Lauter verschiedene Markusse

Markus Söder
European People’s Party, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons, bearbeitet

In seinem Bundesland durfte man während der Pandemie phasenweise nicht mal auf einer Parkbank sitzen. Nun will er Bundeskanzler werden: Markus Söder.

Man kann es drehen und wenden wie man will, egal wer da für die Kanzlerschaft kandidiert, bei welcher Partei auch immer, man fällt immer auf einen zurück, der mitgemacht hat. Oder schlimmer: Auf einen, der schwer daran beteiligt war, die Bevölkerung während der Corona-Jahre, in Angst und Schrecken zu versetzen. Ob es nun Merz bei der Union oder der bayerische Ministerpräsident Söder ist, alle waren sie beteiligt an Verschärfungsorgien, Kontaktverboten, Ausgrenzungen, Hetze und Spaltung.

Ultimativer Konformist

Auch daran erkennt man, dass die Aufarbeitung jener Jahre ein Nischenphänomen ist. Die damaligen Entscheider machen nicht einfach bloß und nur weiter. Sie steigen in dieser Hackordnung des Wahnsinns auch auf. Dabei kann dieser Markus Söder alles sein: Er war Scharfmacher in den ersten Corona-Stunden und später Lockerungsvorreiter. Anfangs waren Parkbänke verboten, aber die endlose Maskenpflicht setzte er als einer der ersten aus. Das passt zum Wesen des Markus Söder. Er ist ein Chamäleon, ein regelrechter Zelig.

Der Hauptcharakter aus Woody Allens Film von 1983, Leonard Zelig, ist ein wirklich unsicherer Typ. Irgendwann kompensiert er das, indem er sich gegenüber anderen Menschen, in deren Umgebung er sich befindet, mental und physisch anpasst. Steht er mit einer Gruppe dicker Rabbis beisammen, wird er augenblicklich dick, ihm wächst ein Bart und er äußert sich wie ein Gelehrter. In einer Opiumkneipe wird er zum Chinesen. Kaum läuft ihm ein Mobster über den Weg und er unterhält sich mit ihm, benimmt er sich wie Capone oder Lucky Luciano, steckt in Nadelstreifen und trägt Schmiss wie Scarface. Zelig ist ein kranker und ein unglücklicher Mann: Er hat keine Identität, passt sich einfach an, um akzeptiert zu werden.

Als die Öffentlichkeit von diesem Phänomen erfährt, nennt sie ihn ein menschliches Chamäleon. Das erinnert doch sehr an Markus Söder. Wenn wir jetzt schon dabei sind, von Zelig zu sprechen, sei zunächst mal erwähnt, dass sich dieser Film lohnt. Allen hat ihn als fiktive Dokumentation verfilmt. Mockumentary nennt sich das. Auf den Zuschauer wirkt es, als habe in den Zwanzigern tatsächlich ein Mann dieses Namens mit dieser psychischen und damit physischen Erkrankung gelebt. Kulturkritikerin Susan Sontag, Schriftsteller und Literaturpreisgewinner Saul Bellow und Psychoanalytiker Bruno Bettelheim treten als sie selbst auf und geben sich als Weggenossen Zeligs aus. Wenn Sontag Zelig analysiert, muss man fast glauben, dass er eine historische Gestalt war. Bettelheim nennt das Chamäleon in einem Einspieler den ultimate conformist. Das trifft es besser als die reptilhafte Animalisierung von Zeligs Krankheit.

Söders Sack

Zurück im Plot, Zelig ist was für abends, diesem Text hier aber gehört jedoch der Vormittag. Markus Söder passt sich an, er weiß, was er wann und wo zu sagen hat. Wie er auftreten muss, um angepasst zu sein. SZ-Journalist Roman Deininger hat den Franken im Zuge seiner Recherchen zu einer Söder-Biographie über einen langen Zeitraum begleitet. Immer wieder überraschte ihn dabei dieser Markus Söder. Mal gibt er den evangelischen Bibeltreuen, der starke Worte gegen den Islam spricht. Dann gibt er sich als Freund der türkischen Community zu erkennen.

