Ein biederer Langweiler erscheint Menschen überall auf der Welt im Traum. Erst feiern sie ihn, dann wird er verbannt. Über eine Parabel auf die Cancel Culture.
In einigen Tagen läuft der Film Dream Scenario von Kristoffer Borgli an. Die Hauptrolle spielt Nicolas Cage. Für die junge Generation ist es kaum vorstellbar, dass er mal Oscar-Preisträger war. Das war er zu einer Zeit, in der der Oscar noch was bedeutete. In Leaving Las Vegas soff er sich zu Tode und feierte Auferstehung im Dorothy Chandler Pavillon in Los Angeles. Danach kam der Absturz. Er ergriff viele kuriose, schlecht geschriebene Rollen. Teilweise ohne Text. Cage wirkte verloren. Er nahm fast jedes Angebot an, weil er laut Medienberichten Geld benötigte. Mit Dream Scenario meldet er sich zurück. In Cage steckt noch immer mehr als nur ein B-Movie-Star.
Traumhaft gefeiert
Die Geschichte des Filmes ist schnell erzählt. Ein todlangweiliger Biologieprofessor namens Paul Matthews, verheiratet, zwei Töchter, wird von seiner Umwelt kaum wahrgenommen. Irgendwann berichtet ihm seine zufällig über den Weg laufende Ex-Freundin, dass sie ihn im Traum gesehen habe. Immer häufiger berichten plötzlich Menschen aus seinem Umfeld von Erlebnissen dieser Art. Später erkennen ihn Fremde. Auch sie haben ihn im Traum gesehen. Auch seinen Studenten ist er im Traum erschienen. Alle berichten, dass er in den nächtlichen Erscheinungen nur als passiver Protagonist vorkommt, während sich die Träumenden oft in lebensbedrohlichen Situationen befinden. Er aber guckt nur zu.
Buchstäblich über Nacht wird Matthews zum Shootingstar. Er geht viral. Wird interviewt und kommt in den Medien vor. Jeder will ein Selfie mit ihm. Man bietet ihm Verträge an, Geschäftsleute wollen mit auf den Zug aufspringen. Eine junge Frau, die sexuelle Träume mit Matthews hat, möchte auch in Realität mit ihm sexuelle Erfahrungen machen.
Nicolas Cage spielt einen Mann, der nicht nur die besten Jahre seines Lebens hinter sich hat. Man spürt, dass er beste Jahre nie erlebt hat. In den grauen und leberwurstfarbenen Klamotten, die er trägt, drückt sich aus, was von Matthews zu denken ist. Er strotzt bloß so vor Biederkeit, scheint gefangen in seiner Tretmühle. Wir haben es mit einem Mann zu tun, der aufgegeben hat. Dass er nun in Traumszenen unzähliger Menschen vorkommt, fühlt sich für ihn zunächst wie eine letzte Chance an, um seinem Leben nochmal den Anstrich eines Abenteuers zu verleihen.
Borglis Film liefert keine Erklärung für dieses Phänomen. Ein solcher Erklärungsversuch würde den Film auch nicht weiterbringen. Zuzusehen, wie dieser Mensch aus der Ödnis seiner Privatheit heraustritt, um ein mediales Ereignis zu werden, macht den Charme des Filmes aus. Matthews will seine Popularität nutzen, um sich einen alten Traum zu verwirklichen. Er möchte endlich ein Buch schreiben. Gerade das gelingt ihm allerdings nicht. Denn was Matthews abseits seiner Traumpräsenz zu erzählen hätte, ist nicht von Belang für die matthewsversessene Öffentlichkeit. Man will mit ihm gesehen werden, Teil des Hypes sein. Sich aber nicht mit ihm als Mensch auseinandersetzen müssen. Und schon gar nicht als Biologe, der ein Buch veröffentlichen will. An der Stelle bricht etwas in Matthews auseinander.
Alptraumhaft gecancelt
Als er dann auch noch die sexuellen Avancen der jungen Frau nicht erwidern kann, weil ihm vor Aufregung Darmwinde entwischen, kippt seine Stimmung. Matthews ist wütend, auf sich und die Welt. Und aus einem abermals nicht erklärten Grund erscheint er nun auch in den Träumen der Menschen wütend und aggressiv. Er schlägt sogar in einem Traum mit einem Hammer den Kopf eines Studenten ein. Im nächsten Moment erlebt Matthews, wie sein Aufstieg abrupt endet. Alle meiden ihn, er soll von Schulveranstaltungen seiner Tochter fernbleiben, die anderen Eltern fürchten sich. Seine Studenten bleiben aus. Matthews hat sie in ihren Träumen verfolgt.
