
Eine atomar bestückte Rakete unbekannten Ursprungs macht sich auf den Weg nach Chicago. Sofort zurückschlagen oder abwarten?
Amerika, irgendwann jetzt. Das Frühwarnsystem SBX-1 entdeckt eine Rakete unbekannter Herkunft. Sie nähert sich aus dem nördlichen Pazifikraum Richtung Vereinigte Staaten. Unbekannt ist auch, wer sie abgefeuert hat. Schnell wird klar, dass die Interkontinentalrakete im Raum Chicago einschlagen wird. 10 Millionen Tote werden für den Einschlag erwartet. Weitere Tote je nach Windrichtung werden folgen. Als der Einschlagsort bekannt wird, bleiben nur noch wenige Minuten. Die Kommandoebenen im Weißen Haus und den Außenstellen rotieren. Wie sollen die USA reagieren?
19 Minuten verpackt in 115 Minuten
Diese Szene klingt verdächtig nach einem Szenario, dem sich die Welt vielleicht bald stellen muss. Zum Glück stammt sie aber aus einem Film. Kathryn Bigelow neuestes Werk ist eine Netflix-Produktion und heißt A House of Dynamite. Die Regisseurin präsentiert den Zuschauern keine Identifikationsfiguren, mit denen man sich auf den Weg in einen Dritten Weltkrieg begibt. Sie zeigt viele Gesichter, die die Überwachungsstruktur der Vereinigten Staaten ausmachen. Mit den Aufsichtsbeamten geht es ins Weiße Haus, vorher ist man mit militärischem Personal in einer Überwachungsstation in Alaska.
Routiniert handelt die Aufsichtsebene die Alarmstufe DEFCON 2 ab. Zwei bodengestützte Abfangjäger sollen die Rakete entschärfen. Das Vorhaben scheitert aber, die Betroffenheit steht in die Gesichter geschrieben. Die Chancen eines Abschusses standen 50 zu 50. Der Verteidigungsminister fragt, ob man für 50 Milliarden Dollar tatsächlich nur eine Abwehr mit der Wahrscheinlichkeit eines Münzwurfs bekommen könne. DEFCON1 wird ausgerufen, Evakuierungspläne greifen und es wird direkt die Frage nach der Vergeltung gestellt.
Die Kader diskutieren das aus. Der POTUS, der President of the United States, weigert sich eine solche Entscheidung bereits jetzt zu treffen. Aber die Zeit drängt. Ein auf diesen Fall spezialisierter Offizier steht ihm zur Seite, der ihm den Ablauf der nächsten Minuten erklären soll. POTUS muss entscheiden, wo vergolten wird. Hierzu gibt es ein Standardverfahren, das dem Präsidenten in einem schwarzen Ordner vorgelegt wird. Noch immer ist er nicht bereit, die Codes vorzulesen, die einen Einsatz atomarer Sprengköpfe erlauben. Das Militär drängt aber, es seien nur noch einige Minuten Zeit. Was, wenn man eine Vergeltungsaktion gegen eine Nation startet, die unschuldig ist? Die Russen zeigen sich besorgt und weisen von sich, die Rakete gestartet zu haben. Der Iran ebenfalls. Die Nordkoreaner schweigen. Raketenversuche vor Nordkorea wurden in den Monaten zuvor von amerikanischen Spionagesatelliten registriert.
Alle beteiligten Personen sind per Interkom miteinander im Gespräch. Der STRATCOM-Kommandeur, ein US-General, erklärt dem POTUS das Dilemma: Wenn die USA nicht schnellstmöglich reagieren, werten andere Atommächte das als Schwäche. Sie könnten falsche Schlüsse ziehen und vielleicht sogar gegen die USA losschlagen. Was aber, wenn die Rakete sich in Chicago als Blindgänger erweise? Und was, wenn dieser ersten Rakete nicht weitere folgen? Der STRATCOM-Kommandeur macht klar, dass man 10 Millionen Amerikaner verloren habe. Wenn er in diesem Augenblick sicher wüsste, dass es bei diesem Verlust bleibe, könnte er damit leben, dass die USA nicht voreilig vergelten wollten. Wenn man das aber jetzt falsch einschätze, wird die Heimat durch mehrere Schläge zerstört und die USA verschwinde von der Landkarte. Bigelow setzt mehrmals mit der Geschichte aus anderem Blickwinkel an. Ungefähr 19 Minuten verbleiben bis zum Einschlag. Diese 19 Minuten startet die Regisseurin immer wieder neu. Der Zuschauer folgt den jeweiligen Protagonisten auf diese Weise nahezu exklusiv.
Das Grauen ohne das Grauen
A House of Dynamit zeigt eine kurze Geschichte in Überlänge. Das macht den Film etwas anstrengend und lässt das Publikum an manchen Stellen unbefriedigt zurück. Denn die Folgen, die ein solcher Einschlag hat, bekommt man nicht vermittelt. Nicht in Bildern und auch nicht in Ausführungen. Die Protagonisten sind vermutlich allesamt von diesem ersten Einschlag nicht betroffen. Dennoch gelingt es Bigelow ein Grauen einzufangen, das das eigentliche Grauen nach einer nuklearen Verwüstung ersetzt. Die staatlichen Aufsichtsbehörden, das Militär und die Politik werden in ein Szenario geworfen, in dem sie grauenhafte Entscheidungen treffen müssen.
