Sozialdemokratie und Russophobie

Vater gab seinem Sohn eine Blume.
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Der abrupte Schwenk der SPD-Führung in Richtung einer kompromisslos anti-russischen Politik nach dem 24. Februar 2022, gipfelnd in der „Zeitenwende“-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz, hat viele aktuelle und ehemalige Anhänger, die einst in den Zeiten der Brandt’schen „Ostpolitik“ politisiert wurden, irritiert. Was sie dabei übersehen: Russophobie hat in der deutschen (und der europäischen) Sozialdemokratie durchaus eine lange Tradition.

Im Herbst 1972 errang die SPD unter ihrem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt mit fast 46 Prozent der abgegebenen Stimmen ihren größten Wahlsieg in der bis heute rund 160-jährigen Geschichte der Partei. Zentrales Thema der Wahlschlacht damals waren die so genannten „Ostverträge“ mit den ehemaligen Weltkriegsgegnern UdSSR und Polen, sie sahen unter anderem die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze – und damit den Verzicht auf die bis 1945 deutschen Regionen Ostpreußen, Schlesien und Ostpommern – vor. Die CDU/CSU-Opposition prangerte diese Verträge als Vaterlandsverrat an, aber eine klare Mehrheit der westdeutschen Wählerinnen und Wähler war offenkundig bereit, auf diese längst verlorenen Territorien zu verzichten, zugunsten einer Aussöhnung mit dem Feind von damals. Nicht nur der heute ikonische Kniefall des Kanzlers in Warschau vor dem Mahnmal für die Opfer des (gescheiterten) polnischen Aufstands gegen die Nazi-Besatzer machte seinerzeit diese Verständigung mit der polnischen und der UdSSR-Regierung möglich, sondern auch das ausgesprochen gute persönliche Verhältnis zwischen Brandt und dem sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew; die Fotos von den beiden Politikern, wie sie in trauter Eintracht vor der Küste der Krim im Schwarzen Meer badeten, gingen um die Welt.

Russophobie setzte sich nach 1945 fort

Und das, obwohl Willy Brandt in den 1950er und zu Beginn der 1960er Jahre noch ein beinharter kalter Krieger war (sogar Kontakte zum US-Geheimdienst CIA wurden ihm nachgesagt).(1) Doch als Außenminister im Kabinett der Großen Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger begann er eine neue Ostpolitik zu konzipieren, in Zusammenarbeit mit einem seiner engsten Berater, dem späteren Kanzleramtsminister Egon Bahr. Kaum war er dann selbst im Amt als Regierungschef, wurde dieses Konzept umgesetzt; Schlüsselbegriff war dabei die Formel vom „Wandel durch Annäherung“. Auch mit der Regierung der von der Bundesrepublik bis zu diesem Zeitpunkt quasi geächteten DDR suchte er eine Verständigung; sein Besuch in Erfurt im Frühjahr 1970 war der erste Schritt auf dem Weg zu einer Überwindung der bis dahin fast undurchdringlichen Mauer, die die beiden deutschen Teilstaaten voneinander trennte.

Der überragende Sieg der SPD damals war umso überraschender, als die konservative Opposition im Wahlkampf sehr bewusst an die anti-russischen (und nicht zu vergessen: auch anti-semitischen!) Vorurteile in der Bevölkerung anknüpfte, die seit Jahrzehnten, wenn nicht gar seit Jahrhunderten, von den deutschen Nationalisten jeglicher Couleur angeheizt wurden, und die sich seit der Oktoberrevolution in Russland 1917 mit rabiat anti-kommunistischen Ressentiments verbanden: ein wahrhaft toxisches Gemisch, das dann wenig später von den deutschen Nazis dazu benutzt wurde, ihrem erbarmungslosen Vernichtungskrieg gegen die damalige Sowjetunion Legitimität zu verleihen – mit durchschlagendem Erfolg. Es galt schließlich, dem „jüdischen Bolschewismus“ die Stirn zu bieten – und ethnische Slawen waren ja eh „Untermenschen“, die es mitleidlos auszumerzen galt.

Diese ausgeprägte Russophobie in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung setzte sich nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht 1945 ungebremst fort, sogar noch verstärkt durch die Schmach der militärischen Niederlage und synchron mit der Übernahme führender Ex(?)-Nazis in den Staats- und Verwaltungsapparat der 1949 gegründeten westdeutschen Teilrepublik. „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau“ plakatierten CDU und CSU im Bundestagswahlkampf 1953(2) und errangen mit derartigen Parolen einen fulminanten Wahlsieg. Die SPD, die mit dieser Diffamierung ja eigentlich gemeint war, ignorierte dies einfach und gebärdete sich ihrerseits mindestens genauso anti-kommunistisch und anti-sowjetisch – als „rotlackierte Nazis“ hatte der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher bereits ein paar Jahre zuvor die verhasste Konkurrenz auf der linken Seite des Parteienspektrums bezeichnet. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) wurde denn auch in Westdeutschland verboten und die Herrschaft ihrer Schwesterpartei SED im sowjetisch besetzten Ostteil Deutschlands als ein Regime im „Reich des Bösen“ etikettiert (um sich einmal eine berühmte Formulierung des US-Präsidenten Ronald Reagan dreißig Jahre später auszuleihen).

Warum diese anti-kommunistische und anti-sowjetische Grundstimmung in den späten 1960er Jahren deutlich an Zugkraft verlor, wäre eine eigene Analyse wert. Eine große Rolle hierfür hat bestimmt die Studentenbewegung ab 1967 gespielt, die erstens sich dadurch auszeichnete, dass diverse marxistische Klassiker quasi wiederentdeckt wurden, und zweitens führende antikapitalistische und antiimperialistische Revolutionäre in der so genannten „Dritten Welt“ zu Helden – und mitunter sogar zu regelrechten T-Shirt-Ikonen – der jugendlichen Protestbewegung aufstiegen: etwa Che Guevara, Ho Chi Minh oder Mao Tse-tung. Für einige wenige Jahre stand der Zeitgeist, nicht nur in Deutschland, eindeutig links; bezeichnenderweise wurde 1968 wieder eine kommunistische Partei (die DKP) in Westdeutschland zugelassen, zahlreiche (in der Regel maoistisch orientierte) Kleinparteien folgten.

