Auf der Suche nach dem Heiligen

Psychodelic
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Steckt in psychoaktiven Stoffen etwas Transzendentes? Und sind sie deshalb heute verboten, weil sie Einblicke ihn Höheres geben könnten? Ein Essay.

„Ich habe das Sanctus, Sanctus, Sanctus von den Kardinälen in Sankt Peter, und das Swiat, Swiat, Swiat in der Kathedrale des Kreml, das Hagios, Hagios, Hagios vom Patriarchen in Jerusalem gehört. In welcher Sprache sie immer erklingen, diese erhabensten Worte, die von Menschenlippen gekommen sind, immer greifen sie in die tiefsten Gründe der Seele, aufregend und rührend mit mächtigem Schauer das Geheimnis des Überweltlichen, das dort unten schläft.“
– Rudolf Otto, Das Heilige (1917) –

„Wenn LSD auch nur einem Prozent eine spirituelle Erfahrung vermitteln kann, sollte es wie der heilige Gral behandelt werden.“
– Fritz Winkelstroeter, Schüler von Sri Aurobindo –

Seit die vorgeschichtlichen Menschen sich in der Savanne Ostafrikas vor mehr als 100.000 Jahren auf den Weg gemacht haben, um großflächig den Planeten Erde zu bevölkern, haben sie begonnen, eine Kultur zu entwickeln. Anthropologen gehen von der Hypothese aus, dass bei diesen frühen Hominiden vor allem angesichts der Erfahrung des Todes ein Prozess der Selbstreflexion in Gang gesetzt wurde, in dessen Verlauf sie sich auch mit grundlegenden Fragen des Daseins nach dem Woher und Wohin des Lebens konfrontiert sahen. Nach hunderttausenden von Jahren, in denen sich die Primaten zumeist auf allen Vieren fortbewegt hatte, richtete sich das Menschenwesen irgendwann auf. Als Homo erectus war er nun in der Lage, einen weiteren Horizont zu überblicken als der rein erdverhaftete Affe. Auf der Suche nach Nahrung für sich und nach Weidegründen für seine Herden überprüfte er alles, was ihm die Natur zur Verfügung stellte, auf seine Essbarkeit. Dabei stieß er auch auf etwas, das auf den Exkrementen von Wildrindern wuchs. Es war ein psychoaktiver Pilz. Nach dessen Genuss gingen Homo erectus buchstäblich die Augen auf. Auf wunderbare wie unerklärliche Weise erweiterte sich seine Wahrnehmung und er begann zum ersten Mal, über sich und seine unmittelbaren Lebensumstände hinaus das Leben in einem anderen Licht zu sehen. In jener frühen Vorzeit entstanden auch erste religiöse Rituale. Es entwickelten sich erste Formen von Naturmagie und – das Gehirn des Homo erectus begann zu wachsen. In der weiteren Folge entfalteten sich immer komplexere Formen eines Schamanismus, in dem sich Heilkunst und ein spezifischer Sinn für das Heilige auf geheimnisvolle Weise zu einer Urform religiöser Verehrung verbanden.

Die Erfahrung von radikalen Bewusstseinsveränderungen nach dem Genuss von bestimmten Pilzen, führten die Urmenschen fortan auf einen ganz neuen evolutionären Pfad in Richtung des bislang Unsagbaren und Ungesehenen. Die Schamanen sprachen von den Speisen der Götter, welche es den Menschen ermöglichten, Ursprung und Ziel ihrer Existenz zu ergründen. Die Suche nach dem Heiligen hatte begonnen.

Wie sehr sich Erkenntnis und Wissen im Laufe der Menschheitsentwicklung auch vermehrt haben, so sind die Grundzüge des menschlichen Bewusstseins im Laufe der Jahrtausende von den Frühformen des Homo erectus bis zum heutigen Homo sapiens gleich geblieben. Es sind die gleichen Grundprobleme und Sehnsüchte, die, seit es Geschichtsschreibung gibt, die Menschheit beschäftigen: einerseits die Auseinandersetzung mit der materiellen Außenwelt, mit der Natur, zur Sicherung und Befriedigung der leiblichen Bedürfnisse, andererseits das Streben nach dem, was über den Menschen hinausweist, als ein Suchen nach Sinn und der Überwindung der Dualität der Subjekt-Objektspaltung.

Überall wird heute spürbar, wie notwendig der Zustand eines gesunden Gleichgewichtes auf unserem Planeten ist: im ökologischen, kulturellen wie politischen Sinn, – und ebenso auf dem Feld der Religionen.

Imposantes Beispiel eines solchen ausgleichenden Systems stellen die eleusinischen Mysterien dar, deren Wiege etwa 1.500 Jahre vor unserer Zeitrechnung im griechischen Eleusis stand.

„Glückselig ist der von den Menschen auf Erden, der das geschaut hat: Wer nicht in die heiligen Mysterien eingeweiht wurde, wer keinen Teil daran gehabt hat, bleibt ein Toter in dumpfer Finsternis.“

So lautet die Lobpreisung aus einer Hymne des Dichters Homers an die Göttin Demeter. Die Mysterien von Eleusis waren die bedeutendsten ihrer Art im Altertum. Sie bestanden über einen Zeitraum von 2.000 Jahren bis ins vierte nachchristliche Jahrhundert. Gefeiert wurden sie in dem kleinen Ort Eleusis – 20 Kilometer von Athen entfernt – zu Ehren der Pflanzengöttin Demeter und ihrer Tochter Persephone.

 

Die Geschichte, die zur Gründung des Heiligtums von Eleusis geführt hat, ist ausführlich in der genannten Homerischen Hymne dargestellt. Als Persephone, Tochter von Zeus und Demeter, eines Tages Blumen pflückte, wurde sie von Hades entführt, dem Gott der Unterwelt. Vergeblich wurde sie von ihrer Mutter gesucht. Sie erfuhr schließlich vom Raub der Tochter durch Helios. Tieftraurig blieb Demeter dem Olymp fern, da sie erfahren hatte, dass auch Zeus, ihr Gemahl, mit der Entführung einverstanden gewesen war. Als einfache Frau verkleidet, mischte sich Demeter unter die Menschen und wurde freundlich im Palast des König Keleos von Eleusis und dessen Frau Metaneira aufgenommen. Als Dank für die Gastfreundschaft stiftete Demeter in Eleusis einen Tempel, nachdem sie sich als Göttin zu erkennen gegeben hatte.

Um die olympischen Götter für den Raub ihrer Tochter zu strafen, ließ Demeter alle Pflanzen auf der Erde sterben, so dass die Menschheit vom Untergang bedroht war. Die Götter fürchteten, auf diese Weise die Anbetung und Opfergaben der Menschen zu verlieren, und baten Demeter, die Erde wieder fruchtbar zu machen. Sie kam dieser Bitte erst nach, nachdem Zeus seinem Bruder Hades in der Unterwelt befohlen hatte, die schöne Persephone ihrer Mutter zurückzugeben, doch musste Persephone jeweils für ein Drittel des Jahres zu ihrem Gatten in die Unterwelt. Dann wurde es auf Erden Winter, doch alljährlich mit Persephones Rückkehr auf die Erde im Frühling erwachte die Pflanzenwelt zu neuer Fruchtbarkeit.

Bevor Demeter wieder zu den anderen Göttern auf den Olymp zurückkehrte, gab sie dem König Keleos von Eleusis Anweisungen, wie in ihrem Tempel Riten zu ihren Ehren durchzuführen seien. Es waren streng geheime Vorschriften, Mysterien, die genau eingehalten werden mussten und deren Bekanntgabe oder Verletzung die Todesstrafe nach sich zog. Als Dank für den guten Ausgang des Dramas von Eleusis schenkte Demeter dem ersten Eingeweihten (Triptolemos), eine Getreideähre mit dem Auftrag, die Menschen den Ackerbau zu lehren.

Der Kult um Demeter und Persephone in Eleusis, dem am Anfang wohl nur lokale Bedeutung zukam, wurde bald zu einem bedeutsamen Teil des athenischen Staatslebens, entwickelte sich dann weiter zu einer panhellenistischen Institution und bekam zur Zeit des römischen Imperiums universelle Bedeutung.

Dieser kulturübergreifende Charakter der eleusinischen Mysterien ist bereits im Jahr 760 vor unserer Zeitrechnung (z. Zt. der fünften Olympiade) bezeugt, als damals das Orakel von Delphi alle Griechen zu gemeinsamen Opfern zu Ehren der Demeter von Eleusis aufrief, um einer Hungersnot zu begegnen, die damals ganz Griechenland überzog.

Worin bestand die Botschaft, die in Eleusis verkündet wurde und die diesen Kult zu den einflussreichsten und geistig bedeutendsten Mysterien des Altertums werden ließ? Diese Frage kann im Einzelnen nur bedingt beantwortet werden, da der Schleier des Verborgenen, Geheimnsivollen, der durch das strenge Gesetz der Geheimhaltung gegeben war, über die Jahrtausende nicht gelüftet wurde.

Über die Grundzüge und die spirituelle Bedeutung, die die Lehre von Eleusis hatte, können wir uns aufgrund der Zeugnisse von großen Eingeweihten zumindest eine grobe Vorstellung machen (Marc Aurel, Cicero, Kaiser Julian, Pausanias, Pindar).

Es war keine eigentlich andere, neue Religion, die da verkündet wurde; das kann daraus geschlossen werden, dass die Eingeweihten, wenn sie von den Mysterien in ihren Heimatort zurückkehrten, dort dem Kult der einheimischen Religion treu blieben.

Es müssen Offenbarungen über das Wesen der menschlichen Existenz gewesen sein, über den Sinn von Leben und Tod, die dem Eingeweihten zuteilwurden. Man weiß von Gebeten an die Göttin der Erinnerung (Mnemosyne), in denen die Menschen darum flehten, sie möge die Erinnerung an das Geschaute wachhalten, denn diese heilige Erfahrung sollte etwas bleiben, das auf das ganze Leben ausstrahlte und die Existenz verwandelte.

 

Was dieses transzendente Erlebnis so besonders machte, kann weniger mit dem äußeren Geschehen beschrieben werden. Es bewirkte einen grundlegenden Wandel im psycho-spirituellen Erleben des Initianden. Das geht aus den überlieferten Zeugnissen berühmter Eingeweihter hervor.