Sie erleben nun, was laut POTUS ein Kommentator unlängst in einem Podcast gesagt habe, dem er lauschte. Der Kommentator sagte: Man habe sich auf der Erde ein Haus voller Dynamit gebaut und man weiß, dass es eines Tages hochgehen wird. Bigelow gestaltet ihre Figuren zwar menschlich, ohne sie in der für Hollywood so beliebten Nabelschau der Gefühle verlieren zu lassen. A House of Dynamit versucht die Professionalität der Sicherheits- und Aufsichtsbehörden einzufangen. Mancher Kritiker wird das falsch verstehen und Bigelow der Verherrlichung zeihen. Aber sie zeigt im Kern eine Professionalität, die die Menschheit in den Abgrund wirft.
Spoilerwarnung: Die letzten Worte sind die des POTUS, die man schon während des Films vernahm. Meine Befehle … dann bricht der Film ab. Es sieht so aus, als ob er die Befehle zur Vergeltung gibt. Dann blendet die Kamera ab, doch noch einmal sieht man den Atombunker, in dem die Regierung ausgewählte Insassen bringt, die für weitere Regierungs- und Handlungsfähigkeit sorgen sollen. Sirenen sind zu hören. Und danach?
Zur richtigen Zeit
Das bleibt dem Zuschauer überlassen. Auszugehen ist vom Schlimmsten. Bigelow zeigt, welche Dynamiken sich in den wenigen Minuten entwickeln können. Eine Kette von Abläufen kommt in Gang, die sich nicht mehr bremsen lassen. Es mag Vernunft geben, wie den Präsidenten, der sich weigert, direkt zur Vergeltung überzugehen. Aber diese menschlichen Anwandlungen gehen im Apparat unter und werden von den erdrückenden Standardverfahren für den schlimmsten Fall übertölpelt. Es gibt keine Exit-Strategie, es geht um alles und letztlich um das Nichts, das danach allen blüht.
Bigelow präsentiert der Öffentlichkeit zum richtigen Zeitpunkt einen Film, der mit der Kontrollierbarkeit kriegerischer Gewalt durch kriegerische Gewalt aufräumt. Man kann es einfach nicht unter Kontrolle halten. Ihre Figuren sind rationale Charaktere, die nicht fanatisiert in einen Dritten Weltkrieg schlittern wollen und die in einer Art Gruppendynamik doch nicht mehr außerhalb der Box denken können.
A House of Dynamit ist sehenswert. Er hält sich nicht mit lästigen Nebenhandlungen auf, präsentiert keinen Helden, sondern versucht nüchtern den Beginn des Dritten und vielleicht letzten Weltkrieges zu dokumentieren. Vielleicht war die Interkontinentalrakete ja ein Blindgänger. Und eventuell gab es sie gar nicht, denn mit eigenen Augen gesehen hat sie niemand. Spätestens die Vergeltungsdoktrin war real und stellt den Beginn des Unterganges der Menschheit dar. Es ist zu hoffen, dass viele Menschen diesen Film sehen werden.
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Kathryn Bigelow!! Was ist los, wenn da nicht sämtliche Alarmglocken läuten?
Ich habe vor Jahrzehnten mal gelesen, dass Castro wollte, dass die sowjetischen Raketen auf Kuba in nördlicher Richtung abgefeuert werden, obwohl das sein Ende, das Ende Kubas und das Ende Menschheit bedeutet hätte. Damals war ich ziemlich sauer auf ihn. Damals.
Dann wäre Fidel aber ziemlich dumm gewesen … Auch er war ja m.W. ein ‚Genussmensch‘ und schätzte Frauen, Zigarren und Alkohol. Die Macht ebenso.
Kannst Du mir einen Beleg liefern, daß er 1962 es auf den ‚Weltuntergang‘ angelegt hatte?
Und ad „damals“: Warst Du 1962 schon ‚politisch wach‘? Dann müßtest Du heute in Deinen 80ern stehen. An *meinem* Geburtstag stand die Kubakrise gerade auf ihrem Höhepunkt …
bg
„Kannst Du mir einen Beleg liefern, daß er 1962 es auf den ‚Weltuntergang‘ angelegt hatte?“
Da müsste ich jetzt vermutlich lange suchen. Ich bin aber sicher, dass ich mich nicht falsch erinnere!
„Warst Du 1962 schon ‚politisch wach‘?“
Nein. Weiß der Geier, wo ich seinerzeit war 😉 Aber wie ich schrieb, habe ich Jahrzehnte später davon gelesen.
Nachtrag:
In der bekanntermaßen fragwürdigen Wikipedia findet man dazu folgendes:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kubakrise
Mein „Erstkontakt“ mit Darstellungen dieser Art ist allerdings noch älter als die Wikipedia.
