Fast ein Viertel der Bevölkerung Berlins, weit mehr als 900 000 Menschen, ist 60 Jahre und älter. Mehr als die Hälfte davon lebt allein. Einsamkeit ist ein schwerwiegendes Problem, das gesundheitliche Folgen hat.
Wie hell die Stadt nachts ist, wird mir erst jetzt bewusst, als ich mit der Kamera Nachtfenster suche, die wenigen Fenster, in denen zu solcher Zeit noch etwas Licht zu sehen ist. Ich bin mit dem Rad unterwegs zur 3-Uhr-Schicht im Büro der Telefonseelsorge und etwas früher losgefahren als sonst, um beleuchtete Fenster in dunklen Hausfassaden zu fotografieren, oberhalb der Straßenlaternen, die die Wege erhellen. Fenster, hinter denen keine Lampe Licht spendet, sondern wo das Geflacker von Fernsehbildern die einzige Beleuchtung ist. Die empfindliche Kamera lässt diese Nachtfenster viel heller erscheinen, als sie es in meiner Wahrnehmung sind. Erst die Morgendämmerung bringt Bilder hervor, auf denen die Helligkeiten stimmen.
Fast ein Viertel der Bevölkerung Berlins, weit mehr als 900 000 Menschen, ist 60 Jahre und älter. Mehr als die Hälfte davon lebt allein. Die Anteile sind ähnlich in allen deutschen Bundesländern. Wie viele dieser Menschen sind um diese Zeit gegen drei Uhr nachts wach? Drei Uhr, das ist Nierenzeit, sagt eine Freundin, die Heilpraktikerin ist. Da selektiere der Körper, was letztlich ausgeschieden werden muss. Dinge, die »an die Nieren« gehen. Was Wunder also, dass diese dunkelste, stillste Zeit der Nacht für so manche zur Grübelzeit wird, wo das Gedankenkarussell die kleinen und großen Fragen des Alltags in unfassbar beängstigenden dunklen Schlieren verschwimmen lässt. Wo niemand erreichbar ist, dem man das erzählen kann. Wo Entlastung durch Mitteilen unmöglich scheint. Wo man Kinder, Bekannte, sofern es sie gibt, nicht behelligen mag.
Das Erleben von Verstreichen von Zeit
Vergleiche ich die Zahl der Nachtfenster mit den dunklen, sind es weit weniger als jedes zehnte. Die Vermutung liegt nahe, dass hinter diesen halbhellen Rechtecken ein guter Teil derer auf Schlaf wartet, die auch tagsüber wenig mehr als das Verstreichen von Zeit erleben.
Menschen, die am Tage – vielleicht – noch die Möglichkeit zu flüchtigen Kontakten auf der Straße oder beim Einkauf haben. Zum Schwatzversuch mit der Apothekerin, die andere Aufgaben hat, mit der Kassiererin im Supermarkt, die die Not sieht, aber unter dem Druck der Wartenden in der Schlange dahinter nicht darauf eingehen kann. Oder mit dem Doktor, der Anamnesen zu erheben hat und für Diagnosen und Therapien bezahlt wird. Vielleicht sind das Menschen, deren Kontakte beschränkt sind auf die zweimal täglich oder seltener erfolgenden Besuche des ambulanten Pflegedienstes. Der hat minutiös abrechenbare pflegerische Leistungen zu verrichten, wozu Gespräche eher auch nicht gehören. Es sind Individuen, die unendlich verschieden sein können. So unterschiedlich eben, wie ihre persönlichen Geschichten jede und jeden von ihnen geformt haben mögen. Geschichten von sehr anderen Herkünften, Kindheiten, Ausbildungen, Berufen, Übergängen, Erfahrungen, physischen und psychischen Voraussetzungen. Geschichten von entdeckten und verborgenen Begabungen, Erwartungen, Erfolgen und Misserfolgen. Personen, mit denen sie lebten oder die sie vermissten – Eltern, Geschwister, Verwandte, Gefährt*innen, Freundschaften, Begegnungen. Je mehr Jahre sie durchlebten, umso mehr Umwelt hat sie geprägt, neben all dem, was sie zum Zeitpunkt ihrer Geburt schon mit sich brachten. Im Moment haben sie wohl nur gemeinsam, dass sie sich in der Mitte der Nacht mehr oder weniger wach, vermutlich allein hinter einem solchen schwach erleuchteten Fenster befinden.
Welche Nähe dieses eindimensionale Medium Telefon zulässt
Seelsorgetelefone wurden in vielen Ländern unserer Welt in den letzten 60 Jahren für die Suizidprävention gegründet. Die an solchen Telefonen weltweit besprochenen Probleme der anonym Anrufenden jeden Alters sind überall menschliche Nöte bis hin zur akuten Absicht der Selbsttötung. Es sind oft einsame Menschen, die das Gefühl haben, von allen verlassen zu sein, nicht aufzulösenden Fragen oder Ängsten ausgeliefert, aufgegeben zu sein, keine Hilfe zu finden, sich aufgeben zu wollen. Besprochen werden meist die Folgen solcher Einsamkeit, die Probleme, die allein nicht lösbar scheinen. Manche rufen an, um Begleitung zu suchen in dem Moment, in dem sie ihr Leben beenden wollen. Die Organisationen wählen ihre Freiwilligen sorgsam aus und bieten ihnen eine gute Ausbildung und Vorbereitung für die Tätigkeit am Telefon. Alle paar Jahre veranstalten sie Welttreffen zum internationalen Erfahrungsaustausch. Sie lernen voneinander, erleben im Gespräch, wie ähnlich und doch unterschiedlich menschliche Fragen sich in den Ländern und Kulturen unserer Welt darstellen. Es sind Tausende, die weltweit in jeder Stunde eines jeden Tages am Telefon im Kontakt sind, ihre Freizeit schenken, um anderen Menschen zuzuhören. Sie spenden Anteilnahme und Unterstützung und stellen sich als Gegenüber in kritischen Lebenssituationen zur Verfügung.
