Der grassierende Corona-Humor im Reich der Mitte

Skyline von Peking.
N509FZ, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Endlich hat China eine harmlosere Virologen-Variante entdeckt und lässt von der Null-Covid-Strategie ab.

Die erste Dezemberwoche 2022 wird in die Geschichte Chinas eingehen als die Trennlinie zwischen der strikten Null-Covid-Politik und der totalen Kapitulation vor Omikron. Die Zeit der endlosen Corona-Tests, Sperrung ganzer Wohnblocks und des Baus von immer mehr Fangcang-Krankenhäusern für positive Fälle ist für immer vorbei. Der Staudamm, der immer höher gebaut wurde, hielt der Flut nicht stand. Nun brechen die Wellen herein und treffen völlig unvorbereitete Menschen.

Statt in Panik zu geraten, haben die Chinesen eine erstaunliche Portion Humor an den Tag gelegt und lachen dem Virus ins Gesicht. “Früher fragten sich die Chinesen zum Gruß: Schon gegessen? Heute heißt es: Schon positiv getestet?” “Wer keinen positiven Fall kennt, hat definitiv den falschen Freundeskreis.” Das waren die Sprüche, die in den ersten Tagen nach der Aufgabe der Null-Fälle-Politik in den WeChat-Gruppen kursierten. Inzwischen befinden sich die Chinesen in der Phase, in der sie ihren heldenhaften Kampf gegen das Virus in allen Farben und Details beschreiben. “Nur wenn ein neues iPhone das Licht der Welt erblickt, ist das Grad an Erregung ähnlich hoch”, schreibt ein User.

38,6 Grad in Peking

Nicht alle prahlen mit ihrer Infektion, ein User fasst den Unterschied zwischen den drei Metropolen Kanton, Shanghai und Peking zusammen: “In Kanton wird man in aller Stille positiv; in Shanghai spricht man nicht über den eigenen Infektionsstatus, es ist schließlich rein privat; die Pekinger hingegen posten Fotos vom Fieberthermometer und Testergebnis: Schaut her, hohe Körpertemperatur und zwei Striche! Bin ich nicht toll?”

Und die Pekinger wärmen einander mit ihrem Fieber: “Draußen ist es gerade minus fünf Grad. Die Durchschnittstemperatur der Pekinger beträgt 38,6.” “Nun haben wir endlich die volle Freiheit. Warum sind die Straßen so leer? Weil ein Drittel 38,6 Fieber hat; das zweite Drittel Medikamente gehortet hat und auf 38,6 Grad wartet; und weil das letzte Drittel das erste Drittel gerade pflegt.“

Humor stärkt bekanntlich die Widerstandskraft. Und die haben es die Hauptstädter bitter nötig. In der dritten Dezemberwoche haben gefühlt 80 Prozent der Einwohner bereits die Bekanntschaft mit Omikron gemacht. Ein User aus Peking schreibt: “Drei Jahre haben wir gerufen: Wuhan jiayou (Gas geben)! Shanghai jiayou! Zhengzhou jiayou! Das Virus wurde uns immer näher. Nun wissen wir: Wir sind die Finalisten! Peking jiayou!”

“Wir nehmen uns endlich das, was uns drei Jahre lang vorenthalten wurde”, kommentiert ein anderer nicht ohne Sarkasmus. Noch ein anderer gibt sein Anti-Virus-Geheimrezept bekannt: “300 Gramm Schnaps, 300 Gramm Erdnüsse, ein Teller Rindfleisch, ein Teller geräucherter Ente. Zweimal am Tag, sieben Tage. Die Wirkung ist am besten, wenn das alles mit Maotai (der beste und teuerste Schnaps Chinas) runtergespült wird.” Das Rezept scheint breite Zustimmung gefunden zu haben. Die Maotai-Aktie steigt und steigt.

