Menotti und Maradona – der Kopf und das Herz des linken Fußballs

César Luis Menotti und Diego Armando Maradona
Wikimedia Commons, gemeinfrei

Fußball ist politisch, das verdeutlichte wohl kaum jemand so deutlich wie die Trainerlegende César Luis Menotti.

In ihrem Buch „Links kickt besser“ zeigen Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt, dass der Fußball schon immer von einer politischen Dialektik geprägt war: einerseits nationalistisch, militaristisch und kommerziell, andererseits aber auch international, progressiv und kreativ. Für welchen Fußball Menotti stand, ist klar – zu dessen Tod erinnert Jonas Wollenhaupt daran.

César Luis Menotti liebte den Fußball, vielleicht sogar etwas mehr als das Ergebnis. Sieg, Niederlage oder Unentschieden waren wichtig, aber nicht so wichtig wie die Eleganz des Spiels. Fußball gab mir »die Möglichkeit, mich auszudrücken«, sagte er und machte damit deutlich, dass es für ihn keinen großen Unterschied zwischen dem Leben und dem Fußball gibt. Ja, vielleicht war für ihn im Fußball sogar ein bisschen mehr vom Leben: »Fußball ist ein Spiel der Freiheit, der Visionen und der Gefühle. Fußball macht mich glücklich. Wenn ich auf ein Fußballfeld komme und da liegt ein Ball, dann will ich damit spielen. Das Stadion ist ein Ort der Kreativität.«

Dass im Fußball manchmal mehr vom Leben steckt als im Leben selbst, war so schön wie bedrohlich. Gerade als der Neoliberalismus ihn für sich einnehmen konnte. Von da an hatte er auch unsere Träume und das kreative Spiel einer Verwertungslogik untergeordnet, wie Menotti bemerkte: »Die Welt der Utopien ist gestorben. Wir leben in einer Nützlichkeitsgesellschaft, in der der Fußball zur Welt der großen Geschäfte verdammt ist. In der Dritten Welt nimmt man den Menschen das Brot, in den Industrieländern stiehlt man ihnen die Träume.«

Diktatur der Taktik

Menotti war immer ein bekennender Linker, auch unter der Militärdiktatur von General Jorge Rafael Videla, dem er der Legende nach sogar den Handschlag verweigerte. Nicht nur neben, sondern auch auf dem Platz lebte Menotti seine Philosophie. »Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt«, sagte er nach dem WM-Sieg 1978. Politik und Fußball verschmolzen unter Menotti. Es gab keinen Fußball ohne Politik und keine Politik ohne Fußball.

Menotti hat den linken künstlerischen Fußball der siebziger Jahre zur Theorie erhoben: »Beim linken Fußball spielen wir nicht nur, um zu gewinnen, sondern um besser zu werden, um Freude zu empfinden, um ein Fest zu erleben, um als Menschen zu wachsen.« Denn »beim rechten Fußball geht es um Gewinnmaximierung, beim linken um die Vermittlung von Lebensfreude«. Das mag aus heutiger Sicht etwas naiv klingen. Andererseits zeigen die Proteste der Fan- und Ultraszenen das Unbehagen am heutigen Fußball. Und wer selbst einmal auf dem Bolzplatz gestanden hat, der weiß, was Lebensfreude durch Fußball sein kann. Und vielleicht ist der linke Fußball nicht der erfolgreichste, aber er ist der bessere.

Kaum jemand hat den Fußball so politisch, poetisch und philosophisch wahrgenommen wie Menotti. Er war der Kopf des linken Fußballs. Und dann war da noch »El Pibe de Oro« (Der Goldjunge). Der imaginäre Gottessohn des linken Fußballs: Diego Armando Maradona. Das Herz des linken Fußballs. Menotti gab philosophisch vor, was Maradona auf dem Platz umsetzte. Bei Menottis größtem Erfolg, dem Weltmeistertitel 1978, war Maradona noch nicht dabei, obwohl er als 16-Jähriger unter Menotti debütiert hatte.

