Staat, Gewalt, Krieg

Bild: Tim Rademacher/ CC-BY-SA-4.0

 

Ein junger Journalist schwimmt gegen den Meinungsstrom und begründet seinen Entschluß, sich der Vaterlandsverteidigung im Kriegsfall entziehen zu wollen.

 

Die deutsche Politik und deren Sprachrohr in Gestalt der Mainstreammedien sehen sich durch Russland bedroht. Die Nato, deren Mitglied Deutschland ist, hat die russische Staatsführung durch ihr Vorrücken an dessen Grenzen und in dessen Sicherheitsbereiche vor ein Dilemma gestellt, aus der es für die russische Staatsmacht kein Entkommen gab: entweder Russland akzeptiert, dass die Nato mit ihrem militärischen Potentialen in dessen Grenz- und Sicherheitszonen präsent wird, oder es reagiert darauf militärisch! Russland hat sich, als insbesondere die Aufrüstung der Ukraine durch die Nato immer bedrohlichere Ausmaße anzunehmen begann, für Krieg gegen das Land entschieden. Die deutsche Politik wird seither nicht müde, ihre Hände in Unschuld zu waschen, will von einer Provokation Russlands durch die vorausgegangenen und weiterhin anhaltenden Nato-Aktivitäten nichts wissen und bezichtigt die Föderation des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs, den sie nach Kräften zu befeuern bemüht ist.

Die nach der Auflösung der Sowjetunion einsetzende schrittweise Expansion der Nato nach Osten und die bald danach folgende militärische Reaktion Russlands hat mit dessen Einmarsch in der Ukraine den imperialistischen Charakter der an dem Konflikt beteiligten nationalen Interessen offenbar werden lassen. Das alte Feindbild des despotischen bösen Ostens wird reaktiviert und konterkariert mit der Selbstbeschreibung des Westens als Hort der Freiheit und der Demokratie, die es zu verteidigen gelte. Der russische Nationalismus seinerseits erblickt im Westen einen Feind, der sich mit ukrainischen Nazis gemein macht und sich deren Diensten bedient, um seine ostwärts gerichteten expansionistischen Ziele durchzusetzen.

Beide Seiten werfen sich gegenseitig imperialistische Ambitionen vor, wogegen die jeweils eigene Bevölkerung zu mobilisieren und zu militarisieren ist. Für die stellt sich nun die Frage, inwiefern sie sich von der ihnen aufgenötigten Zuschreibung, als die letztendlich individuell Betroffenen der jeweiligen nationalen Kriegsziele überzeugen lassen, um in der Konsequenz ihr Leben für die von den Politikern verfochtenen nationalen Anliegen aufs Spiel setzen zu wollen. Die moralische Zurichtung des jeweiligen Feindes als das zu bekämpfende schlechthin Böse leuchtet vielen Bürgern beider Seiten umstandslos ein und sorgt dafür, dass dessen aktive militärische Bekämpfung als alternativlos wahrgenommen und akzeptiert wird.

Wenn nun ein Journalist namens Ole Nymoen daherkommt und in einem schmalen Büchlein begründet, „Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde“ und er es geschafft hat, dass sich der bekannte Rowohlt-Verlag zu einer Veröffentlichung des Manuskripts entschlossen hat (alle mit Seitenzahlen versehenen folgenden Zitate stammen aus dem Buch), somit also auch für eine ausreichende Verbreitung gesorgt ist, dann darf davon ausgegangen werden, dass ihm aus den Medien ein heftiger Wind entgegen weht. Georg Schuster hat in seinem Beitrag einen Eindruck davon vermittelt (Einer der den Kriegsdienst verweigert). Denn der Autor bedient sich keineswegs der hierzulande so beliebten Tour, dem neu auferstandenen Feind seine Kriegsverbrechen und seine Brutalität in moralisierender Art und Weise vorzuhalten, um ihn damit zu delegitimieren, sondern widmet sich den Interessen, die Staaten dazu motivieren – und damit ergreift er weder für die eine noch die andere Seite Partei! –, sich mit Ihresgleichen auf kriegerische Auseinandersetzungen einzulassen. Der Autor bezieht sich dabei ausdrücklich nur auf den Krieg zwischen Staaten und lässt andere Formen der militärischen Auseinandersetzung beiseite.

Weil sich als Humanisten verstehende Bürger gern die Frage nach dem Sinn eines Krieges aufwerfen, um daraufhin dessen Sinnlosigkeit zu konstatieren, wenn fortwährend eine große Zahl von Soldaten den militärischen Scharmützeln zum Opfer fallen und nebenbei auch „unschuldige Zivilisten“ dabei ihr Leben verlieren, beweisen sie damit ihr Unvermögen, die Zwecke zu erkennen und begreifen zu wollen, die Staatenlenker mit ihren Kriegen zu verfolgen pflegen. Kriegsverantwortliche sind keine Sinnsucher, was sie aber nicht davon abhält, dem Volk ihre kriegerischen Unternehmungen als sinnvolle Alternative zu einem friedlichen Austrag ihrer nationalen Konkurrenzhändel zu versichern. Dass sie dabei ihre politischen Machtambitionen von ihren ansonsten an einem friedlichen Alltagsleben interessierten Untertanen ausfechten lassen, könnte denen durchaus zu denken geben, tut es aber eher selten. Also wird der Feind in den grellsten Misstönen ausgemalt und als moralische Herausforderung dargestellt, die es gemeinschaftlich und unter Opfern zu bewältigen gilt. Der eigentliche Sinn des Krieges wird damit aber verfehlt.

