Corona hin oder her: Es ist Wahlkampfzeit in Deutschland. Das Superwahljahr 2021 hat kaum begonnen, schon zeichnet sich ab, dass die Landwirtschaft zum Wahlkampfthema wird. Das ist einerseits richtig so, weil zumindest die Bundestagswahl im September in Sachen Agrarwende eine Richtungsentscheidung sein kann. Das birgt aber auch Gefahren, denn in kaum einem Bereich wird so viel verborgen und verbogen wie bei der Lebensmittelproduktion.
Wir dürfen uns darauf gefasst machen, dass uns zumindest Halbwahrheiten aufgetischt werden. Von Politikerinnen ebenso wie von Verbandsvertreterinnen, von der Industrie und gerne auch mal von Expertinnen. Denn wenn es um die Landwirtschaft und die Lebensmittelproduktion geht, finden wir uns sehr schnell in bewährtem Schubladendenken wieder. Wobei es in der Schublade schwierig wird, über den berühmten Tellerrand zu schauen, weil Schubladen gerne mal geschlossen sind. Das war jetzt der bescheidene Versuch, ohne kämpferische Metaphern auszukommen. Üblicherweise werden in der landwirtschaftlichen Feldschlacht sonst gerne Gräben ausgehoben, mithin auch Schützengräben, oder es werden Fronten aufgemacht, semantische Nebelkerzen gezündet, oder auch mal Glaubenskrieger geortet. Dass wir das alles erleben werden in diesem Superwahljahr, ist keine allzu schwierige Vorhersage, denn der Anfang ist bereits gemacht.
Faire Gifte?
Das vergangene Jahr endete mit Blockadeaktionen von Landwirten, und das neue Jahr beginnt damit. Die jüngste Aktion ist die von Treckerfahrern im westfälischen Gronau, wo eine lokale Supermarktkette die Produkte einer lokalen Molkerei ausgelistet hat. Das hört sich recht sinnvoll an, im Gegensatz zu den Blockaden von Aldi, Lidl und Rewe wegen zu billigen Fleischs und zu billiger Milch, die die Landwirte zuvor immer umstandslos geliefert hatten. Das Wahljahr dürfte mehr solcher Aktionen zeitigen. Über ihre Sinnhaftigkeit darf dann jeweils gestritten werden. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, in dessen Bundesland 2021 nur Kommunalwahlen anstehen, legt vor. Er findet den Kampf der Landwirte für faire Preise „ausdrücklich berechtigt“. Nur, was ist fair in einer Industrielandwirtschaft, die sich seit Jahrzehnten auf Billigproduktion eingeschworen hat?
Die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner sicherte zumindest den Rübenbauern auf ihre Weise den Ertrag. Sie ließ zusätzliche Neonicotinoide mit einer Notzulassung versehen, weitgehend unter Ausschluss der coronaverseuchten Öffentlichkeit. In diesem Fall ging es darum, dass Saatgut noch schnell gebeizt werden darf, weil da ein Rübenschädling auf dem Vormarsch ist. Vielleicht, weil zu viel Rübenmonokultur dem Schädling nutzt? Vielleicht, weil zu wenig Fruchtfolge gepflegt wird? Egal, das Gift hilft. Gegen den gemeinten Schädling und vieles mehr.
Neonicotinoide sind hochwirksame Insektengifte. Ein Wirkstoff ist vergangenes Jahr von der EU verboten worden, andere in einigen Mitgliedsländern, auch weil die Gifte für das Bienensterben verantwortlich gemacht wurden. Aber wir haben ja noch mehr Wirkstoffe in petto. Wird mit ihnen schon das Saatgut gebeizt, ist danach die ganze Pflanze für die Insekten giftig, die sie anbohren wollen. Leider aber eben auch für die Bestäuber, wie die Bienen. Einmal mehr trifft ein Pestizid nicht nur die, die es treffen soll, ganz zu schweigen von uns Menschen, für die die Lebensmittel am Ende hergestellt werden.