Die ersten Jahre seiner Karriere agierte Söder als Terrier. Im Amt des Parteisekretärs. Aber auch als Minister nahm er diese Rolle weiterhin ein. Er gab den streng konservativen und marktliberalen Typus. Neben so einen Heißsporn sah jeder Ministerpräsident ganz leicht wie ein milder Landesvater aus. Kaum witterte er, selbst Landesvater werden zu können, stellte er den bissigen Modus ab.

Aktuell bringt sich Markus Söder für das Amt des Bundeskanzlers in Position. Angekündigt hat er es neulich erst. Aber seine Charmeoffensive und Rainbow-Tour läuft schon etwas länger. So gab er Ina Müller die Ehre, besuchte sie in ihrer Sendung im Hamburger Schellfischposten, einer Kneipe, in der Inas Nacht aufgezeichnet wird. Vor vollem Haus sang Markus Söder, als habe er sein Leben lang als Interpret auf der Bühne gestanden. Söder soff mit Müller, so wie man es von ihr und der Sendung gewohnt ist. Der Franke trinkt aber eigentlich keinen Alkohol. Deininger berichtet, dass Söder in bayerischen Festzelten zwar den Maßkrug stemmt, aber bestenfalls nippt. Tonkrüge lässt er sich prinzipiell mit Mineralwasser füllen und stößt dennoch zum Prosit an. War da wirklich Schnaps im Gläschen bei Ina Müller?

Später fragte die Moderatorin den Ministerpräsidenten, ob er einen kleinen Anker am Sack tätowiert habe. Söder hält sich die Augen zu, spielt mit. Hätte ihm das mal einer in einer Elefantenrunde gefragt oder im bayerischen Landtag. Söder hätte so einen Jargon verurteilt. Der ultimative Konformist weiß aber, im Schellfischposten macht man mit. Wenn Ina zu fortschreitender Stunde zum Bierdimpferl wird und nach Markus‘ Gehänge fragt, dann führt er keine Debatte über das Benehmen, respektive den Verlust desselbigen. Nein, das hebt er sich für einen Moment auf, wo man zwischen Leuten sitzt, die auf Benehmen wertlegen.

Parabel auf Identitätspolitik

Zurück zu Zelig: Der biederte sich ja nicht nur einfach an, tat so, als sei er dick. Er wurde es tatsächlich auch, wurde ein so überzeugter Dicker, dass ihm eine Wampe wuchs. Unter Ärzten sprach er plötzlich wie ein Mediziner. Auch wenn Mediziner spürten, dass er keiner war. Zelig war von seiner medizinischen Expertise allerdings überzeugt. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass er gerade das ist, was er sein wollte.

Für Markus Söder trifft das ganz ähnlich zu. Wenn er in einem Klima der Angst und der Radikalisierung Radikales von sich gibt, tut er das mit Inbrunst und tiefster Überzeugung. Steht dem allgemeinen Klima drei Tage später der Sinn nach Entspannung und Lockerung, ist Söder plötzlich entspannt und locker: Und das nicht unter Zugzwang, sondern von sich selbst überzeugt, dass er das immer schon war.

Markus Söder war sein ganzes politisches Leben lang schon Zelig. Ein ultimativer Konformist, der ein Sensorium dafür entwickelte, immer genau dann exakt so zu sein, wie man es von ihm erwartet. Deshalb wurde aus ihm in seiner Zeit als Umweltminister ein Bienenschützer. Als er noch nicht mit Menschen zusammen war, die der Natur nahestanden, kümmerten ihn die Brummer herzlich wenig. Das ist das Gespür eines Machtpolitikers, der keine inneren Werte konserviert hat. Deswegen ist dieser Söder auch kein Konservativer im eigentlichen Sinne. Denn Konventionen und Werte sind je nach Begleitung für ihn unterschiedlich. Bei Ina Müller lacht er, wenn sie sein Gemächt thematisiert. Aber nur dort, denn dort lachen alle darüber. Zelig lachte nur, wenn andere lachten. Konformistisch. Zelig war auch eine Parabel auf die Identitätspolitik. Das wusste der Film damals aber noch nicht.

