Am 7. Dezember 2023 wurde Noam Chomsky 95 Jahre alt. Autor Michael M. Schiffmann blickt zurück auf eine lange Karriere und ein langes Leben.
Der im letzten Jahrhundert weltbekannte britische Intellektuelle Bertrand Russell wurde im Jahr 1872, noch vor Hitler, Wittgenstein und Einstein, geboren und starb 1970 im Alter von 97, als diese alle schon lange tot waren. In der Zwischenzeit hatte er den Ersten, den Zweiten und einige der schlimmsten Perioden des Kalten Krieges erlebt.
Sein Werk The Principles of Mathematics und sein monumentales, zusammen mit Alfred North Whitehead verfasstes dreibändiges Werk Principia Mathematica, in dem die beiden Autoren die Grundlagen der Mathematik auf die Grundlagen der Logik zurückzuführen versuchten, gelten als zwei der größten geistigen Errungenschaften aller Zeiten.
Aber obwohl man mit einigem Recht behaupten kann, dass Bertrand Russell viele Jahre im akademischen Elfenbeinturm verbrachte, beschränkte sich seine Rolle dann letzten Endes keineswegs darauf, sondern man könnte sogar sagen, dass die nationale – und weltweite – Bekanntheit seines Namens und seiner Person auf seinen konsistenten Widerstand gegen die unterdrückerischen Verhältnisse seiner Zeit zurückgeht.
Bertrand Russels Vermächtnis angemessen zu würdigen ist hier nicht möglich, aber wenn wir von seinem Geburtsjahr 1872 etwa ein halbes Jahrhundert nach vorne nach 1928, zum Geburtsjahr Noam Chomskys, springen, finden wir, dass Chomsky und Russel sehr viele Gemeinsamkeiten haben – aus Menschen, die die Wissenschaft ihrer Zeit umwälzten, wurden sie zu Mahnern von fast prophetischer Kraft und zum intellektuellen und moralischen Gewissen ihrer Zeit.
Noam Chomsky wurde am 7. Dezember 1928 in Philadelphia als Sohn der beiden jüdischen Einwanderer William Chomsky und Elsie Simonofsky geboren. Sein Vater war ein bekannter Hebraist, seine Mutter Lehrerin. Die Familie bewegte sich in einem progressiven zionistischen Milieu, in dem „Zionismus“ nicht die Gründung eines jüdischen Staates im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina bedeutete, sondern einen vorwiegend kulturellen Inhalt hatte. In Palästina selbst wurde eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit der arabischen Bevölkerung auf binationaler Grundlage angestrebt.
Es war dieser kulturell-politische Zusammenhang, in dem der junge, schon seit seiner Kindheit stark politisch interessierte Noam 1945 über den sich ebenfalls in diesen Kreisen bewegenden Sprachwissenschaftler Zelig Harris in Kontakt mit der Linguistik kam. Diesem zu Anfang noch unkritisch gegenüberstehend erlangte er sogleich den Status eines Wunderkindes und hatte bis Januar 1947 bereits Harris’ wichtigstes Werk, Methods in Structural Linguistics, korrekturgelesen.
Wie der Titel des Buchs andeutet, stand damals auch in der Sprachwissenschaft der Strukturalismus in voller Blüte, und auch Chomsky machte sich diesen zu eigen. Zugleich begann er aber bereits 1949, Gedankengängen zu folgen, die er rückblickend als sein damaliges „privates Hobby“ bezeichnete. Er schrieb zuerst eine Bachelorarbeit und dann, 1951, eine Magisterarbeit zum Thema Morphophonologie des modernen Hebräischen. Die Bachelorarbeit ist offenbar verschollen, aber bereits in der Einführung zu der – erst 1979 publizierten – überarbeiteten Version der Magisterarbeit von Dezember 1951 finden sich zumindest als Skizze zwei grundlegende Ideen, die Chomskys Wirken als Sprachwissenschaftler seitdem immer bestimmt haben:
- Das Ziel der linguistischen Analyse einer Sprache muss die Entwicklung eines Regelsystems sein, das imstande ist, zwischen Sätzen, die in dieser Sprache grammatisch sind, und solchen, die es nicht sind, zu unterscheiden. (Sie muss noch mehr leisten, aber das ist an dieser Stelle nicht relevant). Ein solches Regelsystem wurde später als generative Grammatik bezeichnet, wobei der aus der Mathematik entlehnte Begriff „generativ“ eigentlich nicht viel mehr heißt als „präzise und eindeutig formuliert“.
- Das Ziel der Linguistik überhaupt muss die Entwicklung einer Theorie sein, die, wenn sie auf eine ausreichende Menge von Daten aus einer bestimmten Sprache angewendet wird, in der generativen Grammatik dieser Sprache resultiert. Da diese angestrebte Theorie natürlich auf alle Sprachen anwendbar sein muss, bekam sie bald in Anlehnung an eine ältere linguistische Tradition den Namen Universalgrammatik.
Platos Problem
Das klingt zunächst nicht sehr aufregend, aber dahinter verbirgt sich eine Frage von beträchtlicher humanistischer Bedeutung und intellektueller Sprengkraft. In den USA war der Anfang der 1950er Jahre der Höhepunkt der Vorherrschaft des Behaviorismus in den Kognition- und Verhaltenswissenschaften, einer Theorie, die von einem wie auch immer gearteten Innenleben der untersuchten Menschen und Tiere nichts wissen wollte, sondern diese als eine Blackbox ansah, in die auf der einen Seite Reize der Außenwelt eingefüttert werden und auf der anderen Seite reaktives Verhalten herauskommt.
Als der junge Chomsky zur Fortsetzung seines Studiums 1951 nach Harvard kam, freundete er sich dort sofort mit dem Biologiestudenten Eric Lenneberg und dem Phonologen Morris Halle an. Sie bildeten einen winzigen Kreis von intellektuellen Dissidenten, die am Behaviorismus stärkste Zweifel hegten und die Literatur von europäischen Verhaltensforschern wie Konrad Lorenz und Nikolaas Tinbergen lasen. Diese beiden und eine Reihe von anderen Wissenschaftlern zogen aufgrund experimenteller Beobachtungen in der Tierwelt den Schluss, dass das Verhalten von Tieren auf reichen angeborenen kognitiven Strukturen basiert, und verfolgten das Ziel, herauszufinden, worin diese bestehen.
Lenneberg, Halle und Chomsky kamen rasch zu der Ansicht, dass dies mutatis mutandis auch für den Menschen und insbesondere für dessen wohl einzigartigstes Attribut, nämlich die Sprachfähigkeit gelten muss. Etwa anderthalb Jahrzehnte später, 1967, erschien die englische Originalausgabe von Eric Lennebergs Buch zu diesem Thema, Biologie der Sprache.
Vor diesem Hintergrund geht es, wenn generative Grammatiken von Einzelsprachen wie dem Englischen oder Deutschen postuliert werden und zugleich behauptet wird, diese Grammatiken könnten aus dem Zusammenspiel einer Universalgrammatik und eines begrenzten Korpus von Daten der jeweiligen Sprachen abgeleitet werden, nicht um irgendwelche abstrakten linguistischen Theorien, sondern um das, was tatsächlich passiert, wenn ein Kind eine beliebige Sprache erlernt.