Helmut Schmidt beendete die Phase des Ausgleiches

Diesen Zeitgeist hatte die seinerzeit dezidiert deutschnational und rechtskonservativ gepolte CDU/CSU offensichtlich unterschätzt – wohl auch den Wunsch breitester Bevölkerungskreise sowohl in West wie auch in Ost, den „Eisernen Vorhang“ durchlässiger zu machen. Und auch international ging der Trend in der ersten Hälfte der 1970er Jahre in Richtung Entspannungspolitik und einer friedlichen Koexistenz beider großer miteinander konkurrierenden Gesellschaftssysteme: dem kommunistisch regierten Ostblock und dem (wie man heute sagen würde) „Werte-Westen“. Höhepunkt dieser Entwicklung war wohl die „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ 1975 in Helsinki, an der alle Staats- und Regierungschefs der beiden bis anhin verfeindeten Militärblöcke teilnahmen: der NATO und des von der Sowjetunion dominierten Warschauer Pakts.

Ironischerweise war es der Nachfolger Willy Brandts im Amt des Bundeskanzlers, der Sozialdemokrat Helmut Schmidt, der ein paar Jahre später diese Phase des Ausgleichs und der Verständigung zwischen West und Ost wieder jäh beendete: mit einer einzigen öffentlichen Rede. Obwohl sich Schmidt verbal stets zu einer Fortsetzung der Brandt’schen Ostpolitik bekannte, konnte er offenbar seine individuelle Sozialisation in jungen Jahren nie so richtig überwinden: Im Zweiten Weltkrieg war er als Oberleutnant der Nazi-Wehrmacht im Russlandfeldzug eingesetzt, unter anderem bei der berühmt-berüchtigten Belagerung (genauer gesagt: Aushungerung) Leningrads. Über das, was er dort genau gemacht hat, hat er sich immer ausgeschwiegen, für seine „Verdienste“ in dieser Funktion wurde er aber interessanterweise mit dem „Eisernen Kreuz“ ausgezeichnet.(3) 1977 hielt er dann eine aufsehenerregende Rede beim „Londoner Institut für strategische Studien“ – und reaktivierte etwas, das in der Regierungszeit seines Vorgängers Brandt fast schon im Mülleimer der Geschichte verschwunden war: die These von der sowjetischen (sprich: russischen) Bedrohung.

Der Westen, so Schmidt damals, habe in Europa dem nuklearen Potenzial der sowjetischen Streitkräfte „nichts entgegenzusetzen“. Nonchalant ging der Kanzler dabei über das französische und das britische Nuklearpotenzial hinweg, ebenso wie über die nukleare Feuerkraft der US-Mittelmeer-Flotte mit ihren mit „Polaris“-Raketen bestückten U-Booten.(4) Entschieden forderte er eine „Nachrüstung“ der NATO. Die US-Regierung unter Präsident Jimmy Carter griff den Ball erfreut auf, nur wenig später wurde diese „Nachrüstung“ offiziell von den NATO-Instanzen beschlossen. Bizarrerweise war es ausgerechnet Willy Brandt, seinerzeit immer noch SPD-Parteivorsitzender, der im Dezember 1979 einen zögerlichen SPD-Parteitag dazu überredete, diesen Aufrüstungsplänen zuzustimmen. Als wenige Jahre später die Stationierung der neuen Atomwaffen (Pershing 2-Raketen und Cruise Missiles) tatsächlich anstand und sich inzwischen eine riesige Protestbewegung dagegen formiert hatte, wechselte er dann aber die Seiten und wetterte (auch als Demonstrationsredner) gegen das „Teufelszeug“ – allein, es war zu spät, im Herbst 1983 wurden die neuen Waffen in Westdeutschland und in Großbritannien stationiert.

SPD: Schon vorher russophob

Dass Sozialdemokraten glauben, vor einer russischen/sowjetischen Bedrohung warnen zu müssen, hat allerdings eine lange Tradition. Schon als die SPD-Fraktion im kaiserlichen Reichstag im Sommer 1914 für die Kriegskredite von Wilhelm II. stimmte – helles Entsetzen bei ihren europäischen Schwesterparteien auslösend – begründete sie das damit, dass es schließlich gelte, der „russischen Tyrannei“ entgegenzutreten. Bereits in den Jahren davor hatte SPD-Chef August Bebel in zwei so genannten „Flinten-Reden“ eifrig anti-russische Ressentiments geschürt – ebenso wie der später zu großer Berühmtheit gelangte „Bluthund“ Gustav Noske (der als Minister für Heer und Marine für die Niederschlagung des „Spartakus-Aufstandes“ verantwortlich war und höchstwahrscheinlich auch den Befehl zur Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegeben hat).(5) Besonders pikant war dabei natürlich der Umstand, dass Russland und das deutsche Kaiserreich damals eine lange gemeinsame Grenze hatten; im trauten Verein mit der Doppel-Monarchie Österreich-Ungarn hatten alle drei Staaten in der Vergangenheit nach und nach das Territorium des vorher selbstständigen Königreichs Polen unter sich aufgeteilt.

Die Kriegskredite von Kaiser Wilhelm II. wären wohl auch ohne die Stimmen der Sozialdemokraten im Reichstag beschlossen worden – aber dennoch darf heute eifrig darüber spekuliert werden, ob sich der Erste Weltkrieg (nach dem Urteil der meisten Historiker die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“) hätte verhindern lassen, hätten die Mitgliedsparteien der sozialdemokratischen II. Internationale damals tatsächlich konsequent das umgesetzt, was sie in den Jahren vor 1914 sich geschworen hatten: bei einem drohenden Kriegsausbruch synchron einen Generalstreik in allen beteiligten Ländern auszurufen, unter der Parole „Arbeiter schießen nicht auf Arbeiter!“. Wie es sich gezeigt hat, schossen sie dann schließlich doch…

