Heute vor 25 Jahren kam Eyes Wide Shut in amerikanische Kinos. Das letzte Meisterwerk Stanley Kubricks. Am Premierentermin war er schon tot.
Zwölf Jahre war es her, dass letztmalig ein Kubrick-Film in die Kinos kam. An diesem 16. Juli 1999 lag Full Metal Jacket ein Dutzend Jahre zurück. Eyes Wide Shut hieß sein neuester Film. Eine moderne Adaption der Traumnovelle von Arthur Schnitzler. An diesem Tag war aber bereits klar, dass kein weiterer Kubrick jemals mehr die Leinwand erblicken würde. Der Meister war bereits am 7. März desselben Jahres gestorben. Mitten in der Postproduktion.
HAL und Nadsat
Eyes Wide Shut: Die Augen weit geschlossen. Seit 1968 wollte der britische Regisseur Schnitzlers Novelle verfilmen. Damals hatte er gerade die Arbeiten zu 2001: Odyssee im Weltraum beendet. In den 60er Jahren stand Woody Allen bei ihm für die Hauptrolle hoch im Kurs. Als er diesen Film in den 80er Jahren produzieren wollte, wäre Steve Martin sein Hauptdarsteller gewesen. Realisiert hat er den Film dann mit Tom Cruise und dessen damaligen Ehefrau Nicole Kidman.
Zwischen 1968 und 1999 langen mehr als drei Jahrzehnte, aber nur vier Filme, die Kubrick machte. Mit 2001: Odyssee im Weltraum produzierte er seinen ersten Science-Fiction-Film. Die Geschichte um den Computer HAL, der sich verselbständigt, wirkt ziemlich zeitgemäß. Der ganze Film ist grundsätzlich in Würde gealtert. Sein nächster Film, nur drei Jahre später: Uhrwerk Orange. Auch eine Art Science-Fiction. Eine Dystopie, in der ein junger und gewaltbereiter Mann umerzogen wird. Kubrick setzte in seinem Film das Nadsat um, das man auch in der Romanvorlage von Anthony Burgess fand. Dabei handelte es sich um eine Form des Cockney, das mit teils russifizierten Worten unterlegt war. Das wäre heute schwerlich zeitgemäß. Bislang ist noch niemand auf die Idee gekommen, Kubrick posthum der Russennähe zu bezichtigen.
Uhrwerk Orange wurde zu einem Kultfilm. Einen anderen hatte er Jahre zuvor erschaffen. Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben befasste sich mit der Logik des Krieges. Der Film hat das Zeug dazu, auch heutige Zuschauer gegen den Vernichtungswaffenwahnsinn aufzustacheln. Kubrick verfilmte nach seiner Burgess-Dystopie einen Kostümfilm, Barry Lyndon, einen Horrorstreifen, Shining, und einen Antikriegsfilm, Full Metal Jacket. Sein Frühwerk war ebenfalls vielfältig. Dort findet sich ein Antikriegsfilm über den Ersten Weltkrieg, Wege zum Ruhm, ein Sandalenfilm, Spartacus, und ein Film über pädophile Begierde, Lolita.
Einordnen ließ sich der Brite zeit seines Lebens nicht. Zudem wagte er im damals durch einen Sittlichkeitskodex zensierten Hollywood manches Risiko. Wenn er auch Kompromisse eingehen musste. So ist die Lolita seines Films nicht 12, sondern 14 Jahre alt. Sie wird, anders als in Nabokovs Romanvorlage, auch nicht von Humbert Humbert vergewaltigt. Kubrick legt den Film als Liebesgeschichte an, fängt den Wahnsinn eines krankhaft begehrenden Mannes aber dennoch mit großem psychologischem Geschick ein.
Stilprägend und radikal
Kubrick kam von der Photographie. Das merkt man seinem Szenenbild in jedem seiner Filme an. Wenn man heute sagt, ein Regisseur inszeniert einen Film, dann muss das ursprünglich über die Filme Stanley Kubricks gesagt worden sein. Seine Szenen sind Inszenierungen, Stillleben mit agierenden Personen darin. Jedes Detail ist bedeutungsvoll. Man glaubt beinahe, dass nichts dem Zufall überlassen wird. Als das New Cinema in den Vereinigten Staaten dazu überging, das Lebensgefühl des amerikanischen Lebens filmisch durch eine Fahrt durch reale Straßenschluchten einzufangen, etwa wie in der Eingangsszene von Hundstage des Regisseurs Sydney Lumet, plante Kubrick seine Einstellungen noch minutiös. Er griff lieber auf ein Filmset mit geregelter Choreographie zurück. Mit Massenszenen konnte er umgehen. Mit Spartacus hatte er das bewiesen.
Wer sich heute einen Science-Fiction-Film anschaut, erkennt immer wieder die stilprägende Arbeit von Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum. Weite Flure, rotierende Raumschiffe, neigender Fallwinkel in vielen Einstellungen. Willkürliches Beispiel wäre hier Morten Tyldums Passengers von 2016. In dem Film blüht Kubricks Zukunftsästhetik neu auf. Ihm fehlt aber natürlich die Reichhaltigkeit von Kubricks Meisterwerk von 1968. In ihm vereint sich Menschheitsparabel, Science-Fiction und der damals moderne Hang zum Psychedelischen in einer Melange in sich stimmiger Bilder. Kubrick ging neue Wege und vereinte sie mit dem Handwerk, das er sich noch im alten Hollywood aneignete.
