Am Ende wurde es doch inhaltlicher, sagen die Kommentare zum Wahlkampf. So, wurde es das? Ist eine Frage zum Klimaschutz schon Inhalt und also alles gut? Wissen wir nach all den Triellen was auf uns zukommt? Bei den sogenannten Kanzlerkandidaten und der Kandidatin sicher nicht.
Um Inhalte ging es eher noch bei Fernsehauftritten der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parteien, die nicht so frech waren, jemanden zum Kanzlerkandidaten oder zur Kanzlerkandidatin zu küren. Wobei in diesem Fall einmal mehr Frechheit siegt. Denn natürlich wissen Redakteurinnen und Redakteure, dass wir gar nicht bestimmen, wer ins Kanzleramt einzieht, dennoch hat die Kandidatenkür den Dreien die ganz große Bühne bereitet – und sämtliche Inhalte weggefegt.
Entscheidungsstau
Ab dem Wahlabend geht es dann um Farbenspiele in den Medien. Und erst bei Koalitionsverhandlungen dürfte es dann hinter verschlossenen Türen um die Dinge gehen, die Wählerinnen und Wähler in Umfragen immer als wichtig benannt haben: die ganzen Wenden, die eigentlich anstehen. Energiewende, Agrarwende, Verkehrswende, sprich Klimaschutz. Das wird teuer und muss sozial abgefedert werden, am besten mit einer Wende in der Sozialpolitik und der Bildungspolitik. Ist eigentlich ein bisschen viel das Ganze. Zeigt aber auch, wie viel eben nicht gemacht worden ist von den Regierungen Merkel.
Was den Klimaschutz angeht, haben wir gewartet, bis wir den Wandel bemerken. Auf drei Dürrejahre folgte eines mit Sturzbächen und Fluten. Erst Missernten und Waldbrände, dann weggeschwemmte Weinberge und Äcker und Dörfer und Stadtkerne. Obwohl das letzte dieser Ereignisse mitten in den Wahlkampf rauschte, tröpfelte es kaum Realität in die Debatten. Es war schon erstaunlich, wie wenig Inhalt selbst die Betroffenheitsbesuche der Kandidatinnen und Kandidaten bei den Flutopfern brachten. Da wurde Hilfe versprochen, na klar. Da nahmen auch Politiker das Wort Klimawandel in den Mund, die das vorher vermieden hatten. Aber was das konkret bedeutet: Fehlanzeige.
Politikerinnen und Politiker, die in den Triellen und den Diskussionsrunden der Spitzenleute auftraten, trauten sich nicht, davon zu sprechen, dass wir solche Wetterereignisse in Zukunft immer häufiger erleben werden und dass sie auch durchaus noch heftiger ausfallen können. Niemand vom Spitzenpersonal sprach davon, dass wir in naher Zukunft wohl an vielen Stellen nicht mehr siedeln können, an denen jetzt noch Häuser stehen. Milliarden gibt es für den Wiederaufbau in den Flutgebieten, nur wo soll der flutsicher stattfinden? Als die Landwirte in den vergangenen Jahren Ausgleichszahlungen für Ernteausfälle wegen der Dürren erhielten, wurde auch nicht davon gesprochen, dass unsere Art von Landwirtschaft in manchen Landesteilen in Zukunft nicht mehr möglich sein könnte. Und als die Nadelwälder großflächig vertrockneten, gab es Geld fürs Wiederaufforsten, aber niemand sprach medial hörbar mit den Förstern darüber, ob neuer Wald überhaupt wachsen wird, wo der alte starb.
Es ist wirklich erstaunlich, dass unsere Politikerinnen und Politiker so wenig dieser manifesten Wirklichkeit in ihren Wahlkampf dringen lassen. Anders gesagt: Es ist erstaunlich, dass die Medien, allen voran das Flachbildmedium Fernsehen, sie einen solchen Wahlkampf machen lassen und dass wir alle dabei zuschauen.
Vergangenheit als Zukunftsaussicht
Wer im Norden der Republik aufgewachsen ist, hat vielleicht im Geschichtsunterricht mal gehört und gesehen, wie die heutige Küstenlinie der Nordsee entstanden ist. Da gab es zwei Ereignisse, die die Landkarte vollständig veränderten: die Grote Mandränke von 1362 und die von 1634. Das große Ertrinken brachten Sturmfluten, die Dörfer und Städte wegschwemmten und ganze Landstriche untergehen ließen. Übriggeblieben sind die heutigen Inseln und Halligen. Übrig geblieben ist auch der Name der untergegangenen Stadt Rungholt. Sie lag zwischen der heutigen Insel Nordstrand und der Hallig Südfall und hatte ebenso viele Einwohner wie das damalige Kiel. Heute heißt eine Schule in Husum nach ihr; ein paar Yachten tragen ihren Namen, ein Fischkutter und ein Ausflugsschiff, das Touristen zu den Halligen bringt. Geblieben ist auch Detlev von Liliencrons Untergangsballade „Trutz, Blanke Hans“. Das war’s.
