Der Weltmeistertrainer von 1978 war ein Idealist im Haifischbecken. Nun ist César Luis Menotti gestorben.
Für den Argentinier César Luis Menotti hatte Fußball dieselbe Funktion für die Gesellschaft wie ein guter Film, ein gutes Lied oder ein gutes Bild. Fußball war in seinen Augen eine künstlerische Ausdrucksform. Taktische Schulung hielt er für Terror, für eine Freiheitsbegrenzung spielerischer Entfaltungskraft. Er sprach sogar vom Terror der Systeme. Guter Fußball sei links, denn er wolle Lebensfreude vermitteln. Der gewinnmaximierte Fußball galt in seinen Augen als rechts. Gegen die »Söldner des Punktgewinns« hatte er etwas.
Nun ist dieser Philosophentrainer im Alter von 85 Jahren in Rosario gestorben. El Flaco, der Dürre, wie er auch genannt wurde, trainierte vor allem südamerikanische Klubs. In Europa fasste er mit seiner Art nie Fuß. Sein größter Erfolg war der Gewinn der Weltmeisterschaft 1978 im eigenen Land.
Der Ästhet, der Kraftfußball bolzen ließ
Dieser Titelgewinn ist nicht folgerichtig. Er ergab sich nicht aus seiner Spielphilosophie. Seine Mannschaft spielte damals keinen taktisch brillanten Fußball. Das Spiel gegen Peru, das mit 6:0 gewonnen wurde, soll gekauft gewesen sein. Jahre später bestätigten das peruanische Ex-Spieler mehreren Journalisten. Hinter den Kulissen wurden wirtschaftliche Forderungen Perus gegen einen hohen Sieg eingetauscht. Die argentinische Junta unter Rafael Videla wollte unbedingt den WM-Titel errungen sehen. Nur ein hoher Sieg ließ die Albiceleste ins Endspiel einziehen und an der brasilianischen Mannschaft vorbeiziehen.
Dort erzwang man den Titel in der Verlängerung gegen ein niederländisches Team, das die Ausläufer des Totaalvoetball mit dem Pragmatismus des neuen niederländischen Nationaltrainers Ernst Happel, des Wödmastas, vermischte.
Seine Mannschaft spielte einen kraftvollen, wenig ästhetischen Fußball. Er war zweckorientiert. Fast deutsch. Den jungen Diego Armando Maradona hatte Menotti nicht nominiert. Der wurde erst später unter Menottis Nachfolger Carlos Bilardo zu gesetzten Größe. Menotti hielt ihn für noch zu jung. Der Titelgewinn bestätigte seine Entscheidung. Dass ausgerechnet ein so erkämpfter Titel der größte Erfolg des Ästheten Menotti sein sollte, passt wenig zu seiner sportlichen Vita. Menotti selbst zeigte aber Rückgrat. Er biederte sich dem Regime nicht an, bezog aber auch keine Position dagegen. Hätte er dies, wäre er wohl nicht erst vorgestern gestorben. Menotti brachte jedoch Videla und seiner Junta Anerkennung durch den Titelgewinn. Menotti selbst stand zeitlebens kommunistischen Vorstellungen nahe.
Der Kraftfußballer, der Ästhetik kicken ließ
Carlos Bilardo übernahm ab 1983 die Nationalmannschaft. Er stand in dem Ruf, der Gegenentwurf zu Menottis Poesie zu sein. Der wortkarge Mann redete einem effektiven Stil das Wort. Fußball war nach seiner Vorstellung nach ein zweckgebundenes Vorhaben. Es ging darum Tore zu erzielen. Schönheit spielte dabei keine Rolle.
Dennoch spielte die argentinische Mannschaft beim Turnier 1986 in Mexiko einen durchaus ergreifenden Fußball. Namentlich war der an Maradona festzumachen. Nie zuvor und auch nie mehr danach hat ein einzelner Spieler so sehr ein Weltmeisterschaftsturnier dominiert, wie die Nummer 10 der Albiceleste. Dass der Asket Bilardo ansehnlichen Fußball präsentierte, während der Ästhet Menotti Kraftfußball anbot, gehört zu kuriosen Geschichten dieses Sports. Beide wurden dennoch Weltmeister.
