Ein Fußballfan begeistert ganz China

Arbeitersportstadion, Peking
N509FZ, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Ein junger Mann stürmt bei einem internationalen Fußballspiel in Peking den Platz. Sein Auftritt wird zum symbolträchtigen Lauf für die Chinesen.

Am 15. Juni 2023 gab es im Pekinger Arbeitersportstadion ein Freundschaftsspiel zwischen Argentinien und Australien. In der 66. Minute stand es eins zu null für den Weltmeister. Argentinien bekam einen Eckball. Nachdem sich die Spieler beider Mannschaften positioniert hatten, passierte etwas für chinesische Verhältnisse so Unglaubliches, dass den Zuschauern zuerst der Atem stockte: Ein junger Chinese mit dem Trikot von Lionel Messi sprang über die drei Meter hohe Mauer, die die Zuschauer vom Eingangsbereich der Sportler trennt, durchbrach die Verteidigungslinie von mehreren Sicherheitsleuten, rannte zielsicher auf Messi zu und umarmte sein Idol.

Niubi, Niubi!

Um den ihm folgenden Sicherheitsmännern zu entkommen, rannte der junge Chinese erneut los und streckte seine Arme in die Höhe. Der Sicherheitsmann, der dem Fußballfan am nächsten war, stürzte zu Boden. Zwei andere liefen dem verrückten Fan hinterher. Spätestens jetzt begriffen die Zuschauer, was geschah, und feuerten den jungen Mann lautstark an. Während der Flucht vor den Sicherheitsleuten gelang es dem jungen Mann, Torwart Martinez und einen anderen argentinischen Spieler abzuklatschen.

Nach fast anderthalb Laufrunden legte sich der Chinese auf den Rasen und ließ sich von inzwischen acht chinesischen und ausländischen Sicherheitsmännern fangen und überglücklich vom Rasen wegtragen. Dabei zollten die über 50.000 Zuschauer im Stadion dem Jugendlichen den höchsten Respekt und riefen im Chor Niubi (direkt übersetzt: Kuhfotze; für die Pekinger die inoffizielle höchste Anerkennung). Das ganze Spektakel dauerte eine Minute und 17 Sekunden.

Am ganzen nächsten Tag war der Zwischenfall im chinesischen Netz das Thema Nummer eins. Die Begeisterung der Chinesen kannte keine Grenzen. Die Skala der Neider reichte vom “glücklichsten Mann im Stadion” bis zum “glücklichen Mann auf der ganzen Welt”. Tenor: Er tat das, was viele auch tun wollen, sich aber nicht trauen, es zu tun.

Das alles wirkt so surreal. Wir stellen uns China als einen Polizeistaat vor, in dem jeder Schritt eines jeden Bürgers unter Beobachtung steht. Und derjenige, der sich nicht an die Regeln hält, muss mit harten Repressionen rechnen. Und dann verletzt ein junger Mann vorsätzlich und mit sichtlicher Freude alle Regeln, durchbricht alle Sicherheitsfesseln, führt eine ganze Mannschaft von Sicherheitsleuten an der Nase herum und wird auch noch vom ganzen Land bejubelt. Wie ist das nur möglich in China?

Ein Fisch, der aus dem Netz der Vorschriften gefallen ist

Vielleicht gerade deswegen. Der unbedingte Wille, die Rücksichtslosigkeit der Jugend, die Freude des freien Laufs, all das führt Millionen und Abermillionen Chinesen vor, was bei ihnen im tiefsten Innern schlummert. Ein bekannter Influencer auf TikTok bringt es auf den Punkt: “Der Geist des Konfuzianismus führt zum kollektiven Gehorsam. Das macht das Leben der Erwachsenen geordnet, aber auch so fade. Der Junge ist wie ein Lichtstrahl und zeigt uns, was im Leben alles möglich ist.”

Auch ein anderer WeChat-Autor, der sich den Künstlernamen “Junger Mann am Hafen” gegeben hat, kommentierte euphorisch: “Sein Lauf ist wie ein Blitz und erleuchtet den langweiligen Routinealltag vieler Chinesen. Es war zwar sehr kurz, aber es ist passiert. Und wir waren Augenzeugen.”

