Jenseits von Landwirtschaft

Die Landwirtschaft hat Natur überall da verdrängt, wo das Land für sie nutzbar ist. Wir sind dabei, die letzten Naturräume, etwa den Regenwald, zu zerstören. Die Umnutzung der Landschaft ist für die Hälfte der Treibhausgase der Landwirtschaft verantwortlich. | Foto: Pascvii / Pixabay

Einer der größten Treiber des Klimawandels ist ausgerechnet die Branche, die am meisten unter ihm leidet: die Landwirtschaft. Und das nicht nur, weil sie direkt für fast ein Viertel (24 Prozent [1]) der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, sondern vor allem auch, weil eine den örtlichen Gegebenheiten unzureichend angepasste Landwirtschaft für Erosion sorgt und damit zur langfristigen Vernichtung der fruchtbaren Böden. Fast ein Drittel der globalen Landfläche (29 Prozent) sind Hotspots der Erosion. In ihnen leben 3,2 Milliarden Menschen[2], die entweder schon unterernährt sind oder es demnächst sein werden. Da der Klimawandel nicht mit sich verhandeln lässt, werden wir diese Art der Landwirtschaft beenden müssen. Was aber kommt dann?

Nichts mehr! Wir beenden die gesamte Landwirtschaft. So wie sie mit einer schleichenden landwirtschaftlichen Revolution begonnen hat, als die Menschen im Neolithikum vor zwölftausend Jahren zu sesshaften Bauern wurden, so brauchen wir jetzt eine langsame, aber stetige Postlandwirtschaftliche Revolution, sagt Oliver Stengel in seinem gerade erschienenen Buch „Vom Ende der Landwirtschaft“. Der Bochumer Professor für Nachhaltige Entwicklung beschreibt darin, „wie wir die Menschheit ernähren und die Wildnis zurückkehren lassen“.

Der Flaschenhals

Jede wachsende Population nutzt mehr und mehr der vorhandenen Ressourcen, und wenn es sich um eine – zum Beispiel menschliche – Zivilisation handelt, die mehr Ressourcen nutzt, als sie zur reinen Reproduktion benötigt, dann wird dieser Prozess zwangsläufig gefährlich für das Überleben eben dieser Zivilisation. Ihre Entwicklung gerät in einen Flaschenhals. Das ist das Bild, das Oliver Stengel benutzt: Es wird eng. Und er postuliert, dass es sich hierbei um ein kosmisches Gesetz handelt, das für jeden belebten Planeten im Universum gilt. Denn jeder dieser Exoplaneten ist endlich.

„Jede Zivilisation im Universum verändert durch den Verbrauch der Ressourcen ihres Planeten die Umwelt und Lebensbedingun­gen ihres Planeten, und Naturgesetze verlangen, dass jede aufstrebende Zivilisation ein „Feedback“ ihres Planeten erhält. Zivilisationen und Planeten können sich im Normalfall nicht getrennt voneinander entwickeln; sie verändern sich gegenseitig, und das Schicksal einer Zivilisation hängt davon ab, wie sie die Ressourcen ihres Planeten nutzt, welches Feedback sie bekommt und wie sie darauf reagiert.“

Wir wissen aus der Geschichte der Menschheit, dass lokale Zivilisationen öfter falsch reagiert haben auf das Feedback ihres Lebensraums. Die polynesischen Bewohner der abgelegenen Osterinsel holzten den flächendeckenden Palmwald ab, die mit ihnen eingewanderten Ratten fraßen die Früchte der Palmen – und aus war’s. Die Maya reagierten auf die wachsende Trockenheit nicht mit einer Umstellung ihrer Landnutzung und ihres Wassermanagements, sondern mit Blutopfern für den Regengott – und aus war’s. Wir heutigen Menschen nennen das Feedback unseres Planeten derzeit Klimawandel. Und wie reagieren wir darauf? Eben!

Die Landwirtschaft ins Labor und Gewächshochhaus verlegen und das Land der Natur zurückgeben – das wäre die Postlandwirtschaftliche Revolution, sagt Prof. Oliver Stengel. | Foto: Heike Engelberg

Oliver Stengel sagt uns, wie wir darauf reagieren könnten und seiner Meinung nach müssten. Da wir die Landwirtschaft als eine landverschlingende Maschinerie erkannt haben, die uns den Boden unter den Füßen nimmt, sollten wir sie weitgehend einstellen und der Natur das Land zurückgeben.

