Eine Stadt, zwei Welten und die stillen Kämpfer für den Frieden

Mitrovica
Geograf208, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Trotz sichtbarer Gräben formt sich in Mitrovica eine Realität, die Hoffnung macht – eine, in der Menschen beharrlich neue Verbindungen schaffen.

Die Öffentlichkeit erfährt von der kosovarischen Stadt Mitrovica und ihrer Hauptbrücke meist nur durch schlechte Nachrichten. Doch unter der Oberfläche des scheinbaren „Risses“ zwischen dem mehrheitlich serbischen Norden und dem mehrheitlich albanischen Süden der Stadt verbirgt sich eine andere, eine hoffnungsvollere Geschichte. Still und beharrlich arbeiten einige daran, die Verbindung zwischen den beiden Gemeinden, genauer gesagt, den beiden Gemeinschaften, nach dem Krieg im Kosovo wiederaufzubauen.

Nord- und Süd-Mitrovica sind nicht allein durch den Fluss Ibar getrennt. Sie sind durch Politik und ein tiefes Misstrauen gespalten. Nach dem Konflikt von 1999 war die Hauptbrücke weniger ein Symbol der Verbindung, sondern vielmehr Schauplatz gewaltsamer Auseinandersetzungen. Unzählige Vorfälle mit albanischen, serbischen und internationalen Opfern ereigneten sich hier. Seit vielen Jahren ist die Brücke für den Fahrzeugverkehr gesperrt, kann aber von Fußgängern aller Bevölkerungsgruppen überquert werden. Die wenigen anwesenden KFOR-Soldaten und die anhaltende Sperrung zeugen von dem tiefen Misstrauen zwischen Serben und Albanern.

Doch Vertrauen wächst in Nischen, die der Öffentlichkeit verborgen bleiben: in fast unbemerkten Momenten, in unerwarteten Gesprächen, in Workshops, wo sich junge Menschen zum ersten Mal begegnen, und in gemeinsamen Projekten, die den Blick auf die Zukunft richten, anstatt in den Konflikten der Vergangenheit zu verharren.

Trotz allem

Genau in diesem Spannungsfeld zwischen der belasteten Vergangenheit und der Sehnsucht nach einer friedlichen Zukunft ist die Arbeit von Community Building Mitrovica (CBM) gewachsen. Die Organisation existiert seit über zwanzig Jahren dort, wo andere nicht sein wollen oder können. „Unsere Mission ist heute klar und stark: einen Raum zu schaffen, in dem Menschen aus verschiedenen Gemeinschaften sich treffen, miteinander reden und als Bürger einer Stadt zusammenarbeiten können, nicht als Mitglieder gegnerischer Parteien, sagt Aferdita Sulja, die Geschäftsführerin von CBM. Was einfach klingt, ist im Kontext der geteilten Stadt ein beinahe radikales Konzept. Die Realität ist nach wie vor komplex. Junge Menschen sind den nationalistischen Narrativen aus Priština und Belgrad ausgesetzt. Der seit 2013 geführte Dialog hat in den letzten fünf Jahren kaum konkrete Gestalt angenommen. Der politische Diskurs der Machtzentren vertieft die Kluft in Mitrovica, wo Identität oft ausschließlich über die ethnische Zugehörigkeit definiert wird. Hier setzt CBM an.CBM entstand Anfang der 2000er Jahre, als man glaubte, die Spaltung durch schnellen Wiederaufbau und internationale Hilfe überwinden zu können. Die Realität sah anders aus. Während sich die Institutionen veränderten, blieben die Menschen in unsichtbaren Strukturen gefangen. CBM entschied sich von Anfang an für einen anderen Ansatz: nicht durch Projekte, die auf dem Papier gut aussehen, sondern durch authentische, alltägliche Begegnungen. Die Organisation selbst ist das beste Beispiel dafür, dass Zusammenarbeit möglich ist: Seit ihrer Gründung ist sie multiethnisch aufgestellt. „Wir sind in Mitrovica ein wichtiger Faktor aufgrund des Kontextes, in dem wir leben, und der enormen, spürbaren und sensiblen Spaltung, sagt Milivoje Raičević, der Programmleiter von CBM. „Ein Vierteljahrhundert nach dem Krieg arbeiten wir immer noch daran, Kontakte herzustellen und zu pflegen. Wir geben den Menschen Raum, um zu entdecken, dass sie bereits gemeinsame Interessen haben.