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28 Kommentare

  1. Eine prägende Erfahrung meiner politischen Sozalisation war in den 70ern zu Zeiten Brandts eine Rede von Herbert Wehner in einer westfälischen Kleinstadt. Die war fest in der Hand der CDU, mit hohem NPD-Wähleranteil. Die örtliche SPD hatte also zu einer zentralen Wahlkampfveranstaltung die Stadthalle angemietet, und dort trat Herbert Wehner auf. Jener Herbert Wehner der im Bundestag wüste Beschimpfungen mit Franz Josef Strauss austauschte und als “Kommunist” verschrieen war.

    Seine Rede fiel etwas anders aus, als erwartet. Nein, Wehner wetterte wie gewohnt. Allerdings wetterte er nicht gegen die CDU sondern gegen die eigene Parteilinke, insbesonders die Jusos, die “linke Spinner” seien, dem “kommunistischen Unrechtsregime” Tür und Tor öffnen wollten und die bei ihm und in der SPD natürlich keinerlei Chance hätten. Dass er mit seinem Versuch, die CDU rhetorisch rechts zu überholen Stimmen für die SPD gewinnen konnte, bezweifele ich. Aber er passte sich an die Positionen des örtlichen, rechten SPD-Ortsverbands an.

    Aber das war meine erste Erfahrung mit dem Politiker als Chamäleon, ein Aha-Erlebnis, das sich später auch immer wieder bestätigte. Markus Söder ist da kein Einzelfall. Ein Zelig zu sein, so sehe ich das heute, ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Politikerkarriere. Nicht nur in CSU und SPD.

    1. Ja, der ehemalige feurige Anarchist Herbert Wehner, der war schon einer. Soll sogar, vor Übertritt in die KPD, die Vereinskasse seiner ehemaligen Genossen (u.a. Erich Mühsam) ausgeplündert haben. Sein damaliger Leitspruch:

      “”Eines darf ein Bund junger Anarchisten vor allem nicht sein: ein Tummelplatz angehender Bonzen, gleichviel welcher Schattierung” (Wehner 1926)

  2. Das ist ja alles interessant und vermutlich auch richtig, aber sollten wir nicht trotzdem heilfroh sein, wenn Söder der nächste Bundeskanzler wird an Stelle von diesem Typen, der öffentlich fordert, weniger Geld für arme Kinder und dafür mehr für Waffen auszugeben? In vielen Ländern dieser Welt hätte der Cheflobbyist ausländischer Unternehmen sich gar nicht erst für ein öffentliches Amt bewerben dürfen. Wenn man Söder also gezwungenermaßen mit Merz vergleichen muss, dann sieht der dagegen doch (wie so ziemlich jeder) nach Gold aus.

    1. Mal ein ganz abwegiger Gedanke. Kann man nicht auch beide – Merz und Söder – Scheiße finden? Geht doch oder? Warum muss man denn über den einen Kackarsch froh sein, wenn der andere ein noch viel mehr….Unrat absondert.

  3. Ich hab die Schnauze voll mir von der Mafia Personen vorsetzen zu lassen denen ich gnädiger weise alle vier Jahre meine Stimme geben kann. Im Gegenteil wenn er aus dem Parteisumpf kommt weiß ich ganz genaue: NEEE! Dem sollte man seine Stimme garantiert nicht geben.

    Wir Bürger sollten die Kanzlerkandidaten und alle Ministerposten vorschlagen nicht diese Verbrecherbande. Außerdem direkte Demokratie, und ein alles überstimmendes Vetorecht! Ob es hier Krieg gibt oder nicht sollte kein Rotschild, Rockefeller oder jetzt Soros entscheiden sondern verdammt noch mal die Menschen denen ein Krieg den Kopf kosten kann. Wir haben hier genau 0 Demokratie. In den USA wurde es sogar von einer Studie einer Elitenuni offiziell sogar bestätig. In den USA herrscht seit 60 Jahren genau 0 Demokratie, genau wie hier. Also wenn diese Gangster davon schwafeln wir müssen “unsere” Demokratie schützen meinen Sie eigentlich ihre Verbrecherorganisation.

    1. Überraschender Clip. Erst beim gebeutelten Scholz machte es endgültig Klick. Interessant auch: Die derangierten und auf den Hund gekommenen Politdarsteller haben tatsächlich ein menschliches Antlitz verpasst bekommen und wirken erstmalig sympathisch und sogar ein wenig liebenswert.
      Tolle und gut umgesetzte Idee.