Ein anderer Autor, der weder Messi-Fan noch Fußballliebhaber ist, gab zu, sich das Video mindestens zwanzigmal angeschaut zu haben. Er zeigt sich beeindruckt und ja, sogar gerührt von dem jungen Mann, der “Mut, Leidenschaft und Freiheitsdrang” gebündelt und zu einem guten Ende geführt hat.

“Die Kinder verbringen die meiste Zeit in der Schule. Nach der Schule warten Hausaufgaben und diverse Kurse auf sie. Im Berufsleben werden wir mit Hausdarlehen, Autodarlehen und Druck am Arbeitsplatz konfrontiert. All das macht aus uns Chinesen Menschen, die sich strikt an die Regeln halten, keinen Schritt weiter wagen, und das Individuum tief begraben. Da wirkt der Junge wie ein Fisch, der aus dem Netz der Vorschriften gefallen ist und alles daransetzt, um seinen Traum zu verwirklichen.”

Viel Lob, wenig Tadel

Auch ein anderer Aspekt wird von vielen Usern hervorgehoben: Chancen warten nur auf gut vorbereitete Menschen. Der leidenschaftliche Fan, der übrigens Di Guanyang heißt, hat sich laut eigenen Angaben seine “Heldentat” wohl überlegt vorbereitet. Die Woche vor dem Freundschaftsspiel trainierte er hart. Fünfmal lief er jeden Tag je 1.000 Meter. Auch holte er sich Informationen bei einem Rechtsanwalt, was ihm schlimmstenfalls drohen würde: Zehn Tage Haft und 500 Yuan Geldstrafe.

Dieses Worst-Case-Szenario ist zumindest am Tatabend nicht eingetreten. Die Sicherheitsleute ließen Gnade walten. Di Guanyang durfte wenige Minuten später zu seinem Platz im Stadion zurückkehren und das Spiel bis zum Ende schauen. Er wurde von den anderen Zuschauern wie ein Held empfangen.

Überhaupt wurden die Sicherheitsleute im Netz auch gebührend gefeiert. Für die User stürzte der eine absichtlich, um den jungen Mann nicht zu fangen. Die zwei anderen, die Di Guanyang über den ganzen Platz jagten, taten dies mit einem Lächeln im Gesicht. User analysierten den Gedankengang der Uniformierten: “Danke, junger Mann, dass wir mitlaufen dürfen.” Der eine drehte sich während der Jagd sogar nach einem argentinischen Spieler um. Ein älterer Sicherheitsmann, der am Rande des Stadions saß, erweckte ebenfalls Aufmerksamkeit der User. Unter seiner Uniform lugte das argentinische Trikot hervor. Ein User kommentierte das entsprechende Foto: “Außen Pflicht, innen Leidenschaft.”

Selbst die Staatsmedien hielten sich bei der Berichterstattung mit dem Tadel zurück. Bei dem Bericht des staatlichen Fernsehsenders CCTV über das Spiel schlich sich sogar ein wenig Anerkennung für den jungen Fan ein: “Der dramatischste Augenblick war sicherlich, als ein Jugendlicher auf den Platz stürmte, Messi umarmte, Martinez die Hand klatschte und schließlich von Sicherheitsleuten vom Platz getragen wurde. Der Weltmeister hat nun die Leidenschaft und ‘Verrücktheit’ der chinesischen Fans kennengelernt.”

Nationalspieler gegen Cash

Genau an diesem Punkt haken nicht wenige User nach. Sie legten Messi einen Satz in den Mund, als der Fußballgott mit einem Lächeln dem weggetragenen Chinesen nachschaute: “Die Chinesen sind ganz schön vernarrt in den Fußball. Warum kommt ihre Mannschaft dann nicht zum WM?”

Das ist für den Autor dieses Textes die schlimmste Wunde und die größte Tragödie der Chinesen. Sie lieben den Fußball – und sie sind so ein großes Volk, 1,4 Milliarden Menschen. Aber daraus lässt sich offenbar keine erfolgreiche Mannschaft bilden, die die WM-Qualifikation schafft. Der Grund ist einfach: Die im ganze Land grassierende Korruption hat längst den Fußball erfasst. Im November 2022 wurde Trainer Li Tie wegen Korruption festgenommen. Immer mehr Details kommen ans Licht. So musste jeder Spieler, der in die Nationalmannschaft aufgenommen werden wollte, drei Millionen Yuan an Li Tie persönlich entrichten. Geld ersetzte Talent als Voraussetzung.

