
Die Ermordung des Habsburger Thronfolgers Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 brachte eine Lawine ins Rollen, an deren Ende der Ersten Weltkrieg stand. Einen Automatismus gab es allerdings trotz des vorausgegangenen allseitigen Wettrüstens nicht. Die Fahrt in den Abgrund hätte gestoppt werden können – hätten alle Akteure nicht den damit verbundenen ‚Gesichtsverlust‘ gescheut. (Parallelen zur Gegenwart sind rein zufällig …)
Der Besuch war eine Provokation. Das war allen direkt und mittelbar Beteiligten klar. Ausgerechnet am Vidovdan (St. Veitstag) – dem für die Serben heiligen Tag ihrer mythologisch überhöhten Niederlage 1389 gegen die Osmanen –, ausgerechnet am 28. Juni 1914, dem 525. Jahrestag der „Schlacht auf dem Amselfeld“, dem Symbol für den serbischen Freiheitsdrang und Unabhängigkeitsanspruch, besuchte Österreich-Ungarns Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand zusammen mit seiner Frau, der Herzogin Sophie Chotek von Chotkowa, die Hauptstadt der von der Habsburger Doppelmonarchie fast sechs Jahre zuvor annektierten Provinz Bosnien, Sarajewo.
In der Region, die seit dem Berliner Kongress 1878 – formal noch zum Osmanischen Reich gehörend – unter österreich-ungarische Verwaltung gestellt, 1908 jedoch von Habsburg annektiert worden war, brodelte es schon lange. Die der österreichischen Herrschaft gegenüber feindselig eingestellten bosnischen Serben strebten eine Vereinigung mit ihrem ‚Mutterland‘ an, wo panslawistische Strömungen dominierten. Serbien seinerseits hatte bereits während des Berliner Kongresses Ansprüche auf die Provinzen Bosnien und Herzegowina erhoben.
An Warnungen im Vorfeld hatte es nicht gemangelt, selbst Belgrad hatte klandestin vage Hinweise auf Attentatspläne lanciert. Aber Franz Ferdinand hatte sie alle in den Wind geschlagen. Der Besuch Sarajewos sollte seinem Entschluss zufolge genau an jenem 28. Juni stattfinden. In seinem Roman „Die Schüsse von Sarajewo“ kommentiert der österreichisch-serbische Schriftsteller Milo Dor das Verhalten des designierten Habsburger Thronfolgers: „Entweder war er stur, oder er hatte kein Taktgefühl. Wahrscheinlich traf beides zu. Er wusste nur zu gut, was für eine Stimmung in Bosnien herrschte.“
Und so nahm das Unheil seinen Lauf.
Die Macht des Zufalls
Zwangsläufig war allerdings nichts. Immer wieder hatte der Zufall seine gespenstische Hand im Spiel.
Als Franz Ferdinand, vom nahegelegenen Kurort Ilidža kommend, wo er am Vortag dem Abschluss der Manöver des XV. und XVI. k.u.k. Korps in Bosnien beigewohnt hatte, am Vormittag des 28. Juni zusammen mit seiner Frau Sophie im aus sechs Fahrzeugen bestehenden Konvoi und – darauf hatte er bestanden – offenem Verdeck den Miljacka-Fluss entlang durch das Zentrum Sarajewos Richtung Rathaus fuhr, da warteten, entlang der Route verteilt, unter den jubelnden Zuschauern am Straßenrand bereits sechs junge Männer des serbischen Geheimbunds „Schwarze Hand“, unter ihnen der neunzehnjährige Gavrilo Princip, darauf, das Symbol des verhassten Habsburger Staates zu ermorden. Die Nachlässigkeit der Verantwortlichen hatte es ihnen leichtgemacht: Die Sicherheitsvorkehrungen waren gering ausgefallen – Kontrollen und Absperrungen gab es keine –, Zeitplan und Fahrtroute waren zudem Wochen zuvor in den lokalen Zeitungen bekanntgegeben worden.
Zunächst einmal ging für die Attentäter allerdings so gut wie alles schief. Als die Kolonne gegen 10 Uhr auf dem Apfelkai den ersten Mörder in spe passierte, unternahm dieser – nichts. Der zweite, so zumindest die Legende, brachte es angeblich nicht über sich, das schneeweiße Kleid der Herzogin mit Blut zu beschmieren. Erst der dritte schleuderte die Bombe auf den Wagen des Erzherzogs, wo sie am zurückgeklappten Verdeck des Fahrzeugs – anderen Quellen zufolge am Arm Franz Ferdinands – abprallte und auf der Straße, kurz vor dem nachfolgenden Automobil detonierte und dort drei Insassen sowie einige am Straßenrand stehende Passanten leicht verletzte. Auf Befehl des Erzherzogs setzte der Konvoi seine Fahrt ungerührt programmgemäß fort und passierte auf dem Weg zum Rathaus zwei weitere Attentäter, die jedoch nichts unternahmen.
„Herr Bürgermeister, da kommt man nach Sarajewo, um einen Besuch zu machen, und wird mit Bomben beworfen! Das ist empörend!!“, schnaubte der Thronfolger das Stadtoberhaupt und die versammelten lokalen Honoratioren wütend an, als sie endlich ihr Ziel erreicht hatten.
Bei den folgenden Ereignissen spielte wiederum der Zufall eine verhängnisvolle Rolle.
Nach dem Empfang im Rathaus, der eine knappe Stunde gedauert hatte, fasste Franz Ferdinand den Entschluss, die Verletzten im Militärspital zu besuchen – die Route wurde also geändert, allerdings nicht mit der örtlichen Polizei abgesprochen, worauf die Kolonne, irrtümlich auf den ursprünglich vorgesehenen Rückweg geleitet, die Anreiseroute in umgekehrter Richtung wieder zurückfuhr. Als der in einem der Wagen sitzende und für den Programmablauf zuständige Militärgouverneur Oskar Potiorek den Irrtum bemerkte, ließ er den Konvoi auf der Höhe der Lateinerbrücke stoppen, um zu wenden und zur geänderten Route zurückzukehren. – Was nun geschah, schildert der Politikwissenschaftler Herfried Münkler in seinem Wälzer „Der große Krieg. Die Welt 1914 – 1918“:
„Doch just an der Stelle, wo das Auto mit Franz Ferdinand und seiner Frau anhielt, befand sich der bosnische Serbe Gavrilo Princip. Als Einziger der Attentäter hatte er nach dem Fehlschlag des ersten Anschlagsversuchs nicht aufgegeben, sondern war an der vorgesehenen Route geblieben und hatte auf eine zweite Chance gewartet. Die bot sich ihm jetzt und er feuerte auf das zum Stillstand gekommene Fahrzeug zwei oder drei Schüsse ab. Ein Schuss traf den Erzherzog in die Halsvene, ein anderer die Herzogin Sophie in den Bauch. Der Wagen raste nun zur Residenz des Militärgouverneurs, die sich nur wenige Minuten vom Ort des Attentats entfernt befand. Von einem Begleiter nach seinem Befinden befragt, versicherte Franz Ferdinand, es sei nichts und wiederholte dies mehrfach. Als die Fahrzeugkolonne die Residenz erreichte, war Herzogin Sophie bereits ihren schweren Verletzungen erlegen; eine Viertelstunde später starb auch der österreichisch-ungarische Thronfolger.“
Im Autopsiebericht äußerte der untersuchende Arzt später die Ansicht, die Verletzungen wären nicht tödlich gewesen, wäre die Kugel etwas weiter rechts oder links eingedrungen. Sie habe Franz Ferdinand mehr oder weniger zufällig getroffen, da es Princip in der Eile unmöglich gewesen sei, genau zu zielen.
„Die Vorstellung von der Wirkmacht des Zufalls“, schreibt Münkler für einen kurzen Moment kontrafaktische Geschichtsschreibung betreibend, „hat etwas ebenso Verführerisches wie Entsetzliches. Es hätte dann weder die zehn Millionen Gefallenen gegeben noch die Millionen Toten, die infolge des Krieges an Hungerkatastrophen und Pandemien gestorben sind, ebenso wenig die Opfer des russischen Bürgerkriegs als indirekte Kriegsfolge oder die Opfer des Stalinismus, weiterhin nicht die Opfer von Faschismus und Nationalsozialismus und auch keinen Zweiten Weltkrieg.“
Intermezzo: Die vorgestrige „Welt von Gestern“
„Nie habe ich unsere alte Erde mehr geliebt als in diesen letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, nie mehr an seine Zukunft geglaubt als in dieser Zeit, da wir meinten, eine neue Morgenröte zu erblicken. Aber es war in Wahrheit schon der Feuerschein des nahenden Weltbrands.
Vierzig Jahre Frieden hatten den wirtschaftlichen Organismus der Länder gekräftigt, die Technik den Rhythmus des Lebens beschwingt, die wissenschaftlichen Entdeckungen den Geist jener Generation stolz gemacht; ein Aufschwung begann, der in allen Ländern unseres Europas fast gleichmäßig zu fühlen war. Die Städte wurden schöner und volkreicher von Jahr zu Jahr, das Berlin von 1905 glich nicht mehr jenem, das ich 1901 gekannt, aus der Residenzstadt war eine Weltstadt geworden und war schon wieder großartig überholt von dem Berlin von 1910. Wien, Mailand, Paris, London, Amsterdam – wann immer man wiederkam, war man erstaunt und beglückt; breiter, prunkvoller wurden die Straßen, machtvoller die öffentlichen Bauten, luxuriöser und geschmackvoller die Geschäfte. Man spürte es an allen Dingen, wie der Reichtum wuchs und wie er sich verbreitete. Überall entstanden neue Theater, Bibliotheken, Museen; Bequemlichkeiten, die wie Badezimmer und Telephon vordem das Privileg enger Kreise gewesen, drangen ein in die kleinbürgerlichen Kreise, und von unten stieg, seit die Arbeitszeit verkürzt war, das Proletariat empor, Anteil wenigstens an den kleinen Freuden und Behaglichkeiten des Lebens zu nehmen. Überall ging es vorwärts.
Aber nicht nur die Städte, auch die Menschen selbst wurden schöner und gesünder dank des Sports, der besseren Ernährung, der verkürzten Arbeitszeit und der innigen Bindung an die Natur. Und die Berge, die Seen, das Meer lagen nicht mehr so fernab wie einst. Das Fahrrad, das Automobil, die elektrischen Bahnen hatten die Distanzen verkleinert und der Welt ein neues Raumgefühl gegeben. Wer Ferien hatte, zog nicht mehr wie in meiner Eltern Tage in die Nähe der Stadt oder bestenfalls ins Salzkammergut, man war neugierig auf die Welt geworden, ob sie überall so schön sei und noch anders schön; während früher nur die Privilegierten das Ausland gesehen, reisten jetzt Bankbeamte und kleine Gewerbsleute nach Italien, nach Frankreich. Es war billiger, es war bequemer geworden, das Reisen, und vor allem: es war der neue Mut, die neue Kühnheit in den Menschen, die sie auch verwegener machte, weniger ängstlich und sparsam im Leben – ja, man schämte sich ängstlich zu sein. Eine ganze Generation entschloss sich, jugendlicher zu werden.
Nie war Europa stärker, reicher, schöner, nie glaubte es inniger an eine noch bessere Zukunft; niemand außer ein paar schon verhutzelten Greisen klagte wie vordem um die ‚gute alte Zeit‘.“
So schilderte uns Anfang der Vierzigerjahre, mitten im Zweiten Weltkrieg, Stefan Zweig seine „Welt von Gestern“.
Die Julikrise – oder: Der vermeintliche Determinismus
Die den Schüssen von Sarajewo nachfolgenden vier Wochen – an deren Ende dann die berühmte Kettenreaktion der Mobilmachungen und Kriegserklärungen infolge wechselseitiger Bündnisverpflichtungen stand und die schließlich alle Akteure in den Abgrund riss –, diese knappe Frist ist unter dem Begriff „Julikrise“ in die Geschichtsschreibung eingegangen. Und auch hier, man kann es nicht oft genug betonen, gab es keinen Determinismus. Anders formuliert: Es gab keinen zwangsläufigen Weg in die „Urkatastrophe des XX. Jahrhunderts“!
Gewiss: Die mit dem Deutschen Reich verbündete und durch interne Nationalitätenkonflikte geschwächte Habsburger Doppelmonarchie sah sich durch den (von Russland unterstützten) Panslawismus der Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem Balkan entstandenen Mittelmacht Serbien, die ihrerseits gerade mühsam die jahrhundertelange osmanische Herrschaft abgeschüttelt hatte, herausgefordert. – Gewiss: Das mit dem zaristischen Russland verbündete Königreich Serbien sah sich umgekehrt bereits im Zuge des Berliner Kongresses und erst recht durch die Annexion von Bosnien-Herzegowina 1908 in seinen territorialen Ansprüchen von Österreich über den Tisch gezogen. – Gewiss: Das Zarenreich hatte seine Aspirationen auf den Balkan als Einflusszone und Tor zum Bosporus und den Dardanellen nicht aufgegeben und in den Jahren zuvor mit französischer Unterstützung ein modernes Eisenbahnnetz errichtet, das es nun in die Lage versetzte, Truppenverlegungen gen Westen doppelt so schnell zu organisieren. – Gewiss: Der Weltmacht Großbritannien war auf dem Kontinent in Gestalt des Deutschen Reiches nicht nur ein ernstzunehmender Wirtschaftsrivale herangewachsen. Dieser hatte zudem, vor allem im Bereich der Kriegsflotte, mächtig aufgerüstet und wiederholt parvenuhaft den Mund ziemlich weit aufgerissen. – Gewiss: Im mit Russland und Großbritannien verbündeten Frankreich sann man nach der schmachvollen Niederlage von 1871 auf Revanche und setzte für den Fall eines Krieges auf einen raschen Einmarsch Russlands in den deutschen Osten. – Gewiss: Im in der Mitte des Kontinents gelegenen Deutschen Reich kursierten Ängste vor einer politischen Einkreisung durch Frankreich und Russland.
Kurz: Die europäischen Großmächte hatten bereits ein gigantisches Pulverfass aufgetürmt. Niemand aber war wirklich gezwungen, die Lunte anzulegen oder diese gar entzünden! Immer wieder waren in den Jahren zuvor auch brandgefährliche Krisen durch kluge Diplomatie eben dieser Akteure noch im letzten Augenblick beigelegt worden.
Und zunächst schien man nach dem Attentat auch überall wieder schnell zur Tagesordnung überzugehen. In Österreich-Ungarn hatte die Ermordung Franz Ferdinands kaum mehr als einen vorübergehenden Schock ausgelöst. Der stets arrogant auftretende Thronfolger und seine kühle Gattin waren bei der Bevölkerung nie sonderlich beliebt gewesen. (Hohe ungarische Militärs sollen insgeheim gar in Jubel ausgebrochen sein, als sie von den Schüssen in Sarajewo erfuhren.) Habsburgs wichtigster Verbündeter, der deutsche Kaiser Wilhelm, war auf Sommerreise in die norwegischen Fjorde abgetaucht, und von den hektischen Aktivitäten im Hintergrund – allen voran dem ‚Blankoscheck‘, den die deutsche Führung am 6. Juli Österreich-Ungarn für ein hartes Vorgehen gegen Serbien ausstellte und damit fahrlässig einen Konflikt mit dessen Schutzmacht Russland in Kauf nahm – bekam die Öffentlichkeit in den europäischen Ländern anfangs so gut wie nichts mit.
Auf das in Ton und Inhalt nahezu inakzeptable Ultimatum, das das zunächst eher zögerlich agierende Österreich dann – mit deutscher Rückendeckung – am 23. Juli Serbien unterbreitete, ging Belgrad zur allgemeinen Überraschung in Wien und Berlin sogar sehr weit ein, womit eigentlich der unmittelbare Anlass, dem Land „militärisch eine Lektion zu erteilen“, entfallen wäre. Wiens Unnachgiebigkeit bei der Forderung, binnen achtundvierzig Stunden österreichische Beamte an den Nachforschungen nach den Hintermännern des Attentats zu beteiligen und einreisen zu lassen – die einzige Forderung, die Belgrad dezidiert zurückgewiesen hatte –, machte jedoch alles zunichte.
Inzwischen war die russische Regierung zu der Überzeugung gelangt, sich keinen weiteren Gesichtsverlust in Südosteuropa leisten zu können und stellte ihrerseits Belgrad einen ‚Blankoscheck‘ aus. Herfried Münkler: „Ein über die serbische Regierung hinweg geschlossener Kompromiss zwischen Wien und St. Petersburg wäre unter diesen Umständen der eigentlich naheliegende Ausweg gewesen. Aber dazu hätte Wien mit den Russen Gespräche führen müssen, und das wollte die österreichische Regierung nicht.“
Trotzdem schien auch jetzt noch nicht alles verloren. Noch am Montag, dem 27. Juli berichtete die Wiener Neue Freie Presse über britische Versuche, den Frieden wiederherzustellen. Schließlich waren die Bündnisse keineswegs so zwingend, wie man später oft glauben machen wollte: Das Deutsche Reich war durchaus nicht verpflichtet, Österreich-Ungarn in diesem Konflikt zu Hilfe zu kommen, Russland musste Serbien nicht um jeden Preis Beistand leisten und England war nicht gezwungen, wegen Belgien – das Deutschland, dessen erklärte Neutralität missachtend, ab dem 4. August brutal überrollte – in den Krieg einzutreten.
Die rasende Fahrt in den Abgrund
Am 28. Juli jedoch erklärte die Donaumonarchie Serbien den Krieg, österreichische Kanonenboote beschossen Belgrad, der verhängnisvolle Dominoeffekt von gegenseitigen Ultimaten, Mobilmachungen und Kriegserklärungen kam in Gang und eine Woche später befanden sich Österreich-Ungarn, Serbien, Russland, Deutschland, Frankreich, Belgien und Großbritannien bereits im Krieg!
War die Kriegsmaschinerie aber erst einmal angelaufen, radikalisierten sich auch die Kriegsziele immer rasanter. So hieß es etwa im Septemberprogramm 1914 des deutschen Kanzlers Theobald von Bethmann Hollweg – die deutsche Offensive gegen Frankreich war bereits gescheitert –, zur „Sicherung des Deutschen Reiches nach West und Ost auf erdenkliche Zeit“ sei Frankreich so zu schwächen, „dass es als Großmacht nicht neu entstehen kann.“ Russland solle nach Möglichkeit von der Grenze „abgedrängt und seine Herrschaft über die nichtrussischen Vasallenvölker gebrochen werden.“
Eine verhängnisvolle Rolle als Scharfmacher spielten nicht zuletzt die Intellektuellen und, wohl erstmals in Mitteleuropa, die Presse. Herfried Münkler: „Nicht nur die wenigen Skeptiker und Pazifisten, die vor dem Krieg gewarnt und nach seinem Ausbruch auf seine schnelle Beendigung gedrängt haben, sondern auch die Annexionisten waren Intellektuelle. Viele von ihnen sind dezidiert regierungskritisch aufgetreten und haben dabei – ohne spezifische Expertise und rein wertorientiert argumentierend – im typischen Stil von Intellektuellen den auf eine Politik der Zurückhaltung und Mäßigung bedachten Reichskanzler aufs heftigste attackiert. Der Erste Weltkrieg war der erste Krieg, in dem die Intellektuellen, und zwar auf beiden Seiten, eine politisch einflussreiche Rolle gespielt haben: Die Deutungseliten haben sich nachhaltig in das Geschäft der Entscheidungsträger eingemischt, und dabei haben sie mehr zur Eskalation als zur Moderation des Kriegsgeschehens beigetragen.“ [Hervorhebungen L.E.]
Zusammenfassend betont Münkler, der Krieg hätte bei mehr politischer Weitsicht und Urteilskraft vermieden werden können. Ein Zusammenspiel von Angst und Unbedarftheit, Hochmut und grenzenlosem Selbstvertrauen habe auf einen Weg geführt, „auf dem schließlich keine Umkehr mehr möglich schien: Ende Juli 1914 nicht, als dies noch relativ einfach gewesen wäre, aber alle Seiten den damit verbundenen ‚Gesichtsverlust‘ scheuten, und auch nicht während des Krieges, als längst klar war, dass jeder weitere Schritt irreparable Verheerungen nicht nur beim Gegner, sondern auch in der eigenen Gesellschaft hinterlassen würde.“ Deutschland, das vier Jahre später den Krieg mit über zwei Millionen gefallenen Soldaten endgültig verlor, hatte auch nach dem Scheitern der Offensive gegen Frankreich im September 1914 nichts unternommen, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Im Gegenteil: Der jahrelange und für alle Seiten höchst verlustreiche Stellungskrieg an der Westfront begann erst richtig …
Die Benzinfässer und der Funke des Zufalls
Und die ‚Moral von der Geschicht‘?
Dramatische Zufälle wie die Schüsse von Sarajewo wird man, namentlich zu Zeiten starker Spannungen, in den Beziehungen zwischen hochgerüsteten Großmächten immer einkalkulieren müssen. Aber man könnte, würde man es denn wollen, im Vorfeld (und auch später noch) einiges dafür tun, die möglichen Folgen zumindest zu begrenzen.
Sagen wir es so: Wenn ein gigantischer Berg von Benzinfässern auf engstem Raum aufgetürmt ist, dann muss das ganze Lager natürlich nicht automatisch in die Luft fliegen. Es kann durchaus alles noch eine kürzere oder längere Zeit ‚gutgehen‘. Die Wahrscheinlichkeit jedoch, dass ein Zufallsfunke eine monströse Detonation auslösen kann, steigt allerdings exponentiell. Vor allem dann, wenn alle Anrainer nicht nur keine Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, sondern auch noch munter zündeln… Vielleicht wäre es ja doch besser, Benzinfässer – zumal in Unmengen – gar nicht erst anzuhäufen.
