hand ist rechtskräftig ein Zuchthäusler. Bästlein sieht darin Propaganda, aber der Satz beschreibt eine Tatsache. Dieses Skandalon lag nicht beim ND. Auch wenn es insgesamt mit Begriffen wie «Weltgericht» oder «Fortsetzung des Eichmann-Prozesses» die eigene Wahrnehmung in der Welt stark überhöhte und damit Glaubwürdigkeit verlor.
Adenauer war jedoch durch nichts zu bewegen, auf diesen Mann im Kanzleramt zu verzichten. Globke war «der zweite Mann im Staat». Er bereitete jede Regierungsentscheidung vor, hatte die Justiz fest im Auge, legte die Prioritäten fest. Das erste Gesetz, das im Bundestag verabschiedet wurde, war 1950 das Amnestie-Gesetz für NS-Täter! Über Globkes Schreibtisch gingen alle wichtigen Personalfragen. Er bestimmte den Umgang mit dem umstrittenen Art. 131 GG, der den Weg frei machte zur Weiterbeschäftigung der NS-Eliten. Und stand etwa die Frage im Raum, wer Präsident des Bundesgerichtshof werden sollte, so hatte ein jüdischer Liberaler keine Chance gegen ein Mitglied des einstigen Reichsgerichtes. Globke ebnete der Organisation Gehlen den Weg und ließ über sie die Opposition geheimdienstlich überwachen (auch SPD-Politiker wie Heinemann, Posser, Brandt, Wehner).
Die öffentliche Kritik an diesen Zuständen hielt sich in der Bundesrepublik im Kalten Krieg in Grenzen. Außer der jüdischen Journalistin Inge Deutschkron hat eigentlich niemand gegen den Altnazi protestiert, sagten die Historiker bei jener Buchvorstellung. Stattdessen habe Globke bei der Renazifizierung ganze Arbeit geleistet: Zwei Drittel der 9000 westdeutschen Richter und Staatsanwälte hatten schon unter Hitler gedient. Im Bundesjustizministerium, etwa in der Abteilung Strafrecht, waren 77 Prozent der leitenden Beamten einstige NSDAP-Mitglieder. Im Bundeskriminalamt war es nicht besser: Ende der 1950er Jahre kamen im höheren Dienst zwei Drittel aus der SS. Beim BND hatte die Hälfte der Mitglieder eine NS-Vergangenheit.
Auch die DDR wollte oder konnte nicht völlig auf ehemalige NSDAP-Mitglieder verzichten. Aber ihre Personalpolitik zeigte doch, das man nicht in solch perversem Ausmaß auf das Nazi-Erbe von acht Millionen NSDAP-Mitgliedern angewiesen war. Im Bereich Innere Sicherheit, also in der Staatssicherheit, der Volkspolizei und der höchsten Leitungsebene des Innenministeriums, arbeiteten bis 1970 zehnmal weniger einstige Parteigenossen (Pgs), nämlich 7 Prozent. Auf der mittleren Ebene des Innenministeriums sollen es 20 Prozent gewesen sein; auch die Armee setzte auf Sachkenntnis. Doch wirklich Schwerbelastete kamen nirgends in Verantwortung. Die Wiederverwendung beschränkte sich, bis auf wenige Ausnahmen aus der mittleren Ebene, auf niedere Chargen und nominelle NSDAP-Mitglieder, deren Werdegang überprüft wurde, was im Einzelfall Jahre dauern konnte.
Im Westen dagegen gehörten schwer Belastete aus der NS-Funktionselite sehr bald wieder zur neu-alten Elite im öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft. Als Kanzleramtschef Globke, der in der Bundesrepublik als unbelastet entnazifiziert worden war, im Oktober 1963 zusammen mit Adenauer zurücktrat, hatte er das Werk der personalen Renazifizierung der Bundesrepublik abgeschlossen. Es habe in der BRD bestenfalls «Streicheleinheiten für Mördernazis» gegeben, so im selben Jahr der Philosoph Ernst Bloch. Von Globkes Erbe hat sich die Bundesrepublik bis heute nicht erholt. Das lässt sich nur mit Absicht erklären. Ostdeutsche mussten nach der Vereinigung den Eindruck gewinnen, dass sie das auch spüren sollen.
( Daniela Dahn, Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute: Die Einheit – eine Abrechnung, S. 106-109)
Und man wußte auch was tun war, ganz so wie die Reaktion, die dieses Tun unterband:
Der 17. Juni und die vergessene Unterdrückung von Streiks und Volksaufständen im Westen Deutschlands
17. Juni 2024
Bund und Länder erinnern auch in diesem Jahr mit Kranzniederlegungen, Konferenzen und Ausstellungen an den „Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953“ und dessen Niederschlagung durch sowjetische Truppen. Doch auch in der westlichen Besatzungszone schickten Briten und US-Amerikaner Panzer bei Protesten und Streiks. Nur fand dies bis heute kaum Eingang in die Geschichtsbücher und ist somit aus der bundesdeutschen Erinnerungskultur gelöscht. Von Florian Warweg.
1952 erklärte der Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Hans Carl Nipperdey, welcher zuvor bereits Karriere als Arbeitsrechtler im „Dritten Reich“ gemacht hatte und Mitautor des „Arbeitsordnungsgesetzes“ von 1934 war, alle Formen des politischen Streiks in der Bundesrepublik für illegal. Das entsprach dem Gedankengut, das Nipperdey bereits während seiner Zeit als Nazi-Jurist vertreten hatte, als er von der Pflicht des „Gefolgsmannes gegenüber dem Gefolgschaftsführer“ sprach.
Dieses bis heute in der EU einzigartige Verbot hat seinen Ursprung unter anderem in dem einzigen Generalstreik, der im Herbst 1948 die „Westzone“ erschütterte. Die damalige Protestwelle wurde von den Alliierten ähnlich beantwortet wie der 17. Juni 1953 – mit einem Unterschied: Im Gegensatz zu den Ereignissen von 1953 in der sowjetischen Zone griff die US-amerikanische Besatzungsmacht sofort ein.
