Ist das Jiddische eine komische Sprache?

Jiddisches Motiv, Todros Geller
Todros Geller (Died in Chicago 1949-02-23)[1]/The L. M. Shteyn Farlag, Public domain, via Wikimedia Commons
Oder: Ist das “jüdische Deutsch” wirklich nur eine Sache zum Lachen?

Die Mutter einer jüdischen Freundin erzählte mir einmal, sie habe “früher”, in den 60er Jahren, die Nachrichten im israelischen Radio lieber auf Jiddisch gehört als auf Hebräisch. Auch die schrecklichsten Ereignisse hätten auf diese Weise eher amüsant oder liebenswert geklungen. Diese Ansicht, dass Jiddisch eine irgendwie “witzige” Sprache sei, war damals ziemlich verbreitet. Auch im deutschen Sprachraum erreicht eine Sammlung jüdischer Witze von Salcia Landmann eine Millionen-Auflage.

Ich erinnere mich nicht mehr, ob die besagte Mutter selber tatsächlich Jiddisch sprechen oder verstehen konnte. Aber sie schenkte mir eine israelische Schallplatte von Chava Alberstein mit jiddischen Liedern, klar artikuliert, hinreißend dargeboten und hinschmelzend orchestriert. Diese Lieder finde ich bis heute unwiderstehlich. Obwohl ich sie auch recht schmalzig oder übersentimental finde.

Jiddisch negativ konnotiert

Aber, dass das jüdische Deutsch einen von Natur aus eingebauten komödiantischen Touch besäße, ist in meinen Augen – und Ohren – eher Teil eines gigantischen Missverständnisses. Eines schwelenden Feuers, an dessen Ende der Titanic-Zusammenstoß zwischen einer tausendjährigen Liebe zur deutschen Sprache und dem Tausendjährigen Reich des Judenhasses stand, eine Katastrophe von kosmischen Ausmaßen. Es verwundert nicht, dass heute kein Mensch mehr vom “jüdischen Deutsch” spricht, weil das Wort “Deutsch” in diesem Kontext zum Unwort geworden ist. “Jiddisch” allein muss reichen, so als ob man beim Schwyzerdütsch das Prädikat “Dütsch” fortlassen wollte – und doch beweist beispielsweise die Wikipedia-Seite “Schwyzerdütsch”, dass dies sehr wohl eine Variante des Deutschen ist. Eben, Alemannisch. “Schwyzer” allein würde den Tatsachen nicht gerecht werden.

Doch was dieses “Jiddisch” eigentlich sei, weiß heute selbst dort, wo man Deutsch spricht, so gut wie niemand mehr. Im Gegenteil, man versucht sogar, das Wort “Jiddisch” per se zum “Unwort” zu deklarieren. Im Duden-Verlag erscheint ein Buch, das 120 jiddische Wörter in der heutigen deutschen Sprache aufzählt. Sie alle seien negativ konnotiert, man möge sie doch bitte möglichst vermeiden. Wenn jemand Jiddisch lernen möchte, wird er zuweilen gefragt, ob er vielleicht irgendwie ein Jude sei oder warum er nicht lieber Hebräisch lernt? In Amerika, wo es tatsächlich noch “Yiddish” sprechende Menschen gibt, zögern solche “native speakers” nicht selten, überhaupt miteinander Jiddisch zu sprechen, ehe sie nicht auf Hebräisch kundgetan haben, dass sie wirklich legitimiert sind, diese Sprache zu benutzen.

Seltsamerweise finde ich in einem englischen Fachbuch über die “Germanic Languages” zwar Hinweise auf das Luxemburgische, das Holländische, das Schwyzerdütsch und das Pennsylvania Dutch. Aber es ist das Englische, das hier als die heute weltweit verbreitetste “germanische” Sprache dargestellt wird. Dabei würde ich Englisch zunächst einmal weniger als die Sprache der “Angeln und Sachsen”, soll heißen, als eine “deutsche” Verwandte, bezeichnen, sondern eher als eine Form des Norwegischen, mit massiven Einsprengseln aus dem Französischen. Prozentual enthält das Englische doppelt so viel französische wie deutschstämmige Wörter. Und natürlich ein Quantum an Fremdwörtern aus aller Herren Ländern.

Erste deutsche Schriftsprache

Einfaches Schwedisch verstehe ich dagegen, vom Deutschen herkommend, sehr viel leichter als Englisch, vollends unverständlich finde ich insbesondere die britischen Dialekte. Oder gar das Schottische.