Der Dichter Pindar spricht vom eleusinischen Segen in folgenden Worten:

„Glückselig ist – wer, nachdem er dieses geschaut, den Weg unter die Erde betritt. Denn er kennt von nun an das Ende des Lebens und dessen von Zeus gegebenen Anfang.“

Cicero bezeugt gleichfalls, welcher Glanz von Eleusis auf sein persönliches Leben fiel:

„Nicht nur haben wir dort den Grund erhalten, dass wir in Freude und Schönheit leben, sondern auch dazu, dass wir mit besserer Hoffnung sterben.“

Die Eingeweihten erlebten offenbar in der Vision die Ganzheit des Seins und den ewig schöpferischen Urgrund. Es muss eine Begegnung mit dem Unaussprechlichen, nur metaphorisch Darstellbaren, eine Begegnung mit dem ewigen Leben hinter dem Wandel von Geburt und Tod, eine leibhaftige Begegnung mit dem Göttlichen gewesen sein.

Auffallend ist, wie das Erlebnis von Eleusis immer wieder in Antithesen beschrieben wird. Finsternis und Licht, Erschauern und Seligkeit. Diese Ambivalenz taucht auch in anderen Beschreibungen auf wie in der des Aelius Aristides, Eleusis sei zugleich das Erschauerndste und das Lichteste von allem, was für Menschen göttlich sei. – Kaiser Marc Aurel nennt unter den Gaben, in denen die Fürsorge der Götter für die Menschen sichtbar werde, auch die Mysterien von Eleusis.

So viel uns über die Bedeutung des in den Mysterien vermittelten visionären Erlebens überliefert ist, so wenig weiß man vom Aufbau des Rituals, durch das den Eingeweihten die ekstatische Vision vermittelt wurde. Dagegen sind die Geschehnisse auf dem langen Weg, der zum zentralen Ritual im Telsterion führte – dem innersten Heiligtum, ausführlich dokumentiert.

Sie begannen mit den „Kleinen Mysterien“, die im Frühling in Athen (Monat Anthesterion) abgehalten wurden. Auch die Feiern der eigentlichen, der „Großen Mysterien“ begannen in Athen. Sie wurden jährlich im Herbst (Boedromion – September bis Anfang Oktober) durchgeführt. Nach 4-tägigen Riten in der Stadt begann am fünften Tag mit großem Pomp der feierliche Festzug von Athen nach dem ca. 20 Kilometer entfernten Eleusis.

Während der Prozession wurden Opferfeiern und Reinigungszeremonien durchgeführt, die in aller Öffentlichkeit stattfanden und die daher in allen Einzelheiten überliefert worden sind. Der sechste Tag wurde in Eleusis in der Umgebung und in den äußeren Bezirken des Heiligtums mit reinigendem Fasten verbracht. Was dann in der Nacht auf dem Höhepunkt des Festes im Inneren des Heiligtums (Telesterion) geschah, in das nur noch die Priester und Einzuweihenden Zutritt hatten, ist im Wesentlichen ein Geheimnis geblieben. Das Gesetz der Geheimhaltung wurde über alle Zeit befolgt.

Was man aber weiß ist, dass vor dem Höhepunkt der Einweihung, vor der erleuchtenden Schau, den Einzuweihenden ein heiliger Trank verabreicht wurde, der Kykeon. Es ist auch überliefert, dass der Kykeon aus Gerste und Minze bereitet wurde. Seit Ende der 70er Jahre haben Eleusis-Forscher (Gordon Wasson, Albert Hofmann, Carl Ruck) die Hypothese aufgestellt, der Kykeon müsse außerdem einen psychoaktiven Wirkstoff enthalten haben. Das würde erklären, warum es den Priestern möglich war, Hunderte von Einzuweihenden gleichzeitig, sozusagen programmmäßig, in einen ekstatisch-visionären Zustand zu versetzen.

Damit wurde das Problem des Kykeon zu einem wesentlichen Teil des Geheimnisses um Eleusis. Konnte die visionäre Schau durch uns unbekannte Riten allein hervorgerufen werden – oder wurde dem Kykeon ein Psychopharmakon, ein ekstatische Zustände erzeugender Pflanzenextrakt zugesetzt?

Damit ist auch ein aktuelles Problem unserer Zeit angesprochen. Es geht um die Frage, ob die Anwendung von bewusstseinsverändernden Pflanzenstoffen zur Erlangung neuer Einsichten in die transzendente Welt erkenntnistheoretisch, medizinisch, ethisch und religiös vertretbar ist.

Wenn der Trank einen psychoaktiven Wirkstoff enthielt, welcher könnte es gewesen sein? Mit dieser Frage haben sich der Mysterien-Forscher Karl Kereny, der Ethnomykologe Gordon Wasson, der Altertumsforscher und Ethnobotaniker Carl Ruck sowie der Pharmakologe Albert Hofmann beschäftigt. Die gemeinsamen Nachforschungen dieser vier Forscher an der Harvard-Univerität deckten interessante mögliche Zusammenhänge auf zwischen dem Mysterienkult von Eleusis und heute noch existierenden Kulten bei Indianerstämmen in abgelegenen Gebieten von Südmexiko.

Die Heilpriester der Indianer (Schamanen) verwenden seit Jahrhunderten Extrakte aus bestimmten Windensamen sowie Mutterkorn-Wucherungen, die auf Wildgräsern und Getreidearten wachsen, um visionserzeugende Zustände zum Zweck physischer und psychischer Heilung herbeizuführen.

 

Diese Pflanzenextrakte enthalten Alkaloide, die eine starke bewusstseinserweiternde Wirkung haben. Für Wasson, Ruck und Hofmann war es naheliegend, aus diesen Befunden die Hypothese abzuleiten, dass als bewusstseinsverändernder Zusatz zum Kykeon die gleichen psychoaktiven Wirkstoffe verwendet wurden, die heute noch zur Bereitung des sakralen indianischen Trankes im Gebrauch sind. Die Priester von Eleusis brauchten nur von dem in der Umgebung des Heiligtums vorkommenden Paspalum-Grases das dunkel hervorwuchernde Mutterkorn abzulesen, es pulverisieren und dem Kykeon zuzusetzen, um ihm bewusstseinsverändernde Potenz zu verleihen.

Diese Zusammenhänge sprechen dafür, dass im Heiligtum der Korngöttin Demeter ein aus einem speziellen Mutterkorn bereiteter Trank die sakrale Droge von Eleusis gewesen sein könnte.

Eine weitere Verknüpfung von Mutterkorn mit Eleusis könnte auch darin gesehen werden, dass das Ritual im Heiligtum das Vorzeigen einer Kornähre durch den Priester beinhaltete. Dies ist in Verbindung gebracht worden mit dem Mythos vom Gerstenkorn, das in der Erde versenkt stirbt, um einer neuen Pflanze das Leben zu geben, die im Frühjahr wieder ans Licht emporsteigt, Symbol für den jährlichen Wechsel von Persephone im Dunkel der Unterwelt und im Licht des Olymp, Symbol auch für die Fortdauer des Lebens im Wandel von Sterben und Neu-Geborenwerden.

Wenn die Hypothese stimmt, dass im Kykeon eine bewusstseinsverändernde Substanz vorhanden war, wofür die genannten Argumente sprechen, dann verbindet die Mysterien von Eleusis mit unserer Zeit nicht nur ein geistig-existentielles Anliegen, sondern auch noch das Problem der umstrittenen Anwendung von psychoaktiven Stoffen zur Erlangung mystischer Einsichten in Lebensrätsel, Lebenssinn und Transzendenz.

Es stellen sich zwei Fragen:

  • Was war die geistesgeschichtliche Funktion der eleusinischen Mysterien in der griechischen Antike?
  • Warum und wie weit können sie ein Vorbild in unserer Zeit sein?

Die große Bedeutung und die lange Dauer der Mysterien weisen darauf hin, dass sie einem tiefen seelischen Bedürfnis, einer geistigen Sehnsucht entgegenkamen. Wenn wir z.B. der Ansicht Nietzsches folgen, dann war es ein gespaltenes Wirklichkeitsbewusstsein, das den griechischen Geist von Anbeginn kennzeichnete. Griechenland war die Wiege eines Wirklichkeitserlebens, in dem das Ich sich von der Außenwelt getrennt fühlte. Hier hat sich die bewusstseinsmäßige Trennung von Individuum und Umwelt – von Subjekt und Objekt – früher als in anderen Kulturen herausgebildet. Diese dualistische Weltsicht, die Gottfried Benn als „europäische Schicksalsneurose“ bezeichnete, hat in der Folge die europäische Geistesgeschichte entscheidend geprägt und ist heute noch in der westlichen Welt voll wirksam.

Ein Ich, das fähig ist, sich der Außenwelt gegenüber zu stellen, das die Welt als Gegenstand, als Objekt betrachtet, – dieser der Objektivierung der Außenwelt fähige Geist war die Voraussetzung für die Entstehung der wissenschaftlichen Naturforschung. Diese Stellung des Menschen der Natur gegenüber, von der aus eine durchgreifende Naturbeherrschung möglich wurde, hat im 17. Jahrhundert Descartes klar formuliert und philosophisch begründet. In Europa ist dann eine ganz dem Objektivierbaren, Messbaren zugewandte Naturforschung aufgekommen, der es gelang, die physikalischen und chemischen Gesetze des Aufbaus der materiellen Welt zu beschreiben. Ihre Kenntnisse ermöglichten eine vorher nie da gewesene Nutzung der Natur und ihrer Kräfte. Sie führte zu Industrialisierung und Technisierung. Das brachte einem Teil der Menschheit einen früher kaum vorstellbaren Komfort und materiellen Wohlstand. Gleichzeitig war aber damit eine katastrophale Zerstörung der natürlichen Umwelt verbunden, die sich heute zu einer globalen ökologischen Krise gesteigert hat.

 

Der Keim zu dieser dualistischen Weltsicht mit ihren heute sichtbaren negativen Folgen, war in der griechischen Antike angelegt. Der griechische Genius versuchte die Heilung, indem er die äußere, materielle, dem Apollo unterstehende sichtbare Welt zu maximaler Schönheit gestaltete und dieses farbenreiche, sinnenfreudige, aber auch leidvolle apollinische Weltbild durch die dionysische Erlebniswelt ergänzte, in der die Subjekt-Objekt-Spaltung im ekstatischen Rausch aufgehoben ist.