Der Heimweg von der ersten Nachtschicht nach zwei Uhr führt mich um diese Zeit durch eine nahezu leere Stadt, wo kaum Menschen zu Fuß unterwegs sind. Wo ich auf den vier Kilometern meines Weges per Fahrrad unbesorgt außerhalb von Kreuzungen und Schutzwegen die Straßen queren kann, weil auch kaum Autos vorbeikommen. Wo unterwegs das eine oder andere Gespräch der letzten vier Stunden in mir nachhallt. Viele Nachtschichten habe ich im menschenleeren Büro der Telefonseelsorge verbracht. Nachts sind die Gespräche oft intensiver, berührender als am Tage. Zwei Menschen – jeweils allein – an verschiedenen Orten dieses Landes in Resonanz, ungestört Bilder und Erfahrungen austauschend, Lebenspakete im Dazwischen ausgepackt und gemeinsam mit etwas Abstand aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Immer wieder bin ich berührt und erstaunt, welche Nähe dieses eindimensionale Medium Telefon zulässt, eröffnet. Nachtfenster geben mir ein Bild von dieser so intensiven wie anonymen Distanz, die den Raum für solche Nähe im Gespräch zweier einander zuvor unbekannter Menschen schaffen kann.
Ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem
2013 wurde im englischen Manchester die Silverline Helpline als Pilotversuch gestartet. Die Gründerin der Initiative wollte nicht hinnehmen, dass alte Menschen einsam werden können, hilflos, unerhört, dass Hilfe und Unterstützung sie nicht rechtzeitig erreichen, weil niemand von ihnen weiß. Es war ihre Antwort auf die Frage: Wie können wir Ältere erreichen, ihnen neue Kontakte bieten, Ariadnefäden knüpfen, an denen sie sich aus der Falle der Einsamkeit hangeln können? Anrufen konnten bei der Helpline alle Menschen in dieser Lebensphase, die reden wollten. Ein Jahr später war die Rufnummer in ganz England durchgängig Tag und Nacht freigeschaltet. Eine Million Anrufe erfolgten in den ersten drei Jahren. Knapp zwei Drittel der Gespräche fanden am Wochenende oder nachts statt.
Ich denke, dass auch in England Nachtfenster die Situation spiegeln. Wie an vielen Orten dieser Welt. Die meisten auch der sehr alten Menschen, mehrere Millionen in ganz Deutschland, leben in ihren vier Wänden. Weit mehr als die Hälfte von ihnen meistert ihren Alltag eigenständig und auf ihre jeweils eigene und unterschiedliche Weise. Diese ist geprägt von den Einstellungen, Erfahrungen und Strategien, die ihnen ein langes Leben beschert hat. Viele von ihnen sind allein. Zurück- und Alleingelassene, Hinterbliebene. Jede*r Dritte fühlt sich mehr oder weniger einsam. Ihnen widme ich seit Jahren einen großen Teil meiner Zeit – und nun auch dieses Buch.
Wohlgemerkt – es ist nicht mein Anliegen, ein Stereotyp, das Stereotyp von der Alterseinsamkeit, als unvermeidlich zu vertiefen. Es geht vielmehr darum, ein gesellschaftliches Problem mit schwerwiegenden sozialen, gesundheitlichen und auch wirtschaftlichen Folgen zu beleuchten und zu hinterfragen. Ein Problem, das viele Menschen jeden Alters betrifft. Ältere kann es jedoch vor Herausforderungen stellen, die sie allein mitunter nicht lösen können.
Was verschwiegen oder nur unter Fachleuten besprochen wird, bleibt unsichtbar und wird als individuelles Problem einsam erlitten. Nur wenn wir darüber reden, können wir Ursachen und Wirkungen erkunden und jeweils angemessene Lösungen finden.
Als alter Ostler muss ich sagen, ein Einsamkeitsproblem mit diesen Dimensionen gab es im Sozialismus früher nicht. Deshalb meine Vermutung, die sich langsam zu einer Hypothese verdichtet: Die herrschende Ideologie des Liberalismus fördert den Individualismus und auch das Gegeneinander, was sich letztlich zum puren Egoismus verdichtet. Was natürlich nicht bedeutet, dass alle Egoisten einsam sind – im Alter meistens aber doch. Und natürlich sind nicht alle einsamen Alten Egoisten; oft ist der vertraute Lebenspartner gestorben und man ist allein, dann kann leicht die Einsamkeit beginnen.
Ein Indiz für meine These ist auch, dass im Mutterland des Liberalismus das Thema Einsamkeit besonders drängend erscheint. Nun gut, ich halte den westlichen Liberalismus für eine menschliche und gesellschaftliche Sackgasse. Zur herrschenden Ideologie heranwachsen konnte er nur weil er dem Kapitalismus diente.
Dem würde ich zustimmen. Sowas findet man in den dämlichen DDR Dokus die den ganzen Tag über den Bildschirm flimmern nicht. Entweder die übliche Hetze oder man macht sich drüber lustig. Bei aller berechtigten Kritik an der DDR, es war halt auch ein gesellschaftlicher und gelebter Gegenentwurf. Das endete mit der Wende.
Helmut Kohls “Geistig moralische Wende”, weg vom Kollektiv hin zur Vereinzelung
Fein. Eine hübsch einfache Antwort auf ein komplexes Thema.
Natürlich gibt es die von Ihnen beschriebenen Fälle. Aber was ist mit all denen, die nie wirklich gelernt haben, mit anderen – insbesondere der Familie – ernsthaft zu kommunizieren, weil es mit ihnen auch nie jemand tat (Stichwort : Kriegsgeneration). Oder die ihr Leben lang gerackert haben und niemandem zur Last fallen wollen ?
Was ist mit der weit verbreiteten Ignoranz, Oberflächlichkeit und Gleichgültigkeit der jüngeren bis mittleren Generationen, denen das eigene Smartphone das höchste Gut ist ?