Die nach der russischen Oktoberrevolution erfolgte Spaltung der II. Internationale in sozialdemokratische und kommunistische Parteien fügte den traditionellen anti-russischen Ressentiments eine wichtige neue Komponente hinzu: Die Begriffe „anti-russisch“, „anti-sowjetisch“ und „anti-kommunistisch“ wurden jahrzehntelang praktisch austauschbar. Das Verblüffende bei dem heutigen Putin-Bashing (das nicht erst 2022, sondern schon nach der „Maidan-Revolution“ und der „Krim-Krise“ 2014 bei den meisten westlichen Mainstream-Medien in vollem Umfang einsetzte) besteht ja darin, dass die aktuelle russophobe Propaganda im „Werte-Westen“ sich so gut wie gar nicht von der anti-sowjetischen und anti-kommunistischen Propaganda der Jahre 1946-1991 unterscheidet: Lenin = Stalin = Putin, salopp gesprochen. Ja, sogar die These, Putin sei ja viel, viel schlimmer als damals Breschnew, denn die Sowjetunion sei seinerzeit primär an der Konsolidierung ihres Imperiums interessiert gewesen, während die heutigen Machthaber in Moskau expansive Gelüste hätten, die bis zur Einverleibung ganz Westeuropas reichen würden, findet sich in „Experten“-Kreisen.(6) Für all diejenigen unter uns, die in der Zeit des Kalten Krieges schon auf der Welt waren, klingt das natürlich reichlich bizarr, haben sie doch noch das allseitige Geschrei vom „Griff der Kommunisten nach der Weltherrschaft“ im Ohr. Um eben diesen angeblichen Welteroberungsplänen entgegenzutreten, wurden nach 1946 in allen west- und nordeuropäischen Ländern (meist auch auf Betreiben der Sozialdemokraten) die Kommunisten aus den Koalitionsregierungen entfernt, in die sie nach dem Ende des II. Weltkrieges unter der Parole „nationale Einheit“ aufgenommen worden waren.

Besondere Würze erhielt diese Spaltung der politischen Linken nach 1917 natürlich auch dadurch, dass sich Sozialdemokraten und Kommunisten einen erbitterten Kampf nicht nur um Arbeiterstimmen bei Wahlen, sondern auch um ihren jeweiligen Einfluss in den Gewerkschaften lieferten. Und immer dann, wenn Erstere dabei den Kürzeren zu ziehen drohten, wurde das Argument von der „5. Kolonne Moskaus“ ausgepackt. Dass diese Spaltung der Arbeiterbewegung einer der wesentlichen Faktoren war, der die Machtübernahme der deutschen Nazis 1933 begünstigte, ist heute unter Historikern wohl unbestritten. Und mancherorts wurden damals dann auch die richtigen Lehren aus diesem Komplettversagen gezogen: 1936 siegte bei den Parlamentswahlen in Frankreich eine aus Sozialdemokraten, Kommunisten und Linksliberalen gebildete „Volksfront“ – in spektakulärem Kontrast zu den Ereignissen im benachbarten Deutschland – und verbot sofort alle faschistischen Organisationen…

Sanna Marin und Magdalena Andersson: In sozialdemokratischer Tradition

Mitunter verlief die Entwicklung aber auch völlig entgegengesetzt. Preisfrage: In welchem europäischen Land gab es einmal eine Regierung, in der Sozialdemokraten in trauter Eintracht mit einem faschistischen Ministerkollegen am Kabinettstisch saßen? Antwort: in Finnland, in den Jahren 1941 bis 1944, in der Regierung des (liberal-konservativen) Premierministers Johan Wilhelm Rangell. Mehrere Minister der finnischen SP, darunter der Finanzminister Väinö Tanner, arbeiteten damals in einer Koalition mit der rechtsextremen „Patriotischen Volksbewegung“ zusammen, deren Vorläuferorganisation (die so genannte „Lapua-Bewegung“) nach einem missglückten Staatsstreich in den 1930er Jahren verboten worden war und die sich nunmehr auf den parlamentarischen Kampf konzentrierte.(7) An der Seite der Nazi-Wehrmacht griff die finnische Armee im Juni 1941 die Sowjetunion an, unter anderem beteiligte sie sich an der Belagerung Leningrads. In den Anfangsmonaten richtete sie in den von ihr vorübergehend besetzten sowjetischen Territorien in Karelien Konzentrationslager ein, in denen hauptsächlich Frauen und Kinder zusammengepfercht wurden.(8)

Als nach der Niederlage der deutschen und finnischen Truppen die Regierung in Helsinki einem für sie demütigenden Friedensvertrag mit der UdSSR zustimmen musste, verpflichtete sie sich auch dazu, ein Kriegsverbrechertribunal nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse einzurichten; der während des Krieges amtierende Premierminister Rangell und auch der sozialdemokratische Finanzminister Tanner der oben erwähnten Koalitionsregierung waren unter den Angeklagten.(9) Beide wurden (es war keine international besetzte, sondern aus Finnen bestehende Jury, deshalb wohl die vergleichsweise milden Urteile) zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt – was besagten Ex-Finanzminister aber nicht daran hinderte, nach der Verbüßung seiner Haftstrafe in den 1950er Jahren als Vorsitzender der finnischen Sozialdemokratischen Partei zu kandidieren und zu gewinnen (!).(10) Prompt benutzte er sein neues Amt dazu, die Aussöhnungspolitik des damaligen moskau-freundlichen (konservativen) Staatspräsidenten Urho Kekkonen mit der Sowjetunion nach Kräften zu sabotieren…

Exakt in dieser unseligen, extrem antirussischen/antisowjetischen Tradition sind die ehemaligen sozialdemokratischen Regierungschefinnen von Finnland und Schweden, Sanna Marin und Magdalena Andersson, zu verorten, die 2022 den NATO-Beitritt beider Länder in die Wege leiteten und auf einen Konfrontationskurs mit Russland einschwenkten. Und in den letzten Monaten profilierte sich bekanntlich die dänische (ebenfalls sozialdemokratische) Ministerpräsidentin Mette Frederiksen als ausgesprochene Anti-Putin-Hardlinerin. In Norwegen wiederum ist der ehemalige Premier Jens Stoltenberg wieder Finanzminister in der aktuellen sozialdemokratischen Regierung – als NATO-Generalsekretär (bis 2024) tat er, wie wir wissen, alles, um die Kriegshysterie in Europa anzuheizen. Überall, wohin man sieht: Sozialdemokraten an vorderster Front – da will natürlich auch die deutsche SPD nicht hintanstehen („Verteidigungsminister“ Boris Pistorius: „Wir sind nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im kompletten Frieden“), schon gar nicht eingedenk ihrer oben beschriebenen Geschichte.