Nietzsche schreibt über das dionysische Welterleben in „Die Geburt der Tragödie“:

„Entweder durch den Einfluss des narkotischen Getränkes, von dem alle ursprünglichen Menschen und Völker in Hymnen sprechen, oder bei dem gewaltigen, die ganze Natur lustvoll durchdringenden Nahen des Frühling erwachen jene dionysischen Regungen, in deren Steigerung das Subjektive zu völliger Selbstvergessenheit hinschwindet … Unter dem Zauber des Dionysischen schließt sich nicht nur der Bund zwischen Mensch und Mensch wieder zusammen, auch die entfremdete, feindliche und unterjochte Natur feiert wieder ihr Versöhnungfest mit ihrem verlorenen Sohn, dem Menschen.“

Die Mysterien von Eleusis waren eng mit den Feiern zu Ehren des Gottes Dionysos verbunden. Sie trugen wesentlich bei zur Heilung und Überwindung der Spaltung von Mensch und Natur, man kann auch sagen: zur Aufhebung der Trennung von Schöpfer und Geschöpf. Das war die eigentlich große Aufgabe von Eleusis. Die kulturhistorische Bedeutung, ihr Einfluss auf die europäische Geistesgeschichte, kann kaum überschätzt werden. Hier fand der durch seinen rationalen, objektivierenden Geist gespaltene, leidende griechische Mensch Heilung in einem mystischen Ganzheitserlebnis, das ihn an die Unsterblichkeit in einem ewigen Sein glauben ließ.

Im Urchristentum hat dieser Glaube, wenn auch mit anderen Symbolen, weitergelebt. Er findet sich als Verheißung noch an einzelnen Stellen der Evangelien, z.B. in Johannes 14,16-20:

„Ich will den Vater bitten, er soll euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch bleibe ewiglich: den Geist der Wahrheit… an dem Tage werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin und ihr in mir und ich in euch.“

Hier wird der Dualismus aufgehoben. Das kirchliche Christentum, bestimmt vom Dualismus Schöpfer/Geschöpf, hat aber mit seiner naturfremden Religiosität das eleusinisch-dionysische Vermächtnis der Antike weitestgehend ausgelöscht. Im christlichen Glaubensbereich bezeugen nur einzelne begnadete Menschen eine im spontanen visionären Erleben erfahrene, zeitlose, tröstliche Wirklichkeit, zu der im Altertum Ungezählte durch die Weihe in Eleusis Zugang hatten.

Die Unio mystica der katholischen Heiligen und die visionäre Schau, wie sie Vertreter der christlichen Mystik in ihren Schriften schildern (Jacob Böhme, Meister Eckhart, Angelus Silesius, Johannes vom Kreuz, William Blake) sind offensichtlich wesensverwandt mit der Erleuchtung, die den Eingeweihten in Eleusis zuteilwurde.

Die grundlegende Bedeutung eines mystischen Ganzheitserlebnisses für die Gesundung der an einem einseitig rational-materialistischen Weltbild krankenden Menschheit wird heute nicht nur von Anhängern östlicher religiöser Strömungen, sondern auch von führenden Vertretern der Psychologie und Psychiatrie in den Vordergrund gestellt. Umso mehr als nicht nur medizinische, sondern immer weitere, auch kirchliche Kreise die Überwindung des dualistischen Weltbildes als Voraussetzung und Grundlage für die Gesundung und geistige Erneuerung der abendländischen Zivilisation und Kultur betrachten.

Voraussetzung für einen sinnvollen Einsatz und psychisch gewinnbringenden Verlauf psychoaktiver Substanzen, die man mit der Sprache des Schamanismus als „Speisen der Götter“ bezeichnen kann, ist der äußere Rahmen und die geistige Vorbereitung des Probanden, wie das in Eleusis in vorbildlicher Weise geschah. Die Indianer Mexikos glauben, dass, wenn der heilige Trank Ayahuasca von einer Person eingenommen wird, die sich nicht durch Fasten und Beten auf die entsprechende Zeremonie vorbereitet hat, diese Person wahnsinnig wird oder gar stirbt.

Diese weise und vorsichtige Anwendung, die auf jahrtausendealter Erfahrung beruht, wurde leider beim Gebrauch psychedelischer Substanzen in unserer Gesellschaft häufig nicht beachtet. Entsprechend waren die Folgen in Form von psychotischen Zusammenbrüchen. Das führte in den 1960er Jahren zum Verbot einer Anwendung dieser Substanzen, auch in der Schulpsychiatrie.

In Eleusis, wo die Vorbereitungen und die einrahmenden Zeremonien optimal waren, haben diese Substanzen einen segensreichen Gebrauch gefunden.

 

Eine grundsätzliche Frage: Warum wurde in Eleusis in religiös-zeremoniellem Rahmen dieser Typ psychoaktiver Substanz eingesetzt? Und warum ist eine solche Anwendung im christlichen Gottesdienst kaum denkbar (mit wenigen Ausnahmen: Native American Church, Santo Daime Kirche, Brasilien)

Die Antwort lautet: Weil im christlichen Gottesdienst ausschließlich eine im Himmel thronende göttliche Macht verehrt wird, also eine Macht außerhalb des Individuums. In Eleusis wurde dagegen im Inneren des einzelnen Menschen ein Wandel angestrebt, eine visionäre Schau in den Seinsgrund, die ihn zum Mysten, zum Eingeweihten machte … gewissermaßen nach dem Motto: „Auf dass Gott schön werde in uns!“

Angesichts der immensen Bedeutung des eleusinischen Götterfunkens mag es vielleicht ein Skandalon sein, in das Zentrum des Metaphysischen, Übernatürlichen und Göttlichen eine vermeintliche Ausgeburt des „Reiches des Bösen“ – die sakrale Droge – zu stellen und den profanen Genuss einer natürlichen Pflanzensubstanz als Quelle des Heiligen zu identifizieren. Eleusis schafft nichts anderes als die Verbindung der abendländischen Kulturgeschichte mit der Kultur- und Religionsgeschichte anderer Erdteile, denn überall auf der Welt und seit mindestens 6.000 Jahren haben die Völker für den Blick über den Zaun von Raumzeit und Sterblichkeit hinaus auf die Hilfe von Pflanzen zurückgegriffen, die ihre Ziele auf andere, unerhörte Programme ausrichteten, welche sie einbanden in das Netz der Unendlichkeit und in den pulsierenden Geist des werdenden und vergehenden Lebens.

Eleusis als Tempel abendländischer Spiritualität und Weisheit mit Sokrates und Platon als Euroschamanen an der Schwelle zum Denken der Moderne ist noch nicht annähernd gewürdigt und in den Blick genommen worden, wie es seiner faktischen Bedeutung gleichkommt.

Platons Haus, in dem er seine Schüler unterrichtete, lag an der Straße nach Eleusis; und es ist zu vermuten, dass er selbst mehr als einmal an den Mysterien teilgenommen hat. Denn erst im Licht von Eleusis lässt sich Platons Philosophie (angefangen beim Höhlengleichnis) verstehen. Dogmatisch dem Dualismus verhaftete Philosophen und Theologen mögen protestieren. Aber es war keine windige Theorie, die Platon von einem Reich der reinen Idee, des Geistes, des Immateriellen sprechen ließ, von der unsere materielle Welt nur ein schattenhaftes Abbild darstellt. Es war das konkrete Erleben dieser wahrhaft wirklichen, (psychedelisch wirkenden) Realität: die entgrenzende, überschreitende, bewusstseinserweiternde Erfahrung in Eleusis. Man könnte ja auf dem Hintergrund des Gesagten einmal den verwegenen Versuch einer These wagen, mit der (Nietzsche-modifizierten) Überschrift „Die Geburt der Philosophie aus dem Geist des Mutterkorns“.

„Gibt es nur einen einzigen Griechen“, fragte rhetorisch Aristides etwa um das Jahr 150, „oder einen einzigen Barbaren nur, der so unwissend, so gottlos ist, dass er Eleusis nicht als gemeinsamen Tempel der Welt ansieht?“

Dass die damals noch bedeutungslose jüdische Sekte der Christen so stark und gottlos werden könnte, dass sie diesen Tempel 200 Jahre später zerstören würde, war zu Zeiten von Aristides noch nicht abzusehen.

Wie wäre es, wenn ernsthaft – und zwar nicht nur archäologisch – darüber nachgedacht werden würde, Eleusis wieder aufzubauen? … und wir damit die Navigation durch die Realität, die profane wie die göttliche, in all ihrer Schönheit wieder selbst in die Hand nehmen würden?

… wenn die Suche nach dem Heiligen auf den Wegen psychoaktiver Substanzen wieder legal erfolgen dürfte.

… und wenn wir den Mut der Mühen und Ekstasen auf uns nähmen, um die inneren Seelen-Räume zwischen Glück und Zweifel auszumessen und uns eins zu fühlen mit dem Netzwerk des Lebens?

All das wird auf den Eleusis-Akademien der Zukunft gelernt werden können.

Bis es soweit ist, beschleunigt der transpsychedelische Express als Untergrundbahn weiter in die Zukunft und verbindet sie mit den Ursprüngen menschlichen Erkennens, der universellen Weisheit und Religio. Wann und wo er wieder ans Tageslicht kommt, wird auch darüber entscheiden, wie lange und wie oft wir als Barbaren Babylon, Auschwitz, Gaza und andere apokalyptische Szenarien wiederholen müssen.

 

Es gäbe noch Unglaubliches zu entdecken auf dem Weg zu einer „Wirklichkeit, die sich zu dem, was wir gewöhnlich so nennen, verhält wie die Musik von Mozart zum Geräusch einer Straßenbahn.“ – So beschrieb es der Teilnehmer einer heiligen Zeremonie. Weiter berichtet dieser Psychonaut:

„Jenseits der Zeitmauer gibt es einen anderen Himmel und eine andere Erde und es ist alles ganz anders, als man es uns gesagt hat. – Wagen wir den Ausbruch aus der kollektiven Halluzination des aktuellen politischen Wahnsinns, beenden wir den Guerillakrieg der Großhirnrinde und der Nervensysteme; Nächstenliebe ist ganz und gar eine Frage der Nerven und ‚alle Kreatur wartet auf Erlösung durch die Kinder Gottes‘ und ‚es kann keiner dem anderen geben, es muss es ein jeder von Gott erlangen‘ (Jacob Böhme). – Endlich entdecke Ich, was dieses geheimnisvolle Bewusstsein ist – ein sphärisches Licht mit undefinierten Grenzen, in dem die Welt erschein. Ich befinde mich im Zentrum dieser Sphäre. Das Licht ist identisch mit meinem Selbstgefühl. Ich bin dieses Licht. Mein Leib befindet sich innerhalb seiner Sphäre. Das Licht kann sehen, hören, fühlen, schmecken, tasten, den Leib bewegen, Gedanken hören, sich erinnern. Das Licht kann Empfindungen und Gefühle deuten und verstehen. Das Licht kann denken. Wenn ich schlafe, verschwindet die Welt, die Ich kenne, und das Licht bewegt sich in anderen Welten, die Ich nicht kenne und in denen anderer Gesetze zu herrschen scheinen.“

Auf solch außergewöhnlicher Suche mag der mutige psychonautische Zeitgenosse entdecken, was das Heilige jenseits ausgetretener Pfade religiöser Großorganisationen – genannt „Kirchen“ – noch ausmacht. Allen Ginsberg, der große US-amerikanische Beat-Poet, hat es 1955 auf unvergleichliche Weise beschrieben:

Fußnote zum Geheul

Heilig heilig heilig heilig heilig heilig heilig heilig heilig heilig heilig heilig heilig heilig heilig

Die Welt ist heilig, die Seele ist heilig, die Haut ist heilig, die Nase ist heilig, Zunge und Schwanz und Hand und Arschloch sind heilig, alles ist heilig, jeder ist heilig, überall ist heilig, jeder Tag ist in Ewigkeit – jeder Mann ist ein Engel, der Landstreicher so heilig wie die Seraphim, der Irre so heilig wie du, meine Seele heilig bist.

