Jede landwirtschaftlich genutzte Fläche in der Europäischen Union ist subventioniert. Jede? Nein, nicht ganz. Es gibt Bäuerinnen und Bauern, die bewusst auf das Geld aus Brüssel verzichten, damit sie als „freie Bauern“ auf ihren Äckern und Wiesen machen können, was sie für sinnvoll halten. Auch wenn das durch das Subventionsraster fällt. Manche lassen sich nur ein paar Flächen aus der Subvention herausrechnen, einige wenige aber auch den ganzen Hof. Was sie in Kauf nehmen, ist eine harsche Wettbewerbsverzerrung. Kompensierbar nur, wenn die Kundinnen und Kunden für die Produkte ab Hof deutlich mehr bezahlen.
Schon vor Jahren hat mir Sepp Braun in Freising erklärt, dass er Baumhecken zwischen seine Äcker gepflanzt hat, weil das besser für die Felder ist, Schutz vor Klimakapriolen bietet und die Biodiversität fördert. Wird aber von Brüssel bestraft: die Baumstreifen werden herausgerechnet aus der Subvention. „Macht nix“, hat der als Deutschlands Regenwurmbauer bekannte Sepp gesagt: „Ich kann nicht immer warten, bis die Politik was begriffen hat!“ Und jetzt habe ich im Wendland einen Hof besucht, der schon seit Jahren ganz auf die Subventionen verzichtet.
Hochwertige Nische
Der Hutewaldhof liegt im Weiler Riskau bei Dannenberg an einem eher sandigen Hügelrücken unweit der Täler von Elbe und Jeetzel. Der Hof ist sehr klein, gerade mal zehn Hektar Land werden bewirtschaftet von der Betriebsleiterin Kathrin Ollendorf, ihrem Partner Holger Linde und zwei Mitarbeitern. Fast jeder Landwirt würde wohl sagen, dass ein Betrieb mit dieser winzigen bewirtschafteten Fläche nicht mal im Nebenerwerb überlebensfähig wäre. Es sei denn vielleicht in einer landwirtschaftlichen Nische mit ganz besonderen Produkten. Und so ist das auch: das Produkt ist hochwertiges Schweinefleisch, dass es bis in die Gourmetküche geschafft hat. Wie der Name schon sagt, werden auf dem Hutewaldhof Tiere gehalten, die auch in den betriebseigenen Wald dürfen: Angler-Sattelschweine, eine Rasse von der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Nutztiere. Ich habe den Hof, der zum Verbund der Arche-Höfe gehört, hier schon einmal vorgestellt, als es um die Afrikanische Schweinepest ging, denn auf dem Hutewaldhof leben die Tiere ganzjährig in Freilandhaltung.
Dafür werden die Ackerflächen in Parzellen geteilt und diese mit unterschiedlichen Futterpflanzen eingesät, die dann später von den Schweinen selbst geerntet werden. Dabei graben die Schweine die Felder um und düngen sie gleich, sodass danach im Prinzip nur noch geeggt und neu eingesät werden muss. Genau mit dieser Art der dynamischen Freilandhaltung begann für Kathrin Ollendorf und Holger Linde die Auseinandersetzung mit den Kontrolleuren, die über die korrekte Verwendung der EU-Subventionen wachen.
Durchs Subventionsraster gefallen
In den 2010er Jahren, als die Ollendorf und Linde noch EU-Subventionen beantragt haben, wurde die Sattelitenüberwachung der Landwirtschaftsflächen auf eine Genauigkeit von einem Quadratmeter umgestellt. Das führte einerseits dazu, dass damals viele europäische Landwirte noch schnell ein paar Wegränder weggepflügt, ein paar Hecken geschleift und ein paar Waldränder verlegt haben, um ihre Flächen größer zu machen und mehr zu kassieren. Andererseits behinderte das Landwirte, deren Wirtschaftsweise nicht ins Schema passte. Wer seine Äcker mit Hecken klimaresilienter machte, sich mit bepflanzten Wegrändern um die Artenvielfalt kümmerte, konnte dafür dann nur noch Sondermittel beantragen und musste sich dafür an neue Richtlinien halten.