Fico: Die Ausnahme

Bereits kurz nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine hatte die Sozialistische Internationale (seit 2013 nur noch eine Rumpforganisation nach der auf Wunsch der SPD erfolgten Rechts-Abspaltung „Progressive Allianz“) auf Betreiben des spanischen Premierministers Pedro Sanchez die sozialdemokratisch ausgerichtete Partei „Gerechtes Russland“ (drittstärkste Fraktion im Parlament in Moskau) aus dem Parteienbündnis geworfen(11), weil sie die Invasion gerechtfertigt hatte (bereits ein paar Jahre zuvor waren die nicaraguanischen „Sandinistas“ aus der Organisation ausgeschlossen worden). Und am 17. Oktober dieses Jahres wurde die slowakische Partei „Smer“ des amtierenden Premierministers Robert Fico aus der „Europäischen Sozialdemokratischen Partei“ herausgeworfen, wohl unter anderem wegen ihrer Weigerung, Waffen an die Ukraine zu liefern.(12) Komplettiert wird die Riege der dezidiert anti-russisch orientierten prominenten europäischen Sozialdemokraten durch den britischen Premier Keir Starmer („Labour ist die NATO-Partei!“) und den aktuellen Shooting Star der französischen Sozialdemokraten, den Europaabgeordneten und möglichen Präsidentschaftskandidaten Raphael Glucksmann („Sie, Monsieur, vertreten die Partei der Kapitulation“, schleuderte er Jordan Bardella, dem Parteichef des Rassemblement National, in einer TV-Diskussion kurz vor der Parlamentswahl 2024 entgegen, als dieser erklärte, mit ihm als Premier werde es keine französischen Truppen in der Ukraine geben).

Die (zeitlich ohnehin beschämend kurze) Ära des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt und seiner Aussöhnungspolitik gegenüber dem Osten war somit, rückblickend betrachtet, nur ein vorübergehendes Intermezzo in der langen Geschichte der deutschen und europäischen Sozialdemokratie – je nach Sichtweise ein Glücksfall für die deutsche und europäische Politik oder (in den Augen der neuen kalten Krieger) eine Art Betriebsunfall, an den niemand mehr erinnert werden möchte Es ist denn auch absolut kein Zufall, dass von der „Manifest“-Fraktion in der deutschen SPD, die sich mehr oder weniger klar von dem „Zeitenwende“-Aufrüstungskurs distanzierte, nun schon seit Monaten nichts mehr zu hören und zu sehen ist, und Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der trotz des von seiner Regierung verantworteten militärischen Überfalls auf (Rest-)Jugoslawien 1999 heute ein ausgesprochen pazifistisch orientierter und russlandfreundlicher Politiker ist, in seiner Partei inzwischen als eine Art Paria gilt. Sozialdemokratie und Friedenspolitik – das ist heutzutage wohl nur noch ein Thema für Historiker.

 

Fußnoten

1) Eine längere Passage in dem Enthüllungsbuch „CIA“ von Victor Marchetti und John D. Marks handelt offensichtlich von Willy Brandt, obwohl sein Name nicht genannt wird (etliche Passagen in dem Buch durften nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit der CIA nicht abgedruckt werden, Marchetti und Marks brachten an diesen Textstellen stattdessen leere Seiten in der Länge des Originaltextes): Victor Marchetti/John D. Marks, „CIA“, Deutsche Verlagsanstalt, 1985

2) Der Entwurf zu diesem Plakat geht angeblich auf Eberhard Taubert und Rudolf Fust zurück, die beide im Dritten Reich für die Propagandaabteilung der NSDAP tätig waren: Klaus Körner, „Erst in Goebbels’, dann in Adenauers Diensten“, Die Zeit, Nr. 35/1990

3) Sabine Pamperrien, „Helmut Schmidt und der Scheißkrieg. Die Biographie 1918 bis 1945“, Piper Verlag, 2014

4) Anton-Andreas Guha, „Ende. Tagebuch aus dem Dritten Weltkrieg“, Athenäum, 1983

5) Sebastian Sauer, „Erster Weltkrieg: Wider den äußeren Feind“, Junge Welt, 31. Juli 2025; „Sozialdemokratie und Krieg: ‚Unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit‘“, Der Freitag, 24. April 2022

6) Etwa Sabine Schattenberg, „‘Warum Breschnew nicht Putin werden konnte’ – aber Putin zu Breschnew werden könnte“, Zeitgeschichte online, 17. März 2018

7) „Rangell cabinet“, https://en.wikipedia.org

8) Tina Kinnunen/Ville Kivimäki, „Finland in World War II: History, Memory, Interpretations“, Brill Verlag, 2011

9) „Political Paavo“, Time, 6. Dezember 1948

10) „Väinö Tanner“, https://en.wikipedia.org

11) Socialist International, „Decision regarding membership of A Just Russia-Patriots-For the Truth Party“, 7. März 2022

12) „Europäische Sozialdemokraten schließen slowakische Smer-Partei aus“, Die Zeit, 17. Oktober 2025

Norbert Faulhaber

Norbert Faulhaber fing nach einem Studium der Politikwissenschaften, Rechtswissenschaften und Soziologie 1991 bei der Konstanzer Tageszeitung „Südkurier“ an: als freier Mitarbeiter für TV- und Filmkritik, Konzertberichte und CD-Besprechungen. Ab 1998 arbeitete er auch als Vertretung des TV-Redakteurs, von 2004 bis 2006 als Verantwortlicher für die tägliche TV-Programmseite. Von 2006 bis März 2023 arbeitete er als Redakteur am NewsDesk See-West in Konstanz.
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34 Kommentare

  1. Wir haben einfach nicht genug entnazifiziert, sagte schon mein Vater…
    Darum ging es den 68ern, diesen Sumpf von 1000 Jahren unter den Talaren nämlich zu stoppen.
    Genau deswegen, haben wir jetzt denn ganzen Ärger.
    Also, bei der kommenden Revolution bitte keinen halben Sachen mehr machen!

    1. @Motonomer
      Die 68ziger sind jetzt aber bei den Russophoben gelandet. Was ist mit den 68zigern zwischen 68 und jetzt passiert, Gehirnwäsche oder lockte nur der Trog des Geldes???