„Es geht um die Sicherung der Zukunft der Menschheit“, sagt Oliver Stengel auf die Frage, warum er dieses Buch vorgelegt hat: „Wenn die Ökosysteme weltweit kollabieren und uns damit deren Ökosystemleistungen verloren gehen, haben wir keine lebenswerte Zukunft.“ 104 Millionen Quadratkilometer bewohnbare Landfläche steht uns weltweit zur Verfügung. Davon nutzen wir Menschen vierzig Millionen Quadratkilometer (38 Prozent) allein für die Viehhaltung, als Weidefläche oder zum Anbau von Viehfutter. „Die Menschheit ist eine geophysikalische Gewalt geworden, und das liegt wesentlich an der Viehhaltung, die immense Flächen benötigt und ein wichtiger Treiber für Umweltveränderungen auf lokaler, regionaler und globaler Ebene ist“, schreibt Oliver Stengel. Und im Gespräch sagt er dazu: „Wenn man das erkannt hat, ist doch klar, dass man sich mit der Landwirtschaft beschäftigen muss. Also habe ich das getan.“ Wenn die Menschheit nämlich durch den Flaschenhals wolle, dann müsse sie ihren Viehbestand drastisch reduzieren.

Das Landwirtschaftslabor

Wie aber macht man das, wenn man nicht warten kann, bis eine relevante Mehrheit der Menschen eingesehen hat, dass sie von der Fleischeslust lassen muss? Ganz einfach: Man stellt Fleisch im Labor her. Der Autor führt vor, dass wir das längst können. Auch wenn das sogenannte In-Vitro-Fleisch noch ungemein teuer ist und für seine Produktion Aminosäuren eingesetzt werden, die zum Beispiel aus Weizen gewonnen werden, also immer noch „Futter“ angebaut werden muss, wie gerade erst Wilhelm Windisch, Ordinarius für Tierernährung in Weihenstephan kritisierte. Außerdem wären Bioreaktoren zur In-Vitro-Fleisch-Produktion sehr kosten- und stromintensiv und bei den bisherigen Verfahren würde auch noch Serum von toten Nutztieren eingesetzt, wie vor kurzem der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling feststellte, der selbst Biobauer ist. Zusätzlich kämen Antibiotika zum Einsatz, da das Fleisch in der Petrischale kein Immunsystem habe.

Man darf auch fragen, warum ausgerechnet da die Landwirtschaft aufgegeben werden sollte, wo sie extensiv betrieben werden könnte: auf der Weide. Ob dort Nutztiere weiden, die uns Menschen versorgen, oder Wildrinder und Hirsche, wie in früheren Zeiten, macht für den Treibhausgasausstoß keinen Unterschied. Vorausgesetzt, man käme zu einer flächendeckend extensiven Weidewirtschaft, bei der die Tiere wieder selber ernten, sprich grasen dürfen, und nicht die Kreiselmäher fahren, während die Tiere im Stall stehen und zusätzlich mit Kraftfutter auf Leistung getrimmt werden. Das würde bedeuten, dass viel weniger Tiere auf und von der gleichen Fläche leben und ein Großteil der ehemals von der kleinräumigen Landwirtschaft sogar geförderten Biodiversität zurückkäme.

Die Herstellung von Laborfleisch ist für Nachhaltigkeitsprofessor Stengel aber ohnehin nur eine Übergangstechnologie, die nur eingesetzt werden müsse, weil die Menschen nicht so schnell von der Gewohnheit des Fleischessens lassen werden. Die Fleischzucht im Labor könnten wir eigentlich getrost auch hinter uns lassen, wir seien nämlich schon weiter: Wir können tierische Proteine auch ohne die Tiere herstellen, dafür mit Mikroorganismen. Die allerdings sind dann genetisch verändert. Die Milch, die sie herstellen, ist es aber nicht. Das Verfahren ist seit den 1980er Jahren bekannt, seitdem auf diese Weise Insulin produziert wird, für das zuvor Schweine getötet wurden. „Um weltweit alle 400 Millionen Diabetiker mit Insulin zu versorgen, müssten nach der alten Methode über 18 Millionen Schweine getötet werden – und jedes Jahr mehr.“

Inzwischen geht manches aber auch ganz ohne Mikroorganismen und auch ohne tierische Zellen. „Die Proteinherstellung ohne Zelle erfolgt in einem „Lysat“ genannten Minimalsystem (faktisch in einem Röhrchen), aus dem all jene Bestandteile der Zelle entfernt wurden, die für die Eiweißherstellung nicht benötigt werden – und das sind die meisten.“ Im Buch wird das am Beispiel der Milch erklärt – ohne Kuh, ohne Euter, ohne tierische Zelle. Was dazu gebraucht wird, ist Zucker und Wärme, also Energie in zweierlei Form. Ganz ohne landwirtschaftliche Nutzfläche geht also auch das nicht, denn irgendwo muss der Zucker angebaut werden, ob als Rohr oder Rübe.