Es gibt Risiken, die nicht eingegangen werden dürfen!
Das ist ausgezeichnet beschrieben. Danke Leo.
Hat man denn nichts gelernt? Doch man hat. Da ist die NATO, die das verhindern soll. Ein Zusammenschluss der Staaten der Ersten Welt, das sich kollektiv verteidigt. Aber auch eine Wiederholung von Sarajewo verhindern soll. Man ist in der NATO vor Angriffen derer geschützt, die nicht drin sind. Noch wichtiger aber die Sicherheit vor denen, die drin sind. Die NATO hat Beides bisher ausnahmslos geschafft und das ist eine beachtenswerte Leistung. Von daher wird mir immer etwas schwummrig, wenn ein Austritt gefordert wird.
Problem ist, dass die NATO daneben eben auch Beute machen will. Wir sind im Kapitalismus und da bleibt das nicht aus. Die gesamte Osterweiterung fällt unter dieses Bestreben und es ist gelungen, die Mitgliedsstaaten zu indoktrinieren und zu militarisieren. DAS ist der Kritikpunkt.
Intellektuelle haben wir inzwischen ja erfolgreich abgeschafft. Insofern ist deren Kriegstreiberei nicht mehr zu befürchten. Halt – vor ich Unrecht tue: wir haben Richard David Precht. Der wird nicht kriegstreiben. Wenigstens das.
Das Problem mit der Nato ist,daß sie zu einem Agressor (kein Verteidigungsbündnis mehr)geworden und komplett unter amerikanischer Kontrolle ist und die imperialen Kriege der USA mitmachen muss .(Serbien,Afghanistan,Iran,Ukraine usw.)
Das war nie, kemen einzigen Tag , anders. Deshalb hatten sie auch kein Problem damit, die damals durch und durch faschistische Bundeswehr nahtlos zu integrieren.
Die NATO war immer nur ein aggressives Instrument zur Sicherung der Hegemonie der amerikanischen war pigs, die seit WK2 die Welt permanent in Blut badeten. An keinem einzigen Tag ihres Bestehens diente sie der Verteidigung. Du sonderst eine Reihe von Phrasen ohne einen Hauch von Evidenz ab,
Ich wiederhole, was ich hier vor Tagen schon schrieb : Nach der Niederlage des Realsozialismus hatte der Westen Zugriff auf auf alle militärischen Unterlagen des Feindes. In der Jelzinzeit sogar auf die russischen. Nicht, dass sie es nicht immer gewusst hätten, aber sie fanden keine Angriffspläne. Weil es die nie gab. Was man fand, war, dass sie in Falle eines Krieges Krieg führen würden. Nicht sehr überraschend.
Ich kenne keinen einzigen Menschen persönlich, der über ausreichend Verstand und Anstand verfügt, der diese von dir vorgetragene Propaganda zur Grundlage ernsthafter Überlegungen machen würde.
@1211
+++++
„beachtenswerte Leistung“ – soviel zum „Verteidigungs“bündnis:
wiki: „Der Kosovokrieg wurde kontrovers diskutiert: Die NATO griff die Bundesrepublik Jugoslawien an, ohne dafür ein UN-Mandat zu haben und ohne dass ein Mitgliedsland angegriffen und so der Bündnisfall der NATO ausgelöst worden wäre. Nach Art. 2 Ziff. 4 der UN-Charta war der Kosovokrieg der NATO somit ein völkerrechtswidriger Angriff.“
Ich werde nie die damals noch öffentlich getätigten und gesendeten Aussagen des Brigadegeneral Heinz Loquai vergessen, der in diesem Vorgehen der NATO den Auftakt für weitere Kriege, den Präzedenzfall für die Durchsetzung des Krieges als Mittel der Politik ansah:
….. Ausschaltung der UNO und die Dominanz der Vereinigten Staaten bei der Eskalation zum Krieg, die sich um Verbündete kaum kümmerte, und der feste Wille, Krieg zu führen, durch Krieg einen Regimewechsel zu erreichen. Es war ein Präventivschlag.. und ja, Krieg als Mittel der Politik wieder salonfähig zu machen.
https://www.deutschlandfunk.de/heinz-loquai-weichenstellungen-fuer-einen-krieg-100.html
bezeichnender Weise wird diese Warnung und die Haltung Loquais im Wikipedia-Artikel gar nicht erst erwähnt
Tja, die Sowjetunion als Gegengewicht war weg also konnte man machen, was man als Imperium so macht. Es war meiner Meinung nach unausweichlich, weil auf die Güte und Moral von Regierungen zu Vertrauen ist naiv. Die USA waren die einzige Weltmacht seit Ende der UdSSR. Das kommt jetzt aber auch zu seinem Ende mit BRICS auf dem aufsteigenden Pfad.
Die „Sicherheit vor denen. die drin sind“, bestand für den ukrainischen demokratisch gewählten Präsidenten Janukowytsch erst gar nicht. Sie bestand auch schon vorher für Serbien nicht.
Bei Israel dagegen reicht es ohne Frieden nur zu einer „Partnerschaft“. Macht aber faktisch wenig Unterschied.
Aber Du hast recht: neben der NATO kann auch der Kapitalismus weg.
Wenn man alles wegstreicht, was die „Krisen“ so „brandgefährlich“ macht, also alle politischen Zweck ignoriert, dann kommt so ein Artikel bei raus: eine Aufzählung von Ereignissen, „Zufällen“ und verhängnisvollen Entscheidungen, die gar nicht zwingend waren.
Kriege brechen nicht aus. Der Vergleich mit den Benzinfässern suggeriert eine gefährliche Situation, bei der ein unbeabsichtigter(!) Funke reicht, um alles zu entzünden.
Das ist Bullshit
Die Staaten rüsten für den Krieg, d.h. sie kalkulieren mit ihm, sie wollen ihn. Die Vorstellung, dass Politiker (zu) hohe Risiken(!) eingehen, ist eine einzige Verharmlosung der politischen Zwecke.
Im Text wird das Wort Zufallsfunke und nicht „…unbeabsichtigter(!) Funke…“ verwandt.
Dies sind zwei unterschiedliche Dinge.
Das beste Beispiel für Zufallsfunken sollte besonders heute hinlänglich mit ‚Petrow‘ und ‚Fehlalarm/Software 1983‘ bekannt sein!
Der Möglichkeiten und Fehlerquoten mit fatalen, aber finalen Auswirkungen gibt es heutzutage unzählbare mehr.
Das Beispiel ist daher keineswegs absurd, sondern zwingend! logisch. Denn nur auf einem vollen Pulverfass sitzend, kann man sich versehentlich, aufgrund „unglücklicher“ Umstände oder geplant/gezielt, aber unumkehrbar ins Jenseits befördern.
Mit einem leeren funktioniert das NIE!
Ob „Zufallsfunke“ oder sonst irgendein Funke: das Sprachbild negiert die bewusst handelnden Subjekte.
Nicht unbedingt. Die Akteure haben die Pulverfässer bewusst so gestapelt, dass bereits ein Funke ausreichte (fast alle wollten diesen Krieg).
Aber ob es am Ende das Resultat der aufgeheizten Lage war (quasi selbsterfüllende Prophezeiung), oder ob jemand bewusst dem Zufall aushalf, lässt sich daraus nicht schliessen.
„..negiert die bewusst handelnden Subjekte…“
Ist bedauerlicherweise allgemein gepflegter und akzeptierter Usus.
Ob im Privatleben, dem All- oder Geschäftstag, dem Miteinander, national oder international etc. – STETS werden Subjekte aufgrund erdachter Ursachen negiert/freigesprochen.
So schieben Sie: „Die Staaten rüsten für….“
Staaten sind KEINE Subjekte, sondern bestehen aus einer Vielzahl einzelner Subjekte, die in Minderheit einerseits erfolgreich Interessen verfolg(t)en bzw. andererseits mehrheitlich solchen, die entweder durch Unterlassung/oder Unterstützung den Erstgenannten zu Superlativen und deren Sicherung verhelfen, aber immer offensiver jammern: Wasch‘ mir den Pelz, aber mach‘ mich nicht nass!
WENN man also über Subjekte jeden will, soll und muss (sorry: eventuell, unter Umständen, vielleicht, wenn’s genehm wäre, intellektuell nicht überfordert, den eigenen Wohlfühlhorizont nicht unangenehm erweitert), dann bitte auch über ALLE*. ☝️
*Aber im Vertrauen gesagt: (Selbst)Erkenntnissen/Reflexionen kämen ohnehin zu spät.
Natürlich sind Staaten Subjekte was auch sonst?
@ im Vertrauen gesagt: ++++++
+++++++ stimmt absolut ! Kriege
passieren nicht einfach so. Kriege werden vorbereitet, um geführt zu
werden. Alles andere ist Lügenpro paganda, die auch hier verfängt.
Ich stimme Ihnen mit der Intention zu.
Und sofort kommen Tätercharakter den Tätern zu Hilfe.
Gucken Sie sich mal die Antworten unter Ihrem Post an.
TÄTERCHARAKTER!
Wirklich armselig. Es wird so getan wie wenn nicht Kräfte am Werk wären, die genau das so wollten und wollen wie es geschah und geschieht.
Hier ist ein Volksverdummer aller erster Güte am Werk.
Und sein Spießgeselle ArturdasZeh springt gleich peinlich bei.
Klär uns doch auf, wer wollte das?
Meines Wissens hatten die Briten einen gehörigen Anteil und ihre Freude und ihren Gewinn daran, den Kontinent gegeneinander auszuspielen, dem Konkurrenten Deutschland und den verhassten Franzosen zu schaden. Machen die ja immer noch, der Ukrainekrieg soll z.B. maßgeblich durch britische Diplomatie und Versprechungen ausgebrochen sein.
Aufgerüstet wurde jedenfalls sowieso, schon als Vorsorge wegen der „Einkreisungspolitik“ (egal ob eingebildet oder tatsächlich vorhanden).
So einen Sarajevo-Moment mit einer unserer Kriegshuren? Hat was.
Aber dafür einen Weltkrieg anfangen? Kenne ich niemanden der da mitmachen würde…
in Ernst Tollers Autobiografie „Eine Jugend in Deutschland“ führt er aus, wie das im 1.WK funktioniert hat.
Jedesmal wenn ich drüber lese, staune ich wie nonchalant das damals war.
Stellt euch mal vor der Thronfolger eines sich im Niedergang befindenden Vielvölkerstaates (nennen wir ihn Fritz Ferdinand von den Laien-McKinsey) kommt auf Besuch:
Statt offener Limousine kommt da ein Konvoi gepanzerter Autos. Spalier gibt es auch keins, wenn Jubelperser erwünscht sind stehen die bei der Ankunft am Flughafen irgendwo weit weg. Die Route wird zudem streng abgeriegelt, die Anwohnern teils tagelang gegängelt (ich erinnere mich grad an den Besuch Obamas in Hamburg, wo es iirc nicht einmal erlaubt war entlang der Route Fenster zu öffnen).
Wenn tatsächlich jemand eine Granate werfen würde, dürfte der Attentäter dies mit 99.7% Wahrscheinlichkeit nicht überleben.
Das Treffen mit den Honoratoren fände vermutlich, wenn überhaupt, dann in einem Bunker statt. Der Konvoi würde auch niemals entlang derselben Route zurückkehren, und die neue Route würde zuerst vom Militär gesichert werden.
Und der Franz Ferdinand war unbeliebt..
Obama hat Hamburg besucht?
Ich habs grad nachgeschaut, es war Hannover.
US-Präsidenten in Deutschland sind eine Sache für sich. Als Obama nach Dresden kam, wurde die Innenstadt luftleer gesaugt. Man wollte sogar den Hubschrauberlandeplatz der Uniklinik sperren, weil der „nur“ 2 Kilometer von Obamas Hotel weit weg war. Die Straßenbahnen wurden mit „Welcome Mr. President“ plakatiert – und durften ab zwei Tage vor dem Termin nicht mehr durchs Stadtzentrum fahren.
Als Putin kam und im selben Hotel übernachtete, war nix, und Putin spazierte morgens sogar mutterseelenallein durch die Innenstadt. Sogar seine Leibwächter hatten ihn verpaßt.
https://www.bild.de/news/2006/putin-deutschland-stehcafe-913522.bild.html
Als Dabbeljuh nach Mainz kam, waren die Zufahrtsstraßen in die Stadt dicht und der Schiffsverkehr auf dem Rhein wurde gestoppt. Zwei Tage später nahm er in Rumänien ein Bad in der Menge…
In Dänemark konnten beim Wechsel von Margarete auf Frederik die Leute auf 20m an den Balkon ran, das Auto der Königin fuhr im Schritttempo durch die Menge und in Sichtweite des Balkons saßen Leute auf den Dächern um zu winken…
Im Kleinen wie im Großen: „Gesichtsverlust“ oder ein drohender Gesichtsverlust führen zu Zerwürfnissen, Kontaktabbrüchen und Kriegen – sowohl zwischen Ländern als auch innnerhalb und zwischen Familien. Der Mensch ändert sich nicht, die Welt auch nicht. Wohlan, dann „willkommen“ zum nächsten …
Danke für den interessanten Artikel.
Morgen jährt sich der Zündfunke, der den Anlass zum ersten Weltkrieg bot. Man wird sich wohl ewig fragen müssen, wieso die Verantwortlichen in Deutschland und Österreich nicht gesehen haben, dass ein Krieg in dieser Konstellation zur Katastrophe und zum eigenen Niedergang führen musste.
Ursächlich für das gegenseitige Auftürmen von offenen Benzinfässern war jener Imperiale Gedanke der irgendwann zur direkten Konfrontation der konkurrierenden Mächte führen musste.
Der zündende Funke zum 3. Weltkrieg ist längst getan. Noch ist die Druckwelle nicht in Deutschland angekommen, aber anstatt die Brandherde rings um zu löschen, tut man nun alles um noch mehr Benzinfässer aufzustellen. Mit 5% vom BIP und einer ruinösen Neuverschuldung setzt man alles was man aufzubringen vermag auf eine Karte. Den eigenen Untergang. Es ist der reinste Wahnsinn.
„Der Krieg hätte bei mehr politischer Weitsicht und Urteilskraft vermieden werden können. Ein Zusammenspiel von Angst und Unbedarftheit, Hochmut und grenzenlosem Selbstvertrauen habe auf einen Weg geführt, auf dem schließlich keine Umkehr mehr möglich schien.“
Hm, mir scheint, der Satz greift der nahen Zukunft voraus … und kann dann in den später erscheinenden Geschichtsbüchern 1 : 1 hineinkopiert werden!
„…und kann dann in den später erscheinenden Geschichtsbüchern 1 : 1 hineinkopiert werden!“
😳
Ääähm: nach dem Showdown bliebe keiner übrig*, der, für wen auch immer, Bücher schreiben könnte oder intellektuell befähigt wäre, zusammenhängende und
verständliche Sätze niederzuschreiben oder diese gar zu verstehen**.
*mangels ausreichender Bildung, weil Smartphone,X,Facebook, ChatGPT etc. tot = 🤕🤯🤪 = 🧠hirntot
**Ist ja nun wirklich nicht so, dass man es mit Erfahrungen/Geschichte/in Büchern nicht schon mehrfach, aber erfolgreich erfolglos versucht hätte.👍🤫
Nach dem Ersten Weltkrieg war das Trauma Europas tief. Über 16 Millionen Tote, ein zerstörter Kontinent, gesellschaftliche Erschütterungen – wer wollte da noch einmal in einen Krieg ziehen? Entsprechend groß war die Zurückhaltung der westlichen Demokratien in den 1930er Jahren, als Nazi-Deutschland begann, die europäische Ordnung zu untergraben.
Als Hitler 1936 das entmilitarisierte Rheinland besetzte, geschah – nichts. Dabei war es ein klarer Bruch des Versailler Vertrags. Die Reaktion: Achselzucken. Krieg, schon wieder? Lieber nicht.
1938 dann die Sudetenkrise. Deutschland schickte „Freikorps“ und behauptete, das „deutschsprachige Volk“ müsse befreit werden – ein inszenierter Vorwand. Statt dem Bruch internationaler Verträge zu begegnen, setzte man auf Verhandlungen. Das Ergebnis: Das Münchener Abkommen. Die Tschechoslowakei wurde ohne ihre Beteiligung aufgeteilt. Neville Chamberlain erklärte danach, man habe „Frieden für unsere Zeit“ geschaffen. Wenige Monate später war die Tschechoslowakei vollständig zerschlagen.
Dann folgte Polen. Und wieder kam das Zögern: „Warum sollen wir für Danzig sterben?“ Obwohl Frankreich und Großbritannien Polen militärisch garantierten, kam nach der Kriegserklärung im September 1939 keine ernsthafte militärische Unterstützung. Stattdessen: Monate der Untätigkeit, bekannt als „Phoney War“ oder „Sitzkrieg“. Der Krieg war erklärt – aber es war ein Krieg auf dem Papier. Keine Offensive, keine Entlastung. Eine symbolische Geste, kein entschlossenes Handeln. Als dann 1940 der deutsche Angriff auf den Westen kam, waren Frankreich und Großbritannien nicht vorbereitet. Die Wehrmacht marschierte durch, Paris fiel – und britische Soldaten flohen in letzter Minute aus Dünkirchen.
Was folgte, war nicht nur militärische Niederlage, sondern auch moralischer Bankrott: Marschall Pétain und viele französische Kollaborateure waren nicht überzeugte Nazies, sondern glaubten daran, dass der eigentliche Fehler war, sich Hitler überhaupt entgegenzustellen. Man sprach von „unnötigem Krieg“, von „falschen Allianzen“. Eine Haltung, die auf Rückzug, Schuldverschiebung und Wunschdenken beruhte – und in die Katastrophe führte.
Denn eines haben sowohl der Erste als auch der Zweite Weltkrieg klar gezeigt: Es gibt keinen universellen Weg, eine Katastrophe zu vermeiden.
Zu viel Hybris führt in den Krieg. Doch auch das ständige Zurückweichen vor Aggressoren führt am Ende genau dorthin – nur später, schlechter vorbereitet und mit noch mehr Leid.
Zwischen blindem Eskalieren und selbstzerstörerischer Beschwichtigung liegt nur ein schmaler, schwerer Weg.
Ruhig Blut.
800.000 Millionen sind doch schon vorgesehen, um Adolf Putin in den Arm zu fallen.
Nur….warum eiern sie FEIGLING so rum?
Fürchterlich, Menschen wie Sie. Was für Anal ogien Sie hier anstellen…
Wenn das Trottoir vollgekackt ist, tritt man irgendwann in die Scheiße. Deshalb sollte man den Hunden des Krieges nicht erlauben, ihre fetten, stinkenden, braunen Geschäfte zu machen.
Kleine Ergänzung: Ich erinnere mich an ein kleines Heftchen über verschiedene Verhütungsmethoden, das verteilt wurde als jung war, mit vielen farbigen Bildern. Und dann war da eine dunkel gehaltene Doppelseite in schwarz/weiß. Die „Verhütungsmethode“ von der da die Rede war, hieß: Aufpassen….
Vielleicht sollte man ein ähnliches Heftchen zum Frieden unter die Leute bringen, mit vielen farbigen Bildern zu den Möglichkeiten, den Krieg zu verhüten: Vertrauensbildende Maßnahmen, kultureller Austausch, Städtepartnerschaften usw. usw. – und dann noch eine schwarz/weiße Doppelseite, die Kriegsverhütung durch Aufrüstung, nukleare „Schutzschirme“ etc. zum Thema hat.
Auffallend ist zunächst, was in Münklers „kontrafaktischer historischer“ Aufzählung der negativen Folgekosten des „Zufallsfunkens“, der die angeblich gemütliche Welt von 1914 erschütterte, vornehm unterschlagen wird: Ja mein Gott, „wir“, also die europäischen Kolonialmächte, hätten die halbe Welt noch unter unserem Stiefel!
China wäre noch „unter Kontrolle“, Indien wäre noch in britischer Hand, die Franzosen stünden noch in Hanoi und Namibia wäre „Deutsch-Süd-West“. Aber dieser Wunschtraum ist auch deutlich „antisemitisch“ gefärbt, denn es gäbe ja kein Israel.
Zweitens ist erheiternd, wie bürgerliche Historiker und Konfliktforscher (!), die den Ersten Weltkrieg seit einiger Zeit als Zufallsprodukt von „Schlafwandlern“ darzustellen versuchen, selbst den guten alten Clausewitz nicht mehr kennen wollen. Das Clausewitzsche Axiom, dass Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, scheint überall zu gelten, nur nicht in Bezug auf den 1. Weltkrieg. Ensel deutet, wohl mit Rücksicht auf die gegenwärtigen politische „Großwetterlage“, politisch-korrekt nur das Kriegsziel einer der damaligen Kriegsparteien an:
„Das Zarenreich hatte seine Aspirationen auf den Balkan als Einflusszone und Tor zum Bosporus und den Dardanellen nicht aufgegeben“.
Alle übrigen „sahen sich herausgefordert“ oder „ihnen war ein Rivale erwachsen“ oder sie hatten „den Mund ziemlich weit aufgerissen“. Ziele und miteinander in Konflikt stehende Interessen hatten sie anscheinend keine. Aber dann schlug der verdammte „Zufallsfunke“ ein.
Diese Art von Analyseverweigerung ist auch deshalb erstaunlich, weil der erste Weltkrieg 21 Jahre später – mit gewissen Abwandlungen – eine Neuauflage erlebte und zwar ohne „Zufallsfunken“.