Wenn die Politik den Puls bestimmt

CBM arbeitet nicht mit hochtrabenden Parolen, sondern mit beharrlicher, oft unsichtbarer Kraft. Manchmal ist es ein Konzert, manchmal ein Sprachkurs, ein gemeinsames Wandbild oder ein Proberaum für eine Rockband. Oft ist es das erste Mal, dass so etwas überhaupt stattfindet. Einige der erfolgreichsten lokalen Initiativen, wie die Mitrovica Rock School, sind aus solchen kleinen CBM-Projekten hervorgegangen.

Die Arbeit wird jedoch durch die politische Großwetterlage erschwert. Mitrovica ist eine Stadt, über die Hunderte Kilometer entfernt entschieden wird. „Hier spüren wir es zuerst. Jede politische Entscheidung erzeugt Angst und Unsicherheit“, sagt Milivoje. „Es braucht Mut, denn wir arbeiten in einer Stadt, in der jede Begegnung missinterpretiert werden kann.“ Selbst der Standort ihres Büros im Süden wird CBM zum Vorwurf gemacht, eine „südliche Organisation“ zu sein – obwohl sie in allen vier nördlichen Gemeinden tätig ist. Diese Wahrnehmung zeigt, wie tief die Gräben sind.

Wahre Probleme

Studien belegen, was auf der Straße spürbar ist: Junge Menschen sehen im Kosovo kaum eine Zukunft, Nationalismus gehört zum Alltag, und es gibt kaum Arbeitsmöglichkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes. Die wirtschaftliche Realität ist ein aktiver Treiber des Konflikts.

Laut einer Studie der NGO CASA stimmen fast drei Viertel (72,2 %) der serbischen Gemeinschaft und zwei Drittel (66,6 %) der albanischen Gemeinschaft zu, dass niedrige wirtschaftliche Standards direkt zum Konflikt beitragen. Noch wichtiger ist der Konsens über die Lösung: Ganze 83,3 % der Serben und 71,5 % der Albaner glauben, dass eine bessere Wirtschaft zu stabileren Beziehungen führen würde. Was die Politik nicht vermag, könnte die Wirtschaft schaffen.

„Die Wirtschaft ist der konkreteste Weg, Menschen zu verbinden, sagt Aferdita Sulja. „Wenn sie zusammenarbeiten, gemeinsam verdienen und Ergebnisse teilen, verändern sich die Wahrnehmungen. Das ist keine Politik. Das ist Alltag.“ CBM ermöglichte etwa einer serbischen Bäuerin aus dem Norden, die Buchweizenprodukte herstellt, Kontakte zu Unternehmerinnen im Süden zu knüpfen.

Ein symbolträchtiges Beispiel war das Kaffeefestival, das CBM 2022 auf der Hauptbrücke organisierte – auf dem Höhepunkt der Spannungen. Kleine Unternehmen aus Nord und Süd servierten Seite an Seite Kaffee. Drei Jahre später, organisieren CBM mit einem neuen Partner auf der Brücke ein gemeinsames Abendessen. Neu an Bord ist die Cuisine sans Frontieres (CSF).

