“Es war wie die Sintflut”

Pol-e-Khumri
E.Heidtmann, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

In mehreren Teilen Afghanistans haben Überschwemmungen Hunderte von Menschen in den Tod gerissen. Sie sind die Vorboten weiterer Katastrophen, die das Land heimsuchen werden.

Ein Bericht aus Pol-e Khumri, Baghlan.

“Der Fluss war voll mit allem, was man sich vorstellen konnte: Lehm, Holz, Metall, Stein und Mensch und Tier. Es war ein Anblick des Grauens”, erzählt Ahmad Zia. Der Arzt stammt aus der “Fabrik”, einer Gegend nahe Pol-e Khumri, der Hauptstadt der Provinz Baghlan im Norden Afghanistans. Die “Fabrik” ist benannt nach der dortigen Zuckerfabrik, die in den 1940er-Jahren mit Hilfe deutscher Ingenieure errichtet wurde und bekannt für ihre prächtigen Gärten und grünen Hügel. Hier wird Fisch zum Frühstück gegessen, weshalb sich täglich junge Männer zum Angeln am Fluss verabreden. Doch diesmal war es der Fluss, der nach heftigen Regenfällen Tod und Zerstörung brachte. “Nach dem Regen riss er alles und jeden mit sich. Es war wie die Sintflut”, sagt Zia, der private Spendengelder aus dem Ausland sammelt. Viele seiner Freunde und Verwandten leben in Deutschland, Frankreich oder in den USA und vertrauen ihm ihr Geld an, damit er Hilfsgüter kauft und betroffene Familien unterstützt. “Ohne deren Hilfen würden die Auswirkungen deutlich schlimmer sein”, so Zia.

Hunger folgt der Flut

Offiziellen Taliban-Zahlen zufolge wurden allein bis Mitte Mai über 420 Menschen durch die Überschwemmungen getötet. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Betroffen sind auch andere Provinzen wie Ghor oder Faryab. Nur in Baghlan spricht man mittlerweile von weit mehr als zweihundert Todesopfern. Tendenz steigend. Viele Menschen gelten weiterhin als vermisst. “Viele Regionen sind weiterhin schwer erreichbar und man muss sich durch eine zwei Meter dicke Schlammschicht kämpfen”, sagt Ahmadyar. Es fällt ihm schwer, für das Grauen die passenden Worte zu finden. Nur wenige Regionen Baghlans hatten Glück im Unglück und kaum Tote zu beklagen. Ahmadyar berichtet von 10.000 ertrunkenen Rindern und Schafen, 6.000 zerstörten Häusern und zahlreichen Ackerfeldern, die zu Grunde gingen. “Wir sprechen hier von mehreren Tausend Hektar Land. Die Menschen werden sich kaum von dieser Katastrophe erholen können, doch die nächste steht schon an”, so eine Prognose. Er hat nicht Unrecht, denn klar ist: Auf die Flut wird der Hunger folgen – und dieser wird wahrscheinlich viele Afghanen abermals in die Flucht zwingen.

Tagtäglich versuchen Tausende von Menschen, das Land zu verlassen. Sie fliehen vor der Rezession und den stets zunehmenden Repressionen der Taliban. Der Schwarzmarkt für Reisedokumente blüht weiterhin wie kein anderer, während Schmuggler im gesamten Land aktiv sind. Doch, bald so meinen nicht wenige, käme die große Flucht vor dem Klima. Im Jahr 2021 etwa haben sich die CO2-Emissionen in Afghanistan auf rund 11,9 Millionen Tonnen belaufen. Dies entsprach etwa einen Anteil von 0,03 Prozent an den weltweiten CO2-Emissionen. Kurz und knapp: Im Vergleich zu den meisten anderen Staaten der Welt, allen voran zu Nachbarländern wie China, ist Afghanistan praktisch kaum für den globalen Klimawandel mitverantwortlich – und doch wird das Land mitsamt seiner Bevölkerung heftiger getroffen denn je zuvor.

Ein mit Leichen überfülltes Krankenhaus

In den letzten Jahren kam es regelmäßig zu neuen Temperaturrekordwerten und Dürren. Gletscher sind geschmolzen und Hochwasser, wie die jüngsten, gehören immer mehr zum Alltag und führen zu Tod, Zerstörung und Vertreibung. Die internationale Staatengemeinschaft fokussierte sich in Afghanistan in den letzten zwanzig Jahren vor allem auf Krieg und ein kurzsichtiges Wirtschaftssystem, das mit ausländischen Hilfsgelder und der militärischen Besatzung verwoben war. Für den Klimawandel und dessen Folgen interessierte sich kaum jemand.