Wir waren vor einem halben Jahrhundert, als von einigen noch polit-ökonomisch statt „geopolitisch“ analysiert wurde, deutlich weiter im Verständnis unserer Welt. Der Enselsche/Münklersche Text ist gemessen daran geradezu irrational.
Das sehe ich auch so.
Im Rahmen der ihm gestellten Aufgabe, ist der Ensel sehr rational. Das Ausmaß von Oberflächlichkeit, Ablenkung und Verlogenheit, wie nachfolgend vorgestellt, bleibt allerdings unerreicht:
Raissa Gorbatschowa: Die Welt ahnt nicht, was sie dieser Frau verdankt!
Leo Ensel
20. September 2024
Vor 25 Jahren, am 20. September 1999, starb Raissa Gorbatschowa in Münster. Die Bedeutung der Philosophieprofessorin für die Ideen von Perestroika und Glasnost sowie für die Entwicklung des „Neuen Denkens“ wird immer noch unterschätzt. Von Leo Ensel.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=121581
Die perfekte Verschmelzung von Melodram und Demagogie.
Gut, dadurch wird einiges klarer.
Was Herr Ensel in seiner Eloge leider nicht ansprach: Raissa G. stellte im Jahre 1996 ein weiteres Mal ihre erstaunliche Klugheit unter Beweis, als sie nach eigenem Bekunden versuchte, ihren Mann davon abzuhalten, bei den russischen Präsidentschaftswahlen anzutreten. Es gelang ihr nicht. Der unverstandene Michail G. fuhr 0,51% der abgegebenen Stimmen ein (Platz 7 von 10 im ersten Wahlgang).
Europa hatte damals einen politisch leicht verführbaren „Youth Bulge“ (junge Männer als Kanonenfutter), heute jedoch einen, nach sozialer Sicherheit suchenden, „Senior Bulge“ – das ist der wesentliche Unterschied. Bei den finanziellen und geistigen Aristokraten war antibürgerliches, viriles Denken schick, der Plebs sehnte sich nach der Lösung der Sozialen Frage, oftmals auch in Konfrontationsstellung zum Bürgertum, die Gesellschaft musste aufgrund der Industrialisierung ihre Machtverhältnisse neu strukturieren usw.
Der Artikel beginnt mit „Der Besuch war eine Provokation.“ Guter erster Satz, bei dem aus heutiger Sicht jedoch folgendes mitschwingt: Für wen und aus welchen Gründen war es denn eine Provokation? Wenn man sich provoziert fühlt, dann misst man einem Ereignis Bedeutung zu, ansonsten wäre man nicht provoziert. Mir fällt es aus heutiger Perspektive schwer, warum so viele Menschen zu jener Zeit Dingen wie Thronfolgern, Uniformen und sonstigem nationalen oder monarchischem Klimbim eine solche Bedeutung zumaßen. (Vielleicht braucht es so etwas aber auch für den nationalen Zusammenhalt?)
Es gab auch die anderen Intellektuellen, welche die damalige Seifenoper durchschauten. Leider flüchteten die wiederum gerne in sozialistische Utopien, was aus heutiger Sicht, nach den gemachten historischen Erfahrungen, einem genauso schwer fällt, geistig nachzuvollziehen. Und wieviel Prozent der heutigen Bevölkerung durchschauen unsere aktuelle Seifenoper? Mehr Leute als damals, möchte ich meinen. Es wird einem mittlerweile auch wirklich leicht gemacht.
Waren die Menschen damals, was die Einschätzung großer gesellschaftlicher Entwicklungen angeht, einfach nur unwissend und deshalb naiv? Und die Türme von Elektroschrott, aufgetürmt bis in den Starlink-Himmel, wären dann der saure Klimbim der Jetztzeit? Letzteres ist jedoch, im Gegensatz zu den edlen Damenhüten des Fin de Siècle, wirklich bedrohlich.
**…da warteten, entlang der Route verteilt, unter den jubelnden Zuschauern am Straßenrand bereits sechs junge Männer des serbischen Geheimbunds „Schwarze Hand“…**
Das ist nicht korrekt, weder Gavrilo Princip noch die anderen am Attentat beteiligten jungen Männer waren Mitglieder der ´Schwarzen Hand´, sie waren Mitglieder von ´Mlada Bosna´ (junges Bosnien), eine Bewegung von kroatischen, serbischen und muslimischen Bosniern, die für die Beendigung der österreich-ungarischen Herrschaft eintraten und den Zusammenschluss der Südslawen in einen Staat zum Ziel hatten. Später nannte sich dieser Staat Jugoslawien (Südslawien), der Rest der Geschichte ist bekannt.
Auch mich erinnern momentane Vorgänge an Entwicklungen vor dem 1. Weltkrieg. Ich sehe allerdings weder damals noch heute ein Zusammenspiel von Schlafwandlern. Das Attentat in Sarajewo barg keine Automatik zur Auslösung eines europäischen Krieges seitens D|Ö-U, diese hätten auch alternative Strategien für die Bewältigung der Julikrise 1914 wählen können. Z.B. ein gemäßigteres Ultimatum an Serbien, das dessen staatliche Souveränität nicht untergräbt sowie eine Verlängerung der Antwortfrist auf das Ultimatum, das von Serbien in den meisten Punkten akzeptiert wurde, bis auf den Eingriff in die staatliche Souveränität… oder die Annahme des britischen Vermittlungsvorschlags für die Einberufung einer Botschafterkonferenz zur Lösung der Krise…oder das Hinwirken Deutschlands, die Auseinandersetzung zwischen Österreich-Ungarn und Serbien zu begrenzen. Mehr Kompromissbereitschaft, Diplomatie, Zurückhaltung der aggressiven Reaktion und Verzicht auf überzogene Forderungen hätten sicherlich dazu beigetragen, WK I zu verhindern. Es war das omnipotente Gefühl der Überlegenheit seitens D|Ö-U, das maßgeblich zu den Entwicklungen beitrug, die in den verheerenden Krieg mündeten. Das Attentat kam ihnen nicht ungelegen, ihre Herrschaft auf dem europäischen Kontinent zu fundamentieren. Sie waren davon überzeugt, einen schnellen Sieg zu erringen.
Diese Symptome kommen mir in der aktuellen Situation sehr bekannt vor.
Ein lohnender Artikel, den man heute natürlich gerade den politisch Verantwortlichen empfehlen möchte.
Herr Ensel vergleicht die Gegenwart – im Gegensatz zu vielen anderen – ganz zutreffend eben nicht mit 1938/39, sondern mit 1914.
Im Gegensatz zur Situation am Vorabend des Zweiten Weltkriegs fehlt heute ein eindeutig eroberungslüsterner Aggressor, denn Putins Krieg gegen die Ukraine ist eben nicht mit Hitlers Vereinnahmung von Österreich, der Tschechoslowakei und der Eroberung Polens vergleichbar. Dass die gängigen Medien dieses Narrativ trotzdem zu spinnen suchen, sollte den kühlen Beobachter nicht irritieren.
Ein weiterer Unterschied ist die vergleichsweise geringe Ausprägung von Systemunterschieden, denn Russland ist eben nicht mehr sozialistisch. Auch 1914 spielten Systemunterschiede praktisch keine Rolle.
Eine Analogie zu 1914 liegt zudem im Existieren eines viele Staaten umfassenden Bündnissystems, dessen Logik zu gehorchen, für eine unantastbare Staatsräson gehalten wird.
Eine weitere Analogie zu 1914 liegt im auch heute bestehenden Zusammenhang der sog. „Thukydides-Falle“, also in der Erkenntnis eines bisher überlegenen Staates, dass die Zeit gegen ihn läuft und dass aufstrebende Konkurrenten (heute China und Russland) immer stärker werden. Damals meinte Großbritannien, dass die Zeit gegen das Empire läuft.
—
Etwas zu kurz gekommen ist im Artikel allerdings die Tatsache, dass die einzelnen europäischen Mächte um 1914 in unterschiedlich starkem Maße auf Krieg hinarbeiteten. Österreich-Ungarn zielte – bestärkt von Deutschland und jener unseligen „Blankovollmacht“ – zwar auf einen regionalen Krieg gegen Serbien, aber andere Mächte zielten hingegen direkt auf den großen Krieg.
So sind die durchaus auf diesen großen Krieg drängenden Aktivitäten von Poincare, dem unversöhnlich deutsch-feindlichen französischen Präsidenten des Jahres 1914, von Herrn Ensel ebenso wenig erwähnt worden, wie die ähnlich offensive Einstellung der russischen Führung (vom Zaren abgesehen). Auch die britische Haltung war keineswegs friedlich.
Eine modernere Studie über die französische Politik beleuchtet diesen bislang unterschätzten Aspekt:
https://perspectivia.net/servlets/MCRFileNodeServlet/ploneimport_derivate_00010764/schmidt_aussenpolitik.pdf
Nützlich auch dies:
https://www.welt.de/geschichte/kopf-des-tages/article224450426/Raymond-Poincare-Sein-gefaehrliches-Spiel-fuehrte-in-den-1-Weltkrieg.html
Ein Zitat aus der oben verlinkten Studie von Stefan Schmidt von 2009:
„Denn war es einerseits [für Frankreich] in innen- und außenpolitischer Hinsicht erforderlich, das Deutsche Reich mit der Kriegsschuld zu belasten und ihm im Zuge eines kalkulierten Manövers die Initiative im Rekurs auf die militärischen Machtmittel zu überlassen, so galt es andererseits sicherzustellen, daß Rußland zu einem umgehenden und uneingeschränkten Angriff auf das Deutsche Reich schritt.“
(Seite 361)
Entsprechend früh erfolgte dann ja auch die russische Mobilmachung!
Weiter:
„… so wird man nicht der in der historischen Forschung vorherrschenden These zustimmen können, daß Frankreich in der Julikrise 1914 ein »minor player« gewesen sei. Vielmehr erscheint der »forgotten belligerant« als ein Akteur von herausgehobener Bedeutung, der mit seinem Tun oder Unterlassen an entscheidenden Stellen dieser internationalen Krise dem
Gang der Dinge eine Wendung zu geben vermochte, die sie nicht in einen friedlichen Ausgleich, sondern in die »Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts« einmünden ließ“
(Seite 363)
… und …
„Durch eine militärische Doktrin, die das Signum der offensive à outrance trug, war Frankreich seit 1911 in eine strategische Gesamtsituation geraten, in der es kaum mehr Raum für Konzessionen gab und die Sicherheit des Landes selbst von Machtschwankungen affiziert werden konnte, die prima facie unbedeutend anmuteten.“
(S. 365)
„Die genannten militärischen Sachzwänge konnten aber nur deshalb so wirkungsmächtig für Frankreichs Außenpolitik werden, weil seine politischen Entscheidungsträger eine militärische Auseinandersetzung in zunehmendem Maße als unvermeidlich erachteten.“
(Seite 367)
Wie sehr die russische Regierung des Zaren vor 1914 ebenfalls auf die militärische Karte setzte, haben ausgerechnet die Bolschewiki mit einigen enthüllenden Veröffentlichungen über den Imperialismus der Vorgängerregierung bereits vor langer Zeit bekannt gemacht.
Auch Belgien mobilisierte nicht erst, wie öffentlich behauptet, am 30. Juli 1914, sondern vorher. Schon am 24. Juli 1914 sandte das belgische Außenministerium nämlich ein Rundschreiben an die Offiziere der belgischen Armee, worin zu lesen war, dass Belgien vollständig mobilisiert habe, d.h., dass die Mobilisiuerung begonnen hatte.
—
Gewiss war man auch in Berlin und Wien mit Vorbereitungen beschäftigt und dachte in militärischen Kategorien, war jedoch eher getrieben und reagierend. Die deutsche Führung war sich nämlich sehr wohl bewusst, dass sie in einem großen europäischen Krieg mehr zu verlieren als zu gewinnen hatte. Jeder große Krieg schloss wegen der Einkreisung und der relativen Schwäche des Hauptverbündeten Österreich-Ungarn die Möglichkeit der Niederlage mit ein und damit die Zerschlagung bzw. Aufteilung des 1871 begründeten Reiches! Vor diesem Hintergrund stellte die Kriegspartei, die es ja in allen wichtigen europäischen Hauptstädten gab, in Berlin nur eine Minderheit dar, und Kaiser Wilhelm machte Urlaub in norwegischen Gewässern.
Die von F. Fischer angeführten Quellen sind ja nicht falsch – wie können korrekt zitierte Quellen auch falsch sein – aber er beschäftigte sich eben zu wenig mit den ganz ähnlichen Quellen in Paris,
St. Petersburg und London … !
So viel zu des zu Unrecht gelobten Herrn Fischers Bedeutung!
Guten Morgen Herr Wirth,
mal aus illustrativen Zwecken nur zu dieser Passage hier:
Das hat Schmidt entweder schludrig gearbeitet oder wirft bewusst Nebelkerzen. Ich tendiere stark zu letzterem. Hier zunächst das zugrunde liegende Quellendokument. Man lese die Depeschen am besten in Gänze, deswegen wird das jetzt länger, denn ich zitiere jeweils ihren gesamten Wortlaut:
In Telegramm No.2 spricht der belgische Außenminister Davignon davon, dass dieser Depesche eine unterschriebene, aber nicht mit Datum versehene Anlage beigefügt sei, die im Bedarfsfalle den Außenministern der Gastländer (Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Österreich-Ungarn, Russland), in denen die angeschriebenen belgischen Botschafter residieren, überreicht werden soll („will be despatched when“). Er weist expressis verbis darauf hin, dass er sie (die Botschafter) nochmals informieren werde, wenn dieser Fall auch tatsächlich eingetreten sei, damit sie dann jene Anlage überbringen könnten. Zwar steht in dieser Anlage drin, dass die belgische Regierung mobilisiert habe und strategisch wichtige Stellungen einnehmen werde etc. Aber das ist eben bloß eine Art Vordruck und keine Sachbeschreibung. Der Fall ist noch nicht eingetreten, doch das Dokument ist eine Vorsorge für den Fall, dass man bei Voranschreiten der Krise rasch handeln muss und nicht erst auf Meldung und Stellungnahme „von zuhause“ warten kann. Etwas, das man im Giftschrank hat und das man überbringen kann, gerade wenn sonstige Kanäle vielleicht unterbrochen sind. Das unterstreicht eine ähnliche Depesche (No.3) an weitere Botschaften in Rom, Den Haag und Luxemburg vom Folgetag (25.07.1914), in denen Davignon deutlich macht, dass er die Order zum Überbringen jener Anlage telegraphisch durchgeben würde:
Und so geschieht es dann am 31. Juli auch:
Damit sind die Botschafter informiert und können nun die Anlage aus No.2 den Außenministerien ihrer Gastländer überbringen. Wer dagegen diese Anlage als „Beweis“ ausgibt, die Belgier hätten am 24. Juli bereits mobilisiert gehabt, sollte entweder einen Grundkurs Quellenkritik belegen oder führt bewusst in die Irre – und sollte dann als Ideologe bezeichnet werden, der eine bestimmte Agenda verfolgt.
Aber gut sagen Sie – vielleicht haben die ja trotzdem irgendwelche Maßnahmen ergriffen. Wäre das nicht möglich?
Natürlich. Am 29. Juli beispielsweise schreibt Davignon:
Er legt wie man sieht großen Wert darauf, dass diese Maßnahmen nicht mit einer Generalmobilmachung verwechselt werden – gerade um den Anschein von aggressiven Handlungen zu vermeiden.
Da sind offenkundig vorbereitende defensive Schritte am Laufen. Bei jeder Armee ist ja nur ein kleiner Teil wirklich ständig kampfbereite oder sonstige Truppe für Ausnahmesituationen (Kastrophen, Technik…). Hier scheint es in meinen Augen darum zu gehen, dass genau diese Kräfte, die ständig einsetzbar sind und jederzeit kämpfen können, aufgrund der allgemeinen Bedrohungslage in Bereitstellungsräume verlegt werden sollen (ergo: aus den Kasernen ausrücken), dass erste Reservisten einberufen werden und vielleicht zudem ein damaliges belgisches Äquivalent zum „DEFCON“ (Verteidigungsbereitschaftszustand) wie man es von den US-Amerikanern kennt, angehoben wird („put in a state of defence“). Solches Zeug. Da wird schlicht sichergestellt, dass man im Falle des Einmarsches einer auswärtigen Macht nicht wie ein begossener Pudel dasteht. (Die Militärs im Forum können mich ja gerne korrigieren.)
Dieses Bild wird auch von der folgenden Passage unterstrichen:
Quelle: hier
Zum einen hat Schmidt auch noch obendrein den offiziellen Beginn der belgischen Generalmobilmachung entweder verwechselt oder bewusst irreführend um einen Tag vorverlegt. Zum anderen gingen der offiziellen Generalmobilmachung vom 31.07. – und somit der Einberufung aller Kräfte zu ihren Regimentern – in der Tat Maßnahmen voraus, aber sie sind defensiv und kleinräumig: Vorbereitungsmaßnahmen wie die Einberufung von Reservisten am 28.07. oder die Schließung der Börse. Obendrein legt die belgische Regierung Wert darauf, dass diese Maßnahmen richtig verstanden und nicht fehlinterpretiert werden, weswegen Davignon am Folgetag zur Sicherheit den Botschaftern noch ein paar Takte mitgibt damit diese Rückfragen der Gastländer beantworten konnten. Erst am Tag nach Verkündigung der Generalmobilmachung werden dann Autos beschlagnahmt (damals bekanntlich ein rares Gut), erfolgt die Verhängung des Kriegsrechts etc. Solche Details unterschlagen Schmidt und andere Reaktionäre aber geflissentlich, das könnte wohl die These von der pösen belgischen Soldateska, die schon wochenlang mordlustig auf den Kriegsbeginn wartete, untergraben.
Dann gibt es noch diese Depesche, Nr. 11, vom 31.07.1914:
Aus ihr kann man auch nichts herauslesen als das typische Gebaren eines sogenannten „wehrhaften Staates“, der in einer Phase von Säbelrasseln in der unmittelbaren Nachbarschaft alle notwendigen Maßnahmen ergreift um seine Rechte und Grenzen (und sei es nur der Form halber) zu wahren. Das ist salopp formuliert ein kleines neutrales Land, das auf jene Neutralität ziemlich stolz ist und in einer akuten Bedrohungslage seine Grenzen zu verteidigen sucht. Staatshandeln 101. Mehr nicht. Und somit alles andere als „aggressiv“ oder gar untypisch – Davignon verweist ja wortwörtlich darauf, dass die Niederländer, die dann den ganzen restlichen Krieg offiziell neutral blieben, auf ähnlichen Pfaden unterwegs waren. Und das hat gestimmt:
(Link hängt – bei Interesse / Bedarf Text ggf. in eine Suchmaschine eingeben)
Man sieht – auch die Niederlande begannen bereits Ende Juli („bereits am 26. Juli“) mit vorsorglichen Maßnahmen für den Fall, dass sie von Kriegshandlungen betroffen sein würden. In beiden Beneluxstaaten wird also schlicht ein Verteidigungsdispositiv abgespult. Und ebenso übrigens in der Schweiz:
Auf Dodis finden sich allgemein jede Menge interessante Depeschen aus damaliger Zeit, etwa wie Bern im Mai 1914 mit Paris und Berlin über eine Sicherstellung der Getreideversorgung der Schweiz im Kriegsfalle verhandelte.
Schmidt versucht dagegen, wie mir scheint, aus dem für damalige wie heutige Verhältnisse sehr typischen defensiven Vorgehen eines kleinen Staates irgendeinen Pferdefuß zu drehen, um zu beweisen, dass die „Alliierten zuerst mobilisierten“ und aggressiv auf Krieg aus waren. Und verwechselt dabei nicht nur Daten, sondern pickt sich heraus, was er braucht, ohne den Kontext zu beachten. Wirkt freilich weder überzeugend noch macht es ihn zu einem guten Historiker.
Dann noch zu dieser Wertung von Ihnen:
Welche meinen Sie denn genau? Da gibt es unterschiedliche Phasen zu scheiden! Jede hat ihre eigenen Vorbedingungen und Hintergründe. Gehen Sie da bitte nicht den Russenhassern auf den Leim, die bereits damals sehr virulent in Deutschland unterwegs waren und keine Ahnung von dem Land hatten.
Allgemein empfehle ich zur Kontrastierung dringend Dominic Lievens Towards the Flame. Auszüge (zu finden auf den S. 328 – 334):
Und ganz wichtig:
Auch hier wieder: vorbeugende Maßnahmen, übliches Staatshandeln. Nur im Deutschen Reich führte Mobilmachung direkt zum Krieg – und wurde und wird jeder Schritt zur Mobilmachung als Weg in einen Krieg gelesen. Andere Länder waren da weitaus flexibler – oder begannen eingedenk des Umstands, dass man nie wissen konnte wann und wie schnell die Deutschen vor der Tür standen, allenfalls gleichermaßen damit Vorsorgemaßnahmen und Frühwarnsysteme zu adaptieren (wie im Beispiel hier die Russen). Nur sollte man da eben Ursache und Wirkung nicht verwechseln.
Auch zum Rest von Schmidts Werk ließe sich viel schreiben. Es ist leider (freundlich formuliert) ähnlich fehlerbehaftet. Doch da reichen mir jetzt weder Zeit noch Links dazu. Den Artikel Ensels selbst fand ich wenig überzeugend.
Ihnen aber noch ein gutes Wochenende!
Gruß
Altlandrebell
@Altlandrebell
28. Juni 2025 um 2:41 Uhr
Guten Tag, alter Rebell,
Sie erwarten nun sicher nicht, dass ich das alles wirklich übersetze und lese … ?!?