Hinweis auf Gott

Mit linker Theorie konnte Maradona nicht viel anfangen, auch wenn er Che Guevara und Fidel Castro verehrte. Aber er spielte so, wie Menotti es immer wollte. Minimale Ordnung, maximale Freiheit und Entfaltung. Wer sich Maradonas fußballerischen Kunstwerke bei youtube anschaut, spürt die »Sehnsucht nach dem ganz Anderen« (Horkheimer). Er erlebt einen emotionalen Cocktail aus Autonomie, Beherrschung, Allmacht und Befreiung. Für einen kurzen Moment scheint eine andere Fußballpraxis möglich, ein Fußball außerhalb der total verwalteten Fußballwelt von Taktiken und Systemen. Und wenn die Fußballkunst in diesen Momenten einen anderen Fußball denkbar macht, dann macht sie auch eine andere Welt denkbar. Nirgendwo spürt man das so sehr wie bei Maradona.

Wenn es einen Hinweis auf einen Gott gibt, den man als Linker vielleicht doch ernst nehmen sollte, dann ist es das Spiel und die Lebensfreude von Diego Maradona. Und wenn es diesen Gott gibt, dann jongliert Maradona irgendwo gerade den Ball zu »Live is Life«. Diesmal zusammen mit César Luis Menotti.

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20 Kommentare

  1. Fußball, v.a. selbstbestimmter Fußball, macht dich zu einem besseren Menschen. Auf dem Bolzplatz lernst du Kommunikationsfähigkeit, Solidarität. Deine eigene Leistung ist wichtig, aber sie ist nichts, wenn sie nicht Teil der Teamleistung ist.
    Unser Kneipenligateam bestand v.a. aus Kommunisten und außer abgetakelten Profis und ab und zu mal Sportstudenten konnte uns keiner schlagen, denn Fußball ist definitiv DER kommunistische Sport.
    Natürlich hat das Regime dann Corona genutzt, um die meisten Bolzplätze dichtzumachen. Faschisten hassen Fußball, denn Fußball schlägt sie.

    1. Nein. Sie machen die Champions League oder Bundesliga oder Premier League etc. daraus und verdienen viel Geld von dummen Fußballfans, die ihren überbezahlten Ersatzgötzen bei AC Milano oder Bayern München huldigen und sich dabei billigen Tand überteuert verkaufen lassen. Alles wird kommerzialisiert und der Dorffußball bleibt auf der Strecke aus Mangel an Zuschauern und Spielern. Aber immer schön Schlaaaaaand brüllen bei der nächsten Europa- oder Weltmeisterschaft.

      1. Das stimmt zwar alles, sagt aber nicht das geringste über Fussball und Fussball-Spielen aus!

        Ich zB wohne zwar weit weg aber glotze jedes Fussballspiel, das mit wichtig ist. Das geht heutzutage im Internet ja sogar kostenlos.

        1. Doch. Der von So und nicht anders beschworene “kommunistische Fussball” ist wie alles der kapitalistischen Verwertung zugeführt worden.

          Ich habe ja nix gegen zwei Dorfvereine, die sich treffen am Wochenende und gegeneinander spielen. Aber die Gladiatorenschow im Fernsehen, mit überteuerten Fanartikeln und das Fangehabe als Religionsersatz sind heutiger Fußball in den meisten Fällen. Einfach nur ein weiteres Opium fürs Volk um es ruhig zu stellen und dabei anzukassieren.

          1. Opium des Volkes, nicht “für das Volk”.
            Das gilt für Sport genauso wie für Drogen (von Alk und Pott bis Hallus, nicht natürlich für H, Crack und so nen Dreck): individuell wirken sie destruktiv, kollektiv genutzt bauen sie dich auf.

  2. Sorry, aber da ich selbst vereinsmäßig in meiner Jugend unterwegs war, kann ich mitnichten behaupten, dass Fußball, jedenfalls nicht in unseren Breiten, irgendetwas mit linkem Gedankengut zu tun hatte.

