
Es mag viele Gründe geben, weswegen man an den Niedergang westlicher Gesellschaften glauben mag. Der wesentliche Grund, der einem vom Schlimmsten ausgehen lässt, ist jedoch – die Doppelmoral!
Niedergang. Wir sind mittendrin. Manche nennen diese Entwicklung ganz schlicht: Spaltung. Sonntags ist das Gegenstand in politischen Reden, dann setzt man ein Verb dran, um besorgt zu klingen: Spaltung überwinden. In den Virusjahren wurde der Begriff so richtig populär – und hat man zuvor auch stets aufs Neue diese Spaltung klein- und sie für spielerisch überwindbar schöngeredet: Während der Maskerade bekannten sich innerhalb dieser Gesellschaft viele zu dieser Spaltung – sie sollte bitte endlich vollzogen werden, denn sie sei ja nicht per se schlecht. Wer will einen entzündeten Blinddarm schon behalten? Vornehmlich irgendwelche völlig überhöhten Wichtigtuer aus dem Bezahlfernsehen sprachen auf diese Weise – Honorare auf Zwangsbeitragsbasis machen »mutig«.
Mittlerweile scheint sich dieser Niedergang verstetigt zu haben. Diese Spaltung, wie manche es nennen – oder dieser Tribalismus, wie man es auch bezeichnen könnte – jedenfalls: Die Zerstörung des gemeinsinnigen Gedankens. Denn darum geht es eigentlich. Bevor Infektionsstatistiker und Modellrechner die Exekutive übernahmen, gab es noch eine Debatte über das Schwinden des Gemeinsinns. Für Nils Heisterhagen war dies etwa das Produkt eines überschießenden Liberalismus, der Werte und Ideale überflüssig machte, indem er behauptete: Anything goes. Es zeichnete sich bereits in jenen Jahren ab, dass die Vereinzelung die Gesellschaft so sehr in Splittergruppen tranchieren wird – und heute wissen wir, die Tribalisierung hat geklappt. Kaum noch jemand will mit jemanden sprechen, der »von einem anderen Stamm« kommt. Identität nennt man das dann euphemistisch: Die Betonung des Andersseins um jeden Preis.
Whataboutism: Die Ausrede der Ertappten
Zwangsläufig generiert dies Doppelstandards. Denn so gut wie jeder diese Stämme der zeitgenössischen Bundesrepublik weiß eines ganz klar: Menschen sind nur bei uns anzutreffen – die anderen sind Barbaren, Wilde, Unmenschen, denen man die gesellschaftliche Teilhabe versagt und ja versagen muss, so sich die Gelegenheit bietet. Das beginnt so, wie Ines Schwerdtner, Fraktionsvorsitzende der Linken, neulich bei Lanz sagte: Ihre »revolutionäre Freundlichkeit« endet bei der AfD – sonst ist sie zu allen nett. Seine Freunde zu lieben: Was ist daran revolutionär? Seine Feinde zu lieben: Das wäre eine Maßnahme – und war es schon mal. Letztlich endet die Spaltung dann dort, wo neulich ein Comedian sich wie ein Scharfschütze auf die Bühne legte, an Charlie Kirk erinnerte und ein virtuelles Ziel anvisierte: Dieter Nuhr.
Ob Ines Schwerdtner jenem Comedian namens Jean-Philippe Kindler, übrigens ein Angestellter des WDR und der Linken gleichermaßen, die Freundlichkeit versagen würde? Und darf man nochmals betonen: Mitarbeiter des WDR und der Linken? Ist das die vielgelobte politische Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Anstalten? Dessen Nummer hatte weder Hand noch Fuß, was heißt, sie war nicht komisch, schien nur darauf abzuzielen, einen deutschen Charlie Kirk in den Raum werfen zu wollen – Komik setzte eigentlich mehr voraus: Es sei denn, man tritt vor ideologisch Gleichgesinnten auf, dann wird jeder inkonsistente Unsinn zu einer buchstäblichen Mordsnummer. Man lacht, weil Signalworte fallen – wie Bekiffte kichert man los, ohne ein nachvollziehbares Sujet dafür zu haben.