Panzer, Maschinengewehre und Bajonette gegen protestierende Arbeiter in Stuttgart
Ein frühes Zentrum der Proteste, die zum Generalstreik führten, war die Stuttgarter Industrieregion. Dort war es am 28. Oktober 1948 nach Streiks und Protesten für Preisregulierung, Lohnerhöhung und politische Mitbestimmung zu schweren Unruhen gekommen, die die US-Besatzungstruppen niederschlugen. Laut einem damaligen Bericht der New York Times kamen dabei zwölf schussbereite Panzer und eine mit Maschinengewehren und Tränengas ausgerüstete Kompanie der US-Streitkräfte zum Einsatz. Auf beiden Seiten gab es Verletzte.
Die Losungen bei den Protesten in Stuttgart lauteten unter anderem „Wir wollen leben, nicht vegetieren!“ und „Fort mit Professor Erhard!“. Die Demonstranten trugen zudem einen Galgen, an dem ein Schild befestigt war mit der kaum verhohlenen Drohung: „Weg mit dem Preiswucher – oder …!“ Der Stuttgarter Gewerkschaftsvorsitzende Hans Stetter hielt die einzige Rede auf der Protestveranstaltung und erklärte:
„Was wir verlangen, ist eine planmäßig gelenkte Wirtschaft mit staatlich kontrollierten Preisen. Wir fragen, wo bleibt der demokratische Gedanke, wenn die amerikanische Besatzungsmacht die Außerkraftsetzung der Bestimmungen über das Mitbestimmungsrecht in wirtschaftlichen Fragen anordnet.“
Der Militärgouverneur der US-amerikanischen Besatzungszone, General Lucius Clay, verhängte in Reaktion auf die Vorfälle umgehend eine Ausgangssperre und sprach von einer „kommunistischen Verschwörung.“ Presseberichte der damaligen Zeit sprechen von 50.000 bis 90.000 Teilnehmern an den Protesten.
In der CDU-Zeitung Neue Zeit vom 29. Oktober 1948 heißt es dazu:
„Den amerikanischen Militärpolizisten gelang es mit aufgepflanztem Seitengewehr und Tränengas, die Stuttgarter Einkaufsmeile bis 17 Uhr zu räumen. Dabei kam es wiederholt zu tätlichen Angriffen. Militärgouverneur Clay hatte sich, als er anordnete, mit Panzern gegen die Demonstranten in Stuttgart vorzugehen, zu einem außerordentlichen, bis dahin für Westdeutschland beispiellosen Vorgehen entschlossen.“
(…)
Hintergrund der Proteste und des Generalstreiks in der Westzone
Im Zuge der Wirtschafts- und Währungsreform vom 20. Juni 1948 unter Leitung von Ludwig Ehrhard (damals Leiter des Wirtschafts- und Verwaltungsrats der Westzone) kam es zu massiven Preiserhöhungen von bis 200 Prozent, bei Lebensmitteln wie Eiern erreichte die Steigerungsrate sogar 2.000 Prozent. Diese führte in Folge zu einer stark gesunkenen Lohnquote. So kam es nach verschiedenen Gewerkschaftsaufrufen im Jahr 1948 fortlaufend zu mehreren großen Demonstrationen in vielen Städten der sogenannten Bizone Deutschlands (britisches und US-amerikanisches Besatzungsgebiet). Endgültige Planungen für einen Generalstreik begannen am 26. Oktober 1948. Als Starttermin einigte man sich auf den 12. November 1948.
Dies führte in Folge zu einem beachtlichen Treppenwitz der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es waren die Protestierenden und Gewerkschaften im Westen, die nun vehement im Zuge des Generalstreiks Verstaatlichung und Demokratisierung der Betriebe sowie Etablierung einer Planwirtschaft forderten:
Die Forderungen umfassten unter anderem folgende Punkte:
1. Planung und Lenkung im gewerblich-industriellen Sektor, insbesondere für Rohstoffe, Energie und Kredite sowie für den Außenhandel und den Großverkehr.
2. Überführung der Grundstoffindustrie und Kreditinstitute in Gemeineigentum.
3. Demokratisierung der Wirtschaft und gleichberechtigte Mitwirkung der Gewerkschaften in allen Organen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung.
(…)
Weitere niedergeschlagene Proteste in der Westzone
Der Generalstreik von 1948 hatte zudem einige Vorläufer, über die in der westdeutschen Geschichtsschreibung ebenso wenig zu lesen ist.
Ein Jahr zuvor war ein großer Bergarbeiterstreik in der Bizone mit der zentralen Forderung nach Enteignung der „Kohlebarone“ beendet worden, indem man den Streikenden mitten im Hungerjahr 1947 die Lebensmittelrationen um die Hälfte kürzte.
In Hessen waren auf dem Höhepunkt der sogenannten Hungerkrise im Frühjahr 1947 Streiks und Proteste von der US-amerikanischen Militärregierung unter Androhung der Todesstrafe unterdrückt und verboten worden. Ähnlich die Situation in Niedersachsen, dort setzten die britischen Besatzer umgehend gepanzerte Fahrzeuge gegen die Protestierenden ein.
Nicht zu vergessen ist der damalige Zeitgeist in der „Westzone“, bei dem selbst das Ahlener Programm der CDU, und das schon nach US-Intervention abgeschwächt, mit den Worten begann:
„Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.“
US-Besatzungsdekret gegen demokratische Wahlentscheidungen
Die engen Grenzen der demokratischen Mitbestimmung auch im Westsektor zeigt beispielhaft der Fall der hessischen Verfassung auf. 1946 wollten die hessischen Abgeordneten die Verstaatlichung aller Schlüsselindustrien in ihre Verfassung schreiben, doch war dies nicht im Interesse Washingtons.
Nach anfänglichen Überlegungen, dieses Vorhaben generell zu verbieten, ging man zu einer subtileren Taktik über. Der fragliche Paragraf 41 wurde auf Druck der USA aus der Verfassung herausgelöst und getrennt zur Abstimmung vorgelegt, in der Absicht, dass dieser dann die nötige Mehrheit verfehlt. Jedoch stimmten 70 Prozent für diesen „Verstaatlichungs-Paragrafen”.
Daraufhin wurde die von den Wählern mit großer Mehrheit beschlossene Verstaatlichung für den Montansektor, nun weniger subtil, per Besatzerdekret verboten.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=116807
Danke für deine Antwort (die allerdings wieder viel zu umfangreich ausgefallen ist).
Mag sein, die DDR hatte halt die Sowjets im Rücken, die ein aktiveres Interesse an der Entnazifizierung hatten und ihre eigenen Ideologiebrocken unterbringen wollten und mussten.
