
Der Serienkiller und Schlächter Ed Gein ist Popkultur. Sein Grauen nährt Filme und Serien bis heute. Doch je lauter Amerika vom Monster im Keller erzählt, desto besser versteckt es das Monster im Weißen Haus.
Die neue Staffel von Ryan Murphys Monster-Anthologie widmet sich einem Kultkiller, dem Mörder, Leichendieb und -schänder Edward Theordore Gein. Er ist der Name hinter dem US-amerikanischen Horrorkanon des 20. Jahrhunderts. Ob nun Norman Bates aus Psycho, Leatherface aus dem Texas Chainsaw Massacre oder Buffalo Bill aus dem Schweigen der Lämmer: Gein war die Grundlage für die größten Psychopathen, die es je auf die Leinwand geschafft haben. Er ist das Ur-Monster, der Godfather of Horror Movie. Gein übte eine unbeschreibliche Faszination auf die Filmemacher aus und beschäftigte das Publikum gerade in den Jahren, in denen ein anderes Monster um sich griff: Die Vereinigten Staaten von Amerika.
Danke, Ed!
Ed Gein war ein schüchterner Mann aus Wisconsin, der nach dem Tod seiner Mutter aus Leichen Möbel zimmerte und Masken und Schürzen (mit weiblichen Brüsten) aus der Haut anfertigte. Laut Serie wurde er dabei von Ilse Koch inspiriert, der Hexe von Buchenwald, deren mörderischen Taten (teils nochmals grotesk übertrieben) damals als Comic in den USA kursierten. Gein grub unter anderem eine weibliche Leiche aus und zog sie mit den Kleidern seiner verstorbenen Mutter an. Sie saß im ersten Stock und Gein kümmerte sich um sie. Das Kino griff das später bekanntlich auf, Alfred Hitchcock ließen die Verbrechen Geins nicht mehr los.
Gein tötete auch Menschen mit der Kettensäge, zerteilte sie dann wie Wild, kochte deren Organe, verzerrte sie vermutlich und bezog Stühle und Lampenschirme mit der Haut der Opfer. Er soll außerdem sexuellen Verkehr mit Toten gehabt haben. Diese und viele andere Details schockierten und verstörten die amerikanische Öffentlichkeit in den 1950er-Jahren, als seine Verbrechen bekannt wurden. Den Ermittlern bot sich in Geins Haus in Wisconsin ein grauenhaftes Bild. Seither kann Amerika nicht mehr wegblicken, wenn eine Bestie Unvorstellbares tut. Viele Serientäter, die nach ihm kamen, äußerten fast in bewundernden Ton, dass Gein ihr Vorbild gewesen sei.
Genau hier setzt die Serie Monster an: Sie liefert puren Voyeurismus, veranschaulicht die Verbrechen ohne Zurückhaltung und geht über den Fall weit hinaus. Denn sie zeigt, wie Gein den US-Kulturbetrieb vereinnahmte und wie fast jeder nennenswerte (Kult-)Bösewicht aus einem Horror-Film auf diesen realen Menschenschlächter und Leichenfledderer zurückgeworfen wird. Gein selbst war schizophren, er wurde nie verurteilt, verbrachte den Rest seines Lebens in einer Heilanstalt und half später auch dem FBI, als dieses erstmalig dazu überging, Tätervorgehen einzuordnen und die ersten Schritte in Richtung Profiling zu machen.
Die menschliche Bestie wurde in den USA zu einem Unterhaltungsformat entwickelt. Schon Alfred Hitchcock machte die ersten Schritte in diese Richtung. Sein Norman Bates wurde am Ende noch verhaftet. Tobe Hoopers Leatherface kommt ungeschoren davon und meuchelt wahrscheinlich bald weiter, als sei nichts geschehen. Was auch nötig war, denn Fortsetzungen wollten gedreht werden. Ryan Murphys Serie Monster karikiert diese Entwicklung. Gein wird am Ende zu einer Heilsfigur entfremdet, der Zuschauer leidet sogar mit diesem Mann mit der sanften Stimme. Engelschöre singen, wenn er zu sehen ist. Fast genial setzen das die Serienmacher so um, dass fast der Eindruck entsteht, Gein habe ein bleibendes Lebenswerk geschaffen. Das Publikum dankt ihm für die gute Unterhaltung. Danke, Eddie!