Schwerdtner oder Kindler als Beispiele für die Verwegenheit derer anzuführen, die sich als das bessere Gegenangebot zum vermeintlich rechtsoffenen Bürger feilbietet: In deren Blase würde man nun ausbreiten, dass dieses Vergleichen nichts anderes sei als Whatsaboutism. Doch dieser englische Begriff ist nicht mehr als lediglich die Ausrede der Ertappten. Damit ist – laut Duden – ein Diskussionsstil gemeint, »bei dem auf Argumente stets mit Gegenfragen oder einem Verweis auf andere Probleme und Themen reagiert wird«. Wer also anführt, dass jene, die von sich behaupten, sie würden stellvertretend für das Gute stehen, ebenso grotesk agieren wie jene, die als die Schlechten eingestuft wurden, der hat nur eines im Sinn: Ein Ablenkungsmanöver – eines, dass die Doppelmoral im Schilde führt und daher als Argument unbedingt ausgeschaltet werden muss. Denn das Darlegen von sogenannten Doppelstandards wird als unlauter erachtet. Als Fehlargumentation geradezu.
Doppelstandards? Eigentlich ist es viel schlimmer!
Natürlich kontern gelegentlich Menschen auch Gesagtes und Dargebrachtes mit Vergleichen, die hinken – nehmen wir nur den Hitlergruß, den man auch Leuten wie Karl Lauterbach unterstellte, weil der mal in einer seiner unsäglichen Ansprachen zur Corona-Zeit den Arm hob und das ja angeblich dasselbe sei, wie wenn ein Neonazi mit Deutschem Gruß Einzug hält. Ist es natürlich nicht, zumal Lauterbachs Arm nur auf Standbildern wie ein solcher Gruß aussah – bei aller berechtigten Kritik an den Ex-Gesundheitsminister, ein erhobener Arm macht noch keinen Hitlergrüßaugust. Aber dennoch fühlt sich für viele Menschen, auch bei schiefen Vergleichen ebenso wie bei solchen, die mit Whataboutism-Ausflüchten abgewehrt werden, etwas in Schieflage an. Ob also diese Vergleiche berechtigt sind oder hinken, spielt keine Rolle. Die Doppelmoral ist für viele Menschen fassbar und real, auch wenn sie sich gelegentlich an Vergleichen knüpfen, die fadenscheinig sind.
Die, die den Vorwürfen der Doppelmoral das Wasser abgraben wollen und die mit dem billigen Schlagwort vom Whatsaboutism hausieren gehen, um so die Belanglosigkeit eines Vergleiches zu unterstreichen, möchten partout nicht gelten lassen, dass sie Doppelstandards bedienen – sie halten das Gerede von der Doppelmoral für noch so einen rechten Clou, um dem Fortschritt im Wege zu stehen. Dabei erkennt man aber auch, dass es um die Debattenkultur noch viel schlimmer steht. Denn die Betrachtung, dass eine Doppelmoral wirkt, geht ja davon aus, dass es zwei Maßstäbe gibt, mit dem man misst. Den für die eigenen Erzählungen und Geschehnisse und jenen, den man für Erzählungen und Geschehnisse anderer Gesellschaftsgruppen verwendet. Die Gegenseite weiß also, dass es noch einen Maßstab gibt. Aber im Grunde gibt es für den Doppemoralisten diesen zweiten Maßstab gar nicht mehr – man vermisst nur noch mit jenen Maßangaben, die man für sich selbst festgelegt hat. Dass es andere Wertungen, Betrachtungen, Einschätzungen etc. gibt, die aus differenten Lebensverhältnissen und -erfahrungen resultieren, wird voll arroganter Selbstüberhöhung einfach ausgeblendet und für nichtig erklärt.