Ich kann die Zahlen allerdings auch nicht überprüfen und auch nicht einschätzen, wie bei deren Nachwuchskadern die Kompetenz war. Ich habe damals noch nicht gelebt und kenne das nur aus Erzählungen (und es interessiert mich nur am Rande).
Bemerkenswert übrigens, was bei der behaupteten „Renazifizierung“ mittlerweile rausgekommen ist… die Westdeutschen wählen schwarz-rot-grün, der Osten hingegen AfD. Haben sich die Altnazis überhaupt irgendwie negativ ausgewirkt im Westen? Oder war es da wie mit der Wende, das Hemd wurde einfach ausgetauscht und schon hatte man aus einem überzeugten Kommunisten einen ebenso zuverlässigen „Demokraten“ gemacht?
Und wie beantwortest du meine Frage: „Was müsste z.B. verschwinden, damit wir keinen Kapitalismus mehr hätten.“ ?
Lesen Scheinregen, auch wenn es dir zu umfangreich erscheint. In Florian Warwegs Artikel steht da schon was.
Und daß das faschistische Supbiotop des Kapitalismus in allerlei Farben daherkommt (diverse Parteien, Strömungen) und sich eben um die Plätze am Trog balgt (Anscheinwahlen), ist wahrlich nicht so verborgen.
Wie die öffentliche Meinung durch Veröffentlichung von Meinung zu formen ist, ist ebenfalls hinreichend belegt:
Daniela Dahn, Rainer Mausfeld
Tamtam und Tabu – Die Einheit: Drei Jahrzehnte ohne Bewährung
Das Jahr 1990 kann als einer der wichtigsten Momente der Nachkriegsgeschichte angesehen werden, da es einzigartige Chancen bot – sowohl für eine internationale Friedensordnung wie auch für eine erneuerte Demokratie, die dann diesen Namen verdiente. Heute wissen wir, dass diese Chancen aus geopolitischen Interessen und denen der Kapitaleigner gezielt blockiert und somit verspielt wurden. Warum war dies, entgegen den großen Hoffnungen der Bevölkerung so leicht?
Die Leichtigkeit, mit der eine kleine Minderheit von Besitzenden Macht über eine große Mehrheit von Nichtbesitzenden ausüben kann, gleiche einem »Wunderwerk«, bemerkte zur Zeit der Aufklärung der große schottische Philosoph David Hume. Diese Leichtigkeit der Machtausübung ist seit der Antike eines der großen Rätsel der politischen Philosophie, eines, das in einer Demokratie in noch größerem Maße erklärungsbedürftig ist.
Hume erkannte auch, wohin man den Blick zu richten hat, wenn man dieses Rätsel entschlüsseln will, nämlich nicht lediglich auf die rein physische Macht, die es auf den Körper abgesehen hat, sondern auf die Formen der Macht, die auf die Psyche zielen. Wer über Mittel verfügt, mit denen sich auf der Klaviatur des menschlichen Geistes so spielen läßt, daß Meinungen und Affekte in geeigneter Weise gesteuert werden können, verfügt über einen Einfluss, der kaum noch als Macht erkennbar ist und gerade darum eine besondere Wirksamkeit entfalten kann.
(…)
Im Verlauf der Ereignisse von 1989/90 gelang es, die Stimmung eines Großteils der DDR-Bevölkerung in wenigen Wochen in die vom Westen gewünschte Richtung zu lenken. Diese Monate bieten also ein paradigmatisches Studienfeld zu den sozialtechnischen Mitteln, mit denen Einstellungen und Verhalten einer ganzen Bevölkerung auf den Kopf gestellt wurden. Es geht in diesem Band folglich um die Rolle von Medien und deren Techniken der Affekt- und Meinungsmanipulation – Techniken, die sich heute gern hinter so harmlosen Begriffen wie »Perception Management« oder »Soft Power« verbergen. Es geht auch um eine partielle Rekonstruktion und Entschleierung des damaligen medialen Tamtams, mit dem sich eine freie Urteilsbildung behindern und Affekte lenken ließen. Und es geht schließlich darum, wie man emanzipatorische Alternativen, die die Stabilität der herrschenden Machtordnung zu gefährden drohten, aus dem öffentlichen Denkraum verbannen konnte. Kurz: Es geht um das Markieren von politischen Tabus. Diese Denkblockaden sind anhaltend Wirksam. Immer wieder wurde festgestellt, dass sich heute die meisten Menschen eher das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorstellen können. Die politischen Tabus, wie sie vor allem in der Nachkriegszeit in kapitalistischen Demokratien errichtet wurden, blockieren die Entwicklung von angemessenen gesellschaftlichen Lösungen für die immer bedrohlicher werdenden ökologischen, gesellschaftlichen und zivilisatorischen Notlagen, die unsere gegenwärtige Wirtschaftsordnung hervorbringt. Die Bewältigung der damit verbundenen gewaltigen probleme, die durch die Corona-Krise noch einmal scharf konturiert hervortreten, werden durch Tamtam und Tabu, also durch das Arsenal hochentwickelter Techniken des Meinungs- und Affektmanagements, der Indoktrination und Ablenkung, der Angsterzeugung und der Ächtung emanzipatorischer Alternativen, massiv erschwert. Gerade deshalb gilt es, diese Waffen immer wieder durch öffentliche Demontage ihres Zündmechanismus zu entschärfen – was hier am Exempel versucht werden soll. Der Leser wird dabei nicht, wie bei Bombenentschärfungen üblich, aus Sicherheitsgründen auf Distanz gebracht, sondern mit voller Absicht dem Risiko des Dabeiseins ausgesetzt.
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Wie war es möglich, das in vierzig Jahren gewachsene Selbstbewusstsein einer Bevölkerung in einem Vierteljahr auf den Kopf zu stellen? Im November 1989 sprachen sich 86 Prozent der DDR-Bürger für den »Weg eines besseren, reformierten Sozialismus« aus, nur fünf Prozent für einen »kapitalistischen Weg« (erhoben von den Leipziger Instituten für Jugend- und Marktforschung).