“Germanisch” wäre, meiner Ansicht nach, eher sowas wie das Westgotische. Das Ostgotische ging bekanntlich spurlos unter, aber das Westgotische, obwohl nur in einer einzigen frühchristlichen Bibelübersetzung erhalten, hinterließ deutliche Merkmale einer “deutschen” Sprache: “Anda-waúrdi” für “Antwort”, “arbaidijan” für “arbeiten”, “barn” für “Kind”, “fastubni” für “das Fasten”, “faúr-hàh” für “Vorhang”, “filu-waúrdei” für “viele Worte, Gerede”, “filu-waúrdjan” für “viele Worte machen”, “fimf und fimftaihun” für “fünf und fünfzehn”, “lamb” für “Lamm”, “land” für Land, und nicht zuletzt “weihnan” für “heilig machen” – wie in “Weihnachten”.

Wer nun aber in einem beliebigen jiddischen Wörterbuch blättert, dem wächst das “Taytsh” (das “Deutsche”) geradezu im Dutzend zu. (Ich verlasse mich hier einmal auf die in Amerika übliche Transliteration, die mir leichter verständlich erscheint.) “Fartaytshn” für “dolmetschen”, “der ibersetser” für “der Übersetzer”, “die tsaytung” für “die Zeitung”, “nayntsn” für “neunzehn”, “far nit-reykherers” für “Nichtraucher”, “der shroyfn-tsier” für “der Schraubenzieher”, oder auch “dos blitsshlesl” für “der Reißverschluss”.

Diese Sprache ist erkennbar, sie ist wiedererkennbar, “deutsch”, aber sie hat auch die ganze Entwicklung zum heutigen Turbo-Deutsch links liegen gelassen. Man spricht Fremde nicht per “Sie” an, man fragt “Redt ihr iddish?” und der Angesprochene antwortet: “Yo, ikh ret iddish.” Das Wörtchen “gen”, das man im Deutschen nur aus dem Lied über die Matronen kennt, die “gen Italien” reisen, lautet auf Jiddisch “keyn” – man fährt “keyn warshe”, “Richtung Warschau”. Und auch längst vergessene Vokabeln, wie deutsch “das Sitzfleisch” für “Fleiß, Ausdauer, Beharrlichkeit” feiern fröhliche Urständ im Jiddischen als “dos zitsfleysh”.

Kein Duden, keine Groß- und Kleinschreibung, und doch ist dies die erste deutsche Schriftsprache. Auf Jiddisch gab es die erste deutsche Bibelübersetzung, lange vor Luther, die früheste Niederschrift des Nibelungenliedes, und die erste Autobiographie einer Frau auf Deutsch, die siebenbändige Lebensgeschichte der Glückel von Hameln, geschrieben 1691 bis 1719.

Zur Gaunersprache degradiert

In dem oben genannten Fachbuch wird Jiddisch dagegen als die “am schwersten verständliche” Germanische Sprache bezeichnet. Dabei bestehen, Schätzungen zufolge, zwischen 70 und 85 Prozent des jiddischen Vokabulars aus deutschen Wörtern. (Es soll aber auch noch ein oder zwei Wörter aus dem Lateinischen geben.)

Allerdings haben sich auch hier die Dinge, wie bei den West-und Ostgoten, in verschiedene Richtungen entwickelt.  Der preußische Staat machte die Juden von Berlin bis Breslau zu “Deutschen”, die ihren “minderwertigen Jargon” abschüttelten und an den deutschen Gymnasien lieber Latein und Altgriechisch studierten. Das Jiddische wurde zu einer lächerlichen Gaunersprache, zu einem belächelnswerten Kauderwelsch degradiert, wie in jenem Nazi-Film, “Jud Süß”, wo deutsche Schauspieler kein einziges Wort korrektes Jiddisch mehr sprechen konnten.