Anders gesagt: Die Doppelmoral gibt es letztlich nicht. Oder nicht mehr. Es gibt bloß noch die eine Moral, die eigene Moral, den sich selbst entworfenen ethischen Kompass, den man anwendet, um alle Menschen damit zu beglücken – oder eben zu verärgern. Dass Moral in vielen Fragen eine flexible Entität ist, die sich aus Erlebtem und Erfahrenen nährt, wäre eigentlich eine Binsenweisheit, scheint aber in diesen Zeiten nicht mehr selbstverständlich. In einigen Fragen war Moral bis zuletzt universell für alle Gruppen – etwa in der Frage, ob man Menschen töten sollte oder nicht. Wie sich an den despektierlichen Reaktionen auf die Ermordung Charlie Kirks zeigte, scheint auch diese Gewissheit in Auflösung begriffen. Nun Dieter Nuhr ins Visier zu nehmen – und sei es auch zunächst mal nur »kabarettistisch« – zeigt schon an, dass es die eine Moral auf diesem Gebiet existenziell-ethischer Fragen auch nicht mehr zu geben scheint. Denen, denen man Doppelmoral unterstellte, kann man das immer weniger nachsagen, denn sie kennen keine zwei Moralen, sie kennen nur ihre eine und eigene: Und die ist allem, jedem, immer, überall überzustülpen.
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Bundesregierung will Gehälter von US-Militärmitarbeitern zahlen.
Das wird Trump sicher freuen 🙂
Dann muss wohl bald auch die Pflegestufe 2 gestrichen werden.
Zum Artikel und der rechten und kriegsbegeisterten,“Linken“.
Van Aaken wusste letztens in der ARD zu berichten er hätte sich 15 Tafeln Schokolade aus einem Sonderangebot gegönnt. Zu den überteuerten Lebensmittelpreisen und die Ursachen vermochte er aber nichts wesentliches sagen.
Noch geiler sein lautes Wehklagen über zu hohe Energiepreise. Vor zwei Wochen oder so beklagte er sich bei Miosga über die „illegalen russischen Öltanker“ in der Ostsee…
@ Otto0815
Mittlerweile ertappe ich mich dabei, dass ich bekennende Linken- wähler oder mitglieder wie geistig Behinderte behandele.
Seit Hyänen-Heidis Chor und ihrem öffentlich und lautstark zelebrierten zielgruppenorientierten Lobgesang auf den Frotzelfreitag blieb mir glatt die Spucke weg.
Generell, wer noch wählen geht ist ganz geistig behindert.
Dummes TV-Geschwätz würde ich noch nicht mal so hoch hängen. Aber das die LINKE sich an Merz und NATO verhurt hat, vermag nur noch Übelkeit zu bereiten. Doch irgendwie haben die neuen Bonzen tatsächlich geschafft, eine Welle zu reiten, was sie vor dem endgültigen Absaufen bewahrt hat. Ekelhaft aber -vorerst- erfolgreich. Hätte ich nicht gedacht.
Wie es aussieht erleben wir in Deutschland und auch weltweit, wie verschiedene Fraktionen des Bürgertums um die Hegemonie kämpfen. Es ist mir nicht ganz klar, warum die LINKE glaubt, Partei ergreifen zu müssen. Die können doch nicht ernsthaft so bescheuert sein, dass sie dass ganze Demagogengeschwätz für bare Münze nehmen. Die können doch nicht wirklich glauben, dass für sie noch ein Platz am Tisch frei sein wird, wenn sich eine Partei durchsetzen konnte oder zusammenwuchs, was zusammengehört. Sie werden dann wieder wie der Dreck, behandelt, zu dem sie sich selbst machten.
„Links“ ist bis auf Weiteres tot.