Diese bemerkenswerte Einmütigkeit wurde von einer Ende Dezember 1989 veröffentlichten Spiegel-Umfrage bestätigt, in der trotz Maueröffnung immer noch knapp drei Viertel der Ostdeutschen wünschten, dass die DDR ein selbständiger souveräner Staat bleiben sollte. Bei der Volksakmmerwahl im März 1990 wählten ebenso viele den Weg einer Einheit im Kapitalismus. Zu diesem Phänomen ist nicht alles gesagt. Es ist sogar fast gar nichts dazu gesagt. Ahnt man warum? Wer ein Tabu übertritt, wird selbst tabu. Denn das Übertreten ist ansteckend. Der- oder diejenige muss gemieden werden, wird zur sozialen Gefahr.
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Schuld sind wir alle
Ende November fordern die Jusos mehr Demokratie in der Bundesrepublik. Gerade Bayern und Baden-Württemberg könnten sich »in Sachen Demokratie von der DDR bald überholt« betrachten, wenn sie zum Beispiel nicht auch, wie an der Humboldt-Universität, die Wahl unabhängiger Studentenräte zulassen würden. Der Demokratisierungsdruck beginnt, auf den Westen überzugreifen.
Am 1. Dezember berichtet die FAZ über den Aufruf »Für unser Land« von 36 DDR-Bürgerrechtlern und Künstlern, die sich aus Sorge vor politischer und wirtschaftlicher Vereinnahmung für den Erhalt der DDR aussprechen. Zu den Initiatoren gehören Christa Wolf und Stefan Heym. Aus dem Westen kommt prominente Unterstützung unter anderem von Günter Grass und Max Frisch. In den nächsten sechs Wochen unterschreiben über eine Million DDR-Bürger dieses Anliegen, darunter der spätere CDU-Ministerpräsident Lothar de Maizière, der die Einheit erst nach einem Besuch bei Kohl vorantreiben wird. Der Sprecher der Ost-SPD, Markus Meckel, will zu dieser Zeit auch lieber noch über Konföderation verhandeln. Er kritisiert Kohls Endziel der Wiedervereinigung, das dieser in seinem Zehn-Punkte-Programm in einer Bundestagsrede überraschend verkündet hat. Es sei zu bezweifeln, ob dies im Interesse der DDR liege und ob die Bevölkerung der DDR sie wirklich wolle, so Meckel. Der »Mauerfall« hat bei den politisch Aktiven noch keinen Fall der Überzeugungen bewirkt.
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Die Aufkäufer sind da
Westfirmen dürfen rechtzeitig vor Weihnachten mit Anzeigen in der DDR werben, selbst in der auflagenstärksten Zeitung Junge Welt mit ihren 1,6 Millionen Exemplaren. Die Welt berichtet, die Düsseldorfer Kemper’s Deutschland GmbH, »Makler für Immobilien in erstklassigen Citylagen«, hat bereits Kontakte in der DDR und Ostberlin aufgenommen. Sie seien auf viel Interesse gestoßen. Daneben die Meldung, dass die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels »intensive strategische Planspiele über die Chancen im DDR-Markt« bestätigt. Günter Gaus warnt am Ende des Jahres in seiner »Rede an die Deutschen« (Blätter für deutsche und internationale Politik): »Während sonst Leute, die Geld haben, die Orte von Revolutionen meiden, kann man hier, wenn man sich auskennt, die westlichen Gesichter studieren, etwa im Palasthotel, wo ich wohne – die Aufkäufer sind da!«
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Bundespräsident Richard von Weizsäcker ermahnt Mitte Dezember im DDR-Fernsehen als Erster die westdeutsche Publizistik, sie solle die Vorgänge in der DDR »nicht für hiesige Zwecke instrumentalisieren«. Die hiesigen Zwecke sind für die Konservativen der Erhalt und die Festigung des Status quo in der BRD.
Zu Weihnachten bringt Der Spiegel Nr. 52/1989 Ergebnisse der ersten DDR-repräsentativen Umfrage im Auftrag von Spiegel und ZDF. Um zu verstehen, wie und wann Einstellungen sich dramatisch verändert haben, muss man zunächst wissen, wie die Ausgangslage war. »Die Volksmeinung in der DDR schien zur Zeit der Umfrage eindeutig zu sein: Nur 27 Prozent wollten, dass >die DDR mit der BRD einen gemeinsamen Staat bilden solldass die DDR wie bisher ein souveräner Staat bleiben soll<.« 44 Prozent können sich langfristig eine Konföderation oder einen Staatenbund vorstellen. Das entsprach gar nicht der von Kohl gleich nach der Öffnung der Mauer geäußerten Gewissheit, dass die DDR-Deutschen nichts als die Einheit wollen. Da war also noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Zumal nach westlichem Maßstab ungewöhnlich viele, nämlich 53 Prozent, angeben, sie wüssten noch nicht, wen sie bei der nächsten Wahl wählen würden.
Ein weiterer Beleg dafür, wie offen die Situation noch war. Viele neue Bürgerrechtler sind nach dieser Umfrage noch gar kein Begriff, haben also nicht dieselben Chancen wie in Ost und West bekannte Parteien. Die SED müsse auf ihre auflagenstarken Zeitungen verzichten, schlägt Der Spiegel schon mal vor. Noch ist die Bild-Zeitung nicht, wie im Westen, das meistgelesene Blatt, aber es wird nicht mehr lange dauern, bis auch diese Angleichung vollzogen ist.
Die meisten parteilosen DDR-Bürger sind dafür, die VEB in genossenschftliches Eigentum zu überführen, manche für Privatisieren. Die meisten SED-Mitglieder sind dagegen. Nur 37 Prozent aller Befragten befürworten »ein Wirtschaftssystem ähnlich wie in der BRD«. Das ist nun wirklich erstaunlich. Hat sich doch die Meinung verfestigt, dass man in der DDR von Anfang an nichts anderes wollte als so zu leben wie im Westen. Ende 1989 war trotz Begrüßungsgeld bei offener Mauer, trotz besonderer Hilfe bei Job- und Wohnungssuche, trotz Volkszorn schürender Tatsachen und Fakes, trotz Stasi-Pranger noch keine flächendeckende Abkehr von der DDR vollzogen.