      1. Schon mal daran gedacht, dass die auch alt geworden sind? Wer 1968 20 Jahre war, ist heute 77.
        Ich sehe wenig Nachfolger. Was ich dagegen häufig sehe, sind angepasste Mitläufer, die sich eher im Smartphone, Amazon zum Einkauf und Bnb zum Reisen einfinden.

      2. Das ist unbenommen richtig, denn, viel ist von dem damaligen Verve wirklich nicht übrigeblieben.
        Viele, haben nach den verlorenen Schlachten während der Startbahndemos und den unrühmlichen Ende das Handtuch geworfen, wurden Grün und dann kam spätesten mit der neoliberalen Welle in den 80ern, die alles vereinnehmenede Kommerzialisierung sämtlicher Werte (Fundis und Realos) durch den Turbokapitalismus, vor allem in der Hochfinanz und mit dem Gewinn der Realos unter Fischer und danach war es eigentlich vorbei.
        Wie es der Artikel gut beschreibt zeichnete sich das Ende der 68er Bewegung vielleicht mit dem Wechsel zu Helmut Schmidt schon ab, zumindest erscheint es mitr im Nachhinein nicht unlogisch sich mit dieser These mal etwas eingehender zu befassen.
        Aber, was sich heutzutage so links nennt hat mit der Generation der 68er nicht mehr viel zu tun.

        1. @ Motonomer
          Rückblickend ist man ja bekanntlich immer klüger. Geht mir auch so, dass ich meine eine gewisse Kontinuität in der politischen Entwicklung, die zweifelsfrei zumindest latent vorhanden war, zu erkennen.
          Mir kommt es vor als hätten wir jetzt den Salat. Zumindest die ersten Bissen.

          1. @Veit_Tanzt + @Motonomer
            Die Proteste gegen die Startbahn West, der Häuserkampf, die Anti-AKW Proteste, und auch die Friedensdemos waren alle richtig und wichtig. Daraus aber zu schließen die Weltrevolution stände kurz bevor war mehr als nav und daher eine grobe Fehleinschätzung. Eine Revolution ohne die Arbeiterschaft kann nicht funktionieren.

            David Rovics – Vanguard
            https://www.youtube.com/watch?v=f88nMWvCZSY&list=RDf88nMWvCZSY&start_radio=1

            David Rovics Live in Frankfurt
            https://www.youtube.com/watch?v=BGgVo2Kzyag&list=RDBGgVo2Kzyag&start_radio=1

        2. @Motonomer
          Nichts anderes habe ich gemeint.
          Gut das Sie das jetzt selbst erkannt haben
          Man muss keine 77 sein denn der Prozess fing schon viel früher an.
          Sie sind einer der letzten die bei der Stange geblieben sind, Hut ab.👍

  2. Eigentlich war die Zeitenwende schon 2014. Der Putsch in der Ukraine hätte von der SPD aufs Heftigste verurteilt werden müssen, wenn sie das Erbe Willy Brandts hätte bewahren wollen. Wir wollen fair sein, diese Stimmen gab es. Insbesondere während der sogenannten Anti-Terror-Operation (ATO) gab es Stimmen, die feststellten, dass es wohl die Waffen-SS sei, die da gen Osten zieht. Aber spätestens Anfang 2015 war der Widerstand niederkartätscht. Nur noch Claquere für die Scholz’sche Zeitenwende anno 2022. Absolut beschämend.
    Das Lob für die ’68-er ist verdient. Eine kopfstarke Truppe, die sich nicht verarschen ließ und Erfolg hatte. Ich bin weit davon entfernt, sie zu idealisieren. Aber es war das Beste, was wir je hatten.

    1. Die Zeitenwende war die Wiedervereinigung. Danach gung es Richtung Osten, Zerschlagung Jugoslawiens, Krieg gegen Serbien. Osterweiterung. Georgien, Ukraine.

  3. Der narzisstische Egomane, Herr Schröder, ist vor allem an seinen Gazprom-Pfründen interessiert.
    Er hat das wenige soziale Gewissen der transatlantikfa MI6-Kaderpartei SPD, soweit überhaupt oder je vorhanden, vollends über Bord gekippt und den Kriegstreiberkurs seines hanseatischen Krämerseelen-Landsmanns und Ziehvaters Schmidt fortgesetzt. Die derzeitigen despotisch-totalitären Blockparteien unterscheiden sich mittlerweile nur noch in Nuancen, dem Grad ihrer Idiotie und der jeweiligen Eigenbezeichnung voneinander.

    1. „Der narzisstische Egomane, Herr Schröder, ist vor allem an seinen Gazprom-Pfründen interessiert.“

      Genau, weil preiswerte und sichere Versorgung mit Erdgas vollkommen überbewertet wird. Sieht man aktuell, der Jubel der deutschen Industrie ist überwältigend.

  4. Ein interessanter Artikel.

    Wahrscheinlich kann man die Zeit von etwa 1970 bis etwa 2010 wirklich als eine gewisse Ausnahme betrachten.
    Politiker wie Brandt, Bahr, Schröder und auch Lafontaine setzten neue Akzente.

    Vor etwa 1970, aber auch wieder nach etwa 2010 dürfte sich die Sozialdemokratie die ohnehin mehrheitsfähigen Ansichten angepasst haben.

    Man sollte allerdings die teils durchaus nachvollziehbaren Argumente der westlichen Russland- bzw. Sowjetunionkritiker auch nicht glattweg für falsch oder unberechtigt halten. Weder die fortschrittsfeindliche Autokratie der Zaren vor 1917 noch danach das brutale und totalitäre Treiben der Bolschewiki und Stalins sowie die Innen- und Außenpolitik der Sowjetunion nach 1945 waren ja eine westliche Propagandaerfindung und natürlich zu recht völlig ungeeignet, Sympathien zu erwecken. Und jeder, der im Westen nach 1945 die Sowjetunion und den Ostblocksozialismus allen ernstes noch als gute Alternative verteidigte, musste sich sich verständlicherweise den Vorwurf gefallen lassen, einen an der Waffel zu haben.