César Luis Menotti war in späten Jahren die Stimme eines Fußballs, der sich nach weniger Kommerz sehnte. Als Trainer saß er rauchend auf der Bank und gab kaum Anweisungen. Keiner war dabei so cool wie er. Nicht mal Mario Basler, als er sich bei Koschwitz eine Zigarette ins Gesicht steckte und an seinem Weißbierglas süffelte. Die neue Trainergeneration empfand er vermutlich als Ausdruck der Kommerzialisierung. Dass er in einer Besprechung kleine Rechtecke über das Spiel zog, wie es Pep Guardiola tut, wäre undenkbar gewesen. Mit Menotti tritt ein Mann ab, der das Gesicht des alten Spiels war. Er war Vertreter eines Fußballs, der knorrig und virtuos in einem sein konnte. Der Fußball hatte seiner Meinung nach das Zeug zur Poesie. Und für schlimme Exzesse. Seine Grundessenz war der Fußball, den er durch Ästhetik bändigen wollte. Der Zufall aber ist heute so gut es geht abgeschafft. Unter Menotti war noch weniger Langeweile als heute. Und eine Hand Gottes wird es nie wieder geben.
“Seine Mannschaft spielte einen kraftvollen, wenig ästhetischen Fußball. Er war zweckorientiert. Fast deutsch. ”
Für mich ist dieser Kettenraucher der Erfinder des Brutalofussballs. Wer immer das Spiel Argentinien gegen Ungarn bei dieser WM gesehen hat, wird sich an die ungarische Fussballspieler erinnern, denen die Argentinier rücksichtslos von hinten in die Beine grätschten sobald der Ball in ihre Nähe kam.
Uruguay kam mit dieser Spielweise in der Folge ganz groß raus und scheiterte bei der folgenden WM, nachdem die Spielregeln geändert wurden und ein türkischer Schiedsrichter den ersten Uruguayer nach drei Minuten Bedenkzeit ich dem ersten Foul vom Platz stellte. Danach war Schluß mit dieser Philosophie.
Ich denke, dass ich ziemlich alle argentinischen Spiele gesehen habe, kann mich aber nicht so gut wie du daran erinnern. Aber ich weiß noch, dass ich den Argentiniern den Sieg aus vollem Herzen gönnte, ihre Spielweise aber auch nicht so berauschend fand. Wohl zu robust. Von der fast kultischen Verehrung des Trainers bei der (west) deutschen Linken erfuhr ich erst sehr lange Zeit später. Den Sieg gönnte ich der Mannschaft aber eigentlich auch aus “politischen” Gründen. Ich dachte mir, dass die Leute dort, mit den Nazigenerälen, die ihnen die Amis aufgehalst hatten, nicht so die rechte Freude hätten und das sie diesen Lichtblick verdammt gut brauchen würden. Ob der Sieg tatsächlich die Reputation der Generäle erhöhte? Vieleicht, sicher aber nicht bei den meinen oder bei mir.
Mit der Idee von “linkem” oder “rechtem” Fußball kann ich aber so garnichts anfangen. Ist mir zu sehr an den Haaren herbeigezogen. Man findet irgendwas gut und erklärt das dann für “links” und das langweilige und unkreative für “rechts”. Nun, wer es mag- ich finde es arg schlicht. Zuletzt spielen überall Menschen, die das zum Beruf machten und damit Geld verdienen wollen. Möglichst viel davon. Das machen sie mal besser und mal schlechter und manchmal kommt dabei was raus, was Spaß macht. Der Rest ist aus gedachtes Zeug.
Der Artikel bestätigt, wie sehr Ideologie sich im Sport breit machte.
Die FIFA ist natürlich ganz im Stil der liberalen Politik angekommen. Korrumpiert in materieller wie auch in ideologischer Hinsicht.
Dem Fussball habe ich schon vor den Medien in die Tonne getreten.
Fußball das Zugpferd des europäischen Kapitalismus
Ich bin der Meinung, dass diese Fußball verrückten, die es seit ein paar Generationen durch die breite Masse jeglicher Couleur der Bevölkerung zieht, einer Art Massengehirnerweichung unterliegen und schon immer Teil des Problems war.