Erstaunlich, dass 63 Prozent in der DDR mit ihren Wohnungen zufrieden sind, im Westen 79 Prozent (unter Jugendlichen äußern sich im Osten allerdings vierzig Prozent negativ.) 79 Prozent der Befragten erklären, dass sie »bestimmt hier bleiben«, fünfzehn Prozent halten es für wahrscheinlich, nur ein Prozent sitzt auf gepackten Koffern. Gerade mal sechs Prozent können noch verstehen , weshalb man heute noch wegwill, über die Hälfte versteht es gar nicht. Kaum jemand bezweifelt im Osten, dass der Lebensstandard im Westen höher, die Wirtschaft leistungsfähiger und der Umweltschutz besser ist. Aber mit ebenso großer Mehrheit sind sich die Ostdeutschen zu Weihnachten bewußt, dass sie bei der sozialen Sicherung, der Gleichberechtigung der Frauen und der Betreuung der Kinder überlegen sind. »In diesen Zahlen tritt ein Selbstbewusstsein vieler DDR-Bürger zutage«, wundert sich der Spiegel.
Rückblickend war es schon erstaunlich, dass große Mehrheiten den Initiatoren der »friedlichen Revolution« so lange folgten. Leuten, die sie kaum kannten, die nicht professionell organisiert waren und auch weniger Medienpräsenz hatten als die Profis.
Um diesen Stolz abzubauen, werden künftig viele Anstrengungen unternommen werden.
(S. 8-10, 14, 15, 31, 35, 39-41)
Ich weiß, ist dir zu lang.
Warum schreibst du es dann (bzw. copy and pastest)? Kannst du die wesentlichen Gedanken nicht extrahieren und auf den Punkt bringen? Ich bin kein Rentner der den ganzen Tag Zeit hat oder sowas und ich will auch nicht unfokussiert die Pamphlete von anderen hier reinmüllen oder vorgesetzt bekommen.
Man kann nicht sinnvoll diskutieren, wenn du jedesmal mit einem Essay (noch dazu von einer dritten Person) antwortest, welches auch noch viel zu umfangreich ist, um auf Einzelheiten einzugehen.
Ich habe auch keinen Schimmer, weshalb du ausgerechnet das auf meinen Kommentar hin als Antwort bringst. Auf welche meiner Aussagen nimmst du wie Bezug? Oder soll ich mir das selbst raussuchen und dir dann demütig zustimmen?
Ich bin ja gutwillig, aber so wird das nichts!
Scheinregen, du mißverstehst da was, das ist ein öffentliches Forum und keine private Plauderei und den Anspruch einer sinnvollen Diskussion im Digiversum, mit seinen rudimentären Kommunikationsmöglichkeiten, zu erfüllen, ist ohenhin nur schwerlich möglich. Zudem hege ich ernste Zweifel daß das dein Anspruch ist.
Die Entwicklung in der DDR lief keinesfalls stromlinienförmig und ebenso wie die BRD war die DDR den Interessen der Besatzungsmacht ausgeliefert. Den Russen wäre es am liebsten gewesen wenn Adenauer eine Lösung wie Österreich akzeptiert hätte (Abzug gegen Neutralität) aber Adenauer wollte lieber das halbe Deutschland ganz anstatt das ganze Deutschland halb haben (NATO-Mitgliedschaft und Integration der Nazis waren eingepreist). Die Sowjets wussten wiederum oft nicht was sie mit der DDR anstellen sollten, daraus resultierten Krisen wie 1953. Auch die innere Ausichtung der DDR änderte sich öfters mal. Was müsste verschwinden damit wir keinen Kapitalismus mehr hätten? Die Kapitalisten – von der politischen Macht und die haben sie nur da sie Produktionsmittel kontrollieren und sie niemand davon abhält diese Macht über die Produktion auch für politische Macht zu missbrauchen. Man kann natürlich den Kapitalismus ein paar Soziale Eigenschaften beibringen ebenso wie man ihm Inklusion und Diversity beibringen kann – nur wie nachhaltig ist überlegenswert. Gut wäre auch eine Weltrevolution in allen Ländern der Welt gleichzeitig ohne Rückzugsmöglichkeit für den Kapitalismus. Nur bis es soweit ist so ein großes Unternehmen in Angriff zu nehmen gibt es den Kapitalismus längst auf dem Mars oder auf Alpha Centaury.
Angenommen du würdest an die Macht gewählt (oder hättest dich dahin revolutioniert), wie würdest du das sicherstellen?
Wie die alten Griechen bereits wussten: Autokratie und Tyrannei führt oft zur Demokratie. Oligarchie (die Herrschaft der Wenigen) und Demokratie (die Herrschaft des Pöbels) dagegen führen insbesondere langfristig immer zur Autokratie.
Das liegt an der Natur der Sache. Ein Autokrat/Tyrann kann die Bevölkerung dermassen gegen sich aufbringen, dass diese ihn stürzt. Teils führt das bloss zu einem neuen Tyrannen (zb Romanow via Lenin zu Stalin), teils zu einer Form der Demokratie (zb von Honecker zur „regelbasierten Ordnung“). Der Ausgang liegt immer daran wer die aufgebrachte Massen lenken kann und was deren Agenda ist (Robespierre liess bloss Blut fliessen, Napoleon dagegen versuchte die Welt neu zu ordnen).
Das Gegenteil ist in den Formen der Demokratie der Fall.
Die Oligarchie ist per se eine schlecht getarnte Tyrannei. Ein Machtbesessener der genug Gewalt hinter sich vereinen kann reicht aus um das ganze Gebilde in eine Autokratie zu verwandeln (siehe zb Sulla – Caesar – Augustus).
Und die Demokratie ist nur so stark wie die sozio-ökonomisch Schwächsten. Je schlimmer die Zustände (Gefälle zwischen Reich-Arm, Bildungsstand, soziale Mobilität, etc) desto wahrscheinlicher dass sich ein Demagoge, meist mit Unterstützung der Klasse der Besitzstandwahrenden, zum Tyrannen aufschwingen kann (siehe den im Artikel angesprochenen österreichischen Maler). Bernays et al haben das noch schlimmer gemacht, wer heute über die Deutungshoheit verfügt kann selbst einen Röhrich („Wernär, die Rrussen kommen1!“) als Bundeskanzler installieren, solang der Pöbel dumm genug gehalten wird. Man braucht dazu nicht einmal mehr die Mehrheit.
Ich finde es bezeichnend, dass heute, wo die Demokratie ständig wie als Gospel besungen wird, praktisch niemand über diese über 2000 Jahre alten Erkenntnisse spricht. Selbst dieser Artikel, der mir sonst ziemlich aus dem Herzen spricht, spricht von „formaler Demokratie“, als wäre der Populismus und die Manipulation der Massen nicht der Kern jeder demokratischen Ordnung.