Insektenschutz wird ganz sicher Wahlkampfthema. Albrecht Stegemann, der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat schon mal vorgelegt. Er beklagt, dass der Entwurf für das Insektenschutzgesetz, das Bundesumweltministerin Svenja Schulze gerne noch in dieser Legislaturperiode durchbringen will, „kalte Enteignungen von Bauernfamilien“ bedeute. Weil die dann auf ihrem eigenen Grund und Boden nicht mehr tun dürfen, was sie wollen? Zum Beispiel Bienen vergiften. Weil ihr Land dann nicht mehr den größtmöglichen pestizidgetriebenen Ertrag abwirft? Solcherlei Einlassungen werden sich häufen im Superwahljahr.
Tierwohl als Label
Und dann ist da noch das Tierwohl. Auch hier weist der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil den Weg: Er ist für ein verbindliches staatliches Tierwohllabel. Retourkutsche der Bundeslandwirtschaftsministerin: Die SPD möge im Bundestag ihre Blockade gegen das – nicht verbindliche – Tierwohlkennzeichen aufgeben. Nun ja, Julia Klöckner hat’s nicht so mit der Abteilung Attacke. Dafür kann sie gut lavieren oder auch gerne mal schönreden, so wie bei ihrem kläglichen Scheitern in Sachen Agrarreform als landwirtschaftliche EU-Ratspräsidentin im vergangenen Jahr. Wobei, man könnte ihr auch unterstellen, dass sie bei der Agrarreform gerne scheitern wollte.
Also Tierwohl. Die Deutschen essen zwar immer weniger Fleisch, vor allem die Jüngeren leben zunehmend vegetarischer und veganer. Aber das ist nur ein Trend, der den Tieren in den Stallungen gerade nicht hilft. Die CDU/CSU setzt auf Freiwilligkeit, mit mäßigem Erfolg für ein wachsweiches Label. Der Lebensmitteleinzelhandel, gerade von den Landwirten ob des Preiskampfes gescholten, wünscht sich das Tierwohllabel auch. Die Unionsparteien hätten aber lieber eine europäische Lösung, die Julia Klöckner als Vorsitzende während der deutschen Ratspräsidentschaft nicht angeschoben hat. Die CDU warnt jetzt davor, mit dem vom Koalitionspartner gewünschten nationalen Label am Europäischen Gerichtshof zu scheitern. Dessen Anrufung sie hätte vermeiden können, wenn sie die deutsche Ratspräsidentschaft für eine einheitliche Regelung genutzt hätte. Aber außer einer Blockade der von der Kommission gewünschten Agrarreform war da halt nichts drin im vergangenen Jahr.
Und was, am Ende, haben oder hätten die Tiere von einem solchen Label? Ein Schwein weniger in der Box, aber weiter auf Spaltenböden leben, ohne Einstreu und ohne Auslauf. Tageslicht durch neue Fenster, aber nie hinausdürfen aus dem Stall, außer wenn’s zum Schlachter geht. Ist das Tierwohl? Oder doch nur ein schönes Wahlkampfthema, mit dem man sich gut als Kämpfer für mehr Ethik im Stall darstellen kann?
Wir merken schon: Es wird verworren. Die Nebelkerzen werden zahlreich sein. Noch so ein militärischer Spruch kommt mir da in den Sinn: The Fog of War. Das Feld als Feld … Naja, das lasse ich jetzt lieber. Wir hoffen, dabei wenigstens gesund zu bleiben. Was mit Corona und den Lebensmitteln, die uns aufgetischt werden, nicht ganz einfach ist.
Apropos: Wir haben es satt! Die diesjährige Demo für eine Agrarwende findet am 16. Januar online statt, bis auf ein paar wenige Trecker vor dem Kanzleramt. Das traditionell anschließende „Soup and Talk“, bei dem dann Projekte und Initiativen vorgestellt werden, gibt’s ebenfalls virtuell ab 15:30 Uhr. Anmeldung hier: www.wir-haben-es-satt.de/soupntalk