Was ist mit der Tatsache, daß sich mittlerweile kaum noch jemand die Zeit und den Raum gibt, jemand anderen wirklich zu sehen und zuzuhören und in Resonanz zu gehen ? Ziemlich vielen Menschen ist es doch viel wichtiger, die eigene Meinung und das eigene Befinden loszuwerden, statt auf sein Gegenüber ernsthaft einzugehen.
Und Sie vergessen bei all den schönen Theorien über die “Ideologie des Liberalismus” (oder sonstigen ähnlichen Konstrukten), daß es immer um menschliche Wesen und menschliches Empfinden geht. Und das ist ein bißchen komplexer als “purer Egoismus”.
“… die ihr Leben lang gerackert haben und niemandem zur Last fallen wollen”
Hat das vielleicht nichts mit dem freien, liberalen Kapitalismus zu tun?
“Was ist mit der weit verbreiteten Ignoranz, Oberflächlichkeit und Gleichgültigkeit der jüngeren bis mittleren Generationen”
Hat das nichts mit in liberaler Gesellschaft gelerntem Egoismus zu tun?
“Ziemlich vielen Menschen ist es doch viel wichtiger, die eigene Meinung und das eigene Befinden loszuwerden”
Ist das kein egoistisches Verhalten?
“Und Sie vergessen …, daß es immer um menschliche Wesen und menschliches Empfinden geht. Und das ist ein bißchen komplexer als „purer Egoismus”
Wenn bestimmte Verhaltensweisen und Merkmale in einer Gesellschaft gehäuft auftreten, dann darf man dafür getrost äußere Umstände verantwortlich machen. Es ist gerade die liberale Ideologie die dann immer den Einzelnen verantwortlich macht (gehört übrigens auch zum Werkzeugkasten von “Teile und Herrsche”).
Einsamkeit -ein neues Geschäftsmodell !
Erst zerstört der neoliberale, globalistische Kapitalismus um des Profites willen jegliche menschlichen Beziehungen. Dann wird die „Bekämpfung“ der zuvor verursachten Probleme wiederum zu einem Geschäft. Das ist wie mit der Pharmaindustrie. Erst die Menschen krank und abhängig machen. Dann mit der Symptombehandlung unendliche Profite einstreichen….Aber immer darauf achten, das die Menschen niemals gesund werden.
Das gleiche Geschäftsmodell jetzt mit der Einsamkeit. Wie nach einem warmen Regen die Pilze, so sprießen jetzt die Vereine, Projekte etc. , die sich dem „Kampf gegen die Einsamkeit“ verschrieben haben, aus dem Boden. Natürlich alle finanziert aus Steuergeldern von Land, Bund und EU….Und da ja das Geschäftsmodell „Kampf gegen Rechts“, „Förderung der Migration“ …nicht mehr ausreichend profitabel ist (zuviele Schmarotzer), dann eben ein neues Geschäftsfeld….Das hat auch den Effekt, das Menschen abhängig gemacht werden und ihr Kreuz bei den „richtigen“ Parteien machen,wenn es zur „Wahl“ kommt.
Und damit das auch richtig funktioniert, werden die bisherigen Möglichkeiten, die Menschen gegen die Einsamkeit genutzt haben, systematisch abgebaut….
Von der Geburt bis zum Tod: der Mensch als abhängige Profitmaschiene!
@Ronald
dem kann ich voll zustimmen und man darf schon gespannt sein wann die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird wenn das Thema ausgelutscht ist
Das nächste große Thema wird die Sterbehilfe sein, so wie in Belgien, Holland und Kanada, alle die Überflüssig werden, können(dürfen) sich Freiwillig mit Hilfe von Ärzten Humanitär und Nachhaltig zügiger Verabschieden.
Irgendwie muss man die Leute nach kapitalistischer Verwertung der Lebensarbeitszeit zum sozialverträglichen Frühableben motivieren. Dieses Ansinnen steht aber wieder gegen die Profite der Medizinindustrie, die möglichst lange Pflegen und Medikamentieren will.
Wenn keine Sozialversicherungen mehr vorhanden sind, hat die Medizin und Pflegeindustrie auch keine Gewinnerwartung!
Bei Futurama, ein Simpsons Spin-Off, gibt es Suizid-Zellen. Wie Telefonzellen.
Der Macher dieser Serien bringt’s manchmal auf den Punkt.
Gemeinsam einsam sind sie Leute der heutigen Friedensbewegung und Menschen die sich für Frieden, Diplomatie und soziale Gerechtigkeit in Deutschland! einsetzen
…und nicht nur das, sie werden diffamiert, beleidigt, beschimpft und ausgegrenzt.
Doch jetzt wird wieder ein neues verlogenens Faß aufgemacht das nach verfaultem Wasser stinkt!
Wem sollen solche Artikel, ausser den Schreibern die damit ihr Geld verdienen, helfen?
Hm, gerade machte ich mir Gedanken, wohin das führen soll, wenn Menschen systematisch ausgeschlossen werden aus der Gesellschaft, btw. der Teilhabe am Leben.
Kenne hier einige Hochbetagte, Mitte 80, die einfach nicht mehr mit dem Regionalexpress in die nächste Stadt kommen, da sie schon am Ticketkauf scheitern.
Der ganze Digitalwahnsinn, wenn man da keinen hat, der einem da was erklärt und einrichtet, da ist man aufgeschmissen.
Auf der anderen Seite kenne ich einige Ältere, die früher in Machtpositionen zugange waren und einem Freundlichkeit übel vergelten.
Da wäre ein ehemaliger Technischer Direktor, geistig noch fit, aber menschlich eine totale Null. Eine frühere Hochschuldozentin, die ihre Launen ausläßt beim Angebot von Hilfe.
Eine Besitzstandswahrerin, die schon auch mal verbale Keulen schwingt.
Man muss aufpassen, dass, wenn man sich einbringt, man nicht selbst hinterher energetisch völlig ausgelaugt seinen eignen Kram kaum noch machen kann.