    Während meiner gesamte Zeit, von E bis C Jugend hatte ich bis auf vielleicht ein paar vereinzelte Spieler, jemals etwas links angehauchtes, weder bei Trainern, Zuschauern und schon gar nicht bei den Funktionären diesbezüglich wahrgenommen.
    Im Gegenteil, hatte ich mit Fußball den Schlußstrich gezogen, als mit klar wurde wie, unfair doch oft gespielt wund ich so häufig unnötig gefault, so, dass ich verletzt vom Platz gehen respektive humpeln musste.
    Mittlerweile oder besser seit spätestens Ende der 80er, betrachte ich diesen Sport als Teil des Problems.
    Der Pöbel, der sich der Fußballs bemächtigt hat, oder war es umgekehrt, ist m.E gar nicht in der Lage “linkes” oder gar anarchistisches Gedankengut zu analysieren oder gar zu differenzieren und dementsprechend zu reflektieren und in die Gemeinschaft zu tragen.
    P.S. den Goldkettchen tragenden und koksenden Macho Maradona, so auf ein hohes Ross zu setzen entbehrt auch meiner Sichtweise der Sachlage nicht unerheblich.

    Just my two cents

    1. Arme Sau, mein tiefempfundenes Mitleid.
      Selber gespielt und nie mitbekommen, die richtige Entscheidung getroffen zu haben und erst ne 1/2 Sekunde später zu realisieren, die richtige Entscheidung getroffen zu haben – traurig. Das ist wie Klassenbewußtsein.
      Wenn du als Hardcore-Anarcho keine Solidarität außer mit dir selbst empfindest, dann spiel wirklich besser Squash.

      1. Fußball ist das Letzte, wofür ich in die Breche springen würde und heute noch weniger, als es schon damals der Fall war.
        Fast, ich spiele Tennis und Snooker, denn dort kann ich mich nämlich dort sehr schön, als Individuum verwirklichen und es geht dort Fair zu!

    2. Wer Andere als “Pöbel” bezeichnet, passt ins Schema der Linken, die Christian Baron in seinem Buch “Proleten, Pöbel, Parasiten” beschreibt.

      1. Ich bezeichne “Andere” sogar manchmal als “Arschlöscher”!
        Im Vergleich dazu, lässt der “Pöbel” fast noch gewisse Sympathien durchblicken. 😉
        Und nein, ich gehöre nicht zu diesen Emporkömmlingen wie “Richard David Precht”, die sich abfällig über Arbeitslose, respektive HartzIV Empfänger äußern.
        Und ja, ich bin genau der von dir beschriebene Linke, der auch noch aus dem Schoße des Adels entsprungen ist, doch passe ich nicht ins Schema F, nur, weil ich gewisse Leute eben so beschreibe wie sie sich mir ganz unprovoziert des öfteren darstellen.

        1. Precht hat sich durchaus positiv verändert – wie u.a. sein Buch mit Welzer verdeutlicht.
          “Pöbel” hat nix Positives, sondern bedeutet immer Verachtung gegenüber Menschen, die vielleicht einen etwas anderen Humor haben, sich etwas anders anders ausdrücken.
          Der “Anarchist” mit ermäßigtem Theater-Eintritt dank Studentenausweis mag mehr vom sogenannten Bildungskanon erlangt haben. Klugheit im eigentlichen Sinne ist etwas Anderes.
          Das moralische Überlegenheitsgetue bestätigt, weshalb “Anarchisten” von echten Linken verständlicherweise immer mit Misstrauen beäugt werden.