Mir fällt auch keine stabile Regierungsform ein (vielleicht haben die Anarchisten Recht und in der Regierung an sich liegen die Ursachen begraben). Aber wenn wir eine finden wollen, oder bloss verstehen wollen was die Kleptokraten (ein schmieriger Clown ala Musk ist vieles aber bestimmt kein Technokrat) mit ihrem Geschrei veranstalten, dann kommen wir nicht umhin, die Probleme der bestehenden Regierungsformen zu besprechen.
Das ist falsch. Die antike Demokratie wurde nur durch Krieg, konkret Alexander „den Großen“ und den blutrünstigen römischen Dikatator Sulla besiegt.
Die Beschwerden über „Demagogen“ zeigen eher auf den Konstruktionsfehler der „direkten Demokratie“ über die Hauptversammlung mit tausenden anwesenden Bürgern.
In der athenischen Demokratie gab es weit reichende Maßnahmen um den Einfluß der Reichen einzudämmen. Effektiv progessive Besteuerung und umfangreiche Pflichten wie Bau und Besatzung von Schiffen. Gleichzeitig wurde durch die Abschaffung der bisherigen Schuldknechtschaft ein wirtschaftliches Erfolgsmodell ohne gleichen gestartet.
Athen war eine direkte Demokratie (wo weniger als ein Viertel das Wahlrecht besass) die am Anfang zu durchaus guten Resultaten führte und mehr oder weniger mit einem Demagogen und dem Niedergang der Polis endete.
Ich stimme ja der Mehrzahl deiner Aussagen zu, aber woraus leitest du die obige Erkenntnis ab? Wieviele Demokratien, die den Namen zu Recht tragen und tatsächlich „Volksherrschaften“ sind, gab es denn, die als Autokratien geendet sind?
Mir fällt in der Neuzeit eigentlich nur die Schweiz ein, die wenigstens in die Nähe des Ideals kommt. Und die ist bisher keine Autokratie geworden, auch wenn zweifelsohne dort auch oligarchische Tendenzen existieren.
Als Schweizer sag ich dazu: Einfach abwarten;)
Ne, du hast ja Recht, bisher ists teilweise ganz ok im Vergleich. Die direkte Demokratie ist vermutlich die robusteste was Machtmissbrauch anbelangt. Aber wenn ich betrachte wie hier jedes US-Narrativ übernommen wird und ehemalige Eckpfeiler ohne Abstimmung oder öffentlichem Diskurs abgeschafft werden (zb die Neutralität während des Ukraine-Krieges), oder welche Reichweiten ein Demagoge und Oligarch entwickeln kann (Blocher und die SVP), dann sehe ich langfristig schwarz.
Das war bzw ist weit mehr als nur ein ökonomischer Ansatz, es ist tatsächlich die Restauration der ‚Originalvision‘ des klassischen Liberalismus von Locke, Smith, Mill etc und den us-amerikanischen ‚Founding Fathers‘ – eben die einer oligarchischen Geldelite einerseits und eines in Abhängigkeit gehaltenen ‚Arbeitsvolks‘ andererseits. Es ist ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz, der politische und ökonomische Herrschaft vereint. ‚Marktradikalismus‘ ist nur Mittel und Folge dieses Ansatzes, aber keineswegs sein Kern.
Leider sind auch klassische Linke immer wieder den Sirenengesängen des Liberalismus erlegen, wie es sich zB im Adjektiv ’sozialliberal‘ ausdrückt – ein zwar sozial abgefederter, ’softer‘ Liberalismus, der aber immer seinen Kern unangetastet und den Weg zurück zu einer härteren Gangart offen ließ. So geht auch heute die Gefahr mitnichten nur von Kettensägen schwingenden ‚Rechtspopulisten‘ aus, sondern ist fest in der ‚Mitte der Gesellschaft‘ und den ‚aufrechten Demokraten‘ verankert.
Der Kernbegriff des Liberalismus ist und bleibt das Eigentum, seine ‚Freiheit‘ die der Besitzenden und seine ‚Demokratie‘ ihre Selbstregierung.
Dennoch – oder gerade wegen dieses symptomatischen ‚blinden Flecks‘ – ein ausgesprochen lesenswerter Abriss bundesdeutscher Befindlichkeit.
So habe ich das bisher nicht wahrgenommen, „Neoklassik“ ist eine „Schule“ in der Volkswirtschaftslehre. Sie ist aus verschiedenen Teilwahrheiten aufgebaut, hat riesige Lücken und peinlichste Denkfehler. Der Grund warum daraus „Neoliberalismus“ werden konnte, ist die simple unbewiesene und unbeweisbare Annahme, dass Vollbeschäftigung der Naturzustand in einem kapitalistischen System sei.
Was passierte also? Ein typisch ungebildeter Politiker kommt zu den „Wirtschaftsweisen“ und fragt nach Rat „wir haben ein Problem mit Arbeitslosigkeit, was sollen wir tun?“ Was wird ein Mitglied dieses illustren Vereins wohl antworten, wenn es die wahre Lehre verinnerlicht hat? Richtig: „es herrscht keine Vollbeschäftigung, was nur daran liegen kann, dass der Staat zuviel reinredet, also Staat zurückbauen und so viel wie möglich privatisieren, dann kommt das Paradies automatisch!“
Ich habe solche und ähnliche Empfehlungen jahrelang beobachtet und die Politiker hecheln dem einfach dümmlich hinterher („glaubt der Wissenschaft!“), eine teilweise löbliche Ausnahme war immer Herr Flassbeck, den man zumindest als „Einäugigen unter Blinden“ bezeichnen könnte.
Inwiefern die VWL von außen entsprechend im Sinne des großen Kapitals korrumpiert wurde, weiß ich nicht, liegt nahe, kann ich aber nicht beweisen. Innerhalb der neoklassischen Ideologie ist die Sichtweise kohärent.