Das hat teilweise was mit mangelndem Respekt zu tun, eine Haltung,
die manche Leute ihr Leben lang kultiviert haben.
Und verstehen nicht, wenn man als Person, die von außen kommt, sich nicht wahllos alle dummen Sprüche anhören möchte.
Bsp: das N-Wort. ‘Das haben wir doch immer gesagt. Und wenn ich es jetzt benutzen möchte, dann kann mich niemand hindern!’ und anderes toxisches Zeug.
Alle gegeneinander ausspielen und daraus eine gewisse Freude ziehen, und dann sich wundern, wenn Kinder und Enkel nicht mehr so oft kommen,
und vor allem: sich keinerlei Kritik anhören,
nicht mal auf die Idee kommen, dass andere berechtigte Einwände haben könnten.
Diese Leute haben ziemlich sicher einen eigenen Anteil an ihren Einsamkeitserfahrungen.
Ja natürlich, die Leute sind alle selber Schuld an ihren Problemen. Jeder ist seines Glückes Schmied – und seines Unglückes auch. Liberaler Kapitalismus pur.
‘Du bist Deines eignen Glückes Schmied’- genau dieser mehr als Warnung gedachte Satz begleitet eine nicht unerhebliche Zahl von Leuten auf ihrem Lebensweg. Und oftmals geäußert von jenen, die jetzt in der oben angesprochenen Generation unterwegs sind. Keiner aber fragt: wie waren die Bedingungen? Wie hat es denn hingehauen mit dem Schmieden? War man ausgebildet genug? Immerhin ein würdiges Handwerk, das nicht jeder kann. Was stand denn so zur Verfügung und auf wen konnte man sich verlassen?
Ein ähnlicher Satz, mit etwas anderem Touch: ‘Was man säet das wird man ernten.’ Da sollte man schon bisschen Ahnung haben vom Landbau.
Auch da ist nicht so ganz klar, wie das klappt: ob das Wetter stimmt, oder ob nicht ein Sturm alles verhagelt. Oder die Sonne zu heiß brennt.
Wichtig auf jedem Fall: selbst korrigierend eingreifen zu können.
Handlungsfähigkeit.
Und da scheint es oft zu hapern: nicht selten ist man auf Gedeih und Verderb irgendwelchen Strukturen ausgeliefert.
Das einzige, was meist geht: Reflektion, und dann wieder der Versuch einer Anpassung an das System.
Weder alle noch keiner.
Es gibt tatsächlich sehr viele Narzissten, was weit krasseres, als Egoismus bedeutet.
Ich finde es schon bezeichnend, wenn bei Artikeln, in denen es sich um die zigfach durchgenudelten Themen wie “Klimawandel”, “Rechtsruck”, Geschlechter-Diskussion o.ä. dreht, wer weiß wieviele Kommentare zu finden sind, aber in einem Artikel wie diesem, in dem es um etwas wirklich Existenzielles, Persönliches und Wichtiges geht, vergleichsweise wenig kommentiert wird. Denn das Thema Einsamkeit betrifft m.E. bei weitem nicht nur die älteren Generationen. Und ein nicht unerheblicher Teil der Kommentare schiebt dann den Betroffenen auch noch selbst die Schuld zu. Erinnert mich irgendwie an die ‘Argumentationen’ der letzten Jahre v.a. im MS (oder das Gefasel irgendwelcher Schwachköpfe z.B. über den ‘typischen’ BG-Bezieher)…
Ich finde es schon interessant, wievielen Kommentatoren es hier offensichtlich unglaublich leicht fällt, sich über unpersönliche Dinge und von einer scheinbar rationalen Warte aus distanziert zu äußern, aber persönliche (und authentische) Betroffenheit kaum noch erkennen lassen. Das ist von meiner Seite übrigens nicht als Vorwurf gemeint. Ich finde es nur auffällig.
Man muss ja nicht gleich seine intimsten Geheimnisse (und schon gar nicht an einem öffentlichen Ort wie diesem) preisgeben, aber ohne eine persönliche Note wird man nie als der Mensch erkennbar werden, der man ist. Und dann bleibt jegliche Kommunikation oberflächlich, unpersönlich, unverbindlich und letztendlich ohne Belang.
In diesem Zusammenhang finde ich übrigens den Artikel “Zeit ohne Geist” von Gönül Freyseel auf manova.news erwähnenswert.
Brian sagt:
“… ohne eine persönliche Note wird man nie als der Mensch erkennbar werden, der man ist. Und dann bleibt jegliche Kommunikation oberflächlich, unpersönlich, unverbindlich und letztendlich ohne Belang.”
Bei einem Gespräch mit einem persönlich Betroffenen mag das zutreffen. Hier geht es jedoch um die gesellschaftliche Dimension von Einsamkeit, und da sollte der Diskurs um der Sache willen sogar “unpersönlich” sein.
Würde ich meine Emotionen hier raus lassen,dann müsste Herr Rötzer , alleine für den Schutz dieses Portals , meinen Post löschen.
Als Ü 60er kenne ich das Thema Einsamkeit durchaus.In der DDR aufgewachsen, gab es viele Möglichkeiten, Gleichgesinnte kennenzulernen und sich auszutauschen
Mit der Übernahme der DDR durch das westdeutsche Kapital änderte sich das schlagartig.Club-und Kulturhäuser wurden geschlossen, privatisiert und abgerissen. Jugendtreffs und Seniorentreffs dichtgemacht. Betriebe, die einen nicht geringen Teil des sozialen Lebens ermöglichten, wurden auf maximalen Profit getrimmt oder geschlossen.