Ich bin nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe, aber ich halte das für falsch. Vielleicht argumentieren wir auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen, daher vielleicht als Prämisse:
„Moral“ ist ungleich „eigene Sichtweise“
Moral manifestiert sich in abstrakten Regeln, etwa „was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu“
Diese abstrakte Regel akzeptiert man… oder eben nicht. Akzeptiert man sie, muss man sie auf andere UND auf sich selbst anwenden, sonst praktiziert man Doppelmoral.
Bei Leuten, die Doppelmoral praktizieren, ist es meiner Erfahrung nach oft so, dass sie fremde Verfehlungen schon danach bewerten, die eigenen aber nicht erkennen wollen und wenn man sie ertappt, wortreich begründen, weshalb die moralische Regel in diesem Fall nicht angewendet werden kann, darf, sollte… oder sie (die noch primitiveren Charaktere) gehen gleich zum persönlichen Angriff über („du kritisierst mich, also gehörst du zum feindlichen Rudel und musst vernichtet werden“).
Man kann daher Doppelmoral eigentlich recht gut erkennen (auch wenn nicht alles Doppelmoral ist, was auf den ersten Blick so erscheint, sehr oft sind die Details enorm wichtig), nur derjenige der sie anwendet ist kognitiv/logisch meist nicht in der Lage dazu oder handelt einfach opportunistisch und unredlich. Moral und ihre Anwendung hat halt mit Logik zu tun.
Bei „Sichtweisen“ ist es anders, da diese sein Set aus Einstellungen und Lebenserfahrung sind, sind sie völlig individuell und ich stimme Herrn Lapuente zu, dass es viele Menschen gibt, die keine anderen Sichtweisen zulassen wollen und entsprechend auch keine anderen kennen bzw. akzeptieren und alle Menschen entsprechend ihrer eigenen (begrenzten) Sichtweise einsortieren. Das findet aber weniger auf der Ebene der Logik statt, sondern mehr auf der Ebene „Offenheit“.
Apropro, das fällt so ein bisschen in den Bereich:
https://de.wikipedia.org/wiki/Big_Five_(Psychologie)
„Offenheit“ gilt da als eigene Kategorie, „Logik“ würde ich bei „Gewissenhaftigkeit“ einordnen.
„Moral“ ist ungleich „eigene Sichtweise“
Moral manifestiert sich in abstrakten Regeln, etwa „was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu“
So einfach ist es nicht. Wenn ich jemanden ermorde und sage es wäre Selbstverteidigung, dann bin ich aus dem Schneider. Moral ist die eigene Sichtweise, entweder individuell oder auch der eigenen Gruppe, der man sich zugehörig fühlt.
„du kritisierst mich, also gehörst du zum feindlichen Rudel und musst vernichtet werden“
Genau das ist eine moralische Argumentation. Ausgehend von einem ideologischen Dogma, der Moral. Moral gehört in die Kategorie der Ideologien, sogar in das Teilgebiet der dogmatischen Ideologien. Im Gegensatz dazu sind nicht-dogmatische Ideologien offen für Veränderung, messen sich an der erfahrenen Realität, wie etwa Hypothesen. Dann kann auch argumentiert werden, was mit dogmatischen Ideologien, wo moralische Werte eine Rolle spielen, schlecht möglich ist.
Wie lautet denn die abstrakte (für alle anwendbare) moralische Regel? In meinen Augen ist das eben keine Moral, nichtmal eine Ideologie, sondern primitivste Rudelkonformität (die man allerdings für allerlei Ideologien instrumentalisieren kann).
„Wie lautet denn die abstrakte (für alle anwendbare) moralische Regel?“
Das ist die Suche nach dem Stein der Weisen. Denn moralische Regeln sind abhängig von der zugrunde liegenden Ideologie oder Religion. Nach meiner Erfahrung ist für Liberale die Freiheit der höchste moralische Wert. Für mich persönlich wäre es das Recht auf Leben. Woraus sich dann konkret erhebliche Unterschiede im praktischen Leben ergeben. Ich ziehe die Unfreiheit dem Tod vor.