„Sinnlos kann der Krieg nicht sein, sonst würde er nicht permanent wüten in der Welt. Von Regierungen, die fremdes Gebiet erobern und annektieren wollen, bis hin zu Kriegsgewinnlern in Rüstungskonzernen finden sich allerlei Verursacher und Nutznießer, von denen ein jeder weiß, wenn er auch sonst nichts weiß.“ Deshalb stellt sich hier die Frage: „Für wen ist der Krieg eigentlich sinnvoll?“ (29f)

Jede Seite ist nur das jeweilige Werkzeug in den Händen ihrer politischen Führung

Für die Normalbürger kann Krieg keinen Sinn ergeben, denn alles, was sie dabei „gewinnen“ können, ist der mit großer Wahrscheinlichkeit eintretende Verlust ihres Lebens. Krieg bedeutet Gewaltanwendung und Gewalterfahrung, sie sind dabei Handelnde und Betroffene, die in ihrer Rolle als Soldaten ihren Willen aufgeben, wenn sie in den Kampf ziehen wollen. „Das tun sie nicht, weil sie selbst persönliche Probleme mit den Angehörigen des angegriffenen Staates hätten – sondern weil sie von ihren Herrschern den Befehl dazu erhalten. Zwar mag es sein, dass die Soldaten den Krieg aufgrund nationalistisch-chauvinistischer Vorurteile über die andere Seite für gerechtfertigt halten. Diese subjektive Motivation spielt jedoch keine Rolle: Krieg beginnt, wenn er befohlen wird, und er unterbleibt, wenn er nicht befohlen wird.“ (34) Überleben sie den Krieg, bleiben ihnen die Traumata durch den Kampf um‘s Überleben und das erfahrene Grauen des eignen Tötens bzw. Getötetwerdens anderer erhalten.

„Die Gewalt ist wohlgemerkt kein Selbstzweck.“ (34) Es geht dem politisch Verantwortlichen für einen kriegerischen Akt nicht um das Töten schlechthin, sondern um den Einsatz desselben als „Mittel zum Zweck des eigenen Machtausbaus. (…) Er greift die gegnerischen Soldaten nicht als zu eliminierende Individuen, sondern zuallererst als Repräsentanten der feindlichen Staatsmacht an – in der Hoffnung, dass ebendiese Staatsmacht die eigene Unterlegenheit anerkennt und vor dem Angriff einknickt.“ (35f) Dafür sind ihm alle Mittel recht, sofern sie nicht die eigene Position beeinträchtigen. Soldaten, die von ihrer Mission überzeugt sind, bringen das Kunststück fertig, in den ihnen unbekannten Kontrahenten Feinde zu erblicken, weil diese stellvertretend für den gegnerischen Staat agieren, der ihnen als das Böse und moralisch Verkommene schlechthin eingetrichtert wird, ohne dass ihnen auffallen würde, dass sie in den Augen ihrer Feinde mit genau denselben Eigenschaften ausgestattet wahrgenommen werden.

Was ihnen dabei entgeht: Jede Seite ist nur das jeweilige Werkzeug in den Händen ihrer politischen Führung: „Die Herrscher eines Staates stellen den eigenen Machtausbau oder -erhalt, also ihre staatliche Souveränität, über das Leben der Bürger und verfügen bedingungslos über ebendiese.“ (38) Um als Soldat die Rolle des willigen Handlangers der Regierenden vorbehaltlos ausüben zu können, bedarf es einer möglichst bruchlosen Identifikation mit den Zielen der jeweiligen nationalen Herrschaft. Nationalistisch gesinnte Politiker, Parteien, Medien und alle jene, die sich die Anliegen ihrer Nation zueigen gemacht haben, sorgen für deren Zustandekommen im Sinne einer möglichst umfassenden ideologischen Gleichschaltung. „Der Mensch, dessen Existenz (…) eigentlich ein Zweck an sich sein sollte, wird zum bloßen Mittel der Machthaber, zum Ding, zur Manövriermasse.“ (40)

Ole Nymoen.  Bild: Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Verteidigt wird die bestehende staatliche Herrschaft

In der öffentlichen Auseinandersetzung über das Pro und Contra spielt der Verweis auf das Recht zur Selbstverteidigung eine herausragende Rolle. Indem eine fiktive Angriffs-/Verteidigungssituation auf das individuelle Niveau heruntergebrochen wird, erscheint die persönliche Abwehr eines Angriffs als das passende Beispiel für die Verallgemeinerung derselben auf eine zwischenstaatliche Ebene und das Recht auf militärische Gegenwehr als zwingend. „Während bei einer Gewalttat zwischen Privatpersonen die angegriffene Seite tatsächlich sich selbst verteidigt, also mit eigener Gewalt das eigene Leben schützt, ist es beim Staat anders. Wo dieser angegriffen wird, verteidigen sich die Staatschefs bekanntlich nicht selbst, sondern entsenden Dritte zum Schutz der eigenen Souveränität.“ (41)

Beschützt wird durch den persönlichen Einsatz des Lebens nicht das des einzelnen Bürgers, sondern die Staatsgewalt, für die er seines auf‘s Spiel zu setzen hat. Beschützt wird auch nicht seine Freiheit, wenn er zum Kriegsdienst verpflichtet (oder genauer: gezwungen) wird. Die militärische Verteidigung eines Landes führt ebenso zur Zerstörung eines Landes wie dessen Beschuss, was wiederum die am Krieg nicht unmittelbar beteiligten Zivilisten zu spüren bekommen, wenn sie entweder ins Feuer geraten oder flüchten müssen mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Selbst ein aus der Verteidigung hervorgehender Sieg geht nicht ohne die Zerstörung des eigenen Landes vonstatten. Der Zweck der Verteidigung kann also nicht im Schutz von Land und Bevölkerung bestehen.

„Hier sehen wir also, wer oder vielmehr was in diesem Krieg tatsächlich verteidigt wird. Es sind nicht die Kämpfenden und auch nicht die Zivilisten. Es ist die bestehende staatliche Herrschaft. Der Schutz, den der Staat (…) seinen Bürgern bietet, ist keineswegs einer vor Gewalt schlechthin. Es ist der Schutz vor Fremdherrschaft …“ (46) Der Staat nimmt sich die Freiheit, „seine Untertanen als Werkzeug gegen den militärischen Feind zu gebrauchen.“ (47) Die lassen sich das gefallen, weil sie den Staat als eine notwendige Voraussetzung ihrer Existenz begreifen.

Das gilt auch für eine weitere maßgebliche Instanz im Kapitalismus: die Unternehmer. Deren Geschäfte können im Zusammenhang mit militärischen Bestrebungen aufblühen oder – wenn es dann kriegerisch zur Sache geht – stark oder weniger stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Ob das Resultat eines Krieges für sie von Vorteil sein wird, hängt ganz vom letztendlichen Ausgang desselben ab sowie von Art und Zustand der Beute. Weil in Zeiten enger internationaler Geschäftsbeziehungen es aber schwieriger geworden ist, militärische Feldzüge aus rein ökonomischen Gründen zu rechtfertigen, werden andere Mittel eingesetzt, um Einfluss auf die Entwicklung einer fremden politischen Landschaft nehmen zu können und sich dadurch langfristige ökonomische Vorteile zu verschaffen (z.B. indem Farbenrevolutionen angezettelt werden, die zu den gewünschten staatlichen Zuständen führen oder indem politisch genehme separatistische Bestrebungen unterstützt werden, die sich natürlich auch wieder als Staatsgewalt etablieren sollen).