Die Schreibmaschine ist heilig, das Gedicht ist heilig, die Stimme ist heilig. Die sie hören sind heilig, die Ekstase ist heilig.

Heiliger Peter, heiliger Allen, heiliger Solomon, heiliger Lucien, heiliger Kerouac, heiliger Huncke, heiliger Burroughs, heiliger Cassady.

Heilig die namenlosen, geschundenen und leidenden Bettler, heilig die entsetzlichen Engel in Menschengestalt, heilig meine Mutter in der Irrenanstalt, heilig die Schwänze der Großväter aus Kansas, heilig das stöhnende Saxophon, heilig die Bebop-Apokalypse, heilig die Jazz Bands, Marihuana-Freaks, Frieden, Peyote, Pfeifen & Trommeln.

Heilig die Einsamkeit der Wolkenkratzer und Straßen, heilig die Cafeterias, voll von den Millionen, heilig die geheimnisvollen Ströme der Tränen unter dem Pflaster, heilig der einsame Moloch, heilig das ungeheure Lamm der Mittelschicht, heilig die wahnsinnigen Hirten der Rebellion.

Wer Los Angeles gut findet, der ist Los Angeles.

Heilig New York, heilig San Francisco, heilig Peoria & Seattle, heilig Paris, heilig Tanger, heilig Moskau, heilig Istanbul, heilig die Zeit in Ewigkeit, heilig die Ewigkeit in

der Zeit, heilig die Uhren im Raum, heilig die vierte Dimension, heilig die fünfte Internationale, heilig der Engel in Moloch.

Heilig das Meer, heilig die Wüste, heilig die Eisenbahn, heilig die Lokomotive, heilig die Visionen, heilig die Halluzinationen, heilig die Wunder, heilig der Augapfel, heilig der Abgrund

Heilig die Vergebung, Barmherzigkeit, Nächstenliebe, Glaube, heilig unser Körper.

Leiden – Großmut

Heilig – die übernatürliche – ungeheure – strahlende – intelligente – Güte der Seele!

Wie eine Suche nach dem Heiligen auf dem Pfad der Schamanenpilze aussehen könnte, hat Walther Pahnke 1962 im so genannten Marsh-Chapel-Experiment näher untersucht.

Der Arzt und Theologe von der Harvard University wollte herausfinden, ob psychedelische Drogen mystische Gefühle erzeugen können, wie sie sonst nur wenige Leute zum Beispiel in religiöser Trance erlebten. Das hatten die Benutzer von LSD, Psilocybin oder Meskalin immer wieder behauptet.

Am Karfreitag 1962 nahmen 20 christliche Theologiestudenten an dem Ex­pe­ri­ment teil – angelegt als Doppelblindversuch. Sie wurden vorher ausgiebig getestet. 10 von ihnen wurde 30 mg Psilocybin verabreicht, den anderen 200 mg einer ni­ko­tinischen Säure, ein Vitamin, das Hautkribbeln und andere Körperempfindungen auslöst und damit ähnliche Symptome hervorbringt wie die psychedelische Sub­stanz. Weder die Testpersonen noch ihre unmittelbaren Bezugspersonen während des Experiments wussten, wer was bekommen hatte.

 

Das Reaktionsniveau lag bei der Psilocybingruppe signifikant höher als in der Kontrollgruppe. Neun von zehn, die das Psychedelikum genommen hatten, be­richteten von religiösen Erfahrungen, welche sie als echt ansahen, während keiner der anderen Gruppe irgendwelche außergewöhnlichen Visionen hatte. Wichtiger als eine klassische Nachlese mystischer Erfahrungen war der Dauereffekt hin­sicht­lich des Verhaltens. Der Versuchsleiter Pahnke schreibt:

„Sechs Monate nach dem Test zeigten sich bei den Versuchspersonen immer noch be­flügelnde und lebensbereichernde Wirkungen, welche dem von ekstatischen My­stikern behaupteten Erleben ähnelten. 30 Jahre nach dem Experiment gelang es, noch 18 der ursprünglich 20 Testpersonen ausfindig zu machen. 10 der 18 waren Pfarrer geworden (Es waren genau die zehn, die das Psychostimulans genommen hatten). Sie berichteten unabhängig voneinander, dass ihre Erfahrung einen mehr oder weniger großen Einfluss auf ihr späteres Leben gehabt habe. Alle beschrieben sie es als einen spirituellen Höhepunkt in ihrem Leben.“ – Einer sagte: ‚Es war eine lebendige Öffnung zu anderen Aspekten der Wirklichkeit. Vorher dachte ich, worüber ich redete. Nach dem Versuch musste ich einsehen, dass ich wie ein Rei­seschriftsteller agierte, der endlich einmal an dem Ort war, über den er vorher nur geschrieben hatte.’ [Nicht auszudenken, wenn so etwas heute zum festen Bestandteil der theologischen Ausbildung werden würde.] – Es scheint, als hätte in den ski­zzier­ten Experimenten die bewusstseinserweiternde Substanz die Tendenz, das Beste im Menschen zum Blühen zu bringen.“

Wir wissen alle, dass es im weiteren Verlauf der 1960er Jahre durch die Hippie-Generation zu massenhaftem Missbrauch dieser Sub­stan­zen gekommen ist und sie bald darauf verboten worden sind. Obwohl das Ver­bot nach wie vor besteht, kann man nicht behaupten, dass unsere Kultur den Ge­brauch von bewusstseinsverändernden Substanzen missbilligt. Denn Alkohol und Nikotin werden legal in riesigen Mengen konsumiert. Während Psychedelika wie LSD und Meskalin gesetzlich streng verboten sind, nehmen gegenwärtig 27 Mil­lionen Amerikaner Antidepressiva wie Prozac. Gegen pflanzliche Präparate, die von Menschen seit über 10.000 Jahren im Rahmen religiöser Riten gefahrlos ein­genommen werden – Psilocybin, Meskalin, Alkaloide (LSD) – haben die Men­schen weitaus größere Bedenken als gegen hochwirksame, rein synthetische, stim­mungsaufhellenden Drogen, die in den letzten Jahrzehnten von einer profit­ori­en­tierten Pharmaindustrie erzeugt werden. Antidepressiva passen zu den im­ma­nen­ten Grundtendenzen unserer Gesellschaft, Psychedelika ganz entschieden nicht. Ist es denkbar, dass diese Substanzen deshalb dämonisiert werden, weil wir uns vor dem Inhalt unseres eigenen Denkens und Empfindens fürchten? – Und weil wir uns ins Sicherheit gebracht haben vor der lebendigen Erfahrung des uns überwältigenden Heiligen?

Die aktuell verfügbaren Studien und Ergebnisse mit psychotropen Sub­stanzen im therapeutischen Bereich wären seriös und effektiv genug, um ihren ver­antwortlichen Gebrauch zu rechtfertigen. Nur passt es politisch und kulturell an­scheinend nicht in die Zeit. Auch bestens dokumentierte Therapieerfolge in kon­trolliert-geschütztem Rahmen haben diesen Zweig therapeutischer Selbst- und Welterfahrung nie aus seinem Nischendasein herausholen können. Was in Kulturen mit nach wie vor schamanischem Hin­ter­grund ohne Ausprägung von Sucht­ten­den­zen funktioniert – der rituell-kultisch eingebettete Gebrauch bewusst­seins­er­weiternder Mittel – ist in unserer rational-wissenschaftlichen Kultur mit der ver­gnüglichen Event-und-Fun-Oberfläche nicht möglich.

Beim kritischen Nachdenken über das neuzeitliche Enthusiasmusverbot und über die Quellen menschlichen Drogengebrauchs müsste eine moderne Denk­ge­wohn­heit geopfert werden: nämlich die vorherrschende unheilige Allianz von Droge, Kriminalität und Sucht. Diese drei als grundverschiedene Größen zu betrachten, sind Voraussetzung für einen vorurteilsfreien Diskurs. Dazukommen muss eine differenzierte Betrachtung im Bereich solcher Substanzen selbst; d.h. es ist zu un­terscheiden zwischen

  1. den gesellschaftlich akzeptierten, ganz legalen An­pas­ser­dro­gen (Alkohol, Nikotin, Koffein),
  2. den klar süchtig machenden, zerstörerischen Stoffen, deren Verbot absolut sinnvoll ist (von Kokain bis Heroin) und
  3. den Sub­stanzen, die erwiesenermaßen kein Abhängigkeitspotential aufbauen (LSD, Mes­kalin, Psilocybin) und die in schamanisch-orientierten Kulturen seit Jahrtausenden Vehikel eines ritualisierten metaphysischen Grenzverkehrs darstellen und zu ek­statischen Erfahrungen mit positiv-persönlichkeitsbildenden Tendenzen führen (Eleusische Mysterien).

Fest steht: Die ekstasefreie, dogmatische Deutung unserer Existenz hat die Welt nicht besser gemacht.