  5. Ich habe selber erlebt, welch eine Wechselpolitik die SPD in den 70ern und 80ern vollführte. Die konsequenterweise auch in die unseelige Agenda 2010 mündete. Weder Globalisierung noch NATO-Erweiterung war Thema der SPD, die alles befürwortete. Und bei Corona war die SPD voll mit dabei, sage nur Lauterbach. Und immer wieder Antirussismus. Für die SPD kam das Böse immer aus dem Osten. Besonders aus Russland. Umd transatlantisch ist die Partei bis in die Knochen.

    1. Die SPD hat uns immer schon verraten.
      Bei Strauß und Konsorten, wußte man wenigstens was man bekommt wenn man die wählte. 😉
      Ich sollte mich hier auch mal an dieser Stelle für den guten Artikel bedanken. 👍👍👍

  6. Man darf ja mal einen Moment lang träumen. Was wäre gewesen, wenn die SPD die Kriegskredite 1914 abgelehnt hätte? Der Krieg wäre unmöglich gewesen. Denn die Sozialdemokraten in den anderen Ländern hätten in gleicher Weise abgestimmt. Stell Dir vor, die wollen Krieg, bekommen aber kein Geld.
    Das wäre ein Erfolg gewesen und er hätte die Sozialdemokratie Europas auf diesen Weg festgelegt. Um wieviel anders wäre das 20. Jahrhundert verlaufen? Kein Weltkrieg, keine Nazis und auch kein Zweiter Weltkrieg. Man darf da ja mal hindenken.

    1. @Artur_C
      Die haben sich nicht mal gescheut die Arbeiter von der rechten Reichswehr ermorden zu lassen.
      Noske und Zörgiebel sollten noch ein Begriff sein. (Zörgiebel Blutmai 1929)

      „Das Jahr 1929 stand im Zeichen sich verschärfender Klassenauseinandersetzungen, gekennzeichnet durch erbitterte Streikkämpfe in mehreren Landesteilen der Weimarer Republik. Hinzu kam, dass die Große Koalition unter Führung von Reichskanzler Hermann Müller (SPD) entgegen allen Wahlversprechen den Bau des „Panzerkreuzers A“ in Auftrag gab. Damit wurde deutlich, dass die sozialdemokratischen Politiker ihrer Koalitionspolitik mit der Bourgeoisie einen höheren Stellenwert einräumten als einer Politik gegen Aufrüstung und für sozialen Fortschritt für die Bürger der Republik.“

      „Zu dieser unsozialen Koalitionspolitik unter Hermann Müller kam, dass am 28. September 1928 vom preußischen Innenminister Grzesinski das – nur in Preußen bestehende – Redeverbot gegen Adolf Hitler aufgehoben wurde. Die Nazis konnten ungehindert hetzen. Es kam zu gewaltsamen Zusammenstößen der SA mit Kommunisten, Sozialdemokraten und parteilosen Demokraten, die sich gegen den Straßenterror der SA wehrten. Als Ergebnis der aufgeheizten innenpolitischen Lage verbot der sozialdemokratische Polizeipräsident Zörgiebel am 13. Dezember 1928 politische Versammlungen unter freiem Himmel in Berlin. Dieses Verbot wurde am 21. März 1929 von Grzesinski auf ganz Preußen ausgedehnt. Im April 1929 wurde die Gültigkeit des Demonstrationsverbotes auch für den 1. Mai bekräftigt.“

      „Eine bewusst vorbereitete Provokation“

      „Gedeckt von seinen sozialdemokratischen Parteifreunden wie dem preußischen Innenminister verbot der sozialdemokratische Berliner Polizeipräsident Zörgiebel auch die Demonstrationen zum 1. Mai in Berlin. Die KPD rief trotzdem zur Demonstration auf. Zörgiebel unterstellte daraufhin der KPD, sie plane einen Aufruhr und nehme zahlreiche Tote in Kauf. In der Spätausgabe des sozialdemokratischen „Vorwärts“ vom 29. April 1929 hieß es später dann auch verleumderisch: „200 Tote am 1. Mai – Verbrecherische Pläne der Kommunisten.“

      weiter unter
      https://www.unsere-zeit.de/zoergiebel-liess-auf-arbeiter-schiessen-57070/

  7. Wenn die Manifestfraktion es ernst meinen würde, gingen Sie zum BSW. Die jetzige SPD ist eine Kriegspartei und wird es auch bleiben, da können noch so viele Manifeste geschrieben werden, die Zeitenwende-Fraktion wird immer die Mehrheit in der Partei haben.

    1. Die oder das BSW ist durchsetzt mit Coronajüngern und Leuten angefangen mit der Person Amira Mohamed Ali denen das Impfen gar nicht schnell genug ging.
      Viele, der alten echten linken Ideale wie eine vollständige Säkularisierung, raus aus der NATO, und vor allem die Systemfrage stehen dort überhaupt nicht mehr zur Debatte.
      Da habe ich nicht nur wenig, sondern gar keine Hoffnung, das sich auch mit dieser Partei (wie im Übrigen mit allen Parteien) irgendetwas zum Besseren wenden könnte.

      1. @Motonomer
        Ich befürchte wenn Sie alle ausschließen wollen dann müssen Sie alles alleine machen weil Ihnen keiner recht ist.
        Ohne Bündnisse werden Sie nie etwas erreichen, oder doch, den Merz aber vielleicht auch noch schlimmere Gestalten. (AFD mit der Kettensäge)

        Wollen Sie das? Dann nur zu!

        1. Ich möchte die Anarchie ™1974 und nichts anderes.
          Parteien und Staat bringen uns nicht weiter.
          Ich schreibe hier nur, die Wahrheit und sonst nichts.
          Es ist völlig egal wen wir wählen, denn, wir haben keinen Einfluss mehr auf die Poltik die damit verbunden ist.
          Allein diese versteckte Drohung „Wollen sie/ihr das“ zementiert das althervorgebrachte Parteiengefüge samt dem Staatssystem, dem wir immer noch frönen.

