Viele Landwirte sind in den Flutgebieten zu spontanen Helfern geworden. Sie haben mit schwerem Gerät eingegriffen, obwohl viele von ihnen selbst geschädigt sind. Die Ernte ist auf rund 9000 Hektar Ackerland vernichtet. Im Ahrtal stehen Winzerfamilien vor dem Aus, weil ihre Weinkeller weg sind, ihre Rebhänge nicht mehr erreichbar. Ernährungssicherheit im Klimawandel wird ein großes Thema.
Aber könnte die Landwirtschaft uns und sich nicht auch vor Überflutungen schützen, wenn sie die Böden und vor allem die Hänge und Täler anders behandeln würde? Könnten wir sogar mit dem Einkaufswagen mitbestimmen, wie klimaresilient unsere Landschaft wird.
Vor uns die Sintflut
„Stellenweise sind nicht nur einzelne Rebstöcke, sondern komplette Weinberge den Fluten zum Opfer gefallen. Dort, wo noch vor ein paar Tagen die neue Ernte heranreifte, klafft jetzt ein Krater“, berichtet Klaus Schneider, der Präsident des Deutschen Weinbauverbands, dem Branchendienst top agrar. Wo die Reben noch stehen, sind die Hänge teilweise kaum erreichbar und nicht befahrbar, was bei dem schwül-heißen Wetter besonders fatal ist, weil die Ernte, die es noch geben könnte, jetzt dem Falschen Mehltau Peronospora anheimfallen könnte. Es müsste gespritzt werden – zum Beispiel die kupferhaltige „Bordeauxbrühe“, die übrigens auch Biobetriebe benutzen dürfen.
Aber warum reißt es einen Wingert vom Hang, der dort schon seit Jahrhunderten steht? Warum haben die Stützmauern den vorherigen Fluten standgehalten und dieser nicht? Waren es wirklich größere Wassermassen als je zuvor, die da vom Himmel fielen? Waren es nicht. Vor 200 Litern Wasser pro Quadratmeter hatten die Wetterdienste gewarnt, am Ende sind aber nur 148 Liter gefallen. Weshalb sind die dann mit dieser Macht zu Tal gerauscht?
Ein Blick auf die Hochglanzfotos der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH vom schönen Ahrtal hilft verstehen: Die Stützmauern der Weinberge konnten nicht standhalten, weil es die Terrassen in vielen Weinbergen gar nicht mehr gibt, und also auch keine Stützmauern mehr. Die Reben stehen fein säuberlich in Reih und Glied, aber nicht mehr wie früher quer zum Hang, sondern längs. Dann kann man mit dem Traktor problemlos zwischen den Reben nach oben und wieder herunterfahren. Und das Wasser kann wie in vorbereiteten Rinnen ins Tal fließen und wird von nichts mehr aufgehalten. Es bleibt ihm gar keine Zeit zum Versickern. Verstärkt wird der Effekt dort, wo der Boden zwischen den Rebzeilen nicht begrünt ist, sondern bloß liegt. Das ist bei den Ökowinzern übrigens nicht der Fall. Sie unterpflanzen ihre Rebreihen und halten auch die Bereiche zwischen den Reihen grün, oder besser noch blütenbunt.
Bodenverlust
Auch auf vielen Ackerflächen in hügeligen Regionen lässt sich Ähnliches beobachten: Selbst bei Hackfrüchten wie Kartoffeln werden die gehäufelten Reihen nicht mehr quer zu den Hangneigungen angebaut. Wenn es maschinengerechter erscheint, weil nicht so oft gewendet werden muss, dann eben auch längs zur Neigung. Dass Hackfrüchte besonders erosionsgefährdet sind, wenn die Abstände zwischen den Reihen maschinell „sauber“ gehalten werden, liegt auf der Hand, wird aber kaum beachtet.
Selbst in flachen Gebieten, wo das Wasser zunächst auf den Äckern stehen bleibt und eigentlich Zeit zum Versickern hätte, geschieht das nicht. Das Wasser steht, weil die Böden durch die schweren Maschinen verdichtet sind. Der nächste Regen trägt den Boden dann ab – in die Gräben, in die Bäche, in die Flüsse, ins Meer.
Es gibt für ganz Deutschland einen Atlas der Erosionsgefährdung. Den Überblick gibt das Material der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Das Bundesland Rheinland-Pfalz führt ein eigenes Erosionskataster für landwirtschaftliche Nutzflächen. Eine Landesverordnung schreibt auf gefährdeten Flächen Erosionsschutz durch Bodenbedeckung, also Pflanzenbewuchs, für die Wintermonate vor. Bei den hoch gefährdeten Flächen muss sofort nach dem Pflügen gesät werden und für Reihenkulturen gilt ganzjährig ein Pflugverbot. Das Problem ist offenbar erkannt. Die Vorschriften der Landesverordnung gelten aber nur für Ackerflächen. Vom Weinbau ist da nicht die Rede.
