Für immer im Krieg

KI-generiertes Bild, Soldat mit Maske in Angst.
Quelle: Dieses Bild wurde mittels KI entwickelt.

Aus Kuwait kamen einst Bundeswehr-Soldaten zurück, für die der Krieg auch nach ihrer Rückkehr noch weiterging. Soll der unvergängliche Krieg zum Modell für eine ganze Generation werden?

Der Krieg geht weiter – so lautete ein Artikel aus NEON, den Tobias Zick und Birthe Dannenberg vor vielen Jahren verfasst hatten. Er befasst sich mit Christian Bernhardt, einem ehemaligen Soldaten der Bundeswehr, der 2003 Einsatzzeiten in Kuwait hatte. Er beschreibt den Alltag eines Soldaten im Kriegseinsatz – ohne in unmittelbare Gefechte verwickelt gewesen zu sein. Immer wieder musste er seine Gasmaske aufsetzen, um sich gegen etwaige Giftgasraketeneinschläge zu wappnen. Bernhardt war voller Angst und nahm diese Angst mit zurück nach Hause.

NEON war ein Ableger des Stern, eine monatliche Zeitschrift für junge Erwachsene – von 2003 bis 2018 erschien es. Der oben kurz angerissene Artikel erschien im Jahr 2018 – in der August-Ausgabe. Auf sechs Seiten wird das Schicksal von Kriegsrückkehrern beschrieben. Für sie geht der Krieg – und so lautet ja auch der Titel des Artikels – immer weiter. Bernhardt erlaubt tiefe Einblicke in seinen Alltag: Zu einem normalen Alltagsleben war er damals, fünf Jahre nach seinen Erfahrungen, immer noch nicht so ohne weiteres fähig. Beziehungen zu anderen Menschen fallen ihm schwer. Nach Angstattacken schmerzen ihm »die Muskeln am ganzen Körper«, wie er selbst es beschreibt.

Wider den Geist der Bundesregierung

Seine Dienstzeit war nach dem Einsatz beendet. Damit war auch für die Bundeswehr das Schicksal des Christian Bernhardt irrelevant geworden. Er beantragte, dass die Bundeswehr die Folgen des Auslandseinsatzes als Wehrdienstbeschädigung anerkennt – aber Fehlanzeige. Die Antragsphase, so erklärt der ehemalige Soldat, sei schlimmer gewesen, als die Zeit in Kuwait. Denn immer wieder sollte er Beweise erbringen, die darlegen, dass seine psychischen Beeinträchtigungen aus dem Einsatz stammten und nicht schon vorher angelegt waren. Ein Psychiater, bei dem der Antragsteller nie persönlich war, attestierte nach Aktenlage, dass es sich bei dem Erscheinungsbild der Angstattacken »vielmehr um eine Anpassungsstörung, die durch eine zuvor gegebene schwere neurotische Disposition induziert ist« handle.

Vorher gab es bei Christian Bernhardt aber keine Auffälligkeiten. Immer wieder fühlt er sich in das damalige Szenario zurückgeworfen. Bilder aus irakischen Folterkellern lassen ihn überdies kalt: So sei halt mal der Krieg, denkt er für sich. Mit Mitgefühl tut er sich schwer. Der Artikel beschreibt, wie die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Herrin über seinen Alltag und seine Gefühle wurde. Amokläufe von Betroffenen, so sagte er damals in dem Bericht, würden ihn nicht weiter wundern.

Aufhänger für NEON war damals, dass neue deutsche Kontingente nach Afghanistan geschickt werden sollten. Die Zeitschrift schien es für eine gute Idee gehalten zu haben, über die Erfahrungen von Soldaten zu berichten, die schon einen Auslandseinsatz hinter sich hatten. Antizyklisch quasi: Wenn die Bundesregierung diesen Schritt erwägt, so dachte man sich in der Redaktion dieses Mainstreammediums womöglich, müsse man diese Absichten kritisch begleiten und auch mal aufzeigen, was so eine Entscheidung für die Betroffenen bedeutet. Damals war längst nicht alles in Ordnung in der deutschen Medienlandschaft, Kampagnen gab es in jenen Tagen auch reichlich – man denke nur an die Agenda-Politik und wie der Medienbetrieb sie begrüßte und stützte – und natürlich unterwarfen sich gewissen Medien auch dem Geist der jeweils amtierenden Bundesregierung. Aber in diesem Falle, in dem mit dem Leben junger Männer gespielt wurde, gebot das Berufsethos durchaus, über die Folgen und Konsequenzen aufzuklären.

