»Du hast so traurige Augen«

Alte Bäume, Allee
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Aufgewacht in einer anderen Welt, denn plötzlich geschah etwas, mit dem ich nie gerechnet hatte – und doch immer Angst davor hatte. Wahrscheinlich auch Sie. Krebs.

Seit ein paar Jahren, seit ich Rentner bin, antworte ich auf die Frage „wie geht es dir“ stets: „So gut wie seit meinen Kindertagen nicht, keine blöden Konferenzen mehr, keine Begegnungen mit eitlen Politikern und machtversessenen Wirtschaftsbossen mehr, meist also mit Menschen, die primär nur an sich interessiert sind, bei denen sich fast alles um diese Fragen dreht: ,Wie war ich? War ich gut?‘“ Aber stets machte ich bei meiner fröhlich-heiteren Antwort diesen Zusatz: „Alles kann sich ändern, von einem Tag auf den anderen, alles ist möglich.“

Nun etwas Persönliches, es ist tief in mir, Tag und Nacht, ich bin mir unsicher, ob ich es mit Ihnen teilen soll oder nicht? Warnung: Es wird traurig.

Nicht mehr Herr im eigenen Haus

Neulich war ich auf dem Weg zum Arzt, ich traf vor der Praxis einen alten Kollegen, und der fragte mich, wir hatten uns lange nicht gesehen, wie es mir so gehe. Meine Antwort, siehe oben.

80 Minuten später, nach der ärztlichen Untersuchung, bin ich, um Annalena Baerbocks Worte zu benutzen, in einer anderen Welt aufgewacht. Diagnose: Darmkrebs.

Vor vielen Jahren habe ich den Kinderpädagogen Wolfgang Bergmann zu einem Gespräch getroffen, er hatte Knochenkrebs im Endstadium, es war ein offenes, freimütiges, mich damals sehr erschütterndes Gespräch, das unter dem Titel „Gibt es am Ende nur einen Schrei?“ erschien.

„Ich akzeptiere“, sagte er, der vom nahen Tod gezeichnet war, bloß noch kaum hörbar reden konnte, „dass ich nicht mehr, wie Freud es nennt, ,Herr im eigenen Haus‘ bin. Bis vor Kurzem war ich noch einer der angesehensten Kinderpädagogen in diesem Land. Ein gefragter Mensch. Erfolgreich. Verblüfft blicke ich auf diese Zeit zurück, staune, was mir alles wichtig war, und wie unwichtig nun alles ist.“

Auch ich schaue nun verblüfft auf jene unbeschwerten Tage zurück, die gar nicht so lange her sind und mir jetzt doch fast irreal vorkommen. Neulich noch unbeschwert im Main geschwommen, neulich noch unbeschwert …

Unbeschwert? Dieses Gefühl ist für mich Vergangenheit. Terror des Zufalls, Diagnose Krebs, die Leichtigkeit ist dahin.

Das Leben kann so schön sein

Nochmals Bergmann: „Der Mensch ist ja zum Quietschen komisch. Er braucht gar nicht viel. Ich hab alles hinter mir gelassen, Bücher, Praxis, Wohnung – ohne Bedauern. Nun liege ich hier. Ich atme, ich spüre die Luft, ich freue mich, wenn die Sonne scheint, ich ärgere mich, wenn ich einen Tropfen auf die Nase kriege.“

Bin ich seit meiner Diagnose ein anderer Mensch geworden? Du hast so traurige Augen, sagte vor Kurzem jemand zu mir. Ich versuche meinen Zustand, meine latente Traurigkeit zu verbergen, es gelingt offenbar nicht. Dass mir auch noch eine wichtige Sehne im Fuß gerissen ist – gestern hätte mich das überaus geärgert, heute ist der schmerzhafte Abriss ein fast willkommenes Ablenkungsprogramm.

Während ich das hinschreibe, wird eine Studie in Hamburg bekannt: 15.000 Menschen erkranken jedes Jahr in Hamburg an Krebs, etwa 100.000 Menschen in der Stadt leben mit der Krankheit. Und: Jeder zweite Bundesbürger bekommt in seinem Leben irgendwann eine Krebsdiagnose.

Es gibt kein Menschenrecht auf ewige Gesundheit, aber: Ich, für mich, hoffe natürlich, so wie ich es für alle Kranken erhoffe: Dass ich wieder gesund werde. Dass es so wird wie früher.

Das Leben kann so schön sein – für ein paar Jahre durfte ich es, siehe oben, sehr schön genießen.

 

Kurz nach meiner Krebsdiagnose, vor knapp sieben Monaten, habe ich diese Zeilen geschrieben. Ich konnte sie damals noch nicht veröffentlichen. Ich war zu verunsichert. Aber aus ihnen entstand mein Buch „Rauhnächte“ – mit meinen Innenansichten, meinen Albträumen, meiner Sehnsucht nach Leben. Es ging in „Rauhnächte“ aber plötzlich um viel mehr als das persönliche Drama: um diese zerrissene, malträtierte Welt. Die so schön sein könnte, wenn, zum Beispiel, die Regierenden nicht …

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2 Kommentare

  1. solange du nicht weist das du angeblich Krebs hast , geht es dir gut. Den Blödsinn das das 100 000 mit der Krankheit leben glaube ich nicht. Lügen.
    nur 2% der mit Chemotherapie behandelten sind Langzeitüberlebende….
    Ich habe ich chronische Halserkrankung, seid 3 Jahren. Vor zweieinhalb jahren hat mir ein Arzt gesagt es wäre wohl Kehlkopfkrebs. Bevor er nicht den Bericht der Blutuntersuchng hat wollte er auch nicht weiter nachsehen.
    Ich habe den Schein für die Blutuntersuchung zerrissen und bin nicht wieder hingegangen.
    kann sein das ich bald sterbe. Doch das kann jedem jeden Tag passieren.
    Mir geht es gut. ich genieße mein leben und würde niemals einer Chemo oder Operation zustimmen.(Ich war in meinem leben keine 10 mal bei einem Arzt, wozu auch ich bin für meine Gesundheit verantwortlich und nicht irgendein Quatschkopf im weißen Kittel))
    Bis auf zwei Menschen sind alle die ich kenne nach der Operation/Chemo gestorben.
    Besser schnell sterben als dieses Drama für sich selbst und vor allem für meine Lieben zu ertragen.
    Und das leben meiner zwei Freunde (ein Ehepaar) das nun ca 15 Jahre überlebt hat zu leben hätte ich auch keine Lust, das was die erlebt haben wünscht niemand seinem besten Feind.
    Der Beruf des Arztes wird maßlos überschätzt.
    Und was sie sagen ist meistens nicht das Papier wert auf dem sie es aufschreiben.
    Dabei habe ich auch gute Erfahrung mit Ärzten gemacht. Ich hatte mal Tuberkolose die haben sie geheilt…..mit Penezellin und viel Ruhe. Viel mehr haben die praktischen auch nicht zu bieten.
    wozu ich das nun aufschreibe weiß ich auch nicht, interessiert ja sowieso niemanden.
    schöne Feiertage wünsche ich euch
    bonnie

  2. Ein sehr persönlicher Text, der den eigenen “Ego” vor Augen führt, wie schnell sich ein ‘Blatt’ wenden kann…
    Ihre Zeilen lieber Herr Arno Luik, erinnert mich an die letzten Wochen meiner Mutter…

    Damals hatte ich unter den gegebenen Umständen gelitten, bis ich eines Tages, mit einem Gespräch durch Buddhistischer Mönche lernte:
    Ich muss vergeben und verzeihen können, um mein eigenen Frieden zu finden

    So habe ich mit mir selber gekämpft, um zu erkennen : Das ich gehen lassen muss, auch wenn ‘Es schmerzlich’ ist.
    Das zusammentreffen mit den ‘Mönchen’. Ich fuhr von der Arbeit über Feldwege zurück nach Hause (in D), fuhr an den fremdlichen ‘Gestalten’ vorbei, nach ca. 1KM drehte ich um.
    Schnurstracks zu den zwei Personen und fragte: Haben Sie Zeit für ein Gespräch?
    Die Antwort war, ja, haben wir. Meine nicht adequate Kleidung, gab mir im Vorfeld ein gehämmtes Selbstbildnis… Egal, da muss ich durch…
    Nach der Vorstellung was ich besprechen möchte mit diesen Herren, stellte sich heraus :
    Ich hatte vor mir einen Lehrer mit seinem Studenten, und danach im Gespräch haben diese zwei Leute mich über 2 Stunden bearbeitet mit einem Hammer und einer Feile.
    Aufgrund, das wir uns nicht kannten, war die ‘Wahrheit um so bitterer’ und musste feststellen : Ich kann nicht andere ‘nahestehende Menschen’ ändern, aber ich kann mich ändern um andere Menschen zu helfen.
    Ich möchte Ihnen Herr Luik nicht zu nahe treten, aber ich wünsch Ihnen den Frieden für sich selbst diesen zu finden. Friede ist ein Teil vom erblicken dieser Welt und bis auch zum Tod.
    Das meine ich nicht böse, das ist eines jedem Menschen menschlichen Bestandteil.
    Liebe Grüße an Sie Herr Luik und natürlich auch an die Familie

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