Jiddisch verschwand aus Westeuropa, nicht einmal Adolf Hitler verwendete ein einziges Wort Jiddisch in seinem Buch – obwohl ich den Begriff “Judenbankert” zunächst für eine Verunglimpfung der Juden durch die Verwendung eines jiddischen Wortes ansah. Das Wort kommt nur einmal vor bei ihm, auf Seite 458. Okay, die Internet-Suche dauerte nur ein paar Sekunden, aber danach war ich immer noch genau so schlau als wie zuvor. Meinte Hitler einen “jüdischen Bankier” – das wäre in den Goldenen Zwanzigern der üblichere Terminus gewesen. Oder benutzte er das englische Wort “Banker” falsch? Versucht er eine Kombination aus “Banker” und “Gangster” wie das heutige “Bankster” herzustellen – um Juden als geldgierige Kriminelle zu bezeichnen? Oder was? Nein, Hitler kannte mit Sicherheit das Wort “Banker” noch nicht. In der englischen Übersetzung steht denn auch klar und plakativ nur “Jew bastard” – eine eindeutig herabsetzend gemeinte Beschimpfung. (Bankert ist also gar kein jiddisches Wort, es ist Bayerisch-Österreichisch für “uneheliches Kind” – und als solches bis heute noch gebräuchlich. In Tirol bezeichnet man mit dem Wort auch, wie ich erfuhr, ein Kind das eine Frau ihrem Mann in der Ehe unterjubelt, obwohl es von einem anderen Mann gezeugt wurde. So oder so, benutzte Hitler den Begriff “Judenbankert” also als eine Verleumdung aller Juden.)

In Osteuropa dagegen …

… inklusive Wien, hatte sich das Jiddische noch länger gehalten, und im Wienerischen haben sich auch ganz alltägliche jiddische Wörter und Redewendungen (“No na! “) bis heute erhalten. Aber es waren die rund sechs oder sieben Millionen Flüchtlinge aus Russland und Polen, die dieses jiddische Deutsch vor dem ersten Weltkrieg nach Amerika brachten und ihm dort eine kulturelle Blüte verschafften.

Was ist also von dieser Weltsprache, die einst von 11 Millionen Menschen weltweit gesprochen wurde, heute noch geblieben?

Nun, gestatten wir uns einen Hinweis auf Isaac Bashevis Singer, den Jiddisch schreibenden Literatur-Nobelpreisträger von 1978, dessen Dankesrede, auf Jiddisch, vor jiddischem Publikum, zufällig bei seiner Preisverleihung von einem Tonbandfreund in Oslo mitgeschnitten wurde. (Es gibt die Rede auf YouTube). Was werden die Juden sagen, fragt Singer da, wenn sie am letzten Tag aller Tage wieder auferstehen? Welche neuen Bücher gibt es auf Jiddisch?, werden sie fragen, meint Singer. Und es gibt in Israel tatsächlich eine jüdische Sekte, die glaubt, dass es eine solche Wiederauferstehung zusammen mit der jiddischen Sprache dermaleinst geben wird.

Aber warum darf man nicht auf Singers Frage mit einer Gegenfrage antworten? Es wäre so leicht, heute, jeden jiddischen Roman in einer lesbaren Transkription, mit lateinischen Buchstaben und Vokabel-Fußnoten, in deutschen Landen auf den Markt zu bringen. Warum ist das bisher nur ein einziges Mal, nur einmal geschehen? (1961, im Verlag der Arche, Zürich: “Rosinkess mit Mandlen” — “Das berühmte jüdische Volksbuch”.) Gerade dieses Buch verdient es, in einer handlichen, computerisierten Version im Tablet-Format wieder aufgelegt zu werden. Und weiter: Immerhin, auf Deutsch, aber fast schon auf Jiddisch, gibt es “Lasik Roitschwantz”, den wunderbaren Roman von Ilja Ehrenburg und “Die Galizianerin” von Brigitte Schwaiger und Eva Deutsch. Beides sehr lesenswerte, und problemlos goutierbare Titel.  Und natürlich bleibt noch eine weitere Frage zu Singers eigenen Werken. Warum gibt es sie nur als Übersetzungen aus dem Englischen, statt im Original, auf Jiddisch? Ganz normal. In lateinischen Buchstaben. Oder vielleicht sogar als Hörbuch, bei Audible. Zum Angewöhnen, oder zum Mithören, beim Mitlesen? Man liest das Buch und hört zugleich den Text. Oder man hört das Buch und liest zugleich den Text. Eine winzige Kleinigkeit. Und es wäre doch ein großer Schritt für die Menschlichkeit, dem Jiddischen im deutschen Sprachraum eine (neue) Heimat anzubieten.