In diesem Verständnis ist die Universalgrammatik nicht einfach eine Theorie, sondern der angeborene Mechanismus, der Kinder auf der ganzen Welt dazu befähigt, ohne größere bewusste Mühe jede beliebige Sprache zu erlernen – und das, obwohl die linguistische Forschung erwiesen hat, dass sämtliche Sprachen dieser Erde außerordentlich komplex sind, viel komplexer etwa als etliche Systeme der formalen Logik, an deren Erwerb und Verständnis die meisten von uns scheitern. Das Ziel einer linguistischen Theorie im Sinne Chomskys, Halles und Lennebergs war, herauszufinden, worin genau diese dem Menschen von der Natur mitgegebene Universalgrammatik (UG) besteht.
„Wie kommt es“, zitiert Chomsky 35 Jahre später im Vorwort zu seinem Buch Knowledge of Language. Its Nature, Origin and Use von 1986 Bertrand Russell, „dass menschliche Wesen, deren Kontakte mit der Welt so kurz und persönlich und beschränkt sind, dennoch in der Lage sind, so viel zu wissen, wie sie es tatsächlich tun?“
Im Fall der Sprache ist die Antwort UG, aber der Logik Chomsky, Halles und Lennebergs zufolge ist anzunehmen, dass es auch in vielen, wenn nicht allen anderen Bereichen der menschlichen Kognition ähnliche Antworten gibt. Wir, als Menschen, lernen schnell und sind uns trotz aller Unterschiede von außen gesehen sehr ähnlich, nicht weil eine einheitliche Umwelt uns nach ihrem Bilde formt, sondern weil wir diese Umwelt nach unserem bereits vorhandenen inneren Bild formen. Dieser vorgegebene innere Kern ist ein Teil dessen, was uns überhaupt erst zu Menschen macht.
Es gibt also, im Unterschied zu den Behauptungen des Behaviorismus, so etwas wie eine weit über eine „Blackbox“ hinausgehende menschliche Natur, die sowohl darüber bestimmt, was für Fähigkeiten – wie die zum Erlernen einer Sprache – wir haben, als auch darüber, was die Grenzen unserer Kognition sind – wie zum Beispiel das Sehen oder Hören von zu hohen oder zu niedrigen Frequenzen.
In Anlehnung an Platos Theorie des präexistenten Wissens, das der nach Erkenntnis strebende Mensch nur wiederendecken muss, bezeichnete Chomsky diesen Themenkreis später als „Platos Problem“. Bei Plato muss sich der Mensch bei dieser Aufgabe nur seines schon immer vorhandenen Wissens erinnern, bei Chomsky gilt es, zu versuchen, die dem Menschen von der Natur von vornherein mitgegebenen Kognitionsstrukturen zu erkennen.
Menschliche Natur, ja oder nein? Auf diese wichtige philosophische und kulturelle Streitfrage gab Chomsky 1959 in seiner Besprechung des Buches des Behavioristen-Papstes B. F. Skinner, Verbal Behavior, zumindest im Hinblick auf die Sprache eine nicht nur sehr gewandte und geistreiche, sondern auch sehr klare Antwort, und es war diese Antwort, die ihn weit über das doch überschaubare Gebiet der Erforschung linguistischer Theorien hinaus bekannt machte.
Descartes’ Problem
Bereits in den frühen 1960er Jahren hatte sich die Szenerie in der Kognitions- und Sprachwissenschaft im Vergleich zu den 1950er Jahren beträchtlich geändert. Das Chomskysche Paradigma der Suche nach angeborenen Fähigkeiten allgemein und der konkreten Gestalt von UG war auf dem Vormarsch und im Bostoner Vorort Cambridge hatte Chomsky zusammen mit seinem alten Mitstreiter Morris Halle binnen weniger Jahre am renommierten Massachusetts Institute for Technology (MIT) eine Linguistik-Abteilung aus dem Boden stampfen können.
Alles schien gut zu laufen für Chomsky, er hatte eine wunderbare Arbeit, war mit seiner Freundin seit Kindertagen, der Linguistin Carol Schatz verheiratet, mit der er zwei Kinder (die Töchter Aviva und Diane) hatte, und die Zukunftsaussichten des Linguistics Department am MIT sahen mit dem Zustrom einer immer größeren Zahl außerordentlich talentierter Linguistinnen und Linguisten, die eine immer größere Zahl teils noch kaum erforschter Sprachen auf immer sorgfältigere Art untersuchten, immer vielversprechender aus.
Aber der Anfang der 1960er Jahre war auch die Zeit einer immer rascheren Eskalation eines der größten Verbrechen, wenn nicht DES größten Verbrechens der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nämlich des US-amerikanischen Indochinakrieges von 1960 bis 1975, in dessen Verlauf vier bis fünf Millionen Menschen getötet und riesige Landstriche für immer verwüstet wurden – im Namen der Freiheit.
Chomsky, der seit frühester Jugend zutiefst überzeugter Anarchist und immer in einem moderaten Umfang – Unterzeichnung von Petitionen und Teilnahme an Demonstrationen der Bürgerrechtsbewegung und Ähnliches – politisch tätig gewesen war, sah sich nun mit einem Mal vor eine Wahl gestellt, die für ihn alles andere als angenehm war: Er wusste, dass es für ihn, wenn er seinem moralischen Impetus folgen und mit seinem Engagement gegen den Völkermord in Indochina ernstmachen würde, mit seinem Leben in einer doch relativ bequemen akademischen Blase für immer vorbei sein würde.
Und so kam es denn auch. Aus dem bereits über die Grenzen des akademischen Elfenbeinturms hinaus bekannten Linguisten Chomsky wurde Chomsky, der Aktivist, Chomsky, der unermüdliche Vortragsredner, Chomsky, der Verfasser einer bald unübersehbaren Flut von politischen Artikeln, Pamphleten und Büchern, deren Inhalt sich keineswegs auf die Diskussion der Indochinakrise beschränkte. Er behielt aus Protest gegen den Vietnamkrieg einen Teil seiner Steuern ein, wurde wiederholt auf Demonstrationen oder bei der Ausübung zivilen Ungehorsams festgenommen und war zeitweise wegen Anstiftung zur Wehrkraftzersetzung mit einer langen Haftstrafe bedroht. Im Ostblock, der damals noch viel stärker vom Westen abgeschnitten war als in späteren Jahren, ging zeitweise das Gerücht um, es gebe merkwürdigerweise zwei Chomskys mit demselben seltenen Vornamen, einen, der regelmäßig seine eigenen linguistischen Theorien umwälzt, und einen, der als führende Stimme des Widerstands gegen den Terror der USA in Indochina fungiert.