Staaten sind immer das Ergebnis von Gewalt. „Staaten entstehen nicht, weil eine Gruppe von Menschen basisdemokratisch dazu übereinkommt, einer höhergeordneten Instanz das Gewaltmonopol zu übertragen.“ (56) Eine Staatsform wird den Bürgern von daran interessierten Leuten mit dazu erforderlichen Gewaltmitteln aufgenötigt (aktuelles Beispiel: Syrien nach dem Sturz Assads). „Wenn man (…) davon ausgeht, dass Staaten kontingent gewachsene Gewaltmonopolisten sind, die sich ihr eigenes Volk erst geschaffen haben, dann bedeutet der Krieg (…), dass Menschen aufeinandergehetzt werden, die nur deshalb in einem Antagonismus zueinanderstehen, weil man sie in Friedenszeiten dazu erzieht und ihnen im Krieg befiehlt, diesen Gegensatz mit Gewalt auszutragen.“ (58)

Deutsche, die zwei von ihren Staatsgewalten vom Zaum gebrochene Weltkriege durchlebt haben, waren dermaßen von ihrem Gewaltmonopolisten überzeugt, dass sie sich nach dem Ende des zweiten nichts anderes vorstellen konnten, als sich wiederum einem neuen, nun demokratischen Staat zu unterwerfen. Sie konnten sich ein Leben ohne Staatsgewalt einfach nicht vorstellen. Aber: „Der Staat ist kein Dienstleister am Volk, der gnädigerweise Sicherheit und andere Wohltaten gewährt, sondern spannt umgekehrt seine Bürger für die eigenen Zwecke ein, von denen sie oftmals wenig haben.“ (59) Wie zutreffend dies war, belegt der bald nach dem Ende des Nazistaates wieder aufkeimende Wunsch nach Wiederbewaffnung. Schritt für Schritt wurde die BRD zu einem vollwertigen Staatswesen ausgebaut, das sich schließlich sogar seinen abtrünnigen Teil wieder eingemeinden und damit seinen Machtbereich ausdehnen konnte. Dazu sind nicht allein Kriege erforderlich.

Durch Expansionsbestrebungen unterhalb direkter kriegerischer Auseinandersetzungen sind alle maßgeblichen Staatsgewalten darum bemüht, ihre Einflusssphären auszudehnen, um dem in ihren Grenzen und darüber hinaus beheimateten Kapital die für dessen Gedeihen und Wachstum erforderlichen Voraussetzungen herzustellen und abzusichern. Das erzeugt Interessenskonflikte mit anderen Staatsgewalten, wenn dadurch in deren eigene Einflusssphären hineinre- und -agiert wird. Ökonomische Expansionsbestrebungen flankierende militärische Maßnahmen erzeugen fortwährend sich verändernde Kräfteverhältnisse, die solange friedlich vonstattengehen, bis die gegnerische Seite dem einen Riegel vorschiebt und mit kriegerischen Mitteln antwortet. So geschehen in der Ukraine. An alldem haben die Bürger der beteiligten Staaten nur insofern Anteil, als sie sich als Arbeitskräfte des Kapitals und als Soldaten verdingen.

Beschließt eine Seite, es nicht mehr nur bei Mahnungen und Drohungen zu belassen und greift an, geschieht dies keineswegs im Interesse der ausführenden Soldaten, die nun ihr Leben auf‘s Spiel setzen müssen, sondern weil die Politiker des jeweiligen Landes sich zum Einsatz kriegerischer Mittel zur Wahrung oder Durchsetzung ihrer nationalen Interessen entschlossen haben. „Es gibt so gesehen keinen Grund für Parteilichkeit, wenn die Staaten dieser Welt ihre Bürger aufeinanderhetzen. Wer sich in Kriegen mit einzelnen Staaten gemeinmacht, statt mit den betroffenen Menschen auf beiden Seiten, der akzeptiert das oben beschriebene Prinzip, dass einige wenige Herrscher ihre Untertanen nach Gutdünken instrumentalisieren dürfen.“ (65)

Frieden durch Krieg erzielen zu wollen, ist der Hit aller überzeugten Militaristen

Eine in den öffentlichen Medien gern geübte demokratische Praxis besteht darin, Bürger sich ideell in die Lage der herrschenden Politiker hineinversetzen zu lassen, um deren Möglichkeiten im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Umstände zu imaginieren. Das ist eine Falle, in die Bürger sich gern und vollkommen freiwillig hineinbegeben. Sie werten dies fälschlicherweise als Beleg dafür, dass es auf ihre Meinung ankomme. Tatsächlich aber sollen sie sich dadurch besser mit den Sachzwängen arrangieren können, die ihnen von den entscheidungsbefugten Politikern aufgemacht werden. „Man muss gedanklich bereits völlig mit den Machthabern dieser Welt verschmolzen sein, um sich ernsthaft die Frage zu stellen, wie viele Männer, Frauen, Alte und Kinder man für eine gerechte Sache töten darf. (…) Wieso sollte man sich überhaupt für eine Seite entscheiden, anstatt die Kriegsgründe aller Staaten unvoreingenommen zu erklären und zu kritisieren?“ (68)

Es ist dies eine Haltung, die von den Vertretern nationaler Interessen nicht gerne gesehen wird, denn deren Bestreben ist es, das Volk als möglichst geschlossenes Kollektiv hinter sich zu bringen, um dessen Aufopferungsbereitschaft in Anspruch nehmen zu können. Deshalb nehmen in Zeiten zunehmender Spannungen zwischen den rivalisierenden Nationen die Bemühungen zur ideologischen Gleichschaltung im Staatsinnern zu, wenn nötig verbunden mit der dafür erforderlichen Repression gegen unwillige Gesellen, die als „Lumpenpazifisten“ und „Vaterlandsverräter“ denunziert werden.