Zum Schluss bei OVERTON zwei Hörtitel, einmal den Welthit “Rock Around the Clock” in der Jiddisch-Amerikanischen Mischversion von Mickey Katz, “Rock arum dem Klack”, und zweitens einen jiddischen Musical-Hit ungefähr aus 1947, den man, als deutscher Hörer, fast ebenso leicht versteht wie einen Austro-Pop Song von Wolfgang Ambros oder dem Ostbahn-Kurti.

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33 Kommentare

  1. Was kann man dazu sagen? Sprache(n) zeigt genauso Geschichte wie Gegenstände. Manchmal sind das schwierige, kritikwürdige Verhältnisse in wechselhaften Zeiten. Wer dialektischem Denken nicht folgen will, dem Denken unter `sowohl-als auch´ statt dem Denken unter `entweder-oder´ , der muss Partei ergreifen. Für welche Seite auch immer. Die falsche oder die richtige? Wer bewertet? Mein Nachbar oder alle Menschen, die Nation oder die Welt? Fortsetzung der Wortspielereien erwünscht.

  2. Wenn man den Großteil der Sprecher einer Sprache umbringt und sich der Rest (teilweise schon vorher) in alle Himmelsrichtungen verstreut, dann bleibt von der Sprache nicht mehr viel übrig. Der Begriff “jiddisch”, also jüdisch ist eigentlich nur im Kontext zu verstehen und im Grunde falsch, denn die jemenitischen, marokkanischen usw. Juden verstanden vom Jiddisch soviel wie ein Pferd von Geometrie.
    Die Juden nahmen ja in vielen Regionen die Sprache der Mehrheitsgesellschaft an, wovon z.B. das Ladino oder auch das Judäo-Arabische zeugen, allerdings habe ich den Eindruck, dass das Jiddische am stärksten als Literatursprache ausgeprägt ist.
    Bezüglich der “Komik” des Jiddischen fällt mir noch eine entsprechende Analogie ein: dem Niederdeutschen wird eine ähnliche Tendenz nachgesagt, was meine Großmutter, so sie noch lebte, aber wohl glatt abstreiten würde.

  3. Meine Großmutter gebrauchte viele Worte ,die aus dem Jiddischen entlehnt waren. „Kosher“, „Meschugge“, „Itzig“… und viele mehr waren Teil ihrer Alltagssprache. Dabei ist sie nie in ihrer Kindheit und Jugend aus Thüringen hinausgekommen. Das waren weder abfällige noch lächerliche Begriffe. Genauso wie sie selbstverständlich das aus dem französischen übernommene „Portemonai“ benutzte.
    Für mich waren Dialekte und Lehnworte aus anderen Sprachen immer geschichtlich bedingt und
    haben oft meine Neugier geweckt. Darüber hinaus habe ich einfach nachgefragt, wenn ich einen Begriff nicht verstand. Aber weder Hass, Häme, noch Verachtung auf die Dialektsprecher sind mir begegnet. Das geschah erst mit der Übernahme der DDR durch den Westen.
    Was da an Hass,Hetze… über „das Sächsische“ abgelassen wurde, ist schon bemerkenswert.
    Wobei kaum einer der Hetzer wirklich weiß, wie dieser Dialekt entstand und dass er die Basis des Hochdeutschen ist… https://m.youtube.com/watch?v=hABHRWYq_Tw&pp=ygUpc2FjaHNlbiB1bmQgdGjDvHJpbmdlbiBkaWFsZWt0IGdlc2NoaWNodGU%3D
    Persönlich finde ich, das das Verschwinden des Jiddischen einen Kulturverlust darstellt.

    1. Im Berlin waren die von dir genannten Beispiele auch bis in meine Kindheit Bestandteil der Alltagssprache. Und wenn man mit der Ankündigung konfrontiert wurde: Ick hau dir uff wien Pfund Maze,was das im Allgemeinen nicht die Gelegenheit, die Herkunft des Wortes Maze und seine Bedeutung zu klären,
      In meiner Kindheit galt es offiziell als unfein, zu berlinern und auf der Straße als arrogant, es nicht zu tun.

  4. Toller Artikel, guter Einstieg! Hat mein Interesse, besser meine Neugier, sehr getriggert!

    Früher wurde das Jiddische auch mit dem Rotwelsch in Verbindung gebracht (erinnere mich dunkel, darüber gelesen zu haben). War wohl auch Teil einer subtileren Diffamierung.
    Dass Englisch und Norwegisch beide ihren Ursprung bei den Normannen haben, die auch aus dem slawischen Sprachraum Anleihen oder sogar Wurzeln übernommen haben, könnte man erwähnen. Extrem komplexe Geschichte, diese Evolution von Sprachen. Spannend.