 

Was die Suchttendenzen in schamanisch geerdeten Gesellschaften schon im An­satz ausschließt, ist die rituelle Fassung der Ekstase sowie die sakramentale De­fi­ni­tion der durch Rauschmittel aufgeschlossenen Wirklichkeiten. Dabei verstehe ich den Ausdruck „sakramental“ in einem stark magisch geprägten Sinn, der über al­les hinausgeht, was Europäer, auch wenn sie Katholiken oder Protestanten wären, von ihrer religiösen Alltagserfahrung her noch verstehen. Nehmen wir an, die Ho­stien der katholischen Eucharistie oder des evangelischen Abendmahls seien mit einem Tropfen von Albert Hofmanns berühmten Sorgenkind Lyserg­säu­re­diä­thyl­amid präpariert: dann hätte auch die Gabe der christlichen Kommunion Anspruch darauf, mit der Speise der Götter (Psilocybin-Pilze oder Peyote – meskalinhaltiger Kaktus) in einem Atemzug ge­nannt zu werden. Es gäbe dann wohl auch Christuserscheinungen und Vater­vi­sio­nen so massenhaft wie eleusinische Götterhalluzinationen; das Christentum wäre dann eine Trancereligion, erweitert durch die griechisch geprägte Philosophie und Theologie. Angesichts dieses Gedankenexperiments können wir uns vorstellen, dass und warum wir vom alteuropäischen Schlüsselsakrament, dem Abendmahl, nicht mehr verlangen können, als es unsere Zivilisation insgesamt zu geben fähig ist. Weil es eine ganze Welttendenz hin zu nüchternen Verhältnissen inkarniert [mit gelegentlichen Ectasy-haltigen Einsprengseln], ist das Abendmahl ein Sakrament der Teilhabe ohne Ekstase. Katholischerseits bietet es nährstoffarmes Brot für die Laien und exquisiten Messwein für den Klerus. Und zum Schnuppern für alle ein wenig Tetrahydrocanabinol-haltigen (cannabishaltigen) Weihrauch. Das besagt genug über die Richtung, die unsere Zivilisation in Fragen der Partizipation an der göttlichen Substanz eingeschlagen hat. So leben wir zwangsläufig in einer Kultur, in der sich die Menschen vor lebendigen Offenbarungen in Sicherheit gebracht ha­ben: – vor dem ganz Anderen wie vor sich selbst.

Carl Gustav Jung beschrieb es treffend in einem Satz:

„Die Menschen werden alles tun, wie un­sinnig es auch sei, um zu vermeiden, ihrer eigenen Seele gegenüberzutreten.“

Im Sinne einer Heilung der in den letzten 120 Jahren durch Krieg und Macht und Geld malträtierten Seelen und Körper wäre es an der Zeit, den Mut aufzubringen, die Suche nach dem Heiligen auf neue, bisher weitgehend unbegangene Pfade zu verlegen.

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59 Kommentare

  1. Interessanter Artikel, kann dem vollkommen zustimmen. Die psychoaktiven Substanzen können einen wirklich der Göttlichkeit (so wie ich sie definiere) näherbringen, der spirituellen, nicht der dogmatischen wohlgemerkt. Ich denke auch, dass ein offenerer Umgang mit diesen Substanzen, vor allem in Form von Therapien, viele der psychischen Probleme und Traumata lösen könnte, welche in jeder Gesellschaft, aber gerade in unserer sehr entfremdeten Gesellschaft, existieren.
    Von daher, finde ich es gut, dass solche Artikel hier erscheinen.

    1. Wobei die psychoaktiven Substanzen eigentlich nur die Aufgabe haben, den Menschen von seinen Zwängen und Ängsten zu entbinden, um ihn offen für seinen eigenen Wesenskern zu machen, den gewisse “Ketzer” wohl in allen Religionen entdeckt haben dürften. Deshalb gab es für diesen Kreis niemals die Frage nach der “richtigen” Religion, sondern nur die Frage der richtigen Interpretation der jeweiligen Religion.
      Ein Hans Küng dürfte dies in etwa unter dem Begriff “Weltethos” verstanden haben.
      Aber biedere Materialisten, welcher die reiche Welt des Materialismus fremd geblieben ist, weil sie nur die stark reduzierende Ausführung kennen, unterscheiden sich von Religioten wie einem Papst Ratzinger nur unwesentlich.
      Leider!

      1. Ja, das macht total Sinn. Ich kenne das aus dem Islam, wo die Sufis eher kritisch gesehen werden, da sie mittels diverser Techniken in der Trance zu Gott finden. Da sind nicht Dogmen das entscheidende, sondern die religiöse Ekstase und die Erforschung der eigenen Seele. Ähnliches gibt es vermutlich auch in anderen Religionen. Diese Form der Religionsausübung kann wirkliche Freiheit bewirken, wobei Freiheit vor allem die Freiheit von Zwängen und Ängsten bedeutet. Dass das den Leuten, die Religion als Mittel der Bevölkerungskontrolle verstehen, nicht gefällt, sollte dabei sofort offensichtlich werden.

        1. Auch “Diese Form der Religionsausübung” wird keine wirklich Freiheit bewirken, aber sie kann, (kann! nicht wird!) einem unmissverständlich zeigen, dass man eben nicht frei ist, im Gefängnis des Ego. Und auch, wie sie ja selber schreiben, die Kirchen sind selbstverständlich die grössten Gegner von allem, das in den Menschen zumindest mal die Idee der Freiheit pflanzt.
          Das Whirlen der Derwische, andere Meditationen oder sogar LSD, können beides der Finger sein, der auf den Mond deutet, aber sie sind nicht der Mond. Und es gibt keine kausalen Weg dorthin… es passiert, oder es passiert nicht.
          Manche die es zu wissen scheinen, die sagen uns, in dem Augenblick in dem wir aufgeben, wenn wir alle Bemühungen einstellen es zu erreichen, in dem Augenlick ist es da, oder genauer: wir sehen, dass es immer da war. Unser Bemühen hat uns daran gehindert es zu sehen.

  2. “dass diese Substanzen deshalb dämonisiert werden, weil wir uns vor dem Inhalt unseres eigenen Denkens und Empfindens fürchten? – Und weil wir uns ins Sicherheit gebracht haben vor der lebendigen Erfahrung des uns überwältigenden Heiligen?”

    Diese Substanzen wurden wohl eher verboten, weil die Menschen danach nicht mehr für die westliche Konsumwelt, für das ewige Schneller-Höher-Weiter-Mehr und schon gar nicht für den Kriegsdienst zu gebrauchen waren/sind.
    Die hochtechnisierte Medizin hat paradoxerweise dazu geführt, dass immer mehr Menschen den körperlichen Tod überleben und dabei eine Nahtoderfahrung mit genau den beschriebenen Komponenten machen und danach meist fundamental anderen Werten folgen als in unseren Gesellschaften vorherrschend sind.
    Übrigens hat der US-amerikanische Anthropologe Michael Harner in seiner Jahrzehnte währenden Arbeit erkannt, dass die meisten schamanischen Völker keine psychoaktiven Substanzen verwenden, sondern Trommeln und Rasseln. Das war auch in Europa noch lange der Fall, bis die christlichen Kirchen die Trommeln als Teufelswerk verboten.
    Er hat aus diesen Erkenntnissen den Core-Schamanismus entwickelt, der die verschiedenen kulturellen Ausprägungen weg lässt und die Grundelemente für diese transpersonalen und nichtalltäglichen Bewusstseinserfahrungen ausübt. Und er hat auch ein entsprechendes Institut gegründet. es geht also auch ohne psychoaktive Substanzen. https://www.shamanism.eu/de/foundation/in-memoriam/dr-michael-harner
    Ich freue mich außerordentlich über diesen wunderbaren Artikel, ich halte diese Rückbesinnung auf Jahrtausende altes Menschheitswissen für unser und das Überleben unserer wundervollen Erde für existenziell notwendig.
    Vielen Dank an den Autor.

      1. „Wenn man ihn gelesen und begriffen hat, weiß man es.“

        Es gibt eine Definition der Transzendenz?

        Eine Definition, die die Grenzen von Erfahrung und Bewusstsein des Menschen klar umreißt; der Abgrenzung des Jenseits vom Diesseits?

        *staun

  3. “..Mutterkorn-Wucherungen, die auf Wildgräsern und Getreidearten wachsen..”

    Korrekterweise handelt es sich dabei um einen überaus gefährlichen ‘Getreidepilz’, der beispielsweise für Massenvergiftungen (»Antoniusfeuer« oder »Heiliges Feuer« ) verantwortlich war.
    Dieser Pilz wächst nicht nur an Ähren, sondern wurde in früheren Jahrhunderten über falsche und feuchte Lagerung in Speichern “kultiviert”.
    *
    Wenn aber Primaten (evolutionär begründet) vom Baum stiegen und zum Homo erectus auf(er)standen, wo bleibt das Moment des ‘Göttlichen, der Schöpfung’?

    Bei diesem ‘Missing Link’ erübrigen sich dann selbstverständlich auch Fragen nach Woher, Wohin und Warum.
    Es sei denn, der Mensch prinzipiell, in seiner überbordenden Einfältigkeit, bemisst seine Anwesenheit, die für jeden einzelnen nur dem puren Zufall geschuldet ist, nach dem Glauben, DAS Alpha und EINZIGE auf Erden zu sein und darum seine Existenz zwingend einen Sinn haben MUSS.🤣

    Weniger schwadronieren, sondern wieder Teil des (realen) Lebens werden: mehr Sein als Schein, mehr heute leben als in in einem fiktiven morgen ist das Gebot der Stunde.

    Denn ALLES hat seine Zeit, die es zu leben gilt.
    Daher ein Hohelied auf Immanenz; keine auf philosophisch, religiös und theologisch durchdrungene Transzendenz.

    1. Was Sie offenbar nicht verstehen(wollen), dass es nicht um ein fiktives Morgen geht, sondern dass die nichtalltägliche Wirklichkeit JETZT ist und Überall, dass wir nur den Zugang dazu vor allem durch die materialistische Weltsicht verloren haben, in ihrer Apotheose der naturalistischen Wissenschaft als Religionsersatz. Und natürlich durch die institutionelle, vor allem monotheistische Religion, die mit ihrer Hierarchie einen Herrschaftsanspruch über den Zugang zum Göttlichen beansprucht.

      1. Hoppala – nach Ewigkeiten darf ich wieder an Ihren allumfassenden Er-/Über-/Kenntnissen teilhaben.
        Wie erfreulich erhellend.

        Daher wird’s schon seine Richtigkeit haben, wenn SIE
        a) Textverständnis offenbar als überholt betrachten und
        b) (überzeugt sind zu) WISSEN, was ICH (oder andere) noch immer nicht verstehen und daher Ihrer intellektuellen sowie spirituellen “Führung/Anleitung” bedürfen.

        Basst scho!
        Danke 👍😊

    2. – Massenvergiftungen (»Antoniusfeuer« oder »Heiliges Feuer« ) -ich hatte mal als “Veitstanz” darüber gelesen.
      Es führte zu WAHNSINN UND TOD. Und hier kommt wieder der gute alte Paracelsus zum Zug: Die Menge machts…

      Ich denke auch das unsere dogmatische Religion bewirkte das die Götter statt im Elysium heute im Delirium gelandet sind.