Ebenjene Folgen werden in diesen Tagen in Baghlan sichtbar. Das Krankenhaus der Provinzhauptstadt ist überfüllt mit den Leichen von Opfern aller Altersgruppen, während übermüdete Ärzte und gestresste Taliban-Offizielle auf und ab tummeln. Sie kommen mit dem Zählen der Toten kaum hinterher. Die meisten Afghanen können nicht schwimmen, doch vor den schweren Wassermassen, die mit Schlamm und zerstörtem Hab und Gut durchtränkt waren, konnten sich selbst die Fähigsten nicht retten. “Ganze Dörfer wurden mitgerissen. Wir haben Täler aufgesucht, in denen wir uns anfangs nicht sicher waren, ob dort wirklich jemand gelebt hat”, erzählt Tamim, ein Student. Er machte sich mit seinem alten Toyota Corolla nützlich und brachte Verletzte – von ihnen gibt es weit über tausend – zu Ärzten und Krankenhäusern. “Der Tod ist hier, und er will nicht mehr weg”, resümiert er nüchtern, während er in einer lokalen WhatsApp-Gruppe spricht und aufzählt, was für Hilfsgüter benötigt werden. Es sind vor allem die Afghanen, die in diesen Tagen einander helfen. Ein wohlhabender Geschäftsmann aus dem westlichen Herat schickte mehrere LKWs mit Nahrungsmittel, während junge Männer wie Tamim auf eigene Faust in abgelegene Täler ziehen, um Menschen zu bergen. “Wer Gutes tut, tut dies nicht nur für die anderen, sondern auch für sich. So wurde es mir beigebracht. So denken wir alle”, sagt er.

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12 Kommentare

  1. So funktioniert der besonders vom Wertewesten als alternativlos deklarierte Kapitalismus:

    Den höchsten Preis für seine Folgeschäden, wie etwa die Zerstörung der Umwelt und die globale Erwärmung, bezahlen die Ärmsten der Armen!

    1. Sie sollten nach China flüchten, wenn sie weg müssen. Von dort kommen die meisten Emissionen und dort haben sie bessere Zukunftaussichten als hier. Ich weiss, die höchste Stütze gibts halt bei uns.

    2. Klar, das musste kommen. Für Klimaidioten ist ja an allem der Mensch schuld. Stimmt ja auch zum Teil: an der grassierenden Verblödung ist der superirrsinnsreiche Mensch und seine schäbigen Büttel schuld.

  2. Emran Feroz’ Eltern flohen aufgrund der sowjetischen Intervention in Afghanistan nach Österreich. Er studierte Politikwissenschaft und Islamwissenschaft an der Universität Tübingen. Er arbeitet als freier Journalist für Die Presse, Profil, Die Zeit, Die Tageszeitung, Al Jazeera und The New York Times.
    Also, wer für solche kapitalistischen Blätter schreibt, oder schrieb – im besonderen die TAZ, die Zeitung der grünen Sekte – den nehme ich nicht ernst, denn mehr muss man nicht wissen.
    Er gehört sicherlich zu den “GUTEN”. Wie auch Habück und die 360° Göre.

    1. Die Frage ist aber, ob er sich wirklich mit der Linie dieser Blätter identifiziert oder sein eigenes Ding macht.
      Denn selbst die taz lässt immer noch „Dissidenten“ zu, damit sie nicht komplett als olivgrünes Arschkriecherblatt gilt.

      1. Ist eigentlich auch egal, ob er sich mit der semifaschistischen taz oder weiß der Teufel mit vielleicht noch viel übleren Dingen identifiziert. Vielleicht bohrt er auch in der Nase und macht alten Damen den Sitzplatz in der Tram nicht frei. Auf jeden Fall ist hier der Text, mit dem man umgehen kann, ohne dass man erst mal prüft, ob er auch geeignet ist, was zu schreiben. Es ist doch eben der wokeschistische Abschaum, der die Subjekeigenschsften zum Kriterium gesellschaftlicher Relevanz erhebt bis hin zur kruden Behauptung, der oder die darf dazu garnicht sagen, weil…..
        Ich finde, dass sollten wir nicht kopieren. Auch wenn es gelegentlich schwer fällt. Mir zum Beispiel bei Autoren der Dreckstaz. Es ist aber eine gute Idee, sich gegen solchen Impulse zu wehren.

    2. Du bist ein verdrehter Kopf und verdienst Dein Geld womit? Lebst Du vom Vermögen und wie ist es entstanden?

      Ich bin sehr froh über solche Vorort-Reportagen sprach- und landeskundiger Journalisten (statt der allgegenwärtigen Sprechblasen aus grünen und vielen anderen Ideologien).