    1. Jiddisch und Rotwelsch sind doch ziemlich ähnlich und auch der Status vieler dieser Sprecher war ähnlich – meines Wissens. Ich habe mich auch gewundert, dass der Autor diesen Zusammenhang nicht erwähnt hat. Damit gerät die ganze Abhandlung in eine Schieflage

      https://de.wikipedia.org/wiki/Rotwelsch

      Zwei andere Schreiber erwähnten, dass früher ihre Großeltern viele jiddische und französische Worte verwendeten. So kenne ich das auch. Zum Einen war Französisch die Lingua Franca in Deutschland, wie auch das Wort sagt. Zum Anderen waren die Nazis erst ab 39 an der Macht und bis dahin waren Jiddisch-Sprechende in Teilen der Gesellschaft sehr gut integriert – und aufgestiegen.

      Das Fragezeichen in der Überschrift ist schon eine Zumutung. Natürlich kokettieren jiddisch Sprechende damit, dass sie eher zu gesellschaftlichen Randgruppen gehörten in der Vergangenheit und eben nicht Hochdeutsch (Amtsdeutsch) sprachen.

      Also eher liberale, weltoffene Deutsche verwendeten damals viele französische Begriffe und sprachen französisch, so wie wir mit Englisch heute hantieren. Jiddisch oder Rotwelsch wurde oft mit einem Augenzwinkern benützt, es sei denn es war die “Muttersprache” oder Mutterdialekt, aber das war oft schwer auszumachen, eher eine Art Fachjargon, Arbeitersprache oder in jiddischen Vierteln oder von “ultraorthodoxen, aschkenasischen Juden” etc.

      In dem Artikel in der wiki wird, auch in dem Artikel hier, soweit ich das richtig gelesen habe, tatsächlich vermieden, einen Zusammenhang mit Rotwelsch zu sehen.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Jiddisch

  5. Auf Jiddisch gab es die erste deutsche Bibelübersetzung, lange vor Luther, die früheste Niederschrift des Nibelungenliedes

    Ich habe gestutzt und extra nachgeschaut, ob ich irgendwas verpasst habe. Aber nein, das Nibelungenlied gilt nach wie vor als mittelhochdeutsches Heldenepos (= Epos in mittelhochdeutscher Sprache).
    Vielleicht meint der Autor ‘Dukus Horant’, eine Variante des Kudrunlieds?

    1. das interessante dabei ist ja, dass es wohlhabende reisende aus deutschen landen gab, die sich eine räuberpistole als literatur für unterwegs mitnamen, à la “mord im orientexpress” — auf deutsch, aber in hebräischen lettern. die deutschen juden waren eben doch eindeutig gebildete leute, lesefähig, mehrsprachig. in kairo wanderte der text dann von hand zu hand und zuletzt in die rumpelkammer der kairoer synagoge, wo die “heiligen lettern” buchstäblich jahrhunderte lang rumlagen, bis jemand einmal hinkuckte und erkannte, dass der text auf “taytsch” geschrieben war.

    2. „ Auf Jiddisch gab es die erste deutsche Bibelübersetzung, lange vor Luther, die früheste Niederschrift des Nibelungenliedes“

      Sie haben die „etwas“ unernste Intention missverstanden.

  6. Dieser blöden Diskriminierung, eine „komische“ Sprache zu sprechen, sind in Deutschland ja auch die Niederländer ausgesetzt – was der Grund dafür ist, dass Niederländer sich in Deutschland lieber auf Englisch verständigen. Auf die böse Idee, das Niederländische als Gaunersprache zu brandmarken, ist hierzulande allerdings noch niemand gekommen,

    Herzlichen Dank an den Autor für die Erwähnung der Sängerin Chava Alberstein. Die kannte ich nicht, habe sie auf Artemisla gefunden und genieße gerade einige ihrer Lieder. Sehr schön!