Der rechtfertigt sich, dass er selbst gar nichts getan hätte. Was könne er für die Gedanken anderer Leute? Für die Träume in fremden Köpfen? Das fällt außerhalb seiner Zuständigkeit. Er kann das schließlich nicht kontrollieren.
An dieser Stelle wandelt sich der Film zu einer Parabel auf die Cancel Culture. Der Protagonist erlebt die Konsequenzen für seine traumhaften Auftritte, für die er nichts kann. Er wird ausgestoßen und ausgegrenzt. Man wendet sich von ihm ab, fühlt sich unangenehm berührt in seiner Nähe. Das Ausschlusskriterium ist die Gefühlslage derer, die sich mit ihm unwohl fühlen. Er hat dieses Unwohlsein nicht als Person verursacht. Das hat er nur im Traum getan. Oder genauer gesagt, das haben Träume verursacht, in denen einer auftritt, der aussieht wie er. Matthews selbst kennt die Träume noch nicht mal. Er wird gecancelt, weil jemand ein Bild von ihm im Kopf hat.
Ein Gefühl als Cancel-Motiv
Das entspricht häufig der Wirklichkeit. Die gesamte Cancel Culture ist Ausdruck verletzter Gefühle, bewusster oder unbewusster Vorurteile, die selten der Wirklichkeit entstammen. Sie gründet auf Gedankenspiele, auf Gefühligkeit. Nicht selten auf Phantasie, die einem unerträglich wird. Es sind viel zu oft Bilder im Kopf und Gefühle in der Magengrube, die andere ausschließen. Dream Scenario spielt mit diesem Umstand. Der Film kritisiert dabei die Arroganz, die das eigene Gefühl höher hängt als die soziale Daseinsberechtigung derer, die man lästig und störend findet.
Borgli führt das in diesem Abschnitt des Filmes glänzend vor. Wir verfolgen einen Mann, der nur ausgeschlossen wird, weil es Vorurteile zu seiner Person gibt, die mit der Realität nicht in Zusammenhang stehen. Sie fordern ihren Schutzraum ein und rechtfertigen den mit der eigenen Gefühlslage. Für Vernunftaspekte verschließen sie sich. Vermutlich haben wir es bei der Cancel Culture in Film und in der Wirklichkeit mit einem völlig aus dem Ruder laufenden Individualismus zu tun. In dem zählt das, was im eigenen Kopf ist mehr, als das was in der Welt geschieht.
Leider verpasst der Regisseur dann den Absprung. Hier hätte der Film enden müssen. Aber Borgli setzte noch einen drauf. Man sieht in einer nächsten Einstellung Influencer, die erklären, dass es dank Matthews nun möglich sei, per entwickelten blinkenden Armreif in die Träume anderer Menschen einzusteigen. Dort würden sie Werbung machen. Dieses Science-Fiction-Element ist überflüssig und schindet nur Laufzeit. Es schwächt den Film und nimmt der Parabel ihre Kraft. Das ist schade. Nicolas Cage spielt jedoch den gesamten Film über, als habe er seinen Oscar erst gestern erhalten.
If you cannot control your emotions you end up controlling other peoples behaviour – John Cleese:
https://www.youtube.com/watch?v=qmQ9_stT2Kc
Falling down…
Eine Verzerrung des Individualismus, echter Individualismus hat nie auf reinen Egoismus und Blasendenken gestzt, Individuen sind immer auch solche die kooperieren und möglichst auch solidarisch sein sollten wo nötig.
Ich denke, die Action- und Science-Fiction-Filme wie Ghost Rider haben Cage Spaß gemacht. Es waren dann halt nicht immer die alleredelsten Regisseure. Alles was Cage abgeht, ist Premium-Snobismus und ich bin mir nicht sicher, ob ich das nicht ganz sympathisch finde, wenn ich mir zum Vergleich die Ewiges-Mann-Kind-Filme von Tarantino anschaue.
8mm – das leben ist keine baustelle (mehr), sondern snuffporn für und mit und von jedermann…