Über Nacht wurde das gesamte Leben verändert. Personen wie Regine Hildebrandt, die wenigstens einen kleinen Teil der Sozialen Strukturen erhalten wollten, waren plötzlich Staatsfeinde und in den westdeutsch kontrollierten Medien wurde massiv gegen sie gehetzt…
Während im Osten der neoliberale Raubtierkapitalismus sich ungehemmt austoben konnte,schlief der westdeutsche Spiessbürger den Schlaf des Selbstgerechten. Was die „Ossis“ zu erzählen hatten, interessierte ihn nicht. Schließlich haben die Systemmedien ja immer von den „Jammerossis“ gesprochen. Und was die Tagesschau erzählte , war ja die lautere Wahrheit…
Selbst dem „Cleverle“ Lothar Späth wurde im ZDF das Micro abgedreht,als er auf die Frage des Moderators, warum die „Ossis“ so undankbar seien, erzählen wollte, was hier so abgeht.
Der westdeutsche Spießer konnte davon schwafeln, dass die Ossis erst mal das arbeiten lernen sollten und sich im nächsten Satz über die abgearbeiteten Hände der Frauen lustig machen…
Als sich der Schock gelegt hatte und viele Menschen realisierten, das das Leben nicht darin besteht, hemmungslos zu konsumieren( was bei den geringen Löhnen eh nicht möglich ist), entstanden neue Strukturen jenseits der staatlichen Kontrolle und Bevormundung.
Hausgemeinschaften bildeten sich, Straßenfeste wurden von Privatpersonen organisiert, Nachbarschaftshilfe wurde wieder modern, selbst der „Subbotnik“ fand unter neuen Namen wieder statt. In vielen Orten finden „Heimkehrer“-Treffen statt, wo sich diejenigen, die wegen der Arbeit wegziehen mussten, in der alten Heimat treffen und Kontakte pflegen konnten.
Informelle Gruppen, die gemeinsam etwas unternehmen, bildeten sich….
Inzwischen haben staatliche Stellen erkannt, das sich diese Bewegung ihrer Kontrolle entziehen.
Zwei Jahre im Purgatorium mit Weihnachtsbeleuchtung und von ARD oder ZDF mumifiziert, schöne Nachbarschaft und besonders viele Migranten die eine Scheißegal Einstellung zur Gesellschaft haben!
Ja ja wenn Einsamkeit das Staatsziel ist !!!
Wie entsteht der Zustand von Einsamkeit eigentlich? Also die Situation das man sich allein fühlt ohne es zu wollen.
Hier spielt glaube ich auch eine große Rolle das wir uns Zeit unseres Lebens in eine Rolle fügen müssen und hier permanent mit erzwungenen Kontakten zu Leuten die wir zu einem großen Teil nicht leiden können konfrontiert sind. Kontakte zu den Menschen die wir mögen reißen dagegen unentwegt ab. Jobwechsel, Wohnungswechsel Ortswechsel – die eigenen und die der anderen.
Freunde aus der Kindheit und Jugend, mit denen man Erinnerungen teilt, sind über die halbe Welt verstreut.
Ich stamme aus dem Osten, und von meiner Abschlussklasse ist keiner mehr in der Heimatstadt.
Wir können uns eben nicht frei aussuchen mit wem wir uns umgeben und mit wem nicht.
Was bleibt ist der Rückzug in die eigenen 4 Wände.
Und die meiste Zeit empfindet man das als angenehme Befreiung.
Wenn das aber aus welchen Gründen auch immer wegbricht (Ruhestand, Krankheit, Arbeitslosigkeit) stellen wir das wir unter all den vielen Menschen doch einsam sind.
Hinzu kommt das wir über die Jahre gelernt haben uns vor bösen Menschen in acht zu nehmen und jedem Fremden mit Skepsis begegnen. Zum Selbstschutz ist das angebracht, gegen die Einsamkeit aber nicht hilfreich.
So lange man noch die 4 Wände hat, sehe jeden Tag Obdachlose die nur ihre Einsamkeit als Begleitung und Besitz haben.
@Frank
Nicht vergessen, bei vielen älteren Mitbürgern sind auch Verwandte, Freunde und Bekannte bereits verstorben und vereinsamen deshalb.
Ansonsten hast Du das gut beschrieben
Auf dem Weg zu Schule damals kam ich oft an einem Fenster vorbei, wo eine alte Frau rausguckte, neben Ihr Ihre Katze . Ab und zu unterhielten Wir Uns, ich sah ja das Sie sich freute auf ein Gespräch, und mir tat sie einfach leid.
Die Tabete in diesem Zimmer, ich würde vermuten 5 Jahre hatte da kein Maler mehr Zutritt. Schule aber, das gab meist einen Tadel, weil ich immer dann einige Minuten zu spät kam.
Ach ja, war DDR Zeiten o)))
Solche Dinge alleine an Politischen Systemen festmachen zu wollen, finde ich doch ein wenig schräg.
Brecht lesen kann hilfreich sein ..
Alleine leben muss nicht für Einsamkeit stehen, kann sogar für das Gegenteil stehen, abhängig von den Lebenserfahrung die ein Menschen machen musste. Was allerdings darunter leidet ist die Belastbarkeit der Menschen.
Ein paar Groschen, vieles ist aber von Mitforisten bereits zusammengetragen und erörtert worden…
Zunächst sollte wirklich strikt zwischen Einsamkeit und Alleinleben unterschieden werden – man kann alleinstehend sein und mit niemandem eine Wohnung teilen, trotzdem aber über ein so ausgeprägtes wie erfülltes Sozialleben verfügen und keinerlei Einsamkeit oder Schwermut verspüren. Umgekehrt gibt es natürlich etliche Leute, die scheinbar mustergültige Beziehungen führen, 500 Facebook-Freunde haben, Partys, Feten und Empfänge besuchen – und am Ende eines Tages feststellen, dass sie sich niemals im Leben einsamer und leerer gefühlt haben. Kurz: Alleinsein bedeutet physisch, Einsamkeit dagegen sozial niemanden sonst in seiner Nähe zu haben. Der Einsame ist auf sich selbst zurückgeworfen und erstrebt diesen Zustand nicht; er fühlt und leidet an diesem Mangel an Eingebunden- und Verbundenheit. Der Druck der Nichtakzeptanz, des Unverstandenseins, des keinen Platz im Lebens haben. Man steht in einem Stadion, einer Fußgängerzone oder einer Vernissage unter all seinen „Freunden“, neben anderen „Anhängern“ seiner Mannschaft, zwischen tausend anderen grauen Konsumenten – und fühlt sich einfach nicht zugehörig und völlig isoliert. Man fühlt sich als fünftes Rad am Wagen. Alles fühlt sich falsch an. Man fühlt sich falsch an. Der Alleinlebende dagegen ist schlicht für sich und hat sich nicht selten bewusst für diese Lebensweise entschieden.