Es ist eine interessante Koinzidenz, dass Chomsky genau zu dem Zeitpunkt, als der Vietnamkrieg ein weiteres Mal eskalierte, 1963/64 mit der Arbeit an einem philosophiegeschichtlichen Buch, Cartesianische Linguistik, begann, das nach seinem Erscheinen 1966 aus historiografischen Gründen, die uns hier nicht weiter interessieren müssen, heftig umstritten war. In diesem Buch legte er zum einen den cartesianischen Gedanken dar, dass es gerade der (laut Chomsky durch die Existenz angeborenen sprachlichen Wissens – der UG – ermöglichte) Besitz der Sprache ist, der die von uns allen erfahrene menschliche Freiheit ermöglicht. Tatsächlich war für Descartes der normale, nichtdeterminierte Gebrauch der Sprache, bei dem wir zwar angeregt und geneigt sein mögen, bestimmte Dinge zu sagen, aber genau wissen, dass wir dies letztlich nicht müssen, der Test für das Vorhandensein eines menschlichen Geistes – res cogitans.
Aber mit dieser Freiheit geht auch eine für den Menschen einzigartige Verantwortung einher. Tiere waren für Descartes von inneren und äußeren Anregungen komplett beherrschte Automaten, sodass für sie wie auch immer geartete Fragen der Moral entfielen. Es ist nur der Mensch, der sich entscheiden kann, das moralisch Richtige oder Falsche (oder in einem weiteren Sinn überhaupt das eine oder das andere) zu tun. Dieses unter dem Namen „freier Wille“ bekannte Phänomen, mit dem sich die Philosophie seit Jahrtausenden auseinandersetzt, ist Descartes’ Problem, das auch von Descartes nicht gelöst, aber immerhin als Kriterium für das Vorhandensein eines menschlichen Geistes postuliert wurde.
Und der Gedanke einer angeborenen Sprachfähigkeit lässt sich wie oben bereits erwähnt weitertreiben und auf weitere angeborene geistig-kognitive und moralische Fähigkeiten erweitern, sodass die Frage einer menschlichen Natur, eines dem Menschen eigenen Wesens gestellt werden kann. Schon in der Cartesianischen Linguistik leitet Chomsky aus bestimmten lange Zeit nach Descartes von dem deutschen Gelehrten und Sprachwissenschaftler Wilhelm von Humboldt skizzierten Annahmen über die menschliche Natur die moralische Verwerflichkeit von Ausbeutung und Unterdrückung ab. Für Humboldt war es, wie Chomsky viele Jahre später in seinem Buch Probleme sprachlichen Wissens schrieb, ein
im ,,Wesen des Menschen” wurzelndes Menschenrecht, die Möglichkeit zu produktiver und kreativer Arbeit unter eigener Kontrolle und in Gemeinsamkeit mit andern zu haben. Wenn eine Person unter äußerer Leitung und Kontrolle etwas Schönes schafft, so Humboldt, dann mögen wir bewundern, was diese Person tut, aber wir verachten, was sie ist – eine Maschine, kein vollentwickeltes menschliches Wesen.
Zur selben Zeit, zu der Chomsky sich mit diesen Ideen Descartes’, Humboldts und anderer auseinandersetzte, zeigte sich sein eigenes Land mit der zunächst versuchten Niederschlagung der Bürgerrechtsbewegung und der massenhaften Ermordung von Menschen im fernen Asien von seiner schlimmsten Seite. Eine Weile später zitiert Chomsky an anderer Stelle den schwedischen linken Schriftsteller Jan Myrdal, der wie Chomsky über die Verantwortung der „Wissenden“, der Intellektuellen nachdachte und am Ende seines 1968 erschienenen Buches Bekenntnisse eines unmutigen Europäers zu dem Schluss kam: „Wer nichts weißt, kann niemanden verraten. Er geht sorglos durchs Leben. Wir aber […] haben mit Wissen und Einsicht, wir haben bei vollem Bewusstsein betrogen; wir haben die Kriege sorgfältig analysiert, bevor sie erklärt wurden. Aber wir haben sie nicht verhindert.“
Die Bekämpfung und Verhinderung von Unrecht und darüber hinaus der Einsatz für Verhältnisse, in denen sich das volle Potential des menschlichen Wesens zu kreativem Schaffen in Freiheit und ohne – im 20. Jahrhundert eigentlich längst obsolet gewordene – materielle Not realisieren kann, wurden nun zu Chomskys kategorischem Imperativ.
Es gibt vermutlich nur wenige Personen, die die Welt intensiver bereist haben als Noam Chomsky; sein Terminkalender war seit den 1960er Jahren oft auf mehrere Jahre hinaus ausgebucht. Bei diesen Reisen hielt er zahllose fast immer von ausführlichen Diskussionen gefolgte Vorträge (manchmal, aber wohl in der deutlichen Minderzahl auch über seine intellektuellen Lieblingsgebiete Linguistik und Philosophie), von denen viele in die ununterbrochen wachsende Zahl seiner Bücher eingingen – und tatsächlich sind die meisten seiner politischen Bücher Sammlungen von nachträglich sorgfältig edierten Vorträgen überall auf der Welt.
Und Chomskys Engagement blieb keineswegs auf Vietnam und Indochina beschränkt. Als Jude in der linkszionistischen, seinerzeit gegen die Idee eines jüdischen Staat gerichteten Tradition engagierte er sich seit Ende der 1960er Jahre auch verstärkt für Frieden im Nahen Osten auf der Basis der Anerkennung der nationalen Rechte von Juden und Palästinensern; seine erste Sammlung von Aufsätzen und Vorträgen zu diesem Thema, Peace in the Middle East?, ist leider nie auf Deutsch erschienen. Dabei antwortete er auf die Frage, warum er als Jude so starke Kritik an Israel übe und sich so sehr für die Rechte der benachteiligten Partei, der Palästinenser, einsetze, er tue dies nicht obwohl, sondern zu einem guten Teil, weil er Jude sei – Jude in einer Tradition, in der es um das Recht, nicht die Nation, und um Freiheit für alle, nicht nur Freiheit für eine beschränkte Gruppe geht.
Leider hielt die Welt mit der unermüdlichen Aktivität Chomskys mit. Es gab keine Atempause. 1975 – Völkermord in Osttimor, wo der US-Verbündete Indonesien binnen kurzer Zeit ein Drittel der Bevölkerung abschlachtete. 1978-1985 – Völkermord an den Indigenen in den Hochländern Guatemalas durch die verschiedenen US-gestützten Militärdiktaturen dieses Landes. 1991-2003 – erst ein vermeidbarer Krieg gegen den Irak und dann mörderische US-Sanktionen gegen das Land, denen mehr als 500.000 Kinder zum Opfer fielen. In den 2000ern und bis heute – fortgesetzte atomare Rüstung mit nur wenigen Anzeichen, dass die Protagonisten, an erster Stelle Chomskys Heimatland USA, zur Vernunft kommen. Im selben Zeitraum – eskalierende Klimakrise, ohne dass die sehr wohl auch jetzt noch möglichen Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Über all diese Themen hat Chomsky unermüdlich gesprochen, diskutiert, geschrieben und sich in den letzten Jahren auch in einer veritablen Flut von Interviews via Internet geäußert. Man kann tatsächlich sagen, dass er im Lauf des 21. Jahrhunderts zu so etwas wie einem Weltgewissen geworden ist, vergleichbar mit der Rolle, die Bertrand Russell in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens gespielt hat.