  4. Für Politiker ist es sehr einfach, Wähler zu beeundrucken.
    Außerdem: Die Menschen vergessen ganz schnell, sie haben längst vergessen was so einer gestern sagte, wenn er heute das Gegenteil verkündet.

    Wie einfach es Politiker haben, Wähler zu beeindrucken sieht man doch ganz klar an der Frau Wagenknecht.

    Ein Minister sagte einmal zu mir, nachdem über eine sehr peinliche Sache von ihm in der BILD berichtet wurde:
    “Das macht gar nichts, die Leute vergessen das ganz schnell, einzig wichtig ist, regelmäßig ein Thema in den Medien zu setzen.”

    1. Ja, der Publikviewer ist schon ein unverbesserlicher Optimist.
      8% Nicht-Opportunisten in Deutschland wären schon sensationell, gehe aber eher von 0,8%, vielleicht sogar 1,5% aus.

  5. “Ein ultimativer Konformist, der ein Sensorium dafür entwickelte, immer genau dann exakt so zu sein, wie man es von ihm erwartet. Deshalb wurde aus ihm in seiner Zeit als Umweltminister ein Bienenschützer. (…) Das ist das Gespür eines Machtpolitikers, der keine inneren Werte konserviert hat.”

    Damit hat Söder genau die Eigenschaften, die der aktuellen Regierung fehlen. Wenn die Deutschen sich Diplomatie und Frieden wünschen, dann sollte Söder dem nachkommen, “innere Werte” stören da nur. Die Ampel hat entschieden zu viel auf “Werte” gesetzt und zu wenig auf Interessen (jedenfalls nicht auf unsere Interessen, sondern auf fremde).

    1. “Damit hat Söder genau die Eigenschaften, die der aktuellen Regierung fehlen. Wenn die Deutschen sich Diplomatie und Frieden wünschen, dann sollte Söder dem nachkommen, “innere Werte” stören da nur. Die Ampel hat entschieden zu viel auf “Werte” gesetzt und zu wenig auf Interessen (jedenfalls nicht auf unsere Interessen, sondern auf fremde).”

      Stimmt eigentlich, Sie haben mich jedenfalls überzeugt. Lasst es Söder machen, ein Mann mit dem Rückgrat einer Würfelqualle. Alleine schon um Bildlich gesprochen Black Rock vor den Eingang seiner Hauptniederlassung zu kacken.

      1. Und um Kanzler zu werden würde Söder sogar in den sauren Apfel beißen und Wagenknecht zur Außenministerin machen. Man stelle sich den Kontrast zu Baerbock vor. Uns dürften interessante Zeiten bevorstehen.

    2. Mit Verlaub, der Söder hat schon Werte. Bei allem was der tut denkt er an sich. Das ist keine gute Voraussetzung um als Unterhändler für die Interessen Dritter einzutreten.

  6. wer den wählt ist wirklich hirntot oder ein abgrundtief dämlicher schwätzer und notorischer lügner wie söder selbst. was ja meistens der fall ist, daß die wähler sich selber wählen. dazu käme noch, daß einer zum kanzler würde, dessen land noch nichtmal das grundgesetz ratifiziert und anerkennt, sondern eine eigene verfassung hat seit 1945 und das polizeiaufgabengesetz – ein repressionsmittel par excellence gegen jeden politisch missliebigen – in rekordzeit eingeführt hat.
    viel spass damit kann ich da nur wünschen.

  7. Früher gab es den Turm zu Babel, dann übernahm Hellywood und alle sind beisammen, im Kreise der Darsteller.
    Und hier diskutiert man wieder über seine ideologischen Darsteller und merkt nicht einmal wer regiert.
    Das ist doch der beste Beleg, was die Psychoanalyse alles kann.

  8. Netter Artikel, vor allem gefällt mir (zugegebenermaßen als bekennender Woody-Allen-Fan), dass der wunderbare Film “Zelig”, mal erwähnt wird. Meiner Meinung nach einer der besten Filme aller Zeiten. Wer ihn kennt, liesst auch im Artikel deutliche Ironie. Söder als der moderne “Zelig”… das hat was….

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