Vor Aldi-Filialen baumeln Strohpuppen an Laternenmasten. Diesmal wird keine Milch ausgeschüttet oder verschenkt, dieses Mal geht es um die Wurst. Protestiert wird gegen den Preisverfall von Schweinefleisch. Wer konventionell Schweine mästet, muss derzeit jedem Tier, das zum Schlachter fährt, knapp 50 Euro mitgeben. So hoch ist der Verlust. Viele Betriebe stehen vor dem Aus.
Auch deshalb fährt der Arbeitskreis bäuerliche Landwirtschaft (AbL) eine Kampagne zum Wahlkampf: Für eine Agrarpolitik, bei der jeder Hof zählt! „1,25 Euro für das Kilo Schweinefleisch, 35 Cent für den Liter Milch – die Erzeugerpreise für Bäuerinnen und Bauern haben nichts mehr mit Kostendeckung und Gewinnerwirtschaftung zu tun. Sie sind strukturzerstörend und würdelos“, sagt AbL-Geschäftsführer Georg Janßen. Der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft indes ist Schweinehalter und zeigt, wie es mit fairen Preisen geht.
Neuland
Martin Schulz bewirtschaftet im niedersächsischen Wendland 120 Hektar Ackerfläche und Grünland und hält 900 Schweine. Er bekommt nicht die derzeit am Markt bezahlten 1,25 Euro für das Kilo Schweinefleisch, sondern 2,23 Euro, denn sein Betrieb gehört zu Neuland. Das ist ein 1988 gegründeter „Verein für tiergerechte und umweltschonende Nutztierhaltung“. Getragen wird der Verein, der ein eigenes Markenfleischprogramm aufgebaut hat, von drei der Gründungsmitglieder, dem Bund für Umwelt- und Naturschutz, dem Deutschen Tierschutzbund und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Neuland orientiert seine Preise an den Bedürfnissen der Höfe, nicht am Weltmarkt und nicht an dem, was die Schlacht-Konzerne und Lebensmittelketten diktieren. Dabei ist Neuland eine „konventionelle“ Fleischmarke. Neulandhöfe wirtschaften nicht biologisch, was auch historische Gründe hat. Als der Verein gegründet wurde, hatten die meisten Bioverbände noch gar keine Richtlinien für die Tierhaltung erarbeitet.
Martin Schulz ist nicht nur AbL-Bundesvorsitzender, sondern auch einer der Geschäftsführer der Neuland-Vertriebsgesellschaft Nord. „Im Moment profitieren wir davon, dass wir eine Nische sind und die Nachfrage größer ist als das Angebot“, sagt er. Die Metzgereien, die Neuland-Fleisch verkaufen, hätten gerne mehr davon. Aber nicht einmal fünf Prozent der Schweine werden in der Weise artgerecht gehalten, wie das Neuland schon lange definiert hat: auf Stroh, mit Tageslicht im Stall, mit ganzjährigem Auslauf nach draußen. Und übrigens auch mit Ringelschwanz, denn das Kupieren ist verboten. Auf solch eine Haltungsform kann ein Hof, der ein paar tausend Schweine in dunklen Ställen auf Spaltenböden hält, nicht mal eben rasch umstellen. Schon gar nicht, wenn die Ställe noch nicht abbezahlt sind und Kredite auch nicht abgelöst werden können, weil die Schweinehaltung derzeit ein Verlustgeschäft ist.
Höfesterben
Betriebe, die nicht allein von der Schweinehaltung abhängig sind, könnten eine Preiskrise wie die derzeitige überstehen, wenn die anderen Betriebszweige die Schweine eine Weile lang subventionieren. Leider hat die Spezialisierung der Höfe in den letzten Jahrzehnten aber dazu geführt, dass es sehr viele Betriebe gibt, die sich stark auf die Schweinehaltung konzentriert haben. Außerdem ist diese Branche noch einmal unterteilt in Mastbetriebe und sogenannte Ferkelerzeuger, denen es derzeit noch schlechter geht. „Wenn diese Betriebe jetzt keine Reserven haben, müssen sie relativ schnell die Notbremse ziehen und aufhören“, sagt Schweinehalter Martin Schulz. „Diese Höfe verlieren wir!“ Die Schlachtkonzerne und Lebensmittelketten, die im Moment gut verdienen, weil sie billig einkaufen, müssten sich die Frage stellen, ob sie nicht gerade Strukturen zerstören, die noch gebraucht werden. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sagen immer, wenn sie in Umfragen gefragt werden, sie wollten wissen, wo die Tiere herkommen, deren Fleisch sie essen. „Wenn die Schweinezüchter in Deutschland jetzt aufgeben müssen, kommen die Ferkel aus Holland oder Dänemark. Und das muss der Lebensmittelhandel seinen Kundinnen und Kunden dann erklären.“
Martin Schulz schlägt vor, dass nicht die Höfe die Notbremse ziehen, sondern die Konzerne. Die Schlachtkonzerne und Lebensmittelketten sollten sich mit Bäuerinnen und Bauern an einen Tisch setzen und sich auf einen Mindestpreis für Schweinefleisch einigen, der das Höfesterben verhindert. Erste Ansätze dazu gibt es. Nach Rewe und Edeka hat jetzt auch Kaufland, wie Lidl eine Tochter der Schwarz-Gruppe, angekündigt, einen Mindestpreis von 1,40 Euro pro Kilo Schwein zu zahlen. Das ist kein auskömmlicher Preis für die Mastbetriebe, auch kein Verhandlungsergebnis, sondern eine einseitige Ankündigung, die Bäuerinnen und Bauern vielleicht auch nur dazu bringen soll, woanders zu demonstrieren. „Wir haben in Deutschland eine starke Konzentration sowohl bei den Schlachthöfen, als auch beim Lebensmitteleinzelhandel“, sagt Martin Schulz: „Das sind Oligopole. Die können ihre Marktmacht dazu benutzen, die Preise zu diktieren und die Bauern zu ruinieren. Sie könnten sie aber auch dazu nutzen, faire Preise durchzusetzen und die Produktion in Deutschland zu halten.“ Das wäre eine schnelle und pragmatische Lösung der Preiskrise und die einzige, die ein weiteres großes Höfesterben verhindert.