Nur so viel:
Erstens. Ich habe diese Information nicht aus dem bewussten Buch von Stefan Schmidt, sondern von irgendwo anders her. Der gute Mann ist also nicht verantwortlich, dass ich das vielleicht etwas zu ungenau dargestellt habe.
Zweitens. Es ging mir nur darum, darzulegen, dass die Belgier schon etwas früher mit militärischen Vorbereitungen begonnen hatten als man gemeinhin glaubt.
Wie man diese Vorbereitungen nun genau nennt – ob „Teilmobilmachung“ oder bloß „Verteidigungszustand“- das ist eine andere Sache und hier nähern wir uns m.E. der Haarspalterei. Schließlich geben Sie ja auch zu, dass Belgien bereits eine Woche vor dem bewussten 1. August 1914 und sogar einen Tag vor der serbischen Antwort auf das österreichischen Ultimatum gewisse Anstrengungen zur Herstellung des Verteidigungszustandes unternommen hatte. Dass diese nur defensiv sein konnten, liegt in der Natur der Sache.
Sie schreiben:
„Da sind offenkundig vorbereitende defensive Schritte am Laufen. Bei jeder Armee ist ja nur ein kleiner Teil wirklich ständig kampfbereite oder sonstige Truppe für Ausnahmesituationen (Kastrophen, Technik…). Hier scheint es in meinen Augen darum zu gehen, dass genau diese Kräfte, die ständig einsetzbar sind und jederzeit kämpfen können, aufgrund der allgemeinen Bedrohungslage in Bereitstellungsräume verlegt werden sollen (ergo: aus den Kasernen ausrücken), dass erste Reservisten einberufen werden und vielleicht zudem ein damaliges belgisches Äquivalent zum „DEFCON“ (Verteidigungsbereitschaftszustand) wie man es von den US-Amerikanern kennt, angehoben wird („put in a state of defence“). Solches Zeug. Da wird schlicht sichergestellt, dass man im Falle des Einmarsches einer auswärtigen Macht nicht wie ein begossener Pudel dasteht.“
—
Nun hatte zwar auch das Deutsche Reich schon vor dem 1. 8. gewisse Vorbereitungen unternommen, meines Wissens handelte es sich hier aber nur um das Bereithalten von Aufmarschplänen und die logistische Vorbereitung möglicher Truppentransporte mit der Bahn und dann – zweitens – erst am 31. Juli die Ausrufung des sog. „Kriegsgefahrzustandes“.
Die eigentliche deutsche Mobilmachung erfolgte offenbar wirklich erst ab dem
1. August – also keineswegs früh – dann allerdings auf die bekannte gut organisierte und schnelle Art und Weise.
—
Auf Seiten der Entente war man indessen schon etwas weiter und war anscheinend bereits frühzeitig davon überzeugt (oder gar willens), dass der Krieg nicht auf einen Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien beschränkt sein würde …
Ein Umstand, der wenig bekannt ist und den man in den gängigen Geschichtsbüchern selten findet, da in diesen zumeist lediglich über die formellen Mobilmachungstage informiert wird.
Wenn ich mich recht erinnere, begann Frankreich schon am 24. Juli seine afrikanischen Truppen ins Mutterland zurückzuholen, was man sehr wohl als Teil eines Mobilmachungsprozesses bezeichnen kann und was zum Plan XVII der Franzosen passte.
Ebenfalls am 24. Juli erfolgte meiner Erinnerung nach die Order, die französische Atlantikflotte ins Mittelmeer zu verlagern; schließlich galt zu diesem Zeitpunkt Italien noch als Teil des Dreibundes.
Offenbar ging Frankreich ganz selbstverständlich davon aus, dass Großbritannien die französische Atlantikküste schon ausreichend schützen würde.
Großbritannien setzte denn auch am 28. Juli seine Flotte in den Alarmzustand und alle Kapitäne erreichte der offizielle Befehl, dass ihre Schiffe in Bereitschaft sein sollten und ihren jeweiligen Hafen nicht mehr verlassen dürfen.
Die Seeblockade konnte dann ganz pünktlich beginnen.
Auch in Russland erfolgten schon eine Woche vorher durch den Kronrat Planungen zur Mobilisierung von 1.100.000 Mann. Generalstabschef Januschkewitsch gab dem zuständigen General Dobrolski den Befehl, die Mobilisierung in Gang zu setzen. Diese verdeckten Maßnahmen fanden sogar noch vor der ohnehin schon frühzeitigen formellen russischen Teilmobilmachung (am 29. 7.) statt.
Bekanntlich sahen die französisch-russischen Verträge/Absprachen nun einmal eine sehr rasche russische Mobilisierung vor.
Ist doch alles irgendwie seltsam …
Gruß
Guten Tag Herr Wirth und Altlandrebell,
ich musste doch laut lachen, als ich diesen Dialog hier las. Denn als ich gestern Nacht das Ausgangsposting von Ihnen Herr Wirth gelesen hatte, hätte ich sonstwas darauf verwettet, dass Sie Herr Altlandrebell sich darauf stürzen würden wie der Falke auf die Feldmaus, so Sie denn nur irgendwie Kenntnis von diesem Post bekommen würden. Nun, und das haben Sie dann ja auch in ihrer üblichen, überausführlichen Art getan.
Bei dem Thema Herr Wirth, muss man sich dann doch ordentlich wappnen, wenn unser Kollege im Orbit ist.
Jetzt bin ich leider nicht so tief im Thema drin, dass ich hier wirklich entscheiden kann wessen Einschätzung hier näher an der Wahrheit liegt. Es sind wohl von beiden Seiten Aspekte angesprochen worden, die beachtenswert sind – wobei die Quellenlage bei Belgien dann doch ziemlich eindeutig ist. Ist ja aber auch nur ein Nebenthema, da man bei Belgien nun wirklich nur schwerlich offensive Motive vermuten kann.
Dazu denke ich dann aber, dass Russland, was Mobilisierung angeht, auch ein sehr spezieller Fall war, aufgrund der Größe und der Weite des Landes, des weniger dichten Eisenbahnnetzes usw. Deswegen musste Russland nach Möglichkeit die deutsche Mobilisierung schon antizipieren um nicht zu viel Zeit zu verlieren. Diese Angst Zeit zu verlieren war aber natürlich auch ein Aspekt, der die Regierungen aller Beteiligten unter besonderen Druck stehen ließ und entsprechend nervös machte.
Was den deutschen Aufmarsch gegen Belgien angeht, so war ich übrigens vor zwei Wochen mit dem Fahrrad noch zufällig auf Wegen unterwegs, die man auf den längst abgebauten Bahnstrecken zur belgischen Grenze neu anlegt hat. Drei Teilstrecken, die in Eifel und Ardennen bis genau an die alte belgische Grenze (Eupen-Malmedy) gingen, aber nicht weiter. In dieser damals wie heute fast menschenleeren Gegend (Fast) einzig und alleine für den Zweck gebaut die Truppen so schnell wie möglich an die Grenze zu bekommen. Für eine reine Defensive waren diese Strecken sicher nicht gebaut worden, nicht so.
Das muss ne Menge Geld gekostet haben und konnte nicht allzu viel einbringen, aber vielleicht hatten die damals ja auch ein paar Sondervermögen für Infrastruktur 😉
@Two Moon
Hallo!
Ja, das hat mich auch nicht groß gewundert, dass unser fleißiger Rebell sich hier rasch zu Wort melden würde …
Und dann auch noch so umfangreich. Mag sein, dass er dieses Thema im Studium als Schwerpunkt hatte. So ganz schwach auf der Brust bin ich hier allerdings auch nicht.
Auffällig ist, wie sehr Altlandrebell nach wie vor Fritz Fischer vertritt und wie vehement er modernere angelsächsische Autoren, insbesondere Clark, ablehnt, weil sie Fischers Narrativ beschädigen.
Fischer war in der NS-Zeit übrigens Parteimitglied und es gehört nicht viel Fantasie dazu anzunehmen, dass er nach 1945 versuchte, sich durch eine besonders politisch-korrekte Geschichtssicht wieder lieb Kind zu machen.
Übrigens ist Clark nicht der einzige angelsächsische Historiker, der die bisherige Sicht in Teilen relativiert.
Weiterführend etwa auch dieser Artikel aus der WELT zum hundertsten Jahrestag:
https://www.welt.de/print-welt/article569669/Der-falsche-Krieg.html
—
Klar, im Kaiserreich haben sie auch Bahnstrecken zur Grenze gebaut. Ebenso wie die Russen, die das mit französischem Geld taten.
Das Thema ist ja nun schon seit 100 Jahren immer wieder und immer noch genauer durchleuchtet und erforscht worden, sodass man meint, es müsste nun genug sein, aber das ist es offenbar nicht. Zu sehr ist nämlich die nachfolgende Geschichte, der ganze Rattenschwanz ab 1917 mit diesem entsetzlichen Krieg verbunden.
ALLE waren sie schuld an dieser Urkatastrophe des
20. Jahrhunderts.
Die offiziellen Geschichtsbücher schreiben aber nun einmal die Sieger – und nicht die Verlierer.
Was ich nicht leiden kann, das ist dieser unnatürliche Schuldstolz, mit dem manche Leute nun auch noch für 1914/18 Deutschland als Hauptschuldigen bemühen wollen. Die das tun, die WOLLEN ganz einfach ihr eigenes Land verachten. Das ist dann schon ein bisschen seltsam …
Gruß
@ Wolfgang Wirth
„Schuldstolz“ ist vielleicht nicht ganz das passende Wort, aber so etwas Ähnliches gibt es in der Tat. Ich erinnere mich noch gut, dass, nachdem ich Clarkes Werk gelesen hatte und es erst einmal ziemlich plausibel fand, ich in Diskussionen mit Freunden dann doch schnell heftigen Gegenwind bekommen habe. Da war ich dann ziemlich verwundert mit welcher Selbstsicherheit die Anderen ihre Meinung vertraten, obwohl sie nicht im Mindesten die Kenntnisse besaßen wie unser Kollege Altlandrebell.
Sie bestanden einfach darauf, dass die alte Sicht noch gelten müsse in der den Deutschen ein Großteil der Schuld zugewiesen wurde.
Aber wenn man einmal gewohnt ist die Historie aus einem bestimmten Blickwinkel zu sehen und sein Ego in Kombination mit nationaler Identität da irgendwie einsortiert hat, dass es für einen passt und halbwegs angenehm ist, dann wehren sich die Meisten doch vehement, wenn diese Sicht angezweifelt wird.
Nun im Falle von WK1 finde ich nicht, dass man da noch von Sieger-Geschichtsbüchern reden kann. Die gab und gibt es auch, aber eben nicht nur.
Dass ALLE schuld waren, daran gibt es wohl kaum Zweifel. Der Streit geht doch in erste Linie darum ob es einen oder einige Hauptschuldige gab.
Das aber wirklich zu entscheiden halte ich bei der Komplexität der Sache für ziemlich schwierig, denn zu viele Texte dazu sind ja auch von einem gewissen Vorurteil in die ein oder andere Richtung geleitet.
Also möchte ich auch nicht allzu viel Gewicht auf die Sache legen.
Interessant ist, was rauskommt, wenn man eine KI nach der Schuldfrage fragt. Hier gibt es in der Tat ein leichtes Schuld-Übergewicht für D/Ö, aber eben nur ein leichtes:
Zweifel an Clarkes Werk sind aber natürlich auch angebracht, solche z.B. wie sie Altlandrebell weiter unten zu Clarkes Sicht auf Serbien beschreibt. Und es mag auch noch viele andere Stellen geben, die mehr als angreifbar sind.
Deutschland hatte durchaus _Gründe_ für diesen Krieg. Der preußische Militarismus war ja eine Art Selbstläufer. Auch wenn in dem von Ihnen verlinkten Welt-Artikel steht, dass der Anteil der Rüstungsausgaben im Deutschen Reich geringer war als in Frankreich und Russland, so war der Militarismus in Deutschland doch extremer und nach all den gewonnen Kriegen, auch wenn sie schon mehr als 40 Jahre zurücklagen, war auch das Selbstbewusstsein der deutschen Militärs extrem, ganz im Gegensatz zu Russen und Franzosen.
Ich glaube das Thema ist erst zuende, wenn Menschen der beteiligten Nationen ihr ICH nicht mehr so sehr mit ihrer Nation indentifizieren müssen. Wenn man ständig mit-siegt oder mit-schuldig ist, nur wenn die eigene Nation etwas tut, dann ist es nur besonderen Charakteren möglich nicht der Versuchung zu erliegen eine schiefe Sicht auf die Dingen zu bevorzugen.
@Two Moon
28. Juni 2025 um 22:01 Uhr
Guten Morgen,
da meine Frau noch schläft, vor dem Frühstück ein paar Zeilen.
Wir sehen die Dinge ja eigentlich relativ ähnlich.
Nur am Rande: Die Kritik an Clark ist für mich nicht glaubwürdig.
Zum Kriegsausbruch:
JEDE beteiligte Macht hatte Gründe für diesen Krieg.
Alle beteiligten Mächte taten schlafwandelnd und stur seit Jahren fast nichts, um Spannungen abzubauen.
Und was das Entscheidende ist: Alle beteiligten Mächte waren im Grunde fest davon überzeugt, dass der Große Krieg unvermeidbar sei.
In einer solchen Situation, in der extrem viel Spannung und Gegensatz aufgebaut worden war und bestand, ist es letztlich nicht entscheidend, durch welchen Katalysator es zur Entladung der aufgestauten Energie kommt.
Meine Sicht mag naturwissenschaftlich scheinen und sie ist es auch.
Weshalb auch nicht?? Der Mensch und seine Schöpfungen sind doch auch Teil der Natur!
—
Ihr letzter Absatz ist am interessantesten. Sie schreiben:
„Ich glaube das Thema ist erst zuende, wenn Menschen der beteiligten Nationen ihr ICH nicht mehr so sehr mit ihrer Nation indentifizieren müssen. Wenn man ständig mit-siegt oder mit-schuldig ist, nur wenn die eigene Nation etwas tut, dann ist es nur besonderen Charakteren möglich nicht der Versuchung zu erliegen eine schiefe Sicht auf die Dingen zu bevorzugen.“
Das Bemerkenswerte ist ja nun, dass gerade jene Leute wie @Altlandrebell, die sich NICHT mit der eigenen Nation identifizieren, in besonderem Maße weiterhin verbissen an der Verteidigung ihres Narrativs hängen und meilenweit von einem entspannteren Blick mit mehr Abstand und Gelassenheit entfernt sind. Das gibt zu denken. Eine Art von umgekehrter Nationalfixierung.
Aber ich muss schließen, mein Weib ist aufgestanden …
@Wolfgang Wirth:
Ihr Post hat den Zeitstempel „28. Juni 2025 um 22:01 Uhr“. Aber Sie schreiben ihn frühmorgens.
Naja, die Forenmaske spinnt mal wieder.
Da würde mich aber sehr interessieren warum genau Sie die nicht glaubwürdig finden? Wenn es Ihnen zu viel Schreiberei ist, vielleicht haben sie ja einen Link zu einem Artikel eines Kritikers über die Kritiker.
Dieser „naturwissenschaftlichen“ Sicht kann ich einiges abgewinnen. 43 Jahre Frieden in Zentraleuropa, große wirtschaftliche Konkurrenzsituation, enormes Bevölkerungswachstum in der Zeit, alle hochgerüstet und noch fast nirgendwo relevante Mengen an Pazifisten oder Menschen, die den Krieg nicht für normal oder sogar für nötig halten.
Dass aus diesem Gemisch, welches sicher noch einige andere fördernde Zutaten hatte, starke unterbewusste Zugkräfte bei allen beteiligten Entscheidern entstehen, ist ja mehr als wahrscheinlich. DAS wird sicher eine große Zutat gewesen sein.
Aber das schließt ja nicht aus, dass einige Akteure auch mit bewussten, „niederen Absichten“ die Kriegsgefahr geschürt und gefördert haben – mehr als Andere.
Aber ein bemerkenswerter Satz stand, wie ich finde, in dem KI-Text: „Jede Regierung hätte durch entschlosseneres De-Escalieren oder bewusstes Blockieren der Militärallianzen den Kriegsausbruch verhindern können.“
Ja, so eine umgekehrte Nationalfixierung habe ich auch schon öfter erlebt. Ob das auch auf @Altlandrebell zutrifft? Um das zu beurteilen kenne ich ihn zuwenig. Offensichtlich ist, dass ihm das Thema sehr wichtig ist und dass er bei dem Thema auch sehr ärgerlich werden kann, was manchmal selbst durch seine sonst sehr höfliche Schreibweise hindurch scheint.
Aber wäre ich z.B. Israeli und ständig mit Landsmännern konfrontiert, die Israel von jeder besonderen Verantwortung für den 7 Oktober und Gaza reinwaschen wollen, würde es mir wohl ähnlich ergehen, ganz ohne irgendwelche Nationalfixierung.
Hier wird es langsam sehr heiß. Das wird keine angenehme Woche. Aber vielleicht haben sie ja ein kühleres Eckchen.
Gruss
@Two Moon
29. Juni 2025 um 16:49 Uhr
Hallo Two Moon,
auch hier ist es warm. … Daher eher kurz.
Zu Ihrer Frage hinsichtlich Clark:
Ehrlich gesagt ist mir nicht bewusst, dass Christopher Clark überhaupt(!) ernsthaft kritisiert wird. Ich weiß nur von jenem allgemeinen dumpfen Rummosern und sich ärgern darüber, dass er eben meint, dass alle Großmächte ihren Anteil an der Katastrophe gehabt hätten und nicht bloß die Mittelmächte..
Ernsthafte Sachargumente gegen sein Werk kenne ich nicht.
Oder sagen wir mal so:
Ich bewege mich eben nicht auf Seiten, wo das zu lesen sein könnte.
Unser Altlandrebell kann den guten Clark ja nun überhaupt nicht leiden, doch habe ich auch bei ihm wenig Substanzielles gefunden.
Ich habe mir wirklich die Mühe gemacht, die vier langen Texte von ihm unten noch einmal querzulesen.
Über Clark finde ich dort nur so viel, dass er sich darüber ärgert, dass Clark gegenüber Serbien eine – seiner(!) Meinung nach – zu kritische/ungerechte Haltung hätte. Mehr finde ich nicht. Und auch das ist bloß Meinung und kein Bezweifeln von Fakten!
Diese negative Bewertung Serbiens ist nun aber bezogen auf das ganze Buch von Clark mitnichten eine zentrale Passage, sondern eher eine Randnotiz, die am Beginn des Buches die angespannte Situiation auf dem Balkan beleuchten will und eben nicht eine sonderlich wichige Stelle.
Wichtig sind die Passagen über die französische und russischen Absprachen, die Politik von Poincare und auch die Umorientierung der britischen Politik unter König Edward VII.
(Ich denke doch, dass Clark auch über diesen Monarchen schreibt.)
Ich habe das Buch im Bücherregal und ich kann nicht sagen, dass mir damals – 1915 – bei der Lektüre darin etwas zu einseitig oder gar falsch erschienen wäre.
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Wissen Sie, unser guter Altlandrebell gleicht bei diesem Thema einem befangenen Staatsanwalt, der auch nur ausschließlich nach belastendem Material sucht und gar nicht das Ziel hat, eine ausgewogene Gesamtschau zu erreichen …
Was Altlandrebell auch zu wenig berücksichtigt, dass ist das Ziel der Ententemächte, nicht mit dem Makel des Angreifers in die Geschichte einzugehen!
Das widerholte sich dann 2022, als die USA unter Biden über den russischen Angriff vermutlich überhaupt nicht sooo erstaunt gewesen waren …
Ganz ähnliche Vorgehensweise!
Die Frage, wie ernst gewisse Vermittlungsangebote der Entente 1914 überhaupt gemeint waren, müsste viel gründlicher geprüft werden. Die Deutschen sind in dieser Hinsicht vermutlich seit jeher weniger gerissen und weniger intrigant. Da haben uns die Briten und Franzosen etwas voraus.
Dafür waren wir eben immer die besseren Techniker und Organisatoren.
Gruß
Ich habe Ihren Austausch @ Wolfgang Wirth + @ Two Moon am Wochenende nicht verfolgt und gehe jetzt auch nur auf einzelne Aspekte ein. Da Sie mein Interesse an dem Thema umtrieb – mich interessieren sehr viele Themen und ich äußere mich ausführlich zu Artikeln, die Quark verkaufen. Nicht allen, dazu reicht meine Zeit nicht, aber die von Ensel oder heute Frau Burger sind immer recht Quark- und Druidentee-haltig. Genderismus wie Nationalchauvinismus (deutsche Julikrise-Literatur) sind mir obendrein an der Universität begegnet und dass ich mich in Anfangseingaben / -kommentaren umfänglicher äußere ist auch bekannt. In einem Debattenforum schreibe ich sicher auch mal kürzer, sehe hier Tweets aber fehl am Platz, für die gibt es X und wie sie alle heißen. @ Two Moon kann es natürlich auch einfach auf mein Steinbock-Stellium in Verbindung mit meinem Aszendenten zurückführen. 😎 Womit ich gleichwohl wenig anfangen kann @ all, sind irgendwelche Ableitungen und Mutmaßungen zu mir aufgrund meines Alters, meines Geschlechts, meiner politischer Sozialisation, Herkunft et cetera. Die braucht es nicht und da kann ich auch sehr grantig werden und zukünftig reziprok antworten.