Einsamkeit hat dabei in meinen Augen sowohl systemische als auch gouvernemental induzierte Ursachen. Da sind einerseits die kapitalistisch-imperialistischen Verhältnisse, die weiter oben von Mitforisten bereits erörtert wurden, mit ihrer spezifischen Produktionsweise, die Menschen dazu zwingen in ständiger Konkurrenz zueinander zu agieren, sich über Prestigegüter und anderen Tand zu definieren und die soziale Bindungen gegenüber nicht sonderlich förderlich sind.
Man verbringt einen Großteil des Lebens am sogenannten Arbeitsplatz, wo man zu den „Kollegen“ oft keine wirklich persönlichen Beziehungen aufbauen kann (abseits des üblichen Getues) und nur als so uniforme wie austauschbare Arbeitskraft agiert. Zumal die Arbeitsverhältnisse bekanntlich ohnehin von Entfremdung und Ausbeutung geprägt sind – Stichworte: prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Überstunden und Leistungsdruck, 24/7, Pendeln, Wohnen an ungünstigen, anonymisierten Orten, Zerbrechen von Freundeskreisen aufgrund von Jobwechseln etc. – @ Frank nannte ja ein paar Punkte. Und erinnert euch einfach an die Lokführer, die während ihres Streiks zu Jahresbeginn darauf hinwiesen, dass Freundschafts- und Beziehungspflege oftmals nicht drin sei bei ihrem Job. Einsamkeit ist bei solchen Zuständen eine zwingende Konsequenz – und somit durchaus auch eine Klassenfrage.
Zugleich lebt man hier in einer hochgradig materialistischen Konsumgesellschaft, in der die Menschen einerseits ihre Bedürfnisse wie innere Leere durch ständiges Kaufen zu stillen suchen, andererseits auch alles – zwischenmenschliche Beziehungen eingeschlossen – zur Ware verdampft ist und blanke Oberflächlichkeit regiert. Was dann Oberflächlichkeit und Austauschbarkeit von Beziehungen nach sich zieht. Und Einsamkeit. Dazu unten mehr.
Anerkannt ist im höchst individualistischen System aber ohnehin nur wer persönlichen „Erfolg“ hat (bzw. das was die Gesellschaft für hält), wer die erwähnten Prestigegüter mit sich führt (und somit: kaufen kann) und wer auch sonst etwas „leistet“ und „taugt“. Als „Verlierer“ bewertete Menschen oder solche, die sich bloß als solche fühlen (Hochstapler-Syndrom), fallen natürlich hinten runter, haben Probleme Anschluss zu finden und Verbindungen oder Beziehungen aufzubauen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Quintuple-Six-Regel, die durch Influencer und andere verbreitet wurde und inzwischen für nicht wenige Jüngere (Frauen) die Partnerwahl beeinflusst – der Mann muss über 1,82 m groß sein („six feet high“), trainiert sein („six pack“), ein sechsstelliges Jahreseinkommen aufweisen („six figure salary“ – das Jahresbrutto hierzualnde lag letztes Jahr bei ca. 45 000 €, das ist auch in D-Mark beileibe nicht sechsstellig), ausreichend bestückt sein („six inches long“) und politisch korrekt sein („six rules“). Dieser Trend ist so oberflächlich wie widerlich und weit verbreitet. Und Entfremdung, Einsamkeit und „soziale Isolation“ sind die logischen Folgen dieser gesellschaftlichen Grundstrukturen.
Zugleich wird deutlich, dass Einsamkeit auch eine Geschlechterfrage ist, denn im Gegensatz zum landläufigem Glauben sind (gewisse) Männer(gruppen) sehr wohl von den herrschenden Verhältnissen benachteiligt. Zum Beispiel Arbeiter oder Arme, denn die fallen bei dem ganzen eben hinten runter. Gerade jüngere Männer haben heute durchaus weniger Chancen als gleichaltrige Frauen – und sind darum durchaus nicht selten einsam. Herr Rötzer berichtete ja zu seinen Telepolis-Zeiten wiederholt von den steigenden Raten an unfreiwillig sexuallos und allein lebenden Männern – habe den Link gerade nicht zur Hand, findet man aber im Netz.
Hinzu kommt als zweite Struktur noch die allgemeine Normopathie einer Gesellschaft, in der Menschen von frühester Kindheit an ihre ureigenste Wünsche, Vorstellungen und Gedanken ausgetrieben bekommen. Sei es durch die Eltern selbst – Stichwort schwarze Pädagogik, aber auch anti-autoritäre Erziehung, die keineswegs das Gegenstück zur autoritäre, sondern aufgrund ihres häufig zutiefst manipulativen Charakters, oftmals bloß die hässliche Schwester der ersteren ist. Sei es durch zu frühe Trennung von den Eltern (vom System wie Staat und Gesellschaft zur Profitsteigerung gewünscht) und anschließende Ideologisierung und Brechung im Kindergarten. Oder später durch (Hoch)schule, Markt, Medien, Tempel – pick your poison. Wer auf diesem Giftpfad des Lebens an irgendeiner Stelle – und von wem auch immer – (wiederholt) gebrochen wird, also sein Eigenes verliert, wird innerlich zerrissen und entleert. In seinem Versuch wieder ganz zu werden, versucht er die Leere mit Surrogaten zu füllen – Konsum, Ideologie (Nationalismus, Wokeism, Religion, sonstiger Scheiß), häufige Partnerwechsel… was auch immer – nur funktioniert das eben nicht. Die Leere bleibt. Das Eigene ist weg. Und irgendwann merkt man: man ist allein. So schrecklich allein.