Das Bundesland Niedersachsen beobachtet die Erosion auf seinen Ackerflächen am längsten, und kommt zu dem erschreckenden Ergebnis, dass auf den beobachteten Flächen zwischen 1,4 und 3,2 Tonnen Boden pro Hektar und Jahr verloren gegangen waren. Auf besonders gefährdeten Flächen sind es bis zu fünf Tonnen pro Hektar und Jahr. Bei einzelnen Starkregenereignissen können bis zu fünfzig Tonnen Boden je Hektar weggeschwemmt werden. Das Umweltbundesamt bewertet diese Messergebnisse so: „50 Tonnen Boden entspräche einem Bodenverlust von circa fünf Millimeter pro Jahr und im Laufe eines Menschenlebens dem kompletten Verlust der fruchtbaren Ackerkrume.“
Das Problem ist erkannt. Auch wie Abhilfe geschaffen werden könnte, ist hinlänglich bekannt: Am besten aufnehmen können selbst große Mengen an Regenwasser tiefgründige, humose Böden, die gut durchwurzelt und nicht verdichtet sind. Solche Böden können das Wasser speichern und es nach dem Regen über lange Zeit langsam wieder an die Pflanzen abgeben. Auch sandige Böden lassen das Wasser rasch durch, halten es dann aber nicht fest und können es so nicht lange für die Vegetation vorhalten. Viele Studien und Modellversuche beschreiben, wie zu wirtschaften wäre, um die Erosion zu stoppen und den Boden zum Wasserreservoir zu machen. Das geht auch mit Hackfrüchten und der Energiepflanze Mais. Die Reihen zwischen den Kartoffelpflanzen müssen nicht aus blanker Erde bestehen, die Rinnen zwischen den angehäufelten Reihen können auch begrünt und damit durchwurzelt werden. Selbst Mais lässt sich mit Gräsern untersähen und so vor Erosion schützen. Nur gemacht wird das zu wenig. Die Konsequenz: Jedes größere Starkregenereignis schiebt die Ackerböden über die Straßen und durch die Dörfer.
Regionale Abhilfe
Und wie unterstützen wir nun eine Landwirtschaft, die ihre Böden auf den Äckern hält und nicht durchs Dorf fließen lässt? Finde ich im Supermarkt Produkte aus bodenschonender Landwirtschaft? Nicht mal im Bioladen ist gekennzeichnet, wie auf den Äckern gewirtschaftet wird.
Gut, ich kann Ökowein kaufen. Dann darf ich zumindest hoffen, dass die Reben unterpflanzt sind, die Reihen begrünt. Aber wird dann in den Weinbergen quer zum Hang gewirtschaftet? Werden die alten Stützmauern erhalten und neue nachgebaut? Es hilft wohl doch nur der Ausflug ins Weinbaugebiet und die eigene Anschauung. Danach kann man ja dann den Kontakt zum Winzer des Vertrauens pflegen.
Doch ähnliche Erkenntnis bei Kartoffeln und anderen Ackerfrüchten zu erlangen, oder gar bei Getreideprodukten, wird schwierig. Es sei denn, wir machen Ernst mit den regionalen Produkten und schauen uns sogar an, wie die Äcker aussehen, auf denen der Weizen und der Roggen für unser Brot angebaut werden. Es gibt schon Bäcker, die damit werben, dass sie ihr Mehl selber mahlen und das Getreide nicht über den anonymen Großhandel von irgendwo beziehen. Wir könnten also tatsächlich mit dem Einkaufswagen die nächste Sturzflut, na sagen wir – eindämmen.
Ach so, ja, fehlt noch der Flächenfraß. In Deutschland gehen noch immer jeden Tag weit über fünfzig Hektar Boden verloren – durch Versiegelung für Siedlungsfläche, Industrie- und Gewerbe und durch Verkehrswegebau. Nordrhein-Westfalen, das durch die Fluten ebenfalls stark getroffene Bundesland, ist führend, mit täglich zehn Hektar Bodenverlust. Das ist die Fläche von mehr als vierzehn Fußballfeldern. Rheinland-Pfalz ist ebenfalls stark zersiedelt, hat den Flächenfraß aber auf 1,4 Hektar reduziert. Das sind immer noch knapp zwei Fußballfelder Bodenfläche, die täglich versiegelt wird, in der kein Wasser mehr versickern kann. Wenn der nächste Supermarkt auf den Acker gesetzt wird, sollten wir vielleicht mal Laut geben und unseren Kommunalpolitikerinnen und -politikern sagen, dass wir den da nicht haben wollen.