Der letzte Eunuch

Das Wort “positiv” ist auf Chinesisch “yang”, während “yin” für negativ steht. So hat sich das Yin-Yang-Wechselspiel unweigerlich ins Metaphysische hineingesteigert. “Omikron kennt keine Logik. Wer kennt nicht solche Fälle: Jemand, der jeden Tag mit der U-Bahn fährt und im Restaurant speist, wird nicht positiv; ein anderer hockt zu Hause und zieht sich Schutzkleidung an, wenn er den Müll runterbringt, und wird positiv. Die Noch-Negativen begegnen ihren positiven Freunden und Kollegen im WeChat mit ein bisschen Neid, in der Freude über den eigenen Negativ-Status mischt sich etwas Enttäuschung mit”, heißt es in einem philosophischen Text, der inzwischen Kultstatus erlangt hat.

“Es fühlt sich genauso an wie wenn der Schneider Dir sagt, dass Deine Hose heute reißen wird und Du den ganzen Tag ein bisschen Wind am Popo spürst und dabei nicht weißt, ob die Hose bereits gerissen ist oder nicht”, schreibt der Autor weiter. “Das Virus ist gekommen, um mit allen Regeln zu brechen. Es lässt Dich leiden und bringt Dir bei, dass Du nicht leichtgläubig sein darfst, sondern Deine eigenen Erfahrungen sammeln musst. Schließlich ist jeder Verlauf anders.”

Das Virus ist nicht nur willkürlich und launisch, es zeigt oft auch seine humane Seite, findet ein User: “Oft legt es drei einer vierköpfigen Familie lahm und lässt einen einzigen in Ruhe, damit er für die anderen kocht.” Manchmal ist die Negativ-Positiv-Teilung pädagogisch wertvoll: “Wir beide Elternteile liegen fiebrig im Bett, während unser Pubertier, das uns sonst täglich auf die Palme bringt, liebevoll für uns sorgt.”

Wie in dieser Familie kann sich auch sonst die Welt schnell ändern. Ein arbeitsloser Chinese hat sich gerade als Corona-Tester, der sicherste Beruf in den letzten Jahren in China, ausbilden lassen. Schon am nächsten Tag wurde das Vorzeigen des Testergebnisses abgeschafft und ein Großteil der Teststationen geschlossen. Der arme Schlucker schrieb auf Weibo, dem chinesischen Pendant zu Twitter: “Ich fühle mich wie der letzte Eunuch, der am Tag nach seiner Kastration das Ende der Monarchie erleben musste.” Mit diesem Tweet ist auch das Ende der goldenen Zeit für die Testfirmen besiegelt, die sich dumm und dämlich verdient haben.

Neue Virologen-Variante

Mit dem Aus für die Testfirmen ist aber der Anfang für den wirtschaftlichen Aufschwung eingeläutet, hoffen zumindest die Chinesen. Die arbeitslos gewordenen Tester können sich in der realen Wirtschaft bewerben, vorausgesetzt, sie sind schon positiv gewesen. Das steht tatsächlich in etlichen Stellenanzeigen. Die Angst der Chefs ist nicht unbegründet, dass der neu Eingestellte sofort in den Strudel des Infektionsgeschehens eingesogen wird und für ein paar Tage ausfällt.

Kreativ zeigen sich auch die Kinobesitzer, die zu den größten Corona-Geschädigten gehören und nun keine Lust verspüren, die gerade gewonnene Freiheit ungenutzt zu lassen. Sie teilen die Vorstellungen in positiv und negativ ein, also eine Vorstellung für alle positiv Gewesenen und die nächste für auf positiv Wartende. Dass jeder mal drankommt, da sind sich die Chinesen ganz sicher. Viele fragen sich: Wenn die Durchseuchung unvermeidlich ist, wozu dann die monatelangen Lockdowns in diesem Jahr?

Derweil schreiben sich die Journalisten der staatlichen Medien die Finger wund, dass Omikron eigentlich harmlos ist und der Verlauf dem einer Grippe ähnelt. Also genau das Gegenteil von dem, was sie gestern noch behauptet haben. Ebenso ungeniert agieren die Virologen. Ein User schreibt: “Das Virus ist das alte geblieben. Es gibt nur eine neue Variante der Virologen.”