Monster: Der Fall der Vereinigten Staaten von Amerika
Man könnte das als das kulturelle Ventil ansehen, das notwendig ist, wenn eine andere Bestie um sich greift. Die amerikanische Unterhaltungsindustrie hat das Monströse immer wieder und annähernd systematisch ausgebeutet. Von Charles Manson über Ted Bundy bis hin zu Jeffrey Dahmer. Das Böse wird in Serien, Filmen und Dokumentationen zur Unterhaltung, zu der sich ein wenig Popcorn und Cola anbietet. Damit erfüllt es eine Funktion: Es verdeckt, dass die wahre Brutalität nicht im Keller von Wisconsin hockt oder in den Säurefässern liegt, die Jeffrey Dahmer in seinem Schlafzimmer stehen hatte und in denen er die Reste seiner Liebschaften auflöste, sondern in den Schaltzentralen von Washington, Langley und der Wall Street. Von dort aus griffen die USA nach der Welt. Und das teils mit monströsen Vorgehensweisen.
Ed Gein als Schreckensmann: da kann man sich sicher fühlen, dass der Andere das Monster ist. Er ist der berühmte Einzelfall, das Exotisch-Pathologische. Nicht aber das System, das Bombenteppiche und Entlaubungen über Vietnam legte, Putsche in Lateinamerika finanzierte, im Irak nicht nur einen Staat zerstörte, sondern die ganze Region destabilisierte, immer wieder Angriffskriege führte oder auch heute noch Weltpolitik mit Sanktionsterror und Drohnenschlägen betreibt. Die vierte Staffel dieser Serie sollte, nachdem in der ersten Jeffrey Dahmer und in der zweiten die Gebrüder Menendez behandelt wurden, ehe man sich im dritten Anlauf bei Ed Gein befasste, mit einem ganz großen Serienkiller aufwarten: Den Vereinigten Staaten von Amerika.
Die Filmindustrie schafft immer wieder ungeheure Bösewichte und definiert damit, wie das Böse zu verstehen ist: deformiert, irre und abartig. Und das Publikum gruselt sich fasziniert. Ed Gein überlagert das wirkliche Monsterhafte, neben Geins Taten sieht es fast aus wie der ungestüme Anstand. Das eigentliche Böse trägt eher Anzug und Krawatte. Es sitzt im Kongress und in den Vorstandsetagen, es unterschreibt Kriege und Deregulierungen. Das wirkliche Monströse ist nicht die bizarr eingerichtete Stube eines Ed Gein, sondern die regelbasierte Weltordnung, mit der die USA sich selbst zur moralischen Führungsmacht erklärt haben.
Gein, der Patriot
Die Besiedlung Nordamerikas war der brutale Einfall in eine fremde Welt. Geprägt von Mord und Totschlag. Und von dunklen Wäldern, einsamen Plätzen und unheimlichen Landstrichen. Das nährte das ohnehin protestantische Menschenbild mitsamt seiner Lebens- und Freudeverneinung durchaus. Die Angst, die in der protestantischen Bigotterie schon angelegt war, fand in der Besiedlung der neuen Welt den wahren Horror. Schon vor dem Aufkommen von Serienmördern, die zu Unterhaltungszwecken ausgeschlachtet wurden, war das amerikanische Gemüt düster. Edgar Allan Poe ist wohl das bekannteste Beispiel für die dunkle Seele der US-Amerikaner. Dass diese eines Tages den Serienkiller als moderne Märchenfigur finden würden, war fast schon folgerichtig.
Wie der Bösewicht in einem Grimm-Märchen kommt auch diesem die Rolle zu, das regulär Böse wegzuwischen. Dem heutigen US-Gemüt ist sicherlich klar, dass das US-Gemeinwesen eines ist, das sich Vasallen erzieht und Weltgegenden brutal ausbeutet. Die Bürger in den USA wissen mehrheitlich, dass sie Bürger eines Staates sind, der das Böse in der Welt vorantreibt. Ed Gein und die Figuren, die durch ihn erschaffen wurden, locken weg vom systematisch Bösen und lenken durch ihr subjektiv Monströses ab.
Das wirkliche Monster ist nicht Ed Gein. Es ist ein Amerika, das als Welthegemon auftritt, den Globus nach seinen Maßstäben ordnet und seine Gewalt als Fortschritt verkauft. Ed Gein ist Tünche. Er setzt die Maßstäbe für das Brutale so hoch, dass das Alltagsmonster aus Washington gerade noch akzeptabel wirkt. Ed Gein ist so gesehen ein großer Patriot, seine Bestialität und sein Horror haben die Amerikaner abgelenkt, als sich ihr Staat nach dem Weltkrieg anschickte, die Welt zu übernehmen.