Ach so, du drehst das herum und lässt die persönliche Ideologie die moralischen Regeln setzen. Das ist jetzt für eine Gesellschaft als Ganzes nicht sinnvoll, aber ich spiele das mal mit, denn es ändert ja nichts daran, dass die Moral dann (theoretisch, falls die Ideologie sich durchsetzen würde) für alle gleichermaßen gelten müsste (also abstrakt zu sein hat).
Im Beispiel:
Wenn ein Liberaler „Freiheit“ als höchsten Wert hat, dann muss er daraus auch konkrete moralische Regeln ableiten (die er dann konsequent einhalten muss, selbst wenn sie ihm schaden).
Selbiges gilt für „das Recht auf Leben“ (welche abstrakten moralischen Regeln würdest du denn daraus ableiten?)
Die persönliche Ideologie leitet sich natürlich aus der gesellschaftlichen Ideologie ab. Ebenso leitet sich die Moral aus der Ideologie ab, im individuellen wie im gesellschaftlichen. Da es aber verschiedene Ideologien auf der Welt gibt ist die Suche nach abstrakten moralischen Regeln mit Allgemeingültigkeit ziemlich aussichtslos. Wenn du meinst eine gefunden zu haben, dann doch nur aufgrund deiner eigenen ganz persönlichen Lebenseinstellung, und mit Sicherheit ohne Allgemeingültigkeit aber mit Dogmatismus.
Im Übrigen findest du „konkrete moralische Regeln“ in der Religion oder auch im Recht der Staaten.
Du hast meine Argumentation gar nicht verstanden, oder? Na gut, kompliziertes theoretisches Thema, ich versuch es nochmal.
Ich habe gegen den Autor argumentiert, nämlich dass es eben doch Doppelmoral gibt, weil eine moralische Regel (egal welche, ob sie allgemeingültig ist oder nicht, spielt keine Rolle) von demjenigen, der sie vertritt, ebenso eingehalten werden muss, wie er die Einhaltung von anderen fordert.
Wenn derjenige, der sie vertritt, sich an seine eigene moralische Regel nicht hält, dann praktiziert er Doppelmoral.
Stimmst du mir zu? Wenn nicht, dann würde mich die Begründung interessieren.
„Charlie Kirk konnte den Hals nicht vollkriegen…“
Was ist das für ein Publikum, das darüber lacht? Unterirdisch!
@ Elberadler
Eine Frage des Anstands und der Impulskontrolle. Sofern vorhanden.
Ein simpler Grossbuchstabenschriftzug mit misslungenem Sprayeffekt vor Ziegelhintergrund mit KI entwickelt? Was gibts da gross zu entwickeln? Wo braucht man „Intelligenz“ dafür? Schon gelesen, dass die Nutzung von KI zur Lösung selbst trivialer Probleme wahrscheinlich zur Verkümmerung eigener geistiger Fähigkeiten führt?
Dafür braucht man mit Photoshop auch nur einige Sekunden (und eine reale Umsetzung fällt aus Kosten- und Umweltgründen aus 🙂 )
Solange Herr Lapuente seine Texte nicht von KI formulieren lässt, sehe ich da kein Problem.
Ein Blick in die Zeit des Prä-AnythingGoes zeigt einen interessanten Unterschied: Die Mobilität. Wer hat denn heute noch einen Arbeitsplatz um die Ecke? Kann den zu Fuß erreichen? Wieviel Zeit wird insgesamt aufgewendet, um die illusorische Freiheit des Unterwegsseins zu exekutieren? Bei Notwendigkeit wird der Karriere bedingte Ortswechsel vollzogen, wieder als Neuankömmling im jeweiligen Kiez, und bevor die ersten Begegnungen zu oberflächlichen Kontakten werden, wird der nächste Karriereschritt fortgesprungen.
Oder Mensch ist nur Dienstleistungs-Präkariat und verdingt sich 24/7 als Fastfood-Lieferanten-Eichhörnchen.