    1. Eine Freundin hat extra Niederländisch an der VHS gelernt, um bei einem Niederlande-Urlaub in der Landessprache Kontakt mit den Einheimischen aufzunehmen.Jedes Mal, wenn sie Niederländisch redete, kam immer die Antwort in Deutsch…dabei ist das Niederländische mit ihrem starken Anteil von Lehnworten aus dem Französischen, Englischen…keine besonders komplizierte Sprache…

  7. Guter auflockernder Beitrag, der etwas Verständnis dieser Bevölkerungsschicht entgegenbringt.
    Wie “Ronald” schon ganz treffend mit „Kosher“, „Meschugge“, „Itzig“ beschreibt, benutze ich in bestimmten Fällen auch noch den schönen Begriff “Masel tov”.
    Man sollte bei dieser Gelegenheit den Satiriker “Ephraim Kishon” der bspw. den “Den Blaumilchkanal” geschrieben hatte erwähnen,
    Der es wirklich gut verstand, sich und sein Volk auf eine nur ihm ganz eigene Art und Weise auf den Arm zu nehmen.

  8. Ich halte das“ jiddische“ nicht für lustig(ausser manchmal). Es ist sowohl deutsches als auch jüdisches, also jüdischdeutsches Kulturgut. Man es als hebraisch deutsches Pidgin bezeichnen.
    Es stammt aus einer Zeit als in Europa die Juden bei aller Verfolgung in deutschen Ländern Schutz bekamen(mal mehr mal weniger) und sich mit als deutsch identifizierten.
    Danach kam das absolute Grauen.

    1. Plattdingsda gehört plattgemacht. Det sach ick als Exilberlina(mit Marmelade drin). Nu balinirisch ist Hochditsch. icke dette kiekemal:

      Ein Linguist:
      Im Gegensatz zum hannoveranischen Dialekt kann die berlinerisch brandenburgische Sprachsosse durchaus aus hochdeutscher angesehen werden als die hannoveranische. Es wird zwar oft mir mit mich verwechslelt, aber wenigstens nicht die Vokale.

      Ein Historiker:
      Das ist bekannt, das hat Tucholsky schon gesagt.
      😉

      Bei jiddisch ist es irgendwie anders, es war Zweitsprache unter den Juden und hat durch „abgeschliffene“ hebräische Begriffe die deutsche Sprache auch bereichert um so wertvolle Begriffe wie z.B. „meschugge“ und „Schickse“. Es wurde also nicht nur genommen, sondern auch gegeben.😉

      1. Nieder oder Hochdeutsch werden in der heutigen Zeit oft falsch verstanden!
        Niederdeutsch stammt aus einer flachen Gegend und Hochdeutsch stammt aus den Regionen die man als Gebirge oder gebiergige Gegenden versteht.
        Also Niedersachsen spricht eine Niederdeutsch.
        Aber unsere intelligente Welt ist perfekt manipuliert.
        Oder Frankreich heisst so, weil die Franken unter Karl dem grossen bis nach ‘Frankreich’ einmarschierte.
        Aber halt nicht bis zur Westküste von ‘Frankreich’….

      2. und “meschugge” ist schon verhunzt, eingedeutscht: in jiddisch heißt’s korrekt “meschigge”, die “mischpoke” ist in echt die “meschpoke”.
        wie schon angemerkt, was es hier alles an lehnwörtern gibt, geht auf keine “ku hoyt”: ausbaldowern, ganove, eingeseift, geseier, betucht, geschlaucht, hals- und beinbruch, kaff, ische, geschlaucht, kaputt, kess, kies/moos (geld), kluft (kleidung), knast, verkohlen, kotzen, mies, masche, macke, maloche, gemauschel, mosern, pleite, ramsch, reibach, blau (besoffen), schleimen, schmiere stehen, schlamassel, angeschickert, schmusen, stuss, verknacken, zoff… die liste könnte ich noch über seiten fortsetzen.
        fakt ist: auch nicht der formalkorrekteste nazi könnte heute auch nur 3 zusammenhängende sätze spontan formulieren, ohne auch nur ein einziges jiddisches lehnwort zu benutzen.

        jiddisch ist in meinen ohren eine sehr klangvolle und vor allem empathische sprache, die mit ihrem großen wortschatz verschiedene gefühlsnuancen weitaus besser abbilden kann, als alle anderen europäischen sprachen zusammen- von denen nachweislich keine einzige ohne jiddische lehnwörter auskommt. wer jiddisch als lächerlich oder scherzsprache (miss-)versteht, dem lege ich nahe, sich einmal zwei jiddische politklassiker anzuhören: “in ale gasn”, ein satirisches anarchistisches schmählied aus zarenzeiten und natürlich hirsch glicks unvergleichlichen partisanensong, todernst und vor kamfgeist sprühend: “sog nit kejnmol”.

        wenn es zur internationalen verständigung einer aktuellen “lingua franca” bedarf, ist man mit englisch genaugenommen angeschissen, da diese sprache eine krass reduzierte bauernsprache ist, die z.b. sogar bei den einfachsten volkskrankheiten auf die lateinisch/griechischen fachbegriffe zurückgreifen muss. sie ist genauso ein primitivprodukt wie z.b. türkisch.
        jiddisch wäre optimal geeignet, da es eh schon viel weiter international uploaded als esperanto ist und es wie bereits erwähnt feinste gefühlsnuancen hervorragend abbilden kann.

