Auschwitz sehen und genießen

Rudolf Höß' Exekution
Stanisław Dąbrowiecki, a press photographer. [1], Public domain, via Wikimedia Commons
Auch in der Hölle gibt es Wesen, die sich ein Paradies einrichten können. Jonathans Glazers aktueller Film erzählt davon.

Die Familie Höß hat alles, was ihr Herz begehrt. Ein geräumiges und mehrgeschossiges Haus, einen riesigen Garten, umsichtige Bedienstete und direkt am Grundstück einen Wald und einen Fluss. Vater Höß geht einem Job direkt über der Straße nach. Das erzeugt eine gute Work-Life-Balance. Mutter Höß ist mit dem Haus beschäftigt. Und im Garten blühen die Blumen wie sie selbst auf. Die Kinder tollen durch das Anwesen und gehen mit Vater auch mal schwimmen. Die Höß‘ haben es gut. Sie haben es geschafft. Auschwitz hat ihnen ein neues, ein besseres Leben ermöglicht.

Lebensglück in Auschwitz

Bei Vater Höß handelt es sich um Rudolf Höß, dem Lagerkommandanten von Auschwitz. Direkt an der Mauer zum Konzentrationslager wohnt er mit seiner Familie. Der Zuschauer wirft nur einen Blick auf das mit Stacheldrahtverhau gekrönte Gemäuer, blickt aber nie hinein in die Hölle auf Erden. Aber ständig hört man Geschrei, auch mal Schüsse. Die Familie Höß stört das nicht. So wie sich Menschen, die an einem Bahnhof leben, an die Akustik einrollender Züge gewöhnen, hat sie sich an den Sound der Vernichtung gewöhnt.

The Zone of Interest heißt der Film, der diese Idylle zeigt. Jonathan Glazer hat, nach zehn Jahren Abstinenz hinter der Kamera, Regie geführt. Prompt war er für den Oscar nominiert. Der Film selbst wurde als beste internationale Produktion ausgezeichnet. Sandra Hüller spielt auch hier die weibliche Hauptrolle. Für den Oscar nominiert war sie ebenfalls. Aber für eine andere Rolle, die einer des Mordes Verdächtigten in Anatomie eines Falls. In Zone of Interest spielt sie einen Bauerntrampel von SS-Gattin, der dennoch eine gemachte Frau im nationalsozialistischen Deutschland bzw. im polnischen Protektorat geworden ist. Stolz zeigt sie ihrer Mutter, die zu Besuch aus der Heimat anreiste, zu was sie es gebracht hat.

Im einleitenden Satz war die Rede von den Bediensteten. Diese Bezeichnung ist natürlich falsch. Bedienstete beziehen ein Salär. Die Hilfskräfte, die den Höß` zur Verfügung stehen, stammen aus dem Lager. Sie werden wohl kaum entlohnt worden sein. Es sind Polen, die die große Ehre haben, dem Lagerkommandanten und seinen Lieben dienend zur Seite zu stehen. So darf etwa ein Pole die Stiefel des Herrn des Hauses putzen und waschen. Blut deutet sich bei dieser Tätigkeit im Waschbecken ab. Herr Höß hatte offenbar einen vollen Arbeitstag.

Irgendwann soll Rudolf Höß befördert werden. Dieser Aufstieg geht mit einer Versetzung einher. Das Eheglück gerät in Schieflage. Mutter Hedwig möchte das Ressort am Rande des Vernichtungslagers nicht aufgeben. Vielleicht könne er ja versetzt werden und sie bleibe einstweilen hier? Man habe zu hart gearbeitet, als dass man die Villa und den Garten jetzt den Nachfolger Höß` vermachen wollte. Hedwig kämpft um ihr Lebensglück in Auschwitz.

Ein richtig schönes Leben im falschen

Glazer inszeniert großzügig. Er nimmt sich Zeit für längere Kamerafahrten und Szenen, die wenig Spektakuläres aufweisen. Die Zuschauer schauen einer Familie zu, wie sie zu allen Zeiten ihren Tagesablauf taktete. Sie sehen stolze selfmade-people, die es zu was gebracht haben und es auch gerne zeigen. Keine Szene ist mit Musik unterlegt, die Schreie aus der Nachbarschaft sind der Soundtrack. Oder die dampfende Lokomotive, die weit hinter dem Gartengeschehen vorbeifährt, schwarzen Rauch ausscheidet und pfeift. Während Höß im Garten sitzt, laufen die Geschäfte weiter und eine neue Fuhre Menschen kommt an.