          1. Ah, also genauso wie früher: “Anarchisten sind keine (echten) Linken”!
            Und nein, der Begriff “Pöbel” verspricht wirklich nichts positives.
            Es geht auch nicht um den Humor, darüber lässt sich sicher ähnlich wie auch in der Kunst streiten.
            Es gibt intellektuelle, egal auf welcher Seite sie stehen und es gibt Leute mit niederen Bildungsniveau.
            Darüber sind wir uns wohl einig.
            So, und wenn der Pöbel regiert, wird es ungemütlich, grausam und totalitär, denn, Gerechtigkeit, Humanismus oder gar die viel gepriesene Toleranz, kommt nur über die Bildung / Wissen der Menschen!
            Auch echte revolutionäre Gedanken, einschließlich der Lösungsansätze kommen nur über die Bildung eines Menschen.
            Ich weiß das, sie wissen das alle wissen das…nur, möchte das keiner wahrhaben.

    3. Queue und Racket in den Müll. Empfehle stattdessen, und zwar ganz aufrichtig, einen Schnupperkurs in einem guten Boxverein, also dort, wo das Gesindel, die Proleten und “das Milieu” sich alltagstauglich zu machen versuchen.

      1. Ich hatte im Zuge meines ereignisreichen Daseins, notwendigerweise, auch Unterricht in anderen Selbstverteidigungstaktiken,
        Boxen, ist mir dann doch etwas zu profan.
        Denn, jedesmal, wenn ich mich in meinem Leben prügeln musste, geschah dies in Verteidigung meines Lebens.
        Und, wie nicht anders zu erwarten, war es der Pöbel, der eins in die Fresse gekriegt hat. ;-)))
        Persönlich habe ich im Übrigen, Zeit meines langen Lebens wirklich niemanden kennengelernt, mit dem ich in irgendeiner Weise befreundet war, der dem Fußball etwas abgewinnen konnte.
        Nicht einmal bei der Damenwelt, der ich ebenfalls immer noch sehr zu gewandt bin.

        1. Warum habe ich nach solchen Beiträgen nur das Gefühl, “Publicviewer” ist 1,50 m groß, 140 kg schwer und hat Brüste wie Stormy Daniels??

  3. Ich glaube, der Verweis auf ” linke Theorie” ist gar nicht so falsch. Also der Verweis, nicht die Theorie. Nachdem wir uns das revolutionäre Subjekt, die Arbeiterklasse, ausdachten und seine historische Mission messerscharf nachwiesen, die finale Krise des Kapitals mehrfach prognostizierten, können wir es mit dem Besserwissen nicht so einfach sein lassen. Und wenn das revolutionäre Subjekt keine Revolution macht und das Kapital einfach immer weiter akumuliert, lassen wir uns durch die öde Realität, die uns einfach nicht Recht geben will, nicht entmutigen. Wir müssen uns einfach Gegenstände für unsere theoretische Kritik suchen, die uns nicht so schamlos im Stich lassen. Fußball ist eine richtig gut Idee. Fußball kann nicht widersprechen. Egal welche Ideen uns durch den Kopf gehen, welche Thesen wir in den Raum stellen, ob irgendwas behaupten oder das genaue Gegenteil davon – wie wird das zu widerlegen sein. Ich werde das in Zukunft modifiziert aufgreifen und wann immer meine Mannschaft schlecht spielte, mir also keine Lebensfreude vermittelte, war es rechter Fußball. War es o k. auf jeden Fall “linker” Wer könnte daran zweifeln?
    Und wehe dem, der das für esoterische Spinnerei ohne den Hauch von Evidenz hält.

  4. Soccer/Fußball ist ein Sport für Gentlemen, der von Mädchen gespielt wird. Wer kennt sie nicht die Soccermommy, die Spielerfrauen, Vokuhila und die besoffene Couchgarnitur Hooligans.

  5. Viele sind übelst am Showbizz zerbrochen: Janis Joplin, Jimi Hendrix … — Die Kurve hat Diego Maradona gerade noch so gekriegt.

    Er bleibt der leichtfüßigste Ball-Zauberkünstler, der im Stadion die Massen verzauberte:

    ‘Maradona’ auf youtube suchen – etwas Zeit nehmen – FREUEN !! — unbändige Ball-Freude, so nur bei ihm!

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