Zurück zu Di Guanyang. Im Laufe des Tages danach gab die Polizei bekannt, Di festgenommen zu haben. Wie hoch die Strafe ausfällt, ist noch unbekannt. Nur eine Strafmaßnahme wurde genannt: In den kommenden zwölf Monaten muss er jedem Fußballspiel fernbleiben. Die User (und wahrscheinlich auch Di selbst) nehmen es mit Humor: “Kein Verlust, Spielen mit chinesischer Beteiligung fernzubleiben.”

Und wer weiß, ob Di selber nicht eines Tages ein Fußballspieler werden wird. Seine Laufgeschwindigkeit und sein taktisches Vermögen, die Sicherheitsleute zu täuschen, haben sicherlich nicht nur die User inspiriert.

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14 Kommentare

  1. Ein bisschen Spaß muß sein

    Warum ist diese nette Sache Overton überhaupt einen Artikel wert?

    Wollt ihr den halbchinesischen Autor ein bißchen Arbeit/Geld verschaffen? Da gäbe es doch interessantere Dinge aus China zu berichten?

    1. Was stört Sie so sehr an “Halbchinesen”?
      Sind Vierteljapaner oder Achtelfranzosen eine bekömmlichere Portion für Sie als Volldeutsche(n)?

    2. Ach komm. In Zeiten, wo sich junge Männer zu tausenden umbringen mal zu lesen, dass einfach jemand umarmt wird, tut gut. Mir jedenfalls.
      Habe es gern gelesen und wenn ich der einzige Mensch wäre, für den es zuträfe – was ich mal nicht glaube – wäre es auch ok.
      .

  2. Wow! Toll! Alles wird gut!

    Nachdem unsere Freiheit und die regelbasierte Ordnung schon am Hindukusch und jetzt in der Ukraine so überaus erfolgreich verteidigt wurden/werden können ‘wir’ ja jetzt chinesische Fußballfans engagieren, die diesen Job (sozusagen proxy-mäßig) in Peking übernehmen.

    Ich schließe mich Bella an. Overton ist auch ohne Guan Xin ganz gut.

  3. Im Berufsleben werden wir mit Hausdarlehen, Autodarlehen und Druck am Arbeitsplatz konfrontiert. All das macht aus uns Chinesen Menschen, die sich strikt an die Regeln halten, keinen Schritt weiter wagen, und das Individuum tief begraben.

    Hmm. Jetzt kommen mir die Chinesen irgendwie ganz vertraut und heimelig vor …

  4. Wie würde solch’ Aktion in einem deutschen Stadion bewertet werden? Müsste die Hausmannschaft jetzt Strafe zahlen? Oder der Stadionbetreiber? Müßten jetzt die Sicherheitsbestimmungen überarbeitet werden?

    Tut mir Leid. Was China und dortige Vorkommnisse betrifft, ist Autor Guan Xin ein Ekelpaket: einseitig und voreingenommen, undifferenziert, mitunter fast schon verleumderisch.

    Keine Ahnung, warum ihm hier solch ein Podest gegeben wird. Vielleicht Meinungsvielfalt “erhalten”, das wäre sogar okay. Aber ansonsten ist dieser Autor – ähm, ich sage mal – gewöhnungsbedürftig.

    Für mich kein Problem dieser Mensch. Es gibt so viele bessere Artikel als die seinen (selbst in der NYT oder in der WT – und das will erst einmal erreicht werden).

    1. Vielleicht sind seine Artikel chinesisch subversiv?
      Er fragte wie es sein kann, das ein 1,4 Mrd Volk nicht fähig ist, sich für den internationalen Bereich zu entwickeln. Dann schließe ich daraus, das China sich nicht noch mehr Probleme zur Korruption seitens FIFA/UEFA und andere Organisationen aussetzen möchte.
      Das Politikum in sämtlichen Sport Organisationen wird doch deutlich seit 2014 kommuniziert!
      Eine komplette Unterwanderung durch Korruption.