Neben der bei Radikalnationalisten schon immer beliebten Beschwörung von Heimatliebe und Vaterland wird die Ausgrenzung all jener verschärft, die nicht zum völkischen Bestand gezählt werden, deshalb aus dem nationalen Kollektiv als unzuverlässige Elemente ausgesondert gehören. Unter dem Remigrationsbegriff werden Möglichkeiten nationaler Säuberungsmaßnahmen diskutiert. Dass dies nicht ohne Gewalteinsatz abgehen kann, wird dabei gar nicht verschwiegen. Besonders Begriffsstutzige werden mit erdachten Szenarien traktiert, die den Gewalteinsatz unwidersprechlich machen sollen: Als wäre beispielsweise die persönliche Abwehr eines Vergewaltigers und damit die bewusste Akzeptanz von Gewalt mit dem Angriff oder der Abwehr eines Staates gleichzusetzen. Zur ideologischen Aufrüstung zählt auch die moralische Abqualifizierung des Gegners zum schlechthin Bösen an sich. Putin mit Hitler gleichzusetzen („Putler“), dem Feind überhaupt jede Schandtat zuzutrauen, nimmt dabei regelrecht wahnhafte Züge an, die bis in höchste Regierungskreise aller beteiligten Konfliktparteien reichen. Und dies alles, um den Einsatz von militärischer Gewalt zu rechtfertigen: „Wer für einen gerechten Frieden ist, muss gerade jetzt zur Waffe greifen!“ (95) Frieden durch Krieg erzielen zu wollen, ist der Hit aller überzeugten Militaristen.

Auf ein entscheidendes Argument für die militärische Abwehr oder Bekämpfung eines als Feind ausgemachten nationalen Konkurrenten oder Störenfrieds der nach eigenen Vorstellungen eingerichteten sogenannten regelbasierten Weltordnung mag kein Demokrat verzichten: Dass es nämlich bei kriegerischen Einsätzen um demokratische Grundwerte, um die Durchsetzung von freiheitlichen Verhältnissen gehe. „Dass andere Staaten undemokratisch seien (und ihre Kriege daher illegitim), wird nur dann vorgebracht, wenn es sich um feindliche Staaten handelt, die dem eigenen Weltordnungsanspruch gefährlich werden – ansonsten wird vornehm geschwiegen.“ (98) Aktuelle Beispiele: Türkei, Saudi-Arabien, Israel; auch islamistische Milizen in Afghanistan und Syrien wurden schon unterstützt, sofern sie den eignen Zielen dienten, hingegen emanzipatorische Freiheitsbewegungen kriminalisiert (PKK). Doppelmoral ist ein wesentlicher Bestandteil moralisch begründeter Interessenpolitik nach westlich-demokratischem Muster.

„Wenn ein Krieg verurteilt werden soll, dann darf ein Attribut selten fehlen: nämlich dass der Angriff völkerrechtswidrig sei. Unabhängig davon, welchem geopolitischen Lager sie angehören, lassen sich Politiker den Verweis aufs Völkerrecht nicht nehmen, wann immer ein ihnen unliebsamer Staat zu den Waffen greift.“ (101) Das hält sie allerdings nicht davon ab, Ausnahmen davon gelten zu lassen, wenn der betreffende Einsatz auch ihren Interessen dienlich erscheint. Dass das Völkerrecht auf tönernen Füßen steht und je nach Bedarf anerkannt oder ignoriert wird, macht es nicht gerade zu einer schlagkräftigen Waffe. Verzichten wollen die meisten Staatenlenker und Politiker aber auf dessen ideologische Möglichkeiten auch nicht, selbst wenn allen klar ist, dass es keine übergeordnete Gewalt gibt, die das Völkerrecht durchzusetzen in der Lage wäre. „Die Staaten geben sich selbst Regeln, unter welchen Bedingungen sie zu welchen Waffen greifen dürfen, damit der Krieg nicht zu menschenfeindlich wird – und ignorieren diese Gebote dann doch regelmäßig.“ (110) Dieser Widerspruch ist allen Beteiligten bewusst, dennoch genießt das Völkerrecht großes Ansehen und wird als moralische Berufungsinstanz gern genutzt, um den eigenen Interessen zuwider handelnde Regierungen ins Unrecht zu setzen. Zur Bedienung moralischer Vorbehalte und der Feindbildpflege im eigenen Volk taugt es darüber hinaus allemal.

Ole Nymoen begnügt sich nicht mit moralischen Friedensapellen an die jeweils Regierenden, wie wir sie seit Jahrzehnten aus der Friedensbewegung kennen, sondern formuliert sachlich belegbare Gründe für seine Weigerung, sich zum ferngesteuerten und willenlosen Mittel für kriegerische Unternehmungen s/eines Staates machen zu lassen. Indem er das persönliche Kosten-Nutzen-Verhältnis kalkuliert, kommt er zu dem Schluss, dass er als Bürger im Kriegsfalle so oder so nur den Kürzeren ziehen kann. Weil sich unsere Gegenwart unschwer als neue Vorkriegszeit identifizieren lässt, erscheint ein vernunftgeprägter, sachlicher und nüchterner Blick auf die dadurch sich anbahnende Katastrophe als geradezu überlebenswichtig! Deshalb ist Nymoens Buch eine massenhafte Verbreitung zu wünschen. Jede/r kann und sollte schon aus reinem Überlebensinteresse dazu beitragen!

Ähnliche Beiträge:

37 Kommentare

    1. Wenn das mal so einfach wäre!
      Wer immer sich dem staatlichen Zwang im Kriegsfall entziehen will muss flüchten. Aber womit und wohin?
      Zudem bestimmt das „Gesetz“ ob die Freiheit zur Flucht gewährt wird oder nicht.
      Das, was man für Freiheit hält, ist stets reglementiert. Über die Grenzen der Freiheit bestimmt der Gesetzgeber.
      Wie sonst sollte eine staatliche Ordnung denn auch aufrecht erhalten werden, die doch in Demokratien den Willen des wählenden Volkes darstellt?