Er war einer der wenigen Regisseure, die noch die Ausläufer des Studiosystems kannten, dennoch den Sprung in das neue moderne Kino schafften, ohne sich selbst verraten zu müssen. Große Regisseure scheiterten an diesem Wendepunkt, William Wyler zum Beispiel wurde annähernd bedeutungslos. Kubrick experimentierte, er war auf kein Genre fokussiert. Er ließ sich Zeit mit seinen Produktionen, manchmal lagen fünf oder sieben Jahre zwischen seinen Filmen. In diesen Phasen komponierte er seine filmischen Symphonien detailversessen.
Für alle Zeit unerreichbar
Wege zum Ruhm ist ein Beispiel für Kubricks frühes Wirken. Der Film scheint auf den ersten Blick konventionell verfilmt. Schwarz-weiß, in der Hauptrolle Kirk Douglas. Als Colonel der französischen Armee in einem Schützengraben des Ersten Weltkrieges, stellt er sich gegen den Befehl, einen Ausfall in die Todeszone anzuführen. Seine Männer sind traumatisiert und erschöpft. Sie nun kämpfen zu lassen, würde deren Tod bedeuten. Für die Befehlsverweigerung wird er vor Gericht gestellt. Es droht ihm die Todesstrafe. Kubrick hält in diesem Film nicht nur ein Plädoyer gegen die Todesstrafe, was 1957 filmisch nahezu einzigartig war. Er schnitt den Film so, dass das Elend des Schützengrabens mit dem Luxus der Offiziere, die irgendwo in einem Landschloss fernab der Front residierten, in Kontrast gesetzt wurde.
Der Film hätte gerade heute großes Potenzial, nochmal zu einem Klassiker der Befehlsverweigerung zu werden. Später würde Kubrick die Befehlsverweigerung viel blutiger inszenieren als noch 1957 in Wege zum Ruhm. In Full Metal Jacket erschießt der durch Mobbing traumatisierte Private Paula seinen Drill Instructor. Danach richtet er sich selbst. Zwischen den beiden Filmen lagen Vietnam und der politische Verfall der USA. Douglas’ Rolle war darauf angelegt, die Verweigerung als Ruhmestat einzuordnen. In Full Metal Jacket ist jeder Ruhm von Haus auf unerreichbar. Zwar kann man sich noch verweigern, aber es scheint sinnlos geworden zu sein. So sinnlos, dass man sich besser selbst aus dem Leben nimmt.
Heute vor einem Vierteljahrhundert startete Eyes Wide Shut in den Kinos. Für den Film hat der Meister über Monate annähernd psychoanalytische Gespräche mit Cruise und Kidman über deren Eheleben geführt. Beide Schauspieler sollen stark gelitten haben. Böse Zungen behaupten, Kubrick habe deren Ehe zerstört. Zwei Jahre später trennte sich das Paar. Zuvor lieferten sie einen tiefen Einblick in die Beziehung zweier Menschen, die sie spielen und die sie gleichzeitig selbst sind. Ein letztes Mal sah der Zuschauer ästhetische Bilder von opulenter Einzigartigkeit. Viele geplante Anschlussfehler ließen ein Gefühl von Orientierungslosigkeit entstehen. Mehrere Einstellungen mit Handkamera zeigen eine Ehe, die wackelig geworden ist. Stanley Kubrick war nicht einfach nur ein großer Regisseur. Er war der große Regisseur. Er ist unerreichbar. Und wird es auch bleiben.
(Anm. der Redaktion: Es gab in der ersten Fassung zwei Flüchtigkeitsfehler. Von 1999 bis 2024 sind es natürlich 25 und nicht 30 Jahren; und nicht Lancaster spielte die Hauptrolle in Wege zum Ruhm, sondern Kirk Douglas.)
Schöne Hommage an Stanley Kubrick.
Rien a ajouter… ♫
“Eyes wide shut” hat auch starke Bezüge zum Okkulten. Das Verborgene in uns, aber auch in der Gesellschaft. Davor sind die Augen weit geschlossen. Ein tolles Schluss-Statement eines großen Künstlers.
Dr. Seltsam, Wege zum Ruhm, Full Metal Jacket und später Shining, Uhrwerk Orange, so hab ich Kubrick gesehen, der Typ hat nur Filme über Gewalt produziert.
Irgendwie nicht bedeutend wenn man weiß das die Realität noch viel Brutaler, als die Kintopp Unterhaltung ist.
25 Jahre sind es wohl eher (2024 – 1999 = 25)
Und schon bemerkenswert, wie sich der Sky du Mont im Film an die Kidman ranmacht – A la bonheur!
Burt Lancaster wird in “Wege zum Ruhm” von Kirk Douglas gespielt.
“Wege zum Ruhm ist ein Beispiel für Kubricks frühes Wirken. Der Film scheint auf den ersten Blick konventionell verfilmt. Schwarz-weiß, in der Hauptrolle BURT LANCASTER”
Laut Wikipedia und meinen altersschwachen Synapsen: Kirk Douglas.
“ein Sandalenfilm, Spartacus […] Mit Massenszenen konnte er umgehen. Mit Spartacus hatte er das bewiesen”
Spartacus war sicher besser als die Dekadenz-Schmonzette Eyes Wide Shut (Nuts Wide Open ?).
Deutlich nicht. Dafür sind die Eingriffe von Kirk Douglas zu deutlich
Die “Dekadenzschmonzette” beschreibt akurat, was inzwischen als J. Epstein-Netzwerk bekannt ist. Der Film ist als Illustration solcher exklusiver Clubs zu verstehen, in denen Phantasien realisiert werden können, die mit Menschenwürde und -rechten nicht wirklich einhergehen, von denen es sicher weit mehr als nur das Epsteinsche gibt. Die Ehegeschichte ist ein Nebenstrang, der dieses Generalthema motiviert.
“Eyes Wide Shut”, das ist mit Sicherheit der dämlichste und langweiligste Streifen Stanley Kubricks in seiner Filmkarriere.
Eher einer seiner besten.
Kubrick als Thema… und keine Worte zu den vielen Verschwörungstheorien um Person und Werk?
Gerade „Eyes Wide Shut“ ist doch prädestiniert für eine interessante Diskussion jenseits dessen, was der Mainstream weiß.
Bei Kubrick — mehr als bei fast allen anderen Regisseuren — war jedes noch so kleine Detail vom Szenen und Settings von ihm kontrolliert oder ausgewählt… bei seinen Filmen gibt es keine Zufälle.
Kubrick ist völlig überbewertet
Ich mag mehr die anspruchsvollen Filme
Sharktopus, Lincoln vs. Zombies oder Dinocroc vs. Supergator
Filme in denen der Held mit einem Fuchsschwanz mit etwas Manta dran durch die ganze Story brettert …..
Das ist großes Kino
“Eyes wide shut” als Meisterwerk ? Naja…
Gerade im Vergleich zu seinen anderen Filmen fällt dieser doch sehr stark ab.
Und die Inhaltsangabe zum Film “Wege zum Ruhm” liegt auch leicht daneben.
Aber das kann schon mal passieren. Nicht wahr , Lonnemännchen ?
Großes Kino für größenwahnsinnige Perversianer. Von der Sorte gibt es wie Sand am Meer, als Lobgesang auf glohreiche Epoche nach der Planetenvernichtung. Einzige Konstante an dem Ding: Gestalten vom Schlage solcher Hauptdarsteller waren immer schon arrogante, wenn auch hocheffektiver Kotzbrocken, ganz zu schweigen von den Ludern, die ihnen im Rahmen derartiger Filmereignisse zugeführt wurden und werden. Solche Filme sind vielleicht was für freidrehende Gewaltverbrecher und Kokainschnupfer aber nichts für eine eher völkisch orientierte Allgemeinheit, die mit dem Erscheinungsbild dieser Nickol völlig überfordert wäre. Der Film wird nicht umsonst nicht mehr gezeigt.
Das Bild zu diesem Artikel ist aus dem Film “Clockwork Orange”. Und “eyes wide shut” übersetzt man besser mit “die Augen fest geschlossen”.
Außerdem zeigt das Foto Malcolm McDowell, nicht Stanley Kubrick.
In Wege zum Ruhm, verweigert Colonel Dax (Kirk Douglas) aber nicht den Befehl. Als ihm sein vorgesetzter Offizier General Mirreau (George Macready) einen Angriff auf eine bestimmte feindliche Stellung nahelegt und Dax dem aus plausibel vorgelegten Gründen ablehnend gegenübersteht, will man ihn von seiner Position als Anführer der Einheit entfernen, um den Angriff mit seinen Leuten von einem anderen durchführen zu lassen. Darauf läßt Dax sich nicht ein um von seinen Leuten nicht getrennt zu werden.
Der Angriff findet also statt und scheitert wie von Colonel Dax vorausgesehen. Für das aus opportunistischen Gründen ruhmsüchtiger Offiziere angerichtete Debakel, sollen dann exemplarisch einige Soldaten aus Dax Einheit wegen Feigheit vor dem Feind hingerichtet werden. Dax übernimmt während des Prozesses die aussichtslose Verteidigung seiner Männer.
Es ließe sich auf noch mehr Details, Großmannssucht und Opportunismus, bei den unterschiedlichsten Charakterzeichnungen in Kubricks Wege zum Ruhm eingehen.
Das könnte man bereits bei Spartakus so handhaben, anstatt ihn als Sandalenfilm abzutun, was einen B-Movie bezeichnet. Auch dort geht es nämlich vor allem um die politischen Machtverhältnisse und den Wert menschlichen Lebens, bzw. den Menschen oder die Machtunterworfenen als Objekt oder Ware der Mächtigen.
Um noch etwas zu Eyes Wide Shut zu sagen. Ja und auch da.