Oder es wird im isolierten Homeoffice gesessen: Ist das ein Team-Meeting oder Netflix? Muss ich mir Unterwäsche anziehen?. Echten Bezugs-Kontakt hat es dann nur noch zu öffentlichen Figur-Darstellern, wie uns der Autor auf deprimierend eindrückliche Weise zeigt, indem er über Gesichter spricht, die nur vom bunten Wattebausch oder dem Black Mirror bekannt sind.
Sich in Deutschland oder Europa über Doppelmoral unterhalten oder echauffieren zu wollen, ist schon etwas merkwürdig, denn die ist seit den Kolonialzeiten integraler Bestandteil jeder bornierten (National-) Identität. Jeder Malocher, jeder Weberin hätte ohne die vorherige Ausbeutung fremder Ressourcen sich nicht zu Tode schuften können, aber es wurde selbst von diesen als Eigenleistung vorgezeigt und hochgehalten.
Doch bleiben wir in der Gegenwart und da hat die Doppelmoral schon ihren Sinn und ihre spezielle Bedeutung: „Das ist die Moral für euch und das ist die Moral für mich.“
So einfach kann es sein.
Seit wann webten die in erster Linie Rohstoffe aus „ausgebeuteten“ Ländern? Das ist doch Quatsch. Die wahren geopolitischen Verhältnisse werden vor den eigenen Leuten doch maximal verschleiert und die „Eliten“ wissen genau, weshalb sie das tun. Da das zunehmend nicht mehr funktioniert, wird ja der Westen von einer Art Autoimmunerkrankung zerfressen. Es bringt uns aber nichts, den Zerfall zu optimieren, wie müssen die Eliten unter Kontrolle bringen und endlich verantwortliche Außenpolitik betreiben!
Leider geht nicht beides gleichzeitig, Trump ist z.B. an der Macht, weil es Menschen gibt, die die Autoimmunerkrankung loswerden wollen, gleichzeitig verstärkt Trump sie aber noch, weil er die psychologischen Zusammenhänge nicht versteht und wahrscheinlich auch nicht weiß, wie er die Differenzen in einer konstruktiven Synthese befrieden soll…
Scheinregen
heute 13:08 Uhr
„Seit wann webten die in erster Linie Rohstoffe aus „ausgebeuteten“ Ländern?“
Stichwort Baumwolle.
Das hinkt ein bisschen, zumindest für Deutschland, weil Baumwolle erst relativ spät aufkam und dann in erster Linie durch den internationalen Handel nach Deutschland kam (das selbst m.W. keine Kolonien zu der Zeit hatte). Davor wurde m.W. jahrhundertelang mit Wolle und Leinen gewebt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Baumwolle#Verbreitung_der_Baumwolle_in_Mittelalter_und_Neuzeit
Und selbst in GB war die Gegenwehr groß (selbe Quelle):
Ausgerechnet den Webern daraus einen Strick drehen zu wollen, wäre bösartig.
Scheinregen
heute 14:26 Uhr
„Das hinkt ein bisschen, zumindest für Deutschland, …“
Ich habe für ideologische Streitereien keine Zeit. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Baumwolle überwiegend einen kolonialistischen Hintergrund besitzt, die sich mit dem Begriff des ‚Webers‘ verbindet (England).
@Dan: Danke
@Scheinregen
Nicht alle »Ressourcen« sind »Rohstoffe«, aber alle »Rohstoffe« sind »Ressourcen«.
Definition: „uns/wir“ im Folgenden als Rezipienten von OT o.ä.
Da Sie das wissen (so wie ich und eigentlich jeder in diesem Forum), dass es so ist, ist unsere geliebte Elite scheinbar auch in der Irreführung nicht sonderlich kompetent. Was sagt das über uns? Sind wir leichtgläubig, hoffnungsvoll, bequem, ignorant, dumm oder nur mit robuster Doppelmoral ausgestattet? (War das jetzt schon »Whatsaboutism«?)