      1. Ich verdiene mein Geld mit Produkten der Mohnpflanze, denn ich habe mein Imperium mit dem Verkauf von Heroin aufgebaut. Milliarden gemacht. Und jetzt kommen diese Taliban und machen mein Geschäft kaputt. Zerstören die Mohnfelder in Afghanistan. Da muss der Wertewesten wieder rein und unsere Freiheit verteidigen. Wo kommen wir hin, wenn solche Bartträger einträgliche Geschäfte des Westens zerstören.

    3. Meistens können Kinder nichts dafür, was ihre Eltern machen.

      In vielen Artikeln von Emran Feroz werden die Sowjets sehr kritisch aufs Korn genommen und nicht die religiösen Hardliner der 70er und 80er. Erst die Taliban, die den USA nicht zu Willen waren und deswegen ihren Zorn auf sich zogen, erregen auch seinen Unwillen.

      Im Artikel oben kritisiert er nicht die 20-jährige US-Besetzung, sondern ein “kurzsichtigen Wirtschaftssystem”. Meint er damit die Kriegs- und Besatzungslogistik? Er kritisiert nicht die US-Sanktionen, die das Land strukturell in die breitflächige Armut drängen, sondern die Talibanregierung, die unter dem massiven US-Druck außer nach innen wirkende Gesetze nichts für ihr Überdauern ausführen kann. Er kritisiert nicht den Westen, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts massiv fossiles CO2 freisetzt, sondern China, das mit enormen Subventionen grüne Energien für die Welt bezahlbar macht – China, das alleine wegen seiner Bevölkerungsgröße natürlich einen sehr viel größeren CO2-Ausstoß als das mit rund 40 Mio Einwohnern vergleichsweise winzige Afghanistan.

      Wäre man hartleibig gegen das schlimme Schicksal der Afghanen und wollte man in ähnlich parteiischer auf seine gegen die Taliban und China gerichteten Darlegungen antworten, könnte man formulieren, dass die Taliban doch ein gutes Vorbild seien, weil sie mit ihren Sichtweisen den Zorn Amerikas so sehr erregen, dass die das Land von aller Technologie und Entwicklung abschirmen, die doch nur weiteres CO2 freisetzen würde. So können die Afghanen bis auf die reichen Kaufleute und die Geflüchteten ein perfektes Leben als Opfer von vom Westen als unsympathisch kategorisierte Akteure fristen. Ein viel besseres Schicksal als es beispielsweise den Nordkoreanern beschieden ist, die in weiten Zügen dem Westen unsympathisch sind, weil zu viele die Führung anhimmeln. Ein Schicksal, das Afghanistan auch noch drohen könnte, wenn durchdacht wird, dass die Taliban 2021 nur deswegen so schnell an der Macht waren, weil die Mehrheitsbevölkerung Afghanistans die westlichen Besatzer raus haben wollten.

      In der englischen Wikipedia zu Sharbat Gula, dem afghanischen Mädchen mit den grünen Augen, steht nach wie vor das Interview-Zitat aus National Geographic von 2012:

      Asked if she had ever felt safe, she responded, “No. But life under the Taliban was better. At least there was peace and order.” When asked how she had survived, she responded that it was “the will of God”.

      https://en.wikipedia.org/wiki/Sharbat_Gula

      Auf eigenen Wunsch wurde Sharbat Gula, wegen ihrer Bekanntheit auch unter den Taliban, 2021 nach Italien ausgeflogen.

  3. Es tut mir leid, aber angesichts des Restes der islamischen Realität, kommt mir da ziemlich schnell in den Sinn:

    “In schāʾa ʾllāh” Es passiert doch sonst auch nichts, wenn es Allah nicht will….

    1. Tja man kann sich vorbereiten auf die nächste Flut, oder eben auf Allah vertrauen. Im Wertewesten vertraut man lieber auf kurzfristige Profite und weist Neubaugebiete in Flußniederungen aus. Die Verantwortlichen sind dann in Urlaub und die Meldekette funktiiniert nicht im Überflutungsfall. Ob das besser ist?

  4. Wenn man über solche Katastrophen schreibt, sollte man auch etwas über die Ursachen schreiben:

    2022 ist auf der Südhalbkugel ein unterseeischer Vulkan ausgebrochen und hat so viel Wasser in die Atmosphäre geschleudert, dass nach NASA-Schätzungen der Wassergehalt in der Atmosphäre um 10% zugenommen hatte. Das regnet jetzt überall ab.

    Was die ganz vielen Salzkristalle auch noch in der Atmosphäre bewirken, wird man sehen.

    Aber die Klimahysteriker werden natürlich auch hierauf ihr übles Süppchen kochen. Die exponentielle Verblödung der Menschheit schreitet unaufhaltsam voran.

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