Fußball ist genau wie im richtigen Leben kein fairer Sport, gespielt von über bezahlten aber eher unterbelichteten Spielern, die sich benehmen als wären sie Nutten auf dem Laufsteg.
Es vergeht kaum ein Tag ohne Skandale, wie Schlägereien, Spielabsprachen, Wettbetrug, Bestechung, Doping oder wenigstens einer Beleidigung des guten Geschmacks.
Mit dem Produkt, hier Fußball, werden Ersatz-Lebenswelten verkauft (Träume), die der Konsument in einer Wirklichkeit, in der nur noch Produkte und ihre Verheißungen leben, umso selbstverständlicher als seine eigene Welt adaptiert.
Ich schrieb in einem anderen Portal einmal: “5000 Leute waren bei Occupy, aber „Hunderttausende” von Leuten rennen gleichzeitig in die „Allianzarenen”.
Scham und Ehre sind unmodern geworden. Die beliebten Spiele zu sponsern, ist billiger und werbewirksamer. Das Vergessen wird beschleunigt – außer natürlich bei den Betrogenen. Die brauchen sicher etwas länger.
Das sollte euch zu denken geben….Panem et circenses.
P.S. “Fußball ist links”
Meine Fresse, da verbiegen sich meine Fußnägel, wenn ich so einen Schwachsinn lese???
Schon damals haben wohl so einige Leute schon nicht mehr gewußt, wo links und rechts und Männchen und Weibchen ist.
Tja, Fußball war schon immer ein Arbeitersport. Da kommen Salonsozialisten schnell an ihre Grenzen.
Ja, aber eben nicht” links”!.
Nur mal so ganz nebenbei, habe ich früher selbst vereinsmäßig einen guten Ball gespielt und weiß ganz genau, was dort läuft. 😉
Ach ja noch was, nix “Salonsozialist”, sondern echter Landadel und Anarchist alter Unordnung . ;-))
Vielleicht hilft es dir beim Glätten der Fußnägel, wenn du nochmal in seinen Text schaust und feststellst, dass er nicht geschrieben hat, dass Fußball “links” ist. Er unterscheidet zwischen linkem und rechtem Fußball und begründet das auch, wobei mir beim Lesen nicht immer klar wurde, ob es sich auf den Verstorbenen bezieht oder seine eigene Sicht der Dinge darstellt. Ich teile – was ich aber auch schon geschrieben habe – diese Sicht auch nicht, aber verstehe schon, dass er es metaphorisch meint. Aber klar, diese ganze Fußball – Erzählung ist ein Märchen und Menotti darf das tapfere Schneiderlein geben.
Ich beobachte schon seit einiger Zeit, und das mit zunehmender Verwunderung, wie man dem Fußball eine emanzipatorische Eigenschaft andichtet, die mit der Wirklichkeit nicht mal wenig zu schaffen hat. Fakt ist, dass in den großen Ligen und internationalen Wellbewerben Unternehmen Geld in Spieler investieren und die spielen dann da, wo ihr Vertrag es ihnen vorschreibt. Das ist schon alles und trotzdem schafft es die bizarre narzisstische Fanlandschaft, sich da etwas ganz anderes zu phantasieren : Traditionsverein, böse generische Vereine, Treue, Liebe. In ihrer Selbstverliebtheit brauchen die keine Spiele mehr und wenn man in den Stadien ihr Gegröle und ihre einfallslosen 17 mal am Stück wiederholten Gesänge hört, merkt man schnell, dass die vollkommen abgekoppelt vom Geschehen auf dem Rasen sind. Aber, wenn sie sich erst mal zu den Guten erklärt haben, dann gibt es kein Halten mehr, dann dürfen sie alles. In Dortmund zum Beispiel Kinder verprügeln, die mit Leipziger Schal zum Spiel kamen. Und das geht jetzt runter bis in die Regionalliga, also die vierte Liga. Am Wochende stand in Berlin mal wieder ein mit 1,500 Polizisten gesichertes Spiel zweier ostdeutscher Traditionsvereine kurz vor dem Abbruch. Keine Ahnung, ob da linker oder rechter Fußball gespielt wurde. Aber die Pyromanen, die sich gegenseitig und die Polizisten beschossen, können das bestimmt erklären.