 

Der Regisseur hat, trotz Längen gegen Ende des Filmes, einen nie dagewesenen Auschwitz-Film geliefert. Auschwitz ohne Häftlinge. Ohne Gaskammern. Ohne Deutsche, die gnadenlos erschießen. Ohne Szenen, in denen durch Arbeit vernichtet wurde. Das Grauen entsteht, fast hitchcockesk ohne die Gewalt bildlich einzufangen. Selten war ein Film über ein Konzentrationslager so brutal und gleichzeitig so frei von Brutalität. Auschwitz ist hier kein dunkler, von Gott verlassener Ort. Es ist ein pittoreskes Stückchen Erde in Polen. Sattes Grün und plätschernde Gewässer erfreuen das Auge. Die Vernichtung fand nicht in der Hölle statt. Sie geschah inmitten von Schönheit. So wie Unrecht häufig von Ästhetik verstellt wird. Auch heute noch.

Dass es kein richtiges Leben im falschen geben kann, entwarf Theodor Adorno nach dem Kriege. Diese Einschätzung wurde häufig zitiert und gilt vielen als eine Art von Motto. Aber trifft das zu? The Zone of Interest zeigt das Gegenteil. Im Falschen hat sich da eine Familie ein richtiges Leben eingerichtet. Ein richtig schönes Leben geradezu. Auch die Hölle kann ein Paradies sein, wenn man im richtigen Höllenkessel sitzt. Das zeigen die Dialogszenen auf einem Steg am Fluss nahe des Zuhauses der Höß`. Vater und Mutter streiten über die Zukunft. Hedwig will unbedingt in Auschwitz bleiben und sich nicht verjagen lassen. Man sah ihr in der Szene kurz zuvor zu, wie sie ihrem Gatten nachlief, an der Mauer des Konzentrationslagers entlang. Er scheute die Konfrontation mit seiner Ehefrau und flüchtete aus dem Heim. Hinter den Mauern, die sie zu ihrer Rechten liegen ließ, saßen unzählige Menschen, die Auschwitz unbedingt verlassen wollten und es nicht konnten.

Das Böse als lästige Nebensächlichkeit

Dabei kommt bei Glazer noch etwas zur Geltung, was heute Seltenheitswert hat. Es ist nicht der Vater Höß alleine, der seine Toxizität verbreitet. Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau, heißt es. Auch Mutter Höß versprüht Gift. Sie tut es mal ganz unmittelbar, wenn sie ihrer polnischen Magd sagt, ihr Mann könne sie töten lassen. Aber meist vergiftet sie die Welt stillschweigend, indem sie einerseits ignoriert und andererseits die Vorteile annimmt, die der Raubzug in Polen ihr beschert. Es waren eben auch Frauen, die ihre Männer antrieben und die Früchte ernteten, die der Gatte für das Familienglück anbaute.

Es ist erfreulich, dass der Regisseur nicht in den Trend der Zeit einschwenkt und Frauen als historische Opfer präsentiert. Für Glazer scheint es Täter und Täterinnen zu geben. Der Mensch ist schlecht. Und zwar ohne Rücksicht auf das Geschlecht. Justiziabel war die Mittäterschaft der Hedwig Höß` und anderer Gattinnen nicht. Angestiftet haben sie aber mindestens. Und sie haben diskret das Blut weggewischt, das auf dem neu erlangten Wohlstand verschmiert war.

Über die Banalität des Bösen wurde viel geschrieben. Speziell von Hannah Arendt im Zuge der Betrachtung der Person Adolf Eichmanns. Einen Hanswurst hat sie den Organisator der Judenvernichtung genannt. Womit zum Ausdruck kam, dass das Böse eher von einem Allerweltsaussehen geprägt ist. So banal wie in Glazers Film war das Böse jedoch vorher noch nie zu sehen. Denn es tritt als Nebensächlichkeit zutage. Als lästige Alltagspflicht, die man benötigt, um erfolgreich durchs Leben und durch einen großen Garten ganz in der Nähe des Arbeitsplatzes gehen zu können.

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23 Kommentare

  1. Sich in bald Hundert Jahre alter Scheiße herumsuhlen, während gleichzeitig, tagesaktuell das Abschlachten eines kompletten Volkes dröhnend beschwiegen wird, das ist des Deutschen Lieblingsbeschäftigung.