      Ich hatte in meinen jüngeren Jahren auch ein sehr beindruckendes Erlebnis unter LSD.

      1. Ja, stimmt schon, was Paracelsus sagt, aber nein, für das Antoniusfeuer sind andere Substanzen im Pilz verantwortlich. Der eigentliche Name ist Ergotismus, was schon zeigt, welches Alkaloid für die Vergiftung verantwortlich ist. LSD ist hierbei vollkommen unschuldig. Es ist tatsächlich ungiftig. Es zeigt keine toxische Wirkung, ist nicht mutagen oder cancerogen.
        Nehmen würde ich es allerdings nur im richtigen Setting und Beobachtung. Soll sehr hilfreich bei der Aufarbeitung von psychischen Traumata sein.

      1. Wieso? Muss man Alkohol zwangsläufig bis zum Delirium konsumieren? Ist absolut mir neu.

        Und dass man auch im Delirium leben bzw. vor sich hin vegetieren kann ohne Alkohol, beweist doch dieses ach so tolle System, in dem wir leben, tagtäglich.

        1. Alkohol enthemmt einfach nur. Was man sich sonst wegen Hemmungen nicht traut, tut man unter Alk eben Hemmungslos: weinen, schlagen, anbaggern usw.
          Hat sicher manchmal auch seine Berechtigung, ist aber nicht wirklich ein neuer Blickwinkel.

    1. Der Artikel spricht aber nicht davon, etwas schön erscheinen zu lassen… er spricht vom schön sein.
      Aber ich sie nicht an ihrem Glück durch Saufen hindern…

  4. Wenn ich jetzt den Unterschied zwischen Drogenkonsum in Eleusis und auf unseren Straßen auf den Punkt bringen sollte, würde ich meinen, er liegt darin, dass Letzterer einsam stattfindet.

    Mir scheint überhaupt, dass das spirituelle Gemeinschaftsgefühl der Kern der Geschichte ist, die Überwindung der Isolation in der eigenen Subjektivität, im eigenen Körper, durch das Aufgehen in einer spirituellen Kollektivität.

    Die Drogen mögen da helfen, sich drauf einzulassen, aber so schwer ist es auch nicht und ich würde da dem Tenor des Artikels widersprechen. Im Grunde kann man so was jedes Wochenende in Fußballstadien beobachten. Ansonsten gebe ich noch die Stichworte Reichsparteitag und Sportpalast, und allgemein Sekten.

    Das nur, um das verführerische Potential solcher Psychotechniken wenigstens einmal erwähnt zu haben. Dass unter priesterlicher Anleitung dabei jede Menge gemeinschaftsstiftender Menschenliebe herauskommen kann, glaube ich sofort, und Mehr von so was könnte sicher viel Gutes bewirken.

    Jedenfalls sollte man bei der Beschäftigung mit diesen Ritualen m. E. weniger die “Bewusstseinserweiterung” des selbstverliebten westlichen Individuums ins Zentrum rücken, und sie mehr von ihrem Sinn für die Gemeinschaft her deuten.

      1. Wie schon in meinem Kommentar angesprochen, es geht auch ohne Drogen, mit Trommeln, Tanz, Mantra-Gesängen, Meditation, und Träume nicht zu vergessen.

        1. Danke, da sind wir uns einig, aber was Drogen und Krieg angeht, da habe ich ja eben widersprochen. Da kommt es natürlich auch auf die Art der Droge an. Trommeln gehörten allerdings bspw. auch lange zum Inventar von Armeen, das kollektive “Auf sie mit Gebrüll” dürfte auch nicht von ungefähr kommen. Deshalb noch mal ganz deutlich: die Abkehr von der Rationalität in geschützten Räumen ist ok, aber als Überwältigungsstrategie, um Menschen dazu zu bringen, in der realen Welt völlig enthemmt Dinge zu tun, die sie nüchtern nie tun würden und die unverantwortbar sind, ist so ziemlich das Hinterletzte.

          1. Naja, dass alles missbräuchlich genutzt werden kann, ist leider eine bekannte Tatsache. Es kommt natürlich darauf an, mit welcher Intention man sich diesen Dingen zuwendet.

        2. Wo genau geschieht das real? Oder meinen Sie jetzt die Kirchen, die sich eifrig anbiedern und Trommeln, Tanzen, Mantra-Singen, Meditationen ganz im Stil “wir picken uns von allem ein bisschen heraus” veranstalten? Oder die tausend Gruppen und Grüppchen, die keine wirkliche Einigung über ein Protokoll finden können?

          Ganz so, als wären wir jetzt Buddhisten oder schamanische Medizinmänner und indische Yogis. Oder vom Himmalaya hinab gekletterte Eremiten, Kumbaya singende Stammesleute, oder gar Träume einfangende Aborigines?
          Wo, in diesem total zersplitterten Fragmentarium aus eingekaufter Esoterik bleiben die authentischen Christen? Wo man sie nicht bereits in die Ecke zum Schämen hingestellt hat?

          Was ist mit den jetzt alten Leuten, die wir so leichtfertig aufs Abstellgleis befördern und die befürchten müssen, dass man die ihnen bedeutsamen traditionell christlichen Beerdigungen womöglich bald für überholt erklärt?
          Sollten wir das Kind lieber nicht mit dem Bad ausschütten?

          Das, was wir aus anderen Kulturen zu kennen glauben und importieren, das existiert sehr oft selbst nicht mehr in seiner authentischen Form.

          Nichts für ungut.
          Und Gott mit Ihnen.

    1. Seit wann ist denn bitte “das Gemeinschaftsgefühl” spirituell?
      “Spirituell” ist für mich ohnehin so ein Unwort, das zwar ungefähr seit der Hippie-Bewegung bzw. der post-68-er-Innernlichkeitswendung (“New Age”) zunehmend gebraucht wird, dessen Bedeutung aber völlig unklar ist. Meint man “empfindsam”? Soll es um eine Art “Religiösität ohne Gott” gehen? Oder welcher “Geist” (“spirit”) soll denn beschworen werden?

      Gemeinschaftsgefühl jedenfalls hat jede Gemeinschaft, egal ob nun streikende oder revolutionäre Arbeiter, marschierende Faschisten, singende Fischer-Chöre oder ihre Mannschaft anfeuernde Fußballfans. Bei dem angeblich “spirituellen” Gemeinschaftsgefühl, von dem Sie sprechen, scheint es sich einfach um “Gattungsbewußtsein” zu handeln.

      Im Wald wiederum mag sich bei vielen ein tatsächlich schönes Gefühl der “Einheit mit der Natur” einstellen, aber dies dauert eben nur solange an, bis die Temperatur nicht unter minus 10 Grad sinkt, man richtig hungrig wird oder man von einem Wolfsrudel angegriffen wird. Genau deshalb war der Mensch bemüht, die Natur zu seinen Zwecken umzugestalten – und zwar bereits seit Jahrzehntausenden vor Descartes.

      1. Ja, in Worte zu fassen ist so was nicht gut. Ich verbinde Spiritualität mit der irgendwie nicht rationalen, vielleicht rauschhaften “Erfahrung”, Teil von etwas zu sein, das Größer ist als man selbst, darin sozusagen aufzugehen. Dieses Größere kann eine Gruppe genauso sein wie die Welt, das Universum, was weiß ich. Wir reden hier von so was wie ekstatischen Zuständen. Mehr als die leuchtenden Augen beim Erzählen kann ich an den Berichten von Leuten über solche Erfahrungen meist nicht nachvollziehen. Mir fiel an dem Artikel einfach auf, dass er nur auf das Individuum und sein Bewusstsein abhebt und das Kultische, Gemeinschaftliche an den Praktiken, von denen die Rede ist, eher ausblendet.

      2. Sie meinen etwas völlig anderes mit “Gemeinschaftsgefühl”…. sie würden den Unterschied auch nicht verstehen, wenn es jemand versuchte..

  5. “Als Persephone, Tochter von Zeus und Demeter, eines Tages Blumen pflückte, wurde sie von Hades entführt, dem Gott der Unterwelt. Vergeblich wurde sie von ihrer Mutter gesucht. Sie erfuhr schließlich vom Raub der Tochter durch Helios.” Nee – der Entführer war immer noch Hades und nicht Helios. Also wenn man ne komplette griechische Sage in einem Artikel erzählt, sollten solche Patzer nicht passieren. Und wie üblich wird nachträglich nichts mehr korrigiert.

    “Griechenland war die Wiege eines Wirklichkeitserlebens, in dem das Ich sich von der Außenwelt getrennt fühlte. Hier hat sich die bewusstseinsmäßige Trennung von Individuum und Umwelt – von Subjekt und Objekt – früher als in anderen Kulturen herausgebildet.” Aua. Was für ein Blödsinn. Na klar, die Griechen haben das Bewusstsein erfunden, ohne Trennung von Individuum und Umwelt, Subjekt und Objekt kann es nämlich kein Bewusstsein des eigenen Selbst geben. Ein Bewusstsein ihres Selbst haben aber schon Menschenaffen und wahrscheinlich auch Delfine und andere Tiere. Der Mensch hat das sicher schon seit es den Homo sapiens gibt und wahrscheinlich noch ältere Menschenarten, Neandertaler z.B. Mal ganz zu Schweigen davon, dass es vor den Griechen ca. 7000 Jahre menschliche Zivilisation gab – mindestens. Und das alles soll ohne Bewusstsein stattgefunden haben?
    Oh, oh, oh – das offenbart nicht gerade tiefe Einblicke in die Materie.

    1. Ja, das Thema ist schwierig. Interessant ist in dem Zusammenhang das was der amerikansiche Psychologe Julian Jaynes in seinem Hauptwerk geschrieben hat:

      1976 veröffentlichte Jaynes sein Hauptwerk The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral Mind. Er unternimmt darin den Versuch, Ursprung und Entwicklung des menschlichen Bewusstseins im Verlauf der Menschheitsgeschichte anhand einer zentralen, im Titel angezeigten These zu rekonstruieren: Die Entstehung des Bewusstseins aus einer Struktur, die er die bikamerale Psyche nennt. Spuren dieser Vorstufe des heutigen Bewusstseins findet er dabei u. a. bei Homer und im Alten Testament, aber auch in Phänomenen wie Hypnose oder Schizophrenie.