So, nun versuche ich der Reihe nach einige Punkte Herrn Wirths aufzugreifen:
Verzeihen Sie die Verwirrung, es klang für mich einfach so, dass Sie die Angabe ebenfalls Schmidt entliehen hätten, da Sie zuvor mehrere Passagen aus seinem Werk zitiert hatten. Da ging ich einfach davon aus, dass auch Ihre letzten beiden Absätze weitere Paraphrasierungen jener Abhandlung darstellten.
Im Netz findet sich diese Information freilich verschiedentlich. Wenn nicht bei Stefan Schmidt, so zumindest bei seinem Namensvetter Stefan Scheil und zwar in dessen „Studie“ Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. In der Sezession „analysierte“ jener 2014 hier „einen einzigen, bedeutenden Tag der finalen Vorkriegsphase; der folgende Beitrag gibt einen Vorgeschmack auf sein neues Werk“. Und da findet sich die entsprechende Passage:
Somit ist es Scheil, der entweder nicht fähig ist, Quellen richtig zu lesen, weil er sonst wüsste a) wozu die Anlage von Depesche Nr. 2 gedient hat und b) dass Belgien erst am 31. Juli mit der Generalmobilmachung begann. (Das hätte dann Krumeich’sche Qualitäten!) Oder der bewusst eine Mär in Umlauf bringen will. Aufgrund des Aufbaus und der Präsentation des Artikels, insbesondere aber wegen des letzten Satzes („Lediglich zur Tarnung“), gehe ich stark von letzterem aus. Da ist nämlich nichts „zur Tarnung“ geschehen. So wie Frau Burger und ihre Stichwortgeberin normen wollen, dass Männer „ein deutlich höheres Gewaltpotenzial“ hätten, will dieser Typ normen, dass das arme Deutschland „mitten im Frieden vom Feind überfallen“ worden sei – so ja auch der Titel seines Buches und so hat es ja auch sein geliebter Kaiser geschwätzt. Überzeugt mich beides nicht, riecht beides Mal nach identitären Fanatikern.
Apropos Kaiser, zudem gab es bei Scheil noch weitere völlig in die Irre führende Passagen wie diese weiter unten:
Hinweise zu Bedeutung, Ausgestaltung und Sinn der Nordlandreise des vorgeblich friedlich schippernden Willys – ein Sujet, das auch Ensel nur en passant streift – habe ich in Teil III meines eigenen Kommentars zu Ensels Beitrag geteilt. Scheil und die Deutschnationalen können und wollen so etwas natürlich nicht sehen.
Scheils Vorgehen und Quellenumgang ist letztlich schlicht unredlich. Wenn so bereits der erste Happen seines Werkes mundet, kann man sich ja denken wie der Rest schmeckt.
Mir ging es darum aufzuzeigen, dass erhebliche qualitative Unterschiede zwischen einer Teil- und einer Gesamtmobilmachung bestehen und dann vor allem nochmals zu präventiven und vorbereitenden Defensivmaßnahmen. Man kann schlicht nicht Bewegungen und Tun, die auch in Friedens- und Krisenzeiten zum Standardrepertoire gehören, mit einer Generalmobilmachung in den Topf schmeißen und irgendetwas daraus abzuleiten versuchen.
Nein, da habe ich nichts „zugegeben“. Da müssen Sie schon genau lesen, Herr Wirth.
Ich habe anhand der Primärquelle (Telegramm-Sammlung) den Unsinn auseinandergenommen, wonach Belgien bereits am 24. Juli vollständig mobilisiert gewesen sei, denn genau das wird in der nun nicht von Schmidt, sondern von Scheil stammenden Passage behauptet („Darin stand zu lesen, Belgien habe vollständig mobilisiert“). Jeder, der das liest, denkt, dass schon über eine Woche vor dem deutschen Überfall eine vollauf einsatzbereite belgische Armee in ihren Stellungen gestanden hätte und nur darauf gewartet habe, dass auch die armen, friedlichen Deutschen mobilisierten, um endlich über diese herfallen zu können. Nur war dem eben nicht so.
Belgien hat am 24. Juli (= einen Tag vor der serbischen Antwort) nichts Militärisches unternommen, auch nicht klandestin. Sein Außenminister Davignon – übrigens Großvater des mutmaßlich in die Ermordung Lumumbas verwickelten Diplomaten und Bilderberg-Ehrenvorsitzenden Étienne Davignon – hat lediglich einem Schreiben an verschiedene belgische Botschaften im europäischen Ausland eine Anlage für den Bedarfsfall beigefügt. Dieses für den Giftschrank vorbereitete Dokument ist nicht mit der Tatsachenschilderung eines Ist-Zustands zu verwechseln wie ich in meiner ersten Antwort bereits erläuterte. Lesen Sie die entsprechenden Passagen in meinem zugehörigen Kommentar bitte nochmals.
Ansonsten wies ich darauf hin, dass die Belgier – wie auch andere kleine Neutrale wie die Schweiz und die Niederlande – unterhalb der Schwelle einer Teil- oder Gesamtmobilmachung laufende Schritte ergriffen. Jene erwähnten 08/15-Maßnahmen, in die nur Leute, die vom militär-politischen Prozedere keinen Schimmer haben, etwas hineindeuteln können – oder Ideologen, die dem Angegriffenen (Belgien) einen Strick drehen und das Opfer zum Täter machen wollen. Das waren Maßnahmen, wie sie vermutlich auch bei anderen Großkrisen in den Jahren zuvor getroffen worden waren. Dazu zählten die erwähnte Einberufung bestimmter Reservisten, das Schließung der Börse, militärische Präsenz an Bahnhöfen (BEL) oder die Vorbereitung zum Abriss von Brücken oder der Sprengung von Deichen (NDL). Das sind qualitativ schlichtweg andere Maßnahmen als eine Gesamtmobilmachung, welche die vollständige Aktivierung des Heeres, die Einberufung aller wehrpflichtigen Reserven und die Umstellung der gesamten Infrastruktur und Ökonomie auf Kriegsbetrieb umfasst hätte. Und es unterscheidet sich auch von den Maßnahmen einer Teilmobilmachung, wie sie Lieven in seinem Buch anhand des russischen Fallbeispiels aufzeigt. Für die Generalmobilmachung hätte es überall der roten (und sonst wie farbigen) Anschläge gebraucht. Die hingen aber weder in Belgien noch in Russland am 24. Juli 1914 aus.
Wer das vermengt und unterschiedliche Maßnahmen einfach unter dem Sammelbegriff „Mobilmachung“ zusammenzufasst, arbeitet bestenfalls unsauber. Die von mir zitierte Schilderung von Hugh Gibson illustriert doch klar, dass Belgien vor dem 31. Juli 1914 keine General- oder Teilmobilmachung durchgeführt hat (wie von Scheil insinuiert), sondern rein defensive, begrenzte 08/15-Schritte ergriff. Das war proaktives Staatshandeln, nicht die Vorbereitung eines totalen Krieges.
Da finden sich in der Literatur aber diverse Passagen, dass diese „gewisse[n] Vorbereitungen“ erheblich waren:
Quelle: Fischer, S. 46
Man merke I: Aktenkundlich, also nachlesbar. Ich habe jetzt die Akten und Quellen, die der Verfasser im Anhang nennt, nicht bei mir, die müsste man sich wohl im Bedarfsfall liefern lassen, denn meine sechs Bücherschränke sind nicht das Zentralarchiv.
Man merke II: Am 18.07.1914 spätestens (von einem Ultimatum hat außerhalb von Berlin und Wien noch keiner was gehört, selbst der eigene Dreibundpartner Rom kennt allenfalls Gerüchte und Ausgeplaudertes) wurde Krieg deutscherseits „nun als sicher betrachtet“. Zimmermann sagte Hoyos ja sogar schon am 05.07.1914 (wie ich in meinem Kommentar darlegte), dass das „Risiko“ zu „90 % Krieg mit Russland“ betrage.
Dann, weil Ihnen Fischer ja nicht passt und „wir“ auf das Anliefern der Akten nicht warten wollen:
Sternchen* 1: Die Quelle für dieses Zitat findet sich in Röhl, John C. G. (2008): Der Weg in den Abgrund, S. 1087.
Sternchen** 2: ebd., zzgl. diese hier, die Aufzeichnung des Unterstaatssekretärs des Auswärtigen, Freiherr v. d. Bussche, der die Quelle zudem als „durchaus zuverlässig“ einstuft
Das sind übrigens keine bloßen „Meinungen“ – auf diesen Punkt wird noch zurückzukommen sein – sondern handfeste Dokumente und quellengestützte Argumente.
Das „mitten im Frieden überfallene“ arme Deutsche Reich trifft also Anfang Juli 1914 vorbereitende Maßnahmen für einen Krieg. Wo und wann wurde das eigentlich beschlossen? Mein Tipp (Zusammenfassung von Westipedia):
Für was so ein großer Kriegsrat, wenn man seinem Verbündeten nur den Rücken stärken oder eigentlich nur friedliche Absichten hat und in Urlaubsstimmung ist? Jammerschade auf jeden Fall, dass es da abgesehen von Stichworten wie den von Bussche zufällig keine Unterlagen zu jenen Besprechungen (mehr) gibt.
Weiter aber mit Gietinger & Wolf:
Quelle: Gietinger & Wolf, S. 195
Die Autoren schreiben, dass man dem Briefeschreiber in Paris nicht geglaubt habe, ihn aber nach „Kriegsausbruch“ vergeblich versuchte ausfindig zu machen. Den Brief zitieren sie nach einem Buch von Helmut Donat, noch ein Friedensforscher. Die Schilderungen passen auf jeden Fall auffällig gut zur 90-%-Aussage Zimmermanns, zu den von Bussche erwähnten „vorbereitende Maßnahmen“ sowie zum Sager Bethmanns, Wilhelm solle am 07. Juli auf seine übliche Nordlandfahrt gehen, weil sonst ganz Europa merken würde, dass sich hier etwas anbahne (in meinem Kommentar in Teil III unten zitiert).
Da ist dann einfach Röhl zuzustimmen:
Oder Mombauer:
Quelle: Mombauer, Annika (2014): Die Julikrise, S. 49
Den ganzen restlichen Monat nach dem obigen Kriegsrat verbrachten die maßgebenden Herren damit an Täuschungen und Begründungen zu feilen. Denn Krieg stand fest und wurde vorbereitet. Und diese „gewissen Vorbereitungen“ des Reiches waren zum 17. Juli schon abgeschlossen. Es ging jetzt nur noch um das „Shaping“, das Design, des Ganzen: Großbritannien nach Möglichkeit rauszuhalten, das Ultimatum auszufeilen, die Sozialdemokratie zu gewinnen, sich als den Angegriffenen und / oder als Opfer der Umstände zu präsentieren etc. Nochmals mit Mombauer:
Quelle: dies., S. 46 f.
Das sind die Tatsachen. Das ist belegbar. Und mir kommt man jetzt mit „französisch-russischen“ Absprachen und Intrigen. Frage: Gab’s die denn auch schon Anfang Juli? Haben die auch konspiriert? Oder hat man in St. Petersburg und Paris gar daran gearbeitet Wien und Berlin zum Blankoschecken und Kriegplanen zu verlocken?
Die Deutschen waren Anfang / Mitte Juli 1914 schlicht kampfbereit oder dabei alle relevanten Maßnahmen zur Kriegsbereitschaft einzuleiten. Und konnten dann ihre Militärmaschinerie praktisch jederzeit auf Knopfdruck auslösen. Was fehlte war wie geschrieben die richtige Verpackung, denn schon damals konnte man nicht einfach über die Grenze der anderen ziehen und losholzen. Nicht diskutiert wird all das freilich bei Autoren wie Scheil, denn sonst könnte man ja nicht die These aufrechterhalten man sei „mitten im Frieden überfallen worden“. Stattdessen macht sich deren Fan-Clique lieber über Leute her, die ihnen etwas entgegnen. Unter einer Neuauflage von Mombauers anderem Werk goebbelt einer auf Amazon beispielsweise:
Das „dünne Bändchen“ ist übrigens 400 Seiten lag – aber „wir“ haben eben alle unsere eigene Vorstellung was ein dünnes Buch oder ein langer Text ist. Und wie „namhaft“ ein tendenziöser von der Bundesregierung hofierter Schreiberling wie Clark oder ein Russenfresser wie McMeekin ist, der behauptet Stalin sei schlimmer als Hitler gewesen, sei auch dahingestellt. (Wie üblich nennt der Troll auch keine Argumente, warum sie „gescheitert“ sein soll, außer ad hominem und Mimimi).
Und wann war dieses ominöse „frühzeitig“? Vor dem Blankoscheck? Vor dem 17. Juli? Das ist doch alles arg zu bezweifeln und das ist das Problem der Germanophilen. Die maßgebenden klein- und großdeutschen Entscheider wussten nämlich wie geschrieben bereits am 05. Juli, dass das „Risiko“ zu „90 % Krieg mit Russland“ betrage (Zimmermann) oder waren eben wie Waldersee „zum Sprung bereit“. (Kierkegaard kommt in den Sinn!) Und Krieg mit Russland bedeutete in der Tat in diesem spezifisch-deutschen Falle quasi automatisch Krieg mit Frankreich. Denn die unflexible Berliner Kriegsplanung hat ja den „Großen Ostaufmarsch-Plan“ 1913 endgültig eingestellt gehabt. Hierzu das hier in puncto Julikrise ansonsten weitestgehend unbrauchbare Westipedia:
War das Frankreichs Versagen? Frankreichs Schuld? Wer zwang die Deutschen denn überhaupt in Frankreich einzumarschieren? Ensels „gespenstische Hand“? Wilhelm II. wollte ja sogar zwischendurch alles gen Osten werfen, zur Panik und zum Entsetzen seiner Militärs. Nein, es war klar: Kommt es zum Konflikt mit Russland, rollt der erste Angriff gegen Frankreich:
Quelle: Gietinger & Wolf, S. 160
Und Frankreich wusste zwar seit Jahren von der deutschen Planung, hatte aber mit dem vorgeblichen Kriegsanlass („pöse Serben in Sarajewo“) freilich gar nichts zu tun – und das ist eben das entscheidende. (Im Unterschied übrigens zu Russland, das damals wie heute eine sehr spezifische Art von Schutzmacht Belgrads war.) Genauso wenig hatten auch die Belgier und Luxemburger etwas mit dem Balkan zu tun (ursprünglich hatte Schlieffen bei seinen Planungen auch die Vergewaltigung der Niederlande angedacht. Der Marsch durch den Maastricht-Korridor was später dann verworfen worden, man brauchte ja noch eine Milchkuh. Den Haag scheint es freilich nicht gewusst zu haben und hat dann die genannten Vorbereitungsmaßnahmen zum Deichsprengen etc. vorsorglich getroffen.).
Und weil hier immer Schmidt kommt – Frankreich mag Ende Juli dann auch nicht (mehr) Wert darauf gelegt haben, einen Waffengang zu vermeiden. Mag sein. Interessant ist aber eben auch, was für den 26. Juli dokumentiert ist. Zitat aus Mombauer:
Quelle. Mombauer, S. 90 f.
Das böse Frankreich, das gegen das seit Wochen unvorbereitet-vorbereitete Deutschland konspiriert und über es herfallen möchte, beschließt die Mobilmachung sogar zu verzögern und nur Krieg zu führen, wenn man mit „dem Unvermeidlichen“ konfrontiert würde. Selbstverständlich ist das Kalkül. Und selbstverständlich ist der französische Staat kein Friedensengel, auch wenn es in ihm mehr Friedenstauben gegeben haben mag als in Deutschland. Aber extrem aufschlussreich sind diese Passagen. In Deutschland war man ja schon seit drei Wochen zum Krieg entschlossen…
Frankreich galt als der schwächere der beiden Hauptgegner, deswegen sollte es in sechs Wochen aus dem Feld geschlagen werden, um die Front zu bereinigen und deswegen musste man diese drei unbeteiligten Länder angreifen. Es ist aber nicht das Problem oder die Schuld von Paris, Brüssel und Luxemburg, dass Berlins Planung so unflexibel war wie sie es nun einmal gewesen ist. Die Deutschen hätten auch ihr schönes Geld in einen Festungsgürtel (wie wäre es mit: „Westwall“) gegen mögliche französische Angriffe oder auch in Argumente statt in unbrauchbare Schaluppen investieren können. Dann wären Franzosen blöd dagestanden und all ihr Kalkül den Rhein runtergegangen.
Zurück zur Überzeugung, dass sich der Krieg nicht auf Serbien lokalisieren lasse. Das 90-Prozent-Risiko, dass ein (ungerechtfertigter oder aggressiv designter!) Waffengang gegen Serbien, auch Krieg mit Russland (und Frankreich) darstellen würde – und auch die Probleme, die daraus aufgrund des Überfalls auf Westeuropa in Gestalt Londons erwachsen konnten – war Bethmann, Zimmermann und Co. übrigens vollkommen klar. Weswegen sie, wie Lieven informiert:
Lieven, S. 316 f.
Die Deutschen hätten anders entscheiden und das alles anders aufziehen können. Sie haben es nicht. Sie wollten es nicht.
Durch Indiskretionen und Geheimdienste war den Alliierten freilich ab Mitte Juli bekannt, dass bei den Mittelmächten irgendwas im Busch war:
Wo die doch alle so unvorbereitet waren in Wien und Berlin!
Tja, aber das war eben Wochen (!) nachdem man in Berlin damit rechnete, dass es zum europäischen Großkrieg kommen musste und seine „Vorbereitungen“ eingeleitet hatte. Und sehr überrascht war man in London und St. Petersburg über den Wortlaut – des bewusst unannehmbar designten – habsburgischen Ultimatums:
Quelle: Lieven, S. 318 f.
In Wien wollte man eben Krieg mit Serbien und nahm den Krieg mit Russland in Kauf. In Berlin wollte man die Sprengung der Triple Entente und Krieg mit Frankreich und Russland und nahm den Krieg mit dem Vereinigten Königreich in Kauf. Was man in Berlin nicht wollte war der Weltkrieg aus für das Reich ungünstiger Position, weswegen sie London fürs Erste rauszudrängen suchten. Das hat aber nicht geklappt, da hat man sich verbrannt und das wussten die Entscheidungsträger auch genau. Aber groß gekümmert hat es sie dann auch nicht. Zitat Falkenhayn (31.07.1914):
Ja, richtig schön. Außer für die 13 Millionen Menschen, die darüber verreckt sind. Interessant ist eigentlich nur, dass Wien nicht mehr Zeit darauf verwendete, die Hintergründe des Attentats von Sarajewo auszuleuchten. 🤷♂️
Der ist ziemlich bekannt. Vielleicht nicht @ Two Moons Bekannten oder deutschen „Forschern“, aber in der internationalen Geschichtswissenschaft und interessierten Szene. Weswegen ich Ihnen beispielsweise bewusst unter anderem das Werk Lievens verlinkt habe, der genau solche Fragen behandelt. Ein Werk, das übrigens bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden ist – welch Wunder, denn es könnte ja die deutsche „Der Russe war Schuld, ist Schuld und wird immer Schuld sein und wir müssen jetzt alle aufrüsten“-Norm unterminieren…
Teil II:
Ich vertrete Fischer nicht, ich habe ihn zitiert. Außerdem hat er kein „Narrativ“ (übrigens: das ist woker Sprech) etabliert, das kann man auch gar nicht alleine, außer man verfügt über eine erhebliche Macht und andere Ressourcen, die bei einem gewöhnlichen Hochschullehrer wie ihm nicht vorhanden war. Er und einige andere haben lediglich eine andere Forschungsposition eingebracht – und das nicht ohne Widerspruch, sonst wäre ja wohl keine „Fischer-Kontroverse“ und das bis heute anhaltende Bedürfnis ihn zu kasteien entstanden – genau wie die sogenannten „Neuen Historiker“ in Israel, welche die Geschichte jenes Landes und des Zionismus ab den 1980ern einer Revision unterzogen. Revisionismus im allerbesten Sinne! Fakt ist, dass die Rechte ihn von Anfang verfemte und bekämpften. Warum? Wohl schlicht, weil einiger seiner Argumente trafen und schmerzten. Wären sie einfach falsch gewesen, hätte man das ruhig wegmoderieren oder ihn ignorieren können. Da hier aber ein wunder Punkt getroffen wurde, kläfften die Teckel eben sofort.
Davon abgesehen: Wieso sollte man ihn eigentlich auch nicht zitieren? Eine solche Anti-Zitier-Position klingt wirklich sehr woke und nach Kontaktschuldvorwurf. Erinnert an den Umgang mit Professoren wie Mearsheimer, Iohannidis und anderen, die „unbequem“ wurden. Weil Fischer NSDAP-Mitglied war, ist er wohl vollumfänglich und für immer belastet oder wie? Interessante Position, sonst haben die Rechten auch kein Problem dergestaltige Aspekte zu nivellieren. Ode soll seine Position nicht direkt aber doch letztlich irgendwie mehr oder weniger wertlos sein, weil Sie mutmaßen, dass er sich irgendwo „lieb Kind machen wollte“? Es gab eine ganze Menge anderer Wissenschaftler, Forscher, Schriftsteller und sonstiger Personen, bei denen man denselben Maßstab anlegen könnte – angefangen beim germanophilen Clark oder seinem nicht weniger von den Regierenden herumgereichten Spezi Münkler. Man könnte auch argumentieren, dass Kritiker Fischers wie Strauß ihren einmal eingeschlagenen NS-Pfad nie verlassen haben. Doch ist solcherlei Tun ob bei jenen oder bei Fischer bloß eine ungenügende ad-hominem-Vorgehensweise, die wenig zur Bewertung von Argument und Quelle beiträgt.