  9. Die Entstehung des „Jiddischen“ ist so komplex wie die Geschichte Europas schlechthin.
    Entstanden im späten Mittelalter, als die Juden aus dem Rheinland vertrieben wurden. Viele davon siedelten sich in Osteuropa an, wo die damaligen Feudalherren die nach den Mongoleneinfällen leeren Gebiete wieder besiedeln wollten. Ihre Sprache brachten sie mit. Da sie in ihren „Stedln“ meist abgeschlossen vom slawischen Umfeld lebten, konnte sich ihre Sprache behaupten. Später kam der deutsche Kultureinfluss hinzu. Von Wilna(dem „Jerusalem des Ostens“) wo der Baltendeutsche Einfluss stark war, bis Lemberg, wo der österreichische Einfluss prägend wurde. Dazu kommt, das im 19.Jh. Bis Mitte des 20Jh. Deutsch als die Kultursprache Europas schlechthin galt( vorher Französisch). Viele Juden verdienten sich ihren Lebensunterhalt als fahrende Händler. So kam ihre Sprache auch wieder nach Westen…das „Rotwelsch“ entwickelte sich als Sprache des „Gaunerwesens“, indem es viele Begriffe aus dem Jiddischen, Polnischen, aber auch Italienischen…übernahm. Reisende haben eben das übernommen, was ihren Zwecken diente und das sie kannten. Reisende Kleinkriminelle und reisende Händler begegneten sich zwangsläufig und tauschten sich aus…

  10. Ich selbst fand Jiddisch schon immer interessant, zumal ich in süddeutschen Regionen mit Dialekten als “Zugezogener” großgeworden bin und daher die Schwelle für mich niedriger liegt.

    Jiddisch war immer Unterschicht und deshalb gerade auch bei deutschen Juden nicht gut angesehen. Insoweit ist Jiddisch ähnlich dem Berliner, beide anrüchig, in der Berliner “Gaunersprache” (die den Namen prägte, eine ältere Migrantenkultur, aus dem berüchtigten “SO36” in alter Zeit) sind beide sogar miteinander vermischt. Beide sind zum Sterben verurteilt: Wie viel Berliner hat den Mauerfall überlebt? (Oder auch das Münchner Großstadtbayerisch, eine Unterschichtsprache, die sich vom Standard-Fernsehbayerisch stark unterscheidet: Wer spricht es heute noch?) Das Sterben von Sprachen geht schnell.

    Ich fände es sehr gut, wenn das Jiddische als eine der vielen deutschen Mundarten behandelt und so vielleicht in Erinnerung behalten würde! Anders als der Autor meint, gibt es eine ganze Menge aus dem Jiddischen ins Deutsche übersetzte Geschichten in kleinen Liebhaberverlagen. Man muss danach suchen. Als Unterschichtsprache hat es keine Lobby.

    Leider gibt es keine Möglichkeit mehr, sich in das Jiddische als lebende Sprache einzuhören. (Auch für das Berliner ist es heute schon schwierig geworden.) Noly hat oben einen Link hinterlassen. Jiddisch in lateinischen Buchstaben zu lesen, ist nach meiner Erfahrung gar nicht so schwer. (Es gibt übrigens auch jiddische Texte in kyrillischen Buchstaben, wer die beherrscht.)

    1. „Leider gibt es keine Möglichkeit mehr, sich in das Jiddische als lebende Sprache einzuhören. (Auch für das Berliner ist es heute schon schwierig geworden.)“
      Gibt es, es gibt noch Tonaufzeichnungen und es ist noch lebendig bei einigen Juden(schwindet aber), ein Grossteil der Juden möchte das jedoch auslöschen, wegen der Shoa und den Tätern. Ist verständlich aber auch unverständlich da es Kultur zerstört.