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Das Monster heißt Kapitalismus und führt zyklisch immer zu Krieg und der Verarmung des Volkes!
Die Religionen liefern den dafür nötigen ideologischen Überbau!
Yes. The United States of Aggression. Und ein ebenso aggressives Europa. Kein Wunder, Europäer besiedelten mehrheitlich Amerikkka.
Schwarze und Indianer können ein Lied davon singen.
Und warum, deiner Meinung nach?
Emotionales Outsourcing, das Böse wird personifiziert und zugeschrieben. Zu Menschen und offensichtlichen Tätern, die sich, was die Grenzenlosigkeit und Vorstellbarkeit der Taten angeht, am Rande der Gauß-Verteilung befinden.
Henryk Gondorff macht in diesem Artikel genau das gleiche, indem er den Funktionsträgern dieses Systems, das zwangsläufig Grausamkeiten hervorbringen muss, damit das vorhandene Supra-Wealth entstehen und fortbestehen kann, das eigentliche, das tatsächliche und tätige Monströse zuschreibt, ohne die eigene Partizipation, ohne den Opportunismus jedes einzelnen in diesen Gesellschaften Existierenden zu erwähnen, anzusprechen, ja auch nur ansehen zu müssen.
Der Trickle-Down Effekt in der Ökonomie mag widerlegt sein, in der Frage der gesamtmenschlichen Schuld steht das noch an – und wird scheitern, weil es nicht gesehen werden will. Deshalb werden Axiome erfunden, die dann beispielsweise als die menschliche Natur bezeichnet werden. Sicherheitshalber gibt es schon die Katharsis dazu: Das irrationale und – viel wichtiger – variable Monster. Und der amerikanische Superlativ heißt Ed Gein, Ryan Murphy akkumuliert und Henryk Gondorff starrt auf das Abjekte in uns selbst wie auf einen Unfall.
Danke für den Artikel, aufrichtig.
Also auch wieder das „Kapitalismusproblem“!
Es wäre alles so einfach, wenn man das nicht ständig so verklausulieren würde.
Der Kapitalismus ermöglicht doch erst diese barbarischen Auswirkungen.
Irgendwie schon.
„Kapitalismusproblem“ ist allerdings nur der Knüppel, die Motivation der Hand ist eine andere.
Und damit meine ich Ihre wie auch meine Hand.
Nunja, Verklausulieren, stimmt schon, doch einerseits ist das Hirn auch irgendwie ein Muskel, der trainiert werden will, und andererseits ist „einfache Sprache“ auch nicht wirklich sexy. Ob mein Beitrag das war? …egal.
Ist das wirklich dem Ami bewusst? Zweifelhaft. Man konnte eigentlich mitbekommen, dass die Mehrheit verwundert ist, dass die USA der Welt soviel Gutes tun, aber viele Nicht-Amis das nicht würdigen. Sie fühlen sich eher ungerecht behandelt.
„Gutes“? ja, sie bringen uns den Kapitalismus, den Wokismus und den Genderscheiss, Transgenderoperationen und die Medikamente dazu und nicht zu vergessen sämtliche Imperialistischen Kriege und auch die religiös motivierte westliche Moral die alles humanistische im Keim erstickt.
Wie wäre es, +330.000.000 Menschen nicht als die Kopie oder den Klon ihrer selbst zu verstehen?
Mit der anschließenden und verallgemeinernden Beobachtung und Bewertung haben Sie – leider – recht.
Und sie können mit dem „Gutes tun“ einfach nicht aufhören; demnächst wieder in Südamerika. Mit dem beliebten „Schiffe versenken“ haben sie schon mal angefangen.
https://www.mintpressnews.com/us-venezuela-drug-war-claims/290475/
Am liebsten ist mir Theodore Robert ‚Ted‘ Bundy – er sah am besten aus, war intelligent und charismatisch.
Da gab es vor einigen Jahren einen ziemlich guten Spielfilm über Ihn („Extremely Wicked, Shockingly Evil and Vile“, 2019) mit Zac Efron, John Malkovich, Jim Parsons.
Kennt Ihr den hier?
https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Panzram