      1. In Fäkalsprache das Beschäftigen und Aufarbeiten des Größten Verbrechen des 20.Jahrhunderts (das gleichzeitig die Spitze des Deutschen Imperialismus darstellte) abzuqualifizieren zeigt nicht gerade von einer “sehr guten Antwort”. Freilich ist das Beschweigen der aktuellen Probleme durchaus dröhnend. Aber der Vorposter will doch nur die Akte endlich zumachen damit er sich ungestört neuen Aufgaben widmen kann (und nicht ständig von “Fliegenschissen” und anderen Unpässlichkeiten belästigt wird)

    1. So ähnlich fühlen sich die ganzen Siedler, die das Land der Palästinenser seit der Vertreibung Stück für Stück stehlen. So hat sich auch der weiße Siedler gefühlt, der in Amerika, gerade einen Indianerstamm ausgelöscht hat. Es ist halt in der Natur der westlichen Gesellschaften zu morden und keine Schuld zu empfinden. Dies ist die DNA des Westens, und zwar schon seit mindestens 2000 Jahren.

      1. Naja es ist generell menschliche DNA des Homo sapiens, aber Zustimmung im Westen ist sie besonders ausgeprägt und auch besonders kulturprägend.

  2. Das Böse scheint oft in banalem Gewand. Es ist zum einen personifizierbar, zum anderen aber auch total diffus und nicht greifbar. Aber immer spielt das in einer Umwelt sich einrichten eine große Rolle. Gegenwehr war fast immer in der Geschichte mit Problemen im eigenen Leben bis zur Zerstörung des eigenen Lebens, aber immer mit Risiken verbunden. Anpassung hat immer diese Risiken umschifft.

    1. Zur Ergänung – aus Wikipedia:

      “[….]Erneut eingesetzt wurden die Knochenmühlen in der Zeit des Nationalsozialismus, als die Machthaber im Sinne der Autarkie eigenproduzierte Düngemittel förderten.[1] Knochenmühlen kamen auch bei der Sonderaktion 1005 zum Einsatz, als das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete 1942–1944 die Spuren der während der Aktion Reinhardt ermordeten Juden beseitigte[….]”

      Link:

      https://de.wikipedia.org/wiki/Knochenm%C3%BChle

      Gruß
      Bernie

      PS: Sorry, Wikipedia, aber bin sicher – bei entsprechender Recherche – findet ihr noch mehr über diese “Knochenmühlen” und den speziellen “Dünger” von Auschwitz 😉

        1. Jep, dass war wohl deplaziert, dafür entschuldige ich mich, aber es bleibt dabei, dass kommt im Film nicht vor, denn sonst wäre der Film wohl kaum unter FSK 18 zu haben.

          Gruß
          Bernie

        1. Lieber Grottenolm,

          das dürfte den damaligen NS-Verbrecher/-innen kaum geläufig gewesen zu sein.

          Übrigens auf Knochenmehl – als Dünger – kann Mensch auch in einen völlig anderen Zusammenhang stoßen – die Gefallenen der berühmten Schlacht von Waterloo:

          https://www.dw.com/de/waterloo-wurden-tausende-tote-soldaten-zu-d%C3%BCnger-verarbeitet/a-62379642

          ….die kannten ökologische Ideen nicht, aber es soll mal eine Düngemittelkrise gegeben haben – viele der Knochen der Gefallenen, Freund und Feind, wurden dann eben – statt in Ewiger Ruhe – für andere Zwecke genutzt – in Großbritannien z.B.

          Wie schon gesagt, die letzten Knochenmühlen kamen 1945 zum Einsatz, vorher war dies gang und gäbe……und ist vielleicht der Grund warum sogenannte “Schlachtfeldarchäologen”, auf so manch historischem Schlachtfeld, kaum menschliche Knochen fanden seit es dieses archäologische Fach gibt….

          Gruß
          Bernie

  3. Bereits 1952 erschien Robert Merls Roman ,,Der Tod ist mein Beruf” über eben diesen Kommandanten und sein Lager. EIn meiner Meinung nach sehr objektiver Roman. Ob dieser Film diesen Anspruch auch erfüllen kann ?

  4. Problematisch finde ich, wenn der Hauptdarsteller in der Sächsischen Zeitung bekundet, dass der Film gerade zur richtigen Zeit kommt – sein Stichwort heißt dabei “Deportation”. Ich weiß nicht, was ich von Kulturschaffenden halten soll, die nach einer möglichst perfekten, detailreichen und “natürlichen” Darstellung von Nazis streben.