    2. @Fürst Myschkin
      Der ganz rechte Seeheimer Kreis hat schon immer die Politik der SPD bestimmt und die „Linke“ ist mit denen auf den gleichen Kurs gegangen. Daher bleibt nur das BSW übrig

  8. „Irrtum“ sprach der Igel, und sprang von der Bürste. So erging es uns dann bei der vorletzten Bundestagswahl. Wir hatten immer noch an den Geist Willy Brandts geglaubt. Die SPD ist abgehakt, die Linke mit Rakete und Ramelow auch. Die CDU/CSU war für uns nie relevant. Blieben noch die große böse Alternative und Kleinparteien. Die Alternative gibt immer mehr zu verstehen, dass sie keine ist. Ob Chrupalla dort zukunftsfähig oder nur Aushängeschild ist, darf angezweifelt werden. Blieben noch Kleinparteien, aber das ist auch ein Griff in die Sch…., wenn die dann mit den faschistischsten Betrügern ins Bett steigen, nur um sich gut ernähren zu können. Bleibt zu resümieren, dass das Vertrauen in die „parlamentarische“ oder „repräsentaive“ Demokratie komplett weg ist. Wir dürfen bei Wahlen Gesichter auswählen, die uns dann nach der Wahl betrügen, alle. Der DDR-Sozialismus war keiner, und demokratisch war er auch nicht. Bliebe derzeit als eventuell funktionierendes Gesellschaftsmodell noch die kapitalistische Autokratie, wie sie China praktiziert. Wenn diktatorisch festgelegt wird, was am bessten für das Volk ist, und für diese Herangehenweise auch die vernünftigsten, intelligentesten und humansten Kriterien in Kombination ausgewählt werden, kann das von Vorteil sein. Ein Diktator, der seinem Volk dient, ist besser als viele konkurrierende Schauspieler, die am Volk vorbei operieren.. Und an diesem Stand sind wir jetzt. Wenn der Wertewesten wieder aufholen möchte, so wird er das mit Wettrüstung, Diffamierungm, Rassismus und Kriegen nicht mehr schaffen, dieser Zug ist abgefahren. Der erste Schritt in die richtige Richtung wäre eine ideologiefrei Bildung für alle. Davon sind wir aber weit entfernt.

    1. Rischtisch 👍
      Nur das mit der Bildung sehe ich auch schwarz, erstens bräuchte es eine ganze Generation, mindestens und außerdem sind wir, was das Bildungsniveau betrifft noch weiter am abrüsten.

  9. Der Auslöser für die Zeitenwende war sicher nicht die in Deutschland vorhandene Russophobie, sondern die wurde von anderer Seite bewusst und aktiv benutzt (ganz ähnlich wie der in der West-Ukraine vorhandene Nazismus). Den Marschbefehl für die Zeitenwende hatte sich Scholz vom US-Präsidenten Biden geholt, was bei den bei uns in großer Zahl vorhandenen Transatlantikern sogar auf fruchtbaren Boden fiel. Nur einige älter Sozialdemokraten taten sich schwer damit, nicht aber Scholz, der war lange darauf vorbereitet worden – ein williger Lakai zu sein; man schaue sich seine Vita an.

  10. Der Beitrag ist interessant, besonders die Rolle der finnischen Sozialdemokraten während des 2. Weltkriegs kannt ich nicht. Er enthält aber auch einiges an „cherry picking“ (Man sucht sich die Kirschen heraus, die in die eigene Argumentation passen.

    Faulhaber argumentiert, dass Willy Brandt eine Ausnahmeerscheinung in der Sozialdemokratie gewesen sei.
    Und was ist mit dem Sozialdemokraten Olof Palme, der vermutlich wegen seiner Politik des Ausgleichs und der Verständigung mit der Sowjetunion umgebracht wurde? Der Mord wurde nie aufgeklärt.

    Dann zieht er Helmut Schmidt durch den Dreck. Dass er es war, der das Erdgas-Röhren-Geschäft gegen den Widerstand der westlichen Bündnispartner forciert hat, verschweigt er. „Wir machen das. Da können die andern quaken so viel sie wollen.“

    Ein weiterer Punkt: Es gab viele Sozialdemokraten die Stalins Terror-Regime hautnah miterlebt haben, und sich dabei auch selbst schuldig gemacht haben, besonders Herbert Wehner hat viel an dem zu tragen gehabt, was er in der Lubjanka erlebt und auch selbst getan hat. Stalin hat ja vor allem Genossen umgebracht, siehe das Buch von Susanne Leonhard: Gestohlenes Leben.

    Was die Bedrohung durch die Sowjetunion anbelangt: Die hatten damals tatsächlich 2,5 mal so viel Panzer wie die NATO. Die Frage war: Wenn sie nur auf friedliche Koexistenz aus sind, warum haben sie dann so viele Panzer? Andrerseits: Die NATO war atomar deutlich überlegen, es gab in den USA in den 50er Jahren sogar konkrete Pläne, alle Städte des Ostblocks (inklusive Ost-Berlins!) und Chinas atomar auszulöschen. Ein netter Herr namens Curtis le May hatte sich das ausgedacht. Dokumente, die das belegen wurden vor einigen Jahren freigegeben, aber natürlich in den Medien totgeschwiegen. Die Angst der Sowjetunion war also durchaus berechtigt. So schaukeln die Kriegstreiber beide Seiten hoch. Aber das „Gleichgewicht des Schreckens“ wurde damals von allen europäischen Politikern respektiert, Hasardeure wie heute hat es damals nicht gegeben, von FJS vielleicht mal abgesehen.

    Helmut Schmidt hatte seine Schattenseiten, aber mit Wladimir Putin hätte er sich gut verstanden, ebenso wie mit Xi Jinping. Mit ihm hätte es weder den Ukraine-Krieg noch die Deindustrialisierung Deutschlands gegeben und Schmidt ist in China immer sehr gut empfangen worden, weil er ein klarer Gegner westlich-moralisierender Aussenpolitik war.