Funfact: die üblichen linken Modelle sind genauso schräg, da geht man davon aus, dass alle Menschen gleich seien (obwohl man ohne Weiteres beweisen kann, dass es nicht so ist, ein Blick auf die Straße reicht). Hat man diese Fehlannahme erstmal verinnerlicht, kann man jede Menge ähnlich falsche Schlüsse daraus ziehen, wie die Neoklassik es bei ihren Axiomen gemacht hat. Oder Feminismus, geht man davon aus, dass wir in einem Patriarchat leben (was nicht der Fall ist), dann gibts für jedes Übel nur noch einen Namen: Mann. Auf unbewiesenen oder albernen Axiomen kann man halt jede, beliebig fehlerhafte, Ideologie errichten, die man will.
Sorry, aber das ist eine ausgesprochen alberne und durchsichtige Verflachung und Verballhornung des Gedankens der Egalité.
Das mag sein, aber genauso wird es leider praktiziert und von vielen Linken argumentiert.
Wieso z.B. wirft man uns vor, Rassisten zu sein und begründet das damit, dass es nicht jedem Ausländer genauso gut geht, wie uns? Das ist eine direkte Folge dieser Denkweise, wenn es jemandem schlechter geht (Land, Minderheit, Einzelperson), dann muss er ausgebeutet oder diskriminiert sein !1!! Die Feministinnen haben diese eingängige und praktische Denkweise übrigens übernommen und streben schon lange nicht mehr „Gleichberechtigung“ an, sondern längst „Gleichstellung“, was nichts anderes heißt, als Ergebnisgleichheit unter Aushebelung gleicher Rechte.
Man kann aus dieser dämlichen Denkweise noch viel mehr populäre Denkfehler ableiten, etwa die Grenzen nicht mehr sichern zu wollen und zu müssen, weil ja ohnehin jeder, der hier herkommt, „gleichwertig“ ist. Frag doch mal Gracchus Babeuf, der wird dir ein ellenlanges Mausfeld-Pamphlet verlinken, in dem das „konsequenter Humanismus“ oder so genannt wird und der angeblich der Kern des „linken Projekts“ und Denkens ist. Hat er mir zumindest schon zweimal unter die Nase gerieben.
Es gibt noch einen anderen Begriff, der bei Linken weit verbreitet ist und die Denkweise schön beschreibt: „strukturelle Gewalt“. Ich will nicht behaupten, es gäbe sowas prinzipiell nicht, aber wenn es zur Alleinbegründung wird, ist es meistens viel zu flach und zeigt die Ideologie dahinter…
Und he, seien wir ehrlich: die frz. Revolution mit den Jakobinern etc. hat doch umgehend gezeigt, dass es mit den eigenen Ansprüchen, was „Egalite“ angeht, nicht weit her ist…
Und dennoch gibt es Ausbeutung und Diskriminierung zweifelsohne, und ebenso unzweifelhaft sind sie für einen Großteil der sozialen Ungleichheit verantwortlich. Das weiß sogar ein Jeff Bezos, der sich – immerhin – bei seinen Lohnsklaven für seine albernen ‚Raumflüge‘ bedankt. Da hilft es auch nicht, wenn Sie jetzt die gleiche Verballhornung mit anderen Begriffen weiterspinnen.
„Kapitalismus und Demokratie sind Gegensätze“
Das sehe ich anders. Da ist die (liberale) Demokratie der ideologische Überbau für die bei uns herrschende Wirtschaftsform des liberalen Kapitalismus.
Diese Ideologie nennt man auch Liberalismus, wo die individuelle Freiheit an erster Stelle steht, im Gegensatz zum Sozialismus, wo das Kollektiv Vorrang hat. Das sind echte Gegensätze: individuelle, persönliche Interessen gegen kollektive Gemeinschaftsinteressen. Womit westliche Liberale aller Couleur stets ein Problem haben, da die Sozialisation mit individueller Freiheit prägend fürs ganze Leben ist, sodass sie das Ich stets an erster Stelle setzen müssen.
Wenn Sklavenhalter von ‚Freiheit‘ reden und erst ein Karl Marx von der ‚freien Entfaltung des Einzelnen als Bedingung der freien Entfaltung aller’… Nein, die Bruchlinien verlaufen nicht zwischen Individuum und Kollektiv.
„… die Bruchlinien verlaufen nicht zwischen Individuum und Kollektiv.“
Warum nicht? In den gegensätzlichen Philosophien Sozialismus und Liberalismus kommt das doch zum Ausdruck. Sie bemerken selbst richtig: „Leider sind auch klassische Linke immer wieder den Sirenengesängen des Liberalismus erlegen …“ Doch nur, weil sie die „Bruchlinie“ nicht wahrhaben wollen.
Eigentlich ist es eine „falsche Dichotomie“ Menschen sind kollektivistisch UND freiheitsliebend/egoistisch gleichermaßen.
Da das eigentlich ein Widerspruch ist (der aus der evolutionären Notwendigkeit von Abstammungsgemeinschaften kommen dürfte), kann man es nur in Kompromisse einbetten, mit der Folge, dass Libertäre und Kommunisten totunglücklich sind, weil sie jeweils ihr perfektes System nicht bekommen, aber dafür geht es der großen Masse im Durchschnitt ganz gut.
Den Widerspruch in Kompromisse einbetten und dann als Lösung präsentieren, das dürfte der liberale Ansatz sein. Ihn autoritär aufzulösen, der kollektivistisch-sozialistische Ansatz. Es gibt einen weiteren, einen hegelschen Ansatz, nämlich den Widerspruch dialektisch aufzulösen oder zu überwinden, als Synthese jenseits von Liberalismus und Sozialismus – jenseits von Individualismus und Kollektivismus.
Ich würde es eher den „demokratischen Ansatz“ nennen, denn Liberalismus ist irgendwie so schwammig, eine demokratische Lösung kann hingegen in beide Richtungen ausschlagen, in die autoritäre ebenso, wie in die liberale.
Es landet m.E. immer bei Kompromissen, der einen oder anderen Art, wenn man die Menschen fragt.
Die extremen Gegensätze, sowohl der Kommunismus, wie auch der Libertarismus können hingegen unter ansatzweise demokratischen Bedingungen nicht überleben, sie werden über kurz oder lang abgewählt, weggestimmt oder halt wegprotestiert, wenn sie von selbst nicht die Notwendigkeit von Kompromissen anerkennen (die DDR hatte da m.E. eine steile Lernkurve und scheiterte am Ende trotzdem).
Die DDR scheiterte vor allem an zu wenig Kapital. Denn das was sie hatte, das musste auch noch geteilt werden. Die kleindeutsche DDR musste das ausbaden was die Großdeutschen im Osten angerichtet hatten.
Die Westdeutschen bekamen Hilfe vom wahren Kriegsgewinnler, dafür mussten sie nur Vasallentreue (für den USA-geführten Westen gegen den Feind im Osten) schwören. Eine Vasallentreue, die die Ostdeutschen nicht geschworen haben. Worauf gründet sich wohl der Hochmut der Westler?
Nein, sondern weil sie nicht wahrhaben wollen, dass die Freiheit des Liberalismus die Freiheit des Eigentums, mithin der Besitzenden meint. Gerade die klassischen Liberalen konnten auch trefflich vom Kollektiv schwafeln, von ‚Größe und Reichtum der Nation‘ einerseits und der ‚Masse‘ der Besitzlosen andererseits, deren Aufgabe es sei, eben diese Größe und diesen Reichtum der Besitzenden zu mehren. Die Bruchlinie verläuft entlang des ‚tributpflichtigen‘ Eigentums.
„Die Bruchlinie verläuft entlang des ‚tributpflichtigen‘ Eigentums.“
Akzeptiert.
Auf einen solchen Artikel habe ich schon lange gewartet: Eine kurze, prägnante Geschichte der Bundesrepublik und das noch gewürzt mit persönlich Erlebtem und Empfundenem. Einfach genial!
Ich will mich hier auf keine ernsthafte politische Diskussion einlassen, zumal nicht mit jemandem, der der DDR im Rahmen seines „Abrisses der deutschen Geschichte seit 1945“ 6 Zeilen einräumt.
Ich greife lediglich Waldrichs Statement auf, dass im Nachkriegs-Ostdeutschland – wohl im Unterschied zu Westdeutschland – „senile alte Männer“ am Werk waren, weil man daran schön sehen kann, wie mit medial wiedergekäuten Eindrücken gearbeitet wird.
Wilhelm Pieck, der mit Abstand Älteste der ostdeutschen SED-Politiker, der im Januar 1919 noch gemeinsam mit Rosa Luxemburg ins Hotel Eden verschleppt worden war, wurde genau _zwei Tage_ vor Konrad Adenauer geboren und war 1950 wie jener 74 Jahre alt. (Herr Waldrich ist übrigens 81)
Walter Ulbricht (1893; KPD) und Otto Grotewohl (1894; SPD), zwei andere bekannte SED-Genossen der ersten Stunde, zählten 1950 noch keine 60. Der SED-Vorsitzende Ulbricht war zu diesem Zeitpunkt gerade drei Jahre älter als Jahrzehnte später der stets als jugendlich-dynamisch beschriebene Michail Gorbatschow, als dieser 1985 zum Generalsekretär der KPdSU gewählt wurde.
Die 9 Mitglieder des SED-Politbüros des Jahres 1950 waren durchschnittlich 56,8 Jahre alt und damit etwa ein Jahr jünger als die Mitglieder der damaligen Bundesregierung, des Kabinetts Adenauer I.
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Mitglieder_des_Politb%C3%BCros_des_ZK_der_SED
https://de.wikipedia.org/wiki/Kabinett_Adenauer_I
Es ist ja nicht zu bestreiten, dass die „verdienten Genossen“ anschließend im Amte alterten, was seinen sichtbaren Ausdruck vor allem in der SU zu Beginn der 1980-er Jahre fand, als nacheinander drei Generalsekretäre in ihrem siebten Lebensjahrzehnt befindlich im Amt verstarben.
Aber die Legende, dass es sich dabei um ein Spezifikum der realsozialistischen Staaten gehandelt habe, kann man mittlerweile ja auch zu den Akten legen. Der 77-jährige als vergreist beschriebene Honecker gab nach seiner Absetzung noch stundelange Interviews (und verteidigte sich vor einem bundesdeutschen Gericht), während der ein früher geborene Freund des Haare-Färbens Ronald Reagan schon zu Ende seiner Amtszeit unter Alzheimer litt (was freilich erst im nachhinein zugegeben wurde) und Joe Biden zuletzt ohne Spiekzettel nicht einmal mehr die Bühne fand.
Zu den letzten „highlights“ in Sachen Senilität gehört auch Dianne Feinstein, die für die US-Demokraten 31 Jahre lang (1992 – 2023) in Senat saß und in ihrem letzten Amtsjahr als verwirrte 90-jährige im Rollstuhl in den Kongress geschoben wurde.
Und damit die Freunde us-Republikaner nicht zu sehr frohlocken: Mitch McConnell wärmt sage und schreibe 40 Jahren die Polster im US-Senat. Der 81-jährige, langjährige Führer der US-Republikaner im Senat fällt nun seit einiger Zeit dadurch auf, dass er immer mal wieder öffentlich „zu einer Säule erstarrt“ (siehe hier: https://www.youtube.com/watch?v=CMFUdxGeXRY), was seiner Amtsführung selbstverständlich keinen Abbruch tut.
@Besdomny
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Diese Herabwürdigung der damaligen DDR-Regierung aufgrund ihres angeblich besonders hohen Alters ist mir auch sofort aufgefallen, obwohl es ja wohl auf der Hand liegt, dass sie damals keineswegs Methusalems in ihren Ämtern gewesen sein konnten, wenn ein Teil von ihnen 40 Jahre später das Ende der DDR miterleben musste.
Auch die Story vom Marshallplan entspricht so nicht der Wahrheit. Hier wurde nichts „hineingepumpt“ sondern ordentlich abgesahnt. Aber der indoktrinierte Westler glaubt dieses Märchen bis heute.
Die Welt fiel in verfeindete Blöcke auseinander. ? ? ? So wie im Herbst die
Blätter vom Baum? Oder bei Sturm ein
Ziegel vom Dach ? So fiel die Welt aus -einander ? ? Ohne zutun von Militärs
oder Politikern ? Da fällt mir die brit.
Operation „Undenkbar“ ein .
Dem SS-Verbrecher Hanns-Martin Schleyer ist noch eine Halle in Stuttgart gewidmet.
Oder hat AfD-Krah doch recht, dass nicht alle SS-Leute Berbrecher waren? Denn Ein Gegenbeispiel reicht.
Ein bundesrepublikanisches Dilemma
Es muss natürlich Verbrecher statt Berbrecher heißen.