Das Abendessen im Oktober 2025 schafft eine Wirklichkeit die beide Organisationen mitten auf der gesperrten Brücke ausrichteten. Unter dem Himmel von Mitrovica wurden lange Tische gedeckt. Es gab keine Flaggen, keine politischen Reden, nur lokale Gerichte, zubereitet von Menschen aus Nord und Süd.
„Auf der Brücke, die jahrelang die Trennlinie war, stand an diesem Abend ein Tisch. Menschen von beiden Seiten saßen, aßen, unterhielten sich und lachten. Manche zum ersten Mal, erinnert sich Sulja. In einer Stadt, die von Kälte und Misstrauen geprägt ist, war diese Geste der gemeinsamen Mahlzeit eine revolutionäre Handlung der Herzlichkeit.

CSF ist mehr als ein Projektpartner. „Sie bringen eine Vision, die unsere Arbeit erweitert, sagt Aferdita Sulja, Geschäftsführerin von CBM. „Während wir die Strukturen für den Dialog bauen, bringt die Küche die Seele hinein. Sie sieht das Verborgene – die gemeinsame Sprache des Geschmacks, die jeder versteht. Cuisine Sans frontières bringt die Wärme, die hier fehlt

Die Küche als Labor des Vertrauens

Die Wirkung von „Küche ohne Grenzen“ beschränkt sich nicht auf einzelne Events. In den gemeinsam initiierten Kulinarischen Jugendcamps wird die Küche zum „Labor des Vertrauens“. Junge Serben und Albaner kochen zusammen, tauschen Rezepte aus und stellen fest, wie ähnlich ihre traditionellen Gerichte sind – oft nur unter einem anderen Namen.
„Zum ersten Mal hört jemand, dass es auf der ‚anderen Seite‘ dasselbe Gericht gibt. Plötzlich gibt es Plaudereien, Witze, einen Wettstreit beim Schneiden der Zutaten. Alles andere, alle politischen Trennlinien, rücken in den Hintergrund, beschreibt Sulja den magischen Moment der Verbindung, den Essen schaffen kann.

Was die Politik nicht vermag, kann die Wirtschaft

Die Partnerschaft zielt auf Nachhaltigkeit. Das Potenzial liegt in der Schaffung eines dauerhaften kulinarischen Zentrums, das Ausbildung, gemeinsame Markenentwicklung und gastronomischen Tourismus fördert. „Küche ohne Grenzen kann eine Plattform für Frauen und junge Unternehmer werden“, so Sulja. „Wenn Menschen zusammenarbeiten, produzieren und gemeinsam wirtschaften, entsteht ganz natürlich Vertrauen. Das ist der konkreteste Weg zur Versöhnung.

CBM hat zwei Jahrzehnte lang das Fundament für Vertrauen gelegt. Die Cuisine baut mit ihren Mitteln mit am Haus der Gemeinschaft. Sie verwandelt den abstrakten Dialog in ein gemeinsames Lachen über einen vollen Teller, in die gemeinsame Freude an einem Geschmack. In einer Stadt, die von der Politik oft im Stich gelassen wird, ist diese kulinarische Brücke ein Beweis dafür, dass die menschliche Verbindung am stärksten ist, wo sie am ungekünstelsten und ehrlichsten ist – in der gemeinsamen Freude am Essen.

Solche Momente sind Lichtblicke des Vertrauens. Sie zeigen, dass Zusammenarbeit jenseits der Politik möglich ist und dass die Menschen in Mitrovica letztlich dasselbe wollen: ein Leben in Würde und Normalität, nicht nur das nackte Überleben.

Dieser Artikel erschien erstmals nur im Print des Magazines A-Bulletin in der Schweiz.

Ana Marija Ivković

Ana Marija Ivković ist im Nordkosovo geboren. Seit über einem Jahrzehnt berichtet die Journalistin aus ihrer Heimatregion. Sie begleitet die politischen, sozialen und sicherheitsrelevanten Entwicklungen. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Dialog zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den Bewohnern der geteilten Stadt.
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4 Kommentare

  1. Der Kosovo ist eine von der NATO mit Gewalt erzwungene völkerrechtswidrige Abspaltung von Serbien.
    Wichtige Länder wie Russland, China und auch Indien haben diese völkerrechtswidrige gewaltsam erzwungene Abspaltung abgelehnt. In Europa lehnen Spanien, Griechenland, Rumänien, Slowakei, Zypern, den kosovarischen Separatismus ab.