    Was das Verhältnis zu Russland anbelangt. Es gab damals viele Kriegsheimkehrer, die angekotzt waren von den deutschen Militaristen, die sie ins Verderben geschickt hatten (exemplarisch sei Görings „Leichenrede“ für die in Stalingrad eingeschlossene 6. Armee genannt), aber voll des Lobs über die humane Behandlung durch die Russen. Prominentestes Beispiel war wohl Helmut Gollwitzer, aber es gibt Berichte viele anderer Kriegsheimkehrer. Interessiert hat das mit Ausnahme des Buches von Gollwitzer niemand, die Bücher sind meist in Bezahl-Verlagen erschienen. Auch mein Vater (3 Jahre Gefangenschaft in Saratow) hat gesagt: „Die Verhältnisse waren katastrophal, aber man hat uns immer menschlich behandelt.“ Das haben diejenigen, die von der US Army in den Rheinwiesen gefangen gehalten wurden, nicht gesagt. Diese Bereitschaft der Russen zu vergeben, nach allem was man ihnen angetan hat, das hat die Heimkehrer tief berührt, und veranlasst auch mich heute als Nachfahre diesen Kommentar zu verfassen. Es war vielleicht der wichtigste Pfeiler, auf dem die Entspannungspolitik beruht hat. In meiner Friedensrede in Fulda in diesem Jahr, die auch hier bei overton zu finden ist, habe ich das auch noch mal betont, gerade weil man das heute totschweigen will oder die Dankbarkeit der Überlebenden in eine Art unbewältigtes Stockholm-Syndrom umdichten will.

    Wenn man so einen grundsätzlichen Artikel schreiben will, dann sollte man etwas tiefer graben, alle Seiten beleuchten und ihn mit Zitaten belegen.

    1. Apropos 6. Armee und „aber voll des Lobs über die humane Behandlung durch die Russen.“

      Nur etwa 5.000 bis 6.000 deutsche Soldaten kehrten aus der Gefangenschaft in Stalingrad nach Deutschland zurück. Von den rund 91.000 bis 110.000 Soldaten, die in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerieten.

      Möglich, dass es eine glücklich Fügung war eher früher als später in der Gefangenschaft zu sterben, aber human war es nicht.

      1. Ist in Kriegszeiten Humanismus überhaupt möglich?
        Wobei die Hälfte der Ausgezehrten wohl schon die ersten 6 Monate nicht überlebt hat.
        Mit welchen Mitteln hätte die malträtiere Sowjetunion das Leben derer retten und schützen sollen, die als Besatzer und Vernichtet Herrschaftsraum im Osten gewinnen wollten und dabei „Rücksichtslosigkeit“ als Zentraldoktrin beigebracht wurde?
        Humanität war dabei weniger eine sowjetische als vielmehr eine russische Eigenschaft, deren Bevölkerung Entbehrungen und Solidarität durchaus gewohnt war.
        Der Geogier Stalin, der die ihm verliehene (und teilweise auch usurpierte) Macht schmählich missbrauchte, hat dabei mehr Leben von Genossen vernichtet als ein kapitalistisches Kartell, das Wunder an der Weichsel mit ermöglicht und defätistisch aus diktatorischen Erwägungen erst den Überfall 41 ermöglicht.
        Einem Strategen aus der Tiefe des Raumes (Tuchatschewski) wäre das nicht passiert. Aber den ließ ja Stalin hinrichten, weil er in diesem einen Rivalen sah, gegen den er im Zweifel keine Chance hatte.

    2. @ Stefan Nold

      Gut geschrieben!

      Am Rande bemerkt:
      Man kann gegen Helmut Schmidt so manches sagen, aber immer mehr wird mir bewusst, dass er als Politiker in intellektueller(!) Hinsicht eine seltene Ausnahmeerscheinung war.

      1. Politiker, welche Intellekt auszeichnet, gelangen meist nicht in die erste Reihe, wenn sonst keine besonderen Fähigkeiten vorhanden sind. Schmidt hat sich aber auch nach dem Amt intellektuell weiter entwickelt, was auch mit seiner umfangreichen Lebenszeit zu tun hat. Auch ein Dohnany ist immer noch auf der Höhe der Zeit auf einem Level, den viele Spitzenpolitiker nie erreichen.
        Franz Josef war in seinen stilleren Stunden durchaus zur Reflexion fähig und hätte ohne Amt und mit mehr Lebenszeit noch so manche Einsichtsfähigkeit erreicht, welche man seiner Konkurrentin Dittfurth aufs Schärfste absprechen muss.
        Würde man durch einen entsprechenden Gesellschaftsentwurf den Zwang zu Rivalitäten lindern, gäbe es viel mehr „Altersweise“ schon in jungen Jahren.
        Das große Defizit des Nationalismus hat auch wesentlich mit der Unreife von dessen Hauptdarstellern zu tun, wobei der gesundheitlich zartbesaitete Hitler eine Groteske seiner Rhetorik war.

  11. Die SPD war und ist zwei Dinge NICHT: Sozial und Demokratisch. Das sich daran was ändert, den Glauben habe ich längst nicht mehr (und eigentlich auch nie gehabt).

  12. Anti-Imperialistische Politik ist nicht zwingend anti-russischen Politik, war und ist aber zu bestimmten Zeiten deckungsgleich, da russische Politik oft genug auch imperialistische Politik ist/war.

    1. Imperialistische Politik war jede Politik in Europa, die Größe und Macht als göttliche Richtpfeiler sah.
      Auch die Zaren waren dieser Politik verpflichtet und auch der aufgeklärte Absolutismus, die bürgerlichen Februar-Revolutionäre oder die kapitalistische verfassten Demokratien handelten nicht anders. Insbesondere eine Zarin deutschen Blutes (sofern es das überhaupt gibt) ragte in dieser Disziplin besonders hervor.
      Erst Lenin verzichtete (zumindest zum Machterwerb) darauf und bekommt deshalb noch jetzt von Putin verbale Prügel, denen ich mich explizit nicht anschließe.
      Denn auch mit Putin ist noch ein Hühnchen zu rupfen. Nicht wegen eines angeblichen Angriffskrieg, schon gar nicht wegen eines unprovozierten, sondern wegen seines Sobtschakismus. Dieser hatte zur Folge, dass sich das Land nicht hinreichend entwickeln konnte, weil die Verteilung der Wirtschaftsleistung bzw. die Fehlallokationen aufgrund mangelnder Kaufkraftverteilung den Fall volkswirtschaftlich induzierten Wohlstand schmälerte.
      Groteskerweise hatten die Sanktionen dabei eine Korrektiv-Funktion.
      Aber anstelle von Rüatungsgütern könnte man wahren Wohlstand durch Zivilgüter-Produktion anstelle Zahlenwohlstand erringen. Und da haben sich sowohl Schröder & Konsorten als auch Putin noch warm anzuziehen.

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