Die damaligen Fluten haben die nachfolgenden Generationen schlauer gemacht. Sie haben das Gesetz ernst genommen, das an der Nordseeküste gilt: Deichen oder weichen! Auch derzeit werden wieder die Deiche erhöht. Aber die Halligen werden nicht zu retten sein und Teile der Inseln auch nicht. Und die Küstenlinie wohl nur, wenn wir das Ziel erreichen, das Erdklima nur um maximal 1,5 Grad zu erwärmen. Dass wir das schaffen, ist eher unwahrscheinlich, zumal mit dem jetzigen politischen Personal.
Wo Verwüstung droht
Was mit unseren landwirtschaftlichen Flächen in den ohnehin trockeneren Gebieten im Osten geschieht, kann man sich in Südspanien anschauen. Dort ist durch Raubbau am Wasser die Erosion so weit fortgeschritten, dass Landwirtschaft in manchen Gebieten nicht mehr möglich ist. Fincas wurden aufgegeben, die Jahrhunderte lang die Menschen ernährt hatten. Der Weltwüstenrat UNCCD, benannt nach der 1994 beschlossenen United Nations Convention to Combat Desertification, hat auf seiner Weltkarte der drohenden Verwüstung weite Teile Spaniens rot eingefärbt, weil dort schon Wüste entstanden ist oder entstehen kann. Ähnliches könnte auch unserer Landwirtschaft passieren, wenn wir der Erosion nicht Einhalt gebieten, die im Osten meist nicht durch Starkregen droht, sondern durch Wind in den trockener werdenden Jahren. Wer in Mecklenburg-Vorpommern Verkehrsnachrichten hört, erfährt immer wieder von sogenannten Sandstürmen, die den Autofahrern die Sicht nehmen. Was da durch die Luft fliegt, ist allerdings nicht Sand, sondern die oberste humushaltige Erdschicht der riesigen Ackerflächen.
Wenn die wenigen Dezimeter Humusschicht dieser Äcker in die Ostsee geflogen sind, ist es aus mit der Landwirtschaft. Dass wir aber deshalb jetzt schon mal umsteigen und Landwirtschaft anders betreiben, das wird zwar diskutiert, aber nur sehr selten auch gemacht. Dazu muss nämlich mit Zwischenfrüchten und Untersaaten gearbeitet werden, damit der Boden möglichst das ganze Jahr hindurch bedeckt und durchwurzelt ist. Das aber ist Mehrarbeit und kostet. Es müsste bezahlt werden.
Das gilt auch für die landwirtschaftlichen Flächen, denen Wassererosion durch Starkregen droht. Wenn dort Humus aufgebaut würde, statt ihn wegschwimmen zu lassen, würden die Böden auch mehr Wasser aufnehmen und speichern können. Wieder ist das probate Mittel die Zwischenfrucht und die Untersaat, die vergütet werden müssten. Was sich so einfach anhört, ist für viele landwirtschaftliche Betriebe eine große Umstellung, schon fast eine Agrarwende. Die würde uns allerdings aktiv beim Klimaschutz helfen, denn jedes Quäntchen Humus, das wir von den Milliarden von Helferlein aufbauen lassen, die im Boden leben, ist gespeicherter Kohlenstoff. Wenn wir vier Promille zusätzlichen Humus aufbauen würden in allen landwirtschaftlich genutzten Böden der Erde, wäre der gesamte zusätzliche menschengemachte CO2-Ausstoß eines Jahres im Boden versenkt.
Dieses Ziel wäre in Deutschland erreichbar, und das gleich mehrere Jahre hintereinander. Das hat das Thünen-Institut errechnet, die Forschungseinrichtung des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Was in den Studien nicht steht: Woher das politische Personal kommen könnte, das solches beschließt und auch durchsetzt, inklusive der Umwidmung der Fördermittel aus Brüssel.
Aber gut, warum soll auch eine Wahl alles ändern, und warum gerade diese? Die Aufgabe, die ganzen Wenden einzuleiten, die Not tun, bleibt uns wohl erhalten. Die können wir nicht mit zwei Kreuzchen erledigen.
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