Ronald Reagan fiedelte, während das Volk fror

Armut, Obdachloser
Quelle: Pixabay

Wie Platon treffend beobachtete, ist die Geschichte der »Zivilisation« voller Konflikte, getrieben durch Klassenspaltungen und zerrissen vom Gegensatz der Bedürfnisse der Armen und den Wünschen der Reichen.

Im August 1989 schrieb Mumia Abu-Jamal über die wachsende Armut in den Vereinigten Staaten.

Ein Buchauszug.

»Jede gewöhnliche Stadt besteht in Wirklichkeit aus zwei Städten, von denen die eine die Stadt der Armen, die andere die der Reichen ist und die sich miteinander im Krieg befinden, und in jedem Teil gibt es kleinere Teile – es wäre ein großer Fehler, sie als einen einzigen Staat zu behandeln.«
Platon, Der Staat

Während die herrschende Klasse sich angesichts der Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution schier überschlägt vor Begeisterung und über den unterdrückten Gefangenen Jean Valjean, die Hauptfigur des Buchs von Victor Hugos Les Misérables (bzw. über dessen Broadway-Adaption), Krokodilstränen vergießt, wächst in den Vereinigten Staaten die Masse hungriger Obdachloser zu einem Meer von Elend, das Schätzungen zufolge mittlerweile über vier Millionen Menschen umfasst.

Immer neue empirische Beobachtungen deuten darauf hin, dass dieses traurige Schauspiel die direkte Folge des von Ronald Reagan geführten achtjährigen Krieges gegen die Armen ist.

Schwarzer Schlagstock

Die Ernennung des Schwarzen New Yorker Anwalts Samuel Pierce zum Leiter des Department of Housing and Urban Development (HUD) durch Reagan löste Beifall aus – aber auch einige Buhrufe, denn Pierce war kein Fremder für die herrschenden Kreise der USA. Während der rebellischen 1960er Jahre hatte der rassistische FBI-Direktor J. Edgar Hoover erfolglos versucht, Pierce als konservativen Kontrapunkt zu etablieren, der die Aufmerksamkeit der Schwarzen in höherem Maß verdiente als der immer radikaler werdende Martin Luther King. Jahre später diente Pierce dann den Interessen der herrschenden Klasse als Oberaufseher über die Zerstörung des HUD. So konnten die reichen Rechten der Republikanischen Partei die Armen sozusagen mit einem »Schwarzen Schlagstock« zusammenknüppeln.

»Silent Sam« Pierce sah einem sozialen Desaster in stoischem Schweigen zu, während der Bund jetzt den Bedürftigen selbst noch armselige Hütten verweigerte. Acht Jahre später erlebte das Land, wie die Gelder für Wohnungsbau um 81 Prozent, die Programme für Alte und Behinderte um 50 Prozent und die Gelder für Gemeindeentwicklung um 47 Prozent gekürzt wurden.2 Reagans Ministerium für »Wohnbau« und »städtische Entwicklung« beschäftigte immer weniger Mitarbeiter und seine Politik der Vernachlässigung führte zu der Entwicklung städtischer Bantustans. Heute ist das HUD in einen Skandal verwickelt, in dem es um mehr als 2,5 Milliarden Dollar geht.

Während die Sozialwohnungen aufgrund fehlender Reparaturen verrotteten und Obdachlose aus ihren Unterkünften auf die Straße getrieben wurden, labten sich Berater, Lobbyisten, Anwälte und ehemalige staatliche Beamte an den öffentlichen Trögen und strichen einen großen Reibach ein. Reagans Ex-Innenminister, der rassistische Witzbold James Watt, ergatterte satte 300 000 Dollar für seine Lobby-Arbeit für Projekte in Maryland. Die ehemalige Wohnbauministerin der Ford-Regierung (und US-Handelsabgesandte unter Bush) Carla Hills wurde von einem »Entwickler« in Florida bezahlt, um den Geldbaum des HUD für zwei Wohnsiedlungen in Dade und Broward zu schütteln, und hatte zum Teil Erfolg dabei. Der frühere Senator von Massachusetts, Edward Brooke, bekam 185 000 Dollar Beraterhonorar für Staatsprojekte.

Was soll unsere Generation tun?