Das erinnert mich alles bloß an die Leute, die behaupten eine politische Position XY könne nicht stimmen oder dürfe nicht vertreten werden, weil die AfD oder das BSW dafür sind. Denn die sind ja gefährlich und populistisch und wollen sich bloß bei bestimmten Segmenten der Gesellschaft anheischig machen.
Ensel hat hier unkritisch Münkler ausgewälzt und ich habe diese Positionen verschiedentlich kritisch kontrastiert. Wenn Sie Fischer unterstellen, er habe sich „lieb Kind machen wollen“ (bei wem eigentlich anno 1960 – bei der Adenauer-Regierung?!), dann könnten Sie das wie gesagt 1:1 und noch viel treffender auf Münkler, Baberowski, Clark, Leonhard, Neitzel und Co. anwenden. Die werden von der Bundesregierung hofiert, gefördert, promotet, herumgereicht und deren Narrative werden gezielt normiert. Die Hintergründe habe ich unten auch zitiert, aber hier der Einfachheit halber nochmals:
Ansonsten zitiere ich Autoren, wenn ich ihre Argumentation interessant, diskussionswürdig, oder zum Beitrag passend finde – egal, wo die mal Mitglied waren. Ich prüfe auch nicht ob dieser oder jener vorher gefördert wurde oder was er in seiner Freizeit tut. Ich wurde auch von einem staatlichen Hochbegabtenforschungswerk gefördert, habe trotzdem nichts mehr mit denen gemein. Es gibt auch jede Menge Punkte bei Fischer, die ich nicht teile. Bei den zitierten Positionen neige ich ihm freilich zu, zumindest deutlich mehr als Ensel und Münkler.
Davon abgesehen habe ich mit Lieven, Gietinger & Wolf, Wette, Otte sowie Mombauer allesamt Autoren zitiert, deren Monographien in den letzten Jahren erschienen oder aktualisiert worden sind, zum Teil in Antwort auf Clark und Münkler oder unabhängig davon. Sind die also nicht „modern“? Wer definiert überhaupt was „modern“ ist?
Es sollte auch bedacht werden, dass die Forschung außerhalb der sehr rückständigen deutschen Historikerzunft wenig mit McMeekin, Clark und Münkler anfangen konnte. Das zeigt sich auch darin, dass diese wiederholt en passant deren zweifelhafte Methodik und Quellenbetrachtung thematisierten. Lieven bügelt McMeekin beispielsweise in einer Fußnote weg – was ich durchaus verständlich finde, denn man muss sich mit der „Forschung“ dieses russenhassenden US-Amerikaners wirklich nicht ausschweifend beschäftigen und ihn dadurch auch noch zusätzlich aufwerten. (McMeekins letztes Buch erschien übrigens in der Verlagsgesellschaft Berg – das sollte alles sagen.)
Und Lieven (in den Gazetten immer als der Doyen der britischen Forschung zur russischen Geschichte dargestellt und somit doch sicher „vom Fach“ und „namhaft“) und Mombauer sind nicht die einzigen, die diese Relativierung einordnen und kritisch hinterfragen. Ich kann ja nicht alle hier auflisten und zitieren, dann beschweren sich noch mehr Leute wegen der Länge.
An Clark, Münkler und Co. ist darüber hinaus eigentlich auch nichts sonderlich „modern“ und die „Quellen“, die sie neu aufgetan haben wollen, sind meistens der Zunft bereits bekannt gewesen. Das sind schlicht Neu- oder Uminterpretationen. Da wird sich echauffiert Fischer „sei Stand der 1960er“ – naja Clark und Münkler sind Stand der „1920er“. Bei den grundsätzlichen und maßgeblichen Punkten kochen sie nämlich lediglich die deutschen Argumente jener Zeit auf – und verkaufen somit Druidentee. Übrigens hat man sich auch damals gerne von deutscher Seite auf britische, französische, russische oder US-amerikanische Stichwortgeber berufen, um das Narrativ vom armen, überfallenen, wilhelminischen Friedensreich zu untermauern.
Genau das ist die Norm, die gesetzt werden soll. Darauf habe ich bereits bei Ensels unsäglicher Gleichsetzung des deutschen Blankoschecks mit trivialen russisch-französischen Absprachen während des Poincaré-Besuchs verwiesen.
Wenn alle schuldig waren sind wir zum einen im Moralisch-Rechtlichen, zum anderen super nivelliert und dann braucht man über Verantwortung nicht mehr reden und schon gar nicht über besondere Verantwortungen. Die maßgebende deutsche Hauptverantwortung wird dadurch eingeebnet, weggewischt – das tun übrigens Reaktionäre wie orthodoxe Marxisten gleichermaßen, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Zielen und Hintergründen. Reaktionäre neigen dazu, die deutsche Hauptverantwortung herunterzuspielen oder abzuleugnen, weil sonst wie geschrieben ihre identitären Narrative in Gefahr gerieten. Sie müssen die Schuld bei anderen suchen oder auf alle gleichermaßen häufen, weil da letztlich ihr Selbstverständnis dranhängt. Deutschland kann nur gut sein, wenn seine Weste möglichst blütenweiß ist und lediglich von „den 12 Jahren da“ befleckt wurde, aus denen man aber so viel gelernt habe und an denen ohnehin „nur der Hitler und seine Leute“ schuld gewesen sind. Wenn dann noch mehr historische Ereignisse auftauchten, die zeigten, wo die Deutschen überall gesündigt und gemordet haben – tja, dann geriete das schöne Trugbild ins Wanken. Und für orthodoxe marxistische Analysen kann der Krieg natürlich nur primär die Folge kapitalistischer oder imperialistischer Strukturen gewesen sein, womit sie galant individuelle Entscheidungen und nationale Politiken oder individuelle Staatsausprägungen wegblenden. Alle Staaten sind kapitalistisch, alle rangeln miteinander – ist doch letztlich egal, wer angefangen hat. Beide Perspektiven verzerren die konkreten historischen Abläufe zutiefst und da mache ich nicht mit. Dementsprechend kriege ich von beiden Flak ab.
Freilich ging es mir – im Gegensatz zu Clark und Münkler, die nie über Schuld (wie gesagt ein zutiefst moralisch-rechtlich aufgeladener und zu hinterfragender Begriff) sprechen wollen, es aber beständig tun und dann gerne am Ende immer den Tschuschen und Russen den rauchenden Colt zuschieben (natürlich bloß zufällig zwei Länder, die heute nicht zum Garten gehören und Ziel heutiger deutscher Interessen und heutiger deutscher Aggression sind) – nicht um Schuld sondern eben die Herausarbeitung von Hauptverantwortung. Das ist ein gewichtiger Unterschied.
In meinen Augen tragen vier Herren in Berlin jene Hauptverantwortung für die Auslösung des Ersten Weltkriegs: Bethmann, Zimmermann, Jagow und Stumm. Deren Entscheidungen waren maßgebend. Ohne ihre Bereitschaft, die Krise zu eskalieren, wäre es nie zu einem Krieg, geschweige denn zu einem Weltkrieg gekommen. Ihre Absicht, bereits Anfang Juli 1914 kundgetan, die Krise bewusst als geopolitische Chance für das Reich zu nutzen, anstatt sie vernünftig (beispielsweise mit einer Konferenz oder einem Schiedsgericht) zu lösen oder schlicht zu deeskalieren, ist die Krux. Ihre strategischen Fehlkalkulationen und ihr Wille loszuschlagen beziehungsweise den Moment zu nutzen, solange die (militärisch-sozio-ökonomischen) Sterne noch günstig standen, waren entscheidend.
Dann:
Und das ist eben nicht zutreffend. Die Behauptung ist uralt und diesen uralten Wein setzten Clark, Münkler und Co. ab den 2000er Jahren in neue Schläuche verpackt dem geschichtsblinden Publikum vor. Unterstützt von Leidmedien und Regierungen:
Quelle: Wette, Wolfram (2017): Ernstfall Frieden. Lehren aus der deutschen Geschichte seit 1914, S. 145 f.
„Unwürdig“ und „entehrend“ – so ist er eben der handelsübliche mehrheitsdeutsche Professor. Es fehlt vielleicht noch: von sich selbst eingenommen. Was er freilich nicht ist: überzeugend, argumentativ auf der Höhe oder ernst zu nehmen. Zumal man gerade Typen wie Münkler schon allein angesichts ihrer anderen Positionen und eben ihrer extremen staatlichen Verbandelung massiv hinterfragen sollte.
Dass Fischers Methodik in einem heutigen Proseminar nicht mehr akzeptiert würde, stimmt allerdings – denn Fischer hat noch tatsächlich wissenschaftlich gearbeitet, heutige Seminare „arbeiten“ dagegen identitär und wenn deine Meinung von der des Dozenten abweicht, dann kriegst du eine 2,0 und das ist in Zeiten der Noteninflation bereits sehr schlecht.
Dann: Jeder halbwegs kritische Geist sollte wissen, dass, wenn die Leidmedien etwas promoten und alle in die gleiche Richtung rennen – ob zu Russland, ob zur Pandemie, ob bei Migration oder eben einem geschichtlichen Thema wie diesem – dann etwas ganz faul im Staate Deutschmark ist. Der Umgang mit der Julikrise ist ein Beispiel für Meinungsmache par excellence, ein Fall für Albrecht Müllers „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“. Und hier – wie in der Pandemie oder Russland – haben „wir“ wieder regierungsamtliche „Experten“ (Clark, Münkler), die vorkauen, was gedacht werden soll. Die Leute machen das natürlich brav mit wie die Umfragen zeigen – selbstständiges Denken ist im Westen keine Tugend, geschweige denn eine Zier.
Aber es ging ja ums „Schlafwandeln“. Weiter also mit Wette (S. 146 – 153):
Das war 2017. Heute sind diese Rechtsradikalen noch viel mehr am Ruder und das Vierte Reich stabilisiert Europa gerade am ukrainischen Krisenrand mit deutschen Waffen, deutschem Geld und bald auch offiziellen deutschen Truppen. Münkler und Co. haben hierbei eindeutig mitgeholfen, diesen Weg publizistisch vorzubereiten, und die Stereotype, die sie über Serbien und Russland ausgossen – zwei Länder, die auch heute Feindstaaten und Ziel deutscher Beeinflussungsoperationen sind – haben sicher ihr Scherflein beigetragen.
Weiter geht’s (S. 153):
Summa summarum: Das waren schlicht keine Somnambulen oder sonstwie Entrückte. Es waren bei vollem Bewusstsein handelnde Akteure. Und vier deutsche Männer in Berlin waren sprichwörtlich kriegsentscheidend. Denn die wollten das. Was sie nicht wollten ist, gerade im Falle Bethmanns, war, dass Großbritannien mit dabei war, denn das senkte die Gewinnchancen drastisch. Deswegen haben sie dann schon im Spätsommer 1914 rumgeheult und vom „perfiden Albion“ gejammert, von dem sie sich verraten fühlen. Und das nur, weil sie London nicht haben draußen halten können, trotz aller Mühen, Tricks und Maskeraden. Nur die lächerliche Sozialdemokratie haben sie überzeugen können, aber deren tatsächliche Haltungen (= staatstragend, kolonialistisch, kapitalistisch, militaristisch…) pfiffen seit den frühen 1900ern ja die Spatzen von den Dächern…
Das ist überhaupt nicht entscheidend, wie unter anderem Lieven aufgezeigt hat. Denn dass ein Krieg unvermeidbar sei, war damals seit Jahrzehnten Allgemeingut. Schon Engels schrieb vier, fünf Jahrzehnte zuvor darüber und skizzierte beeindruckend genau die Folgen (industrielles Schlachten, großräumige Zerstörung, Verarmung…), auch wenn seine Prognosen, was auf den Krieg folgen sollte nur teilweise zutreffend waren.
Entscheidend ist vielmehr, warum – obwohl bei allen vorangegangenen Krisen die Mächte genauso überzeugt waren, dass es irgendwann zum „Waffengang“ kommen würde – der nun ausgerechnet im Juli 1914 eintrat. Und da ist man dann eben bei der Frage individueller Verantwortung. Da muss man dann eben aufhören alle Staaten und ihre Verantwortlichen über einen Kamm zu scheren und wahlweise unitarisch als „Schlafwandler“ (reaktionäres Lager) einzustufen oder bloß monolithisch als „Kapitalisten“ (orthodox-marxistisches Lager) wahrzunehmen. Nochmals Wette (S. 165):
Und genau um letzteres geht es – Glättung, Entsorgung, Reinwaschung und Mobilisierung beziehungsweise Vorbereitung für den nächsten Waffengang, gegen alte (Serbien, Russland) wie neue Feinde (Iran, China, Migranten).
Doch genau das ist entscheidend.
Zunächst: Das ist gerade keine naturwissenschaftliche Herangehensweise. Gerade in Chemie und Physik wird auf die genauen Faktoren und Auslöser geschaut, um Prozesse präzise analysieren und nachvollziehen zu können – statt sie zu verallgemeinern und alles durcheinander zu schmeißen.
Gleichwohl wird es aber gefährlich, wenn man versucht die komplexen polit-historischen und individual-persönlichen Entscheidungen und Faktoren der Julikrise auf eine quasi-mechanistische Formel zu reduzieren. In Physik und Chemie sind Katalysatoren gerne deterministisch – in der Geschichte hingegen gibt es solche Naturgrößen nicht, da spielen bewusste Entscheidungen, Fehlkalkulationen und individuelle Prägungen eine erhebliche Rolle. Geschichte ist alles andere als ein Prozess, der intrinsisch deterministisch angelegt ist. Geschichte ist keine Redoxreaktion. In der Geschichte besteht immer die Möglichkeit, dass es anders läuft. Und in der Julikrise gab es rund zwei Dutzend Tage an denen es anders hätte laufen können. Sie war keine unvermeidliche „Entladung“ oder gar biologisch determiniert, sondern das Ergebnis konkreter Entscheidungen. Genau jene Entscheidungen gilt es zu identifizieren, wie Wette bereits schrieb.
Mit Ihrer Herangehensweise suggerieren Sie, Herr Wirth, stattdessen eine Art Unvermeidbarkeit, die die Handlungsspielräume der Akteure herunterspielt und die Krise entpersonalisiert. Damit helfen Sie – wie Clark und Münkler – bewusst jene Akteure zu verbergen, die aktiv zur Eskalation beitrugen.
Teil III:
Das zeigt mir nur, dass der Christan Drosten in Sachen Julikrise Christopher Clark war und ist. Er ist eben der Seelentröster der Deutschen.
Jeder, der die Debatte verfolgt hat, kann ja wohl die vielen Autoren und Bücher aufzählen, die sich ernsthaft mit Clark und Münkler auseinandersetzten – Wette, Lieven, Mombauer habe ich zum Einstieg genannt. Es ist natürlich bezeichnend, dass diese Autoren nicht in den Leidmedien vorkamen oder nur irgendwo ganz am Rande in einem Einzeiler oder am Ende eines Deutschlandfunk-Hörspiels. Obwohl alle drei Hochschullehrer, Professoren sind. Und ebenso bezeichnend ist, dass eine zentrale Schrift wie Lievens Towards the Flame oder auch T. G. Ottes „July-Crisis“-Buch nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Da sind bei deutschen Verlags- und Medienhäusern die drei Affen Trumpf. Die bieten lieber dem McMeekin Raum und Geld an.
Das zu hören ist sehr bitter. Und ein großes Problem. Denn wie will man ein Thema ganzheitlich betrachten, wenn man nicht die Gegenseite anhört?
Klingt für mich nach den Panikdemikern, die brav alles von taz bis FAZ konsumierten und jeden schnitten, der mit Apolut, Multipolar> oder anderen Kritikern ankam, weil das Seiten sind, auf denen sie sich eben nicht bewegen wollten. Die könnten ja das Weltbild und den Regierungsglaube erschüttern. Oder nach den Klimaklatschern. Ich informiere mich auch auf Seiten wie <I>Tichys Einblick oder tagesschau.de obwohl ich deren Meinungen in der Regel überhaupt nicht teile und viele Infos Schrott sind.
Das ist nicht einfach „meine Meinung“ gewesen, das war ein Auszug aus dem Werk von Gietinger & Wolf, die an konkreten Beispielen aufgezeigt haben, wie jämmerlich Clark arbeitet. Dass er die serbische Regierung – wie heutige Leidmedien unliebsame Regimes in Russland und dem Iran – als „Regime“ bezeichnet (z.B. im englischen Original – nur dieses besitze ich – „the new Karadjordjević regime“ statt „House of Karađorđević“ o. Ä. und im Weiteren natürlich Sprech wie „Assad regime“ – von einem „German regime“ las ich dagegen nichts). Dass er den problembehafteten und unpassenden Begriff „Selbstmordattentäter“ wiederholt gebraucht („It began with a squad of suicide bombers and a cavalcade of automobiles“; „suicide shooter“, „suicide assassin“) – was beim Leser Reminiszensen an 9/11 und Al-Kaida wecken soll. Und wie er Doppelstandards anlegt – Massaker und Nationalismus sind nur schlecht, wenn die Serben sie begehen.
Das sind keine Meinungen gewesen, das war quellengestütztes Arbeiten. Sie müssen das einfach schon ganz und nicht bloß querlesen und am besten auch das Werk der Autoren durcharbeiten. Die ganzen Beispiele finden sich ja ohne Weiteres im Buch!
Interessant auch, dass der Begriff „Sleepwalkers“ – immerhin der Titel des Machwerks! – nur im Schlusssatz auftaucht. Wenn ich schon einen so prägenden Begriff wähle, dann sollte ich den im Werk schon öfters aufgreifen – außer natürlich, ich möchte bloß Seelen trösten und die rauchende Puffen anderen in die Taschen stecken.
Und das ist bloß Ihre Wertung und Ihre Meinung. Fakt ist, dass Gietinger und Wolf herausarbeiten, dass durch dieses „unwichtige Stelle“ am Anfang Clark bereits früh den Lesern den Eindruck der wahrhaft Schuldigen vermittelt – der ungewaschenen, barbarischen Al-Kaida-Serben.
Fakt ist auch, dass allein das Kapitel „Serbische Schreckgespenster“ die Seiten 23 bis 99 des Werkes einnimmt. Das sind 11 Prozent des deutschen Buches (Anmerkungen, Quellen und Register mal außen vor gelassen).
Und auch das hier ist bloß Ihre Meinung:
Das ist Ihr persönlicher Eindruck und dieser stellt beileibe keine allumfassende Norm dar.
Um die ging es aber in Ensels Beitrag nicht. Da ging es nun mal um das „Brodeln“ auf dem Balkan und zu dem Punkt habe ich in der von Ihnen inkriminierten Passage gestützt auf die Recherchen von Gietinger & Wolf Stellung genommen.
Wichtig sind ansonsten vielleicht die deutsch-österreichischen Absprachen. Die waren nämlich wie gezeigt Wochen vor den alliierten.
Dann lesen Sie einfach mal Gietinger & Wolf, die das sehr ausführlich aufzeigen wie Grey sehr wohl substantielle Vorschläge gemacht hat. Oder Lieven, der wie im anderen Kommentar erwähnt, Greys frühere Warnungen zitiert. Die Versuche wurden eben von Berlin und Wien weggebügelt, weil man kein Interesse daran hatte. Lesen Sie Mombauer (S. 67 f.):
Wenn den Deutschen der Frieden so lieb gewesen wäre, hätten sie die Briten hinsichtlich des Angebots einer Friedenskonferenz prüfen können. Hätten sie auf ihren eigenen Diplomaten vor Ort hören können. Sie taten es nicht. Clark entschuldet natürlich auch das, wie man bei Gietinger & Wolf nachlesen kann:
Gründlicher geprüft werden muss allenfalls die Finanzierung und die Netzwerkeingebundenheit von Clark.
Das sind dann bloß ziemlich grausige Stereotype, Vorurteile, Ressentiments. Nein, die Deutschen waren nicht „seit jeher weniger gerissen und weniger intrigant“. So etwas müsste erst mal bewiesen werden. Die deutschen Entscheider haben den ganzen Juli 1914 über konspiriert. Und kehren wir’s doch auch ansonsten einfach um: Sender Gleiwitz, Überfall auf die UdSSR, Juden, die man aus ihren Wohnungen holte um sie zur „Arbeit“ in den Osten zu bringen, Völkerschaften, die man mit zwielichtigen Verträgen knebelte… Die Liste ist sehr lang. So lang, dass man mutmaßen könnte, die Briten, Franzosen und anderen seien in puncto Intriganz blutige Anfänger.
Wer ist „wir“? Es gibt kein „wir“. Und ob deutsche Techniker und Organisatoren durch die Bank besser seien als die anderer Länder klingt bloß nach eine weiteren kruden Stereotyp. Das alles erscheint mir nicht sonderlich hilfreich.
@Altlandrebell
Es ist leider viel Hass in Ihnen und viel zu viel Selbstsicherheit dazu.
Sie mögen sich dessen nicht einmal bewust sein.
Selbst ein Staatsanwalt, der ja ebenso wie Sie auch nur nach Belastungsmaterial sucht, scheint mir gelassener.
Nehmen Sie´s mir nicht übel.
P.S.
Ihre Texte werden zu lang, damit tun Sie sich selbst keinen Gefallen, denn die Zahl der aufmerksamen Leser nimmt ab.
Werter Herr Wirth,
das ist doch wirklich unter Ihrem Niveau.
Wird die Debatte unbequem, ist der Mitdiskutant xy-extrem. Voller Hass. Oder sonst was. Das ist ja wirklich aus dem Repertoire der Identitären und Safe-Space-Woken.