Weiterhin denke ich, dass der Westen weiterhin sehr gut funktioniert. Nicht für Sie, nicht für mich, nicht für die meisten, aber für die wenigen, für die es schon immer funktionierte und – obacht – diese vereehrte, angehimmelte und als höchstes Ziel erstrebenswerte Elite hat auch ihre eigene Doppelmoral. Die verschleiern sie verbal allerdings sehr gut.
Was Sie weiter unten beschreiben und als »Autoimmunerkrankung« diagnostizieren ist nur Entertainment, für manche blutig bis tödlich, aber naja, the circus is in town und er ist gekommen, um zu bleiben, sonst langweilen wir uns noch und fangen an, zu handeln.
Meines Erachtens ist das eine Folge des Internets und des besseren Austausches, es funktioniert aber nur mit angezogener Handbremse, weil die Zusammenhänge viel komplexer sind, als den meisten bewusst ist (die linke Blase vereinfacht und moralisiert zu extrem, du m.E. auch, was erwartbar Widerstand hervorbringt).
Viel schlimmer: weitgehend machtlos. Eine Masse folgt anderen Gesetzen, als ein einzelner Mensch, Gesetze die die Elite relativ gut beherrscht, während die meisten Menschen das für eine Art Magie zu halten scheinen und sich in der (weitgehend wirkungslosen) Beschwörung iher Mitmenschen ergehen, falls sie nicht sowieso auf Ablenkungen und Desinformation hereinfallen.
Ich bin nicht sicher, ob ich die woke Spaltung der Gesellschaft, den Wahn, alles Eigene zu hassen, alle Nationalstaaten und Grenzen zu schleifen, sich selbst zu Tode zu geißeln, die eigene Kultur wegverdünnen zu wollen usw. wirklich für „Entertainment“ halte. Eins ist es aber ganz sicher: ziemlich dumm und kontraproduktiv.
Man muss das Gute im Eigenen sehen und verteidigen und die schlechten Eigenschaften darin benennen und transformieren.
„Gemeinsinn“ ist in einer Gesellschaft, die auf Gegensätzen beruht, nie mehr als die moralische Begleitung dieser Gegensätze. „Sonntagsreden“ heißen immer schon so, weil sie am Feiertag das beschwören, was im Alltag eben nicht gilt.
Den Begriff „Doppelmoral“ gibt es noch nicht so lange. Offenbar haben inzwischen einige Menschen entdeckt, dass die Moral, von der sie offenbar viel halten, gar nicht gültig in dem Sinne ist, dass sie überall zu gelten hätte. Der Konjunktiv ist quasi schon immer Bestandteil der Moral. Wäre das nicht so, dann bräuchte es keine Moral.
Moral ist immer eine Veranstaltung, die das Sollen in Anschlag gegen die Realität bringt, weil die eben nicht von sich aus der Moral entspricht. Und praktisch auch gar nicht der Moral entsprechen kann.
Anders gesagt: dort, wo es Moral braucht, scheint es keine gute Gründe zu geben. Der Imperativ tritt an die Stelle der Vernunft.
Kurz und knapp. Besser geht nicht.
Danke.
Im rechten Spektrum gibt es den Punkt, ab dem Menschen, die nicht den eigenen Gruppen angehören, nicht mehr Achtung als uveräußerliches Anerkennen der Menschlichkeit schlechthin gewährt wird. Alle, die sich jenseits davon aufhalten, können nicht Teil des Diskurses in einer humanistischen Werten verpflichteten Gesellschaft sein.
Ja, das haben Nazis so an sich, ist ja auch ihr Grundmerkmal, die eigene Clique in den Himmel zu heben, die anderen in die Hölle.
Das Wichtigste ist doch, dass diese Gesellschaft den Bach runtergeht und das geschieht am schnellsten durch Spaltung.
Ja, was denn nun?