Salat vertikal: Mit Roboterhilfe bei 99 Prozent Wasserersparnis gegenüber normalem Gartenbau. | Foto: Tom Sompong / istock

Was die Produktion der pflanzlichen Nahrung angeht, so setzt Oliver Stengel zumindest bei den Pflanzen, bei denen wir das heute schon können, auf die bodenlose Produktion in Nährlösung, die dank neuer LED-Technik nicht mehr so energieaufwendig ist. Da man die Pflanzen vertikal übereinander anbaue, könne man deren Produktion auch in die Städte verlegen, wo die meisten Verbraucherinnen leben.

Die Postlandwirtschaft

Das In-Vitro-Fleisch sei am Ende von dem natürlich gewachsenen nicht zu unterscheiden und stoße doch auf Ablehnung. In den USA laufen sogar Kampagnen gegen sogenanntes Fake-Fleisch. Oliver Stengel hält dagegen: Bis die Menschen ihre Essgewohnheiten umgestellt hätten, könne es zwei Generationen dauern. „So viel Zeit haben wir nicht mehr, um der Natur auf der Erde Raum zurückzugeben. In der Zwischenzeit kann künstlich hergestelltes Fleisch dazu beitragen, dass wieder mehr Natur möglich wird. Jeden Quadratkilometer, den wir nicht mehr landwirtschaftlich nutzen müssen, können wir schlicht der Natur zurückgeben.“

Die Postlandwirtschaftliche Revolution ist bereits im Gange, sagt Oliver Stengel: „Die Art und Weise, wie in den letzten 12.000 Jahren Lebensmittel hergestellt wurden, wird gerade ersetzt, disruptiert. Das kann tatsächlich den Planeten verändern, genauso wie die Landwirtschaftliche Revolution den Planeten verändert hat.“ Und fügt hinzu: „Es wäre eine Veränderung zum Besseren.“

Für diejenigen, die jetzt sagen, unnatürlich erzeugte Lebensmittel entfernten uns Menschen von der Natur, hat der Nachhaltigkeitsprofessor ebenso eine Antwort parat, wie für diejenigen, die gentechnische Eingriffe in Mikroorganismen ablehnen, oder diejenigen, die ihm womöglich naive Technikgläubigkeit unterstellen. Es gibt ein ganzes Kapitel im Buch, das „Antworten auf Kritiken“ gibt, Beleg dafür, dass sich der Autor schon länger mit dem Thema auseinandersetzt.

Was unbeantwortet bleibt, ist die Frage nach der inneren Qualität der Lebensmittel aus der Retorte. Es ist allerdings dieselbe Frage, die sich beim Verzehr der „konventionell“ produzierten Lebensmittel der Agrarindustrie stellt: Wenn etwas dran ist an dem Merksatz, dass der Mensch ist, was er isst, oder auch isst, was er ist, dann werden wir uns mit diesen Nährstoffen nicht dauerhaft am Leben erhalten können. Dann ist nämlich unsere Nahrung mehr als die Summe ihrer Nähr- und Ballaststoffe, unser Essen mehr als der Nachschub an Stofflichem und Energie. Essen ist eine substanzielle Verbindung mit der Welt. Wir nehmen einen Teil von ihr in uns auf. Und die Frage ist, was von ihr wollen wir aufnehmen?

 

Das Land der Natur zurückgeben: Plädoyer für die Abschaffung der Landwirtschaft, wie wir sie kennen.

 


[1] Daten des Weltklimarates IPCC von 2014. Die Hälfte der Emissionen entsteht laut Weltagrarrat IAASTD durch Umnutzung von Land, etwa Wald (Regenwald) zu Ackerland, oder Trockenlegung von Mooren.

[2] Daten: Weltrat für Biologische Vielfalt IPBES und Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP

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