Das Thema ist Ihnen wohl sehr bedeutsam und konstitutiv für Ihre persönliche (National)Identität. Gut, das habe ich nun verstanden. Für mich ist es an sich unbedeutend, weil ich nicht mein Selbst aus einer solchen ziehe und auch nicht aus einer Antiposition zu ihr, wie Sie mutmaßten. Weswegen ich da wohl auch gelassener drauf blicken kann, ohne bei meinem Gegenüber über möglichen (Selbst)hass, Verrennen, oder das Treiben eines befangenen Staatsanwalts debattieren zu müssen oder sonstige Ferndiagnosen über es anzustellen.
Ich schreibe umfänglich zu vielen Themen, das ist ja bekannt. Themen, zu welchen mir dann die jeweiligen Mitdiskutanten auch jeweils gerne alle möglichen Hassformen unterstellen dürfen – Selbsthass hier, Frauenhass unter dem Artikel von Frau Burger da , Amerikahass (auch immer gern) dort, Hass auf diese, Hass auf jene. Diese Kommentare oben, die zum Großteil übrigens aus dem Zitieren von diversen Quellen bestanden, habe ich nicht nur für Sie geschrieben. An Sie explizit gerichtet waren insbesondere die Ausführungen zur angeblichen belgischen Mobilmachung am 24. Juli, mein Hinweis, dass die Passage von Gietinger & Wolf keine bloße Meinung, sondern ein quellengestütztes Arbeiten an Clarks Text war, sowie die Hinweise zu Förderung und Adelung von Clark, Münkler und Konsorten durch die Bundesregierung. Wenn Sie diese nun nicht lesen wollen, dann lesen Sie sie eben nicht. 🤷♂️ Das ist aber ein öffentliches Forum, hier gibt es noch andere, die reinschauen wie ich unter meinem mehrteiligen Eingangskommentar sehen kann. Die nehmen womöglich etwas mit. Und wenn nicht – dann ist es eben so. Dass viele Leute lange, schwierige oder unbequeme Texte scheuen, ist ja ein Signum der Gegenwart.
Ich fand es freilich schade, dass Sie hier bei diesem Thema nur bestimmte Autoren und Seiten lesen beziehungsweise nur bestimmte Sichtweisen als gültig und satisfaktionsfähig normen und andere wiederum zu bloßen Meinungen herabstufen oder en bloc abqualifizieren, denn das kenne ich so nur von Woken und anderen Identitären und ihren Hohepriestern. In meinen Augen ein falscher Weg.
Naja. So kommen wir bei diesem Thema eben nicht zum Austausch. Abschließend sei Ihnen einfach der Marc Aurel mitgegeben:
„Wo kein Urteil ist, da ist kein Schmerz.“
Man sollte den Zufall nicht mit Willkür verwechseln.
Außerdem gibt es genau genommen keinen Zufall, sondern lediglich einen Grad der Hyperkomplexität, ab dem „unserer Verstand“ kapitulieren muss.
Und da dies für die Meisten als demütigend empfunden wird, nennen sie es lieber „Zufall“.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/HyperNormalisation
Es ist alles ganz einfach.
So lange es den Kapitalismus gibt, wird es niemals Frieden geben!
Die herrschende Klasse wird uns töten, wenn wir sie nicht daran hindern!
In der Tat, und hier stimme ich ivg zu, brechen Kriege nicht einfach so aus, und haben die imperialistischen Staaten nicht einfach so aufgerüstet, ohne böse Absicht. Auch die Hetze der Intellektuellen und der ihre neue Macht erprobenden Medien sind nicht vom Himmel gefallen, von Alldeutschen bis Sozialdemokraten war auch da ideologisch hochgerüstet.
Das war kein „Benzinlager“, sondern eine vorbereitete Angriffsstreitmacht, die auf ein Signal wartete. Da ist auch niemand „schlafgewandelt“, sondern es wurde auf vorbereiteten Wegen aufmarschiert, so wie heute Strassen und Brücken in Richtung Russland „ertüchtigt“ werden.
Gewisss spielt der Zufall eine Rolle. Wäre zum Beispiel 1905-8 Fritz Haber gestorben oder schwer erkrankt, so dass seine Studien zur Ammoniaksynthese beendet oder unterbrochen gewesen wären, oder wäre etwas derartiges Carl Bosch widerfahren, dann hätte sich die grossindustrielle Ammoniaksynthese, die 1913 begann, mindestens um 2-3 Jahre verzögert. Aber die Munitionsschätzungen der OHL, gestützt auf den Krieg von 1871, waren so daneben, dass der Artillerie des Reiches ohne den Nachschub aus der BASF nach 3 Wochen die Munition ausgegangen wäre, da die Lieferungen von Chilesalpeter der alliierten Blockade unterlagen. Hätte andererseits Princip nicht geschossen oder getroffen, hätte sich der Kriegsbeginn möglicherweise um eben diese 2-3 Jahre verzögert. So könnte man endlos weiter spekulieren.
Der Anschlag war nur der Funke auf den sie Alle gewartet haben.
Der französische Deutschlandhasser Poincare – der den Verlust vom Elsass beteuerte-,
die Engländer und ihr Machtstreben – dem die europäischen Mittelmächte im Weg standen –
die zionistische Hochfinanz – die England schwächen und an dem Krieg ein Vermögen verdienen wollte –
Im Endeffekt retteten die Amerikaner die Alliierten vor der Niederlage, indem sie die US Bevölkerung in einen Krieg betrogen.
Die Zionistischen Medien verbreiteten enorme Lügenproaganda über Deutschland
https://daily.jstor.org/the-us-propaganda-machine-of-world-war-i/
Der Geheimdienst versenkte ein britisches Passagier-Schiff, dass sie den Deutschen in die Schuhe schoben.
https://falseflag.info/lusitania/
Da 120 Amerikana dabei ums Leben kamen, hatte die Politik einen Grund in den Krieg einzutreten.
Schon damals traf diese Entscheidung die zionistische Hochfinanz gemeinsam mit der Politik.
Einerseits wollten sie ihre Kredite von England und Frankreich wiederbekommen andererseits wollten sie ein großes Stück dünn besiedeltes Land namens Palästina erbeuten um dann ihr Raubgut als gelobte Land Israel zu pervertieren.
Obgleich die echten alten Juden eben die Palästinenser waren, die um 1000 nach Christi zum Islam konvertierten.
Und jene die dann kamen waren Osteuropäische Khasaren – Menschen wie man sie heute in der Ukraine, Georgien, Azabaian, Russland und der Nordtürkei findet – .
Menschen, man früher rote Juden nannte, da sie mit dem alten Judentum fast nichts gemeinsam hatten. Häufig auch Kaballajuden genannt. (Die Kaballa, eine schamanische Erfindung aus dem 14. Jh.)
Eine verhängnisvolle Rolle spielten viele Intellektuelle und die Presse, die eine
Eskalation befeuerten. …… hohoho: die
Intellektuellen und die Presse ! – Wie heute! Nicht lernfähig ! An die Wand mit denen ! Natürlich ganz gewaltfrei .
Die so genannten westlichen Intellektuellen erinnern mich immer mehr an vergoldete Chelloaffen.
Wer viel hat will noch mehr, Geld und Macht und Prestige. Deshalb ist Wohlstand die größte Kriegsgefahr, und jeder hat Angst, dass der Andere ihm was wegnehmen will. Jeder will der größte sein. Die Motive zum 1. WK sind so primitiv, dass sie sich einer soziologischen Analyse entziehen. Es ist eher so, wie wenn Besoffene auf einander los gehen.
Kapitaismus halt!
Ein paar Groschen… und ein paar längere Passagen, denn es erscheint mir zwingend einige der Prämissen Ensels mit denen anderer Autoren zu kontrastieren. Also: es wird länger und deswegen spalte ich das ganze in mehrere Unterkommentare auf. Allein schon, damit die Maske es annimmt.
In der Region „brodelte es schon lange“ – aha. Hätte man da nicht etwas mehr Hintergründe bringen können als „Verwaltung“ und „Annexion“. Warum brodelte es denn da schon so lange? Und warum fokussiert man sich bei der Ursachenschau beziehungsweise Schuldigensuche so sehr auf eine Richtung? Denn wer wird in diesem Absatz in den Mittelpunkt gerückt? Genau – nicht der Kolonisator, sondern die von ihm kolonialisierte und unterdrückten und ihre pöse panslawische Ideologie (die pangermanischen und orientalistischen Ideologien interessiert wohl kein Sau).
Es dreht sich also mal wieder alles um die Tschuschen. Hurra, die 90er sind wieder da! Denn diese Tschuschen seien – mysteriöserweise – „feindselig eingestellt“ gewesen und hätten eine Vereinigung mit dem in Anführungszeichen geschriebenen Mutterland angestrebt. Um Himmels willen! Irredentismus – das war ja damals ein absolutes Novum! Und dann hatte dieses pöse Mutterland aus dem Dschungel auch noch ernsthaft Ansprüche erhoben – gegen ein Mitglied des Gartens! Was die sich rausnahmen, diese Untermenschen! Äh ich meine natürlich Al-Kaida-Vorläufer, diese Achsel des Bösen, diese Terroristen! So hatte sie ja Schlafwandler Clark in seinem Seelentröster-Werk Anfang des letzten Jahrzehnts präsentiert. Eine Sichtweise, die seither stilprägend geworden ist und den Diskurs dominiert. Hierzu Gietinger & Wolf:
Quelle: Gietinger und Wolf (2017): Der Seelentröster, Stuttgart: Schmetterling Verlag, S. 172 – 187
Das waren nur ein paar Auszüge zu informativen Zwecken. Warum?
Weil mir zentrale Hintergründe und Aspekte im Beitrag fehlen. Weil sie bei Clark, Münkler und Co. bewusst fehlen, fehlen sollen. Der Umtrieb des Gartenmitglieds, das Tun der österreichischen Herrschaft, wird bewusst weggeblendet. Etwa, dass die ganzen pösen serbischen Geheimorganisationen erst nach der habsburgischen Annexion Bosniens und Herzegowinas 1908 entstanden. Dass diese Gebiete zuvor bereits dreißig Jahre lang von Wien „verwaltet“ wurden. Kolonial verwaltet, um genau zu sein. Hier liegt die Ursache des „Brodels“ und das sollte man klar benennen oder zumindest in einem Verweis oder einer Fußnote anbringen. Denn zu dem Thema gibt es inzwischen massenhaft Forschungsbeiträge. Zum Beispiel diesen letztlich noch recht brav gebliebenen von Ruthner (2018), der am Ende des Aufsatzes zwar seine eigene Argumentation halb einreißt, indem er den Austro-Kolonialismus ausgerechnet mit dem Extrem Belgisch-Kongo vergleicht und meint: „In comparison, Austria-Hungary’s intervention in Bosnia-Herzegovina was fairly soft(-spoken?) and perhaps – in parts – even well-intended.“ (Ja. Toll. Das half den Opfern jetzt wirklich viel.) Aber zugleich eben nicht drum rum kommt festzuhalten:
Zugleich ein ziemlich schwacher Punkt, denn die deutsche Ostkolonisation war auch nicht durch einen Ozean vom „Mutterland“ getrennt, zumindest solange man sich die Rote Armee nicht wieder als „rote Flut“ vorstellen will…
Doch für ganz Neugierige, hier der Artikel und im Folgenden ein paar der Argumente Ruthners:
Diese verrückten Tschuschen! Also warum die da ihre Hottentotten-Anschläge abzogen, gegen fremde Siedler brodelten und gegen die gute österreichisch-ungarische „Verwaltung“ (Ensel) waren – keine Ahnung. „Wir“ waren doch immer so gut zu ihnen!!1!
Ja, solche kolonialistischen und imperialistischen Grundierungen des Konflikts kommen im Artikel – wie in vielen anderen Artikeln – einfach nicht vor. Und dieses Vorgehen, insbesondere der Fokus auf brodelnden Tschuschen mit ihren Vereinigungsabsichten erinnert freilich an etwas – nämlich das heutige leidmediale Geschwätz über die „prorussischen Separatisten“ im Donbass. Auch dort haben „wir“ einer Herrschaft gegenüber mysteriöserweise feindselig eingestellte Leute: die Vatniks, die Steppenneger. Diese Teufel, diese Terroristen (das Post-Maidan-Regime begann konsequenterweise am 13.04.2014 eine „antiterroristische Operation“ im Donbass), die eine Vereinigung mit dem von ihnen als Mutterland wahrgenommenen Staat anstrebten. Und auch jenes „Mutterland“, das Reich des pösen Iwan Putin, stellt ja Ansprüche – uiuiui, das geht gar nicht! Ansprüche stellen, dürfen gemäß der „internationalen Ordnung der Weltgemeinschaft“ nur die zivilisierten Staaten, nur die Gartenbewohner. Die sind nämlich die „Weltgemeinschaft“. Der Rest besteht ja nur aus Dschungel-Tschuschen und anderen Wilden, die sich Ansprüche „rausnehmen“.
Ist Herr Ensel eigentlich Anarchist? Nun, dann könnte ich es noch nachvollziehen, wenn er sich darüber mokiert, dass Leute sich hinter einem Staat scharen, um zur (vermeintlichen) Befreiung zu kommen. Oder dass er staatliche Ansprüche hinterfragt. Leider wirkt der Artikel nicht sonderlich anarchistisch und auch nicht allgemein Nationalismus-kritisch wie die zitierte Rosa Luxemburg. Das Ausblenden der kolonialistisch-imperialistischen Unterdrückung im Balkan-Raum durch die habsburgische Großmacht wirkt vielmehr ablenkend und ursachenverdeckend. Wenn man solche Faktoren rausnimmt, stellt man entweder unkritisch alle auf eine Ebene und landet dann beim angeblichen „Schlafwandeln“ aller in den Krieg – womit man Interessen und konkretes Tun völlig aus den Augen verliert. Dann sind alle gleich und auch alle gleich „schuld“. Oder man kann wie Münkler, Clark und Co. gleich noch weiter gehen und die bosnischen Serben schön moralisch schelten, dass sie Bombenleger, Selbstmordattentäter und sonstige Terroristen waren – so wie man heute die Palästinenser schelten kann, wenn sie sich gegen die Besatzung und Landnahme in ihrem Heimatland wehren. Oder wie man die Donbasser schelten konnte, als sie sich gegen den ethnischen Kolonialismus und die Unterdrückung durch die Galizier zur Wehr setzten, die spätestens im Gefolge des Zweiten Maidans ab 2013 über ihre Region hinwegfegten (im Grunde schon seit den 1990ern, man werfe einen Blick in die Schulbücher…). Dann landet man beim groß- wie kleindeutschen Mimimi und der bangen Frage: Wie können diese Leute es nur wagen sich mit Puffen und Bomben gegen unsere schöne Donauwalzer-Herrschaft zu wehren? Diese Barbaren!
Ja, sind „wir“ jetzt bei Adam Smith mit seiner unsichtbaren Hand des Marktes oder in einem phantastischen Roman von Leo Perutz, wo der Autor plötzlich mit einer bizarren Wendung aufwartet? Nein, sind „wir“ nicht. Man kann nicht von Zufälligkeiten bei einem bestimmten Ereignis (hier: ein Attentat) auf die gesamte nachfolgende Geschichtshandlung (hier: ein vierjähriger Weltkrieg) extrapolieren und durch die Blume insinuieren, dass da ein Unheil irgendwie seinen Lauf nähme. Der Krieg ist auch nicht plötzlich irgendwo ausgebrochen, aus einem Zoo oder der Büchse der Pandora. Der wurde gemacht. Und noch weniger hilft es halbeinschränkend beizufügen: „Zwangsläufig war allerdings nichts“. Entweder es war zwangsläufig (Büchse geöffnet, Unheil nimmt seinen Lauf) oder nicht. Beides zusammen geht nicht.
Österreich wie es leibt und lebt. 🤷♂️
ENDE VON TEIL I
TEIL II:
Ich dachte zu Themen sollen sich immer nur „Experten“ äußern? Das ist mir von Klimaklatschern und Lauterbach-Ultras immer so erklärt worden. Warum darf dann eigentlich ein rechter Politologe einen „Wälzer“ über ein geschichtswissenschaftliches Thema hinkleistern und sich vor jedes Mikro flätzen, das man ihm hinhält? Frage für einen Freund.
Antwort: Na, weil man’s braucht! Um die Debatte zu normieren und das „moderne Deutschland“ reinzuwaschen. Darum durfte der das schreiben. Ja, man hätte einen finden und bezahlen müssen, wenn es nicht so viele freiwillige Federn gegeben hätte, die hier in die geschichtswissenschaftlichen Mottenkisten stiegen, um ein bestimmtes Narrativ zu verbreiten. Denn narrare, erzählen, das taten sie hier. Nämlich ihre Version von der Geschichte, ihre Norm der Geschichte, die setzten sie, unterstützt von Leidmedien, Staat und Bundesregierung. In Gazetten wie Sendungen sekundierten die Leonhards, Münklers, Neitzels, Baberowskis und wie sie alle hießen dem Clark und all den anderen, die die neue alte teutsche Version, warum das Schlachten 1914 begann, zu verbreiten suchten. Und weil der Staat und seine Regierung ja so unparteiisch und die Wissenschaften, gerade die Geschichtswissenschaft, so neutral sind, hat man sie bis Unterkante Oberweser auch gefördert. Zitat Wolf:
Oder im Kampf gegen den finsteren Iwan, die verrückten Mullahs und den lauernden Kinäs. Doch darüber will auch keiner reden. Warum auch? Dafür gibt es hierzulande noch immer jede Menge Leute, die immer noch nicht verstehen, warum „die Wissenschaft“ in der „Pandemiezeit“ nur regierungsamtliches Wissen schaffte…
Kurzen Moment? Wenn ich Münkler, Clark und Co. schwätzen höre, habe ich den Eindruck, dass bei denen so ziemlich alles „kontrafaktisch“ ist. Egal zu welchem Thema.
Münkler-Deutsch, Deutsch-Münkler: Hätte der böse Tschusch nicht den Franz Ferdinand erschlagen, wär’s Dolferl Postkartenmaler geblieben und all die Missetaten des roten Hitlers Stalin wären uns erspart geblieben. Und in Deutschland hätten wir wahrscheinlich immer noch unseren feinen Kaiser und Ostpreußen gehörte nicht dem Russen.
Oder so.
Solcher Sprech verengt die historische Entwicklung nicht nur auf eine Art „Kettenreaktion“ – als ob der Erste Weltkrieg der einzige determinierende Faktor für all diese späteren Katastrophen gewesen wäre – nein, das ist mehr als Vereinfachung, das ist quasi geschichtsklitternd. Vorgestellt und verkauft in Gestalt eines kleinen „Gedankenausflugs“, einer „Alternativweltgeschichte“. Man weiß eben welcher Stilmittel und Instrumente man sich bedienen muss.
Nur ist das, was da betrieben wird, keine Alternativweltgeschichte, sondern da wird ganz bewusst durch die Brust ins Auge etwas eingetröpfelt – und beispielsweise verkauft, promotet, dass die Verbrechen des Stalinismus eine Folge des Ersten Weltkriegs – der ja den Deutschen, wie jeder gute Rechte weiß, von den anderen aufgezwungen worden ist – gewesen sei. Kurzum: Ohne (aufgezwungenen) Krieg kein roter Hitler!
Doch wie kam es denn zum Beispiel zum Russischen Bürgerkrieg und seinen Opfern? Haben da vielleicht gewisse (europäische) Großmächte ihre Hand im Spiel gehabt? Ist da nicht irgendwer bei Archangelsk gelandet und andere in Odessa? Waren die russischen Revolutionen eigentlich bloß ein Automatismus des „Großen Krieges“ oder haben da diverse politische und wirtschaftliche Fragen und Krisen eine Rolle gespielt? Könnten die Vorkriegszustände in Europa doch nicht ganz so paradiesisch gewesen sein wie Zweig insinuierte (siehe unten)? Waren die Handlungen Lenins und Stalins und die Opfer des Stalinismus wiederum Zwangsläufigkeiten oder hat die imperialistisch-koloniale Bedrohung des postrevolutionären Russlands vielleicht eine klitzekleine Rolle gespielt? Fragen über Fragen, keinen interessiert’s.
Stalinismus wie Faschismus und andere Großphänomene des 20. Jahrhunderts einfach als Produkte des Ersten Weltkriegs hinzustellen, verwässert das Verständnis für deren Ursachen. Das „Hät‘ der Tschusch nicht geschossen“-Geschwafel dient einzig der politischen Instrumentalisierung der Geschichte in der Gegenwart, indem die Verantwortung für die Kriege und Verbrechen des 20. Jahrhunderts auf die „Urkatastrophe“, den einzigen Auslöser, konzentriert wird. Damit kann man dann natürlich bequem andere (z.B. sozioökonomische und materielle) Ursachen versenken. Damit kann man historische Akteure bequem zu bloßen Marionetten eines vorgefügten Ablaufs der Geschichte hinabsenken – sie werden wohl obendrein noch von einer „gespenstischen Hand“ gelenkt. Und damit kann man dann eben Deutschland reinwaschen, wenn man auf den folgenden hunderten Seiten herbeimünklert, dass Deutschland jene Katastrophe nicht ausgelöst habe oder wie Clark den rauchenden Colt dem pösen Tschuschen, diesem Terroristenvolk, in die Hand drückt…
Gott, der Zweig hat in seinen Schriften auch immer wieder Durchhänger. Und wenn er schon keine Differenzierung zwischen positivem und negativem Frieden vermag – warum reicht dann Herr Ensel sie nicht wenigstens nach?