PTBS und andere Versehrtheiten

Man darf diesen Bericht von 2008 mit dem vergleichen, was 15 Jahre später den knappen Debattenraum, diese beengte Debattenbesenkammer, bestimmt: Das Leben junger Männer (und Frauen) bemüßigt den journalistischen Berufsstand nicht sonderlich, über die bitteren Anschlussfolgen eines Waffenganges zu berichten oder wenigstens zu recherchieren. Man könnte getrost von Verrohung der Branche sprechen, von fehlender Empathie und zunehmender Ignoranz. Heute auf die Folgen hinzuweisen, ohne allzu pathetisch auf die Notwendigkeit der Kriegsführung zu pochen, wird eher als liebesdienerische Arbeit für den Kreml eingeordnet, denn als journalistische Sorgfalt. Soldaten zu Wort kommen zu lassen, die an den Folgen eines Kriegseinsatzes leiden: Ein Stück weit gilt das heute schon als Defätismus und Schwarzmalerei – und als aufmüpfiger Akt, den man bestenfalls ahnden sollte.

Dabei zeigt der Bericht von damals noch nicht mal die volle Härte eines Krieges wieder, der noch viel brutaler wüten kann. Sicher, was Christian Bernhardt widerfuhr, ist kein Klacks. Aber malen wir uns nur mal kurz einen Waffengang gegen Russland aus – einer Armee, die aus regulären Einheiten besteht und deren Waffenarsenal durchaus beeindrucken kann, wenn es auch weitaus »übersichtlicher« ist, als das Arsenal der NATO-Verbündeten. Das unterscheidet sich schon drastisch von den Erlebnissen, die Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan, im Irak oder in Kuwait hatten. PTBS ist als Diagnose schon niederschmetternd, denn der Krieg endet nie – er bleibt treuer Begleiter, Zick und Dannenberg arbeiteten das in ihrem Stück sehr bildlich heraus. Übrigens ohne auch nur an einer Stelle über die Alternativlosigkeit solcher Einsätze zu sprechen zu kommen. Ihr Bericht bleibt neutral, lässt dem Leid des Soldaten Raum und beleuchtet die Rolle von Gesellschaft und Bundeswehr. Pathos ist jedoch keiner zu finden.

PTBS ist also, wie bereits angerissen, eine niederschmetternde Diagnose. Aber vielleicht im Angesicht eines regulären Krieges, der heute mehr denn je gewollt scheint – von den Europäern gewollt scheint wohlgemerkt! –, ist PTBS noch die am wenigsten schädliche Folgeerscheinung, die sich ein Soldat wünschen kann. Für Zivilisten gilt dasselbe – die Einsätze im Mittleren Osten tangierten die Zivilbevölkerung so gut wie gar nicht. Das Geschehen ließ sich leicht ausblenden. Das wird aber bei dem, was dräut, anders aussehen. Das Leid wird mitten in der Gesellschaft ankommen. Auch die Verwundungen werden sich dramatischer erweisen als damals. Der Krieg wird für viele nicht mehr aufhören – nie wieder. Auch noch Jahre danach wird er ihnen präsent sein, bei Angstattacken oder wenn sie auf den Stumpf äugen, der mal Bein war. Und wenn sie Anträge stellen, die ihre Verwundung als Kriegsbeschädigung anerkennen soll – wie Helden werden Opfer des Krieges nie gefeiert, eher wie lästige Verfügungsmasse, die Geld kostet und keines mehr einspielt. Dann wird ihnen erst so richtig gewahr, wie schrecklich ihnen das Leben mitspielte – und sie werden sich empören, dass da einst niemand war, der über das berichtete, was Menschen im Kriegseinsatz geschieht und wie einem solche Erlebnisse nachhängen.

Roberto De Lapuente

Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog »ad sinistram«. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs »neulandrebellen«. Er war Kolumnist beim »Neuen Deutschland« und schrieb regelmäßig für »Makroskop«. Seit 2022 ist er Redakteur bei »Overton Magazin«. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main.
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12 Kommentare

  1. Wie man an anderer Stelle erfährt haben unsere Eliten Frieden so was von satt
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=138881
    In einer funktionierenden geistig gesunden humanen Gesellschaft wäre, wenn so was in einer öffentlichen Rede gesagt würde wohl mindest einer aufgestanden und hätte ihm den Bierseidel in die Fresse gedroschen.
    Hier stellt sich die Frage, die sich schon vor über 200 Jahren de Sade gestellt hatte. Was ist das für eine kranke Gesellschaft die so einen Mord als schlimmstes Verbrechen ahnden würde aber gleichzeitig Kriegsakademien hat wo effizientes Morden gelehrt wird, wo Orden für das massenhafte Töten Unschuldiger* verliehen werden.

    *wenn man, wie er, nach vorfeministischer Rechtsauffassung davon ausgeht, dass als Mann geboren zu sein und daher zum Kriegsdienst gezwungen werden zu können keine persönliche Schuld darstellt.

  2. Das wird ja gern vergessen: Die Regierung Schröder hat sich damals zwar nach außen hin gegen den Irakkrieg der „Koalition der Willigen“ (nicht wahr?) gestellt, wurde dafür von Merkel beschimpft und für den Krieg mitverantwortlich gemacht, weil er die schöne „Drohkulisse“ Dabbeljus zerstört hätte, und so weiter. Aber tatsächlich hat sich Deutschland ja an dem Krieg aktiv beteiligt!

    Man stellte nicht nur die BRD als Operationsbasis zur Verfügung (Österreich sperrte den Luftraum für Kriegsflugzeuge!) und übernahm die Bewachung der US-Kasernen hier. Nein man schickte auch Unterstützungstruppen nach Kuweit. Angeblich „zum Schutz der Zivilbevölkerung“. Nö, die haben die Invasoren abgesichert, die von da aus ins Land einfielen! Eine offizielle Kriegsbeteiligung unter Merkel wäre wohl kaum größer ausgefallen, als die „Nichtbeteiligung“ Schröders.

  3. Verlorene Beine und PTBS sich keine wirklichen Argumente gegen Krieg, denn nach den Narrativen westlicher Politik und Medien hat Russland den Krieg begonnen und bedroht unser aller Leben.

  4. Nachbar war Bundeswehrsoldate Afrika. Er hat das wohl nie richtig verarbeitet, wurde dann fett und mit 40 starb Er im Stillen für sich alleine . Wir haben Uns oft unterhalten, Er war geistig ein ganzes Stück durch den Wind. Schade, feiner Kerl sonst .
    DIe Christen in diesem Land haben wirklich gar nichts aus der Geschichte gelernt, und die nächste Lehrstunde dieser Art könnte durchaus auch für das Ende Deutschlands stehen ..
    Noch eine Chance nach einem Krieg mit Russland wird dieses Land wohl nicht bekommen ..
    Aber was einige Politiker im Bundestag verbal absondern , ist ab Abscheu nicht mehr zu überbieten..
    Im Frieden beerdigen Söhne Ihre Väter, im Krieg Väter Ihre Söhne..

  5. Eigentlich uralte Erkenntnisse – Karl Liebknecht: Kapitalismus ist Krieg, Sozialismus ist Frieden.

    https://sascha313.wordpress.com/2023/06/02/sind-kriege-unvermeidlich
    Sind Kriege unvermeidlich?
    Marx und Engels lehrten, daß der Krieg als gesellschaftliche Erscheinung weder durch das biologische Gesetz des Kampfes ums Dasein noch durch die Übervölkerung, sondern einzig und allein durch das Wirken objektiver ökonomischer Gesetze, durch den Charakter der Produktivkräfte [1] und Produktionsverhältnisse der Klassen-gesellschaft erklärt werden kann. Sie brachten den Krieg direkt mit den Bedingungen des materiellen Lebens der Gesellschaft in Zusammenhang und zeigten, daß er eine historisch vergängliche Erscheinung ist.

    Der Krieg als ein Gewerbe der Ausbeuterklasse
    Der Marxismus lehrt, daß der Krieg keine ewige Erscheinung des gesellschaftlichen Lebens ist. Die Kriege entstanden auf einer bestimmten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung, das heißt, als das Privateigentum an Produktionsmitteln und -instrumenten und damit die Teilung der Gesellschaft in antagonistische Klassen und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen entstanden. Mit der Spaltung der Gesellschaft in Klassen und dem Entstehen des Ausbeuterstaates wurde der Krieg zu einem ständigen Gewerbe der herrschenden Klasse, zu einem Mittel ihrer Bereicherung und der Verstärkung ihrer ökonomischen und politischen Herrschaft. Nur mit der Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und folglich der Ausbeuterklassen verschwinden auch die ökonomischen Grundlagen für die Entstehung von Kriegen.

  6. im Westen nichts neues
    Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede. Ich habe noch niemanden gekannt, der sich zur Stillung seiner Geldgier auf Erhaltung und Förderung des Friedens geworfen hätte. Die beutegierige Canaille hat von eh und je auf Krieg spekuliert.
    Carl von Ossietzky (1889 – 1938), deutscher pazifistischer Chefredakteur der „Weltbühne“, Schriftsteller und Symbolfigur des Widerstands gegen das NS-Regime, Friedensnobelpreis 1935

  7. Die Ukraine benötigt 2026 mindestens 120 Milliarden Dollar für ihre Verteidigung, sollte der Krieg mit Russland in sein viertes Jahr gehen. Also seid nicht feige, macht eure Geldbörsen auf, spendet die Rente und stecht ein weiteres Loch in den Gürtel damit ihr ihn enger schnallen könnt.

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