Der Westen hat seit ‚3Jahren‘ ihre Gewinner in die Front gesendet und nicht ein einziger, hat seine PR Performance realisiert….
Die Börsen platzen vor all dem bösen Zeug…, von der westlichen militärischen Industrie…
Angeblich!
Der Westen mit Airbus oder Boeing ist am abkacken, so ist das auch mit ihren militärische Sektor am abkacken ist, da diese „Hirne“ aufgegeben haben Innovationen zu präsentieren zu moderaten Preisen zu präsentieren..
Das Resultat daraus ist, der Westen kann überhaupt nicht mehr mir irgendetwas an menschlichen oder künstlichen Intelligenzen fertig stellen, um diesen Konkurrenten zu konkurrieren.
Der Wettbewerb sind über 8 MRD Bürger auf dieser Welt…
Zu spät, „Henryk Gondorff“ 😉
Das Thema wurde schon von Suchsland bei TP abgehandelt und ich erkenne keinen „Mehrwert“ darin.
Da kann und will ich keinerlei Wertung zu der Situation mehr geben, außer – „Lasst die Waffen fallen, Ihr Irren!“.
Ich habe den Film nicht gesehen, aber eines ist sicher: Trump wird darin garantiert viel zu milde dargestellt. In Wirklichkeit hätte er keine Sekunde gezögert – der Finger wäre längst auf dem Knopf gewesen, noch bevor jemand „Mr. President“ sagen konnte.
Er hätte das ganze Arsenal losgeschickt, einfach weil ihm die Richtung „logisch vorkommt“. Vermutlich gleich gegen alle – Hauptsache, es knallt.
Trump in einer solchen Situation? Das ist kein Staatsmann, das ist Donald Duck auf Speed – schreiend, wild gestikulierend, beleidigt, wenn jemand widerspricht, und überzeugt, dass er die Welt rettet, während sie schon in Flammen steht.
Rationalität? Null. Diplomatie? Fehlanzeige. Hauptsache laut, impulsiv und so überzeugt von der eigenen Größe, dass selbst ein Fehlalarm wie göttliche Eingebung wirkt.
Wenn dieser Mann wirklich vor dem roten Knopf stünde, dann wäre das kein „Haus voller Dynamit“ mehr – das wäre ein Vergnügungspark voller Zündschnüre, und er würde stolz mit der Fackel herumlaufen.
Sie haben mir den Kommentar quasi aus der Feder genommen. Genauso wie Sie
habe ich gerade beim Lesen des Artikel gedacht. Danke!
P.s. Donald Duck auf Speed….geil!
Nun gut, aber in dem Film ist der Präsident ein Schwarzer, gespielt von Idris Elba, der etwas zu spät informiert werden kann um noch wirklich eine sinnvolle Entscheidungsgrundlage zu haben.
Wir wollen uns hier doch bitte nicht in Details verzetteln! 😉
oh, sorry for spoiling🫡
Ich hatte den Film bereits vor Tagen vor der Flinte, mich hat aber (bitte nicht auslachen!) die nur mittelprächtige IMDB-Bewertung von 6,5 abgeschreckt. Außerdem erwarte ich von Ami-Lichtspielen erstmal nicht viel.
Des Weiteren schaue ich gerade das hier: https://www.imdb.com/de/title/tt14909772
(Zwischenfazit nach 3/8: Wirklich nicht übel!)
Two Moon: Genau das ist Typisch Hollywut. Man macht quasi die Realität möglichst
unmöglich. Aber hier hat man wohl vergessen, dass Obama ein Schwarzer war und
trotz seines Friedens-Nobbel-Preises einer der größten Kriegsverbrecher.
Das ganze beruht auf den Buch
„72 Minuten bis zur Vernichtung“ : https://de.wikipedia.org/wiki/72_Minuten_bis_zur_Vernichtung
Ich habe den Film gesehen.
Ich fand ihn auch sehenswert, auch wenn ich Zweifel an einigen der dargestellten Prozeduren hatte.
Ich glaube es würde nicht genauso ablaufen. Aber obwohl keiner wusste woher die Rakete kam, mussten sie doch einen kleinen Seitenhieb zu Russland/Ukraine einbauen. Waren aber nur zwei-drei Sätze von einem Offizier. Ansonsten war es recht neutral.
Besonders war aber die dichte Atmosphäre in dem Film. Das Tempo mit dem so eine Krise Fahrt aufnehmen kann und wie schnell dann alles innerhalb von Minuten chaotisch wird… Verantwortlichkeiten durcheinander geraten und dann, wenn es sein muss, einfach keine vernüftige Handlungsgrundlage verfügbar ist.
Man weiß danach: Es gibt keinen Grund auf irgendwelche Sicherheitsmechanismen und auf die Verantwortlichkeit der Menschen an den Schaltstellen zu vertrauen. Die Hochrüstung selber ist alleine schon ein Grund warum es mal schief gehen könnte.
Das Szenario krankt daran, das die USA beachtliche Zweitschlagfähigkeiten hat, mit denen man jeden nachträglich klar machen kann, das das eine saudumme Idee war.
Generell ist zu vermuten, das Chaos auf Entscheiderebene ausbricht.