„Für uns war die Folge, dass wir niemals mehr die vollen Subventionen bekamen“, sagt Kathrin Ollendorf. Jedes Jahr gab es mindestens ein Viertel, manchmal auch ein Drittel weniger, als dem Betrieb für seine Fläche zugestanden hätte. „Und jedes Jahr hatten wir die Kontrolleure auf dem Hof.“ Das lag einerseits an ihrer Wirtschaftsweise. Die Betriebsleiterin hätte zu einem Stichtag im Frühjahr genau wissen müssen, welche Feldfrüchte genau zu einem Stichtag im Juli auf welcher Fläche stehen werden. „Das geht aber bei uns nicht“, sagt sie, „denn das hängt von der Witterung und der Größe der Würfe unserer Sauen ab. Haben wir viele Schweine, sind die Parzellen schneller leergefressen. Dann wird neu eingesät, auch wenn es noch nicht Juli ist.“ Damit stimmt die Feldfrucht nicht mehr mit dem Subventionsantrag überein.
Auch mit der quadratmetergenauen Abrechnung gab es immer wieder Probleme, sagt Kathrin Ollendorf: „Haben die Schweine am Zaun ein Loch gegraben, setze ich einen Pfahl vom Elektrozaun halt einen Meter weiter. Die Schweine können weiter wühlen und sie bleiben dennoch im Gehege.“ Aber die Fläche hat sich verändert. Das sieht der Satellit und das gibt Abzüge.
Auch Naturschutz wird mit Subventionsabzug bestraft. In einem Frühjahr bemerkten die Hutewaldhofer auf einer Fläche, die eigentlich von den Schweinen abgeerntet werden sollte, zwei Nester von Feldlerchen. Das ist eine der Offenlandvogelarten, die durch die übliche intensive Bewirtschaftung von Wiesen im Bestand stark zurückgegangen ist und die inzwischen auf der Roten Liste steht. „Also“, sagt Agrarökologin Kathrin Ollendorf, „habe ich einen zwanzig Meter breiten Streifen für die Lerchen ausgezäunt und die Schweine da nicht draufgelassen.“ Dann kamen die Kontrolleure und verlangten, dass sie den Streifen noch mähen solle, weil der sonst nicht bewirtschaftet war in diesem Jahr und also nicht bezuschusst werden könne. „Es war inzwischen November“, erzählt Kathrin Ollendorf, „und ich wusste, in dem hohen Bewuchs dort leben hunderte Spinnen und es überwintern da tausende Käferlarven und Schmetterlingsraupen. Und warum sollte ich das mähen. Wir brauchten das Futter nicht.“ Sie hat den Kontrolleuren angeboten, über den Streifen zu gehen und ihnen das zu zeigen. Das interessierte aber nicht; die Subvention wurde gestrichen.
Die nächste unliebsame Erfahrung verursachte ein Behördencomputer. Durch einen Fehler war plötzlich eine der Flächen als Dauergrünland deklariert. Das bedeutete, die Beiden hätten dort nie mehr ackern und etwas anderes als Gras sähen dürfen. Es dauerte fast ein Jahr und füllte einen Ordner mit Briefverkehr, bis das Amt eingesehen hatte, dass der Fehler nicht beim Hutewaldhof lag.
Freie Bauern
Nach einigen Jahren Hickhack hatten die beiden Hutewaldhofer dann genug davon. Sie beschlossen, aus dem System der EU-Subventionen auszusteigen. Es waren gerade gute Jahre, ihr Schweinebestand wuchs, die Nachfrage auch. Sie hatten inzwischen ein Sternerestaurant als Kunden, das seine Schweineschinken bei ihnen und nicht mehr in Spanien kaufte. „Ich habe dann die sowieso immer gekürzten Subventionen in Schweine umgerechnet und es stellte sich raus: das sind drei oder vier Schweine mehr, die wir großziehen müssen“, sagt Kathrin Ollendorf. „Wir können so rechnen, weil wir ein so kleiner Betrieb sind. Und weil wir so gute Kunden haben, dass wir auf die Subventionszahlung nicht angewiesen sind.“
Sie starteten noch einen letzten Versuch, indem sie versuchten, einen sogenannten Kulturcode zu ergattern. Das ist ein Code, der dem Landwirtschaftsamt signalisiert, dass da auf einer Fläche eine besondere Form von Landwirtschaft betrieben wird, die generell förderungswürdig ist. Die Freilandhaltung von bedrohten Nutztierrassen scheint nicht darunter zu fallen, denn der Hutewaldhof bekam den Kulturcode nicht. Und damit war Schluss.