Der Humor oder der Galgenhumor haben sogar das staatliche Gesundheitsamt angesteckt. Vor ein paar Tagen gab es den Bürgern einen freundlichen Tipp: “Man wird auch genesen, ohne die Infektion im Freundeskreis bekanntgegeben zu haben.”

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5 Kommentare

  1. Ich sehe das Aufheben der Corona „Sanktionen“ im China wie einen Startschuss.
    Alles kann den Funktionären vorgeworfen werden, nur nicht das sie Idioten sind. Sie haben es drauf, vorausschauende Politik zu machen.
    Ich könnte mir vorstellen, dass die Maßnahmen zu Corona nur sehr wenig mit Corona zu tun hat. Es gab einmal die Anweisung und alle habe sich daran gehalten und der Westen hat genörgelt wie immer. Chinesische Impfstoffe haben sie aber nicht zugelassen.
    Jetzt, nachdem heraus ist, dass es im Western nur um Geldschneiderei und sonstige Verlogenheit gegangen ist, öffnen die Chinesen die Tore ohne die Verwerfungen wie in der EU. Dabei können sie auch noch Witze machen, wie der Autor schreibt. In Europa werden Psychologen gesucht.
    Die Wirtschaft soll in Europa wieder anlaufen und die Chinesen stehen „Gewehr bei Fuß“. Die Hilfe der USA für China, indem sie Subventionen für Firmen, die nach den USA kommen, wird erhebliche Verwerfungen zwischen Europa und den USA hervorrufen.
    Ohne es zu vertiefen, ich meine, es ist mehr als „nur“ das Virus.

  2. Auf jeden Fall zeigt so ein Bericht, dass China viel lebendiger, menschlicher und bunter ist, als es die übliche TV-„Dokumentation“ verklickern will (heut morgen kam wieder eine, ich habe dann schnell abgeschaltet). Neulich schrieb jemand in einem Forum, dass der chinesische Staat seine Bürger wie Tiere behandele. Jemand, dessen Leben komplett in die Bildzeitung eingewickelt und der zu bemitleiden ist. Leider steht dieser Jemand nicht allein, sondern hat Millionen Mitläufer – dank funktionierender Hetzmedien.
    Nb.: Der Wolkenkratzer oben im Bild (108 Stockwerke) wurde 2017 vollendet und steht seitdem leer. Auch eine Lösung.

    1. Es gibt immer öfters andere Artikel. Dann kannst du die Fallhöhe der Berichterstattung erst beurteilen. In Deutschland kann China es machen, was es will, es wird immer im Fettnäpfchen stehen. Die Zeit wird zeigen, wo die mit ihrer Propaganda bleiben.
      https://www.jungewelt.de/artikel/print.php?id=440375
      https://merkurist.de/mainz/gastbeitrag-aber-china-bringt-unser-klimaschutz-ueberhaupt-etwas_92i

      https://merkurist.de/mainz/gastbeitrag-aber-china-bri

      1. Immer öfter – egal was das heißen soll – ist stark übertrieben. Deswegen benutzte ich „übliche“. Damit ist klargestellt, dass es schon Unterschiede gibt.

  3. […] Wenn man auch nur eine grobe Ahnung hätte, wie zeitaufwändig eine derartige Zensurmaßnahme schon rein technisch wäre, was man bei Angestellten der ARD eigentlich voraussetzen sollte, hätte diese Meldung eigentlich Skepsis auslösen müssen. Auch kann man sich fragen, auf welchen zwei unabhängigen Quellen eine derartige Nachricht beruhen könnte. Noch schwerwiegender war jedoch die Tatsache, dass die Übertragungen im chinesischen Fernsehen und in der ARD-Mediathek praktisch synchron liefen und, natürlich, in beiden jede Menge unmaskierte Fans zu sehen waren. Von der vermeintlichen Zensur also keine Spur.Die andere Beobachtung bezieht sich auf die Berichte über Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen in China. […]

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