Umbau
Eine politische Lösung wäre natürlich auch möglich, aber nicht mehr mit der derzeitigen Bundesregierung. Die amtierende Bundeslandwirtschaftsministerin hat ausgiebig bewiesen, dass sie über Ankündigungen nicht hinauskommen will. Und auch Barbara Otte-Kinast, die Landwirtschaftsministerin des Schweinelandes Niedersachsen, hat mit einem eilig einberufenen „Schweinegipfel“ lediglich gezeigt, dass politisch gerade nur Appelle möglich sind. Das war der Versuch, im Wahlkampf so etwas wie Aktivität vorzuschützen. Schon Ende vergangenen Jahres hatte die Ministerin Krokodilstränen vergossen, als sie im Landtag von der Situation der Schweinehalterinnen und -halter berichtete. Seitdem ist nichts besser geworden.
Allerdings gibt es inzwischen mehr Papier zum Thema. Das „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“, eine von der Bundesregierung einberufene Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundeslandwirtschaftsministers Jochen Borchert, hat seinen Abschlussbericht vorgelegt. Ebenso die „Zukunftskommission Landwirtschaft“ den ihren. An Konzepten für den Umbau der Nutztierhaltung fehlt es nicht in Deutschland. Es könnte nur sein, dass es an den Höfen fehlt, wenn dann wirklich etwas umgesetzt werden soll, vielleicht sogar von der nächsten Bundesregierung. „Wenn der Schweinepreis längere Zeit bei 1,25 Euro bleibt, verlieren wir so viele Betriebe wie lange nicht mehr“, sagt Martin Schulz. Dann hätten die Konzerne erreicht, was niemand will, selbst sie nicht.
Empfehlungen der Borchert-Kommission zum Umbau der Nutztierhaltung: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Nutztiere/200211-empfehlung-kompetenznetzwerk-nutztierhaltung.pdf?__blob=publicationFile&v=1
Arbeitskreis bäuerliche Landwirtschaft: https://www.abl-ev.de/start/
Neuland Markenfleisch mit Tierhaltungsauflagen: https://www.neuland-fleisch.de/
Was mich immer wieder erstaunt ist wer alles hinter dem jeweiligen Discount steckt. Ich habe die Discounter immer verteidigt weil ich dachte die verkaufen doch nur und bekommen das was der Produzent auch ausgeben muss, nur der Discounter ist dabei effektiver, soll sagen er beutet besser aus.
Es ist auch schwer zu verstehen wer von den Preisen leben kann und wer von den Preisen in Konkurs getrieben wird. Mir würde es schon sehr helfen zu wissen welche Discounter zusammen gehören. Es ist immer im ungefähren mit wem die Bauern verhandeln. Da sollte die Marktmacht der Discounter aufgezeigt werden und gegen welche Bauern die verhandeln.
Bei der Milch ist es dramatisch, da gehen Bauern auf die Straße und während der Demos schließen die Verbände ab. Die Bauern die die Vertretung abgeben haben mit den Leuten auf der Straße nichts zu tun.
Ein bisschen hört man so etwas auch bei den Mästern heraus wenn die Ferkel- Produzenten was anderes ist.
Zu befürchten steht das da sich nichts ändern wird, den ganzen SUV Fahrer wird es egal sein, das ist belegt. Und die Produzenten sind einzeln Betriebe die von Kooperation nicht viel halten. Bei der Verschuldung werden sie erst durch die Arbeiterschaft müssen um zu verstehen das es vereinzelt gegen die Aufkäufer nicht gehen wird.
Da ist es müßig auf die Politik zu schimpfen,”„In der Agrikultur wie in der Manufaktur erscheint die kapitalistische Umwandlung des Produktionsprozesses zugleich als Martyrologie der Produzenten, das Arbeitsmittel als
Unterjochungsmittel, Exploitationsmittel und Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombination der Arbeitsprozesse als organisierte Unterdrückung seiner individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Die Zerstreuung der Landarbeiter über größre Flächen bricht zugleich ihre Widerstandskraft, während Konzentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre
Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land (…) von der großen Industrie als dem Hintergrund
seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktionentwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Karl Marx)