Der Hutewaldhof erhöhte die Preise und verlor dabei das Gourmetrestaurant als Kunden. Die anderen Kundinnen und Kunden aber blieben. „Wir haben das erklärt und alle haben das eingesehen“, sagt Kathrin Ollendorf. Als dann die trockenen Jahre kamen und ihre Sauen sich dem Klima anpassten und viel weniger Ferkel warfen, mussten sie die Preise noch einmal erhöhen; und auch das machten ihre Abnehmer mit. Nur um das mal am berühmten Schweinnackensteak vorzuführen, mit dem sich die Discounter trotz aller Billigfleischdebatten immer weiter unterbieten: Bei Lidl kostet das Kilo in dieser Woche elf Prozent weniger als zuvor: 5,79 Euro. Beim Hutewaldhof steht das Kilo mit 28 Euro in der Preisliste. Wobei die beiden Angebote nur gleich heißen, ansonsten aber nicht vergleichbar sind. „Wir konnten uns den Subventionsausstieg und die Preiserhöhung leisten, weil wir klein sind und weil wir in unserem Qualitätssegment sehr wenig Konkurrenz haben“, sagt Kathrin Ollendorf. Heute sind sie froh, dass sie sich das geleistet haben. „Es war auch ein Gefühl der Befreiung! Nicht, dass wir es gefeiert hätten, aber plötzlich fühlten wir uns wieder als Freie Bauern. Wir konnten wieder tun, was gut und richtig war, ohne schlechtes Gewissen wegen irgendwelcher Abweichungen vom Subventionsantrag.“
Humusaufbau subventionieren!
Durch den Ausstieg aus den EU-Subventionen hat der Hutewaldhof, neben den höheren Preisen, die verlangt werden müssen, noch einen gravierenden Nachteil: Er kann nicht wachsen. Es gäbe noch Flächen vom elterlichen Hof Holger Lindes, die zu übernehmen wären. Zum Beispiel um dort Lupinen und anderes Futter anzubauen, mit dem die Schweine versorgt werden, wenn es auf den Flächen, die sie selbst abernten, zu knapp wird. Wenn diese Flächen aber in den Hof integriert werden, selbst wenn sie nur gepachtet werden, fallen sie aus der Subvention. Es ist deshalb günstiger, andere Landwirte die Äcker bewirtschaften zu lassen und ihnen das Futter abzukaufen. Das widerspricht eigentlich der Philosophie des Hofes, der möglichst alles Nötige selbst erwirtschaften will.
Auch deshalb haben sich die beiden Gedanken darüber gemacht, wie die EU-Subventionen sinnvoll umzubauen wären. Was sie gerne gefördert wüssten, das wären erstens die Arbeitskräfte gerade bei den Betrieben, die nicht alles maschinenbasiert machen können. Ökologisch wirtschaftende oder in kleinräumigen Kulturlandschaften arbeitende Betriebe brauchen oft mehr Arbeitskräfte. Wenn das subventioniert würde, wäre den Betrieben und der Gesellschaft und der Umwelt geholfen. Auch die Anschubförderung von neuen Betriebszweigen könnten EU-Subventionen leisten, den Ausbau vom Hofladen, den Aufbau einer Käserei, oder das Ausprobieren neuer Feldfrüchte. Naturschutzmaßnahmen mit bleibendem Charakter wären Punkt drei des Vorschlagskatalogs, also nicht Blühstreifen, sondern Hecken und dauerhaft bepflanzte Wegränder. „Und das nicht nur da, wo der Landschaftsplaner eine sogenannte Gebietskulisse als besonders wertvoll erachtet“, sagt Kathrin Ollendorf. „Nein,“ sagt sie, „wir brauchen heute alles, um unsere Mitgeschöpfe zu retten und deshalb soll jeder, der das machen will, unterstützt werden.“ Und dann hat sie da noch eine radikale Idee in Sachen Klimawandel: „Lasst uns die herkömmlichen Subventionen streichen und das Geld in den Humusaufbau stecken. Jeder, der mehr Humus aufbaut in seinen Böden, sollte eine ordentliche Zahlung dafür bekommen. Das würde die Wirtschaftsweise sehr in Richtung Nachhaltigkeit verschieben.“
Und, um das nochmal zu sagen: Die Landwirtschaft könnte so vom Klimasünder zum Klimaretter werden. Das war genau das, was die Franzosen bei der Klimakonferenz 2015 als Vier-Promille-Initiative vorstellten: Würden wir auf allen landwirtschaftlich genutzten Flächen der Erde ein paar Jahre lang jedes Jahr vier Promille mehr Humus aufbauen, wäre der jeweilige Jahresausstoß an menschgemachten Klimagasen im Kohlenstoff des Humus’ im Boden versenkt. Deutschland hat die Initiative mit gezeichnet. Aber was taugen schon Beschlüsse von Klimagipfeln? Statt Humus aufzubauen, ist auch auf unseren Äckern weiter durch Erosion Humus verloren gegangen.