      Die Hauptthese von Julian Jaynes, die er selbst preposterous („absonderlich“) nennt, besagt: Bewusstsein hat sich in historisch nachweisbarem Ausmaß erst in dem Jahrtausend vor der klassisch-griechischen Hochkultur entwickelt, etwa zwischen 1300 und 700 v. Chr. Die Menschen vor dieser Zeit hatten kein Bewusstsein, das heißt im Sinne Jaynes’ kein autonomes Selbst im heutigen Sinn.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Julian_Jaynes

      Ich weiß nicht ob Jaynes da wirklich recht hat, mit dem was er da entdeckt zu haben glaubte.
      Allerdings bin ich mir mittlerweile sicher, dass es für uns heutige Menschen schier unmöglich ist uns die Art des Bewusstseins, das frühere Menschen vor 4000 oder 5000 Jahren hatten, auch nur annähernd vorzustellen.
      Deswegen kann man moderne Konzepte des Bewusstseins nur schwerlich darauf anwenden.

    2. lies es noch einmal anders; ich denke es war so gemeint:

      “Als Persephone, Tochter von Zeus und Demeter, eines Tages Blumen pflückte, wurde sie von Hades entführt, dem Gott der Unterwelt. Vergeblich wurde sie von ihrer Mutter gesucht. Sie erfuhr schließlich

      durch Helios

      vom Raub der Tochter.”

  6. “Umso mehr als nicht nur medizinische, sondern immer weitere, auch kirchliche Kreise die Überwindung des dualistischen Weltbildes als Voraussetzung und Grundlage für die Gesundung und geistige Erneuerung der abendländischen Zivilisation und Kultur betrachten.”

    Jemine! Die Trennung von Ich und Welt ist also ein “dualistisches Weltbild”? Also kein objektiver Fakt, sondern ein Bild, eine Vorstellung, vielleicht sogar ein Narrativ? Dabei ist es die Voraussetzung des Denkens überhaupt, dass der Mensch ein Bewusstsein hat und die Dinge außer sich in Gedanken gemäß ihrer Bestimmungen theoretisch rekonstruieren kann. Nichts anderes ist Wissenschaft. Wissenschaft unterstellt die Trennung von Ich und Welt, Subjekt und Objekt. Ein Wesen das sich gedanklich gar nicht von seiner umgebenden Natur getrennt weiß, kann das nicht.

    Völlig Unsinn dieser Artikel.

    1. Danke. Ich stimme zu, dass es sich hier um einen Massen-Unsinn handelt.
      Schon die Buddhisten wissen, dass sich eine “schöne andere Zukunft” vorzustellen, lediglich eine Flucht aus der Gegenwart ist. Sie raten dringend davon ab, sich zu berauschen, es ist eine in ihrer Doktrin sehr deutlich verfügte Regel.
      Aber die Rausch-Liebhaber fantasieren sich ihre bessere Welt lieber in einer nie eintretenden Zukunft, um von ihrer gegenwärtigen Disziplinlosigkeit, ihrer Faulheit, ihrer Eitelkeit, ihrer Gier und ihrem Stolz nicht reden zu müssen. Und Gott bewahre (!), deshalb kritisiert zu werden.

      Da die “Beleidigung” heutzutage die schlimmste Blasphemie ist, die man sich gegenseitig zufügen kann, setzt man auf oberflächliche Nettigkeit und verwechselt das mit Gutsein. Wer (wehe!) nicht nett ist, mit dem redet man erst gar nicht.

      Die Christen, sehr intelligent, haben es als die sieben Tod-Sünden bezeichnet. Ein Christ sieht es, wenn Leute ihre Sünden professionalisieren.
      Die Berauschten sind immer die Letzten, die auf einer Beerdigung erscheinen (wenn sie es überhaupt aus dem Bett schaffen oder es sie kümmert, wenn einer aus der Verwandtschaft gestorben ist), sie sind stets irgendwie indisponiert, wenn es darum geht, sich um so Kram wie eine Beerdigung auszurichten zu kümmern, mit dem Geistlichen zu reden, Einladungskarten zu verschicken, Blumenkränze zu besorgen, Räume zu buchen, für Essen und Trinken zu sorgen (und sogar dafür bezahlen zu können!) – manch einen “überfordert” dieser Pragmatismus geradezu und er fühlt sich dem Ganzen “emotional nicht gewachsen”.

      Fast muss man denken, dass wenn es danach ginge, man die Gestorbenen auch einfach irgendwo verbuddelt oder eingeäschert, man den Sterbenden gar kein letztes Geleit geben braucht und sich einfach solche Dinge – ganz magisch – irgendwie ganz von selbst regeln. Braucht man ja alles nicht.

    1. Das gilt wohl eher für die Herrschaften hier, die überhaupt nur das Infragestellen der dualistischen Weltsicht verdammen und in der üblichen rationalistischen Überheblichkeit Zehntausende Jahre altes Menschheitswissen als Humbug lächerlich machen.

      1. „üblichen rationalistischen Überheblichkeit „

        Schöne Formulierung für die Tatsache, dass Menschen ihren Computer einschalten, statt ihn mit magischen Formeln zu bewegen, sich einzuschalten. Willkommen im Club.

        „Zehntausende Jahre altes Menschheitswissen“

        Welches mit psychoaktiven Drogen reaktiviert werden soll?

        Der Fehler liegt darin, anzunehmen, es gäbe eine ideale Form des Menschen, eine mysteriöse Ganzheit des Menschen an sich, die irgendwie abhanden gekommen sein soll, quasi verschüttet wurde. Die platonische Idee des Urtyps existiert nicht.

  7. Ich hatte einmal eine Beobachtung einer Bewusstseinserweiterung bei Vögeln die in einer Eibe saßen und die roten Beeren aßen. Nach dem Verzehr wackliger Start und dann mit speed gegen die Fensterscheibe hinter der ich saß.
    Genickbruch war die folge. Als ich von draußen nachschaute warum der Vogel mich nicht sah, war in der Fensterscheibe nur das Spiegelbild der Eibe zu sehen, nichts von drinnen. Der wollte mit erweiterten Bewusstsein nur zum nächsten Baum und sah das Haus drum herum nicht. Er war nicht der Einzigste.
    Drogen ändern nur die Wahrnehmung, man steigt nicht in eine andere Sphäre, die es nicht gibt. Bekanntlich singen Amsel nach „Drogen Konsum“ keine anderen Lieder.

    1. Ah, wie wohltuend. Ein Beispiel, das auf die Realität verweist. Sie haben eine harte Drogen-Erfahrung gemacht, die Sie sicher von diesem Unsinn kuriert hat, dass “bewusstseinserweiternde Substanzen” automatisch gute Menschen aus uns machen. Danke für Ihren Kommentar.

      1. Vögel sterben zu Millionen an den spiegelnden und für sie nicht erkennbaren Glasfassaden ohne Ihre behauptete Drogen-Erfahrung. Das Fruchtfleisch ist nicht giftig, nur der Kern, und so schnell wirkt da nix.

  8. Ich freue mich, dass auch solch ein Artikel mal hier in Overton zu lesen ist.
    Gleichgültig wie man die Thesen des Autors bewerten mag, er hat sie zumindest sehr kenntnisreich unterfüttert und so gut ausformuliert, dass ich es mit großem Interesse gelesen habe. Wie ich das Ganze bewerten soll, da bin ich mir noch nicht in allen Punkten sicher.
    Zumindest aber denke ich, dass es sehr wichtig ist überhaupt über solche Themen zu reden.
    Einem zentralen Punkt, den der Autor anführt, kann ich auf jeden Fall zustimmen:

    Die grundlegende Bedeutung eines mystischen Ganzheitserlebnisses für die Gesundung der an einem einseitig rational-materialistischen Weltbild krankenden Menschheit wird heute nicht nur von Anhängern östlicher religiöser Strömungen, sondern auch von führenden Vertretern der Psychologie und Psychiatrie in den Vordergrund gestellt.

    “Einseitig rational-materialistischen Weltbild” Das sehe ich auch so. Mein ganzes Leben schon fühle ich mich in meinem Denken durch dieses bei uns vorherrschende Weltbild eingeengt. Es ist ja für sich genommen nicht schlecht oder falsch, aber eben nur ein Teil aller möglichen Denk- und Sichtweisen und es schneidet uns von vielen Dingen einfach ab.

    Wobei ich aber vorsichtig bin, wenn hier zu sehr das “Spirituelle” also das rein Geistige betont wird. Fast ebenso vernachlässigt sind meiner Ansicht nach die tieferen Wahrnehmungen körperlicher Empfindungen, die uns heute immer mehr verloren gehen, die aber ebenso wichtig mindestens sind, wie die spirituellen Erfahrungen.

    Sehr klar ist aber für mich auch – spätestens seit ich Aldous Huyleys “Pforten der Wahrnehmung” gelesen habe – dass psychedelische Drogen eine sehr wichtige Wirkung im menschlichen Bewusssein und auch im menschlichen Zusammenleben haben können, wenn man sie denn richtig anwendet. Es könnte sehr lohnend sein auf diesem Weg weiter voran zu schreiten, so wie dies der Autor ebenfalls befürwortet.

  9. https://www.youtube.com/watch?v=5PvjOqwZuEk
    über Details lässt sich trefflich streiten.
    wir haben in Europa und Nordamerika jetzt eine riesige Menge von Akademikern, vorallem in den Bereichen Governance, Kulturwissenschaften, Ökonomie und Bürokratie, die niemand braucht, die sich aber als gesellschaftlich wichtig und verdientermaßen oben in einer eigebildeten Hierarchie betrachten. ein Teil von ihnen wird von einer immer weiter wachsenden öffentlichen, privatwirtschaftlichen und Stiftungsbezogenen Bürokratie aufgefangen, ein weiterer Teil wird mit eigenem Wissen oder ohne eigenes Wissen von den Diensten beschäftigt, ein weiterer Teil nervt die Mitmenschen als Influenzer oder Coach und der Rest ist arbeitslos. all diese Menschen haben ein starkes Sinndefizit durch die wenigstens unbewusst wahrgenommene Diskrepanz zwischen tatsächlichem Einfluss und eingebildeter Wichtigkeit. da kommen dann entstressende Substanzen, das entgrenzte Jenseitige und der neue alte spirituelle Polytheismus wie gerufen als Schwamm für die Heilserwartung.
    in diesem Sinn ein paar Untertöne zu den Obertönen.