  5. Was gibt’s denn da zu lachen? Da sieht man doch, was das für eine Diktatur ist. Wäre das in der wertegeleiteten Demokratie Deutschland passiert, dann wäre demonstriert worden, wie solche Vorfälle abgewickelt werden, ohne die geringste Heiterkeit aufkommen zu lassen:

    ADAC: wie sicher sind unsere Stadien?
    Bild: Bub (11) hätte von Al Quaida sein können
    Franz Beckenbauer: DFB-Vorstand muss zurücktreten
    taz: erster Fall von nichttoxischer Männlichkeit in einem Stadion. Die Redaktion wird Stellung nehmen
    Apotheken-Rundschau: Erschöpfungszustände nach Klettertouren: die neue Volkskrankheit. Climbomax 1000 Stück 29,99 Euro
    Junge Freiheit: Stadien kaum sicherer als Außengrenzen
    Pistorius: Leopard-Panzer zum Schutz des Spielfeldes stehen derzeit nicht zur Verfügung
    EIKE: Rasen war saftig grün. Klimalüge entlarvt
    die Basis: Great Reset kurz vor dem Abschluss
    Baerbock: die Sanktionen wirken

    Das müssen die Chinesen noch lernen: Demokratie nach deutschem Vorbild bedeutet zuerst mal die Schaffung einer humorfreien Zone.

  6. Ich sag mal, bevor ich mich der These anschließe, dass Korruption für die chinesische Erfolglosigkeit verantwortlich ist, möchte ich noch eine zweite Meinung hören. Ist Korruption nicht eher Voraussetzung für Erfolg im Weltfußball?

    Ich erinnere mich an ein Interview mit einem Manager von Siemens, der lange in China arbeitete. Ich glaube fast, dass es auf tp war. Der war der Überzeugung, dass die Chinesen alles erreichen, wenn sie es sich ernsthaft vornehmen. “Die würden auch Fußball-Weltmeister werden können”

  7. Hier in Europa tobt ein Krieg, der leicht zum atomaren Weltkrieg ausufern kann. Freilich sieht die Mehrheit der Westler diese Gefahr nicht, die chinesische Regierung schon. Im Grunde kann es in der derzeitigen Lage den Leuten im Westen völlig egal sein, wie sich der Weltfußball entwickelt, ein winziges Randproblem, nicht der Rede wert!

    Und da berichtet uns ein Westblocker aus China über eine nette Spaßeinlage in einen chinesischen Fußballstadion!

    Ich kann nur sagen, glückliches China, wenn es dort keine größeren Probleme gibt!

    In diesen Sinne bitte ich Overton doch bitte diese Quatschberichterstattung einzustellen.
    Die Welt steht vor wichtigeren Problemen, über die die Foristen hier gerne diskutieren möchten.
    Wenn ein Sack Reis in China umfällt ist das nett, aber nicht der Rede wert!

  8. Ein weiterer Propagandaartikel ohne das geringste Gefühl für China, nur geeignet, Vorurteile und Antikommunismus zu pflegen.

    牛屄 niúbī ist in der Tat fester Bestandteil der chinesischen Umgangssprache, und bedeutet wörtlich in der Tat Kuhpussy (bzw. weibliches Genital), und wird gebraucht wie, sagen wir, affengeil bei uns. Es gibt weitere Formen wie 装屄 zhuāngbī (Pussi im Mantel) für Poser, Angeber, und das unvermeidliche 傻屄 shǎbī (dumme fut). Alle Begriffe werden für beide Geschlechter benutzt, haben also mit dem biologischen Geschlecht des angesprochenen Organs nichts zu tun.

    Wen chinesische Alltags- und Vulgärsprache interessiert, dem sei Evelyne Chaos “Niubi! The real Chinese you were never taught in School”, London 2009, ISBN 978-1-101-14930-0 empfohlen. Chao behandelt das Thema mit dem Einfühlungsvermögen, das diesem Autor komplett abgeht.

    Ich finde seine Beiträge lästig und ärgerlich. Zum Verständnis Chinas trägt er Null bei.

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