      1. „die doch in Demokratien den Willen des wählenden Volkes darstellt“

        Darstellen sollte 🙂
        In einer Pseudodemokratie amerikanischer Bauart, funktioniert das bekanntlich nicht so gut…

  1. Ach ja, die Wehrpflicht und ihre Kinder. Habe mich selbst längere Zeit mit diesem Problem herumschlagen müssen. Die „Einigung“ bestand dann darin, das es für mich keine Pflicht gab, ein Land von dem mir nichts gehörte, daß zu 100% das Eigentum anderer Leute war, gegen wen auch immer zu “ Verteidigen“.
    Sollen die Besitzer von allem und so ziemlich allen in diesem Land doch alleine machen, für die nehme ich keine Waffe in die Hand.
    Und heute, in einer inzwischen ziemlich totalitären Despotie, in der Nepotismus und Vetternwirtschaft zum normalen geworden sind, mit einer Durchgeknallten Unterschichtenjustiz die auch prima zu Nordkorea passen würde. Mit offener Korruption bis in die höchsten Staatsspitzen und einer Kriegsgeilheit die eigentlich dem Regime Hitler zugesprochen wurde, eine Wehrpflicht?
    Now Way ! Sollen doch die ganzen Parteisoldaten aus den Institutionen, aus den Medien und vor allem aus der Unterschichtenjustiz in den Krieg ziehen. Dann ist jedenfalls jeder Tote im Gefecht ein Grund zu feiern, aber für diese kranken Verbrecher in den Krieg ziehen? Dann ist man nicht besser als die Massenmörder der Großdeutschen Wehrmacht und auch da ist dann jeder Todesfall eine gute Nachricht.
    Deutschland ist nicht Merz, oder Scholz und auch der Schweinmeier ist nicht Deutschland. Wenn jemand diese Leute zur Verantwortung ziehen will, soll er, für jeden normalen, nicht Kriegsgeilen Bürger wäre es eine Befreiung.

  2. Erstmal müssen wir unsere Landkarten neu erstellen. Hier sehen sich einige Westler klarer Propaganda ausgesetzt. 🙂

    https://t.me/DDGeopolitics/145923

    Schließe mich hier an, keinen Kommentar.

    Aber mal Spaß beiseite, der Konflikt in Kashmir scheint langsam aber sicher zu eskalieren. Wir sind jetzt nicht mehr bei „leichten“ Feuergefechten mit leichten Maschinengewehren sondern die Sache eskaliert gerade zu einem echten Grenzkonflikt.

    https://t.me/DDGeopolitics/145925

    1. Wir müssen schnellstens klären, ob Indien oder Pakistan Angreifer ist, damit wir dem Verteidiger zur Hilfe eilen können, um sein Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen und um seine territoriale Integrität zu bewahren.

      1. „Wir müssen schnellstens klären, ob Indien oder Pakistan Angreifer ist, damit wir dem Verteidiger zur Hilfe eilen können, um sein Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen und um seine territoriale Integrität zu bewahren.“

        Jep. Um in der Tradition der „ideologischen Werte“ zu bleiben, müssten wir das tun. 🙂

        So weit mir bekannt hat Indien den Pakistanern 80% der Wasserversorgung für GANZ Pakistan abgedreht. Verständlich das die Pakistaner nicht verdursten möchten. Also ich sehe hier eine gewisse Verantwortungslosigkeit Indiens, oder die haben Befehle von Amiland bekommen, weiß der Geier was die CIA da, mal wieder am laufen hat. Eine Störung der „belt and road“ vielleicht?

  3. Ole Nymoen setzt sich wohl in korrekter Weise mit den kulturell-gesellschaftlichen Bedingungen eines Krieges auseinander. Leider deuten aber die Eigenarten unserer aktuellen, moralisch-inkompetenten Politik weit über die kalten, geostrategischen Machtpositionen hinaus, die wir aus früheren Jahrhunderten kannten. Damals wusste man oft, wann man verloren hatte.

    Heute weiß man das nicht mehr. Man versucht auf Teufel komm raus einen Krieg, den man verloren hat, zu gewinnen, weil man sich moralisch im Recht wähnt. Man kann die Mittel für die Kriegsführung nicht bereit stellen und faselt ersatzweise über seine ökonomische Stärke und sein BSP.

    Wer sich in einer solchen Situation heute zur Bundeswehr meldet, hat den Schuss nicht gehört.

  4. Man hat mich seinerzeit nicht verweigern lassen.
    Unveraeusserliches Grundrecht? In diesem
    Land taugt das Grundrecht nur als Toilletenpapier.

    Ich habe die Herrschaften dann mit der ganzen Wahrheit konfrontiert:

    Wenn ihr mich zum Toten zwingt, ist der erste Tote der, der mich zwingt zum Toeten.
    Fuer mich ist das dann ethische Notwehr.

    Ich glaube, das ist der einzige Weg, man muss diesen Charskterfaschps klar machen, das die als erste eine Kugel kriegen.

    1. So war es auch in den beiden letzten WK üblich. Wenn ein Vorgesetzter dumm kam, hatte er bei der nächsten Gelegenheit einen Schuß im Rücken.

      Aber du solltest das positiv sehen. Ich machte damals den Wehrdienst freiwillig weil der drei Monate kürzer war als der Zivildienst. Außerdem dachte ich mir, kann es sinnvoll sein an Waffen ausgebildet zu werden. Bei einer Revolution kann das wichtig werden.
      Auch Engels hat freiwillig seinen Wehrdienst abgeleistet und später in der Revolution 1848/49 auf der Seite des Volks gekämpft und 1871 auch Ratschläge an die Pariser Kommune gegeben. Diese wurden leider mißachtet.

      1. Zustimmung. War auch mein Gedanke damals im Wehrdienst. Auch wenn ich mein Land zu dieser Zeit noch mit anderen Augen sah als aktuell, wo ich kaum noch Übereinstimmungen mit meinen Interessen sehe, was die Polit-Kasperle in Berlin veranstalten. Im Grunde genommen verabschiedete sich die Politik zum „Wohle des Volkes“ mit dem Unzug des BT von Bonn nach Berlin.
        Von daher sehe ich es auch positiv, beim Bund gewesen zu sein: ich weiß, wie man ein Sturmgewehr handhabt, damit trifft, wie man Handgranaten verwendet, eine Panzerfaust, ein MG…. immer gut, wenn man im Zweifelsfall nicht wehrlos ist 😉

        1. Ach ja du weist wie man so was abfeuert? Ich wette der Hersteller hat es in der Bedienungsanleitung so einfach wie möglich gemacht.