Während Chomsky und Russell einander nie persönlich begegnet sind, gibt es hier eine enge Verknüpfung, die fast an die Übergabe des Stabs bei einem Staffellauf erinnert: Die letzten Jahre von Bertrand Russells Leben waren weitgehend der Organisierung des Widerstandes gegen den Vietnamkrieg gewidmet, und Russell war es auch, der, obwohl er selbst nicht teilnehmen konnte, zusammen mit Jean-Paul Sartre das weltbekannte Internationale Vietnam-Tribunal von 1967 in Stockholm ins Leben rief, bei dem Experten aus der ganzen Welt unwiderlegliche Beweise dafür präsentierten, dass die Vereinigten Staaten in Vietnam dabei waren, einen Völkermord zu begehen. Die Protokolle des Russell-Sartre-Tribunals wurden einige Monate später unter dem Titel Against the Crime of Silence in London veröffentlicht – Gegen das Verbrechen des Schweigens.
Das bringt uns nach Platos und Descartes’ Problem zu einem dritten Problem, mit dem Chomsky sich seit nunmehr über 60 Jahren immer wieder auseinandergesetzt hat.
Orwells Problem
Wie konnte es überhaupt sein, dass über die Verbrechen der USA in Vietnam so weitgehend mit Schweigen hinweggegangen wurde, dass der über 90-jährige Logiker und Mathematiker Bertrand Russell sich in den frühen 1960er Jahren genötigt sah, immer wieder seine Stimme zu erheben, um nicht nur das Vorgehen der USA in Vietnam, sondern auch die Unterdrückung der diesbezüglichen Fakten durch die Presse zu geißeln? Und dann seinen langjährigen Verleger Allen & Unwin zur Herausgabe dieser Wortmeldungen in Gestalt des Pamphlets War Crimes in Vietnam (1967) zu überreden?
In direktem Gegensatz zu Platos Problem – wie können wir so viel wissen, obwohl wir so wenig Evidenz haben – haben wir hier ein Phänomen vor uns, das Chomsky später als „Orwells Problem“ bezeichnen sollte:
- Wie ist es möglich, dass wir so wenig wissen, obwohl die Beweislage – wie in Vietnam, in Osttimor, in Guatemala, im Irak, in Bezug auf die Atomkriegsgefahr und im Hinblick auf die heraufziehende Klimakatastrophe – doch überwältigend ist?
Tatsächlich hat Chomsky sich schon in seinen allerersten veröffentlichten politischen Schriften mit diesem Problem immer wieder ausführlich auseinandergesetzt. Immerhin bewegte er sich als Teil des Lehrkörpers des nur zwei Meilen von der Harvard University entfernten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in der wohlhabenden Bostoner Vorstadt Cambridge in den elitärsten und privilegiertesten Kreisen des Landes – und diese bekannten sich doch zu normaler menschlicher Moralität und mussten doch als generell wohlinformierte Menschen über die schrecklichen Vorgänge in Vietnam Bescheid wissen? Wo blieb ihr Protest?
Ein Teil der Antwort findet sich in einem Essay von George Orwell, „Bemerkungen über den Nationalismus“, der dort schreibt:
Der Nationalist wendet sich nicht nur nicht gegen die Gräuel, die von seiner eigenen Seite begangen werden, sondern besitzt außerdem eine sehr bemerkenswerte Fähigkeit, nie auch nur von diesen Gräueln gehört zu haben.
Besonders in der modernen Welt, in der Informationen viel freier zugänglich und verfügbar sind als je zuvor, wissen wir alle von Dingen, die falsch sind und die von uns eigentlich, auf einer abgestuften Skala, verlangen, dass wir (1) dagegen sind, (2) uns dagegen aussprechen oder (3) sogar den Schritt unternehmen, etwas dagegen zu tun.
Da besonders Optionen (2) und (3) auch und gerade für die Mitglieder von Eliten mit einem beträchtlichen Verlust von Privilegien verbunden sein können, liegt für sie der Ausweg oft ganz einfach darin, die Augen vor den Fakten zu verschließen.
Aber das Problem geht tiefer, denn die Akzeptanz schrecklicher Untaten ist ja leider nicht nur auf Exponenten der globalen Elite, die von diesen Verbrechen letztlich profitieren, beschränkt. Warum lässt sich auch die Mehrheit der Bevölkerung, die doch der „Möglichkeit zu produktiver und kreativer Arbeit unter eigener Kontrolle und in Gemeinsamkeit mit anderen“ auch in unseren demokratischen Industriegesellschaften weitgehend beraubt ist, immer wieder vor den Karren brutaler imperialer Unternehmen spannen, wie dies zumindest zu Anfang des Vietnamkrieges der Fall war? Und Vietnam ist ja in dieser Hinsicht kein Einzelfall; wir finden dasselbe ja auch bei vielen anderen Projekten der wirtschaftlichen und politischen Elite, die oft sogar ganz direkt gegen die Mehrheit der Bevölkerung gerichtet sind?
Schon lange vor Orwell wies der sowohl von Russell als auch von Chomsky geschätzte Philosoph der schottischen Aufklärung David Hume auf die enorme politische Bedeutung der Kontrolle über die Meinungen der gemeinen Bevölkerung jedes Landes hin:
Da die Gewalt stets auf der Seite der Regierten ist, haben die Regierenden nichts zu ihrer Unterstützung als die Meinungen. Aus diesem Grund stützt sich die Regierung immer ausschließlich auf die Meinungen der Menschen und dieses Prinzip gilt sowohl für die despotischsten und militärischsten als auch für die freiesten und volkstümlichen Regierungen.
Vor der Zeit der Aufklärung in Europa und in anderen Teilen der Welt war dieses Problem noch nicht so gravierend, da die Kirche und die sonstigen Ideologen der Herrschenden – meist Priesterschaften der einen oder anderen Variante – den Menschen die bestehenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten als gottgegebenen Naturzustand verkauften, der daher noch nicht einmal verheimlicht werden musste.
Mit der zunehmenden Prominenz der Idee der Gleichheit änderte sich das alles, und wenn die Herrschenden unter diesen Verhältnissen das Heft in der Hand behalten wollten, mussten mehr und mehr auch die bloßen Fakten geleugnet werden, könnten sie doch nunmehr die „Regierten“ zur Rebellion gegen das veranlassen, was die Herrschenden taten. Spätestens seitdem musste das Wissen über die Tätigkeit Letzterer so gefiltert werden, dass bei den Beherrschten möglichst wenig ankommt, was Auflehnung auslösen könnte.
Die Medien als Konsensfabrik
Verantwortlich hierfür sind nicht nur die ideologischen Institutionen der Gesellschaft wie Schulen und Universitäten, deren Wirken Chomsky in seinen politischen Schriften immer ebenfalls beträchtliche Aufmerksamkeit gewidmet hat, sondern vor allem die Medien, also das, was vor dem Aufkommen von Radio, Fernsehen und Internet schlicht als „die Presse“ bezeichnet wurde und worüber der berühmte Stifter des gleichnamigen Journalismus-Preises, Joseph Pulitzer, im Jahr 1904 schrieb: „Eine zynische, gekaufte und demagogische Presse wird über kurz oder lang eine Bevölkerung erzeugen, die ebenso niederträchtig ist wie sie selbst.“
Die über hundert politischen Bücher Chomskys sind eine reiche Fundgrube für eine über Tausende von Seiten verstreute, oft ätzende Kritik an Presse und Medien, aber darüber hinaus hat er diese Kritik in einigen Werken auch in systematisierter Form dargelegt. Dabei kommt dem 1988 und dann in erweiterter Form 2002 erschienenen, gemeinsam mit dem Ökonomen Edward S. Herman verfassten Werk Die Konsensfabrik. Die politische Ökonomie der Massenmedien (Westend Verlag 2023) eine ganz besondere Bedeutung zu. In ihm zeigen die Autoren nicht nur die politisch-ökonomischen Mechanismen auf, die die Medien dazu veranlassen, die Welt im Sinne der Herrschenden darzustellen, sondern legen außerdem einige äußerst beeindruckende empirische Studien vor, die demonstrieren, dass die Massenmedien tatsächlich in sehr hohem Maß zur Demobilisierung der Bevölkerung beitragen, indem sie ihr auch noch das elementarste Wissen über Fakten vorenthalten, die sehr wahrscheinlich große Empörung auslösen würden, wenn sie denn bekannt wären.
Auf analytischer Ebene legen Herman und Chomsky dar, dass die großen Medien (1) kapitalistischen Großunternehmen gehören, (2) von den Werbeeinnahmen anderer kapitalistischer Großunternehmen abhängig sind und (3) diese Unternehmen und den von ihnen in vielfältiger Hinsicht abhängigen Staat als Hauptquellen benutzen. Hinzu kommt, dass (4) mächtige Geldgeber „Denkfabriken“ finanzieren, die dazu dienen, unabhängige Gedanken in den Medien niederzumachen, und (5) Unternehmen, Staat und Medien regelmäßig eine Einheitsfront bilden, um die Masse der Bevölkerung mit dem „Systemfeind“ der jeweiligen Zeit (Kommunismus, Terrorismus, Einwanderung) in Angst und Schrecken zu versetzen.
Die Studien in ihrem Buch belegen unter anderem, dass die liberalen US-Medien über hundertmal mehr über die Ermordung eines einzigen Geistlichen im kommunistischen Polen als über vergleichbare Morde in Amerikas Hinterhof in Mittel- und Südamerika berichteten, während gleichzeitig die reformistische (aber mit den USA im Clinch liegende) sandinistische Regierung in Nicaragua, die große Fortschritte bei der Beseitigung des Elends in diesem Land erreichte, durch eine extrem unfaire Berichterstattung dämonisiert wurde.
Eines der größten Verdienste Chomskys in seinem gesamten politischen Werk ist, dass er sich immer in einem geradezu ehrfurchtgebietenden Maß über die Fakten informiert zeigt – und sein Publikum über diese Fakten aufklärt. Wer weiß zum Beispiel, dass die verfemte palästinensische Befreiungsbewegung schon vor fast 50 Jahren für eine Zweistaatenlösung im Konflikt mit Israel eintrat (und dabei bereit war, auf 78 Prozent von Palästina zu verzichten) und dass selbst die islamistische Hamas sich wiederholt zu einer solchen Lösung bereit erklärt hat? Der ausschließliche Konsument der Mainstreammedien weiß es sicher nicht und kann aufgrund dieses Wissensdefizits kaum zu einer unverzerrten Sicht der Dinge kommen.
Chomsky – Wissen und Leidenschaft
Auch hierin ähnelt Noam Chomsky Bertrand Russell, der sich im Laufe seines langen Lebens für eine unglaubliche Vielzahl von Dingen interessierte, über die er dann binnen kurzer Zeit immer bestens informiert war. Russell ist einer der wenigen Menschen, die der wenig zur Heldenverehrung geneigte Chomsky als Vorbild akzeptiert und tatsächlich hing bis jetzt in jedem seiner drei aufeinanderfolgenden Büros ein großes Bild von Russell.
1971 hielt Chomsky zu Ehren des im Jahr zuvor verstorbenen Russell zwei Vorlesungen am Trinity College, „Über die Interpretation der Welt“ und „Über die Veränderung der Welt“, die dann unter dem Namen Über Erkenntnis und Freiheit als Buch erschienen. Mit Ausnahme der Erwähnung von „Liebe“ – Chomsky spricht (im Unterschied zu Russell, dem dies sehr wichtig war) nur selten öffentlich über sein Privatleben – könnte Bertrand Russels Lebensmotto auch das von Noam Chomsky sein:
Drei Leidenschaften, einfach, aber überwältigend stark, haben mein Leben bestimmt: die Sehnsucht nach Liebe, die Suche nach Wissen und unerträgliches Mitleid mit dem Leiden der Menschheit.
Und siehe da – als ich nach Fotos für diesen Artikel suchte, stellte sich heraus, dass genau dieses Zitat immer das Bildnis Bertrand Russels in Chomskys Büro geziert hat.
Die Frage nach dem „Leiden der Menschheit“ ist heute angesichts der fast unbemerkt ständig weiterwachsenden Gefahr eines Nuklearkriegs, einer immer rascher heraufziehenden Klimakatastrophe und der immer stärkeren Erosion bereits sicher geglaubter Errungenschaften wie der bürgerlichen Demokratie und der bürgerlichen Freiheiten dringlicher denn je.
In einem Interview beantwortete Chomsky einmal die Frage, warum Russell für ihn so wichtig sei, mit dem ihm eigenen sarkastischen Humor:
Erstens einmal war ich immer sehr an seinem Werk in Philosophie und Logik interessiert, aber der andere Grund ist das, was Sie beschrieben haben, sein Engagement für wichtige Anliegen. […] Ende der 1950er Jahre wurde er einmal gefragt, warum er seine Zeit mit der Kampagne für Nukleare Abrüstung vergeude, wo er doch an Problemen der Logik und Philosophie arbeiten und so etwas von bleibender Bedeutung schaffen könne. […] Er sagte, wenn ich da nicht mitmache und demonstriere, wird vielleicht bald niemand mehr übrig sein, der sich mit Logik und Philosophie beschäftigen kann. Ich finde, das ist eine ziemlich gute Antwort.
Coda
Noam Chomsky hat sich nach so vielen Jahren des Engagements in den letzten Monaten nicht mehr zu Wort gemeldet und da dies weder anlässlich des von massivem Terror gegen Zivilisten begleiteten Angriffs palästinensischer Kämpfer in Südisrael noch während des sich vor unseren Augen vollziehenden systematischen Massenmordes der israelischen Armee an palästinensischen Kindern, Frauen und Männern in Gaza der Fall war, müssen wir davon ausgehen, dass ihm dies zumindest derzeit nicht möglich ist. Wir können für seine Gesundheit nur das Beste hoffen.
Aber auch wenn Chomsky nun auf Dauer verstummt sein sollte, hinterlässt er schon heute ein außerordentliches intellektuelles und moralisches Vermächtnis. Gleichzeitig kann nicht oft genug betont werden, dass es sicher nicht die Hoffnung auf „Führer“ ist, die uns retten kann, und dass die einzige Kraft, die imstande ist, „uns aus dem Elend zu erlösen“, wir selber sind. Oder um es mit Chomskys eigenen lapidaren Worten zu sagen: „Wir sollten nicht nach Helden Ausschau halten, sondern nach guten Ideen.“
24.12.2023
Der Verfasser dankt Annette und Petra Schiffmann sowie Monika Regelin für Fragen, Anregungen und Kritik.
Vielen Dank für den inhaltlichen interessanten Nachruf auf diesen moralisch zutiefst abscheulichen Menschen, der sich lieber die Zunge abbeißen würde, als auch nur ein negatives Wort über die unzähligen Untaten von nichtwestlichen Akteuren zu verlieren, ja sie sogar regelmäßig leugnete, kleinredete oder relativierte.
Sein “What about Iraq…?”-Relativismus ist, so Gott will, für immer verstummt.
phz
Im Gegensatz zu dem sich in den Ausscheidungsendprodukten seiner menschenfeindlichen Gesinnungsgenossen suhlenden Forenten „Nazihaubitze 1945“ halte ich den Herrn Chomsky für einen Menschen mit hohen moralischen und intellektuellen Vediensten.
Während die „Nazihaubitzen“nach ihrer Niederlage verschrottet werden und dem Vergessen anheimfallen werden,wird das Werk Chomsky auch nach dessen Tod weiterleben.
– ist, so Gott will, für immer verstummt. –
gerade hier könnte er dir ein Vorbild sein.
Menschen, die unerträglich nachtreten, sind keine Menschen die Respekt vor jeglichem Leben gewähren!
Kritik ist in Ordnung, aber nicht diese Zeilen verfasst durch panzerhaubitze. Sie sind abscheulich.
Wenn Russel noch leben würde, würde er niemals solch dumme Sätze formulieren: „Die Klimakrise ist einzigartig in der Geschichte der Menschheit und verschärft sich von Jahr zu Jahr. Wenn nicht innerhalb der nächsten Jahrzehnte wichtige Schritte unternommen werden, wird die Welt wahrscheinlich einen Punkt erreichen, an dem es kein Zurück mehr gibt, und der Niedergang zu einer unbeschreiblichen Katastrophe führt. Nichts ist sicher, aber diese Einschätzung scheint allzu plausibel zu sein.“ Chomsky merkt nicht mal, dass er Befehlen aus Washington folgt, wenn er mit seiner Kritik an gewählten rechten „Diktatoren“ eine Apologie der „liberalen Demokratie“ vornimmt. Ich verstehe auch gar nicht, wie dieser Wirrkopf mit seinen großmäuligen Ankündigungen, mehr sind seine Theorien nicht, zu so einer „Bedeutung“ kommen konnte. Wahrscheinlich, weil viel Raum für Interpretation in den Geisteswissenschaften Voraussetzung für Unsterblichkeit ist. Ich geh mal davon aus, dass kein Journalist, der über ihn schreibt, je ein Werk von ihm bis Seite drei gelesen hat.
Auch seine Äußerungen zu Corona legen nahe, dass er so unfehlbar wie ein Papst ist.
Trotzdem sind viele seiner Werke richtungsweisend.
Die letzten Tage vor Jahresende sollten sollten eigentlich eher eine zeit der Reflexion sein, zur Projektion geht es erst am 1.1. wieder los.
Für Flach-Erdler wie dich gibts hier ein paar Grafiken über die schwindende arkrische Eisbedeckung. Sind selbstverständlich alle gelogen. Brauchst Du also nicht zu verstehen.
https://www.meereisportal.de/newsliste/detail/meereisbedingungen-in-arktis-und-antarktis-zum-jahresende
Und lass’ uns mal deinen akademischen Abschluss wissen, da du wohl meinst, intellektuell über Leuten wie Chomsky zu stehen.
Ich geh(‘) mal davon aus, dass du minderbemittelter Chemtrailschnüffler überhaupt kein Werk, egal welchen Autors, bis Seite 3 gelesen hast, geschweige denn darüber hinaus, abgesehen vielleicht von “lustigen” Taschenbüchern.
Anregung an die Betreiber der Website:
Ich habe früher gelegentlich Links auf interessante Artikel an meine “Kumpels” versandt. Das mag ich nicht mehr tun – mittlerweile habe sich hier so viele Spinner und Gestörte im Kommentar-Bereich breitgemacht, dass m.E. die Reputation der Seite darunter gelitten hat.
Könntet Ihr bei der nächsten Überarbeitung der Seite die Kommentare auf eine separate Unterseite auslagern, also ähnlich wie Heise das macht?
Wäre vielleicht auch im Interesse der Autoren, die brauchen sich dann nicht für unterirdische Kommentare fremd zu schämen.
Sehr wahr!
Das unterirdische Gepöbel sollte getrennt sein von der Auseinandersetzung.
Das Forum in TP lese ich nur noch ausnahmsweise.
Sehr herzlichen Dank für diesen umfassenden und fundierten Artikel.Hier schreibt jemand, der sich tief in das ausufernde Werk von Chomsky hineingearbeitet hat.Nach dem Lesen des Beitrags habe ich mir sofort das von Chomsky verfasste Buch “Die Konsensfabrik” bestellt und bin sehr gespannt darauf. In seinen Interviewauftritten legt Chomsky diese sehr interessante Mischung aus Angriffslust, exzellenter Faktenbeherrschung und einer großen Gelassenheit an den Tag. Dass er sich politisch zuallererst mit dem Hegemon USA befasst, ist mehr als naheliegend. Auch weil er in dessen Sphäre lebt.
Die ersten Kommentare die dem Artikel gewidmet wurden sind dann der Abtörner. Dieses Maß an verkemmter Dummheit und altväterlicher Überlegenheitspose ist eine deutliche Aufforderung an Overtone, den Umgang mit den Kommentaren anders zu managen. Dem Statsment von whocares schließe ich mich an. vielleicht sollte man das machen wie die Nachdenkseiten. Ein breites Spektrum divergierender Meinungen abbilden, aber kein Nazigeblubber und sonstiges Zombiegesäge.
“Manufacturing consent” ist ein Buch von 1988. Da war Chomsky wenig bezweifelbar ein scharfer Geist, das Buch ist sicher lesenswert.
Was er während der Plandemie von sich gab war dagegen an Menschenverachtung kaum zu überbieten und kann unter “hättest Du geschwiegen, würde man Dich für Deine vergangenen Leistungen achten” zusammengefasst werden.
Ich sehe daher nicht, wie man irgendwen mit vergangenen Leistungen gegen aktuelle Kritik immunisieren könnte.
Da tobt der Mob. Chomsky hat offensichtlich die Anhänger, die er verdient.
Nun ja, die hatte dein historisches Vorbild Joseph G. auch. Und dass der “Mob tobt”, ja, das glaubt ihr impertinenten Pausenclowns ja gerne.