Programme, die zur Unterstützung der Armen geschaffen wurden, wurden jetzt der Mittel- und Oberklasse zugeschustert, während die Armen ärmer und die Leute mit schlechten Wohnungen obdachlos wurden.

Es ist interessant, dass Hugos Jean Valjean in die Bastille geworfen wird, weil er es gewagt hatte, ein Stück Brot zu stehlen, um seine Familie vor dem Hungertod zu bewahren. Aber selbst der bettelarme Valjean hat, bevor er ins Gefängnis kommt, einen Ort, wo seine Familie leben kann. Solcherart ist der »Fortschritt«, dass heute, in Vizepräsident George H. W. Bushs »gütigerem, freundlicherem« Amerika, die Armen – darunter Frauen und Kinder – sich in den Städten Amerikas in zusammengeschusterten Pappkartons und ohne einen Platz zum Leben über Lüftungsschächten zusammenkauern. Der Dank für diesen Zustand gebührt »Sir Ronald«, und für die Verewigung dieses erbärmlichen Elends können wir uns bei einem System kalter kapitalistischer Gier bedanken.

Im Frankreich Valjeans verlor Marie-Antoinette nicht zuletzt für ihre überlieferte Antwort auf das Flehen der Armen um Brot, »Dann sollen sie doch Kuchen essen!« ihren hübschen Kopf. In Bushs Amerika gibt es für die Armen kein Brot, keinen Kuchen, keine Wohnungen und keine Hoffnung. Die Generation Valjeans stürmte die Barrikaden, um Revolution zu machen und Könige sowie eine korrupte Klasse müßiger Reichen zu stürzen. Was soll unsere Generation tun?

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4 Kommentare

  1. Wer den heutigen Zustand der USA verstehen will, muss bei Reagan anfangen. Kahlhieb bei den Sozialleistungen, damals mit dem Argument, diese seien zu teuer. Da kämen die Staatsschulden her und deshalb müssen sie weg. Und? Reagan hat die Staatsschulden von 0,9 auf 2,85 Billionen verdreifacht. Tolles Resultat.

    Seither wird eigentlich immer nur Reagan gewählt. Auch eine bescheidene Krankenversicherung wie unter Barrack Obama angedacht, hat keine Chance. Jetzt wundern sie sich über ihr Handelsdefizit. Dass, wer moderne Produkte herstellen will, eine Ausbildung braucht, scheint unbekannt zu sein. Wenn man großen Teilen der Bevölkerung die Bildung verweigert, dann kommt das eben heraus.

    Nebst einem sprunghaften Anstieg der Gewalt. Die Polizei erschießt jedes Jahr über 1000 Personen. Nicht nur Schwarze, wie BLM meint, aber diese in erster Linie. Dann der höchste Anteil an Gefangenen weltweit. Und so fort.

    Irgendwie sollten die Amis mal in sich gehen und überlagen, was sie da seit 1980 zusammen gewählt haben. Und ob insbesondere die letzte Wahl zur Besserung beiträgt.

    1. Solange sie den großen Knüppel schwingen und Schwächere erpressen können und sich nicht halbwegs ans Völkerrecht halten müssen, wird sich daran nichts ändern. Und das übrigens unabhängig davon, ob gerade ein Republikaner oder ein Demokrat den Potus-Kasper macht.

  2. https://www.berliner-zeitung.de/news/thorsten-frei-cdu-gegen-grundsicherung-wer-arbeiten-kann-muss-auch-arbeiten-gehen-li.2325847
    “ Zu jungen Leute, denen eine Work-Life-Balance häufig wichtiger sei, sagte er: „Ich bin weit davon entfernt, anderen erklären zu wollen, wie sie ihr Leben führen sollen“. Jeder könne so leben, wie es den eigenen Bedürfnissen entspräche – allerdings nicht auf Kosten anderer. „Und das bedeutet für mich beispielsweise beim Thema neue Grundsicherung, dass diejenigen, die arbeiten können und gesund sind (…) für dieses Einkommen auch arbeiten müssen“, so Frei.
    Ähnlich wie Frei sieht es auch Parteikollege und Bundeskanzler Friedrich Merz. Zuletzt sagte er: „Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können“. Wahlkampf kündigte Merz damals an, denjenigen das Bürgergeld zu streichen, die nicht arbeiten.“
    Das kommt jetzt auch hier.Und das von Leuten, die noch nie eine sinnvolle Arbeit i ihrem Leben geleistet haben, aber dafür dank erfolgreicher Lobbyarbeit/vulgo Bullshit-Jobs Millionäre sind.