Zugleich sind Einsamkeit und Isolation nicht nur „Beifang“ der sozialen Normopathie oder eine von zahlreichen Auswirkungen der Verhältnisse. Sie werden auch gezielt durch die Herrscherklasse gefördert. Für die Bourgeoisie sind Einsamkeit und Vereinzelung natürlich im Rahmen von divide et impera gern gesehen, da sie helfen die Beherrschten zu spalten, zu schwächen und sie so besser kontrolliert und manipuliert werden können. Indem sie Verhältnisse und Prozesse stärken, die Menschen isolieren und entfremden, können sie ihre Macht über sie aufrechterhalten und verhindern, dass sich Widerstand gegen das herrschende System formiert. Das Internet, die asozialen Medien, die Arbeitsregelungen und tausend andere Einsamkeit begünstigende Dinge, sind ja nicht vom Himmel gefallen. Sie werden gemacht und sind sehr wohl änderbar. (Natürlich sage ich nicht, das Internet wurde einzig erschaffen, um Menschen einsam zu machen – aber Einsamkeit bestimmter Leute ist ein gerne von den Herrschenden mitgenommenes Zubrot).
Und dann schafft diese Einsamkeit wie @ Ronald treffend festhielt auch wieder einen neuen Markt – Einsamkeit kann genauso kommodifiziert und schlussendlich fetischisiert werden wie alles andere. Es gibt ja genügend Beispiele aus den „sozialen Beziehungen“ oder für gesundheitliche wie „körpernahe“ Dienstleistungen, die dergestalt durchdrungen wurden – man denke an die durch „Partnerbörsen“, Dating-Apps, Coursurf-Plattformen und Facebooks so entwerteten wie entfremdeten Formen heutiger Freund- und Partnerschaften. An Massagen, Psychotherapien, Geburtshilfe, Pflege, Abtreibung, Sterbehilfe, Prostitution, die längst nur nach Marktprinzipien geführt werden.
Eine ganz entscheidende Rolle spielen bei dem ganzen Scheiß natürlich die Medien – ob asoziale Medien, Leidmedien, Privatmedien spielt keine Rolle. Sie sind die Transmitter wie Akzeleratoren zur Verbreitung von individualistischen und konsumorientierten Botschaften, die den Leuten vermitteln, dass ihr Glück und Erfolg von materiellen Besitztümern abhingen, dass diese und jene Leitidee / Beziehungsidee („achtsames Fremdgehen“) total „in“ sei et cetera pp. Medien tragen m.E. in erheblicher Weise zur Unterminierung sozialer Beziehungen bei – ob bewusst oder unbewusst, ob angeleitet oder aus eigener Dummheit.
Abschließend die alte Frage: Was tun? Nun, die Lösung für das Problem der Einsamkeit ist m.E. – wie bei so vielen anderen Themen – natürlich nicht das symptomklitternde, herrschaftswahrende Heurmdoktern. Die Lösung ist radikal, denn man muss der Wurzel des Ganzen an den Kragen – dem System selbst. Dessen Überwindung mitsamt gesellschaftlichen Neuaufbau müsste angegangen werden. Ziel müsste die Errichtung einer Gesellschaft sein, in der Respekt, Brüderlichkeit und gegenseitige Hilfe so natürlich wie im allgemeinen Mittelpunkt stehend sind. Soziale Zentren, Gemeinschaftsgärten, Wohnprojekte und was einem sonst noch an Formen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens einfiele – @ Ronald wies ja bereits darauf hin, was so alles nach der Wende von 1989 im Osten zerschlagen wurde. Im Westen begann der Prozess früher, spätestens mit der Wende von 1982, wenn die „Solidargemeinschaft“ und das gemeinschaftliche Zusammenleben dort nicht ohnehin längst Chimären geworden – oder schlicht nie entwickelt worden waren. Aber diese wahrhaft revolutionäre Wende – wer will sie schon abseits vielleicht von Overton und ein paar anderen Unterständen im gesellschaftlichen Regen?
PS: Interessant wäre noch zu schauen wie sich Einsamkeit in der Stadt und auf dem Land unterscheidet – man kann an beiden Orten sehr einsam sein. Natürlich scheint vielen das Phänomen im urbanen Raum stärker ausgeprägt zu sein – in Berlin sollen ja pro Woche ein Dutzend oder mehr allein verstorbener Menschen aus den Wohnungen geholt werden. Die Nachbarn drunter dachten über ihnen gäbe es ein Wasserrohrproblem – und dann tropfte dort kein Hahn, sondern Leichenwasser von der Decke…
PPS: Zu mir selbst, weil @ Brian um Stimmen bat: Ich bin Hartzer, wohne allein, aber nicht einsam. Wobei ich sagen würde – in Bezug auf meine Altersgruppe bin ich einsam, denn mit der kann ich persönlich wie politisch so gut wie überhaupt nichts anfangen. Die Universität war für mich der Ort, an dem ich mich über Jahre in der Tat sehr einsam gefühlt habe, weil ich mit diesen Leuten als Arbeiterkind schlicht nichts anfangen konnte. Die reden, denken, handeln nicht wie ich und haben komplett andere Lebensrealitäten und Probleme (oder eher: sie haben keine wirklichen Probleme). Ich habe keine einzige dauerhafte Freund- und Partnerschaft an der Universität gefunden, mein Bekanntenkreis rekrutiert sich von ganz wo anders. Umgekehrt verstehe ich mich eben gut mit Arbeitern und Menschen jenseits der 60. Ein Nachbar hier ist 96 und weitaus fitter (gerade geistig) und im Umgang angenehmer als viele meiner Altersgruppe (Anfang 30).