Ich sehe Chomsky weit differenzierter als Du, aber auf die hinter dem Ofen hervorgelockten Freunde der Cancel Culture, die hier nach einem anderen Volk -äh, anderen Kommentatoren verlangen, weil sie ersichtlich Schwierigkeiten mit freier Meinungsäußerung haben trifft Deine Wortwahl mMn zu.
Apropos Wortwahl: pLaNdEmIe 🤡
Entschuldigung, aber wenn man davon gehört hat, was Russell in der zweiten Hälfte der 1940-er Jahre in Sachen Atombombe von sich gegeben hat – ich meine seinen Artikel “The bomb and civilisation” (1945) sowie andere Auftritte – kann man über den Vergleich Chomskys mit Russell nur den Kopf schütteln.
Was reden Sie da?
1945 war Chomsky 17 Jahre alt.
Sie agieren hier nach Lektion 1 für Anfänger “Wie baue ich ein Gerücht?” und sind haben gerade das erste Bauklötzchen aufgestellt.
1. Welche Rolle spielt denn bitte Chomskys Alter für den Vergleich?
2. Ich verbreite nie “Gerüchte” und schon gar nicht, wenn ich ausdrücklich auf Quellen verweise (siehe den genannten Russellschen Artikel).
“If America was more imperialistic, there would be another possibility, less Utopian and less desirable, but still preferable to the total obliteration of civilized life. It would be possible for Americans to use their position of temporary superiority to insist upon disarmament, not only in Germany and Japan, but everywhere except in the United States, or at any rate in every country not prepared to enter into a close military race with the United States, involving compulsory sharing of military secrets.
During the next few years this policy could be enforced; if one or two wars were necessary, they would be brief, and would soon end in decicive American victory. In this way a new League of Nations could be formed under American leadership, and the peace of the world could be securely established. But I fear that respect for international justice will prevent Washington from adopting this policy.”
(aus dem erwähnten Russellschen Artikel “The bomb and civilisation“ vom 18. August 1945 in der Glasgower Zeitung “Forward”)
https://www.mat.univie.ac.at/~neretin/misc/russell.pdf
Weniger als zwei Wochen nach den Atombombenabwürfen auf Japan plädierte Russell dafür, die USA mögen ihren zeitweiligen Alleinbesitz an Atomwaffen dafür nutzen, unter Drohung mit einem – weiteren! – atomaren Angriff die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern und damit “den Weltfrieden” (abgesehen von ein, zwei “Durchsetzungskriegen”) unter us-Weltherrschaft sichern.
Es handelte sich keineswegs um eine einzelne Stellungnahme Russells in diese Richtung. Erst der sowjetische Erwerb der Atombombe im Jahre 1949 beendete Russells disbezügliche Erörterungen.
Später haben Heerscharen von Intellektuellen versucht diese Äußerungen wegzuinterpretieren oder sonstwie unter den Teppich zu kehren (beispielsweise wurde behauptete, der letzte Satz im oben zitierten Absatz sei “ironisch” gemeint gewesen etc.).
Was Russell damals nicht wusste war, dass das us-Militär tatsächlich in dieser Zeit entsprechende Planungen zu einem Atomkrieg gegen die SU anstellte:
– “Plan Totality” im August 1945, also zum Zeitpunkt des Russellschen Artikels. Der wird heutzutage als “Desinformation” ausgegeben. Die Planungen zu “Operation unthinkable” vom Mai 1945 waren dann wohl auch “Desinformation”.
https://en.wikipedia.org/wiki/Plan_Totality
Das us-Militär hatte damals aber glücklicherweise nicht genügend Atombomben zur Verfügung, um den Erfolg eines solchen Atombombenangriffs garantieren zu können.
Kehren wir nun zur Ausgangsfrage zurück, der Stichhaltingkeit des Vergleichs Chomskys mit Russell: Chomsky wäre nie auf die Idee gekommen, derartige “Vorschläge” wie einst Russell zu machen!
Also, Herr Estragon, wenn Sie von einer Sache nie gehört haben, so bedeutet das nicht, dass es sich um ein Gerücht handelt.
MfG
Besdomny
Nun ja. Man mag Chomsky das Format Bertrand Russels absprechen. Vergleiche hinken immer, und “Rankings” der grössten Dissidenten sind gewiss peinlich.
Chomsky hat sich mehrere “Gaffes” geleistet, auch und besonders während der Covid-Krise. Und seine Stellungnahme zum Ukrainekrieg klingt aus meiner Sicht hasenfüssig, erst mal auf die Russen trampeln. Aber er verurteilt sehr klar die US-Einmischung als Ursache der Tragödie, da sollte man nicht dogmatisch sein. Eins steht fest: korrupt war er nie.
Die wissenschaftlichen Leistungen sollten die bewerten, die dazu qualifiziert sind, und da sehe zwar viele hier, die den Kellerboden, unter dem Nazihaubitze sein elendes Wurmdasein fristet, im Niveau mehr oder weniger stark übertreffen, aber so ganz reicht es dann doch nicht. Fest steht, dass im gesellschaftlich-politischen Bereich “Manufacturing Consent” und andere Arbeiten, zumindest im Kontext der USA und des kollektiven Westens, fast so bahnbrechend waren wie seine Arbeiten in Mathematik und Linguistik.
Chomsky ist kein Heiliger, Erleuchteter, oder Führer. Wer sowas braucht, muss woanders schauen. Aber für die, die fähig sind, seine Beiträge zu rezipieren, hat er sich grosse Verdienste erworben. Insofern auch rückwirkend Glückwunsch zum Geburtstag und hoffentlich gute Gesundheit.
>> zum Ukrainekrieg … aus meiner Sicht hasenfüssig: erst mal auf die Russen trampeln <<
Erwarten Sie einen verkappten DKPler, der immer noch glaubt, dass hinter China und Putin in Wirklichkeit doch die Revolution steckt? Und dass Waffen gut sind, wenn sie "realsozialistisch" sind… (Nur wenn die Waffen oder die Atomkraft im Kapitalismus eingesetzt werden, dann aber …).
Oder welchen Maßstab legen Sie hier an? Was genau kritisieren Sie?
Ganz eindeutig bricht Russland in seinem "klassisch" imperialistischen Vorgehen das Völkerrecht und das Gewaltverbot der UNO. Die enormen Folgen dieses Militarismus tragen wir täglich. (Dass die USA bekanntlich noch schlimmer sind, ändert nichts an den Fakten.) Und in Russland durften wir solche Diskussionen gar nicht führen. Solche Diskussionen waren nur in dem kurzen Zeitfenster der Perestroika in Russland öffentlich möglich.
Dass Chomsky kein Heiliger ist, da haben Sie natürlich recht. Auch von Einstein – der sich ebenso wie Chomsky als Sozialist verstand – lesen wir heute eher die Aphorismen, tagespolitischen Geistesblitze und kurzen populärwissenschaftlichen Aufsätze: mit großem Gewinn!
Dass eine us-amerikanische Atombombe zumindest besser sei als eine deutsche dachten nicht “verkappte DKPler”, sondern Einstein, Oppenheimer und sonstige Atomphysiker-Konsorten.
Wie sind sie darauf gekommen? Beispielsweise durch Clausewitz. Wenn “Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln” ist, so sind nicht alle Kriege und Kriegsparteien gleich und also auch nicht der Charakter der Waffen, die in solchen Kriegen als Vernichtungsmittel eingesetzt werden.
Ob Einstein und Co. im konkreten Fall richtig lagen ist natürlich eine andere Frage.
P.S.
Und die Unterscheidung in “Angreifer” und “Verteidiger” reicht eben bereits mit Clausewitz nicht aus, um den Charakter eines Krieges angemessen zu erfassen. Sie reicht nach dem geltenden Völkerrecht aus (und bei Auseinandersetzungen auf dem Spielplatz), welches jedoch ausdrücklich nur formal, aber eben nicht politisch urteilt.
Eine Bedeutung Noam Chomskys ist noch nachzutragen: “woke ≠ links” !
Die Anhänger Foucaults schäumen bis heute – denn er hat sie getroffen! Chomsky widersetzt sich zeitlebens der Spaltung der Linken in Dogmatische und Undogmatische – jener Spaltung, die das existenzielle Geschäft der Woken ist (ihnen ihre Existenz sichert).
1971, da marxistische Revolutionsideen ernsthafter Diskussionsgegenstand im Fernsehen Europas waren (Hintergrund war der Vietnamkrieg), lud das niederländische Fernsehen zu einer Diskussion zwischen Michel Foucault und Noam Chomsky ein. Bis heute millionenfach geguckt: https://www.youtube.com/watch?v=3wfNl2L0Gf8 (von withDefiance, mit Untertiteln) –
Chomskys Resümee: Ich habe noch nie einen so amoralischen Menschen wie Foucault getroffen. Denn Chomsky hatte gesagt, er unterstütze nur ein revolutionäres Proletariat, das für eine gerechte Gesellschaftsordnung kämpfe und dessen Revolution nicht in Terror umschlage. Darauf hatte Foucault erwidert, das Proletariat führe Krieg, weil es gewinnen will, und es sei nun einmal so, dass es als Gewinner blutige Maßnahmen ergreifen werde.
Daraus das Resümee von Susan Neiman (“woke ≠ links”): “Das Beharren darauf, dass Macht die einzige Triebkraft ist, geht Hand in Hand mit der Verachtung der Vernunft.”
(Und erneut schäumten die woken Foucault-Anhänger, da sie Neimans Buch besprachen.)
Ad 1: Chomsky fällt mit seinem Gebell gegen Russland, wie Du auch übrigens, hinter z.B. Mearsheimer, Goldman et alii zurück, die man auch kaum als “Putinfan” verdächtigen kann (oder gar als “verkappte DKPler”). Und das mit dem Völkerrecht ist so klar nicht, mal abgesehen davon, dass das Völkerrecht Gewohnheitsrecht, “customary international law”, ist.
Und mit den Überfällen auf (Grenada,) Jugoslawien, Irak, Syrien, Libyen, Afghanistan .. sind so viele Präferenzen geschaffen worden, dass Russland höchstens ein Einschwenken in die schlechte Gewohnheit vorgeworfen werden kann. Ferner hat Russland erst die Volksrepubliken, auf die ein Überfall des Kiewer Regimes unmittelbar drohte bzw. bereits lief, völkerrechtlich anerkannt, bevor es im Bündnis mit denen militärisch eingriff.
Kraftsprüche wie klassisch imperialistisches Vorgehen werden dem nicht ganz gerecht, auf jeden Fall nicht für die “Kabinettskrieg”-Periode bis März/April 2022. Und für die Periode des NATO-RF-Stellvertreterkriegs ist diese moralisierende Vokabel auch nicht zielführend.
Dass die Diskurse in Russland auf Grund des Krieges (keinesfalls seit der Perestroika) eingeschränkt sind, ist bedauerlich, aber Du übertreibst. Kritik am Krieg und den Kriegszielen wird geübt, wenn sie auch nicht populär ist. Die Grenzen liegen in der “Verleumdung der Armee” (Butscha-“Narrativ”) und dergleichen. Ich bin auch gespannt auf den Präsidentschaftswahlkampf. Wieviel illiberaler die RF ist als die BRD, weiss ich nicht. Was ich hier schreibe, würde ich eher nicht öffentlich und ohne Pseudonym äussern. Die “unbestimmten Rechtsbegriffe” (Ingeborg Maus) der neueren deutschen Gesetzgebung gemahnen da zur Vorsicht.
Ad 2: Danke für diesen Hinweis. Foucault stand wohl schon damals auf der CIA-Lohnliste, wie die meisten Postmodernen.
👍
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Autsch! Präzedenzen, nicht Präferenzen 😉
Präzedenzen fungieren als Präferenz-Definitionen, sofern gleiches Maß als Anspruch gelten sollte.
Und insofern bestätigt dies Gewohnheitsrecht auf Völkerrechtsebene.
Ich hatte den Fehler bemerkt, aber das tatsächlich gemeinte Wort war so offensichtlich daß ich nicht den Rechtschreibnazi geben wollte 😉
Ein sehr guter Beitrag!
Vielen Dank dafür!
Ich kenne keines der Bücher von Chomsky.
Der Name ist mir schon irgendwie ein Begriff.
Aber jetzt kann ich ihn klar einordnen.
Denn dessen Gedanken sind mir alles andere als wesensfremd.
Besonders freut es mich, dass er seine Form von Zionismus als Avantvarde einer “Armee”, einer Bewegung für die Liebe, begreift.
Meine “Definition”, meine Erklärung des Begriffs “auserwähltes Volk”, ist damit völlig synchron.
Der Geist Russells lebte und lebt in Chomsky weiter und deren Geist wiederum wird in jedem Menschen Bekenntnis- und Gestaltungskraft erlangen und damit weiterleben, welche von dem gleichen Kategorischen Imperativ erfüllt sind und von diesem animiert und befeuert werden: Dass Liebe wird.
Sowohl der Ketzer von Nazareth, der Unangepasste aus Trier oder auch der Grundanliegenvermittler Ghandis gehören in die gleichen Kulturtradition der konstruktiven Unangepasstheit, deren Zauber wieder verbindet, was die Mode streng geteilt hat.
Wir sind auf einem guten Weg.
Diese Welt ist reif dafür, die nächsten 30 Jahre den gewaltigsten Zivilisationssprung in ihrer Geschichte anzugehen und zu schaffen.
Jenseits von Ängsten und der Verblendung durch Privilegien sowie dem Scheinglanz der Podien mit ihrem restriktiven Kulturraum und deren heuchlerischen und philisternden Pseudo-Zivilität sämtlichen Missetaten der Märkte huldigend wird sich eine neue Avantgarde herauskristallisieren und plurale Sichtweisen brückenbauend übersetzen und deren konstruktiven Wesenskern nicht nur in die Welt posaunen, sondern mit jeder Faser des Herzens und des Leibes auch leben. Und zwar in einer Füllle leben und erleben, deren Reiz dem homo eoconomicus immer verschlossen sein wird.
Das ist die generative Friedenstransformationsgrammatik