  3. Ich stimme dem Autor nicht zu, dass Ronald Reagan allein für die sozialen Verwüstungen in den USA verantwortlich ist. Reagan war jedoch eine Schlüsselfigur in der Durchsetzung neoliberaler Politik, die auf Steuerkürzungen, Deregulierung und Sozialabbau setzte und die soziale Ungleichheit verschärfte. Diese Entwicklung war Teil eines größeren historischen Wandels, der durch wirtschaftliche Krisen und globale Trends vorbereitet wurde. Dennoch waren es natürlich konkrete politische Entscheidungen, die diese Wende ermöglichten – und Reagan trug daran maßgeblichen Anteil.“

    Genausowenig wie Martin Luther alleine die Reformation und die daraus resultierende Kirchenspaltung „erfunden“ hat. Wäre er es nicht gewesen, ein anderer wäre an seine Stelle getreten – die Zeit war einfach reif dafür, dass ist der springende Punkt.

    Für mich, ist dass alles eine logische Entwicklung der Megamaschine. Die USA zeigen, wie eine Gesellschaft im Endstadium des Kapitalismus dahinvegetiert. Selbstverständlich geht die EU genau den gleichen Weg.

    In den 60 und 70er Jahren, musste sich das Kapitel – notwendigerweise und gezwungen durch multiple Krisen wie die Ölkrise von 1973 – mit seinen Lohnsklaven arrangieren und sich soziale Fortschritte abringen lassen. Die Nachkriegszeit war von sozialstaatlichen Kompromissen geprägt. Die Ölkrisen und die Stagflation der 1970er Jahre bereiteten tatsächlich den Boden für einen politischen und wirtschaftlichen Kurswechsel.

    Sir Ronald Reagan und Maggie – the iron Lady – Thatcher haben diesen Zustand endgültig beendet und das Zeitalter des Neoliberalismus eingeleitet, der obszönsten und perversesten Stufe des Kapitalismus.

    Jason Hickel schreibt:

    Das eherne Gesetz des Kapitals

    Anfang der 1980er-Jahre hatte die G7-Gruppe sich das Ziel gesetzt, Weltbank und IWF – also ihre Auftragskiller – dafür einzusetzen, die wirtschaftliche Revolution des Südens zu vereiteln und den Zugang des Westens zu dessen Rohstoffen und Märkten wiederherzustellen. In dieser Hinsicht haben sie keineswegs versagt. Aber davon abgesehen gab es ein anderes, tiefgreifendes Ziel, dem Weltbank und IWF dienten, und zwar, den westlichen Kapitalismus an sich zu retten.

    Wir wissen, dass der Kapitalismus hin und wieder an Grenzen stösst, wenn es darum geht, neue Profite zu generieren. Da wäre zum Beispiel die Grenze gesättigter Märkte: Wenn die Konsumschafe alles haben, was sie brauchen, kaufen sie weniger und die Unternehmen können nicht mehr so viele Produkte losschlagen. Dann ist da noch die Grenze der ökologischen Erschöpfung: Wenn natürlich Rohstoffe knapp werden, beginnen die Kosten notwendiger Inputs zu steigen. Und es gibt die Grenze des Klassenkonflikts: Wenn die Arbeiterschaft höhere Löhne durchsetzt, steigen die Kosten der Arbeit, und wenn dann ihre Forderungen abgelehnt oder sogar die Löhne gedrückt werden, um die Profite zu erhöhen, kann es zu sozialen Unruhen kommen (genau das passiert in Frankreich dieser Tage). Alle diese Faktoren machen es für die Unternehmen immer schwieriger, hohe Profite herauszuschlagen.