      1. Naja, Jiddisch wird halt durch Ivrit verdrängt, was die Standardsprache in Israel ist. Die geflohenen Jiddisch-Sprecher passten sich dann an das neue Land Israel an. In anderen Ländern integrierten sie sich auch in die umgebende Kultur und damit dir örtliche Umgangssprache und als Sakralsprache wurde und wird hebräisch gebraucht. Da ist dann leider kein wirklicher Platz mehr für eine jüdische Alltagssprache.

        1. Danke für den Hinweis zum Ivrit, Ivrit lief bisher bei mir „unter ferner liefen“. Es scheint an Bedeutung zu gewinnen und ist auch interessant als modernes Hebräisch.
          Ums jiddische ist es schade. Mal sehen, vielleicht überlebt es ja doch.

  11. Im Goldschmiedeviertel von Antwerpen ist Jiddisch und damit auch Deutsch noch durchaus lebendig anzutreffen. Einfach mal hinfahren, man spricht deutsch.

  12. Eine jüdische Bekannte in USA hat mir mal erzählt, daß Ihre Eltern untereinander oft Jiddish sprachen aber verstummten und zu Englisch wechselten, wenn sie Ihre Tochter bemerkten. Sie sollte das dann auch nicht lernen. Welch eine dramatische Kulturvernichtung durch die Nazizeit. Heimat verloren, Sprache verloren, Kultur verloren und das Kulturangebot in USA hat gegen die Konsumauswüchse kaum Chancen – na ja jeder kann ja selbst was gegen weiteren Verfall tun – (Malen, Musizieren, Fremdsprachenkurse, Auslandsstudium, . . .)

    1. Ja, die 12 Jahre „Fliegenschiss“ sind ausser Massenmord auch kulturell verheerend.
      Der Mord an den Juden war auch Selbstverstümmelung des „deutschen Volkes“ in allen Aspekten.

    2. Aus ihrer Erzählung kann ich nicht entnehmen, das da ein nationalsozialistischer Sprachwächter zugegen war, der den Eltern dann das Jiddisch untersagte – das war schon ALLEIN deren Entscheidung.

  13. Könnte man sich nicht irgendwann einmal eingestehen, dass die verschriftlichten Hoch und Verkehrssprachen aller Weltgegenden Sache der “gebildeten Stände” waren und nach wie vor sind? Ihrer teilhaftig werden kann nur jemand, der geduldige und ermutigende Lehrer hat, oder einen weit über dem Durchschnitt liegenden Willen sich durch Lesen selbst zu bilden. Die Schriftsprache wird geformt, von Menschen, die diese Leistung erbringen wollen und sich der Aufmerksamkeit und des Wohlwollens der Obrigkeit gewiss sein können, so lange sie nicht wider den Stachel löcken. Sie wird niemandem in die Wiege gelegt. Auch die Erwerbstätigkeit prägt die Sprache. Beamte des höheren Dienstes sind z. B.gehalten dessen `höhere Sprache´zu verwenden und das `Formulardeutsch´- das unterstelle ich – ist dem Willen der Herrschaft(en) entsprungen, die Gewährleistung bürgerlicher, wirtschaftlicher und sozialer Rechte so weit wie irgend möglich zu sabotieren.
    Die zur Zeit allgegenwärtige “Sprachgestaltung” in der Werbung ist zweckgerichtet und leistet keinen Beitrag zum Bemühen der Menschen sich über die sie umgebende Welt zu verständigen, sondern dient ausschließlich dazu, mit Hilfe sozialer Distinktion den Absatz konkurrierender Produkte zu erhöhen, die angesichts industrieller Massenproduktion weitestgehend übereinstimmende Eigenschaften haben.
    Das Jiddische war nie die Sprache ALLER Menschen, die sich der ältesten der monotheistischen Religionen zugehörig fühlen.

  14. Angesischts der Auslöschung der Shtetlekh erscheint mir die Sprache der Shtetlekh weniger als “komisch” als vielmehr wehmütig. Und unter all den vielen Rezitationen in allen möglichen Sprachen des Gedichts “If I must die”, eine davon sogar auf Esperanto gesungen, empfinde ich die Version auf Jiddisch (“Az ikh muz shtarbn”) am ergreifendsten:
    https://www.youtube.com/watch?v=eyKouvmfdmI&list=PLj-mcWeMmSZx5E2Tw6c7SA4Kdk1421SJc&index=2

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