“Was verschwiegen oder nur unter Fachleuten besprochen wird, bleibt unsichtbar und wird als individuelles Problem einsam erlitten. Nur wenn wir darüber reden, können wir Ursachen und Wirkungen erkunden und jeweils angemessene Lösungen finden.”
Kann es sein, dass sich die meisten so entwickelt haben, dass völlig zu Recht keiner mehr was mit ihnen zu tun haben will? Dass sie ihr Leben so gelebt haben, dass sie das Resultat jetzt selber nicht mehr mögen? Dass von klein an Ausreden über Ausreden eigenverantwortliches Leben verhindert haben?
Foucault hat es völlig richtig benannt: Das Wesentliche ist nicht, was die Umstände aus uns gemacht hat. Das Wesentliche ist das, was wir aus dem gemacht haben, was die Umstände aus uns gemacht haben!
Schauen sie sich doch mal kommenden Weg an, den dieses Land mit seiner Idioten Regierung, die perfekt zu dem verblödeten Volk passt, in den nächsten Jahrzehnten gehen wird!
@ bruce pascal
Ich gebe Ihnen in weiten Teilen recht.
Anlässlich des Todes einer Nachbarin lernte ich, dass – unabhängig von städtischem oder ländlichem Umfeld – in ca. 5 % aller Sterbefälle ein “unbegleiteter, unentdeckter Tod” eintritt. In manchen Kulturen gehört ein solcher zum Leben. Der Rückzug, die sog. Vereinsamung ist Teil des Lebens.
Es gibt gegenwärtig eine weit verbreitete Neigung Menschen, die auf irgendeine Art “anders” sind für krank, behandlungsbedürftig, benachteiligt… zu halten. Ich erlebe meinen eigenen mit dem fortschreitenden Alter verbundenen Rückzug nicht als zunehmende `Einsamkeit´. Ich habe diesen Rückzug selbst bestimmt.
Wer – wie ich – einen Beruf hatte, der mit vielen Sozialkontakten verbunden war und ein Hobby, das man nur gemeinsam mit anderen ausüben kann, möchte vielleicht irgendwann einfach seine Ruhe haben. Zeit, die Bücher zu lesen, denen man sich aus Zeitgründen nicht zuwenden konnte oder wollte. Das Licht der Sterne wahrzunehmen, nächtens aus dem Fenster zu schauen und nach dem Großen Wagen zu sehen, habe ich mir verkniffen, als ich mich um 7 Uhr morgens auf den Weg zur Arbeit machen musste.
Vieles, was hier von manchen zu Recht als klassenbedingt defizitäres Leben beschrieben wird, führt dazu, dass manche im Alter Nachholbedarfe haben. Ich persönlich lege aber nicht den geringsten Wert auf globales Kreuzfahren. Was ich sehen wollte, habe ich gesehen. Ich muss mir kein Erlebnis von touristisch aufbereiteten Wegen durch Tropfsteinhöhlen in allen Weltgegenden verschaffen. Von mir aus können auch Fitness-Gläubige in Gesellschaft und Konkurrenz herumturnen bis zum Infarkt. Ich genieße meine gelegentlichen einsamen Waldspaziergänge über mehrere Stunden, bei denen ich stehen bleiben kann, wann ich will: das Treiben um einen Ameisenhügel betrachten, dem Geplätscher eines jungen Bächleins lauschen, den Jahreslauf an einem von andren Gängen vertrauten Streifen wilder Himbeeren verfolgen … .
Der bewusste Rückzug aus dem Leben hat auch Vorteile, die zu genießen ich als Altersprivileg betrachte. Für ein ruhigeres Leben im Alter habe ich mich entschieden. Niemand außer mir selbst hat darüber zu befinden, ab wann ich `Vereinsamung´ als Last empfinde. Noch habe ich die Möglichkeit selbst zu entscheiden, ob, mit wem, wann und wo ich Geselligkeit pflege und schätze. Als Mensch am Sorgentelefon erfährt man von denjenigen, die auf meine Art älter und alt werden wahrscheinlich nichts. Ein leidlich autonom geführtes Leben ermöglicht ein eben solches Alter und vielleicht auch einen solchen Tod.
sehr schön !
Wir haben viel zu viel Rummel, Unterhaltung, Ablenkung.
Auch ein Klassiker das Gedicht von Wilhelm Busch
Der Einsame:
Wer einsam ist, der hat es gut,
Weil keiner da, der ihm was tut.
Ihn stört in seinem Lustrevier
Kein Tier, kein Mensch und kein Klavier,
Und niemand gibt ihm weise Lehren,
Die gut gemeint und bös zu hören.
Der Welt entronnen, geht er still
In Filzpantoffeln, wann er will.
Sogar im Schlafrock wandelt er
Bequem den ganzen Tag umher.
Er kennt kein weibliches Verbot,
Drum raucht und dampft er wie ein Schlot.
Geschützt vor fremden Späherblicken,
Kann er sich selbst die Hose flicken.
Liebt er Musik, so darf er flöten,
Um angenehm die Zeit zu töten,
Und laut und kräftig darf er prusten,
Und ohne Rücksicht darf er husten,
Und allgemach vergißt man seiner.
Nur allerhöchstens fragt mal einer:
Was, lebt er noch? Ei, Schwerenot,
Ich dachte längst, er wäre tot.
Kurz, abgesehn vom Steuerzahlen,
Läßt sich das Glück nicht schöner malen.
Worauf denn auch der Satz beruht:
Wer einsam ist, der hat es gut.
Quelle: Busch, Gedichte. Zu guter Letzt, 1904
Sehr guter Hinweis.
Dies Zitate habe mal gefunden, leider ohne die Verfasser zu kennen.
Lebe so, dass am Ende die anderen traurig sind, wenn Du nicht mehr bist, und lebe nicht so, dass sie froh sind wenn Du gehst…
Do you feel lonely ? only among people….
Aus einem Lied:
Wen Du in Dir selber nicht zu Hause bist, dann bist nirgendwo zu Haus