    1. So ist es.
      Mir stellt es sich so dar, als wenn einer in der Gegenwart die ersten zwanzig Jahre seines vergangenen Lebens komplett ausblendet und so tut, als habe es sie nie gegeben. So ähnlich decken wir die letzten zwei Jahrtausende in unserer Zeit als Christen zu und tun so, als hätte es uns nie gegeben.
      Wir verwechseln das Barbarische mit dem Zivilisierten, wir heben unsere Verfehlungen zu unseren Rechten empor. Biblisch gesprochen, feiern wir die Sünde und verdammen wir die Disziplin.
      “Freie Liebe und Sex” kaufen wir als Recht ein, genau wie “Freies Berauschen” ein solches “Recht” sein soll. Töten aus Rache, Lust oder Indifferenz, da lockt schon die nächste Verführung. Zynisch möchte man sage: Auch das kriegen wir hin, die Wege sind geebnet. Und die Vorbilder aus dem alten Rom wieder lebendig, wo der Prinzipal mit einer Art grausamen Gleichgültigkeit den Daumen nach oben oder unten nimmt, um über Leben und Tod in der Arena zu entscheiden. Ah, diese Macht!

  10. In den Unmengen mysteriöser Gedanken des Gemeindepfarrers Hager gibts auch Erhellendes, die Steigerungsform von ‚verboten‘:

    Während Psychedelika wie LSD und Meskalin gesetzlich streng verboten sind,

    Jetzt weiß ich, warum Kindern das Stibitzen von Nachbars Äpfeln ‚nur‘ verboten ist, wäre es hingegen „streng verboten“, dann …

    .

    … ja dann wäre es ja nicht erlaubt!

    .

    1. Klauen ist verboten: Erst nach dem man oft erwischt wurde gibt es Konsequenzen.
      Töten ist streng verboten: schon nach dem ersten Mord gibt es lebenslänglich (Vom staatlich gewünschten Mord einmal abgesehen, hier gibt es sogar für Massenmord einen Orden).

  11. Ganz im infantilen Zeitgeist, dieser Text.

    Da hat sich jemand sein Weltbild zusammen gereimt. Das machen wir so gerne, heutzutage.

    Wenn wir nur allsonntäglich unseren Tropfen LSD auf der Hostie während der kirchlichen Andacht demütig entgegen nähmen, dann wäre sicher alles wieder gut und man könnte den Fluch von sich genommen sehen, die Welt in ein “ich” und “alle anderen Objekte” zu unterteilen. Ach, wie grausam doch diese “Trennung” ist, dieser Schmerz (!), dauernd nüchtern sein zu müssen. Doch wenn wir stattdessen (Oh, Entzücken!) derartig von der Messe beflügelt, begriffen, dass “wir alle eins sind” und aufgrund dieser “transzendenten Erfahrung” fortan alles richtig machen täten, vortreffliche Lebensentscheidungen träfen, DAS wär doch mal was!

    Stellt euch das bitte mal ganz konkret vor:
    Die Leute kommen Sonntag morgens in die Kirche. Der Pastor verteilt die Hostien. Nun braucht die ganze Sache eine Weile, bis sie wirkt. Eine halbe bis eine Stunde, etwa. Wo vorher noch alle in der Lage waren, einem Protokoll zu folgen, beginnt jetzt die ganze Sache “spaßig” zu werden.

    Jeder verdreht sich in sich selbst, die einen fangen an zu gackern, lachen sich über den internen kosmischen Witz tot, der ihnen gerade zuteil wird, andere fangen das Weinen und das Haareraufen an, Rotz und Wasser laufen ihnen das Kinn herunter. Oder es geschieht ihnen im Wechsel das ein wie das andere. Ungeschminkt sagen sich alle die Wahrheit, glaubt es nur, das geschieht!
    Die nächsten stehen unter dem Bann des Beeindrucktseins des ihnen ins Auge springenden Details. Das kann das Haupthaar des Sitznachbarn sein oder einfach nur eine Wand, die von interessanten Kratzern überzogen ist. Wieder andere staunen über die wunderbaren Lichter und Muster, von den bunten Kirchenfenstern verstärkt und reflektiert. Anderen wird übel oder sie fallen ganz einfach ungehindert auf die Erde, weil sie jedes Gefühl für ihre materielle Existenz verloren haben und ihnen schwindelt. Dabei schlagen sie sich Beulen in die Köpfe, merken aber rein gar nichts davon.
    Manche machen die Kirchentür auf und wandern staunend durch die Nachbarschaft, wenn sie von keinem zurückgehalten werden.
    Jene, die diese “heilige” Erfahrung machen, sich aber dagegen wehren, schauen sich um und es ist zu viel für sie: Sie empfinden das Geschehen als grotesk, fühlen sich von ihren irre scheinenden Mitmenschen abgeschnitten und wollen nichts sehnlicher, als dass dieser Zustand so schnell wie möglich ein Ende hat. Wieder andere liegen auf den Kirchenbänken lang hingestreckt und halten ihre Transzendenz ganz hinter verschlossenen Augen ab.

    Oder hält der Pastor die Schäfchen beisammen, indem er den Altar flugs in ein DJ-Pult verwandelt und Musik einspielt? Was ist eigentlich mit den Kindern, die mit ihren Eltern gekommen sind? Oder Oma und Opa? Kriegen alle dann die gleiche Dosis? Zur Sicherheit stehen dann doch ein paar Erste-Helfer am Eingang herum und müssen sich nüchtern das lustige Treiben anschauen, für den Fall der Fälle. Oder? Tatsächlich müsste diese “heilige Messe” an einem Samstag abgehalten werden, damit die Leute Zeit genug haben, den Rausch auszuschlafen und den mächtigen Drogen-Kater und das Gefühl vollkommener Leere am Rest des Wochenendes los zu werden.

    Dann hat der Autor einfach zweitausend Jahre Christentum übersprungen, als wäre das nichts. Und das ist dann auch Zeitgeist. Zu viele Filme gesehen? Den eigenen Rausch damit verwechselt, dass das Währenddessen etwas ganz anderes ist als das Hinterher?

    Dieses Drogen-Gefasel beherrscht mittlerweile den ganzen Westen, vermutlich aber die ganze Welt.
    Mich wundert es mittlerweile nicht, dass sich hierzu ein Gegen-Fanatismus in Gestalt des Puritanismus gebildet hat.

    Wie wäre es, wenn man sich als Christ endlich mal wieder selbst respektiert und aufhört, sich dafür zu schämen? Du meine Güte.

    1. Als Atheist kann ich zum letzten Absatz nichts beitragen.

      Aber der Rest hat mich nicht nur köstlich amüsiert, sondern beschreibt wohl ziemlich genau den (jugendfreien) Teil dieses “Happenings”.

      Doch wenn sich schon ein Pfarrer für die Erweiterung des Geistes (auf “unorthodoxe” Weise) einsetzt, führte das nicht nur zum Wieder-Füllen der Bänke, sondern, so man den korrekten Zeitpunkt abpasste, auch der Klingelbeutel.
      Auch “Unser täglich Brot gib uns heute” erhielte direkt eine zeitgemäße und wendezeitige Kernaussage.

      Ach ja – Kinder. Bekommen zum Einstieg, falls nicht bereits erfolgt, Red Bull als Shot – “verleiht (schließlich auch) Flüüüügel”.
      😉

      1. Danke, ich freue mich, dass es Sie amüsieren konnte. Sie bemerken sicher, dass ich aus Erfahrung gesprochen habe. Die ich, im Gegensatz zu den ewig Hippie-Bleibenden, nicht zu glorifizieren gedenke. Zu der Zeit war ich jung und dumm. Es wäre geradezu eine Schande, würde ich heute noch immer dumm sein.
        Die “coolen” Eltern von heute aber rauchen – total lässig – mit ihren kaum 18 Jahre alt gewordenen Kindern gemeinsame Joints oder biedern sich ihnen sonstwie als anti-autoritär an. Wo aber doch dann mal die elterliche Strenge sich Bahn brechen will, kriegen sie den echten oder metaphorischen Stinkefinger gezeigt, wundern braucht sie es zwar nicht, frustrieren tut es sie aber allemal. HaHa!

        Ja, Ihre Vorstellung, dass sich aufs Neue die Klingelbeutel füllen, weil die Institution Kirche sich eben wie obige anti-autoritäre Eltern verhalten will, ist plausibel. Sie ist gerade eifrig – man möchte schelmisch “missionarisch” sagen – dabei, sich zu reformieren.

        Da sage ich als Christin: Jetzt erst Recht konservativ bleiben! 😉

        1. “…biedern sich ihnen sonstwie als anti-autoritär an.”

          Ui, na Sie sind offenbar aus der Zeit gefallen.😉
          Welcher Stil der Erziehung soeben propagiert wird und en Vogue ist, entzieht sich zwar meiner Kenntnis, aber der “bedürfnisorientierte” dürfte noch immer der favorisierte sein.
          Er besagt, dass selbst kleinste Kinder bereits Persönlichkeiten sind – also nicht durch Vor-/Leben, Lernen, Erfahrungen zu diesen werden – und prinzipiell ein Recht auf Eigenbestimmtheit haben.
          Alles wird gut.🫣

          “Da sage ich als Christin: Jetzt erst Recht konservativ bleiben!”
          DAS nennt man eigenbestimmt und frei vom kolportierten “Spirit” der Zeit zu sein.👍

          Weil in weniger als vier Wochen die Adventszeit beginnt, wünsche ich (unabhängig vom Glauben) eine Zeit, die folgendes beinhaltet:
          – das Durchatmen und zur Ruhe kommen, bevor alles von Neuem beginnt,
          – die erfüllende Gesellschaft von Menschen, die nicht selbstauferlegte Last oder (übers Jahr) Eintagsfliegen sind,
          – das Rückbesinnen an das “Wunder” Weihnachten, als man Kind war,
          – die (drogenfreie) Erkenntnis, dass die Qualität des Miteinanders und Lebens nur so gut sein kann, wie wenig oder viel man selbst dazu beiträgt.

          Mit den besten Wünschen.🤗

          1. Ich würde keine Sekunde mit Ihnen darüber streiten, dass auch schon kleine Kinder ihre eigenen Persönlichkeiten haben. Das macht sie noch lange nicht zu Vernunft begabten Wesen.

            Es war bis quasi gestern allgemein bekannt, dass sie Vernunft erst noch lernen müssen – dazu brauchen sie gut und gerne runde zwanzig Jahre – oft länger (pi mal Daumen bis sie einen eigenen Haushalt zu führen imstande sind, es sich also verdient haben, als der Vernunft begabt angesehen zu werden). Ließe man sie als kleine Racker über erwachsene Dinge bestimmen, die schon für die Erwachsenen selbst eine rechte Herausforderung sind, … na, Sie wissen schon. Lehren sollte man sie aber schon qua der elterlichen Autorität.

            Vielen Dank für die guten Wünsche für die kommende Zeit.
            Ich sende sie an Sie zurück!

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