          Tschuldigung, und dabei wollte ich Sie nicht mal beleidigen. Bock auf die linken?

          Die zeigen Ihnen vielleicht wie man so ein Ding NICHT abfeuert.

          Außer Sie sind im Polizeidienst, dann ist natürlich „feuern“ immer die bessere Alternative.

  5. Was ist denn sein Land? Der Name ist doch nicht deutsch, oder?
    Wer nicht für sein Land kämpft (aber sicherlich andere machen läßt), hat meine volle Verachtung.
    Wer nicht als Verbrauchsmaterial der NGO Nato dienen möchte, hat meinen vollen Respekt, er muß es aber auch explizit so ausdrücken.

    1. Ich möchte auch gern wissen, welches Land ihm gehört. Vermutlich gehört ihm gar keins und er gehört einfach den Leuten, die darüber bestimmen, ob er für ein Land zu kämpfen hat.

    2. Der junge Mann
      sollte in der Tat differenzieren.

      Es gibt einen Unterschied
      zwischen Verteidigung und Aggression…
      und es gibt einen Unterschied zwischen Heimat und Vaterland / kriegsgeilen Politikern.

      Für Letztere mag man nicht unbedingt kämpfen wollen. Ersteres dagegen ist durchaus verteidigenswert.

      Auch ohne ‚Radikalnationalismus‘.

  6. Das Buch ist gekauft !
    Es behandelt zwar nicht die psychiatrischen Aspekte, die bei allen Eliten eine entscheidende Rolle für ihr Verhalten spielen. Und es behandelt auch nicht die verhaltensbiologischen Grundlagen, also die instinktiven nicht steuerbaren Verhaltensmuster darunter. Aber trotzdem auf der politischen Ebene hervorragend analysiert und eine Aufklärung die hoffentlich viele Leser erreicht.

    @BertT.O
    Sie haben es offenbar nicht verstanden. Die BRD und deren Führungsclique ist nicht Deutschland und schon gar nicht das deutsche Volk oder dessen Vertretung.

  7. Ein paar interessante Ergänzungen:

    Ole Nymoen:
    „Und ich war relativ entsetzt darüber, mit was für einer Euphorie da einfach nur Journalisten, die völlig unbeteiligt sind, eigentlich wie am Spielfeldrand bei einem Fußballspiel standen und so der einen Seite zugejubelt haben, obwohl es da um was bitter Ernstes geht, weil da jeden Tag mitunter einfach Tausende Menschen sterben und sich gegenseitig umbringen…“

    Diejenigen, so sagt er, die heute Aufrüstungsmilliarden beschließen – und ihre publizistischen Lautsprecher – werden morgen gewiss nicht jene sein, die für die Freiheit im Schützengraben liegen.

    Ole Nymoen:
    „Das Interessante ist ja: Dieser Staat predigt ja eigentlich permanent die Eigenverantwortung, die Entsolidarisierung… Und auf der anderen Seite, dann wenn es zum Krieg kommt, dann sagt man auf einmal, wir müssen alle eine Solidargemeinschaft sein. Und das finde ich einfach absurd.“

    Fast allen Kriegen bescheinigt man, dass sie sinnlos waren – aber immer erst hinterher.

    Quelle: https://www.rbb-online.de/rbbkultur-magazin/archiv/20250412_1830/ole-nymoen-autor-verweigerer-kriegsdienst-buch-gegen-krieg-wehrhaftigkeit-debatte-deutschland.html

    Fazit: Vordenken ist besser als Nachdenken!

  8. Staaten sind immer das Ergebnis von Gewalt. „Staaten entstehen nicht, weil eine Gruppe von Menschen basisdemokratisch dazu übereinkommt, einer höhergeordneten Instanz das Gewaltmonopol zu übertragen.“

    Dass Staaten das Ergebnis von Gewalt sind, ist eine Binsenweisheit und zwar weil die Welt seit einigen tausend Jahren in Staaten aufgeteilt ist. Ein neuer Staat kann also nur dadurch entstehen, dass er mit Gewalt die Gewalt des alten Staates beseitigt bzw. die Herrschaft über sein Territorium.

    Das kann aber sehr wohl durch das Übereinkommen „einer Gruppe von Menschen“ geschehen eine Gewalt gegen die alten staatlichen Verhältnisse zu etablieren. Das ist bei Revolutionen so und es ist bei Befreiungsbewegungen so. Die Charakterisierung als „basisdemokratisch“ ist freilich ein verkehrter Zusatz, der es als abwegig erscheinen lassen soll, dass staatliche Gewalt der Zustimmung „einer Gruppe von Menschen“ bedarf. Ja basisdemokratisch geht es dabei nicht zu, aber Zustimmung zu einer neugeschaffenen Staatsgewalt oder eines Gewaltmonopols ist trotzdem notwendig.

    Eine Staatsform wird den Bürgern von daran interessierten Leuten mit dazu erforderlichen Gewaltmitteln aufgenötigt

    Aha. Und die „daran interessierten Leute“ sind also keine „Gruppe von Menschen“ die einer „höhergeordneten Instanz das Gewaltmonopol“ überträgt. Die Möglichkeit, dass die Bürger sich die Staatsform vielleicht nicht aufnötigen lässt, wird dabei außer Acht gelassen. Das wäre dann ein Bürgerkrieg, indem dann eine Seite gewinnt. Und diese Seite hat die Zustimmung seiner Gefolgsleute. Die Zustimmung lässt sich also nicht wegdefinieren. Es kommt dann darauf an welche Seite die größeren Gewaltmittel mobilisieren kann. Das „Aufnötigen“ hat also immer zur Grundlage, dass der aufnötigenden Gewalt Zustimmung entgegengebracht wird. Die Nötigung hat also immer Zustimmung zur Gewalt zur Voraussetzung. Sich Gewalt als Umfassende Nötigung von allen vorzustellen und den Staat als puren Unterdrückungsapparat, der aus sich heraus ohne Follower in der Lage wäre ein ganzes Volk zu nötigen, ist kindisch und dumm.