    Das jetzt auch Overton mit den kosovarischen Separatismus gemeinsame Sache macht zeigt, mit den Völkerrecht nimmt es der Westen und auch Overton nicht ernst.

    Der Kosovo ist ein Kleinstaat der ohne westliche Subventionen nicht lebensfähig wäre. Da kommt ein Hauch von Ukraine auf!

  2. Südlich des Ibar ist es für Serben noch immer lebensgefährlich. Deshalb leben keine mehr dort. Auch die 300000 vertriebenen Nichtalbaner werden wohl kaum in ihre von Albanern gestohlenen Wohnungen und Häuser zurückkehren können. Dazu kommt, das die aus Albanern bestehende „Polizei“ berüchtigt ist für ihre bestialische Gewalt gegenüber Serben.
    Im Jahre 2013 wurde mit der EU vereinbart, im Kosovo eine Interessenvertretung der Serben zu etablieren. Alle albanischen Gruppierungen lehnen das ab. Der albanische Rassismus ist überall zu spüren. So wurden den serbischen Gemeinden im Süden, die immer noch von der Kfor vor dem albanischen Mob geschützt werden müssen, der Strom und das Wasser abgestellt.
    Defakto herrscht im Kosovo eine faschistoid-rassistische Mafia. Die sehr reich mit dem Schmuggel afghanischen Heroin nach Westeuropa wurde. Nachdem die Taliban die NATO aus ihrem Lad vertrieben und den Opiumanbau gestoppt haben, hat sich die kosovoalbanische Mafia auf Kokain und künstliche Drogen spezialisiert…..

  3. Community Building Mitrovica (CBM):
    Hauptfinanzierungsquellen

    1. Internationale Institutionen und Regierungen
    CBM erhält über die Jahre Fördermittel von verschiedenen internationalen öffentlichen Geldgebern, z. B.:

    * Europäische Union (EU) – Büro im Kosovo** – Unterstützung für Projekte wie etwa Wirtschafts- und Unternehmertum-Programme etc.
    * US-Regierung / U.S. Embassy in Kosovo** (z. B. über staatliche Förderprogramme) ([CB Mitrovica]
    * Norwegische Botschaft in Kosovo** – als Projekt- und Unterstützungsgeberin ([CB Mitrovica]
    * Niederländische Botschaft in Kosovo** – ebenfalls als Unterstützerin früherer Aktivitäten

    2. Stiftungen und zivilgesellschaftliche Förderer**
    CBM wurde in der Vergangenheit von verschiedenen Stiftungen unterstützt, z. B.:

    * Mott Foundation** – mehrfache Projekt- und Organisationsförderung in verschiedenen Jahren (z. B. Kapazitätsaufbau, Gemeinwohlprogramme) ([Mott Foundation][2])
    * Kosovo Foundation for Open Society** – als Partner in Unterstützungsnetzwerken

    3. Projektbezogene Fördermittel (Programmfinanzierungen)**
    CBM erhält oft **Projektmittel von Drittmittel-Gebern, die konkrete Programme finanzieren**, z. B.:

    * Global Community Engagement and Resilience Fund (GCERF)** – Finanzierung für Projekte zur Stärkung von Gemeinschaft, insbesondere bei jungen Menschen und Gewaltprävention (in Kooperationsprojekten) ([Kosovo Trustbuilding Platform]
    * USAID (U.S. Agency for International Development)** – über Programme wie *Reconciliation and Conflict Transformation* (in Partnerschaft mit anderen Organisationen)

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