    Wenn der Kapitalismus an diese Grenzen stösst, bieten sich Investoren immer weniger Möglichkeiten, ihr Geld anzulegen, da kaum noch etwas eine akzeptable Rendite abwirft. Das Geld auf ein Sparkonto einzahlen ist keine Lösung, da das typischerweise Zinsen einbringt die unterhalb der Inflationsrate liegen, was bedeutet, dass ihr Geld allmählich immer weniger wird.
    Eine solche Situation bezeichnen Ökonomen als „Überakkumulationskrise“. In einer solchen Krise beginnt das Kapital, an Wert zu verlieren – und nach der Logik, die den Kapitalismus antreibt, darf das auf keinen Fall zugelassen werden. Damit der Kapitalismus fortbestehen kann, muss eine Überakkumulationskrise gelöst werden; irgendjemand muss auf den Plan treten, um das überschüssige Kapital einzusammeln und es in irgendein profitables Investment stecken. Es ist ein ehernes Gesetz.

    Es gibt mehrere Möglichkeiten die Überakkumulationskrise zu lösen.

    Das erste ist die zeitliche Lösung: Kapital kann in langfristige Projekte in Bereichen wie Infrastruktur, Bildung oder Forschung investiert werden, wodurch die zukünftige Produktivität von Kapital verbessert wird.

    Genauso so geschah es in den Vereinigten Staaten mit dem New Deal und nach dem zweiten Weltkrieg. All diese Maßnahmen zahlen sich ein paar Jahre später sehr schön aus. Eine solche zeitliche Lösung funktioniert gut, ist jedoch in der Klasse der Kapitalisten nicht sonderlich beliebt, das sie eine Umverteilung von Wohlstand erfordert und ihr Nutzen sich erst später einstellt.

    Es gibt aber auch schneller wirkende drakonischere Lösungen. So kann man zum Beispiel den Ölpreis nach unten treiben – ein permanentes außenpolitisches Ziel der Vereinigten Staaten – , wodurch die Produktionskosten sinken.

    Eine andere Möglichkeit ist, neue Märkte in Branchen zu schaffen, die normalerweise vor den Kräften des Marktes geschützt sind, so geschehen zum Beispiel durch die Privatisierungen der Eisenbahnen in Großbritannien oder die fortgesetzten Versuche, den britischen National Health Service zu zerschlagen.

    Eine weitere Option besteht darin, neue Märkte zu schaffen, über die man in Kredite investieren kann, etwa die Studentendarlehen-Branche in den Vereinigten Staaten, oder die Verbraucher zu verleiten über ihre Verhältnisse zu leben, indem man ihnen Kreditkarten ausstellt. Kapitalisten tendieren dazu, solche Maßnahmen vorzuziehen, weil sie schnellere Rendite einbringen – vor allem für Unternehmen, die juristisch unter Druck stehen, ihren Shareholder-Value zu maximieren. Manche dieser Lösungsstrategien – zum Beispiel Privatisierungen, Lohnkürzungen und Kriege um Öl – können jedoch schwierig umzusetzen sein, da sie heftigen politischen Widerstand provozieren können.

    Um solchen Widerständen im eigenen Land – die einen hohen politischen Preis fordern können – aus dem Wege zu gehen, kann eine Regierung sich entschließen, eine Überakkumulationskrise mithilfe einer räumlichen Lösung zu beheben – und zwar dadurch, dass sie neue Konsumenten, Arbeits- und Investitionsmärkte im Ausland erschließt. (1)

    Damit kommen wir zum Kern der Sache. Genau in dieser Überakkumulationskrise befindet und befand sich der (westliche) Kapitalismus. Die USA, die das System auf die obszönste und perverseste Stufe gehoben haben, müssen, so besagt es das eherne Gesetz des Kapitals, Profit erzielen. Und die soziale Kastration der übrigen Gesellschaft gehört zu dieser Logik. Es ist schlicht und ergreifend eine Frage des Überlebens der Megamaschine und wird sich auch nie ändern.

    Also waren diese neoliberalen Schlächter nur eine logische Folge dieser Entwicklungen, wären sie nicht gewesen, hätten (und haben auch) andere Vasallen der Kapitaleliten diese Verwüstungen durchgeführt.

    Quellen:

    (1) Jason Hickel: Die Tyrannei des Wachstums Wie globale Ungleichheit die Welt spaltet und was dagegen zu tun ist; dtv Verlagsgesellschaft (29. März 2018)

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