Das nervt alles nur noch unendlich.
Und was mache ich jetzt? Anziehen, Kneipe gehen, PSG gegen Dortmund……
Ja, ich weiß,
Ich bezog mich auf das Zitat: “Guter Fußball sei links”!
Und ja, ich habe den Text gelesen.
Ich wollte jetzt auch keine Diskussion aufmachen, was nun links oder rechts ist. 😉
Man kann das ganze auch in Kategorien der Bxxx-Zeitung beschreiben. Da hieß es früher die Russen (also CCCP) seien kollektivistische Roboter und unsere seien Verkörperung des freiheitlichen Individualismus’ und deshalb natürlich sowieso besser. Das ist natürlich Unfug, aber jeder interpretiert halt in seinem eigenen Schema.
(Und nebenbei bemerkt, CCCP (und Dynamo Kiew) hat so ziemlich den geilsten Fußball gespielt, den ich je gesehen habe.)
Aber grundsätzlich war ja auch zu der Zeit, als die vielen Fußballvereine aufkamen, Arbeiter und links zum großen Teil identisch.
Nur drückt sich das halt nicht zwingend in der Spielweise aus. Meine Erinnerung ist da recht blass, aber ich kann mich erinnern, daß die Argentinier damals ein paar gute Spieler hatten (Kempes, Ardiles, Ayala(?)).
Finde es halt aber auch müßig mit der Panem et Circenses-Nummer zu kommen und das gegen Occupy aufzurechnen. Wieviele waren denn statt bei Occupy beim Shoppen oder beim Konzert? Auch deine Skandaldarstellung (z.B. in puncto Wettbetrung) erscheint mir deutlich übertrieben. Doping? Die gelten schon als gedopt, wenn sie mal einen Joint geraucht haben. Es gibt Leute, die leben vom Doping, z.B. Hajo Seppelt.
Das ganze Gedöns um den Fußball ist mehrdimensional. M. e. ist eine Dimension, die des Kultus. Und damit erfüllt er ein menschliches Bedürfnis.
Arbeiter haben vielleicht gern gekickt, aber Millionären dabei zuzusehen, wie sie dem Ball nachrennen?
Nee bedankt. Darum sieht man ja auch immer die Politclowns und Möchtegern Prominenz bei Spielen der oberen Liga.
Darum bezeichnet man heute Fussballstadium, als Arena!
Ave Caesar.
Die deutschen Arenen Bauer, fanden gute Gewinne im Ausland für ihre Arenen.
Das Arena Syndrom hält wohl schon eine Weile stand, diese bezieht sich nicht nur auf Fussball, sondern fast alle Sportarten.
Eine Riege der koruppten unter sich, mit internationalen Flair.
Ja das waren noch Zeiten. Udo sang fröhlich:
Buenos dias, Argentina
Buenos dias, Folterknechte
und im Kickerlager traf man sich mit Traditions-Nazi Rudel.
Da kam wirklich zusammen, was zusammengehört.
Yesss…;-))
Der DFB hat damals übrigens echtes Fingerspitzengefühl gezeigt!
“In Argentinien gründete Rudel in Buenos Aires das „Kameradenwerk“, eine Hilfseinrichtung für NS-Kriegsverbrecher.”
“Während der Fußball-Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien in der Militärdiktatur wurde Rudel auf Einladung von DFB-Präsident Hermann Neuberger im Trainingsquartier der deutschen Nationalmannschaft in Ascochinga empfangen. Neuberger verteidigte den Besuch mit den Worten, eine Kritik an Rudels Erscheinen käme „einer Beleidigung aller deutschen Soldaten gleich“.[27] Unterstützung für den Rudel-Besuch kam von Seiten der rechtsextremen Presse wie der Deutschen Nationalzeitung.”
https://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Ulrich_Rudel
Ein Teil meiner buckligen Familie ist auch dorthin ausgewandert.