    „Wenn man (…) davon ausgeht, dass Staaten kontingent gewachsene Gewaltmonopolisten sind, die sich ihr eigenes Volk erst geschaffen haben, dann bedeutet der Krieg (…), dass Menschen aufeinandergehetzt werden, die nur deshalb in einem Antagonismus zueinanderstehen, weil man sie in Friedenszeiten dazu erzieht und ihnen im Krieg befiehlt, diesen Gegensatz mit Gewalt auszutragen.“ (58)

    Aha so ist das: Ein Alien, eine aus sich heraus existierende Macht, ohne Gefolgsleute, die ihr die Mittel und das Personal stellen, schafft sich ein Volk. Das stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Woher sollen denn die Gewaltmittel und das Personal kommen, wenn nicht von einem Volk, das der Staatsmacht folgt. Etymologisch kommt Volk von „folc“ oder „fulka“ was „Kriegsschar“ bedeutet. In dieser Bedeutung ist die Kriegsschar die staatliche Gewalt. Dass dann mittels Medien und viel Gewalt versucht wird die Basis der Gefolgschaft zu erweitern, ist damit nicht bestritten. Andererseits merkt man doch nicht zuletzt an den Beiträgen hier, dass alles staatliches Werben um Gefolgschaft überhaupt nicht verfangen muss. Ein Gewaltmonopolist k a n n sich ein Volk gar nicht aus eigener Machtvollkommenheit schaffen, weil er auf die grundlegende Zustimmung zu ihm angewiesen bleibt. Auf Grundlage dieser Zustimmung kann er allerdings den individuellen Willen negieren und ihn auch vernichten.

    Sie konnten sich ein Leben ohne Staatsgewalt einfach nicht vorstellen.

    Weil sie (die Deutschen) so aufgehetzt waren vom Nationalsozialismus? Oder weil sie sich ein Leben ohne Staatsgewalt nicht vorstellen wollten, weil sie ein Interesse an dieser Staatsgewalt hatten. Ja klar die armen verhetzten Untertanen – nichts als Opfer staatlicher Indoktrination soweit das Auge reicht.

    „Der Staat ist kein Dienstleister am Volk, der gnädigerweise Sicherheit und andere Wohltaten gewährt, sondern spannt umgekehrt seine Bürger für die eigenen Zwecke ein, von denen sie oftmals wenig haben.“

    Doch der Staat ist sehr wohl ein Dienstleister am Volk, kommt nur darauf an welche Dienste er bereit stellt. Die Dienstleistung des Staates besteht immer in Gewalt. z.B. die Garantie des Eigentums ist doch eine Dienstleistung für alle die Eigentümer sein wollen. Und das bestreitet auch nicht den Umstand, dass der Staat seine Bürger für eigene Zwecke einspannt. Daraus wieder einen Gegensatz zu machen ist ideologisch, kindisch und dumm. Das Einspannen für staatliche Zwecke und die Funktionalität für die Gesellschaft, denn nichts anderes bedeutet Dienstleister zu sein, widerspricht sich überhaupt nicht, sondern ergänzt sich.

    Durch Expansionsbestrebungen unterhalb direkter kriegerischer Auseinandersetzungen sind alle maßgeblichen Staatsgewalten darum bemüht, ihre Einflusssphären auszudehnen, um dem in ihren Grenzen und darüber hinaus beheimateten Kapital die für dessen Gedeihen und Wachstum erforderlichen Voraussetzungen herzustellen und abzusichern.

    Na sowas. Also Dienstleistung fürs Kapital ist gar keine Dienstleistung? Oder vergessen wir jetzt schnell, weil’s nicht so recht in die Argumentation passt, unser Geschwätz von oben.

    An alldem haben die Bürger der beteiligten Staaten nur insofern Anteil, als sie sich als Arbeitskräfte des Kapitals und als Soldaten verdingen.

    Nein. Sie haben Anteil daran, insofern sie den Zwecken der eigenen Staatsgewalt und der existierenden Ökonomie z u s t i m m e n!

    Wer sich in Kriegen mit einzelnen Staaten gemein macht, statt mit den betroffenen Menschen auf beiden Seiten, der akzeptiert das oben beschriebene Prinzip, dass einige wenige Herrscher ihre Untertanen nach Gutdünken instrumentalisieren dürfen.

    Hier zeigt sich die Verrücktheit der Argumentation, ihre Verharmlosung und Entschuldigungsleistung. Als würde wenige Herrscher ohne Zustimmung die Untertanen instrumentalisieren. Als wären mit gottähnlicher Macht ausgestattete Herrscher aus eigener Machtvollkommenheit heraus in der Lage sind ihre Untertanen zu unterwerfen und „nach Gutdünken instrumentalisieren“.

    Es ist dies eine Haltung, die von den Vertretern nationaler Interessen nicht gerne gesehen wird, denn deren Bestreben ist es, das Volk als möglichst geschlossenes Kollektiv hinter sich zu bringen, um dessen Aufopferungsbereitschaft in Anspruch nehmen zu können.

    Aha. Wieso muss man denn das Volk, das der Machthaber aus eigener Machtvollkommenheit erschaffen hat, denn noch hinter sich bringen? Kommt es jetzt doch irgendwie auf Zustimmung an? Ich dachte der Staat wird den Untertanen „aufgenötigt“. Wieso muss man das Volk dann noch hinter sich bringen?

  9. Emmanuel Todd zu den Ursachen der Niederlage des Westens im Ukrainekrieg: „Sie konnten nicht genügend Waffen produzieren, weil der Westen zu spät erkannte, dass seine Industriekapazitäten in andere Länder, nach China und anderswo, abgewandert waren. Und die Sanktionspolitik scheiterte aus zwei Gründen. Erstens, weil Russland sich seit 2014 darauf vorbereitet hat … und zweitens, weil der Rest der Welt … sich nach und nach vorsichtig auf die Seite Russlands gestellt und ihm geholfen haben, den Sanktionen zu entkommen.“

  10. „Staaten sind immer das Ergebnis von Gewalt. „Staaten entstehen nicht, weil eine Gruppe von Menschen basisdemokratisch dazu übereinkommt, einer höhergeordneten Instanz das Gewaltmonopol zu übertragen. (56) Eine Staatsform wird den Bürgern von daran interessierten Leuten mit dazu erforderlichen Gewaltmitteln aufgenötigt““

    Alle Pauschalisierungen sind falsch 😉

    Staaten sind Organisationseinheiten, sie sind keine „höhere Instanz“ und sie können auch basisdemokratisch sein. Darüber hinaus können sie auf mannigfache Weise entstehen, auch wenn Gewalt vermutlich (nach wie vor) eine sehr verbreitete und primitive ist. Die Suggestion obiger Aussage ist: es sind immer Einzelinteressen, die das Volk dominieren, ich halte das für, na ja, nicht ganz richtig.