    1. “Ich weiß nicht, was ich von Kulturschaffenden halten soll, die nach einer möglichst perfekten, detailreichen und „natürlichen“ Darstellung von Nazis streben.”
      Es ist das Faszinosum, das immer noch vom 3 Reich und seiner Kultur ausgeht.
      An sich ist die Idee des Filmes gut aber dass er wiedermal Auchwitz als Thema nimmt vergibt die Chance darzustellen, dass dieses Verhalten keine Ausnahme ist sondern menschliches Standardverhalten.
      Jeder hat sich zu allen Zeiten seinen Referenzrahmen gestrickt, in dem ihm Andere am Arsch vorbei gehen.
      Sei es der Großagrarier, der neben den Ställen lebt wo er tausende Tiere sadistisch quält, seien es die CDU/FDP/Grünen Blockparteien die gnadenlos Ukrainer für ihre Wahn verheizen. Seien es die hedonistischen Konsumbürger denen egal ist wer ihr wegwerf-Klamotten unter welchen Bedingungen genäht hat… ließe sich beliebig fortsetzen. Die manische Fixierung auf das 3. Reich ist neben der uneingestandenen Faszination auch ein einziger Ablasshandel, mit dem man sich von seiner eigenen Schäbigkeit und Minderwertigkeit freikaufen will.

      1. Lieber Grottenolm,

        man sollte aber nicht vergessen zu erwähnen, dass in Filmen über das Dritte Reich weder die wahre Perfidie der Nazis zum Zuge kommt, die sich für Götter, aka Herren über Leben und Tod der NS-Opfer, hielten, und in ihrer Unmenschlichkeit sogar soweit gingen die Rivalitäten der Lager- oder Ghettoinsassen untereinander auch noch von oben herab anzuheizen, und auszunutzen – das mancht den Genozid, dass NS-Menschheitsverbrechen nicht weniger schlimm, dass eben nicht eine einheitliche Opferidentität bestand. Leider ist das wohl ein Thema auf das wir lange, wenn überhaupt, nie eine Antwort – außer aus Büchern längst verstorbener Autoren – erhalten.

        Mich hat das Buch des amerikanisch-jüdischen Schriftstellers Raul Hilberg “Die Vernichtung der europäischen Juden” in dieser Hinsicht mehr überzeugt als jeder Film – aber wie schon gesagt, dass wird nie verfilmt werden, und Raul Hilberg hat zu Lebzeiten, er möge in Frieden ruhen, wegen dieses Buches mächtigen Ärger mit den jüdischen Mitmenschen bekommen, weil er eben die Tatsache auf den Punkt brachte, dass die Sakralisierung der jüdischen NS-Opfer nicht hilfreich wäre. Es waren eben nicht alles Heilige, die in den Lagern landeten – nein, es gab auch echte Kriminelle darunter, oder solche, die eben andere verrieten um selber zu überleben – was die Nazis aber nie einhielten. Darauf wies Raul Hilberg hin, und wie schon gesagt, dass ist auch 2024 noch ein sehr sensibles Thema, dass aber nicht hilfreich ist, und den Genozid keineswegs weniger schlimm dastehen läßt – es war eben ein komplettes “Volk” dass von den Nazis vernichtet werden sollte – ganz generell, und wie oben erwähnt in ihrer Perfidie waren die NS-Täter noch so drauf denen Hoffnung zu machen, wo es von vorneherein keine Hoffnung gab – war der jeweilige Betroffene in der Ghetto- oder Lagergegenwart jedoch nicht wissen konnte, und – in vielen Fällen – nie erfahren durfte, da vorher umgebracht……ein, auch wie oben erwähnt, bis heute sehr sensibles Thema, dass Mensch immer noch besser unter den Tisch fallen läßt, und ganz sicher nie verfilmt wird – im Land der NS-TäterInnen.

        Gruß
        Bernie

        PS: In vielen Büchern Holocaust- bzw. Shoa-Überlebender kommt das übrigens auch vor, aber ich bin sicher, dass wird nie verfilmt werden – zu gefährlich, da Mensch da tatsächlich auch Parallelen zu anderen hochaktuellen Themengebieten 2024 entdecken könnte – wo falsche Versprechungen, falsche Hoffnungen machen, und Ausnutzen von Rivialitäten unter den betroffenen Menschen, auch heute eine Rolle spielen…..man läßt es besser sein…..und zwischen den Buchdeckeln der Shoa-Überlebenden begraben…..das verfilmen? Neverever….

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