Wer hat denn vor 1914 in Europa „vierzig Jahre Frieden“ erlebt? Mal abgesehen von der saturierten Schicht, in der sich der nicht gerade unprivilegierte Zweig bewegt hat? Für ihn als Österreicher zählte der Balkan schon mal offenkundig nicht zum Garten
EdenEuropa denn da hat in der Zeit mehrfach die Hütte gebrannt. Der Russisch-Türkische Krieg von 1877 f. forderte allein 30 000 osmanische und 15 000 bis 30 000 russische Soldatenleben. Von den zivilen Opfern ganz zu schweigen. Die sogenannten Balkankriege 1912 / 1913 forderten bis zu 1,5 Millionen osmanisch-muslimische Opfer, vertrieben hunderttausende weitere, kosteten mehreren hunderttausend Albanern das Leben usw. usf. Aber da die alle ja nur Dschungelbewohner waren, fällt das nicht weiter ins Gewicht. Wenn der Deutsche heute etwas mit „1912“ verknüpft, dann bestenfalls den Untergang der Titanic. Und weil die hingeschlachteten Soldaten Männer, ergo ohnehin immer und überall privilegiert waren, interessiert sich für die auch keiner. Männer sind ja nur dann für die Gesellschaft interessant, damals wie heute, wenn sie – Zitat von der großen Neuzeitphilosophin Jette N. – „beweisen, dass sie einen Mehrwert für Gesellschaft und Beziehungen beitragen“ (danke @ Arne Hoffmann, der dieses widerlich sozialdarwinistische Zitat verlinkt hat). Gefallene Soldaten und geflohene Lumpen haben eben keinen Mehrwert, das sind Loser und Feiglinge. Und gleich zwei Mal interessieren sie nicht, wenn es Loser und geflohene Männer von außerhalb des Gartens sind. Aber selbst, wenn man solchen negativen Frieden mal beiseiteließe – wie stand es um den positiven Frieden? Um die Abwesenheit sozialer, struktureller und anderer Gewaltformen? Warum wanderten denn so viele Leute gerade aus den galizischen und anderen Teilen der Habsburgermonarchie aus? Wie war es eigentlich im Home-gerulten Irland? Warum gärte es nochmals im Kolonialprojekt „Bosnien“? Wenn doch alles in Butter war und es „überall vorwärts“ ging? Da hätte man doch anstelle Zweigs was von Roth aufschlagen sollen, wenn schon man im k.u.k.-Literaturkosmos unterwegs ist…Wenn Zweig schwelgt „wann immer man wiederkam, war man erstaunt und beglückt; breiter, prunkvoller wurden die Straßen, machtvoller die öffentlichen Bauten, luxuriöser und geschmackvoller die Geschäfte“ – muss man ihm doch entgegenhalten: Für wen, Gott verdammt noch mal, für wen?! Was hatte denn der Malocher von den öffentlichen Bauten? Ging er in die geschmackvollen Geschäfte und mit Luxustaschen bepackt nach Hause? Ja, die Mittel- und Oberschicht, die genoss das Schlendern über die Boulevards und das Reisen auf den Transatlantikern wie der Titanic oder dem Imperator. Die Dritte Klasse blieb unter Deck oder schuftete im Maschinenraum. Für den Reformisten und Demokraten ist damit dem Fortschritt freilich genüge getan – die Subalternen, die unter Deck gepferchten und schuftenden, die haben ja „Anteil wenigstens an den kleinen Freuden und Behaglichkeiten des Lebens“. Und mehr ist eben nicht drin! „Was sagt der Prediger? Contenti estote, Begnügt euch mit eurem Kommißbrote.“ (Schiller, Wallensteins Lager).
Dieser Satz wurde Ihnen präsentiert von Zensursula – nur echt mit noch mehr Chat-Kontrolle!
Also zumindest könnte er glatt aus einem Werbeprospekt von Flintenuschi über die geliebte Deutsch-EU von heute stammen. Ihr habt Reisefreiheit! Und Pokémon Go, äh endlich Strom! Und Berlin ist Weltstadt, nicht mehr Frontstadt! Ihr habt 72 Geschlechter und 1 Berghain – was wollt ihr denn noch?!
Zweigs Romantisierung wie Flintenuschis Feldpostkarten von heute übersehen geflissentlich Ungleichheit und Ausbeutung, die sogenannten wie ominösen „sozialen Spannungen“ (die für die geneigten Damen und Herren immer bloß irgendwo im Hintergrund, außerhalb des medialen Scheinwerferkegels, schwelen, zumal sie ja persönlich nicht betroffen sind). Sie übersehen die enorme Reichtumsvermehrung – bei einem gewissen Teil der Gesellschaft. Sie übersehen die Klassenfrage und Klassenordnung. Ihre Darstellung von Wohlstand und sozialer Mobilität („das Proletariat empor“) ist mehr als stark vereinfacht und blendet geschickt die weg, die damals wie heute im Dunkeln saßen. Der sogenannte „Fortschritt“ war und ist nämlich nicht überall gleich verteilt, geschweige denn für alle existent. Für sehr viele Menschen war und ist das Leben damals wie heute von Armut, widerlichste Schufterei und täglichem Kampf ums Überleben geprägt – ja, auch und gerade im heutigen Garten Eden „Europa“. Und wenn damals alles so supi dupi war, warum musste dann zum Beispiel die Arbeiterbewegung über Jahrzehnte verfolgt, unterwandert, gekauft, sonst wie eingehegt und versucht werden ihre Anhängerschaft mit „Sozialreformen“ einzufangen? Wenn Europa nie geeinter und stärker war, warum mussten die Polen damals zwangsgermanisiert und warum müssen die Ungarn von heute zwangs-EU-germanisiert werden? Alles Aspekte, die bei Zweig unter den Tisch fallen und auch heute keine Sau jucken.
Und in seiner Freude über neue Techniken und Möglichkeiten, in seiner nachträglichen Verklärung der Belle Époque, hat er natürlich auch kein Wort über Phänomene wie „Kommerzialisierung“ oder „Entfremdung“ übrig. Die wurden damals bereits beobachtet. Zweig übergeht nicht nur einfach, dass die sogenannte Mobilität bloß eine persönliche Befreiung auf einer ganz bestimmten, beschränkten Ebene war, sondern auch wie die „Errungenschaften“ von damals zu einer zunehmenden Entmenschlichung und Standardisierung des Lebens führten. Da war ja selbst Nietzsche Jahrzehnte zuvor weiter.
Die gesamten gesellschaftlichen „Cleavages“, angefangen bei der entscheidenden: der Klassenfrage, aber auch Fragen der Religion, des Nationalismus, von Kolonialismus und den Urkeimen des Faschismus – sie kommen in Zweigs Passage nicht vor. Und Ensel übernimmt sie einfach. (Man kann bei Zweig immerhin noch einschränkend sagen, dass er das Buch kurz vor seinem Freitod unter den Bedingungen seines Exilantendaseins schrieb – bei Ensel freilich weiß man nicht, warum er „Die Welt von Gestern“ nicht wenigstens einordnete oder etwas kontrastierte. Als Hinweis und Einschränkung muss genügen, dass Zweig hier „seine „Welt von Gestern““ schilderte. Ja – warum dann nicht noch die von anderen nennen?)
Und natürlich können – damals wie heute – diejenigen, die Wunden ins Salz streuen, nur Miespeter, Querdenker, Ewiggestrige und eben „verhutzelte Greise“ sein…
Es gab eben keine „Urkatastrophe“ (siehe oben). Außer man stellt sich Geschichte als Uhrwerk und handelnde Menschen als Puppen an den Fäden irgendwelcher unsichtbarer Hände vor.
Und ja – es gab in der Tat auch keinen sonstigen Determinismus. Niemand hat das Deutsche Reich beispielsweise gezwungen Lügen über „französische Bomberangriffe auf Nürnberg und Karlsruhe“ zu erfinden, um hiernach seinen westlichen Nachbarn überfallen. Oder in Belgien und Luxemburg, zwei völlig unbeteiligten Staaten, einzumarschieren.
Die Herren Entscheider hatten aber ihre Gründe:
Quelle: Fischer, Fritz (1990): Hitler war kein Betriebsunfall, S. 56 f. und 231 f. (für den letzten zitierten Absatz)
Mimimi und „Autor passt mir nicht“ zählen übrigens nicht als Gegenargumente.
Ansonsten – ein sehr modernes und kluges Programm, dass der Herr
NATO-Generalsekretäräh Reichskanzler da formuliert hat, nicht wahr? Hätten wir den Russen doch bloß damals besiegt gehabt…ENDE VON TEIL II
TEIL III:
Was erlaube
Strunzäh Zar? Baut der sich mit welscher Unterstützung (!) ein modernes Eisenbahnnetz! Geht’s noch?! Das dürfen Dschungelbewohner nicht! Und schon gar nicht an unserer Ostgrenze!!1! Oder wenn, dann nur mit Hilfe deutscher Banken und deutscher Firmen – Stichwort Bagdadbahn!Dieser ganze Gewiss-Absatz könnte aus jedem westdeutschen Schulgeschichtsbuch stammen. Und genau das ist das Problem. Da fehlt jegliche tiefere Ursachensuche, jedes Identifizieren von Mechanismen, jegliche Erörterung von materiellen wie immateriellen Kausalfaktoren. Jeder Verweis auf Imperialismus, Kolonialismus, Kapitalismus, Etatismus. Auf spezifisch deutschen Militarismus und Expansionismus. Ein Auseinandernehmen der vorgeblichen deutschen Sachzwänge oder der erst eingeredeten wie durch eigenes Tun dann selbst herbeigeführten „Einkreisung“.
Das tun in Westdeutschland nur pöse Autoren wie Fischer, Geiß, Mombauer, die gelten dann als „selbsthassend“, „korrupt“ und „antideutsch“. (Die Ossi-Autoren sind sowieso – Ossis. Und somit einfach zu ignorieren, da pöse Marxisten.)
Kluge Diplomatie? Kalte Füße passt besser.
Kalte Füße, weil in den Vorjahren die Ausgangsbedingungen noch nicht stimmten.
Der Krieg wurde in dem Moment wahrscheinlich, als eine oder mehrere der involvierten Seiten, glaubte, dass das Momentum günstig oder zumindest deutlich besser war als in einer projizierten Zukunft zu erwarten stand:
Quelle: Fischer, S. 55 f. und 92 ff.
Der Kaiser war Habsburgs wichtigster Verbündeter? Interessant, ich dachte, dass dem noch Leute zugearbeitet hätten… und ihn benutzt hätten, etwa um Wien bei der Stange zu halten (ebd.).
Aber mal zum Stichwort „abgetaucht“ – wie ist das noch gleich abgelaufen?
Quelle: hier
„Äh… der Röhl ist auch anti-deutsch! Äh… der Röhl schreibt immer so lange Bücher, die kann ich gar nicht lesen. Äh… der SPIEGEL hat immer recht! Äh… Hüttenkäs mit Datteln!“
Äh… Bernd, ich wollte wie gesagt Gegenargumente, kein deutsches Mimimi.
Jetzt sind „wir“ bei T.G. Otte und seiner „Recklessness“ – die angebliche Leichtfertigkeit, Rücksichtslosigkeit der beteiligten Akteure. Das waren bloß keine jugendichen Rowdies, sondern kalkulierende, erwachsene Akteure:
Quelle: Fischer, S. 151 f.
Gut, dass die Habsburger jetzt ohnehin keinen mehr Spielraum brauchten. Hierzu Rauchensteiner:
Quelle: hier
Alle sind hineingeschlittert! Von unsichtbaren Händen an Fäden gezerrt und gezogen!1!!
Wie wäre es stattdessen mit: (deutscher) Hochmut und (deutsche) Selbstüberschätzung kommen vor dem Fall? Wäre jetzt ja nichts ganz Neues und ist noch heute zu beobachten – ob in Deutschland oder anderswo. Die Westler und ihr Rammbock Israel dachten ja auch, sie bekämen das iranische „Regime“ mit einem schnellen Enthauptungsschlag ausgeschaltet…
ENDE VON TEIL III
TEIL IV:
Wieder entschuldigend. Wieder wird so getan, als seien da bloß rücksichtslose, spinnerte, selbstgefällige oder sonst wie entrückte Entscheider am Werk gewesen – und nicht Leute, die das genau so wollten. Wieder wird es ins Passive verschoben, statt – „wir“ sind doch gerade so politikwissenschaftlich drauf – über Agency zu reden. Über aktives Handeln und Anstreben.
Ja, warum war Wien denn so unnachgiebig? Nun – oben finden sich Hinweise. Aber egal, schwadronieren „wir“ lieber über einen russischen Blankoscheck:
Am Ende haben einfach alle einander Blankoschecks gegeben, dann ist der deutsche ja gar nicht mehr so wichtig… Pfeifenwichs! Nochmals den pösen Fischer zitiert:
Quelle: Fischer, S. 43 f.
Ja, gute Frage. Aber egal – es waren Schlafwandler! Immer diese Schlafwandler!
Johann? Johann! Wie viele britische Versuche, den Frieden wiederherzustellen, gab es eigentlich nochmals?
„Mindestens sieben, eurer Gnaden.“
Wie viel?!
„Mindestens sieben!“
Verdammt! Warum weiß ich davon nichts?
„Eure Lordschaft brauchen doch nicht alles wissen, was auf dem Hof so vor sich geht.“
Und wann genau war eigentlich der erste Versuch?
„Fragen Sie nochmals Gietinger & Wolf, euer Schweren.“
Gesagt getan:
Die entsprechenden Passagen und noch viel mehr finden Sie auf den Seiten 221 bis 265 des genannten Werkes.
Schön – nachdem jetzt der Artikel viel Raum gegeben hat für Zweigs träumerischen Rückblick auf eine Welt von gestern, die es so nie gab – oder wenn dann nur für einen gewissen Teil der damaligen Gesellschaft – nachdem die Schilderung unwichtiger Details des Attentats und sonstiger Banalitäten noch mehr Sätze einnehmen durfte, kommen „wir“ jetzt zur Abhandlung des eigentlich interessanten Geschehens innert eines Absatzes mit Betonung auf einen so verhängnisvollen wie ominösen „Dominoeffekt“. Wer stupste eigentlich das Steinchen an? Lassen Sie mich raten – es war wieder eine „gespenstische Hand“ im Spiel?!
Der Krieg sollte aber nicht vermieden werden. Schon gar nicht von deutscher Seite. Das können die Seelentröster Münkler, Clark und Co. freilich nicht sagen und schreiben, deswegen müssen sie über „Weitsicht und Urteilskraft“ schwafeln.
An sich ist es ziemlich simpel: So wie das Weltbild der Woken zerbrechen würde, wenn sie akzeptieren müssten, dass es keine 72 Geschlechter gibt, zerbräche das Weltbild der Deutschnationalen, wenn sie anerkennen müssten, dass ihre tausendjährige Ruhmesgeschichte der deutschen Rasse ziemlich bleiern, blutig und schwarz ist und es sehr viel mehr als bloß „zwölf dunkle Jahre“ gegeben hat. Beide Fraktionen wären dann aber mit so tiefgreifenden Fragen der Identität konfrontiert, dass sie vermutlich auf der Stelle platzten. Ebenfalls platzen müssten alte Sozialdemokraten, für die immer bloß der habgierige Angelsachse“ hinter den Weltkriegen stand und die nationale Interessen immer nur auf den Inseln oder hinter dem großen Teich, nie aber in Deutschland oder auf dem Kontinent zu entdecken vermögen. Und in argen Schwierigkeiten, wäre die herrschende Kamarilla, wenn man dahinterkäme, dass das von ihr gelenkte Deutschland 1914 wie 2025 aktiv nach Krieg strebt und für Krieg fit gemacht wird. Und somit damals wie heute nicht „plötzlich Krieg war“ in den irgendwelche Somnambulen oder Smombies „hineinschlitterten“.
Ja wie und warum denn auch?! Wenn man nun mal einen totalen Krieg führt, mit dem Ziel seine Erz- und Erbfeinde links und rechts aus dem Feld zu schlagen, wenn man also all in geht, dann muss man auch bis zum bitteren Ende am Roulette-Tisch bleiben. Da kann man nicht den Krieg beenden, zumal, wenn man glaubt ein paar Jahre später noch schwächer dazustehen.
Meine Fresse. Ja, die Flugbahn der Kugeln mag vielleicht mehr oder weniger dramatisch und zufällig gewesen sein. Aber das Ereignis war doch trivial und beliebig. Conrad sagte es doch: „daß am Balkan stets Verwicklungen drohen, die eine solche Lage schaffen könnten“. Und vor allem – das Ereignis wurde ja nicht von sich, aus einer intrinsischen Motivation heraus, zum Anlass, sondern es wurde von Menschen bewusst zum Anlass gemacht. Jeder andere passende Vorfall, hätte es genauso gut sein können, wenn den Entscheidern die Umstände gepasst hätten. Nicht, weil sie tanzende Puppen oder eine Hand Gottes im Spiel war.
Es gab schlicht keinen Automatismus, weil die vorgeblichen „Automaten“ nun mal keine waren – sondern bewusste, geistig rege, souveräne Menschen. Menschen, die handelten – und nicht von einer unsichtbaren Hand am Faden durch die Manege geführt wurden. Dieser Krieg war von der deutschen Führung gewollt und sie hat den Anlass genommen, der ihr zupasskam: Frankreich und Russland schienen noch schwach genug, um sie schlagen zu können, Großbritannien glaubte man draußen halten zu können und der passende Anlass und Täter war in Gestalt des pösen Tschuschen identifiziert, der auf dem Balkan den Thronfolger des deutschen Edelverbündeten hingeschlachtet hatte.
Tja. Und dann hatte man sich in Bezug auf den Kriegsverlauf verzockt, ganz ohne unsichtbare Hand.
Ansonsten: Ich weiß nicht, was man an Ensels Beitrag jetzt so knorke findet. Er ist doch recht revisionistisch und reformistisch. Wahrscheinlich braucht man so was aber zur Seelentröstung, weil das tiefergehende Ursachenschürfen damals wie heute nicht en vogue und auch schlichtweg nicht drin ist, wenn man nicht völlig verfemt und allerorten gescholten werden will.
So, das war mein
Wort zum SonnGroschen zum Freitag. Wem’s zu lang war – es ist nur ein Zehntel dessen, was man hätte kritisieren müssen. Ich bin jetzt soweit raus, macht euch ne schöne Woche trotz der anrollenden Dreckshitze.Ausgezeichnete Replik, die es wert ist, als eigenständiger Artikel veröffentlicht zu werden!
Ensels Kenntnisse über WK I sind rudimentär, entsprechend pickt er sich lediglich einzelne Puzzleteile heraus, die ein anderes Bild kreieren helfen…ein verzerrtes allerdings, ganz im Gusto der schlafwandelliebenden Seelentröster. Das fängt ja schon damit an, den Attentätern von FF eine Mitgliedschaft im serbischen Geheimbund ´Schwarze Hand´ anzudichten und die bosnische Jugendbewegung ´Mlada Bosna´, deren Mitglieder die ´Tyrannenmörder´ tatsächlich waren, sowie deren Zusammensetzung und Ziele völlig auszulassen. Triebfeder der jungen Revoluzzer, darunter auch der Schriftsteller und Nobelpreisträger Ivo Andric, war nicht Nationalismus des Nationalismus wegen oder ein Jugoslawien, das Südslawien des Jugoslawien wegen, vielmehr Ausbruch aus einer Jahrhundertherrschaft als Bürger 2. und 3. Klasse. Auf der Sonnenseite der Zweig´schen Privilegierten kamen sie nicht vor, sowie das omnipotente Gefühl der Überlegenheit im Deutschtum nicht wahrgenommen wurde…und weiterhin nicht wahrgenommen wird…und nun in einer Rotte namens EU aufgeht, dem schönsten Europa aller Europas, dessen wahre Beschaffenheit nun allen demonstriert wird. Koste es was es wolle.
Danke für Ihre freundliche Rückmeldung und den Hinweis zur „Mlada Bosna“, den Sie ja auch in Ihrem obigen Kommentar dankenswerter Weise anbrachten.
Für eine eigenständige Veröffentlichung bei Overton wären meine Ausführungen mit insgesamt 16 DIN-A4-Seiten zu lang. Ich will aber mal schauen, dass ich zwei andere, nicht ganz weit entfernte Themen – das Wirken Benjámin Kállays sowie den deutschen Anti-Russismus – in Artikel gefasst bekomme.
Danke für Ihren sehr aufwendigen und durch die längeren Zitate aus Fischer, Gietinger und Co. jedenfalls für mich sehr erhellenden Beitrag.
Danke.
@ Besdomny, Gilbert und Mitleser
Danke für die freundlichen Rückmeldungen!
Weitere Ausführungen, Zitate und Quellen finden Sie in meinen obigen Repliken auf den Mitforisten @ Wolfgang Wirth hier.
Kriege sind fast immer Folgen von Krisen der Herrschaft, heutzutage also folgen von Finanzkrisen.
Kriege werden fast immer von den Herrschenden gemacht – und sind IMMER gegen die Bevölkerungen gerichtet – und nicht gegen die ausgerufenen Feinde.
Kriege sind immer Kriege der Herrschenden gegen die Bevölkerungen.
Krieg ist immer die gezielte Erzeugung von multiplen Notwehrsituationen in der sich völlig arglose und gegenseitig unbekannte, völlig unverfeindete Menschen gegenseitig töten müssen um des eigenen Überlebens willen.
Im besten Fall ist Krieg das völlige Versagen der Politik (die damit sofort komplett ausgetauscht gehört), in schlimmsten und häufigsten Fall ist Krieg das Interesse zweier Eliten, ihre Bevölkerungen an die Kandare zu nehmen.