    Eine Organisation der Gesellschaft, mit gesetzgebenden und verwaltenden Instanzen muss es geben und fast immer wird ein Umsturz vom entsprechenden Zeitgeist getragen, bei Wahlen sieht man das am deutlichsten. Ja, der Zeitgeist ist auch nicht unbeeinflusst usw. aber ganz so simpel ist es halt auch nicht.

    Ich bin bei solchen Aussagen sehr empfindlich, weil manche Leute das dann wieder für die alleinige Wahrheit nehmen und daraus schlußfolgern, dass Änderungen nur und ausschließlich mit Gewalt und Dominanz stattfinden können, das wäre eine dumme, falsche und vor allem kontraproduktive Einstellung, wir sollten vielmehr danach streben, die Verhältnisse besser zu machen, nicht die negativen Verhaltensweisen zu kultivieren…

    Was solche Pauschalisierungen anrichten können, ist an dem (oft zitierten) Schwachsinnssatz „Staaten haben keine Freunde nur Interessen“ (wer auch immer den nun zuerst gesagt hat) zu erkennen. Er formuliert eine selbst erfüllende Prophezeiung, denn jeder der danach handelt, wird bei der Gegenseite eine adäquate Reaktion auslösen. Davon abgesehen hat ein Staat keine Interessen, sondern lediglich einige „Eliten“ in diesem, die Bevölkerung hat hingegen sehr wohl das Bedürfnis (und einen Nutzen davon), mit anderen Völkern freundschaftlich verbunden zu sein!

    1. nichts trennt dich von anderen völkern als dein eigenes volk-sein, denn dadurch musst du auf die schiessen, das verträgt sich schlecht mit „ich meins ja nur freundlich“.

    2. Der Staat ist kein Subjekt, das Freunde oder Interessen haben kann. Er ist ein ideologisches Konstrukt, das die Interessen einiger weniger realisieren hilft, indem es deren Herrschaft durch ein ans Staatsvolk gerichtetes vergiftetes Identifikationsangebot verschleiert.

  11. Wenn nur einige hundert Leute, welche als Erste den Marschbefehl erhalten, dem ersten Befehlgeber, dem sie habhaft werden können, eine Kugel verpassten, wäre der betreffende Krieg zu Ende bevor er angefangen hat und Hunderttausende würden überleben antelle elendig zu verrecken!

    1. * Die hiesige Korrekturfunktion ist genau wessem Geistesblitz zum Opfer gefallen?

      Rückschritt wird nun auch hier zum Fortschritt umgedeutet?

    1. Na,

      ganz so abwegig erscheint mir der Antinatalismus nicht. Wer heutzutage Vater oder Mutter wird, begeht Heute ein Verbrechen am Kind.

      1. schweizer, on the other hand, bringen es nicht mal bis nietzsche und erklären den mensch tendentiell zum untermensch. dagegen hilft nur roger federer!

  12. Erst Horde, dann Clan und schließlich Staat.
    Rückgriffe auf atavistische Entwicklungsphasen rechtfertigen nicht die inhärente strukturelle Gewalt, die menschlichen Organisationsformen zugrunde liegen mag, deren Überwindung aber wiederum Voraussetzung für eine Entwicklung hin zum Humanen selbst darstellt.
    Was der Mensch sein möchte und sei er noch so sehr verstrickt, ist eben nicht das räuberische Wesen, das seines gleichen mordet.
    Eine Schwierigkeit sich zu entwickeln, liegt in der Instrumentalisierung einer permanenten Anfälligkeit zur gesellschaftlichen Regression.. Diese Instrumentalisierung wird zwar nicht von den Schlauesten der Spezies, aber leider mit großem Erfolg betrieben. Darin liegt ein tragischer Fehler der Voraussetzungen des Mensch-Seins, den zu überwinden die gegenwärtigen Zeitläufte wenig Grund zur Hoffnung bieten.
    Ja es scheint so als ob eine durchschlagende Orientierungslosigkeit die Menschen in die Fänge autoritärer Psycho-Deformierter treibt und eine infantile „Staatsbedürftigkeit” produziert.
    Erziehung und Ideologie sind dabei wichtige Werkzeuge. Ideologie ist immer die Rechtfertigung von Ungleichheit und dort am gefährlichsten, wo sie sich nicht ohne Weiteres als solche zu erkennen gibt. Nationen sind künstliche ideologische Konstrukte, die Herrschaft gleichzeitig verschleiern und rechtfertigen sollen.

  13. „…Am Frieden und am Krieg verdienen nicht die selben. Letztlich entscheidenden aber die Regierungen, wer daran verdient. Überlassen wir deren Beeinflussung nicht den Waffenlobbyisten…“. D. Dahn

    Entscheidend ist hier wieder einmal die ökonomische Grundlage des Staates. Dieses Problem hat ein gewisser K. Marx bereits früh erkannt:
    „…Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft: 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens…“ (MEW 23, Das Kapital, Band 1, 24. Kapitel)

    Das ist das ganze Dilemma. Dazu ist aber eine andere Staatsform als die Demokratie notwendig.
    Womit wir gleich mit der größten Lebenslüge der Menschheit konfrontiert sind: Das Staaten mit einer kapitalistischen Ökonomie Demokratien sind:
    „…Das Wesen der kapitalistischen Demokratie ist, das sie keine ist…“
    Die kapitalistische Eigentumsordnung verpflichtet alle, welche über kein Eigentum (Produktionsmittel!) verfügen, für fremdes Eigentum zu arbeiten.
    => Arbeit wird zu Lohnarbeit
    Arbeiten im Kapitalismus bedeutet also, die Unterwerfung unter die Machtverhältnisse, welche eine Minderheit von Besitzenden über eine Mehrheit von Nichtbesitzenden ausübt.
    Der Kapitalismus ist also darauf angewiesen, die Minderheit der Besitzenden strickt vor den Veränderungswünschen der Mehrheit zu schützen.
    Daher kann er auch, aus sich heraus, sich niemals eine demokratische Legitimation verschaffen…“
    Prof. Rainer Mausfeld

    Kämpferische Grüße

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert